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Das Rollenspiel >> Die Stadt Talyra >> Das Seehaus
(Thema begonnen von: Caewlin am 15. Aug. 2005, 19:12 Uhr)

Titel: Das Seehaus
Beitrag von Caewlin am 15. Aug. 2005, 19:12 Uhr
Das weitläufige Anwesen im Norden des Seeviertels besteht aus gut zwölf Tagwerk Wiesen, Obstgärten und altem Baumbestand und ist von einer etwa doppelt mannshohen Mauer aus hellem Feldstein umgeben, die fast auf ihrer ganzen Länge von rankendem Giftsummach überwuchert ist. Ein großes, eisenbeschlagenes Tor aus Steineichenholz in der Mitte ihrer Westseite ist der einzige Ein- und Ausgang zur Stadt, auf der Seeseite des weitläufigen Grundstücks ist eine ebensolche, sehr viel schmälere Pforte, die zum Uferweg und zum Strand hinab führt. Hinter dem Tor schlängelt sich ein langer, gewundener Kopfsteinpflasterweg unter altem Rotahorn und hohen Kastanien auf ein großes, zweistöckiges Haus aus goldgrauem, unbehauenem Naturstein zu. Um das Haus stehen alte Bäume und nach Norden zieht sich ein sanfter Hang mit Obstbäumen bis zu ein paar Nebengebäuden nahe der Nordmauer: ein Pferdestall, der Platz für sechs Tiere bietet, und aus einem gemauerten Fundament, dicken Holzbalken und einem hohen Heuboden besteht, ein Schweinestall mit matschiger Suhle hinter einem Balkengatter, Verschläge für weiteres Kleinvieh und eine dunklen Holzscheune. Neben der Scheune steht ein festgemauertes Schlachthaus und ein weißverputztes Hühnerhaus schließt sich an den Schweinestall an. Vor der Scheune steht ein Taubenschlag und den gesamten übrigen Nordteil des weitläufigen Grundstücks nehmen Pferdekoppeln ein. Der Rest des Grundes besteht aus blühenden Wiesen und fällt zum Seeufer hin sanft ab.  

Das Haus selbst ist groß, sieht alt, aber gut gepflegt aus und wirkt mit seinen zwei Fuß starken Mauern breit und sicher. Die vorspringenden Erker zu beiden Seiten sind mit rötlichbraunem Lärchenholz verkleidet und von verschlungenen Schnitzereien bedeckt, die Scheiben ihrer tiefgesetzten, bleigefassten und bogenförmigen Sprossenfenster mit bernsteinfarbenen Einlagen versehen. Bis auf den Nordflügel, wo der Küchengarten angrenzt, läuft um das gesamte Haus eine etwa zweieinhalb Schritt breite, überdachte Veranda aus Lärchenbohlen. Gelbe Rosen ranken sich um die mit wuchtigem Schnitzwerk versehenen Pfeiler, die das Vordach tragen, und klettern an der Fassade der Front und der Südseite empor, Blauregen hat sich den Norderker erobert und zieht sich unter dem Dach entlang um den halben Giebel und die Fenster des oberen Stockwerks. Unter dem Vordach, das sich so grünüberwuchert wie ein Laubengang über die gesamte Veranda spannt, liegt in der Mitte der Hausfront eine eisenbeschlagene Eingangstür aus honigfarbenem Holz. Sie hat auf Brusthöhe einen runden Knauf in Form eines stilisierten Drachenkopfes, dessen Unterkiefer als Anklopfer dient, und links und rechts der Tür befinden sich etwa auf Augenhöhe zwei kleine, tiefgesetzte runde Fenster. Gleich neben dem Eingang steht eine Bank, deren Holz von Alter und Witterung längst silbern gebleicht wurde, und auf der ganzen, das Haus umlaufenden Veranda finden sich immer wieder kleine Inseln aus Schalen von blau und grünglasiertem Ton, alten Kübeln und Steintrögen, in denen ein buntes Sammelsurium verschiedenster Pflanzen blüht: Seharimkelche und Schmucklilien, Oleander, blaue und weiße Hortensien, Regenfarn und Begonien, Zitronenbäumchen, Levkojen, Blumenrohr und Seerosen in wassergefüllten Holzbottichen.  

Im Erdgeschoss:

Hinter der Eingangstür gelangt man in einen Windfang, dessen weißverputzte Wände halbhoch mit geschnitzten Truhenbänken aus hellem, rötlichbraunem Holz und darüber mit passenden Wandborden versehen sind, an denen eiserne Haken in Form von Drachenköpfen Platz für Umhänge, Mäntel, Waffengurte, Rucksäcke, Taschen und Ähnliches bieten. Der Windfang weist links und rechts Durchgänge zu breiten Fluren mit glasierten, kastanienbraunen Steinfliesen auf, welche die Seitenflügel des Hauses mit dem Hauptgebäude verbinden. Direkt gegenüber der Eingangstür führt ein weiterer, sehr viel breiterer Bogen, gestützt von hölzernen Säulen mit verschlungenen Mustern, in eine Halle mit hochgewölbter Decke. Der linke Gang geht vom Windfang aus in den Nordflügel des Hauses, der rechte führt in den Südflügel. Im gesamten Erdgeschoss kann der Boden und die Wände des Hauses durch ein altes, aber gut funktionierendes Hypokaustum, dessen Feuerkammer im Keller liegt, beheizt werden.  

Im Nordflügel führt der Gang nur bis zum Erker und zu zwei hintereinanderliegenden, hellen Räumen mit je einem Kamin und großen Fenstern. Das vorderste Gemach ist noch leer, das dahinterliegende beherbergt das neu eingebaute Badezimmer, das raumhoch mit mattglänzenden Marmorkacheln gefliest ist. Etwa einen Schritt hoch ziehen sich Fliesen in warmen Burgunder- und Zimttönen rund um den großen Raum, um dann, abgesetzt durch verschlungene Bordürenranken in Bronze, Gold und Rot, in hellere Kacheln in Bernsteinbraun, Elfenbeingelb und hellem Honiggold überzugehen. Rechterhand findet sich ein Waschtisch aus dunklem Rosenholz mit zwei eingelassenen Waschschüsseln, und darüber ein gewaltiger rechteckiger Spiegel in einem geflochtenem Bronzerahmen, flankiert von Laternen aus durchbrochenem Metall. Linkerhand zwischen den beiden hohen Bogenfenstern befindet sich ein weiterer kleiner Tisch mit Laden, Fächern und einem Spiegelaufsatz. Die Mitte des Raums wird von einer runden, schneeweißen Steinwanne beherrscht, um die sich der marmorne Leib eines ebenholzschwarzen, schlafenden Drachen ringelt. Nur der Kopf, ein Teil des Körpers, die Vorderpranken, ein Hinterlauf und der Rücken des verschlungenen Drachenleibes sind vollkommen ausgearbeitet, so filigran und kunstfertig, dass jede einzelne Schuppe daran zu sehen ist, der Rest verschmilzt mit den gewölbten Wänden des steinernen Beckens.

Den Hauptteil des nördlichen Haustrakts jedoch nehmen die Küche mit den angrenzenden Vorratskammern und Nebenräumen, und die dahinter liegenden Gesindekammern ein. Die Küche des alten Gutshauses ist ein höhlenartiges, zwei Stockwerke hohes Gewölbe mit zwei Oberlichtern in der Decke und einem kleinen Fenstern rechts eines gewaltigen Kaminherdes an der Stirnseite des Raumes. Der Boden besteht hier wie im gesamten Erdgeschoss aus glattglasierten Natursteinfliesen und auf Höhe des ersten Stocks verläuft eine mit einem Geländer versehene Galerie, die unmittelbar mit dem Obergeschoss verbunden ist - offenbar hatte, wer immer das Haus einst erbaut haben mag, sein Gesinde in der Küche im Auge behalten wollen. Der riesige gemauerte Kamin mit seiner offenen Feuerstelle und dem großen, kupfernen Rauchabzug darüber, dem Rost und den eisernen Herdplatten, mit den Backröhren und Wasserschiffen, nimmt fast die gesamte Nordwand der Küche ein. Links neben ihm führt eine schmale Tür durch eine Spülküche mit steinernen Abwaschbecken in einen ummauerten Kräutergarten, der sich direkt an den Nordflügel des Hauses anschließt. In der Mitte der Küche steht ein langer, breiter Tisch, flankiert von zwei Bänken und schlichten, hochlehnigen Stühlen, an dem bequem ein Dutzend Menschen Platz findet. An den Wänden finden sich Kassettenschränke aus hellem Holz und ihre tausend Fächer, Läden, Auszüge, Tellerborde und Holzschütten, fassen allerlei Geschirr, Steingut, kupferne Kessel und Töpfe, gusseiserne Pfannen, kostbares Glas und schlichte Essbretter, Kochbücher, Vorräte, Kochgeschirr und andere Küchenutensilien. Eine Seitentür in der rechten Wand der Küche führt weiter zum Gesindetrakt und gleich davor ist eine Bodenluke, unter der es über eine breite Holzstiege in die Vorratskeller, die Feuerkammer und die Waschküche unter dem Nordflügel geht. Diese Kellerräume sind die einzigen unter dem Haus, die über kleine, vergitterte Fenster  verfügen.

Im Flur zum Südflügel befindet sich in der linken Wand eine schmale, aber schwere eisenbeschlagene Tür, die stets gut verschlossen gehalten wird und die über eine halbrunde Steintreppe in einen trockenen, kühlen Weinkeller führt. Dem festgemauerten, unterirdischen Gewölbe mit seinen langen Regalen für Flaschen und Fässer schließt sich ein langer, ebenso festgemauerter, schmaler Gang an, von dem vier kleine Kellerräume abgehen, die alle mit schweren Türen zu verschließen sind. Im Südflügel selbst gelangt man zunächst in einen einzigen, sehr großen, hellen Raum, der den gesamten südlichen Erker einnimmt. Die Wände sind hier halbhoch mit honigfarbenem Holz verkleidet und zwischen den großen Bogenfenstern mit ihren breiten Sitzbänken und geschnitzten Rahmen stehen einzelne Regale aus demselben, warmgetönten Holz, die bis unter die Decke reichen, sowie ein wuchtiges Schreibpult. In den Regalen liegen dick gebündelte Schriftrollen, stapeln sich ledergebundene Mappen und stehen auch einige kostbare Bücher, hauptsächlich Chroniken über die Geschichte Rohas, aber auch Abhandlungen über den Anbau verschiedener Getreidearten, historische Werke, ein Band über azurianische Prosa, ein Kräuteralmanach aus den Ostlanden, ein Atlas der Sternenkunde von einem gewissen Sukinrepok und andere. Das Zimmer eine Bibliothek zu nennen wäre vermessen, aber er dient als Schreib- und Arbeitsraum. Zwei weitere Gemächer im östlichen Südflügel schließen sich an: eines dient Caewlin als Waffen- und Rüstkammer, und an den Wänden blinkt es kalt vor Stahl, während auf hölzernen Puppen Rüstungen und Kettenhemden hängen. Der andere beherbergt eine kleine Werkstatt mit einem Tillerbaum und einer wuchtigen Werkbank, die unter dem Südfenster Platz gefunden hat, mit zahllosen Regalen und Wandborden, die mit allerhand Werkzeugen, mit Tiegeln und Töpfen, Feilen, Hobeln, Ziehmessern und den Gerätschaften eines Bogenbauers angefüllt sind.

Die große Halle in der Mitte des Hauses, die sich, sieht man vom Windfang und Gängen davor einmal ab, fast durch seine gesamte Breite zieht, ist ein großer, nahezu quadratischer Raum von dem gleich rechts neben dem Eingang eine breite Treppe mit geschnitztem Geländer abgeht und in den oberen Stock führt. In der Mitte der linken Längswand der Halle befindet sich ein breiter, offener Kamin mit schwerem Schnitzwerk. Sein wuchtiger Rahmen mit dem breiten Sims ist aus glänzend dunklem Eisenholz und besteht vollkommen aus einer verschwenderischen Vielzahl ineinander verschlungener Drachenleiber jeder Art, Form und Größe. Links neben dem Kamin führt eine Tür in die Küche hinüber, und an der Stirnseite der Halle sind zwei Alkoven mit tiefgesetzten Bogenfenstern, die auf den hinteren Garten blicken und eine weitere Tür mit bleigefassten Glasscheiben dazwischen, die auf die große Terrasse hinter dem Haus führt. Die niedrigen Fensterbänke sind breit genug, um als bequeme Sitzplätze zu dienen, und die Innenrahmen der Fenster und Terrassentür sind mit ebenso üppigen Schnitzereien verziert, wie der Kamin, nur dass sie aus hellerem Lärchenholz sind und die Muster hier verschlungene Rankenornamente, Blüten und winzige Feen zeigen. Auch der gewaltige, lange Esstisch, der Platz für ein gutes Dutzend Personen bietet, und die hochlehnigen Stühle sind aus Lärchenholz gefertigt und mit prächtigen Schnitzereien verziert. Das nackte Mauerwerk der Südwand wird von einem großen, farbenprächtigen Wandteppich bedeckt, der in kunstvoller Stickarbeit verschiedenste Fabelwesen und verschlungene Ornamente zeigt. Die breite Steinterrasse hinter dem Haus, auf die man von der Halle aus gelangt, ist umgeben von dichten Oleander und Azaleensträuchern und schmiegt sich zwischen die Flügel des Hauses. Ein wuchtiger, langer Holztisch und  zwei ebensolche Bänke, silbrig gebleicht und glattgeschliffen von Witterung und Alter stehen hier im Schatten der Kletterrosen und Kübelpflanzen. Von der Steinterrasse aus geht ein schmaler Saumpfad über die Wiesen hinab zur Seemauer und der darin eingelassenen Pforte.  

Im oberen Stockwerk:

Im Obergeschoss befinden sich sieben weitere Gemächer, eines davon Bryndens Zimmer und das Schlafgemach, sowie eine weitere, kleinere Halle mit Kamin im Südflügel, die jedoch vollkommen leer steht und bisher nie genutzt wurde. Kommt man die Treppe aus der Halle herauf, gelangt man in einen breiten Flur, der durch den gesamten ersten Stock und durch die ganze Länge des Hauses in Nord- und Südtrakt führt, und von dem rechts und links je vier Türen abgehen. Er ist mit glänzenden Dielen aus Kirschbaum ausgelegt und halbhoch mit dem gleichen, rötlichen Holz verkleidet. Im Nordflügel endet er in einer breiten Galerie über der Küche. Linkerhand geht es über die Galerie in das nördliche Erkerzimmer des ersten Stocks, rechts in einen großen, leeren Raum, der den gesamten übrigen Nordflügel einnimmt. Von dieser Galerie aus führt auch eine schmale Holztreppe auf den Speicher des Hauses, ein hoher halbdunkler Raum, der sich über die ganze Länge und Breite des Hauses zieht, vollgestopft mit den alten, abgedeckten Möbeln, Kräuterbündeln, die von Dachsparren hängen und Dutzender geheimnisvoller Kisten, Truhen und Körbe. Hier oben riecht es stets nach trockenem Holz, Lavendelstaub und Tausend Geheimnissen. Den Kern des Hauses nehmen im Obergeschoss vier Gemächer ein, von denen die kleineren links des breiten Flurs nach Westen liegen, die beiden größeren, das Schlafgemach und Bryndens Zimmer, rechts nach Osten gehen.

Das Schlafgemach besitzt neben einem großen Bogenfenster nach Osten auch eine kleine Laube aus Lärchenholz, die wie ein Schwalbennest an der Ostwand des Hauses klebt, vollkommen überwuchert von gelben und weißen Kletterrosen und eine Tür in der linken Längswand, die erst vor kurzem eingesetzt wurde und in Bryndens Raum hinüberführt. Das Schlafgemach wird beherrscht von einem gewaltigen Bett aus massivem rötlichgoldenem Lärchenholz, dessen Betthaupt ein geschnitztes Relief mit einem Drachenpaar zeigt. Ein wuchtiger Kleiderschrank aus dem selben hellen Holz, eine Truhenbank unter dem Bogenfenster und zwei Kommoden, die die Tür zum Kinderzimmer flankieren, komplettieren das Mobiliar des Raumes. Im nebenan liegenden Kinderzimmer bedecken weiche Lammfelle und bunte Flickenteppiche in Gelb- und Rottönen den Boden, die Möbel bestehen aus hellem Kiefernholz und die Wände sind in einem warmen, dunklen Sonnengelb getüncht. Gegenüber des Schlafgemachs, gleich neben der Treppe, befindet sich ein weiteres Kinderzimmer. Die Wände sind in einem satten, warmen Gelbton gestrichen und über und mit Bildern von Fabelwesen verziert - lustige Kobolde, Einhörner, grinsende Drachen und buntschillernde Feen geben sich hier ein Stelldichein. Die Möbel, kleine Schränke und Kommoden, sind ebenfalls mit lustigen Malereien verziert. Eine Korbtruhe sowie ein behäbiger Korbstuhl vor dem Fenster, helle Musselinvorhänge und bunte Teppiche lassen den Raum gemütlich und fröhlich wirken. Im Südflügel des Obergeschosses schließlich liegen zwei weitere große Räume: das Erkerzimmer nach Westen, die kleine Halle nach Osten. Das Erkerzimmer ist als Gästeraum vorgesehen - ein Kassettenschrank, ein breites Bett mit halbhohen, geschnitzten Eckpfosten und zwei bemalte Holztruhen aus dem selben, warmen rötlichen Holz wie die Bodendielen, sowie ein Waschtisch bilden die Einrichtung.



Das Gesinde:

Dalla (http://www.weltenstadt.de/galerien/details.php?image_id=740) - die Oberste Magd, eine knapp fünf Fuß große, rundliche, flinke  Mogbar mit dichten, kastanienbraunen Locken, einem rosigen, runden Gesicht und einer leuchtenden, kleinen Knollennase.

Pyp (http://www.weltenstadt.de/galerien/details.php?image_id=743) - eigentlich Pypar, Dallas Sohn, ein vierzehnjähriger Bengel, mit dem gleichen, dunklen Lockenkopf wie seine Mutter, der Stallbursche.

Rykar (http://www.weltenstadt.de/galerien/details.php?image_id=744) - der Knecht, ein drahtiger, hochgewachsener Mittfünfziger mit einem Kranz schlohweißen, kurzgeschorenen Haares und einem länglichen, gutmütigen Gesicht.

Bethel (http://www.weltenstadt.de/galerien/details.php?image_id=742) - seine Frau, die Köchin, stämmig, rundlich, freundlich und resolut.

Runa (http://www.weltenstadt.de/galerien/details.php?image_id=741) -  eine Magd, ein dünnes, blasses fünfzehnjähriges Mädchen mit blondem Haar und grünen Augen.


Grundriss Seehaus (http://www.drachenbande.de/graffl/seehaus_gross.jpg)

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Caewlin am 15. Aug. 2005, 19:30 Uhr
Obwohl es schon beinahe Mittag ist, als sie über den Strand in Richtung Süden zum Seehaus aufbrechen, erfüllt immer noch blauweißer Nebeldunst die kühle Luft und der Wind treibt ihnen feine, feuchte Schleier entgegen. Sie führen die Pferde am Zügel und deren Hufe knirschen dumpf und gleichmäßig durch den feuchten Sand. Der Ildorel liegt zinngrau und glatt neben ihnen, das leise Klatschen der Wellen, die sich am Ufer brechen, und das Rauschen von Wind und Regen hüllen sie ein. Raven ist still und scheint nachdenklich, vielleicht hat ihr aber auch nur der graue Tag aufs Gemüt geschlagen. Dennoch stellt sie ein paar leise Fragen nach dem Haus und dem Gesinde. "Das Gesinde?" Caewlin zuckt mit den Schultern. "Die Mägde und Knechte waren schon auf dem Anwesen, als Cal das Haus damals in meinem Namen gekauft hat. Soviel ich weiß, hat es irgendeinem alten Ritter aus den Ostlanden gehört. Warum der Mann eigentlich hier in Talyra war, weiß kein Mensch, auch das Gesinde wusste es nicht. Aber Dalla hat irgendwann einmal erzählt, er wäre schon lange ans Bett gefesselt gewesen und hätte das Haus wohl nur aufgegeben, weil er irgendwie geahnt haben muss, dass er es nicht mehr lange machen würde. Wie auch immer, zwei Tage, nachdem die Verträge unterzeichnet waren, war er tot." Sie verlassen den Smaragdstrand und tauchen in die grünen, kühlen Schatten des kleinen Wäldchens ein, das zwischen dem Strand und den nördlichen Stadtmauern liegt. Als sie über die Lichtung mit dem kleinen Bachlauf kommen, an deren Rand sie die Inarinacht mit ihren bittersüßen Offenbarungen verbracht hatten, tauschen sie beide einen Blick. Da sie die Pferde nur im Gänsemarsch über den schmalen Saumpfad, der sich durch den Hain schlängelt, führen können, können sie ihre Unterhaltung erst wieder aufnehmen, als sie den sandigen Uferweg unterhalb der Stadtmauern erreichen und wieder nebeneinander gehen. "Ich wusste nicht recht, was ich mit dem Toten anstellen soll und ich habe auch nie in Erfahrung gebracht, welchem Orden er angehörte, also habe ich die Shenrahtempler benachrichtigen lassen und sie haben sich um seine Bestattung gekümmert, immerhin war er ein gesalbter Ritter. Er liegt auf dem Sithechhain und sein Grabstein trägt nur seinen Namen, Aínmyron von Cavanac. Er muss aus Belgrave gewesen sein, aber das ist auch schon alles, was ich von dem Mann weiß.

Und," fügt er nach einem Moment hinzu, "dass das Gesinde sehr an ihm und dem Haus hing, also habe ich sie übernommen wie alles andere. Im Grunde sind es zwei Familien, Menschen und Mogbars. Da sind die Köchin, Bethel, und ihr Mann Rykar, der die schwere Arbeit mit besorgt. Bethel ist ungeheuer äh... rund und stattlich und Ryk ist ein langes Elend mit einem ziemlichen Pferdegesicht. Aber er ist ein gutmütiger Kerl und er weiß, was er tut. Sie sind beide schon älter. Sie haben keine eigenen Kinder, aber ihre Nichte Runa lebt seit dem letzten Frühling bei uns. Das Mädchen stammt aus Tiefwald und kam nirgendwo anders unter, also haben die beiden sie zu sich genommen." Der Regen lässt nach und der Wind legt sich langsam, dafür steigt feuchter Dunst in wabernden Wolken von den alten Bäumen in den Gärten der herrschaftliche Anwesen, an denen sie nun vorüberkommen auf, und dampft von den Steinen der Stadtmauern. "Runa ist höchstens fünfzehn und das verschreckteste Ding, das ich je gesehen habe, aber sie kann gut mit Kindern umgehen und sie ist fleißig. Und dann sind da natürlich noch die Mogbars, Dalla und Pyp. Pyp ist Dallas Sohn, ein vierzehnjähriger Naseweis. Er geht Ryk als Stallbursche zur Hand und stellt ansonsten nur Unsinn an. Dallas ältere Töchter waren ebenfalls im Haus, haben aber beide im vergangenen Sommer fortgeheiratet, so dass jetzt nur noch sie, Runa und die Köchin da sind," er zuckt vage mit den Schultern. "Du musst sehen, ob du mit nur drei Frauen auskommst, aber wenn du meinst, du brauchst mehr Hilfe, dann sag es und wir suchen uns noch jemanden..." Die hohe, giftsummachüberwucherte Mauer des Seehauses mit seinem weitläufigen Grund taucht rechts von ihnen auf und der Graue, der den Heimweg längst erkannt hat und zusehends ungeduldiger wird, in den heimatlichen Stall zu kommen, ruckt energisch am Zügel. Caewlin kann es ihm nicht verdenken, aber so sehr er sich gewünscht hatte, mit Raven nach Hause zurückzukehren, sie hierher zu bringen in sein - und jetzt auch ihr -  Haus, irgendwo tief in seinem Inneren regt sich zum ersten Mal eine Art leiser Beklommenheit. Würde sie sich hier irgendwann zu Hause fühlen, so wie er und Brynden? Würde sie dieses Haus zu ihrem machen und es mit ihrer Wärme füllen? Er hofft es, aber er will sie auch nicht in ein Leben zwingen, das ihr am Ende immer fremd bleiben würde.

Akira läuft hechelnd voraus und wartet vor der eisenbeschlagenen Strandpforte, Stelze wie einen grauen Schatten hinter sich, und als sie die Pferde hindurch und über den gewundenen Pfad und die regenfeuchten Wiesen zum Haus hinaufführen, hetzt sie weit voraus. Brynden, der den ganzen Weg über grinsend auf dem Rücken des Braunen gethront hatte, wird zappelig, will herunter und rennt dann aufgeregt Akira nach. Einmal stolpert er und landet bäuchlings im nassen Gras, aber er rappelt sich sofort auf und läuft weiter, ohne sich um Grasflecken und rote Knie zu kümmern. Die Pferde schnauben, der Graue wiehert vernehmlich und Caewlin nimmt den Anblick des breiten Hauses mit seinen zwei nach Osten gehenden Flügeln, die wie das Hauptgebäude dicht und grün mit gelb und weiß blühenden Kletterrosen und rankender Waldrebe bewachsen sind, den vielen tiefgesetzten, bogenförmigen Sprossenfenstern und der kleinen, grün überwucherten Laube des Schlafgemachs im Ersten Stock tief in sich auf. Das dunkle, hohe Schieferdach glänzt vor Nässe, aber aus den Kaminen aus Feldstein steigt dunkler Rauch auf und füllt die Luft mit dem Aroma brennenden Birkenholzes, das Wärme und Essen verspricht. Die Steinterrasse liegt leer und regennass, aber ordentlich gefegt vor ihnen und der Duft blühenden Oleanders hängt schwer und süß in der feuchten Luft. Die Fenster im Südflügel und die des Hauptgebäudes sind allesamt dunkel und ihre Ankunft scheint noch niemand bemerkt zu haben, aber man rechnet wohl auch nicht mit ihnen. Soviel er weiß hatte Niniane zwar, nachdem die Masern Cron, die Kinder und ihn selbst erwischt hatten, auf seine Bitte hin eine Nachricht hierher geschickt, aber darin war nur die Rede davon gewesen, dass sich ihr Auszug aus dem Baum verschieben würde, bis Brynden und er wieder genesen waren. Einen Moment lang bleibt er stehen, sieht zum Haus hinauf und atmet tief und erleichtert durch, dann führen sie die Pferde um den Nordflügel und den halbhoch ummauerten Küchengarten herum vor das Haus. Von den Pferdekoppeln am Stall oben nahe der nördlichen Mauer wiehert Halbmond zur Begrüßung und trabt schnaubend innerhalb ihres Zaunes hin und her. Der Graue schüttelt den Kopf, kaut auf seinem Gebiss herum und stampft von einem Huf auf den anderen, als hätte er jetzt wirklich genug von diesem Zwischenspiel als Packesel. Caewlin hat einen Moment lang alle Hände voll damit zu tun, ihn ruhig und vor allem bei sich zu behalten... und dann haben sie das Haus erreicht.

Brynden hopst bereits vor der Eingangstür herum, reicht aber beim besten Willen nicht an den Anklopfer heran und kräht sich nach Dalla die Lungen aus dem Leib, während Akira ungeduldig hechelnd über die Veranda trottet und ihre Krallen auf den Lärchenbohlen klicken. Caewlin bindet den Grauen an einen der geschnitzten Holzpfeiler, die das Vordach tragen, tritt zu seiner Frau und nimmt ihre Hand. Raven mustert das Haus schon seit sie das Anwesen betreten hatten, aufmerksam und ein wenig vielleicht auch so, als sehe sie es zum ersten Mal, kommt aber nicht mehr zu einer Antwort, denn in diesem Moment fliegt die Tür auf und spuckt nacheinander Dalla, Pyp, ein dünnes, blasses blondes Mädchen, einen hageren, großen Mann mit schütterem weißem Haar, der so zäh wie altes Leder wirkt und schließlich eine füllige, matronenhafte Frau mit einer gewaltigen Schürze um den Leib aus. Dalla stürzt sich strahlend auf Brynden, herzt und küsst ihn und reicht ihn an das blasse Mädchen weiter, die nicht anders mit ihm umgeht und ihn nur widerstrebend der dicken Köchin überlässt, die ihn mit gurrenden Kosenamen überhäuft. Die einzigen, die sich nicht an diesem allgemeinen Spektakel beteiligen, sind Rykar, der weißhaarige Knecht, und Pyp, aber auch sie tätscheln dem Jungen im Vorbeigehen den Kopf, während Dalla zwischen dem übrigen Gesinde hin- und herschwirrt wie ein dicker Kolibri. Dann werden sie selbst und die Pferde entdeckt, kaum dass Raven den Braunen neben Gråuna angebunden hat, und Dalla schürzt ihre Röcke und flitzt herüber. "M'lord," sie lächelt Caewlin so scheu an, wie sie es immer tut, mustert Raven nervös und entscheidet sich dann zappelnd vor Aufregung für einen etwas windschiefen Knicks mit den gleichen energischen, vogelartigen Bewegungen, mit denen sie alles tut. Noch während sie wieder hochkommt versichert sie atemlos und ihre Röcke glättend: "Alles bestens, Herr, alles bestens. Das Heu ist eingebracht, das Vieh gesund und das Haus ist ausgeräumt, wie Ihr es befohlen habt, M'lord. Im Gemüsegarten und in den Vorratskellern steht auch alles zum Besten." Sie sieht ihn allerdings kaum an, während sie eilig mit ihren Berichten fortfährt, dafür huscht ihr Blick unter der voluminösen Haube und den hervorquellenden braunen Locken darunter immer wieder zu Raven, als versuche sie einzuschätzen, welche Frau von diesem Tag an hier das Sagen haben würde - und obwohl Dallas Worte zweifellos ihm gelten, wendet sie sich dabei doch sichtlich nervös schon an sie. Caewlin unterdrückt ein Grinsen. Dalla kennt die Bogenbauerin wie jeder seines Gesindes natürlich vom Sehen, aber mehr auch nicht und vermutlich rattert seine Oberste Magd in ihrem kleinen Kopf gerade sämtliche früheren Begegnungen mit ihr herunter und überlegt dabei hektisch, ob sie sich Raven gegenüber auch nie ungebührlich benommen hat.

"Ihr hättet eine Nachricht schicken sollen, Herr, wir haben doch gar nicht mit Eurem Erscheinen gerechnet," wird Caewlin todesmutig und schnatternd gerügt, dann wendet sich Dalla kurzerhand an Raven: "Aber kommt nur herein, kommt herein, Herrin, und wärmt Euch auf, Ihr seid ja völlig durchweicht. Bethel wird gleich etwas zu Essen herrichten und ein heißes Bad, wenn Ihr wollt, und Rykar und Pyp können sich um Gepäck und Pferde kümmern. Für Euer Pferd haben wir eine schöne Box im Stall oben schon hergerichtet und dann schicke ich Runa in den Keller, damit sie Euch etwas zur Stärkung holt und etwas von dem Rosinenkuchen, den Beth heute morgen gebacken hat, Ihr werdet sehen, er ist ganz köstlich und dann sehen wir zu, dass wir trockene Kleider für Euch finden und dann machen wir..." die kleine, dralle Mogbar hat Raven längst bei der Hand genommen und will überhaupt nicht mehr aufhören, auf sie einzureden, während sie sie zielsicher zum Haus drängt. Runa knickst wesentlich eleganter als Dalla, aber auch noch sehr viel ängstlicher, die dicke Köchin verzichtet angesichts ihrer Leibesfülle auf derartige Ehrenbezeugungen und neigt nur den Kopf, und der alte Ryk und Pyp nicken lächelnd und nehmen sich dann der Pferde an. Raven dagegen sieht sich hilflos nach ihm um und Caewlin grinst ihr zu, als sie im Haus verschwindet. "Nimm Brynden und die Hunde mit hinein, min koerlighed. Ich bringe die Pferde in den Stall und dann zeige ich dir alles."  
Als er eine halbe Stunde später zum Haus zurückkommt, ist Raven Dalla offenbar entwischt, denn sie kommt ihm mit Brynden auf dem Arm und einem Stück Rosinenkuchen in der freien Hand aus der Halle entgegen, wo man das Gepäck einstweilen am Fuß der Treppe aufgestapelt hatte und ist mit seinem Sohn auf der Suche nach seinem Stoffhäschen. Die Halle ist gähnend leer und wirkt riesig ohne den langen Tisch, die Holztruhen und Kommoden an den Wänden und die Felle auf dem Boden. Aber im Kamin prasselt ein warmes Feuer und sein breiter, ledergepolsterter Armlehnstuhl steht noch davor - das einzige Möbelstück im Raum. Auf der Lehne thront Mäuseschreck, die getigerte Hauskatze und mustert Akira und Stelze, die sich vor dem Feuer auf den nackten Steinfliesen niedergelassen haben, aus gelben Augenschlitzen. Caewlin lässt seinen Blick einmal durch die Halle schweifen, betrachtet die nackten Wände, den Boden, den ganzen leeren Raum. "Bereit für eine Führung?"    

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Raven am 17. Aug. 2005, 15:49 Uhr
Der Sand ist nass und schwer vom Regen der vergangenen Tage und der kalte Wind, der von Osten her über den Ildorel fegt, treibt ihnen nebelfeuchte Schleier entgegen, als sie nebeneinander den Uferweg entlang stapfen. Obwohl der Beerenreif gerade erst zur Hälfte vorbei ist, liegt schon eine erste Ahnung des nahenden Herbstes in der Luft und die bleigrauen Wolkendecke, die sich über ihnen am Himmel zusammenballt, sieht aus, als würde sie die gesamte Wassermenge des Ildorels in sich tragen und demnächst über ihnen ausschütten wollen. Ein unwilliges Schnauben ertönt hinter ihnen, das Raven dazu bringt, einen Blick über ihre Schulter auf Caewlins Grauen zu werfen, der missmutig mit den Augen rollt und alles um sich herum mit erbosten Blicken bedenkt. Seiner Miene ist deutlich anzusehen, dass er es als ausgebildetes, kampferprobtes Schlachtross für absolut unter seiner Würde hält, wie ein azurianisches Lastkamel ihre Habe hinter ihnen herzuschleppen. Der Braune neben ihm, bis an die seitwärts geklappten, flauschigen Ohren bepackt mit Beuteln, Seesäcken, Kisten und schweren Satteltaschen, trottet dagegen gleichmütig wie ein alter Karrengaul durch den schweren Sand. Brynden, der zwischen all den Gepäckstücken auf seinem Rücken thront - und zwischen ihnen so eingeklemmt ist, dass er nicht einmal herunterfallen könnte, wenn der Hengst auf einmal Purzelbäume schlagen würde -, klammert sich mit seinen kleinen Fäusten fest an den hohen Vorderzwiesel des Sattels und strahlt wie ein Honigkuchenpferd über das ganze Gesicht. Sein seliges Grinsen ist so ansteckend, dass trotz der Aufregung, die in ihrer Magengrube wütet, ein Lächeln über Ravens Lippen huscht, als sie sich wieder Caewlin zuwendet. Schon seit dem Morgen, als sie ihre restlichen Habseligkeiten zusammengeklaubt und ein letztes gemeinsames Frühstück mit Cron, Niniane und einer krähenden Shaerela eingenommen hatten, verspürt sie diese flatternde Unruhe in ihrem Magen, so als hätte sie einen halben Eimer Cofea getrunken und nichts dazu gegessen. Seit dem Aufstehen weicht sie nicht mehr von Caewlins Seite, zapplig vor Anspannung und bis oben hin angefüllt mit einem Wirrwarr aus Freude, Erwartung und leiser Furcht. Er erträgt jedoch grinsend all ihre Fragen, während sie sich über den sandigen Uferweg dem Seehaus nähern, und erzählt geduldig über das Gebäude und das Gut, seinen Vorbesitzer und das ganze Gesinde, das nun dort lebt.

Raven lauscht ihm wie hypnotisiert, versucht sich all die Namen zu merken und ihr Hirn rast dabei durch unzählige Was-wenns. Ihr Gesicht ist sogar unter der Sonnenbräune ein wenig blass geworden und sie wird stiller und stiller, je näher sie dem Seehaus kommen. Was ist, wenn ich mit all dem nicht zurechtkomme? Was, wenn sie mich nicht leiden können? Wenn ich die ganze Arbeit nicht schaffe? Wenn ich alles nur falsch mache? Was, wenn sie mich dort nicht haben wollen? Den letzten Gedanken streicht sie jedoch sogleich wieder. Caewlin will mich aber dort haben. Und schließlich ist es das allein, was zählt. Ihre Unsicherheit kann dies aber trotzdem nicht ganz vertreiben und wann immer der beschwerliche Uferweg und die drängelnden Pferde es zulassen, schmiegt sie sich an Caewlins Seite, wie um dort Halt und Schutz zu suchen. Sie hat immer noch viel zu viele Fragen, viel zu viele Zweifel, aber bevor sie ihn noch mehr löchern kann, taucht auch schon die Mauer des Anwesens rechts von ihnen auf und mit ihr die eisenbeschlagene Pforte, die zwischen wuchernden Ranken und dichtem Laub beinahe verschwindet. Alles drängt inzwischen über den schmalen, gewundenen Pfad und den flachen Wiesenhang hinauf zum Haus, die erwartungsvoll hechelnde Akira, der ungeduldige Graue und ein aufgeregt zappelnder Brynden, der auf einmal nicht schnell genug vom Rücken seines Reittiers kommen kann. Von den Koppelgattern her tönt ihnen wie ein heller Fanfarenstoß schon Halbmonds wiehernder Willkommensgruß entgegen und die Pferde sind daraufhin kaum noch zu halten.

Caewlin bleibt einen Moment stehen und sie kann spüren, wie er tief einatmet. Seine ganze Haltung, sein Gesicht, das Lächeln in seinen Mundwinkeln, alles drückt nur ein einziges Wort aus: Zuhause. Ravens Augen folgen seinem Blick hinauf zum Haus und unwillkürlich drängt sich der Gedanke an ihren letzten Besuch hier auf - an einem froststarrenden, bitterkalten Abend im Sithechmond war sie verzweifelt und völlig aufgelöst vor der Haustür gestanden, mit zerrissenen Hosen und aufgeschlagenen Knien, und Dalla, angetan mit einem zerknitterten Nachtgewand und einer Schlafhaube auf dem wirren Kraushaar, hatte sie durch den Türspalt hindurch so entgeistert angestarrt, als sei sie eine Erscheinung. Hätte ihr damals jemand gesagt, dass sie eines Tages als Caewlins Frau hierher zurückkehren würde, hätte sie ihn vermutlich für komplett verrückt erklärt. Und doch ist es nun so gekommen und sie steht hier auf einer regennassen, gänseblümchenübersäten Wiese inmitten dieses riesigen Anwesens, vor einem riesigen Haus, mit einem riesigen Mann an ihrer Seite und fühlt sich angesichts all dessen plötzlich ziemlich kläglich und klein. Nimm gefälligst den Kopf hoch, du Hasenfuß, mahnt sie sich, gegen ihre Verzagtheit ankämpfend, stößt ein kleines Schnauben aus und reckt entschlossen ihr Kinn vor, während sie ihre Hand in die ihres Mannes schiebt und ihm hinauf zum Haus folgt. Du hast überhaupt keinen Grund, dich zu fürchten. Die beladenen Pferde hinter sich am Zügel umrunden sie das Haus und bevor sie überhaupt dazu kommt, in noch größere Panik auszubrechen, hören sie schon Bryndens begeistertes Krähen. Er quietscht vor Freude so laut, dass man ihn vermutlich bis nach Brioca hört und Ravens Miene, starr vor Anspannung, löst sich plötzlich und einen Augenblick lang lächelt sie beinahe. Sie binden die beiden Hengste an einen der geschnitzten Balken vor der Veranda und ihr Blick schweift über die wuchtige, altehrwürdige Fassade des Gutshauses, die über und über mit einem Gewirr aus Clematis, gelbblühenden Rosen und Efeuranken bewachsen ist. Wahre Kaskaden von duftendem Blauregen ergießen sich über das breite, hölzerne Vordach, das sich entlang der dicken Mauern um das Gebäude zieht.

Raven spürt eine Bewegung neben sich und dann schließt sich eine vertraute Hand fest um ihre. Als sie aufblickt, sieht sie Caewlins Lächeln, ein kleines, warmes Lächeln, das in seinen Mundwinkeln liegt und im Eisblau seiner Augen funkelt und in diesem Moment nur ihr gilt. Jedes Mal, wenn er sie so ansieht, wird die Welt zu einem unendlich viel wärmeren und wunderbaren Ort, und in diesem Augenblick begreift sie erst richtig, was er ihr gerade wie ein Geschenk zu Füßen legt und mit ihr teilen will. Sein Zuhause, seine Familie, sein Leben. Einen Herzschlag lang ist sie so ergriffen und gerührt, dass sie tatsächlich schlucken und die Tränen wegblinzeln muss, die plötzlich mit aller Macht aufsteigen wollen. All ihre Liebe liegt in dem zitternden Händedruck, mit dem sie seinen erwidert und das einzige, was sie noch daran hindert, auf der Stelle loszuheulen, ist die Haustür, die in diesem Moment polternd aufschlägt und einen ganzen Schwall aufgeregt plappernder Menschen und Mogbars über die hölzerne Veranda ergießt. Im Nu ist Brynden von ihnen umzingelt und wird von einem zum anderen gereicht, geherzt, gehätschelt und umarmt. Dalla, ein dünnes, blondes Mädchen und ein wahres Fregattschiff von Köchin flattern um ihn herum wie aufgeregte Spatzen, und als sie mit ihm fertig sind und ihn begeistert abgeküsst haben, wendet sich die gesamte Gesindeschar auf einmal ihnen zu - und Raven fühlt sich von einem Augenblick auf den anderen völlig erschlagen. Fünf Augenpaare sind neugierig und auch ein wenig misstrauisch auf sie gerichtet und sie wird von oben bis unten höchst spekulativ gemustert, so dass sie sich beinahe vorkommt wie auf einem Präsentierteller. Dalla löst sich als erste wieder aus ihrer kurzzeitigen Starre und schießt schnatternd und händeringend auf Caewlin zu. Während sie einen atemlosen Wortschwall auf ihn niederprasseln lässt und ihm Bericht erstattet, hat Raven Zeit, die Umstehenden zu betrachten, mit denen sie nun in einem Haus leben wird. Dalla und Pyp kennt sie schon, und ebenso Rykar, wenngleich sie ihn bislang kaum zu Gesicht bekommen hat. Sein Schädel ist kahl, gesprenkelt wie ein Vogelei und von einem struppigen Kranz weißen Haars umgeben, und sein langes Gesicht erinnert tatsächlich ein wenig an das eines Pferdes. Aber er hat gutmütige Augen und einen Mund, der aussieht, als würde er gerne lachen. Verglichen mit der stattlichen Leibesfülle seiner Frau Bethel sieht er einem langbeinigen Storch so verblüffend ähnlich, dass Raven sich auf die Lippen beißen muss, um ein Kichern zu unterdrücken. Das junge Mädchen, das neben ihm steht, ist offenbar Runa, die Nichte der beiden. Sie hat feines, blondes Haar, so dünn wie Spinnenseide und ist so mager, dass man Angst haben muss, der nächste stärkere Windstoß könnte sie von den Beinen wehen. Als sich ihre Blicke für die Dauer eines Lidschlages treffen, versucht Runa ein zaghaftes Lächeln, aber in ihren aufgerissenen Augen sind tausend bange Fragen zu lesen.

Sie sind mindestens genauso aufgeregt wie ich, stellt Raven völlig überrascht fest, dann wird sie von einer energisch auf sie einredenden Dalla in Beschlag genommen und von ihr kurzerhand einfach zur Tür geschoben. Als die kleine Mogbar in ihrem Redeschwall eine Pause macht, um Luft zu holen - was nicht übermäßig oft nötig zu sein scheint -, versucht Raven, halbherzig zu protestieren und wirft Caewlin einen halb verzweifelten, halb belustigten Blick zu, aber er grinst nur und Dalla scheint nicht vorzuhaben, sie jemals wieder auszulassen, sondern lotst sie, gefolgt von Runa, Bethel und den beiden Hunden in die Halle und ohne Umschweife weiter in die Küche. Die Halle mit dem wuchtigen, geschnitzten Kamin, die sich gleich hinter dem Windfang auftut, kennt Raven bereits von früheren Besuchen, aber dennoch muss sie auch diesmal wieder über ihre Ausmaße staunen. Sie ist so groß, dass ihr Häuschen gut und gern zweimal darin Platz finden würde, und die Küche, ein zwei Stockwerke hohes Gewölbe, das sie durch eine Seitentür betreten, hat immerhin noch die Größe eines mittleren Ballsaals. Das Feuer in dem gewaltigen Herd verbreitet bernsteingoldenes Licht und anheimelnde Wärme und obwohl der Himmel draußen so grau wie Haferschleim ist, scheint hier drin seltsamerweise trotzdem die Sonne zu scheinen. Funkelnd spiegelt sich das Herdfeuer in blankpolierten Kupferkesseln und Pfannen, in blitzenden Töpfen und Gerätschaften, in honiggoldenem Holz und schimmerndem Glas, und Raven ist so fasziniert von all dem, dass ihr beinahe der Mund offen stehen bleibt, während sie sich umschaut. Bethel, der Köchin, deren ureigenstes Reich all das hier ist, entgeht das natürlich nicht und sie trägt einen sichtlich stolzen und zufriedenen Ausdruck im Gesicht, als sie Raven in einen der hochlehnigen Stühle und ihr ein Stück duftenden Rosinenkuchens in die Hand drückt.

Es dauert eine ganze Weile, bis sie sich aus Bethels und Dallas liebevollen Klauen befreien kann und mit Brynden an der Hand wieder hinüber in die Halle geht. Er war zu ihr auf den Schoß geklettert, hatte sich mit Kuchen vollstopfen und von allen weiblichen Wesen im Raum nur zu gern hätscheln lassen, aber dann war ihm stirnrunzelnd aufgefallen, dass ihm sein heißgeliebter Stoffhase irgendwo abhanden gekommen war und der ist nun einmal wichtiger als alle Kuchen der Welt. Sie finden den zerknautschten Hasen in der Halle am Fuß der breiten Treppe, wo ihr ganzes Gepäck zu einem unordentlichen Haufen aufgestapelt darauf wartet, seinen Platz hier im Haus zu finden. Die Hunde haben sich einträchtlich vor dem Kaminfeuer niedergelassen, misstrauisch beobachtet von einer getigerten Katze, die zusammengekauert und lauernd wie ein zu klein geratener Leopard auf der Lehne eines riesigen Sessels hockt. Während Brynden den unfolgsamen Hasen ausschimpft, spaziert Raven rosinenkuchenfutternd und mit großen Augen durch die leere, weite Halle. Der gewaltige Kamin in der Nordwand hat es ihr angetan und staunend betrachtet sie die geschnitzten, vielfach verschlungenen Drachenleiber, die aus dem dunkelglänzenden Holz wachsen und im Schein der Glut rot und golden aufschimmern. Brynden, der mit seiner Hasenschimpftirade wohl schon fertig ist, gesellt sich zu ihr und erklärt ihr mit wichtigtuerischer Miene "seine" Drachen rund um den Kamin, mit denen er offenbar gut Freund ist und die er auf die ulkigsten Namen getauft hat. Sie nimmt ihn auf ihren Arm hoch und lauscht lächelnd und ganz ernsthaft, wie er sie ihr alle vorstellt, aber dann lässt ein Geräusch sie herumfahren und sie sieht Caewlin durch die Halle kommen. Ein Seufzer der Erleichterung durchfährt sie und sie stellt Brynden eilig wieder auf die Füße, um im nächsten Augenblick an Caewlins Hals zu kleben, ihn mit Rosinenkuchen vollzukrümeln und ihn zu küssen, bis ihm die Luft wegbleibt. "Wo warst du denn?" flüstert sie atemlos. "Ich war ganz allein in Dallas und Bethels Fängen." Kichernd verdreht sie die Augen und wirft einen bedeutungsschweren Blick auf den kärglichen Kuchenrest in ihren Fingern. "Sie haben ein neues Opfer gefunden. Beth hat mich von oben bis unten gemustert und offenbar sofort beschlossen, dass sie mich von nun an mästen muss. Und das, wo ich ohnehin kaum noch in meine Leibchen passe. Wenn sie so weitermacht, wirst du mich in drei Monden hier durch die Halle rollen können wie einen Laib Käse." >Bereit für eine Führung?< erwidert er grinsend, und sie nickt mit leuchtenden Augen. "Ja. Es wird Zeit, dass du mir mein neues Zuhause zeigst."

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Caewlin am 20. Aug. 2005, 17:20 Uhr
Als er in die Halle kommt, umarmt Raven ihn mit solcher Wucht, als hätte er sie einen ganzen Mond allein gelassen und nicht nur eine halbe Stunde. >Ich war ganz allein in Dallas und Bethels Fängen. Sie haben ein neues Opfer gefunden. Beth hat mich von oben bis unten gemustert und offenbar sofort beschlossen, dass sie mich von nun an mästen muss. Und das, wo ich ohnehin kaum noch in meine Leibchen passe. Wenn sie so weitermacht, wirst du mich in drei Monden hier durch die Halle rollen können wie einen Laib Käse.< "Hmm... Rollen. War das ein Angebot, Frau?" In ihrer Heftigkeit mag noch ein Nachhall der zappligen Unruhe vom Herweg liegen, aber sie drückt sich an ihn, hinterlässt den süßen Geschmack von Rosinenkuchen auf seiner Zunge und als sie sich von ihm löst, grinst und dann Kuchenkrümel von seinem Hemdkragen schnippt, haben scheinbar doch Aufregung und Neugier die Oberhand gewonnen. >Ja. Es wird Zeit, dass du mir mein neues Zuhause zeigst.< Brynden, noch nicht ganz in dem Alter, in dem man sichtbare Zuneigungsbeweise seiner Eltern abfällig kommentieren muss, zieht nur seine Nase kraus und grinst, drängt sich dann an sie, klammert sich an ihre Hosenbeine und fordert: "Auch mit!" Caewlin nimmt ihn hoch. "Also komm. Zeigen wir Raven ihr Zuhause."
Sie beginnen im Nordflügel, wo sich in der Küche das Gesinde versammelt hat, und da Dalla und Beth mit der Zubereitung eines improvisierten Festmahls zugange scheinen und Prioritäten setzen können, übernimmt es Runa, Raven den Gesindetrakt zu zeigen, zappelnd vor Aufregung. Um das Mädchen nicht noch mehr zu verschrecken oder ganz und gar mit Stummheit zu schlagen, bleibt Caewlin mit Brynden so lange in der Küche und wechselt ein paar Worte mit Ryk, ein Gespräch, das sich hauptsächlich um das kürzlich eingebrachte Heu und die bald anstehende Lieferung von Korn, Hafer, Gerste und Mais dreht. Die Kammern der Mägde und Kneche im hinteren Nordflügel sind einfach und schlicht eingerichtet, aber sauber und wohnlich, und die Führung dort dauert nicht allzu lange. Runa erklärt stotternd, wer wo seine Kammer habe und zu finden sei und versichert bestimmt ein halbes Dutzend Mal, die Herrin solle sich nur nicht scheuen, zu jeder Tages und Nachtzeit zu rufen, falls sie etwas brauche, man sei ihr gern zu Diensten... Caewlin hört ihr atemloses Murmeln durch die offene Tür und unterdrückt ein Grinsen - irgendeine Magd nachts aus dem Bett zu werfen, weil Mylady ein Glas Milch wünsche, wäre etwas, das Raven vermutlich nicht einmal im Traum einfallen würde, geschweige denn, sich pausenlos bedienen zu lassen... eines der vielen Dinge, die er an ihr schätzt. Zurück in der Küche drückt er Brynden Runa in die ausgestreckten Arme und übernimmt es, Raven die Vorratskeller, die Waschküche, die Feuerkammer des Hypokaustums, den Eiskeller und die Kohlenkammer unter dem Nordflügel zu zeigen, bevor Dalla noch auf die Idee kommt, seine Frau dort hinunter zu zerren und er sie vermutlich die nächsten zwei Tage nicht mehr zu Gesicht bekäme, weil seine oberste Magd in ihrem überschwänglichen Hausfrauenstolz von der Saftpresse bis zum Krauthobel alles sofort vorführen muss. Die Stiege hinunter in die kühle Dunkelheit knarrt unter seinem beträchtlichen Gewicht zum Göttererbarmen, aber sie hält schließlich auch Beth aus, also wird sie ihn erst recht tragen. Raven folgt ihm wie ein zu klein geratener Schatten und murmelt, es sei alles so groß hier, daran müsse sie sich erst gewöhnen. Caewlin lacht leise. "Siehst du, deswegen dachte ich, wir fangen am Besten mit etwas gewohntem an," er weist mit dem Armstumpf ins düstere Halbdunkel vor ihnen, "und das hier sollte dir doch bekannt vorkommen. Schon wieder steigen wir beide Seite an Seite in dunkle Tunnel hinunter..."

Raven knufft ihn in die Seite, rümpft die Nase und späht dann doch neugierig nach links und rechts. Der Tag ist trüb und verregnet, und so fällt durch die schmalen, vergitterten halbrunden Fenster, die hier unter den Gewölbedecken kleben und außen ebenerdig in der Mauer des Nordflügels liegen, nur wenig diffuses Licht ein - aber es reicht aus, um einen langen Gang mit links und rechts davon abgehenden Türen und Nischen zu erkennen. Gleich links liegt die Waschküche mit ihren dicken Kesseln und Zubern, mit dem langen Walktisch, den Waschbrettern, Holzbottichen, der Seife und den Weidenkörben. Hinter ihr schließt sich die Feuerkammer an, ein kleiner Raum mit einer Verbindung zum dahinterliegenden Kohlenkeller, der bis unter die Decke mit säuberlich aufgestapelten Holzscheiten gefüllt ist und ansonsten nur aus einem schmalen Gang zu einem Feuerloch für einen gigantischen, in der Wand liegenden, gemauerten Ofen zu bestehen scheint. Rechts des Ganges liegen der Eiskeller, ein schmaler, rechteckiger Raum, in dem sich schimmernde Eisblöcke an den Wänden entlang stapeln und in dem größere Fleischstücke an Haken von der Decke baumeln. Es ist der einzige Raum im Keller des Nordflügels, der kein Fenster hat, dafür ist er bis unter die Decke gefliest und hat einen Ablauf im Boden. "Vielleicht können wir Niniane irgendwann einmal fragen, ob sie nicht einen dauerhaften Kältezauber kennt," murmelt er und mustert die ständig tropfende Eislandschaft. "Weniger Sauerei..." Ansonsten liegen rechts des Ganges nur trockene, kühle Kellerräume, in denen sich Fässer und Schließkörbe stapeln und deren schlichte Regale zum Bersten gefüllt sind mit Gläsern und Tontöpfen jeder Größe, mit Krügen, Amphoren, Flaschen, Tiegeln und Töpfen. Im Erdkeller, dem letzten auf der rechten Seite, lagern nach der Erntezeit im Herbst Kartoffeln, Rüben, Karotten, Sellerie und ähnliches Wurzelgemüse, jetzt ist er ausgefegt und leer. Nachdem die Kellerführung beendet ist, beeilen sie sich beide, wieder in die Wärme der Küche zu kommen, wo inzwischen bratendes Truthahnirgendetwas anheimelnden Duft verbreitet. Brynden, dem der Rosinenkuchen und Runas ungeteilte Aufmerksamkeit mittlerweile wichtiger sind, als eine langweilige Hausführung, grinst nur und bleibt lieber wo er ist, so dass Caewlin und Raven ihren Erkundungsgang allein fortsetzen. Er zeigt ihr als nächstes die beiden leerstehenden Gemächer im Erker des Nordflügels, bleibt aber in der Tür stehen und beobachtet sie nur, während sie sich umsieht. Raven schlendert an den Wänden entlang durch beide Zimmer, berührt hin und wieder Schnitzereien an den Fensterrahmen oder streicht mit den Fingern über den glatten Kalkputz, als wolle sie das Haus nicht nur ansehen, sondern auch fühlen. Draußen trommelt der Regen schwer und klatschend gegen die Scheiben, wo er glitzernde Spuren hinterlässt und innen wandert seine Frau durch hohe, leere Räume. Ihr Gesicht bleibt still, aber ihr Blick ist weit und aufmerksam und scheint jedes Detail in sich aufnehmen zu wollen, das Muster der glänzenden, kastanienbraunen Fliesen, die halbverblichenen Fresken an der hinteren Erkerwand, die tiefen Fensternischen und die geschnitzten Kamine - keine Drachen, aus dunklem Eisenholz, wie in der Halle, sondern verschlungene Knoten und Linienmuster aus rötlicher Lärche, wie die Fensterrahmen auch. Mit Raven wandert ihr Schatten über die hellen Wände und mischt sich im grauen Zwielicht mit den langgezogenen zartgrauen Schattenrissen der Regenschlieren, die den Gemächern etwas von einer Unterwasserwelt geben, dann kehrt sie zu ihm zurück. Ihre kleine Hand wandert wortlos in seine und er zieht sie näher an sich. "Erste Inspektion beendet?" Fragt er leise. "Dann komm, da wartet schätzungsweise noch ein Dutzend Türen auf dich."

Im Südflügel zeigt er ihr den Erkerraum mit den hohen Regalen und seinem breiten Schreibtisch, der ihm als Arbeitszimmer dient und früher so etwas wie eine Bibliothek gewesen sein muss - allerdings hatten damals wohl wesentlich mehr Bücher, als er sie besitzt, die Regale bevölkert. "Eine Art Arbeitszimmer," erklärt er, während sie sich umsieht, "und einer der wenigen Räume, die eingerichtet geblieben sind. Hier im Schreibtisch findest du Wachstafeln und Griffel, Pergament, Löschsand, Tinte und Federkiele. Hier werden auch die Bücher geführt und dem Gesinde am Quartalstag der Lohn ausbezahlt... oder sonstige Schreibarbeiten, die anfallen, erledigt. Hierher kommen auch die Pächter, wenn es etwas zu besprechen gibt oder der Zehnte abgerechnet wird. Ich weiß, du kannst ein wenig lesen und deinen Namen schreiben, aber..." er lehnt sich an den Schreibtisch, nimmt eine Specksteindose in die Hand und wiegt sie nachdenklich in den Fingern, "wenn du es richtig lernen willst, mein Angebot gilt noch immer." Er stellt den kleinen Tiegel wieder an seinen Platz zurück und macht dann eine Geste, die den ganzen Raum einschließt: "Auf jeden Fall ist hier genug Platz für deine Malsachen und Zeichnungen... wenn du möchtest." Sie hatte in den vergangenen Wochen im Baum gezeichnet, wann immer sie die Gelegenheit dazu und ein freies Stück Pergament oder Papier gefunden hatte und so innerhalb kürzester Zeit eine beachtliche Skizzensammlung angehäuft. Außerdem hatte sie ja noch die Truhe mit der Leinwand, den Pinseln und den kostbaren Farben, die Cron und Niniane ihr geschenkt hatten, auch wenn sie bisher noch gar nicht dazugekommen war, das alles auszuprobieren... das hingerissene Leuchten in ihrem Gesicht, als sie die Kiste damals im Kaminzimmer in Ninianes Baum durchwühlt hatte, an jenem Abend, als er zum ersten Mal von seinem Lager aufgestanden war, würde er nie vergessen und die Erinnerung daran, lässt ihn jetzt lächeln. Er hatte sie dabei beobachtet, irgendwann bemerkt, sie sähe aus wie ein Trüffelschweinchen, das einen Schatz gefunden hat und dann gefragt: >Was ist denn... da drin?< Sie hatte ihn angesehen, mit den Schultern gezuckt, gegrinst und erwidert: >Trüffel natürlich. Oink. Oink.< Er zeigt ihr noch, wo die Bücher des Anwesens liegen und den verborgenen Mechanismus im Schreibtisch, der eine Geheimlade unter dem rechten Türfach öffnet, in der sich neben einem Beutel Gold auch ein Dolch und ein Bund mit mehreren Eisenschlüsseln jeder Form und Größe befinden. Die Schlüssel nimmt er heraus, ehe er die Lade wieder schließt, und reicht sie Raven. "Die gehören jetzt dir. Der große mit dem Drachenkopf als Bart sperrt die Haustür, die anderen die Keller- und Zimmertüren, die kleinen die Schränke und Truhen in der Wäschekammer und diesen Schreibtisch. Bis auf die Kellertür im Gang zum Südflügel, die Kammern dort unten und den Waffenraum natürlich war allerdings im Haus bisher immer alles unverschlossen. Das Gesinde ist vertrauenswürdig," er zuckt mit den Schultern, "aber du musst selbst entscheiden, wie du es in Zukunft damit halten willst. Komm, der nächste Raum wird dir gefallen."  

Die nächste Tür im Gang durch den Südflügel ist aus schwerer, eisenbeschlagener Eiche und führt in die Waffenkammer. Die wuchtigen Angeln knarren vernehmlich unter ihrem Gewicht, als Caewlin sie öffnet und Raven dann vorangehen lässt. Der Raum hier ist längst nicht so groß, wie das Erkerzimmer mit seinen hohen Regalen, aber er misst sicherlich vier mal sechs Schritt und ist bis unter die Decke vollgestopft mit Waffen, Schilden und Rüstungen. An den Wänden sind reihenweise Haken von Wacholderholz angebracht, von denen lederne Waffengurte mit Bronze- oder Silberbeschlägen baumeln, an denen teils schlichte, teils kunstvoll punzierte Köcher für Pfeile oder Bolzen hängen oder Taschen und Seesäcke ihren Platz haben. Zwischen den Haken ruhen in Wandhalterungen zwei leichte und eine mittelschwere Armbrust, und Caewlins alter Langbogen - zwei Schritt lang, aus Eibenholz mit einer Sehne aus Flachs und Hornkerben an den Enden. "Ich war bestimmt nie ein Meisterschütze," erklärt er achselzuckend, "aber für die Jagd hat es allemal gereicht. Jetzt kann ich ihn ohnehin nicht mehr verwenden." Er schwenkt mit einem säuerlichen Grinsen den Armstumpf und zeigt dann auf den Bogen. "Er hängt also nur als Erinnerung hier. Als Cron nach Talyra kam und eine Zeitlang bei uns gewohnt hat, hat er öfter damit geschossen, aber seitdem verstaubt er..." Unter den Fenstern, die in diesem Gemach wie die Kellerluken des Nordflügels vergittert sind, lehnen mehrere Schilde hintereinander an der Wand, allesamt Beutestücke: Laiginsche Targen, bespannte Rundschilde mit metallenen Schildbuckeln, sogar ein schwerer, metallener Turmschild, der reichlich verbeult aussieht und dessen abgesplitterte Farbe noch vage das frühere Wappen darauf erahnen lässt. "Buhurtbeute," erklärt er grinsend auf ihren fragenden Blick. Auf Holzpuppen hängen vier Kettenhemden aus rauchigdunklem Stahl, eine knielange lederne Brünne mit Eisenschuppen und Caewlins schwere Rüstung mit dem Kesselhelm in Form eines knurrenden Hundekopfes, sowie ein beschlagener Lederharnisch und ein paar wattierte Westen und Waffenröcke. Einige Ochsenzungen mit breiten Klingen und ein Langschwert hängen in ihren Scheiden an der Wand und in Holzständern stecken einklingige Handbeile, eine Lochaberaxt und zwei lange Speere. In Ecken und Winkeln liegt noch anderes Gerät herum: Riemen, aufgerollte Seile, geflochtene Lederschnur, ein Korb mit alten Lumpen, Lederfett, Kalk, Wetzsteinen und Waffenöl und anderer Kleinkram. In einer langen, verschlossenen Truhe ruht außerdem ein buntes Sammelsurium aus Messern mit verschiedensten Spitzen, Hirschfängern, Felleisen, Dolchmessern, Wurfmessern, Basilarden und Scheibendolchen. Hier ist Raven in ihrem Element, wie es scheint, denn innerhalb kürzester Zeit haben sie die Köpfe zusammengesteckt und fachsimpeln über die Vorzüge der scharfen, kurzen Klingen, die sich wegen ihrer geringen Größe ausgezeichnet in einem Handgemenge einsetzen lassen - vor allem in beengten Verhältnissen, wo jede längere Waffe nur hinderlich wäre. Sich vom blinkenden Stahl loszureißen fällt ihnen beiden schwer, aber schließlich gibt es da noch einen weiteren Raum, der allerdings genauso leer ist, wie die im Nordflügel und in dem nur ein paar Spinnräder, ein Webstuhl und Weidenkörbe mit Wolle im trüben Regenlicht herumstehen, und ein Obergeschoss, das darauf wartet, entdeckt zu werden.

Als sie den Südflügel hinter sich lassen und in die Halle zurückkehren - die restlichen Kellerräume wird Caewlin ihr später zeigen - brennt das Feuer dort im Kamin hell und so lodernd, als wolle der knorrige Kiefernstrunk, den man eingeschürt hat, jetzt alle Wärme abgeben, die er in einem langen Jahrhundert gespeichert hatte. Die Hunde räkeln sich behaglich auf den Fliesen und Caewlin spürt die Wärme auch vom Boden aufsteigen - offenbar hatte Ryk wegen des feuchtkalten Wetters das Hypokaustum angeheizt. Ihr Gepäck war neben der Treppe aufgestapelt worden, und so nehmen sie gleich ein paar Taschen mit hinauf, vor allem ihre persönliche Habe und den vollgestopften Seesack mit Bryndens Spielsachen. Im oberen Stock ist es merklich kühler... hier oben war wohl lange nicht angeschürt worden und alle Feuerstellen sind kalt, nur von der breiten Galerie ganz am Nordende des Flurs steigt Wärme aus der Küche nach oben und füllt den Gang mit verlockendem Essensduft. Caewlin lotst Raven, bepackt wie er mit Satteltaschen und Schließkörben, in das Gästezimmer im Süderker und sie finden zu ihrer Überraschung ein prasselndes Feuer im Kamin und ein frischbezogenes Bett vor... etwas, worum sich wohl Dalla gekümmert hatte, während sie unten in der Waffenkammer hängen geblieben waren. "Fürs erste werden wir hiermit vorlieb nehmen müssen," meint er, während er sein Gepäck abstellt und ihr dann die schweren Körbe abnimmt. "Bis wir wieder ein Schlafgemach haben... das hier ist eigentlich das Gästezimmer. Wo soll der Korb hin? Hierher auf die Kommode? Gut. Himmel, was hast du da drin? Mauersteine?" Er späht neugierig unter den Deckel. "Aye, dein Schnitzzeug." Er stellt den Korb ab und fährt dann fort. "Cron hat hier gewohnt, als er bei uns war, und während unseres Kampfes mit diesen Wurmdämonen in den Kanalisationstunneln hat Ieras hier geschlafen. Komm, bringen wir Bryndens Sachen in sein Zimmer und ich zeige dir den Rest. Ich fürchte nur, es gibt nicht viel zu sehen, denn die Gemächer hier oben sind bis auf dieses und das Kinderzimmer leer." Sie räumen die Spielsachen und die vielen Schnitzfiguren, die Raven gefertigt und bemalt hatte, in die Regale in Bryndens sonnengelbem Zimmer, das selbst im grauen Licht eines verregneten Beerenreiftages Wärme ausstrahlt, und Caewlin zeigt ihr dann den Rest des Obergeschosses mit seiner kleinen Halle, den Räumen im Südflügel, den Norderker und die übrigen Gemächer... alle mit den gleichen, weißverputzten Wänden, hohen Decken, breiten, tiefgesetzten Bogenfenstern und glänzenden Bodendielen - und alle still, kühl und leer. Ins Schlafgemach neben Bryndens Raum führt er sie zuletzt und die Tür knarrt leise, als er sie öffnet. Diesen Raum kennt Raven von einem früheren Besuch, als Calyra sie mit hier heraufgenommen hatte, auch wenn sie das Zimmer kaum wiedererkennen dürfte... wo früher ein breites Bett mit geschnitztem Haupt, Truhen und Kommoden, ein hoher Standspiegel mit Bronzerahmen, ein wuchtiger Schrank und ein Paravent gestanden hatten, gähnt jetzt Leere. Das einzige, was noch im Raum steht, ist die breite, mit Kupfer ausgeschlagene Holzwanne, die Rykar und Pyp ohne Hilfe vermutlich einfach nicht zur Tür hinaus und die Treppe hinunter gebracht hatten. Caewlin sieht sich ebenso um, wie Raven und öffnet dann die Tür, die auf die kleine Laube hinausgeht, die wie ein Vogelnest an der hinteren Hauswand über der Steinterrasse klebt. Ihr Holz und das Dach sind vollkommen von gelben Rosen überwuchert, deren Duft schwer in der feuchten Luft hängt, und er lehnt sich an die geschnitzte Brüstung, starrt in den Regen und atmet tief und langsam ein und aus.

Der Himmel ist wolkenverhangen und der Regen rauscht in dichten Schleiern herunter. Es ist windstill geworden, nur ein strömender Hauch von Herbst und einer frühen Dämmerung streicht durch das trübe Grau. Unter der Laube hinter der Terrasse liegt dunkel und grün der weitläufige Garten, dahinter die hohe Mauer und jenseits von ihr der Uferweg, der Strand und schließlich der Ildorel, so bleiern und zinngrau wie der Himmel. Raven kommt zu ihm, lehnt sich an ihn, als spüre sie seine plötzliche Melancholie und er legt die Arme um sie. "Schon in Ordnung. Es ist nur... so leer. Ich wusste, was mich erwartet und es ist gut so, ich wollte es so. Ich wollte nicht, dass du mit Calyras Schatten leben musst und das Gefühl hast... ihr... nun ja, ihr Leben übernehmen zu müssen. Oder ihr Haus... etwas in der Art vielleicht, ich kann es nicht besser ausdrücken. Wenn man..." Er hebt den Kopf und sein Blick irrt über die Staudenbeete rund um die Steinterrasse mit dem blühenden Oleander, den blauen und weißen Hortensien und den dunklen Rhododendren. "Wenn man auf sein Leben zurückblickt, gibt es soviel Kummer, dass man zusammenbrechen könnte. Aber das Leben fordert einen, Raven, solange man atmet. Man muss immer wieder hoch und vorwärts, was auch kommt, muss sehen, im Leben etwas mitzunehmen von dem, was der Schmerz einen lehrt..." Ob er in Gedanken versinkt oder ob er ihr Zeit lassen will, seine Worte aufzunehmen, er schweigt lange. "Nach Calyras Tod wollte ich nur noch vergessen, aber ich konnte nicht vergessen. Ich konnte nicht trauern, ich konnte nicht denken - in mir war alles leer und kalt. Ich konnte mich ja nicht einmal Brynden zuliebe aufraffen, irgendwie weiterzumachen. Ich konnte es mir noch nicht einmal vorstellen, ich glaube, ich wollte einfach nur noch... sterben. Aber du warst da und du hast mich nicht gelassen. In den Tunneln nicht und in den Wochen danach in Ninianes Baum auch nicht. Ich habe mir fest eingeredet, ich säße sicher hinter meinen Mauern aus Schmerz und Schuld und Trauer, und lange war ich das auch. Es war, als sähe ich euch alle durch einen Spiegel, ein Gewirr von Spiegeln, hinter dem ich allein war und durch das niemand blicken konnte. Niemand, nicht einmal Brynden, war wirklich bei mir... aber du hast einfach die Hand ausgestreckt und bist durchgegangen, als gäbe es für dich keine Spiegel und erst recht keine Mauern. Du warst immer da, bei mir, als hätte ich dich schon immer in meinem Inneren getragen... und dann war da plötzlich ein Gefühl in der Kälte... eigentlich viele Gefühle, die ich allesamt nicht haben wollte... Hoffnung vor allem. Und dann Lachen und Wärme... und Liebe. Erinnerst du dich an den Abend, als wir von der Steinfaust zurückkamen? Du warst so wütend, als du aus diesem Bad gestapft bist... und so schön." Er sieht auf sie hinunter, eine kleine Frau mit Bernsteinaugen, schwerem, dunklem Seidenhaar und einem zu großen Mund, die sein Herz und seine Seele in ihren Händen hält, legt die Finger unter ihr Kinn hebt es leicht an. "Ich hätte dich damals schon küssen sollen."  

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Raven am 23. Aug. 2005, 15:06 Uhr
Ihr neues Zuhause ist mehr als einfach nur groß, vor allem verfügt es über eine labyrinthische Vielzahl von Zimmern und Hallen, Gängen und Fluren, Kellern, Kammern, Gewölben und Türen, und Raven hat noch nicht einmal die Hälfte des ebenerdig liegenden Stockwerkes gesehen, als sie sich bereits völlig verwirrt fragt, wie sie sich hier jemals zurechtfinden soll. Herrje, ich werde entweder eine Karte oder an jeder Ecke einen Wegweiser brauchen, sonst werde ich mich vermutlich schon auf dem Weg zum Abtritt dreimal verlaufen, schießt es ihr durch den Kopf, als sie Runas voraushuschender Gestalt durch die Flucht der Gesindekammern folgt und versucht, sich ihre schüchtern gestammelten Erklärungen zu merken. Das Mädchen ist vor Aufregung ganz bleich im Gesicht und sieht aus, als könne sie jeden Moment ohnmächtig zu Boden sinken. Raven lauscht ihr aufmerksam, ohne sie zu unterbrechen und lächelt aufmunternd, wenn sie ins Stocken gerät, was sie praktisch nach jedem zweiten Satz tut, aber Runas Nervosität will trotzdem nicht weichen. Als sie ihr dann noch händeringend versichert, sie könne jederzeit nach ihnen allen rufen, wenn sie etwas brauchen sollte, nimmt die kleine, steile Falte der Verwirrung zwischen Ravens Brauen geradezu besorgniserregende Canyontiefe an. Ich soll nach ihnen rufen und sie mitten in der Nacht aus dem Schlaf und den Betten scheuchen, nur weil ich selbst zu faul oder zu hochnäsig wäre, mir selbst zu holen, was ich brauche? Das kann nicht ihr Ernst sein. So lange ich mich noch halbwegs auf meinen eigenen zwei Beinen fortbewegen kann, wird das ganz bestimmt nicht passieren, schwört sie sich und kehrt hinter der mageren, blonden Magd in die Küche zurück, in dieses warmgoldene, duftende, behagliche Herzstück des Hauses, in dem sich alle versammelt haben.

Caewlin hat gerade sein Gespräch mit Rykar beendet, und wirft einen halb argwöhnischen, halb amüsierten Blick auf die geschäftig umhereilende Dalla, die wundersamerweise an allen Ecken und Enden zugleich zu sein scheint, und sich mit der Köchin gerade in eine hitzige Debatte darüber verstrickt, ob nun Lorbeerblätter in die Bratensauce gehören oder nicht. Mit einem unterdrückten Grinsen nutzt er dann die Gunst des Augenblicks und die abgelenkte Aufmerksamkeit seiner obersten Magd, um Brynden in Runas Arme zu drücken und Raven eilig hinunter in den Keller zu schieben. Die steile hölzerne Stiege ächzt protestierend unter seinem Gewicht, als er hinab in das trübe Dämmerlicht steigt. Raven folgt ihm dichtauf und erspäht am Fuß der Treppe einen langen, halbdunklen Gang, von dem zu beiden Seiten etliche Kammern und Nischen abgehen, was ihr einen weiteren verwirrten Seufzer entlockt. >Siehst du, deswegen dachte ich, wir fangen am Besten mit etwas gewohntem an,< lacht Caewlin leise auf ihre Bemerkung, dass der Keller hier auch nicht viel kleiner als die Kanalisationstunnel unter der Stadt sei, und weist mit einer weitschweifigen Geste in das spärlich beleuchtete Gewölbe vor sich. Und das hier sollte dir doch bekannt vorkommen. "Deswegen hast du dich in den Katakomben wohl auch gleich so zu Hause gefühlt", kichert sie und stapft hinter ihm her, während er ihr geduldig jede einzelne Kammer zeigt, vom Kohlenkeller bis hin zu den unzähligen Lagerräumen. Sie kennt Ninianes wohlgefüllte Speisekammern, die sie - die selbst jahrelang von der Hand in den Mund gelebt hatte - bislang für die absolute Krönung der Vorratshaltung gehalten hatte, aber was sich hier vor ihren staunenden Augen auftut, lässt ihr einfach die Kinnlade herunterklappen - die Vorräte, die in einer unüberschaubaren Zahl in Krügen, Fässern, Schließkörben, Trögen, Säcken, Holzkisten, Schütten und allen möglichen und unmöglichen Behältern eingekellert sind und jeden Winkel ausfüllen, würden selbst eine zehnköpfige Familie eine wochenlange Belagerung unbeschadet überstehen lassen.

Mit ungläubigem Kopfschütteln folgt sie Caewlin wieder nach oben und weiter durch all die Räume, durch Halle und Windfang in zwei helle, hübsche Erkerzimmer mit tiefen Fensternischen und geschnitzten Kaminsimsen, aus denen verschlungene, hölzerne Ornamente und Linien wachsen. Muster fügt sich an Muster, kunstvoll aus dem glänzenden Lärchenholz getrieben und sie streckt die Hand aus und fährt tastend über die glatte, warme Oberfläche. Es gibt so vieles zu sehen, zu staunen, zu begreifen, dass sie gar nicht alles auf einmal in sich aufnehmen kann. Aber du hast noch ein ganzes Leben lang Zeit dazu. Bei dem Gedanken huscht ein Lächeln durch ihre Mundwinkel und sie folgt Caewlin gespannt und neugierig auf dem Fuß, durch einen lichten, weiten Raum, vollgestopft mit Spinnrädern und Webstühlen, durch Flure und Gänge, bis in ein riesiges Zimmer in der Südwestecke des Gebäudes, das offenbar als eine Art Schreibzimmer und Kontor dient. Hohe Regale säumen die Wände und der Geruch der Bücher, diese eigenartige Mischung aus Papier, Leder und Tinte, gibt dem Raum etwas Feierliches, Erhabenes. Beherrscht wird das Zimmer von einem gewaltigen Schreibtisch, der für sich allein schon beeindruckend genug ist, aber noch mehr beeindruckt Raven die Aufzählung dessen, was normalerweise in diesem Raum alles vonstatten geht.  >Hier werden auch die Bücher geführt und dem Gesinde am Quartalstag der Lohn ausbezahlt... oder sonstige Schreibarbeiten, die anfallen, erledigt. Hierher kommen auch die Pächter, wenn es etwas zu besprechen gibt oder der Zehnte abgerechnet wird.< Mit jedem von Caewlins Worten werden ihre Augen ein Stückchen größer, fühlt sie sich ein wenig hilfloser, fast eingeschüchtert von all diesen wichtigen Dingen, von denen sie nicht den blassesten Schimmer einer Ahnung hat. Heilige Götter ... Abrechnungen, Bücher führen, Lohn auszahlen ... es klingt alles so schrecklich kompliziert. Und ich kann noch nicht einmal richtig schreiben, geschweige denn, dass ich wüsste, wie man solche Bücher führt. Oder sie überhaupt lesen könnte.

Caewlin kennt sie gut genug, um ihre wachsende Unsicherheit zu spüren, denn er blickt sie nachdenklich an und erinnert sie dann an den Vorschlag, den er ihr vor nicht allzu langer Zeit im Baum der Waldläuferin gemacht hatte: >Ich weiß, du kannst ein wenig lesen und deinen Namen schreiben, aber ... wenn du es richtig lernen willst, mein Angebot gilt noch immer. Auf jeden Fall ist hier genug Platz für deine Malsachen und Zeichnungen... wenn du möchtest.< Sie nickt mit leuchtenden Augen. Das Zimmer ist groß, hell und lichtdurchflutet, und einen besseren Platz zum Zeichnen könnte sie sich gar nicht wünschen. Und auch der Wunsch, richtig lesen und schreiben zu lernen, geistert noch immer in ihrem Inneren herum. "Natürlich will ich es noch lernen", nickt sie und ihre Augen funkeln entschlossen. Am liebsten hätte sie sofort und auf der Stelle damit angefangen. "Und ich werde auch alles andere lernen." Ich bin weder auf den Kopf gefallen, noch schwer von Begriff, also sollte es doch möglich sein, das alles hier zu begreifen. Wenn ich komplizierte Schlösser zerlegen und wieder zusammenbauen kann und in der Lage bin, die Zugkraft eines Bogens auf einen Zehntel Stein genau zu berechnen, werde ich ja wohl auch solche Sachen wie Buchführung kapieren, wäre ja gelacht.

Als Caewlin ihr dann jedoch einen riesigen Schlüsselbund aushändigt, den er aus einem verborgenen Fach des Schreibtischs zutage fördert, sinkt ihr das Herz allerdings doch ein wenig in die Hosen, denn sie weiß sehr wohl um die Verantwortung, die an diesen Schlüsseln hängt. Sie wiegt sie eine Weile in den Fingern, schwere, alte, eiserne Schlüssel mit kunstfertig geschmiedeten Verzierungen, einer davon ein ganzes Stück länger als ihre ganze Hand - dann befestigt sie den klimpernden Bund an ihrem Gürtel und ein leiser, zitternder Seufzer entringt sich ihrer Kehle. Gütige Götter, bitte lasst mich wenigstens nicht alles falsch machen. Sie fühlt sich hin und her gerissen zwischen unbändiger Neugier, Freude an all dem Neuen und gleichzeitig der Angst vor all dem, und Zweifel und wilde Entschlossenheit jagen sich in ihrem Herzen in atemberaubend schnellem Wechsel, bis ihr fast schwindlig davon wird. Bevor sie jedoch noch weiter darüber nachdenken und wirklich mutlos werden kann, schiebt Caewlin sie schon hinüber in den benachbarten Raum, der mit einer schweren Tür versehen ist. Was sich dahinter auftut, lässt Raven auf der Stelle sämtliche Schlüssel und Rechnungsbücher und alles andere vergessen und als sie mit großen Augen den Raum durchstreift, mag es durchaus sein, dass sie tatsächlich ein wenig Ähnlichkeit mit einem Trüffelschweinchen hat, das gerade einen unglaublichen Schatz gefunden hat.

Sie kann sich gar nicht sattsehen an all den blankpolierten Klingen, den Schilden, den schimmernden Metallteilen von allerhand Rüstungen, den schmiegsamen Lederköchern an der Wand, den unzähligen Messern und Dolchen in allen nur erdenklichen Formen und Größen. Alle Waffen sind bestens gepflegt und geölt, die Klingen sauber geschliffen, und nirgends auf dieser blitzenden Pracht ist auch nur der winzigste Partikel Staub oder Rost zu entdecken. Mit fachmännischer Miene begutachtet sie die Schwerter und Lanzen in ihren Halterungen, die alle auf Caewlins Größe zugeschnitten sind und von denen sie den Gutteil vermutlich nicht einmal heben, geschweige denn handhaben könnte, staunt über die verschiedenen Äxte, von denen die riesige Lochaberaxt, die beinahe so groß ist wie sie selbst, mit ihrem gewaltigen Axtblatt und dem gekrümmten Reißhaken wohl die Furchterregendste von allen ist, prüft mit geübtem Daumen Dolchklingen und kichert über Caewlins Langbogen - und er hat Mühe, sie überhaupt wieder aus diesem Raum hinauszubekommen, der sie weitaus mehr interessiert als Kochtöpfe und Kuchenbleche. Ohne es überhaupt zu bemerken, vertrödeln sie den halben Nachmittag in der Waffenkammer, und als sie den Raum schließlich doch widerwillig verlassen, segelt gerade mit wehenden Rockschößen Dalla an ihnen vorbei, um die Kerzen und Leuchten im Haus zu entzünden.

Der Nachmittag ist finster geworden und der Regen ist mittlerweile in ein kaltes, ununterbrochenes Schütten übergegangen, als sie sich mit einer Ladung Gepäck auf den Schultern über die breite, geschwungene Treppe nach oben begeben. Das obere Stockwerk ist schnell besichtigt, denn fast alle Räume sind leer und ausgefegt und allein im Gästezimmer, dessen große Bogenfenster nach vorne hinaus Richtung Stadt weisen, sieht es einigermaßen wohnlich aus. Im Kamin brennt ein Feuer und von den getünchten Mauern herunter spenden Binsenlichter in geschmiedeten Wandhaltern freundliche Helligkeit. Sie stellen nur ihre Last ab und verlassen den Raum gleich wieder, um sich weiter umzusehen. Bryndens kleines Reich, das sie als nächstes betreten, ist ein hübsches, geräumiges Zimmer, das mit seinen gelbgestrichenen Wänden trotz des trüben Wetters wie eine kleine Sonne leuchtet, und es ist so anheimelnd, dass man sich gleich vom ersten Augenblick an darin wohl fühlt. Raven muss unwillkürlich lächeln, als sie sein mit drolligen Figuren besticktes Bettzeug und das Sammelsurium seiner Spielsachen betrachtet, das aus einer buntbemalten Truhe quillt. Es fällt ihr beinahe ebenso schwer, sich von dem liebevoll eingerichteten Raum loszureißen, wie von der Waffenkammer ein Stockwerk unter ihr, aber dann folgt sie Caewlin schließlich doch hinüber in das angrenzende Zimmer. Ein glänzender Dielenboden und kahle, weiße Wände starren ihr entgegen. In einer Ecke des Zimmers träumt einsam ein metallbeschlagener Badezuber vor sich hin, und der ganze Raum wirkt, als hätte seine Seele ihn gänzlich verlassen. Hat sie ja auch, denkt Raven bekümmert, den Blick auf Caewlins Rücken geheftet, den er ihr zuwendet, als er sich nun umdreht und mit langsamen Schritten das leere Zimmer durchquert. Er öffnet die Tür neben dem hohen Bogenfenster und tritt auf die kleine, an der Hausmauer klebende Laube hinaus. Schweigend lehnt er sich an das geschnitzte Geländer und starrt hinaus in den rauschenden Regen, der das Land und die Blätter der wuchernden Rosen dunkel färbt.

Raven macht einige Schritte in seine Richtung, doch vor der Tür zu dem kleinen Balkon hält sie zögernd inne. Sie weiß, wo er in diesem Augenblick mit seinen Gedanken ist und die stille Melancholie und Traurigkeit, die plötzlich von ihm ausgehen, kann sie fast körperlich spüren. Als er das letzte Mal hier in diesem Zimmer gewesen ist, hat Calyra noch gelebt... Die klaffende Wunde, die ihr Tod in ihm hinterlassen hat, mag nach mehr als einem halben Jahreslauf nicht mehr frisch sein, aber Raven weiß, dass es noch lange dauern wird, bis sie nicht mehr schmerzen und verheilen wird. Wenn sie überhaupt jemals heilen kann. Durch die Scheibe der halb geöffneten Tür kann sie einen Blick auf sein Gesicht erhaschen, das sich hell gegen das Schiefergrau des Himmels und das dunkle Grün der Blätter abhebt, auf hohe Wangenknochen, auf ein energisches Kinn und die lange, gezackte Narbe auf seiner Wange, auf das Gesicht, das sie so liebt, und sie sieht kummervolle Schatten über seine Züge huschen. Zaghaft tritt sie zu ihm in die kleine, rosenüberwucherte Laube hinaus. Ihr Blick fällt auf seine Hand, die das Geländer umklammert, auf das Netz feiner Adern, das bläulich unter der Glätte der Haut schimmert, und ihr Herz verkrampft sich vor Zärtlichkeit. "Sollten wir nicht lieber eines der anderen Zimmer als Schlafgemach nehmen?" fragt sie leise und streichelt seine Schulter. "Sie sind alle leer, wir könnten doch ..." >Schon in Ordnung<, murmelt er und schließt die Arme um sie. Caewlins Stimme klingt ruhig, aber sie spürt die Erschütterung darin und ahnt, dass er gegen die auf ihn einstürzenden Erinnerungen ankämpft. >Es ist nur... so leer. Ich wusste, was mich erwartet und es ist gut so, ich wollte es so. Ich wollte nicht, dass du mit Calyras Schatten leben musst und das Gefühl hast... ihr... nun ja, ihr Leben übernehmen zu müssen. Oder ihr Haus... etwas in der Art vielleicht, ich kann es nicht besser ausdrücken.<

Schweigend halten sie sich umschlungen und Raven ist, als würde sie mit ihm verschmelzen, zitternd und mit einem Kloß im Hals, bis sie ihre Stimme wiederfindet. "Eine Zeit lang dachte ich, dass du vielleicht genau das von mir erwarten würdest", murmelt sie an seiner Brust, "dass ich einfach ihren Platz übernehmen und ihr Leben weiterleben würde, als sei nie etwas geschehen. Davor hatte ich Angst, denn ich kann es nicht. Ich kann niemals wirklich ihren Platz füllen und ich werde niemals so sein können wie sie, ich kann nur immer ich selbst sein und mir einen eigenen Platz suchen. Ich kann dir auch dein altes Leben nicht wieder zurückbringen, niemand kann das. Ich kann nur versuchen, dir ein neues zu geben." Er blickt auf den in Regengrau gehüllten Garten hinaus und seine Stimme ist leise und voll unterdrücktem Schmerz, als er weiterspricht. >Wenn man auf sein Leben zurückblickt, gibt es soviel Kummer, dass man zusammenbrechen könnte. Aber das Leben fordert einen, Raven, solange man atmet. Man muss immer wieder hoch und vorwärts, was auch kommt, muss sehen, im Leben etwas mitzunehmen von dem, was der Schmerz einen lehrt...< Und Kummer und Schmerz hatten sie im Lauf der Jahre beide wahrlich genug erlebt, so viel, dass es für mehrere Leben reichen würde. Raven denkt an all das, was er ihr in der Inarinacht erzählt hatte, in diesem stillen, mondlichtbeschienenen Hain .... an das, was er über seine Kindheit erzählt hatte, über die Kälte seines Vaters, über seine Stiefmutter und seine Geschwister, über die Grausamkeiten Caerons, dem er die Narbe in seinem Gesicht zu verdanken hat, über seinen schwachsinnig geprügelten Bruder Aeron, über all seine Freunde, die er an der Frostwache begraben musste, sie denkt an die Träume und Wünsche, die er aufgeben musste, an Krieg und Verderben und unendliches Leid, an all die geliebten Menschen, die er im Lauf der Zeit verloren hatte, und das Herz in der Brust wird ihr so schwer wie ein Klumpen Blei. Sie fühlt seine Anwesenheit tief in sich, und all seinen Schmerz, in ihrem Blut, in der Luft, die sie atmen, in ihrem ganzen Sein. Sacht hebt sie die Hände und streichelt sein von Bitterkeit gezeichnetes Gesicht, bis seine Züge weicher werden und das kalte Eis in seinen Augen schmilzt.

"Ich habe meine Mutter sterben sehen", sagt sie leise. "Durch meine eigene Schuld. Und ich habe den kalten Hass in den Augen meines Vaters gesehen. Ein halbes Leben habe ich um seine Liebe gekämpft, und sie nie erringen können. Ich habe zugesehen, wie er mich an die Flusslords verschachtert hat, ich bin geprügelt und geschändet worden. Ich habe meinen Ziehvater sterben sehen, Raidri, den ich sehr geliebt habe, der einzige Mensch, der gut zu mir war. Aufgeknüpft an einem Stück Seil, erstickt, von einem Galgen baumelnd, mit blauem Gesicht und heraushängender Zunge, und die Leute haben ihn noch beschimpft und mit Steinen nach ihm geworfen. Ich war ein Dieb, eine Gesetzlose, ich habe gestohlen und geraubt, Menschen verletzt und getötet, ich bin davongejagt worden und habe in Straßengräben geschlafen, ich war so oft am Ufer der Purpurnen Flüsse gestanden und habe mir gewünscht, ich könnte sie überqueren, wenn alles um mich herum in Schmerz und Finsternis versunken war. So oft hatte ich keinen Funken Hoffnung mehr .... und doch stehe ich jetzt hier und halte das größte Glück in Händen, das einem Menschen nur begegnen kann." Sie umarmt ihn mit einer Innigkeit, als müsse sie befürchten, dass irgend etwas sie wieder für immer auseinander reißen könnte. "Aber wenn ich etwas gelernt habe, aus all dem, dann, dass man niemals, niemals, niemals aufgeben darf. Auch wenn die Verzweiflung übermächtig ist und der Schmerz noch so groß, selbst auf die finsterste Nacht folgt irgendwann wieder ein Morgen." Sie nickt traurig, als Caewlin leise weiterspricht. >Nach Calyras Tod wollte ich nur noch sterben. Ich konnte nicht vergessen, ich konnte nicht trauern, ich konnte nicht denken. In mir war alles leer und kalt. Ich konnte mich ja nicht einmal Brynden zuliebe aufraffen, irgendwie weiterzumachen. Ich konnte es mir noch nicht einmal vorstellen, ich glaube, ich wollte einfach nur sterben. Aber du warst da und du hast mich nicht gelassen. In den Tunneln nicht und in den Wochen danach in Ninianes Baum auch nicht. Ich habe mir fest eingeredet, ich säße sicher hinter meinen Mauern aus Schmerz und Schuld und Trauer, und lange war ich das auch. Es war, als sähe ich euch alle durch einen Spiegel, ein Gewirr von Spiegeln, hinter dem ich allein war und durch das niemand blicken konnte. Niemand, nicht einmal Brynden, war wirklich bei mir... aber du hast einfach die Hand ausgestreckt und bist durchgegangen, als gäbe es für dich keine Spiegel und erst recht keine Mauern. Du warst immer da, bei mir, als hätte ich dich schon immer in meinem Inneren getragen.<

"Du bist nicht mehr allein. Und du warst es auch nie." Sie löst sich ein wenig aus seinen Armen und hebt den Kopf, um ihn anzusehen. "Und so lange noch ein Hauch Atem in mir ist, wirst du es auch nie mehr sein." Der Ausdruck in seinen Augen verändert sich kaum merklich und erfüllt sie mit einer wundersamen Verwirrung. >Erinnerst du dich an den Abend, als wir von der Steinfaust zurückkamen? Du warst so wütend, als du aus diesem Bad gestapft bist... und so schön.< Fast gegen ihren Willen muss sie lächeln und ihre Ohrspitzen verfärben sich vor Verlegenheit in schönstem Rosarot, als sie daran denkt. Und ob ich mich erinnere. "Ich muss mich aufgeführt haben wie eine durchgedrehte Furie", seufzt sie und kann fühlen, wie sich die Röte von den Ohren bis in ihre Wangen ausbreitet, die plötzlich zu glühen scheinen.. "Ja, ich war wütend, schrecklich wütend.... weil du nicht damit aufhören konntest, dich selbst zu zerfleischen und dir an allem die Schuld zu geben. Aber vor allem war ich .... war ich ... so durcheinander bin ich in meinem ganzen Leben noch nicht gewesen. Ich konnte nur spüren, dass dieses Gefühl in mir drin wächst und wächst, und ich konnte einfach nichts dagegen tun .... anfangs wusste ich noch nicht einmal, was es ist, was mir da ins Herz gekrochen war, und später glaubte ich, ich hätte kein Recht, so etwas zu fühlen. Aber es war, als wäre ich in die Nebelsümpfe geraten .... je mehr ich dagegen ankämpfte, desto tiefer sank ich hinein." Ihr Blick saugt sich an seinen Augen fest, als er ihr Kinn hebt, in diesen türkisblauen, unergründlichen Tiefen, die ihr so den Kopf verdreht hatten. >Ich hätte dich damals schon küssen sollen<, stellt er fest und Ravens Augenaufschlag nimmt seharimgleiche Züge an, obwohl das Funkeln in ihrem Blick eine ganz andere Sprache spricht. "Ja, das hättest du wohl tun sollen." Ihre Finger kriechen unter sein Hemd und streichen über seinen warmen Rücken. "Genau wie jetzt. Aber du musstest mir ja unbedingt den Speisezettel aller Ungeheuer herunterbeten, die mit Vorliebe kleine Mädchen fressen, statt dich den wirklich wichtigen Dingen zuzuwenden." Ihr Lächeln wird noch eine Spur breiter, dann legt sie die Hände um seinen Nacken und zieht seinen Mund zu sich herunter. "Männer haben einfach keinen Sinn fürs Wesentliche", flüstert sie atemlos an seinen Lippen und seine Berührung breitet sich mit dem Pulsieren ihres Blutes in ihr aus, durchfährt ihre Nerven und brandet ihr bis ins Herz.

Gerade, als Caewlin Anstalten macht, ihr das Gegenteil von ihrer Behauptung zu beweisen, schreckt ein zögerliches Klopfen sie wieder auseinander und hinter der geschlossenen Tür zum Schlafgemach können sie Dallas betretenes Räuspern und Hüsteln hören, mit dem sie verkündet, dass das Abendmahl bereit stünde und sie essen könnten. Ganz offensichtlich ist es der Mogbar mehr als peinlich, sie stören zu müssen, und als sie aus der Tür treten, ordnet sie hektisch vor Verlegenheit die wirren Locken unter ihrer Haube und huscht so schnell davon, wie ein flüchtender Hase ins Gebüsch. Grinsend folgen sie ihr nach unten, wo in der großen Küche schon ein gedeckter Tisch auf sie wartet. Der Einfachheit halber - und weil der wuchtige, vom vielen Gebrauch ganz blankgescheuerte Holztisch im Moment ohnehin das einzige esstischähnliche Möbelstück im Haus ist - nehmen alle in der Küche ihr Mahl ein, das Gesinde genauso wie sie beide. Bethel stellt Schüsseln mit dampfenden Kartoffeln und Körbe mit geröstetem Brot auf den Tisch und schleppt ein wirklich gewaltiges Bratenstück vom Herd herüber, das mindestens so köstlich duftet, wie es aussieht. Schon bei seinem Anblick läuft Raven das Wasser im Mund zusammen. Außer dem vor Aufregung recht spärlich ausgefallenen Frühstück am zeitigen Morgen und dem Rosinenkuchen, hat sie den ganzen Tag über nichts in den Magen bekommen und merkt erst jetzt angesichts der Köstlichkeiten, unter denen der Tisch sich beinahe biegen will, wie hungrig sie ist. Bald füllt nur noch das eifrige Klappern von Geschirr den Raum und Raven schiebt den Teller erst wieder von sich, als sie wirklich keinen einzigen Bissen mehr hinunterbringt. Satt und zufrieden lehnt sie sich zurück, doch Caewlin hat seine Hausführung offenbar noch nicht ganz abgeschlossen, denn kaum, dass die Mägde beginnen, den Tisch abzuräumen, scheucht er sie schon wieder auf die Füße.

"Was gibt es denn noch zu sehen?" will Raven wissen, als sie ihm durch die Halle in den Flur zum Südflügel folgt, doch er schweigt und wirft ihr nur einen bedeutungsvollen Blick zu. Sein geheimnisvolles Getue hat sie nun wirklich neugierig gemacht, erst recht, als er sich an den schweren Schlössern einer Tür zu schaffen macht, die in einen weiteren Keller zu führen scheint. Er nimmt ein brennendes Binsenlicht aus seiner Wandhalterung neben der Tür und steigt eine steile Treppe mit ausgetretenen Steinstufen hinab, die sich hinter der eisenbeschlagenen Tür nach unten in die Tiefe windet. Raven folgt ihm im flackernden Lichtschein und landet in einem kleinen Weinkeller, von dem aus sich ein schmaler Gang weiter in die Finsternis erstreckt. "Gütige Götter", kichert sie hinter seinem Rücken, als Caewlin weiter voran geht, das Licht in der hoch erhobenen Linken. "Was versteckst du denn hier unten? Deine Folterkammern?" Er sperrt eine der vier schweren Tür auf, die alle noch mit massiv aussehenden, zusätzlichen Schlössern versehen sind, und lässt sie an sich vorbei in eine kleine, fensterlose Kammer treten. Im unruhig flackernden Lichtschein sieht Raven nicht viel mehr als unzählige Kisten und Truhen, die an den Wänden entlang aufgestapelt sind, und einige mit undefinierbarem Inhalt vollgestopfte Säcke. "Was ist denn .... da drin?" fragt sie und in ihre Stimme schleicht sich ein unbehaglicher Unterton, fast, als erwarte sie, dass irgendwelche Monster aus den Behältnissen geschossen kämen, sobald sie sich ihnen nähern würde. Vorsichtig späht sie in einen der Säcke und ihre Augen werden auf einmal so groß wie Untertassen. "Götter im Himmel!" entfährt es ihr und sie schlägt sich erschrocken die Hand vor den Mund, nur um gleich darauf ein zweites Mal hinzusehen, die Augen vor Aufregung und Staunen weit aufgerissen - und mindestens so groß und rund, wie die Goldstücke, die ihr aus dem groben Sackleinen entgegenfunkeln. Ihr Blick irrt schockiert über all die Truhen und Kästen, die sich hier in jedem Winkel stapeln. "Ist da überall....?" haucht sie ungläubig, und als Caewlin grinsend nickt, sinkt sie mit weichen Knien auf einen Kistendeckel. "Heilige Götter, steht mir bei. Was habe ich geheiratet? Den reichsten Mann der Herzlande?"

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Raven am 26. Aug. 2005, 21:44 Uhr
Eine geraume Weile verbringen sie noch in den düsteren Kellergewölben tief unter dem Seehaus und Raven muss entgeistert feststellen, dass die restlichen drei Kammern, durch die Caewlin sie führt, nicht viel anders aussehen als die erste. Schwere Truhen mit Bändern und Schlössern aus Eisen oder dunkler Bronze stapeln sich entlang der grob behauenen Steinwände, nebeneinander, aufeinander, übereinander und in schier unüberschaubarer Zahl. Die meisten der Truhen sind mit schweren Schlössern gesichert und ihr geheimnisvoller Inhalt bleibt ihr verborgen, aber in einem üppig geschnitzten, mit mitternachtsblauem Samt ausgeschlagenen Behältnis aus dunklem Zedernholz blitzt es im flackernden Lichtschein wie silbrige Fischschuppen auf. Nach einem zweiten Blick erkennt sie die Kettenhemden wieder, die Caewlin aus Wegesend mitgenommen hatte - elbische Kettenhemden aus Yalaris, eine unwirklich schillernde Pracht aus kostbarem Wahrsilber, jedes einzelne von ihnen schon ein Vermögen wert. Die vier Räume sind bis oben hin angefüllt mit Gold und wertvollen Beutestücken und von Kammer zu Kammer wird Raven ein wenig stiller, bis ihr aufgeregter, staunender Wortschwall, den sie im ersten Raum noch hervorgesprudelt hatte, schließlich völlig verstummt und sie sich einen Augenblick lang sprachlos gegen die Wand lehnen muss, bevor sie Caewlin wieder nach oben folgen kann. Ihre Knie scheinen nur noch aus Glibber zu bestehen, als sie hinter ihm die gewundene Steintreppe hinaufwankt. Dass er kein armer Mann sein kann, ist ihr von Anfang an klar gewesen, obwohl sie an solche Dinge zumeist keinen Gedanken verschwendet, weil sie ihr schlichtweg einfach egal sind. Sie hätte ihn auch geheiratet, wenn er ein armer Schlucker wäre und nicht mehr besitzen würde als das, was er auf dem Leib trägt. Zweifellos macht Gold das Leben leichter, aber es ist ihr nicht wichtig und die vergangenen Jahre hatten sie gelehrt, dass sich hinter Luxus und prachtvollen Gewändern oft nur hohle, leere Abgründe auftun und dass Reichtum, edles Geblüt und ein ellenlanger Stammbaum kein Ersatz für Charakter sind.

Bislang hatte sie auch nie groß darüber nachgedacht, wovon Caewlin überhaupt lebt oder was sich hinter den rosenüberwucherten Mauern des alten Gutshauses verbergen könnte, doch was sie nun zu sehen bekommt, übersteigt bei weitem ihre Vorstellungskraft. Sie folgt dem tanzenden Schein des Binsenlichts und Caewlins hochgewachsener Gestalt nach oben, und kommt sich mit einem Mal fürchterlich naiv und kindisch vor, denn als sie am Morgen mit den beladenen Pferden den Uferweg entlang gestiefelt waren und Caewlin ihr vom Seehaus erzählt hatte, von den Familien, die hier leben, von der Verantwortung und der Arbeit, die alles mit sich bringt, und davon, dass das Gut sie alle ernähren würde, war ihr Herz voller Sorge gewesen. Sie hatte sich gefragt, was in schlechten Jahren sein würde, in Jahren, in denen die Ernten karg ausfielen, in Jahren, die vielleicht düstere Zeiten für alle bringen würden, und sie hatte sich gefragt, ob sie in Notzeiten mit ihrer Hände Arbeit und ihrer Kunst als Bogenbauer ihre Familie würde ernähren und über die Runden bringen können. Angesichts des Hauses und der vier Kammern unter ihren Füßen erscheinen ihr solche Überlegungen jedoch so albern, dass sie über sich selbst den Kopf schütteln muss. Er ist bestimmt nicht auf mein klägliches bisschen Arbeit angewiesen. Einerseits ist der Gedanke ziemlich beruhigend, andererseits erscheint ihr das, was sie selbst zum Leben ihrer Familie beisteuern kann, dagegen geradezu lächerlich gering. Als sie hinter Caewlin durch die schwere, eisenbeschlagene Tür wieder in den Flur zum Südflügel hinaustritt, vertiefen sich ihre Mundwinkel zu einem schiefen Lächeln. "Und ich hatte mir schon Sorgen darum gemacht, wie ich uns alle durchfüttern könnte, falls die Zeiten es schlecht mit uns meinen."

Sie hatten fast den ganzen Abend im Keller verbracht und es ist schon lange dunkel draußen, als sie in die Küche zurückkehren. Regen prasselt gegen die Fensterscheiben, als würden unsichtbare Finger dagegen trommeln. Es scheint schon reichlich spät zu sein, denn die Glut in der Feuerstelle ist beinahe schon zu grauer Asche heruntergebrannt und durch die angelehnte Tür, die zu den Gesindekammern führt, hören sie Dallas leise Stimme, die jemandem eine Gute Nacht wünscht. In der Küche finden sie nur noch Runa, die auf einer der Bänke am großen Küchentisch hockt, in sich zusammengesunken und schon halb eingeschlafen, in ihrem Schoß den schlummernden Brynden. "Er wollte unbedingt warten und sich nicht zu Bett bringen lassen", stammelt sie entschuldigend und ihre schmalen Wangen werden bleich wie frischer Kalk, als sie sich hastig erhebt. Caewlin nimmt ihr Brynden ab, der keine Anstalten macht aufzuwachen, und den es vermutlich nicht einmal stören würde, wenn neben ihm ein Meteoritenhagel niedergehen würde. Träume flimmern wie Sonnenstrahlen über sein rundes Kindergesicht, als sie ihn leise nach oben in sein Zimmer bringen und ihn ins Bett packen. Er blinzelt ein paar Mal, zieht die Nase kraus, schlingt ein Ärmchen um seinen zerfledderten Stoffhasen und schnarcht dann friedlich weiter, als sie das Kinderzimmer lächelnd und auf Zehenspitzen wieder verlassen. Auch im großen Erkerzimmer, das Dalla ihnen gerichtet hatte, während sie sich in der Waffenkammer die Köpfe mit Fachsimpeleien heißgeredet hatten, ist das Feuer fast schon zu Asche zerfallen und Caewlin stochert mit einem eisernen Schürhaken in der Glut herum und legt dann einige Birkenscheite nach, die in einem großen Weidenkorb neben dem Kamin lagern.

Müde und doch gleichsam hellwach lässt Raven sich auf die Kante des riesigen Bettes sinken und streift die Stiefel von den Beinen, während ihr Blick sich wie von einem Magneten angezogen auf seinen breiten Rücken heftet. Caewlin hat das Gesicht dem Feuer zugewandt und das goldene Licht schimmert auf seinen Schultern und umrahmt mit seinem Schein sein langes Haar. Die Schönheit seines Knochenbaues, der Muskeln und Sehnen, seiner hochgewachsenen Gestalt, die einen langen Schatten auf den Bretterboden wirft, machen sie ganz schwindlig, so dass sie gar nicht anders kann, als zu ihm zu treten und die Arme um seine Hüften zu schlingen. Unwillkürlich muss sie an all die Dinge denken, die er im Schutz dunkelglänzender Blätter und duftender Blüten in der kleinen Laube gesagt hatte, an die Wehmut und die Traurigkeit in seiner Stimme und die Hoffnung darin. "Du bist endlich wieder zuhause", murmelt sie leise an seiner Brust und lauscht auf seinen langsamen, schweren Herzschlag. "Und ich werde es auch bald sein." Aus der sanften Umarmung wird allmählich eine hungrige und aus ihrer Berührung entsteht ein glühender Strom, der ihnen ins Blut geht und ihnen ins Herz kriecht. Bis sie nichts anderes mehr tun können, als sich in besessener, zärtlicher Trunkenheit zu lieben, bis ihr Verlangen gestillt ist und nichts weiter zurück bleibt, als eine tiefe, alles umfassende Süße. Raven liegt noch lange wach, matt und schwer in seinen Armen, mit ihm verschlungen, eingehüllt in seine Wärme, in seinen Atem, in seinen Herzschlag und in ein Glücksgefühl, das wie ein Strom weißglühender Lava durch sie hindurchbrandet und sie am Schlafen hindert. Tausend Gedanken schwirren ihr durch den Kopf wie jagende Schwalben, und tief in ihrem Inneren herrscht ein Wirrwarr aus Freude und Furcht, Aufregung, Müdigkeit, Neugier, Staunen, Entschlossenheit und tausend neuen Eindrücken, die sie alle noch gar nicht richtig fassen kann. Es dauert lange, bis sich all die Gedanken wieder beruhigen und ihre Atemzüge tiefer und gleichmäßiger werden. "Das Haus ist wirklich wunderschön", murmelt sie leise an Caewlins Hals und bettet ihr Gesicht dort an eine weiche, warme Stelle, halb vergraben unter seinem Haar. "Aber das Allerbeste daran bist trotz allem du."

Sie hat das Gefühl, höchstens ein paar Minuten vor sich hin gedöst zu haben, als ein ohrenbetäubender Knall sie im Morgengrauen aus dem Tiefschlaf und abrupt in die Senkrechte reißt. Das ganze Haus scheint von dem Donnerschlag vibrierend nachzuhallen und Raven schaut sich verwirrt und völlig benebelt im morgendlichen Halbdunkel des Zimmers um. Caewlin neben ihr, das Gesicht in den Kissen vergraben, gibt einen schlaftrunkenen Grunzlaut von sich und zieht sich die Decke über den Kopf, während sie sich mühsam aus einer Flut von Laken, Kissen und Bettzeug schält. Einen Moment lang bleibt sie auf der Bettkante sitzen, weil ihr plötzlich seltsam flau im Magen ist und sie das Gefühl hat, dass das gestrige Abendessen schnurstracks wieder nach draußen schwappen will, dann tappt sie quer durch das Zimmer, öffnet eines der großen Bogenfenster und streckt den Kopf nach draußen. Feiner Nieselregen sprüht ihr entgegen, zusammen mit dem trommelfellzerschmetternden Röhren der Hörner, die in einem Brandfall die Stadtgarde zusammenrufen. Ein schläfriger Blick über die tropfnassen Dächer der Stadt offenbart ihr irgendwo im Norden in der Nähe der Stadtmauer eine riesige, rußgraue Wolke, die in den trüben Morgenhimmel quillt, mehr ist jedoch nicht zu sehen, so dass sie das Fenster eilig wieder schließt und zu ihrem Mann unter die warmen Decken kriecht. Brände und andere Alltagskatastrophen sind in einer so riesigen Stadt wie Talyra nichts Außergewöhnliches - wenn sie die Wohnstätten von engen Freunden betreffen, dann allerdings schon. Denn genau das ist es, was ihnen kurz darauf Bethel ganz aufgeregt berichtet, als sie zum Frühstück in die Küche kommen. Die füllige Köchin hatte sich früh am Morgen, wie sie es wohl öfter tut, auf den Weg zum Marktplatz gemacht, um einige Dinge einzukaufen, die sie noch für das Mittagsmahl benötigt, doch wie sie entrüstet erzählt, hatten ihr die Blaumäntel einfach den Weg versperrt. Der Markt würde an diesem Tag völlig geschlossen bleiben, hätte es geheißen, weil die Kate der Heilerin am Nordtor mitsamt dem halben Wehrturm in die Luft geflogen sei. Raven kann Bethel nur entsetzt anstarren und tauscht einen besorgten Blick mit Caewlin. Eigentlich hatte sie an diesem Tag ihr Häuschen auf der anderen Seite der Stadt aufsuchen wollen, um dort nach dem Rechten zu sehen und noch einige Dinge abzuholen, doch da in der Stadt nun zweifelsohne heilloses Durcheinander herrschen wird, beschließt sie, das alles besser auf den morgigen Tag zu verschieben. "Götter, hoffentlich ist Morgana und dem Kleinen nichts passiert."

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Caewlin am 31. Aug. 2005, 00:05 Uhr
Als sie ins Bett gegangen waren, war es wirklich spät geworden und Caewlin war genauso müde von dem langen Tag mit seinen tausend Eindrücken und Gedanken gewesen, wie Raven - doch nachdem sie sich geliebt haben, ist er hellwach und an Schlaf ist nicht mehr zu denken. Hier in der Dunkelheit und Wärme ihres Bettes, auch wenn es nur das Gästebett ist, Raven weich und schwer in seinem Arm, eines ihrer Beine quer über seinen, ihre Hand auf der Haut über seinem Herzen und ihr Kopf an seiner Schulter, und mit dem monotonen Hämmern des Regens im Ohr, kann er die Bilder der vergangenen Stunden vor seinem inneren Auge vorüberziehen lassen und in Ruhe über alles nachdenken. Im Kamin knackt ein Birkenholzscheit und ein goldener Funkenschauer flammt auf und regnet dann auf rote Glut. Hier und da lecken noch ein paar Flammen um geschwärztes Holz und weiße Asche, und ihr Schattentanz huscht wie Wellen über die geweißten Wände und die dunklen Deckenbalken. Der ganze Tag war damit vergangen, dass er Raven das Haus gezeigt hatte, sein Zuhause - und jetzt auch ihres. Die Vorratskeller hatten sie beeindruckt, die leeren Räume berührt, das Schreibzimmer verunsichert und die Waffenkammer wieder mit der Welt versöhnt. Als er ihr im Arbeitszimmer die Schlüssel überreicht hatte, hatte sie geseufzt, als wäre ihr plötzlich das Herz schwer, aber sie hatte den Bund dann entschlossen an sich genommen und ihn sorgsam an ihrem ledernen Gürtel befestigt - dort hängt er noch immer. Ihr Gürtel liegt über dem Bettpfosten und er kann die Schlüssel daran hier und da im flackernden Feuerschein aufblinken sehen. Irgendwie hat dieses Bild etwas symbolisches, das hat es wirklich, es heißt schließlich nicht umsonst Schlüsselgewalt. Was da an ihrem Gürtel baumelt, sind nicht nur ein paar Stück verschnörkelten Metalls, sondern gleichsam die Macht über dieses Anwesen und das Haus mit allem, was vom Keller bis zum Speicher darin ist. Als sie nach oben gegangen und nach einer Führung durch alle Zimmer dort schließlich in seinem alten Schlafgemach gelandet waren, hatte die Leere darin ihn betroffen gemacht, obwohl er genau gewusst hatte, was ihn erwartet... und auf der Laube hatten sich seine Gedanken irgendwie verselbstständigt. Caewlin hatte nicht einmal darüber nachgedacht, ob er ihr etwas von dem, was in ihm vorgegangen war, mitteilen oder es besser für sich behalten sollte, er hatte es einfach ausgesprochen und darauf vertraut, dass sie es annehmen würde... und sie hatte es getan. >Du bist nicht mehr allein. Und du warst es auch nie. Und so lange noch ein Hauch Atem in mir ist, wirst du es auch nie mehr sein.< Seine Linke schließt sich ein wenig fester um ihre kleine, runde Schulter, und sie gibt ein leises, zufriedenes Schnurren von sich und schmiegt sich enger an ihn.

Das Bild ihres verlegenen Gesichtes, als er sie an ihren denkwürdigen Badeauftritt erinnert hatte, schiebt sich vor sein inneres Auge und ein fast lautloses Lachen erschüttert seine Brust. Ihre Haut ist so nahtlos gebräunt wie seine, schließlich hatten sie einen faulen Sommer hinter sich und waren an sonnigen Tagen bei jeder Gelegenheit mit den Kindern am Strand gewesen, und hat die satte, goldbraune Farbe von Waldhonig. Wirklich rot kann sie damit eigentlich gar nicht werden, aber in der Laube war sie so bezaubernd verlegen, dass zuerst ihre Ohren geglüht und sich dann ihre Wangen verdunkelt hatten. Irgendwann war sogar ihre Nase verdächtig rosa geworden. Einer betretenen Raven hatte er noch nie widerstehen können, ganz zu schweigen davon, dass er überhaupt nicht hatte widerstehen wollen, aber ihre Bemerkung über die Speisepläne gewisser Ungeheuer und den Sinn für Wesentliches hatte ihn laut auflachen lassen, vor allem Angesichts der Tatsache, dass seine Finger zu diesem Zeitpunkt längst unter ihrem Hemd mit wirklich völlig unwesentlichen Dingen beschäftigt gewesen waren. Es hätte nicht viel gefehlt und sie hätten sich in dem kahlen Zimmer auf einem harten Dielenboden geliebt, aber Dalla und das Essen hatten sie davon abgehalten und nach dem Nachtmahl hatte er ihr den Keller gezeigt und weitere unwesentliche Dinge auf später und in ein weiches Bett verschoben... manche Arten von Hunger hatten eindeutig etwas angenehmes an sich. Die Keller unter der großen Halle und die Schatzkammern dort unten hatten Raven dann allerdings völlig aus der Fassung gebracht - sie war auf eine der Truhen gesunken, als würden ihre Beine sie nicht mehr tragen und hatte geflüstert: >Heilige Götter, steht mir bei. Was habe ich geheiratet? Den reichsten Mann der Herzlande?< Er hatte nur gelacht und erwidert. "Der reichste Mann der Herzlande ist zweifellos Borgil und nach ihm kommt wohl sein missratener Vetter, dem die halbe Unterstadt gehört. Das hier..." mit einer ausholenden Geste hatte er den kleinen, unterirdischen Raum und alle angrenzenden Kammern gleichsam eingeschlossen, "sind doch nur ein paar Goldmünzen und Silberlinge, Raven. Aus Sturmende und Beutestücke von... früher. Pelze, Bernstein, Elfenbeinschnitzereien, so etwas. Und Preisgelder von... ein paar Grubenkämpfen, das Siegesgeld vom Buhurt und Söldnerlohn, wenn du es so nennen willst." Caewlin hat sich über persönlichen Reichtum nie viele Gedanken gemacht - nicht, dass ihn das Gold in seinem Keller nicht beruhigen würde - aber es ist da und damit basta. Für jede einzelne Münze dort unten hatte er den eisernen Preis bezahlt, aber er hortet sie bestimmt nicht so geizig wie ein alter Drache seinen Schatz. Sie hatte ihn angesehen, als hätte er völlig den Verstand verloren und ungläubig echot: >Nur ein paar Goldmünzen und Silberlinge?< Und als sie die Türen schließlich sorgsam wieder verschlossen hatten - wobei Raven mit Kennermiene jedes einzelne Schloss auf seine Tauglichkeit hin geprüft hatte - und nach oben gestiegen waren, hatte sie mit einem fast unsicheren Lächeln gemurmelt: > Und ich hatte mir schon Sorgen darum gemacht, wie ich uns alle durchfüttern könnte, falls die Zeiten es schlecht mit uns meinen...<

"Raven..." er hatte die Kellertür verschlossen und für jede der Kammern unten einen kleinen Schlüssel hervorgeholt, die in seiner Handfläche geglänzt hatten, als er sie ihr unter die Nase hielt. "Raven, du bist meine Frau." Sie hatte ihn nur verständnislos angeblinzelt, als wäre das nicht Erklärung genug. Caewlin war sich mit den Fingern durchs Haar gefahren und hatte nicht so recht gewusst, wie er ihr einen für ihn so selbstverständlichen Gedanken besser hätte begreiflich machen sollen. "Damit gehört dir alles, was ich besitze. Ich meine alles, das Haus, das Gold, das Land, das Vieh, das Zeug im Keller... alles was mein war. Jetzt ist es unser, es gehört dir genauso." Er hatte ihre Hand genommen und die Schlüssel hineingedrückt. "Hier. Für die.. Trüffelkisten da unten. Und was das Arbeiten angeht..." Er hatte noch einmal mit den Schultern gezuckt und auf sie hinuntergelächelt. "Stell so viele Bögen und Pfeile her, wie du willst. Verkauf sie, heb sie auf, verschenk sie, mach sie nur zum Spaß oder schnitz was immer du möchtest. Richte dir eine Werkstatt irgendwo ein, hier ist Platz genug... aber arbeiten müssen, wirst du als meine Frau nicht. Ich erwarte bestimmt nicht von dir, dass du dich nur um Heim und Herd kümmerst, und das weißt du. Aber ich erwarte auch ganz bestimmt nicht, dass du... nun ja, dass du für dich selbst oder am Ende für uns alle Geld verdienen musst. Tu einfach, was immer du willst." Er hatte die Hand gehoben und sie an ihre Wange gelegt. Sie war immer noch völlig entgeistert gewesen, ganz so, als hätte sie überhaupt keine Ahnung gehabt, dass er alles andere als arm war. Ihre Reaktion hatte ihn verwirrt, aber sie hatte ihn auch mit einer angenehmen, geradezu albern zufriedenen Wärme erfüllt. Sie hatte keine Ahnung von seinem Besitz gehabt und sie hatte in den drei Monden, die sie verheiratet waren, nicht ein einziges Mal auch nur danach gefragt. "Du bist meine Frau. Willst du mich nicht für dich sorgen lassen? Ich kann es und ich tue es gern." Er hatte die Finger unter ihr Kinn gelegt und es ein wenig angehoben. "Und was ist falsch daran? Du sorgst doch schließlich auch für mich." Er lächelt immer noch bei der Erinnerung an ihren Gesichtsausdruck, drückt einen Kuss auf Ravens Stirn, streckt die Beine aus und beobachtet das Schattenspiel der Flammen an der Wand. Runa geistert kurz durch seine Gedanken, vor allem ihr Gesicht, als sie in die Küche gekommen waren und ihr den schlafenden Brynden abgenommen hatten, und er fragt sich, ob das verschreckte Huhn ihn jemals ohne Angst würde anblicken können. Ja. Wenn die Sonne im Westen über Fa'Sheel aufgeht vielleicht... Sie hatten das Mädchen ins Bett geschickt, das Herdfeuer für die Nacht abgedeckt und Raven hatte die schwere Haustür verschlossen, ehe sie mit einer Öllampe nach oben gegangen waren und Brynden in sein Bett gebracht hatten. Sein Sohn war nicht einmal mehr aufgewacht, als Raven ihn ausgezogen und ihm eine frische Windel verpasst hatte. Brynden... er hätte damit gerechnet, dass der Kleine mehr Schwierigkeiten damit haben würde, in ein so leeres und verändertes zu Hause zu kommen, aber Brynden hatte all die ausgeräumten Zimmer nur mit großen Augen bestaunt und war dann begeistert von der Leere, dem Widerhall der hohen, hellen Gemächer und der Freiheit, überall herumtollen zu können, bewaffnet mit Kreisel, Stoffbällen und einer fürchterlich ratternden Holzraupe an einer Schnur durch alle Räume getobt.

>Das Haus ist wirklich wunderschön,< tönt es leise unter seinem Kinn und er fährt überrascht zusammen. "Aye," er küsst ihr schweres, weiches Haar und vergräbt einen Moment lang seine Nase darin. Es riecht immer nach Sommerwärme. Ihr warmer Atem streicht über die Haut an seinem Hals, und sie ist so weich und schwer in seinem Arm, dass sie kurz vor dem einschlafen sein muss, als sie so leise, dass es im Trommeln des Regens beinahe untergeht, flüstert: >Aber das Allerbeste daran bist trotz allem du.< Dann ist sie weg, ihre Muskeln entspannen sich und ihr Atem wird ruhig.
"Götter..." er holt tief und langsam Luft und dreht den Kopf zur Seite, um sie anzusehen. Was hatte sie vorhin gesagt? >Du bist endlich wieder Zuhause. Und ich werde es auch bald sein.< Ihr Bett ist voller Schatten, aber der letzte rote Schein des fast heruntergebrannten Feuers wirft glühende Konturen über ihre hohen Wangenknochen und die Linien von Stirn und Kinn, lässt hellere Strähnen ihres dunklen Haars leuchten und säumt ihre Schultern mit Gold. Raven regt sich nicht mehr, nicht einmal, als er ihre Stirn, ihre Brauen und ihre Nasenspitze küsst und sie dann an sich zieht, bis er ihren Körper dicht an seinem geborgen hat. Er vergräbt seine Nase in ihrem Haar, hält sie fest und schließt die Augen. Ihr Herz schlägt mit seinem im Takt, aber er liegt noch lange nachdenklich neben ihr und wacht über ihren Schlaf. Der nächste Morgen beginnt alles andere als still und friedlich - eine abrupte Bewegung neben ihm reißt ihn aus verworrenen Träumen, in denen ohrenbetäubendes Donnern, wilder Hörnerklang und infernales Glockenläuten eine Rolle gespielt hatten, und Caewlin zieht sich todmüde von einer halbdurchwachten Nacht missmutig die Decke wieder über den Kopf. Weder Hornsignale noch Bronzegebimmel verstummen, und als er die Augen aufschlägt, sieht er Raven mit angespanntem Gesichtsausdruck auf der Bettkante sitzen, eine Hand an ihrem fest zusammengepressten Mund, eine auf ihrem Magen. Dann steht sie auf, wankt zum Fenster und sieht hinaus. Im ersten Moment glaubt er, sie wolle nur nach Luft schnappen, dann identifiziert sein schlaftrunkener Verstand endlich den Alarm und er fährt sich mit der Hand über die Augen. "Es brennt." Er lässt sich in die Kissen zurückfallen, aber noch bevor er aufstehen und zu ihr gehen kann, um selbst einen Blick aus dem Fenster zu werfen, kriecht sie schon wieder zu ihm unter die Decken. Schlimm kann das Feuer demnach nicht sein, geschweige denn irgendwo in der Nähe und er entspannt sich. Die Morgenluft ist kühl und hat ihr vom Kopf bis zu den Zehen eine Gänsehaut beschert, und er zieht sie an sich, um sie zu wärmen. "Du bist eiskalt. Komm her." Sie murmelt etwas von "Irgendwo am Nordtor oben" und "aber es scheint sich nicht groß auszubreiten" und er verzieht sein Gesicht zu einem freudlosen Grinsen. "War das der Krach von eben?" Raven nickt und wendet sich ihm zu und er bemerkt ihr wachsbleiches Gesicht. Schlagartig sind sämtliche Feuer vergessen und wenn halb Talyra niederbrennen würde.

"Raven, sieh mich an. Ist dir nicht gut? Du siehst aus, als wolltest du dich jeden Moment übergeben. Brauchst du vielleicht eine Spuckschüssel?"  Sie nickt, schüttelt jedoch gleich darauf den Kopf und nuschelt schlaftrunken: "Bin nur zu schnell aufgestanden, mir ist nur etwas flau im Magen". Er mustert sie aufmerksam, aber sie winkt nur ab und eine Weile bleiben sie noch in der Wärme der Federbetten liegen, ehe sie irgendwann verkündet, es gehe ihr jetzt besser. Sie stehen auf, suchen ihre Kleider zusammen und blicken beide synchron seufzend auf den Berg aus Taschen, Truhen, Körben, Kisten und Beuteln, der ihre persönliche Habe enthält und den sie in Ermangelung von Möbeln, in die man etwas hineinräumen könnte, einstweilen hier im Gästezimmer an der Wand aufgestapelt hatten. Caewlin schlüpft in seine Hosen und kramt aus einem Seesack ein frisches Hemd heraus. "Wir müssen uns einrichten, min koerlighed. Am besten wir statten dem Handwerkerviertel bald einen Besuch ab. Oben auf dem Speicher stehen auch noch eine Menge alter Möbel herum, die irgendeinem der Vorbesitzer gehört haben müssen... dem Ritter nicht, jedenfalls hat er nichts davon gesagt, wenn du dir die mal ansehen willst..." er zuckt mit den Schultern. "Ansonsten werde ich sie irgendwann zu Kleinholz machen und verschüren... da oben verstauben sie nur und nehmen Platz weg." Sie gönnen sich eine Katzenwäsche über einer Waschschüssel und vermissen beide den Luxus einer heißen Quelle direkt vor der Haustür. "Und wir bauen ein Bad ein," knurrt er, als er sich die Zähne mit einem geschälten Weidenzweig schrubbt und sich den Mund ausspült. "So ein marmornes Ding mit einer Wanne, die groß genug ist, für uns beide und mit Kupferrohren und warmem Wasser und... mit einem dieser neumodischen Abtritte. Mit Wasserspülung." Brynden tappt herein, zieht ein missmutiges Gesichtchen, angesichts der Tatsache, dass sie beide schon auf sind und er sich nicht mehr für eine halbe Stunde Dösens zwischen sie quetschen kann, wie er das so oft schon getan hatte, aber als sie ihn gewaschen, gewickelt und angezogen haben, und mit ihm in die Küche zum Frühstück hinunter gehen, hat er es aufgegeben, zu schmollen. In der Küche empfangen sie die Wärme des Herdes, die duftenden Wohlgerüche von bratendem Speck und Eiern, von frischem Brot und Haferbrei mit Honig und binnen weniger Herzschläge sind sie mittendrin im das Stimmengewirr des Gesindes. Bethel steht am Herd und rührt ziemlich aufgebracht in fünf Töpfen und zwei Pfannen gleichzeitig, während Dalla den Tisch deckt und ihren albernen Sprössling Pyp energisch dazu anhält, sich gefälligst das Hemd ordentlich in die Hosen zu stopfen, das wirre Haar glatt zu striegeln, bevor sie es für ihn täte, was er garantiert nicht wünsche, seine Finger schleunigst aus dem Pflaumenmus zu nehmen und sich ja nicht noch einmal dabei erwischen zu lassen, dass er - Oh guten Morgen M'lady, M'lord, setzt euch doch und da ist ja der kleine Sonnenkäfer! - dass er sich ja nicht noch einmal dabei erwischen lassen soll, wie er Rosinen aus dem Kuchen pickt.

Caewlin blinzelt grinsend in die morgendliche Konfusion aus einem hungrigen Halbwüchsigen mit Pflaumenmusfingern, einem noch hungrigeren Brynden, der sofort auf seinen Platz trippelt, kaum dass sie ihn auf dem Boden gestellt haben, einer wie immer mucksmäuschenstillen Runa, die umherhuscht wie ein graues Mäuschen, um Holzlöffel und Becher auf dem Tisch zu verteilen, dem angenehm ruhigen und stoisch lächelnden Rykar, der den Trubel um sich her mit immer gleichbleibender Freundlichkeit erträgt und bereits am Tisch sitzt, und seiner schnatternden Magd und der erbosten Köchin, die ein Gesicht zieht, als hätte sie irgendwer persönlich beleidigt. Sie erfahren auch sofort alle Einzelheiten über den Brand, die Beth in aller Götterfrühe bereits vom Marktplatz mit nach Hause gebracht hat, und während sie schnaubend über die anmaßenden Blaumäntel schimpft, die ihr glatt verwehrt hatten, Koriander und frische Butter zu kaufen, tauschen Caewlin und Raven einen besorgten Blick. >Götter, hoffentlich ist Morgana und dem Kleinen nichts passiert.< Dalla kann sie zum Glück beruhigen - sie weiß von einer der Mägde Tallards, die es von ihrer Cousine, einer Kammerzofe der alten Lady Gwyned, gehört hat,  dass die Heilfrau schon seit längerem immer bei diesem Elben weilt, der das alte Alvineyardanwesen gekauft hatte. Mit ihrem Sohn und bestimmt ohne den Segen eines Priesters, so wie sich das gehöre, aber in diesem Fall wohl zu ihrem Glück, schließlich sei sie bestimmt nicht ausgerechnet gestern Nacht, wo es Hunde und Katzen geregnet habe, durch die halbe Stadt zurück zu ihrer Kate gelaufen. Caewlin tauscht einen amüsierten Blick mit Raven. "Morgana ist wahrscheinlich wirklich nichts geschehen und dem Kleinen auch nicht. Ich glaube nicht, dass wir uns Sorgen machen müssen. Dieser Elb ist zweifellos Maél." Er zuckt mit den Schultern und fixiert Dalla, die geschäftig mit dem Geschirr herumklappert. "Und die Stille Post hier im Seeviertel funktioniert so ausgezeichnet wie Borgils Ohrenbläsereien." Dalla besitzt den Anstand, rot zu werden, versucht sich aber an einem eifrigen Nicken, als Caewlin ihr mit einem süffisanten halben Wolfsgrinsen rät, ihre Ohren ruhig weiterhin offen, ihren Mund dafür aber geschlossen zu halten. Bevor sie frühstücken, holt Raven jedoch Ninianes Abschiedsgeschenk aus einer der zahllosen Taschen und Kisten in die Küche herunter - ein kleines Leinensäckchen mit einem Pfund gemahlenen, schwarzbraunen Pulvers. Nicht lange darauf zieht zum ersten Mal der Duft von aufbrühendem Cofea durch die Küche des Seehauses und Caewlin lächelt am Tisch still in sich hinein. Er beobachtet amüsiert, wie Dalla und Bethel neugierig seiner Frau über die Schulter spähen, die nur um einen saubere Kanne, etwas heißes Wasser und ein möglichst feines Tuch zum filtern gebeten hatte. Zum ersten Mal seit vierzig Jahren lernen die beiden in der Kochkunst etwas dazu - und Raven zeigt es ihnen.

Eine Stunde später sind alle Menschen, sämtliche Hunde und Katzen und Kinder abgefüttert und Dalla fegt alles und jeden samt dem allerkleinsten Krümel resolut aus der Küche. Rykar und Pyp gehen zum Stall hinauf, um das Vieh zu versorgen, Runa geht Bethel in den Vorratskellern zur Hand und Caewlin schnappt sich die Hunde, seine Frau und seinen Sohn und geht mit ihnen an den Strand hinunter. Akira und Stelze stürzen sich in den Ildorel, als herrsche strahlender Sonnenschein und sengende Hitze und nicht kühler Nieselregen und frühherbstliches Nebelwetter, schleppen einen wenig begeisterten Krebs an, der nicht viel davon hält, in einem Hundemaul herumgetragen zu werden und müssen zurück am Seehaus Terrassenverbannung erdulden, bis sie wieder trocken sind und man ihnen Sand und Tangfäden aus dem Fell bürsten kann. Nach dem Mittagsmahl, das auch ganz ohne Koriander schmeckt, bringen sie Brynden für ein Stündchen Mittagsschlaf ins Bett und Caewlin setzt sich an die Bücher, während Raven ihm Gesellschaft leistet und ihre Zeichensachen in eines der Regale räumt. "Schnitz doch für deine Bilder schöne Rahmen und wir hängen sie auf," Caewlin spitzt einen Federkiel an und tunkt ihn ins Tintenfässchen, während er knurrend und mit halb unterdrückten Flüchen hastig hingekritzelte Strichlisten überträgt - Rykar kann zwar schreiben, aber mehr schlecht als recht und die Notizen, die sein Knecht in den Monden seiner Abwesenheit gemacht hatte, sind oft so unleserlich, dass er schlicht raten muss. "Ich glaube, wir haben in der Scheune oben noch ein paar Lindenholzbretter." Er starrt erbost auf ein hingeschmiertes Wort, von dem er beim besten Willen nicht sagen kann, ob es Weizen, Beize, Kiste, Kasten oder vielleicht Katze heißen soll und kämpft sich weiter durch das verworrene Zahlenwerk. "Ich brauche hier noch ein Weilchen, fürchte ich. Ryk ist ein begnadeter Strichlistenführer. Willst du dann morgen in die Stadt zu deinem Haus?" Raven nickt und sortiert Pinsel in einen kleinen, glasierten Tonkrug. Inzwischen hat man wohl überall im Seeviertel von den Blaumäntelpatrouillen, die auf den breiten Alleen und gepflasterten Straßen ihre Wachen gehen, näheres über das Feuer gehört -  natürlich waren der Brand und die Explosion allerorts in Talyra Stadtgespräch. Auch im Seehaus weiß man inzwischen, dass die Kate vollkommen zerfetzt worden war, dass Teile der nördlichen Stadtmauer zerstört sein sollen, dass der alte Wehrturm dort oben eingestürzt war und dass es Tote und Verwundete gegeben hat. Einer von Morganas Patienten war offenbar verbrannt, aber der Heilerin selbst war nichts geschehen und die Aufräumarbeiten sind in vollem Gange und vermutlich bis zum Abend abgeschlossen. "Morgen kommt eine Fuhre Heu für den Winter, das müssen wir aufladen, aber wenn du länger im Häuschen brauchst, hole ich dich am Nachmittag ab..." Er legt die Feder beiseite und streut Löschsand über die noch feuchte Tinte seiner Eintragungen, dann blickt er mit einem hintergründigen, halben Lächeln auf. "Und wenn wir dann ohnehin schon in der Stadt  sind... ich schulde dir noch zwei Hemden."

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Raven am 31. Aug. 2005, 20:39 Uhr
Das Frühstück in der großen, gemütlichen Küche verläuft glücklicherweise ganz anders, als Raven es sich vorgestellt und befürchtet hatte. Von steifer Vornehmheit, Förmlichkeit oder krampfhafter Stille ist beim besten Willen nichts zu spüren, im Gegenteil, in der Küche herrscht das bunte, lebhafte, lustige Chaos einer durcheinanderwirbelnden Großfamilie und der Raum ist erfüllt von fröhlichen Stimmen, Gelächter, Geplauder und dem Klappern von Geschirr und Töpfen. Was Rykar, der offensichtlich kein Mann überflüssiger Worte ist, und die verschüchterte Runa zu wenig reden, das machen Bethel, Pyp und die unablässig schnatternde Dalla ohne Mühe dreimal wieder wett. Während die beiden Frauen geschäftig zwischen Vorratskammern, Herd und Küchentisch hin und her eilen, ständig beladen mit Tellern, hölzernen Essbrettchen, Brotkörben, Marmeladentöpfen oder Schüsseln voll dampfendem Haferbrei, übertreffen sie sich gegenseitig im trommelwirbelschnellen Hervorsprudeln von Stadtklatsch und den allerneuesten Neuigkeiten, und Raven kichert still in sich hinein bei all den Basen und Vettern dritten bis werweißwievielten Grades, die die beiden als absolut zuverlässige - und offenbar über die gesamte Stadt verteilte und in jedem namhaften Haushalt sitzende - Quellen ihrer Informationen hervorzerren. Noch bevor sie überhaupt den ersten Bissen zu sich nehmen können, sind sie schon bestens über sämtliche Vorgänge am Nordtor informiert und ebenso über all die wilden Gerüchte und Spekulationen über den Brand, die sich in der Stadt wie ein Lauffeuer verbreiten. Talyra ist doch wirklich ein Kuhdorf, kann Raven nur in sich hineingrinsen, aber es beruhigt sie zu hören, dass die Heilerin und ihr kleiner Sohn wohlauf sind und ihnen nichts geschehen ist.

Als sie Bethel mit dem gewaltigen, dickbauchigen Teekessel herumhantieren sieht (der der Köchin figurmäßig nicht einmal unähnlich sieht, wie sie kichernd feststellt), fällt ihr auf einmal siedend heiß etwas ein, das sie beinahe vergessen hätte, und sie schießt so abrupt von ihrem Stuhl hoch und zur Küchentür hinaus, dass Caewlin ihr nur verwundert nachsehen kann. Gleich darauf kommt sie allerdings schon wieder zurück, triumphierend das Säckchen mit dem gemahlenen Cofeapulver schwenkend, das Niniane ihnen zum Abschied verehrt hatte. Unter den zunächst zweifelnden, dann aber neugierigen Blicken von Dalla und der Köchin, zeigt sie den beiden, wie man das schwarze, bittere Gebräu zubereitet, hantiert hektisch mit einer Kanne und einem Stück Leintuch herum, hüpft dabei nervös von einem Fuß auf den anderen und dankt im Stillen den Göttern, dass nicht mehr Unglück passiert, als dass sie ein wenig Pulver verschüttet und sich eine Brandblase am glühend heißen Wasserkessel holt, bis sie den fertig aufgebrühten und abgöttisch gut duftenden Cofea schließlich zum Tisch hinüber balanciert. Ihrem Magen geht es inzwischen wieder bestens und inmitten des morgendlichen Wirrwarrs schafft sie es ohne Mühe, drei Schalen mit süßem Haferbrei in sich hinein zu schaufeln und mit ebensoviel Cofea nachzuspülen. Währenddessen wandert ihr Blick immer wieder zu ihrem Mann hinüber. Und was sie sieht, lässt sie lächeln und ihr das Herz mit einem Mal ganz weit werden. Völlig entspannt lümmelt Caewlin in seinem Stuhl, die langen Beine von sich gestreckt, in der Linken die halb geleerte Tasse und auf den Knien seinen Sohn mit Honigfingern und einem zerknautschten Stoffhasen im Arm. Ab und zu wechselt er einige Worte mit Rykar oder Dalla und seine Augen schweifen mal hierhin, mal dorthin über das lärmende Küchenchaos hinweg, während in seinen Mundwinkeln ein verstecktes Schmunzeln ruht und in seinen Augen ein Lächeln. Raven weiß, dass er all das genießt, all das Geplapper um ihn herum, das Lachen, die Fröhlichkeit und Wärme, die über allem liegt ... derselbe Mann, dessen Augen so unbarmherzig und kalt wie Eis sein können, der einem mit einer einzigen Handbewegung mühelos das Genick brechen kann und dessen bloße Präsenz allein oft schon reicht,  einem das Fürchten zu lehren. Derselbe Mann, der vor mehr als drei Jahren in diese Stadt kam, ein riesenhafter, narbengesichtiger Krieger, grimmig, wortkarg, düster und furchterregend. Derselbe Mann, der gerade seinem Sohn mit einem schiefen Grinsen im Gesicht und einem nassen Spültuch in der Hand liebevoll die Honigschnute sauberwischt. Und Raven stellt fest, dass es in ihrer Sprache - und wahrscheinlich auch in keiner anderen Sprache Rohas - nicht ein Wort dafür gibt, dass auch nur annähernd ausdrücken könnte, was sie für ihn empfindet.

Am Nachmittag, als sie die Hunde genügend herumgejagt, ein reichliches Mittagsmahl vertilgt und den schläfrigen Brynden für ein Stündchen in sein Kinderbett gepackt haben, macht Caewlin sich im Schreibzimmer seufzend über die Rechnungsbücher her. In haareraufender Verzweiflung versucht er, Rykars krakelige Hieroglyphenschrift zu entziffern, während sie selbst Stück für Stück ihre Malutensilien aus dem Gästezimmer herunterschleppt und die leeren Regale im Raum mit einem geordnetem Chaos aus Pinseln und Kohlestiften, Farbtiegeln, Leinwänden und Stapeln von Pergament und Hadernpapier füllt. >Schnitz doch für deine Bilder schöne Rahmen und wir hängen sie auf<, schlägt Caewlin vor, als sie beginnt, ihre Skizzen und Kritzeleien in verschiedene Häufchen zu sortieren. Sie kichert und wirft ihm über die Schulter einen belustigten Blick zu. "Lieber Himmel, willst du damit Besucher abschrecken?" Mit kritisch gerunzelter Stirn und krausgezogener Nase betrachtet sie eine flüchtig skizzierte Zeichnung, die einen schiefgesichtigen, schiefnasigen Cron beim Satteln eines schiefbeinigen Donners zeigt, schüttelt resigniert den Kopf, murmelt etwas von Schande für alle Nordmänner und Thunderländer, knüllt das Blatt zusammen und wirft es in eine Holzkiste neben dem Kamin, in der schon etliche andere Papierknäuel auf Gesellschaft warten. "Ein oder zwei vielleicht, die anderen sind noch nicht so gut, dass man sie an die Wände hängen kann", murmelt sie in einem Anfall schonungsloser Selbstkritik. "Eins von Brynden vielleicht, das hier ist ganz hübsch." Sie wühlt in dem Stapel und zerrt dann eine kleine Zeichnung hervor, mit der sie zum Schreibtisch kommt, an dem Caewlin mit gebeugten Schultern und reichlich genervtem Gesichtsausdruck über Rykars Aufzeichnungen brütet. >Ich glaube, wir haben in der Scheune oben noch ein paar Lindenholzbretter<, entsinnt er sich, schaut sie nachdenklich an und legt den Federkiel beiseite. "Rahmen zu schnitzen ist eine gute Idee, und in der Scheune war ich noch gar nicht, also wird es ohnehin Zeit, dass ich sie mir ansehen gehe", stellt Raven lächelnd fest. "Und im Stall war ich auch noch nicht. Und auf dem Speicher oben auch nicht. Die alten Möbel dort oben, von denen du gesprochen hast, will ich mir auf jeden Fall einmal ansehen, vielleicht sind noch ein paar brauchbare Sachen dabei, die wir herunterschaffen könnten." Nicht, dass sie übermäßig viele Besitztümer hätte, die sie in irgendwelche Schränke räumen müsste, aber so ganz ohne Möbel sehen die Zimmer wirklich noch schrecklich leer aus.

>Ich brauche hier noch ein Weilchen, fürchte ich<, hört sie Caewlin seufzen und es klingt alles andere als begeistert. Raven stellt den Krug beiseite, in den sie eben eine Handvoll Pinsel geordnet hat, tritt zu ihm, lehnt sich gegen seinen warmen Rücken und schiebt die Hände in seinen Nacken, in sein weiches Haar. >Willst du dann morgen in die Stadt zu deinem Haus? Morgen kommt eine Fuhre Heu für den Winter, das müssen wir aufladen, aber wenn du länger im Häuschen brauchst, hole ich dich am Nachmittag ab...< Sie schlingt die Arme um seinen Hals und legt ihre Wange an seine. Sein Haar riecht immer noch nach Morgenspaziergang und Seewind. "Ich würde gerne einmal wieder nach dem Rechten sehen, seit dem letzten Winter war ich nicht mehr dort, seit..." Die Stimme stockt ihr für einen Moment, weil eine düstere Erinnerung nach ihr greift und sich verblasste Bilder vor ihr inneres Auge schieben, die sie jetzt absolut nicht sehen will. Ein eierschalenbleiches Gesicht unter schwarzen Locken. Hellviolette, im Fieberwahn glänzende Augen. Wirbelnde Fäuste. Derbe Stiefel, die dem Wolfshund ein blutendes Loch in den Schädel treten. Seitdem dieses dreimal verfluchte Rotzgör mir hinterher geschlichen und in mein Häuschen eingebrochen ist... "Auf jeden Fall schon viel zu lange. Ich will einfach nachsehen, ob es überhaupt noch steht und nicht inzwischen schon völlig in sich zusammengefallen ist. Und ich habe noch ein paar Sachen dort, die ich holen möchte, eine Kiste mit Werkzeug, Holz, ein paar angefangene Bögen und die große Werkbank. Aber die müssten wir mit einem Karren oder einem Wagen transportieren, zum Schleppen ist sie viel zu groß und schwer. Vielleicht brauche ich die Sachen ja gar nicht mehr, aber es wäre jammerschade, wenn sie dort einfach vergammeln würden. Es sei denn, du brauchst mich beim Heuabladen, dann helfe ich natürlich hier. Das Haus läuft ja schließlich nicht davon." Caewlin schüttelt nur lächelnd den Kopf und ein hintergründiges Funkeln zeigt sich in seinen Augen, als er Löschsand auf die nasse Tinte streut. >Und wenn wir dann ohnehin schon in der Stadt sind... ich schulde dir noch zwei Hemden...<

"Und du schuldest mir noch einen Satz Leibwäsche", fügt sie leise lachend hinzu. "Mindestens den einen, den du mir zerfetzt hast. Und einen Kuss. Oder zwei. Oder drei. Und vielleicht ein paar neue Leibchen, nachdem mir keines mehr passt, und ....." Ihr Lachen an seinem Ohr wird zu einem Lächeln und ihre Stimme wird eine Spur ernster, ohne den sanften Klang zu verlieren. "Du schuldest mir gar nichts, und das weißt du. Aber ich gehe trotzdem gern mit dir einkaufen und ich hätte auch gegen ein paar neue Hemden nichts einzuwenden. Oder gegen ein....", und nun wird sie mutig, "... gegen ein Kleid." Dass er für dich sorgen will, heißt aber noch lange nicht, dass du ihn sofort ausbeuten musst, schimpft sie sich selbst und ihr Lächeln wird auf einmal ein wenig betreten. "Ähm...naja, aber Hemden genügen ja eigentlich. Mehr brauche ich im Moment gar nicht." Sie schweigt einen Moment, dann löst sie sich von seinem Rücken und sucht seinen Blick. "Das, was ich gestern gesagt habe, das habe ich ernst gemeint. Dass ich für meine Familie und für all das hier sorgen würde. Wahrscheinlich wird es nie nötig sein, und ich hoffe natürlich auch, dass es uns nie so schlecht gehen wird, dass wir eines Tages am Hungertuch nagen werden, aber sollte wirklich einmal Not sein, dann ... dann ..." Ihre Stimme stockt und sie kramt nach Worten, als müsse sie sich erst einen Pfad durch das Wirrwarr ihrer Gedanken suchen. "Ich möchte nur, dass du weißt, dass ich für dich und für Brynden das selbe tun würde, was du für mich tust. Ihr seid meine Familie und ich liebe euch, und ich würde niemals zulassen, dass dir oder ihm etwas geschieht, oder dass ihr Not leiden müsst."

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Caewlin am 01. Sept. 2005, 00:57 Uhr
>Lieber Himmel, willst du damit Besucher abschrecken?< Er blickt verwirrt auf und als eine ihrer ersten Skizzen von Cron und Donner in hohem Bogen in die Holzkiste fliegt, steht er mit einem empörten Schnauben auf, fischt sämtliche zusammengeknüllten Pergamente heraus, birgt sie schützend an seiner Brust und trägt sie zum Schreibtisch, wo er eines nach dem anderen sorgfältig wieder glättet und zu seinen Büchern legt. Denk nicht einmal daran! Warnt das Glitzern in seinen Augen, als sie spekulativ den kleinen Stapel ihrer gerade eben noch vor dem Feuertod geretteten Skizzen mustert. "Ich will sie," erklärt er stur. "Wehe dir, du wirfst sie weg. Sie sind gut. Gut, vielleicht lange nicht so gut, wie das, was du jetzt kannst, aber ich will sie trotzdem behalten. Sie sind von dir. Ich war dabei, als viele von ihnen entstanden sind und ich weiß noch, wie du ausgesehen hast, als du es gezeichnet hast, bei jedem einzelnen Bild. Ich will sie als Erinnerung behalten.... und sie gefallen mir." Raven sieht ihn an, als wäre er nicht mehr ganz bei Trost, aber dann kramt sie eine Zeichnung von Brynden heraus und tritt damit an den Schreibtisch. Von seinem Vorschlag, Bilderrahmen zu schnitzen scheint sie recht angetan, ebenso wie von der Aussicht auf die Scheune, den Stall und den Speicher mit den alten Möbel dort, und Caewlin lauscht ihren Ausführungen mit dem Anflug eines halben Lächelns. Mag sie am Anfang unsicher gewesen sein, langsam scheint sie doch für das Haus und ein Leben hier Feuer zu fangen. Dann starrt er jedoch seufzend wieder auf sein Zahlenchaos und Rykars Klecksereien, bis sie hinter ihn tritt und ganz und gar sinnverwirrend ihre Hände unter sein Haar schiebt. Sie fährt mit den Fingern durch die langen, kastanienbraunen Strähnen und über seine Haut und Caewlin drückt den Nacken durch und schließt halb die Augen, während sie sich an ihn lehnt und ihren Kopf über seine Schulter schiebt. Für einen Moment spürt er ihre weiche Wange an seiner, während sie von ihrem Häuschen spricht und dem Vorhaben, dort nach dem Rechten zu sehen. >Und ich habe noch ein paar Sachen dort, die ich holen möchte, eine Kiste mit Werkzeug, Holz, ein paar angefangene Bögen und die große Werkbank. Aber die müssten wir mit einem Karren oder einem Wagen transportieren, zum Schleppen ist sie viel zu groß und schwer. Vielleicht brauche ich die Sachen ja gar nicht mehr, aber es wäre jammerschade, wenn sie dort einfach vergammeln würden. Es sei denn, du brauchst mich beim Heuabladen, dann helfe ich natürlich hier. Das Haus läuft ja schließlich nicht davon.<

"Nej, dann hole ich dich mit dem Wagen ab und wir bringen die Sachen her. Das Heu schaffen Rykar, Pyp und ich schon auf den Stallboden." Eine Vision von Raven mit hochgestecktem Haar, geschürztem Unterrock und Leibchen geistert durch seine Gedanken, nur dass sie in seiner Vorstellung nicht mit rotverschmierten Beinen in einem Lehmbottich steht, sondern auf einem hohen nach Sommer und Kräutern duftenden, halbdunklen Heuboden. Seine Mundwinkel vertiefen sich zu einem hintergründigen Lächeln. Heu aufladen... mmpf. Wir kämen höchstens ins Heu, aber ganz bestimmt nicht sehr viel weiter. Als er die Sprache auf die ausstehenden Hemden bringt, spinnt sie seinen Vorschlag weiter und ihr sanftes Lachen vibriert an seiner Wange. >Und du schuldest mir noch einen Satz Leibwäsche. Mindestens den einen, den du mir zerfetzt hast. Und einen Kuss. Oder zwei. Oder drei. Und vielleicht ein paar neue Leibchen, nachdem mir keines mehr passt, und ..... < "Hmm," schnurrt er, aber noch bevor er seine Schulden, zumindest was die Küsse angeht, einlösen oder eine anzügliche Bemerkung, über ihre neuen Rundungen machen kann, fährt sie schon fort. >Du schuldest mir gar nichts, und das weißt du. Aber ich gehe trotzdem gern mit dir einkaufen und ich hätte auch gegen ein paar neue Hemden nichts einzuwenden. Oder gegen ein... gegen ein Kleid.< "Ein Kleid?!" Echot er und seine linke Braue hebt sich halb fragend, halb spöttisch, während er den Kopf zur Seite neigt, um sie anzusehen. Er ist wirklich überrascht, aber die Versuchung, sie damit ein wenig aufzuziehen, ist einfach zu groß. "Du meinst... ein richtiges Kleid mit Ärmeln, einem Mieder und einem... einem Rock?" Er hebt die Hand und legt sie prüfend auf ihre Stirn. "Nein, Fieber, hast du nicht," konstatiert er. Sie knufft ihn erbost in die Seite und lässt kleine Fausthiebe in seinen Rücken regnen, dann nuschelt sie betreten etwas von >Ähm...naja, aber Hemden genügen ja eigentlich. Mehr brauche ich im Moment gar nicht.< Plötzlich jedoch wird sie ernst, lässt ihn los und tritt neben ihn, so dass sie sein Gesicht sehen kann. >Das, was ich gestern gesagt habe, das habe ich ernst gemeint. Dass ich für meine Familie und für all das hier sorgen würde. Wahrscheinlich wird es nie nötig sein, und ich hoffe natürlich auch, dass es uns nie so schlecht gehen wird, dass wir eines Tages am Hungertuch nagen werden, aber sollte wirklich einmal Not sein, dann ... dann ...<

Einen Moment verstummt sie und ihre Hände halten mit ihren kleinen, beredten Bewegungen - sie redet immer mit Händen und Füssen - , ebenso inne wie ihre Zunge, als suche sie nach Worten und Gesten gleichzeitig, um ihm etwas begreiflich zu machen, das ihr wirklich am Herzen liegt. >Ich möchte nur, dass du weißt, dass ich für dich und für Brynden das selbe tun würde, was du für mich tust. Ihr seid meine Familie und ich liebe euch, und ich würde niemals zulassen, dass dir oder ihm etwas geschieht, oder dass ihr Not leiden müsst.< Er sieht sie einen langen Augenblick einfach nur an, dann legt er behutsam die Feder beiseite, klappt die Bücher zu und steht auf. Er hebt sie hoch, setzt sie auf den Schreibtisch und legt seine ganze Hand an ihr Gesicht. Sie sieht vollkommen still zu ihm auf, nur an ihrem Hals pocht das Blut dicht unter ihrer Haut in einer verborgenen Ader. Dann hebt er ihr Kinn an und beugt sich zu ihr, um sie sehr lange und sehr sanft zu küssen. "Ich weiß."  
Er hält sie fest und sie schlingt ihre Arme um ihn und birgt ihr Gesicht an seiner Brust. Er weiß nicht, wie lange sie so verharren, reglos, eins, verschmolzen und sich so nahe wie sich zwei Menschen nur sein können, als besiegelten sie beide wortlos und vom gleichen Ernst erfüllt ein gegebenes Versprechen. Er hat nicht mehr gesagt, als diese zwei Worte und das war auch nicht nötig. Er weiß was sie meint, was sie ihm sagen will und er versteht sie vollkommen.  "Raven", wispert er irgendwann in ihr Haar und sein Tonfall bricht denn Bann. "Wird dein Kleid Unterröcke..."
Sie gibt einen erstickten Laut von sich, zappelt sich frei und versucht dann gleichzeitig, sowohl hoheitsvoll ihr Näschen zu rümpfen, als auch ihn böse anzufunkeln, empört zu schnauben und dabei nicht zu lachen oder rot zu werden. Caewlin fängt ihre Hände ein und hält sie einen Moment lang fest. Das Lächeln vertieft immer noch seine Mundwinkel, aber dann mustert er sie von Kopf bis Fuß und legt den Kopf leicht schräg. "Ich glaube, ein Kleid würde dir gut stehen, min koerlighed. Und es hätte den ungeheuer praktischen Vorteil, dass ich keinem Mann den Schädel einschlagen muss, weil er auf deinen Hintern in diesen Hosen starrt." Seine Miene verfinstert sich nach dieser logischen Ausführung allerdings beinahe augenblicklich, als wäre ihm gerade eingefallen, dass das möglicherweise vielleicht doch kein so großer Vorteil wäre. "Nur, dass ich ihnen dann wahrscheinlich leider den Schädel einschlagen muss, weil sie in deinen Ausschnitt fallen..." Er zuckt mit den Schultern, dann lässt er ihre Linke los, behält aber ihre andere Hand fest in seiner und zieht sie mit sich. "Komm. Gehen wir stöbern."

Da der Regen draußen schon wieder herunterprasselt, als gelte es, die ganzen Herzlande zu überschwemmen, verschieben sie eine Besichtigung von Stallungen und Scheune und zu Caewlins Bedauern auch eine Inspektion des Heubodens auf trockenere Zeiten und steigen stattdessen über lange Treppen zum Speicher hinauf. Die schmale Tür am Ende der langen ebenso schmalen Stiege, die auf den Dachboden führt, knarrt leise und ihre Angeln quietschen protestierend, als er sie öffnet. Hier oben ist es düster, aber durch die hohen, schießschartenartigen Giebelfenster fällt genug Licht ein, dass sie in den langen, verwinkelten Räumen etwas erkennen können. Es riecht nach altem, trockenem Holz und den Kräutern, die zum Trocknen in dicken Bündeln von den Dachsparren baumeln, nach Lavendel und Minze... leicht muffig und angestaubt, aber irgendwie auch wie die geheimnisvollen Taschen einer geliebten Großmutter. Die Speicherräume sind hoch, das offene Dachgebälk reicht weit hinauf ins Halbdunkel und der gesamte Südteil ist vollgestopft mit Kisten und Körben, Truhen, Schränken, Kommoden und allerlei anderen Möbeln, die unter staubigen Laken einen Dornröschenschlaf träumen, der vielleicht schon länger als ein Menschenleben währt. "Ich war selbst noch nie hier oben," stellt er fest und fügt dann hinzu. "Doch, aber nur im Nordraum, wo die Mägde im Winter die Wäsche aufhängen. Hier hinten war ich noch nie... Himmel, sieh dir das an." Er hebt die mitgebrachte Laterne mit ihrer dicken, hellen Kerze und lässt den Blick über die geheimnisvolle Landschaft all der unentdeckten Sachen schweifen, die in ihrem goldgelben Schein und dem diffusen Licht von draußen wie ein verwunschenes Labyrinth wirkt... Ravens Lächeln ist ansteckend und er fühlt sich wie einer der Jungen aus den Geschichten, die nichtsahnend durch Spiegel oder Schränke spazieren und geradewegs in ein Zauberreich stolpern. "Gehen wir Trüffel suchen, Lady Stormr."

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Raven am 02. Sept. 2005, 10:16 Uhr
Als Caewlin ihre zusammengeknüllten Kritzeleien wieder aus der Holzkiste neben dem Kamin zerrt und zum Schreibtisch hinüber schleppt, so wild entschlossen, als müsse er die kostbaren magischen Schriftrollen von Qum'Ran vor einer drohenden Feuersbrunst retten, lässt Raven die Hand mit Bryndens Bild wieder sinken und kann ihm nur sprachlos hinterher starren. >Ich will sie<, verteidigt er sich und schickt ihr ein empörtes Augenfunkeln, während er versucht, die Faltengebirge wieder aus den zerknitterten  Pergamenten zu streichen. >Wehe dir, du wirfst sie weg. Sie sind gut. Gut, vielleicht lange nicht so gut, wie das, was du jetzt kannst, aber ich will sie trotzdem behalten. Sie sind von dir.< Ungläubig schüttelt sie den Kopf und starrt ihn so entgeistert an, als hätte er nicht mehr alle fünf Sinne beisammen. Sie kann beim besten Willen nicht verstehen, wozu er unbedingt dieses Gekritzel aufbewahren will, das ihrer Meinung nach gerade noch dazu taugt, damit ein Kaminfeuer anzuschüren. Aber irgend etwas in seiner Stimme zupft eine Saite in ihr an, die leise zu schwingen beginnt, als er weiterspricht. >Ich war dabei, als viele von ihnen entstanden sind und ich weiß noch, wie du ausgesehen hast, als du es gezeichnet hast, bei jedem einzelnen Bild. Ich will sie als Erinnerung behalten....< In ihre Augen tritt ein sanfter Glanz und irgendwo in ihrem Inneren beginnt sie zu verstehen. Was ich mit meinen Augen sehen kann, das kann ich für immer festhalten, ich kann es einfach auf Papier malen. Was er mit seinen Augen sieht, kann er jedoch nur in seine Erinnerungen malen, damit es bleibt. Der Gedanke berührt sie eigentümlich, und als sie mit der Zeichnung in der Hand zu ihm an den Schreibtisch tritt, fühlt sie sich plötzlich von dem wilden Wunsch durchflutet, die Welt einmal mit seinen Augen sehen zu können, wenigstens für kurze Zeit, sie zu sehen, so wie er sie sieht, um sie ihm zu malen und für ihn festhalten zu können. Aber es gibt Dinge, die kann man einfach nicht auf Papier bannen, so wie das Gefühl seiner Haut unter ihren Fingern, als sie zu ihm tritt und ihre Hände in seinen warmen Nacken schiebt, das Gefühl, seinen Herzschlag an ihrem zu spüren, das Glitzern in seinen Augen, das Kribbeln, das sich in ihrer Magengrube ausbreitet, wenn sich seine Mundwinkel zu diesem halben Lächeln vertiefen, seinen vertrauten Geruch oder den Samt in seiner Stimme. All das kann sie nur in ihrem Herzen tragen. Einschließlich dieses leise spöttelnden Untertons und der sich amüsiert hebenden Braue, als er in ungläubiger Verwirrung fragt: >Ein Kleid?!< und dabei so klingt, als hätte sie gerade verkündet, sie wolle in der Stadt einen lilablassblaugestreiften Drachen mit rosaroten Tupfen besorgen.

"Ja, ein Kleid - ein richtiges Kleid mit Ärmeln, einem Mieder und einem Rock. Ich weiß, was ein Kleid ist!" schnaubt sie belustigt und knufft ihn empört in die Seite, als er ihr besorgt die Hand auf die Stirn legt, als würde sie im Fieberwahn phantasieren. Aber dann wird sie übergangslos wieder ernst und versucht Caewlin zu erklären, was sie seit dem vergangenen Tag und dem Anblick der vier Kammern im Keller beschäftigt. Zuerst sagt er gar nichts und sieht sie nur mit schiefgelegtem Kopf lange an. Auch als er die Bücher beiseite schiebt, aufsteht, sie mühelos hochhebt und auf den Schreibtisch setzt, schweigt er. Aber Worte sind auch gar nicht nötig. Sie kann die Antwort in seinen Augen lesen, die sie mit einem warmen Leuchten überfluten und als er seine Hand an ihr Gesicht legt, den Kopf neigt und seine Lippen ihre berühren, fühlt es sich an, als würden sich ihre Seelen küssen und ineinander fließen. Sie schlingt die Arme um ihn und hält ihn fest, das Gesicht an seiner Brust geborgen, seinen Herzschlag an ihrer Wange, an ihrem Ohr, in ihrem Blut, und wünscht sich, sie könne für alle Zeit so in seinen Armen liegen. Er ist bei ihr, warm und lebendig, und sie spürt die Gewissheit in sich, dass er über sie wacht und nichts sie auseinanderreißen kann. Noch nie in ihrem Leben hat sich je etwas so gut und so richtig angefühlt. Fast wünscht sie sich, sie könnte sich kleiner zaubern, so winzig, dass sie in einen Brustbeutel passen würde, den er sich um den Hals hängen und sie immer mit sich tragen könnte, so dass sie immer ganz nah bei ihm wäre und dem Pochen seines Herzens lauschen könnte. Die Götter allein wissen, wie lange sie so dastehen, reglos und ineinander verschlungen, bis Caewlins leises, kehliges Schnurren an ihrem Ohr sie wieder in die reale Welt zurückbefördert. >Raven ... wird dein Kleid Unterröcke....< Sie spürt kaum merklich seinen Brustkorb vibrieren und weiß auch ohne hinzusehen, dass er sich nur mit Mühe ein Lachen verbeißen kann. Das breite, unverschämte Grinsen dagegen nicht, und sie befreit sich, hin und her gerissen zwischen entrüstetem Schnauben und amüsiertem Prusten, aus seinen starken Armen. "Wenn du jetzt nicht gleich still bist, dann wird dieses Kleid so derart viele Unterröcke haben, dass du dir wünschen wirst, ich wäre bei Hosen geblieben", droht sie kichernd, und dann färben sich unter dem intensiven Blick, mit dem er sie von oben bis unten mustert und unter dem sie sich auf einmal splitterfasernackt fühlt, ihre Wangen vor Verlegenheit doch ein wenig rosa.

"Du musst bestimmt niemandem den Schädel einschlagen", versichert sie Caewlin im Brustton der Überzeugung und blickt zweifelnd an sich hinunter. Nicht, dass sie unbedingt mit einem Kartoffelsack über dem Kopf herumlaufen müsste, aber dass ihr jemand in den Ausschnitt fallen könnte, das kann sie sich nun doch nicht so recht vorstellen. Zumindest nicht, wenn sie in abgetragenen Lederbeinlingen, Stiefeln und ihren alten Hemden unterwegs ist. In einem Kleid mag das wieder anders aussehen und sie erinnert sich mit einem Schaudern an das Turnier vor drei Jahren, an ein raschelndes Kleid aus schwerer Seide, glühend rot wie dunkler Sommerwein, und an die Blicke, die es auf sich gezogen hatte. Blicke, die ihr mehr als unangenehm gewesen waren. Vielleicht sollte ich mir das mit dem Kleid noch einmal überlegen, mutmaßt sie, aber bevor sie noch weiter in längst überholten Geschichten herumkramen oder sich in Kleidungsfragen ergehen kann, zieht Caewlin sie auf die Füße und in Richtung Bodentreppe. >Komm. Gehen wir stöbern.< Mit einer Laterne in der Hand steigt er vor ihr die langen, schmalen Stiegen zum Speicher empor und öffnet eine Tür, die augenscheinlich schon lange nicht mehr benutzt worden ist. Neugierig tappt Raven hinter ihm her und renkt sich schier den Hals aus, um einen Blick auf das zu erhaschen, was sich hinter der Tür verbirgt. Als Caewlin dann schließlich in den Raum tritt und sie ihm folgt, scheint die Zeit stillzustehen und ihr ist, als würden sie ein verwunschenes Märchenreich aus Goldstaub und lange vergessenen Erinnerungen betreten. Der Raum unter dem gewaltigen Dach des Seehauses ist riesig, und so hoch, dass sich die Umrisse der schattenverhangenen Balken im Dämmerlicht über ihnen verlieren. Modriger Staub wirbelt unter ihren Füßen auf, und tanzt in den schrägen, goldenen Säulen, die das Licht durch die schmalen Fensteröffnungen malt, legt sich auf die Bodenbretter, auf Möbel, auf Kisten und Kästen und tausenderlei Plunder, der hier oben von aller Welt vergessen vor sich hin träumt. Der Geruch von Leder und Papier, altem Holz und zu Staub zerfallenen Lavendelblüten hängt in der Luft. Etwas kleines huscht in der Dunkelheit an ihr vorbei, raschelnd und spinnenartig wie die Flügel einer Fledermaus. >Himmel, sieh dir das an<, hört sie Caewlin neben sich flüstern. >Gehen wir Trüffel suchen, Lady Stormr.<

Der gewaltige Raum ist angefüllt mit ausrangierten Möbeln, Kisten, Truhen, geheimnisvollen Behältern, Körben und Schränken, so dass sie gar nicht wissen, wo sie anfangen sollen. Verwirrt von dieser Fülle beäugt Raven die Möbelstücke und späht hie und da neugierig unter die großen Tücher, pustet Staubwolken weg und wischt Spinnweben beiseite. Ihre Augen werden immer größer, als sie mit geradezu kindischer Begeisterung in das vollgestopfte Plunderlabyrinth des Speichers eintauchen, so als hätten sie gerade einen riesigen Goldschatz gefunden, nicht nur einen Haufen alten, staubbedeckten Gerümpels. Über ein Meer von aufgestapelten Kisten wirft sie einen Blick zu Caewlin hinüber, dem es nicht viel anders zu gehen scheint. Seine Augen leuchten hell in der Düsternis auf, als er die mitgebrachte Laterne mal hierhin, mal dorthin schwenkt, und auf seinem Gesicht liegt ein Ausdruck, der eher an einen kleinen Jungen bei einer begeisterten Schatzsuche erinnert, als an einen normander Krieger. Sein Anblick lässt sie lächeln und es dauert kein Dutzend Herzschläge, bis auch sie von diesem seltsamen Jagdfieber gepackt wird. Der sacht tanzende Schein der Laterne lässt Schattenungeheuer durch das Halbdunkel huschen, beleuchtet die kantigen Umrisse eines alten, wurmstichigen Schrankes, flackert auf einem Stapel Pelze, einer rostigen Schwertschneide, dem verblassten Glanz eines Spiegels, und hüpft in tausend spinnwebverhangene Winkel und Ecken. Rostige Trensen und morsches Lederzeug, das aussieht, als könne es beim leisesten Lufthauch zerbröseln, baumelt von Haken, die in die gewaltigen Balken geschlagen sind. An einer alten Obstpresse, die wohl schon vor Jahrhunderten das Zeitliche gesegnet hat, lehnt ein Stapel völlig zerdellter Schilde neben einem Haufen unbrauchbar gewordener Turnierlanzen. Sie finden Unmengen von altem Kupfergeschirr, riesige Kessel mit zerbrochenen Henkeln, stumpf und schartig vom langen Gebrauch und mit Grünspan überzogen, sie kichern über einen verbeulten Topfhelm, der Raven beim Versuch, ihn aufzusetzen, bis über die Nasenspitze rutscht und sie blind wie eine neugeborene Feldmaus umhertappen lässt, sie begutachten altersschwache Schränkchen mit fehlenden Türen, und daneben einen gewaltigen Ohrensessel, der Raven anstarrt, als wolle er sie verschlucken. Sie muss ihn auf der Stelle ausprobieren, doch seine Polsterung ist so durchgesessen, dass sie mit einem erschrockenen Quietschen und in einer gewaltigen Staubwolke beinahe bis zu den Ohren darin versinkt, als sie sich hineinfallen lässt. Hustend, kichernd und nur mit Mühe kann sie sich wieder aus dem gefräßigen Möbelstück herausstrampeln, um sich der Kommode daneben zuzuwenden. Die Laden klemmen und in den meisten befindet sich ohnehin nichts anderes als Mäusekötel, Staub und mumifizierte Käferleichen, so dass sie sich lieber über einen hüfthohen Berg aus Fellen und Pelzen hermacht, der, in Leintuch und Mottenpapier gewickelt und so vor Alter und Verfall geschützt, unbeschadet die Jahre überdauert hat.

"Na, die sind aber noch brauchbar", murmelt sie vor sich hin und versucht, die einzelnen Stücke zu identifizieren, als sie sich durch den Stapel wühlt. "Wenn man den Staub herausklopft und sie ein paar Tage zum Lüften hinaushängt.... hm, sieht aus wie Braunbär.... und was ist das hier? Wolfsfelle, ahja. Und das da sind Büffelhäute.... Eisfuchs .... keine Ahnung, kenne ich nicht .... und das hier, herrje, ist das riesig, welches Tier kann denn bloß so groß werden, liebe Güte..." Sie wedelt die Staubwolken beiseite, um das Fell genauer in Augenschein zu nehmen und kommt zu dem Schluss, dass es der Größe nach vermutlich von einem ziemlich behaarten Elefanten stammen muss. Mindestens. Nachdem sie die Pelze herausgesucht hat, die ihrer Meinung nach noch zu gebrauchen sind, zerrt sie sie in Richtung Tür, wo sich nach und nach ein beachtlicher Haufen von Beutestücken ansammelt, die es zu bergen gilt. Auch bei den Möbeln sind noch einige gute Stücke dabei, zwei schwere, große Truhen aus dunklem Holz, deren Bänder und Schlösser kaum Rost zeigen, eine Kommode mit schönen Schnitzereien und fein geschmiedeten Beschlägen, und noch allerlei andere. In einem versteckten Winkel entdeckt Raven gut ein halbes Dutzend dicke, mehr als mannslange und in schützendes Leintuch gewickelte Rollen, die sich beim Auspacken als Teppiche und Wandbehänge entpuppen. Die meisten sind zerfleddert und mottenzerfressen, nur dem letzten, den sie ausrollt, scheinen Alter und Zeit nichts angehabt zu haben, denn die Farben leuchten sogar noch im spärlichen Dämmerlicht, das durch die Fensterschlitze über ihr fällt. Vorsichtig breitet sie den Wandteppich aus, der in seiner vollen Größe sicher zweieinhalb Schritt im Quadrat misst. Sie hockt sich auf die Fersen und starrt sprachlos auf die kunstvollen Stickereien und die tausend und abertausend feinen, gleichmäßigen Stiche hinab. Auf einem Grund von dunklem Blaugrün zeichnet sich in der Mitte eine gewaltige Raute ab, die den Anschein erweckt, nicht aus seidenem Garn gestickt, sondern tatsächlich aus Fels geschlagen zu sein. Moos aus haarfeinen Stickfäden wächst auf dem Stein und kunstvoll gearbeitete Blätter- und Dornranken umschlingen ihn. Inmitten des rautenförmigen Rahmens tut sich eine weite Landschaft mit hohen Gebirgen, Wäldern und funkelnden Seen auf, und von den vier Ecken blicken ihr die farbenprächtigen Konterfeis von vier seltsamen Wesen entgegen, die direkt einem uralten Märchen entsprungen scheinen - ein feuerroter Drachenschädel mit aufgesperrtem, zahnbewehrtem Maul, ein silberweißes Einhorn, ein prächtiger Vogel mit rot und golden funkelndem Gefieder und ein merkwürdiges, metallisch schimmerndes Wesen mit einem gewaltigen Schnabel und seidigen Federn, das aussieht, als wären hier Vogel und Frau zu einer einzigen märchenhaften Kreatur verschmolzen. "Caewlin", flüstert sie ergriffen und streicht mit den Fingern über die gestickte Pracht. "Caewlin, wo bist du? Sieh dir das an, ist das nicht wunderschön?" Und er würde sich fabelhaft an dieser riesigen, kahlen Steinwand in der Halle unten machen.

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Caewlin am 04. Sept. 2005, 02:01 Uhr
Als sie zunächst nichts als Gerümpel, Staub und zerfledderte Korbtruhen aufspüren, glaubt Caewlin schon, sie würden überhaupt nichts mehr brauchbares hier oben finden. Sie wühlen sich durch ein wahres Bollwerk alter Schränke, Truhen, Kommoden und Kisten, die allesamt entweder ohnehin nur noch zur Hälfte heil, oder aber so wurmstichig und fleckig sind, dass er sich fragt, weshalb das Gesinde sie überhaupt noch hier herauf gebracht hatte. Nirgendwo scheint etwas Brauchbares dabei zu sein. Von wegen Trüffel... Schimmelpilze vielleicht... Beim Anblick all der Spinnweben kommt ihm der leise Gedanke, dass Dalla nicht sehr oft hier im hinteren Teil des Speichers sein kann, sonst sähe es hier ganz gewiss anders aus - dort, wo sich unter dem Nordgiebel in langen Reihen die Wäscheleinen spannen, ist kein Staubkörnchen zu finden, hier aber... er pustet eine dicke, silbergraue Schicht von einer kleinen Truhe, die irgendwann einmal hübsch gewesen sein muss, aber leider ist die Hälfte der Elfenbeinintarsien herausgebrochen und unter ihrem quietschenden Deckel modern nur alte Samtgewänder vor sich hin, Tuniken, Wappenröcke und Kleider. Die Stickereien darauf glänzen noch matt und golden im Schein der Laterne, und hier und da blinkt ein Saum aus kleinen Flussperlen auf, aber ihre einstmals leuchtenden Farben sind längst verblasst, sie sind völlig verstaubt und muffig. "Hmpf," schnaubt er ziemlich ungehalten über seine bisher alles andere als märchenhaften Entdeckungen. "Wir werden hier gründlich ausräumen und alles, was nicht mehr zu retten ist oder vor sich hinmodert, fortschaffen und verbrennen müssen. Schimmel und Motten... Dalla bekommt einen Anfall, wenn sie das hier sieht." Raven hört ihn gar nicht, sie kämpft gerade mit der klammernden Umarmung eines alten Sessels - offenbar noch jemand, der von ihrem Hintern so angetan ist, dass er ihn überhaupt nicht mehr hergeben will, denn sie geht quietschend völlig in abgewetzter Polsterung unter. Ihre strampelnden Befreiungsversuche lassen Caewlin grinsen, aber sie hat sich von ihrem neuesten Verehrer schon wieder losgerissen, noch ehe er über einen Stapel Pelze und zwei alte Truhen hinweggestiegen ist, um ihr zu helfen. "Von wegen niemandem den Schädel einschlagen...."knurrt er. Sie kichert immer noch über den anhänglichen Polsterstuhl, als sie auch schon in der nächsten Kommode wühlt und dann die Felle entdeckt, begeistert wie ein Kind, das unvermutet in ein Zimmer voller bunter, neuer Spielsachen gekommen ist. Die Pelze sind mehr als noch brauchbar, das Leder sehr weich und von guter Qualität, auch wenn man alles gründlich würde reinigen müssen. "Felle sind auch einige im Keller," wirft er ein. "Luchs, Marder, viel Kaninchen. Ein paar Wolfspelze, vor allem aber ein Bronzebüffelfell vom letzten Herbst. Aber die hier sind erstklassig gegerbt." Raven zerrt keuchend ein riesiges Fell aus dem wachsenden Stapel ihrer Beute und hat Mühe, es überhaupt hochzuheben, also stellt Caewlin die Laterne auf einer Kiste ab, nimmt ihr den schweren, zimtfarbenen und kastanienbraunen Pelz aus den Händen und hält ihn hoch, so dass sie ihn begutachten kann.

Das Fell ist fein, aber sehr dicht und erinnert fast an flauschige Wolle, wäre das Deckhaar nicht so lang. >...herrje, ist das riesig, welches Tier kann denn bloß so groß werden, liebe Güte... < Er lacht leise über ihren Tonfall. "Das solltest du aber erkennen, du hast doch erst vor ein paar Wochen persönlich Bekanntschaft mit einem gemacht," erwidert er. "Wenn du mich fragst, min koerlighed, ist das der Pelz eines Höhlenbären."  
Sie zerrt und schleift die Felle zur Tür, während er zwei Truhen und eine Kommode, deren Türen aufwendiges Schnitzwerk ziert, nach vorn schiebt, die Raven unweit ihres ersten Schatzfundes entdeckt und für gut befunden hatte. Er mustert den Fellberg, den sie inzwischen zusammengetragen hat und blickt zweifelnd auf die Barriere ausrangierter Holzleichen, zerfledderter Körbe und allerhand völlig desolaten Gerümpels vor ihnen. "Ein bisschen mager unsere Ausbeute... für einen so großen Speicher. Das kann unmöglich alles sein," murmelt er dann und wirft einen zweifelnden Blick auf den Boden unter seinen Füßen - nach seinem Gefühl sind sie irgendwo über Bryndens Zimmer. Der gesamte Nordteil des Speichers ist leer, saubergefegt und nur von trocknenden Kräuterbündeln bevölkert. Vor ihnen türmt sich eine Wand aus staubigen, morschen Möbeln... aber was ist dahinter? Raven zuckt mit den Schultern und wendet sich nach links. Sie schlüpft zwischen aufeinandergestapelten Kisten und einem kleinen Turm riesiger Weidenkörbe hindurch und verschwindet außer Sichtweite, und Caewlin rückt krachend einen alten Wandschrank ohne Türen von seinem Platz und arbeitet sich dann, hustend vom vielen Staub, durch ein Labyrinth mit Tüchern verhangener, eckiger Gebilde. Er hört sie irgendwo weiter hinten rumoren, aber dann entdeckt er etwas, das schlagartig sein Interesse weckt: halb versteckt zwischen der Ostwand und einer Reihe alter, gut verschlossener Fässer, die weiß der Himmel allein was enthalten mögen, steht etwas, das aussieht, wie ein Betthaupt... es ist auch eines, wie sich herausstellt, als er es vorsichtig aus seiner Nische zieht. Das Ding ist elend schwer, über zwei Schritt lang und sicherlich eineinhalb Schritt hoch, und von einer dicken Staubschicht überzogen, doch als Caewlin vorsichtig darüber wischt, kommt darunter massives Lärchenholz zum Vorschein. In seiner Mitte prangt eine breite Schnitzerei, die sich reliefartig aus dem Holz erhebt und zwei fliegende Drachen zeigt, so fein gearbeitet, dass jede einzelne Schuppe an ihnen zu sehen ist. Das hätte nicht einmal Munin besser gekonnt... Er streicht mit den Fingern darüber und lächelt. Die Drachen wirken so echt, als hätte man sie mitten im Flug erstarren lassen und auf Ewig in Holz gebannt, jedes Detail an ihnen mit unendlicher Sorgfalt gearbeitet, von ihren bebenden Nüstern bis zu den langen Schweifen, selbst noch ihre Klauen und ledrigen Flügel. Zuerst glaubt er, die Schnitzerei soll vielleicht sich gegenseitig jagende oder sich bekämpfende Drachen darstellen, aber als er die beiden schuppigen Leiber völlig vom Staub befreit hat, weiß er es besser. Ihre einander zugewandten Augen, die Art, wie sich ihre Flügel und ihre Schweife berühren, die Anmut ihres reglosen Dahingleitens, der Ausdruck auf den echsenartigen Gesichtern... Sie jagen sich nicht... es ist ihr Hochzeitsflug.

Bis auf die Schnitzerei ist das Betthaupt sehr schlicht, nur seine Kanten sind profiliert und Caewlin entdeckt oberhalb der breiten, eckigen Füße Ausfräsungen für Seitenteile. Er weiß genau, dass Raven sich sofort unsterblich in dieses Bett verlieben würde, also sucht er nach dem Rest und wird tatsächlich fündig. Fußende und Seitenteile sind ebenso schwer, massiv und staubig wie das Betthaupt, und mindestens ebenso gut versteckt. Caewlin zieht alles leise fluchend hervor, befreit das Holz vom gröbsten Staub und schafft die Stücke dann zu allem anderen, was sie schon zusammengesammelt haben. Es ist eigentlich nur ein vages Gefühl, dass ihn noch einmal in die Ecke des Speichers zurückkehren lässt, wo er das Bett gefunden hat, aber dort entdeckt er unter ellenlangen, verstaubten Leintüchern auch noch einen Schrank, zwei breite Kommoden und eine Truhenbank, alle aus dem gleichen geölten Lärchenholz, alle von der selben Machart, wie das Bett und alle mit der gleichen, sorgfältigen Kunstfertigkeit gearbeitet: die Griffe der Kommoden an den Türen und Schubladen sind kleine stilisierte Drachenköpfe aus poliertem Horn, schimmernd und elfenbeinweiß, die des Schrankes ebenso und die Truhenbank hat Beschläge aus durchbrochenem Eisen und seitlich bewegliche Eisengriffe. Caewlin ist gerade dabei herauszufinden, ob der Schrank sich vielleicht zerlegen lässt oder wie um alles in der Welt sie ihn sonst die Treppe hinunterschaffen sollen, als er Raven auf der anderen Seite des Speichers hört: >Caewlin, wo bist du? Sieh dir das an, ist das nicht wunderschön? Er tastet sich bis zu ihr durch und findet sie vor einem riesigen, im dämmrigen Licht auf dem Boden ausgebreiteten Wandteppich. "Aye, das ist er." Er kniet sich zu ihr und betrachtet so fasziniert wie sie die Stickereien des Gobelins, das schimmernde Garn, die leuchtenden Farben und die verschlungenen Muster. "Du lieber Himmel... eine Heerschar von Seidenstickerinnen muss doch ihr ganzes Leben lang daran gearbeitet haben," murmelt er und berührt mit seinem großen Zeigefinger vorsichtig den glänzenden Schnabel des karmesinroten und goldenen Vogels. "Was das wohl für ein Wesen ist?" Murmelt er leise. "Ein Einhorn, ein Drache... und diese Vogelfrau muss eine Harpyie sein. Dann wäre das ein Feuervogel, oder? Ich weiß nicht, wie man sie hier im Süden nennt. Willst du den Teppich in die Halle hängen?" Raven nickt eifrig und mit leuchtenden Augen, und ihre Begeisterung ist ansteckend. "In Ordnung, dann sehen wir zu, dass wir etwas finden, an dem er sich aufhängen lässt... sieh mal, hier oben sind Schlaufen... und dann muss ich dir etwas zeigen." Sie will sofort wissen, was er entdeckt hat, aber er küsst nur ihren lächelnden Mund, schüttelt den Kopf und schweigt sich aus, bis sie tatsächlich eine etwa besenstieldicke Stange aus leichtem, aber festem Holz gefunden haben, die wohl irgendwann einmal wirklich als Aufhängung für dieses glänzende Seidenkunstwerk gedient hat, denn sie hat genau die richtige Länge und aufsetzbare Endstücke in Form schmaler Blätter aus durchbrochenem Bronzegeflecht. Erst, als der Gobelin aufgerollt und zu ihrem inzwischen recht beachtlichen Beuteberg gewandert ist, zeigt er ihr das Betthaupt. "Ich habe auch die Seitenteile und das Fußende gefunden, alles bis auf einen Lattenrost, aber wir haben genug gute Holzleisten in der Scheune oben." Raven scheint von den Drachen so berührt, wie er und nach dem sie die Schnitzerei im gelben Schein der Laterne begutachtet hat, muss sie sich auf der Stelle auch den Rest der dazu passenden Stücke ansehen.

Caewlin zeigt sie ihr und sie finden heraus - und zwar dadurch, dass Raven unbedarft einfach hineinkrabbelt - dass sich der Schrank tatsächlich auseinandernehmen lässt. Caewlin holt Pyp, Rykar und eine Werkzeugkiste herauf, und mit vereinten Kräften zerlegen sie das hölzerne Ungetüm in Seitenteile, Rückwand, Oberteil und Sockel, und schaffen dann alles hinunter in das leere Schlafgemach. Bei der Gelegenheit trägt Caewlin mit seinem Knecht auch gleich den Badezuber hinaus und die Treppe hinunter, wo er einstweilen im nördlichen Erkerzimmer einen Platz findet. Dalla, die mit Runa im Schlepptau einfach nachsehen kommen muss, was auf dem Speicher vor sich geht, bekommt wie prophezeit einen Anfall angesichts all des Staubes, Mäusedrecks und der Spinnweben, und kann nur mit Mühe davon abgehalten werden, sofort mit einer Putzorgie zu beginnen. Die Frauen - Bethel würde auf der Speicherstiege wohl schlicht stecken bleiben und ist als einzige in ihrem ebenerdigen Reich geblieben -, schaffen die Pelze und den Wandteppich nach unten auf die Veranda, wo die Mägde sich darum kümmern, alles auszuklopfen, zu reinigen und zu lüften. Raven dagegen kehrt, bewaffnet mit zwei Eimern heißen Wassers, einer Wurzelbürste und ein paar Lappen, zurück, um sämtliche Kommoden, Truhen und Holzteile, die Caewlin, Pyp und Rykar  ihr ins Schlafgemach tragen, vom Staub zu befreien, sauber zu schrubben und abzureiben, ehe sie alles an seinen Platz stellen oder wieder zusammenbauen dürfen. Rykar eilt mit der Werkzeugkiste und einem Zollstock durch das wirre Sammelsurium von Möbeln und Pyp rennt ihm mit Hammer und Nägeln hinterher, während Caewlin die sperrigen Schrankteile hält und ausrichtet. Mittendrin taucht Brynden auf, gefolgt von zwei nicht minder neugierigen Hunden. Raven scheucht Stelze und Akira allerdings wieder vor die Tür und heißt sie, gefälligst ihre pelzigen Hintern aus den Putzeimern und Nägelschachteln zu nehmen - das Schlafgemach ist zwar wirklich geräumig, aber angefüllt mit einem Durcheinander aus zwei Männern und einem Mogbarjungen, Werkzeug, Holzteilen und herumstehenden Möbelstücken ist es auch ohne die beiden riesigen Hunde schon unübersichtlich genug. Es dauert Stunden, bis sie wieder so etwas wie Ordnung in das Chaos gebracht haben, aber als die Sonne sinkt und Dalla sie zum Essen ruft, steht beinahe alles an seinem Platz. Das Bett - mit einem neuen Lattenrost aus glattgehobelten Holzleisten -, ist aufgebaut und steht mittig an der rechten Längswand. Da es die gleichen Maße hat, wie das Bett im Gästezimmer, schaffen sie die Matratze von dort herüber, so dass sie hier schlafen können - eine zweite würden sie erst anfertigen lassen müssen. Der Schrank ist ebenfalls wieder zusammengesetzt und hat seinen Platz gleich rechts neben dem Eingang gefunden, die beiden Kommoden flankieren die Tür zu Bryndens Zimmer hinüber, und die Truhenbank mit ihren kunstvollen Eisenbeschlägen steht unter dem Fenster. Alles in allem ist der Raum zwar noch ein wenig kahl, aber ansonsten fertig eingerichtet und weder Caewlin, noch Raven können sich recht davon losreißen, auch als das Nachtmahl fertig ist... erst recht nicht Brynden, der wild auf der nackten Matratze herumhopst und den beiden geschnitzten Drachen im Betthaupt schon so alberne Namen verpasst hat, wie denen unten am Kamin.

"Hmpf. Du bist ein Naseweis, mein Sohn. Hoffen wir, dass er nie in seinem Leben einem echten Drachen begegnet, dem er Rede und Antwort über "Glupschaug", "Schiefzahn" und "Krummschwanz" wird stehen müssen..."  Caewlin fängt ihn ein, lässt ihn sich kopfüber wie einen Mehlsack über die Schulter baumeln und trägt ihn unter wildem Gekicher und Gequietsche nach unten in die Küche, wo er sich so hungrig wie sie alle über das Essen hermacht - frisches Brot, einen Zwiebelkuchen, kaltes Hühnchen, Räucherschinken, eingelegtes Gemüse, würzigen Schafskäse, gesalzene Butter, Quark und frische Pfirsiche. Während des gesamten Essens zetert Dalla völlig zerknirscht über den Dreck auf dem Speicher, den sie offenbar als persönlichen Affront betrachtet. Außerdem verteidigt sie sich wortreich - sie habe ja keine Ahnung gehabt, von all der Unordnung dort oben und - hier schwirrt ihr Blick fragend zwischen Raven und Caewlin hin und her -, wenn morgen nichts anderes anstünde, dann würde sie sich sofort darum kümmern, dass dort schleunigst ordentlich sauber gemacht werde. Runa blickt schicksalsergeben drein, ebenso wie Pyp, die beide ahnen, dass sie ebenfalls zum Dienst mit Scheuerlappen und Putzeimern würden antreten müssen. Caewlin schüttelt den Kopf und leert seinen Krug. "Nej. Meine Frau will morgen in die Stadt, um in ihrem alten Haus nach dem rechten zu sehen und dort auszuräumen. Ich hole sie am Abend mit dem Wagen. Pyp brauchen Rykar und ich allerdings im Stall oben, wir bekommen eine Fuhre Heu," er wirft dem blonden Elend neben dem Mogbarjungen, dessen Gesicht sich bei den Worten "Stall" und "Heu aufladen"  augenblicklich erhellt, einen aufmunternden Blick zu, aber Runa vergräbt nur ihre Nase in ihrem Teller. Dalla bedenkt ihren Sprössling mit einem strengen Schnauben und tätschelt dem Mädchen dann den Arm, wobei sie allerhand treffende Bemerkungen über ihren Erzfeind, den Schmutz, zum Besten gibt. Sie klingt dabei so schwärmerisch, als habe sie vor, Runa auf eine ausgelassene Feier zu schleppen, anstatt auf einen verstaubten Dachboden, und Caewlin, Raven und Ryk mit seinem langen Pferdegesicht, brechen mit Unschuldsmienen in simultane Hustenanfälle aus, um nicht laut zu lachen. Nach dem Essen wartet noch ein inzwischen gründlich ausgeklopfter, in heißem Dampf gereinigter und ausgelüfteter Wandteppich darauf, aufgehängt zu werden, und es stellt sich heraus, dass die seltsamen, schmiedeeisernen Halterungen ziemlich hoch in der rechten Hallenwand, von denen Caewlin bisher nie gewusst hatte, wofür sie eigentlich gut sein sollen, einen durchaus berechtigten Daseinszweck haben. So wie es aussieht, sind sie für nichts anderes als den Teppich dort angebracht, denn die Stange mit ihren blätterförmigen Bronzeenden, auf  den Raven und Rykar ihn inzwischen mit vereinten Kräften geschoben haben, passt hinein wie angegossen. Caewlin zieht sich seinen alten Lehnstuhl vom Kamin heran, hebt den schweren Seidenteppich an seinen Platz und richtet ihn dann nach Ravens Anweisungen aus, bis sie zufrieden nickt. Der Gobelin ist wunderschön und der Raum wirkt nicht mehr halb so leer, wie ohne ihn, obwohl noch immer kein einziges Möbelstück darin steht. Brynden zwischen sich betrachten sie ihn eine lange Weile ohne ein einziges Wort zu sagen und fühlen sich wahrscheinlich beide geradezu albern zufrieden mit sich. "Du hattest Recht, er macht sich wirklich gut hier. Komm, Raven. Ich brauche ein Bad und du auch, und du, mein Freund," er hebt Brynden hoch, "erst recht. Du hast immer noch Pfirsichquark im Gesicht. Von einem Ohr zum anderen - und in den Haaren auch."

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Raven am 06. Sept. 2005, 00:10 Uhr
Wie verzaubert hängen Ravens Augen an dem Gobelin, der nun, dank Dallas und Runas tatkräftiger Hilfe ausgebürstet und gereinigt, einen Teil der rechten Hallenwand bedeckt und den riesigen, leeren Raum völlig verwandelt. Staub und Patina sind von der Oberfläche des Teppichs verschwunden und haben darunter leuchtende Farben zum Vorschein gebracht, die im warmen Licht des Kaminfeuers funkeln und ihnen uralte Geschichten zu erzählen scheinen. Trotz der fehlenden Möbel sieht die gewaltige Halle nun gar nicht mehr so leer aus wie noch vor wenigen Augenblicken und Raven verspürt ein seltsam warmes und heimeliges Gefühl in ihrem Inneren, als ihr Blick sich von dem Wandbehang löst, über Bryndens silberhellen Haarschopf und dann drei Stockwerke hoch zu Caewlins Gesicht wandert. Es hat weniger mit dem riesigen Teppich an der Wand vor ihnen zu tun, als mit der Tatsache, dass sie in dem Haus, das ihr nach wie vor noch ein bisschen fremd ist, zum ersten Mal etwas gemeinsam geschaffen haben. Den halben Nachmittag waren sie auf dem staubigen Speicher herumgekrabbelt, hatten gerackert und geschuftet, Kisten geschleppt, Möbel zerlegt und in einem halsbrecherischen Balanceakt die steilen Stiegen heruntergeschafft, Pelze ausgeschüttelt, Schubladen ausgewischt und altes Holz aufpoliert. Während Caewlin mit Rykar und Pyp im Schlafgemach oben versucht hatte, den riesigen Schrank, das Bett und die übrigen Teile wieder zusammenzubauen, war sie den völlig verstaubten Truhen und Laden mit Wurzelbürste und Seifenlauge zu Leibe gerückt, hatte zusammen mit Runa den Berg an Fellen heruntergezerrt, wo sie sie draußen hinter der Spülküche ausgeklopft und über dampfende Kessel gehängt hatten, hatte unterdessen einen quicklebendigen Brynden und zwei schrecklich neugierige Hunde zu beschäftigen versucht und die Männer mit ihren Möbel-Rück- und Rutschkommandos, die sie im Vorbeisausen immer wieder zwischen Tür und Angel abgegeben hatte, nahezu in den Wahnsinn getrieben. Dalla hatte unablässig vor sich hin gezetert und gequietscht wie ein aufgeregtes, kleines Nagetier, weil sie sich über die Unordnung und all den Schmutz im Dachboden gar nicht wieder hatte beruhigen können. Jedes einzelne Staubkorn im Haus scheint sie als persönliche Beleidigung aufzufassen, von Spinnweben oder Mäusedreck, die einem Weltuntergang gleichzukommen scheinen, ganz zu schweigen. Am liebsten hätte sie sich sofort mit Besen und kübelweise Seifenschaum über den Speicher hergemacht und sie hatten mit Engelszungen predigen müssen, ihr das wieder auszureden und auf den morgigen Tag zu verschieben. Raven hatte versprochen, ihr zu helfen, wenn sie am Nachmittag aus dem Häuschen wieder zurück wäre, und all das unnütze Gerümpel, das wirklich nicht mehr gebraucht wurde, zum Stall hinüber zu schaffen, wo sie es zu Kleinholz verarbeiten können. Nach dem Nachtmahl hatte Caewlin dann noch den Wandteppich auf seiner Halterung an der Hallenwand angebracht und nun betrachten sie völlig erschöpft, aber zufrieden ihr Werk - mit Spinnweben in den Haaren, die Hemden, Hosen und Gesichter grau vor Staub und lahmen Armen vom Schrubben und Schleppen.

>Komm, Raven. Ich brauche ein Bad und du auch<, hört sie Caewlins Stimme neben sich, die sie aus ihren Träumereien und aus der Betrachtung des Teppichs reißt, >und du, mein Freund, erst recht. Du hast immer noch Pfirsichquark im Gesicht. Von einem Ohr zum anderen - und in den Haaren auch.< Nach einem Blick auf Brynden muss Raven ihm uneingeschränkt recht geben. Der Kleine hat es wirklich geschafft, den Inhalt der Quarkschüssel mit bewundernswerter Gleichmäßigkeit über Gesicht und Haare zu verteilen und sieht aus, als hätte ihn jemand in einen Gipseimer getunkt. Als er plötzlich alle Augen auf sich gerichtet sieht, verzieht Brynden das Gesicht zu einem verlegenen Grinsen, wobei der inzwischen getrocknete Quark auf Kinn und Backen wie Mauerputz von seiner Haut abbröckelt. "Glaubst du, ein Bad hilft da noch was?" kichert sie und verdreht in gespielter Verzweiflung die Augen. "Vielleicht sollten wie es lieber mit Hammer und Meißel probieren." Der Verführung eines heißen Badezubers nach dem anstrengenden und vor allem staubigen Tag kann Raven jedoch beim besten Willen nicht widerstehen und so tragen sie mit vereinten Kräften etliche Kübel Wasser von der Küche in das Erkerzimmer im Norden, in dem der Zuber vorübergehend einen Platz gefunden hat. Mit jedem gefüllten Wassereimer, den sie ächzend durch die Halle und den Flur schleppt, erscheint ihr Caewlins Vorschlag, ein richtiges Bad im Haus einzubauen, immer verlockender. "War das mit dem Badezimmer ernst gemeint?" fragt sie hoffnungsvoll, als sie sich aus den staub- und dreckverkrusteten Kleidern pellt und zu ihren beiden Nordmännern in den dampfenden Zuber steigt. "Ich verstehe nicht viel von solchen Sachen und weiß nicht, wie aufwendig so etwas ist und was es kostet, aber vielleicht ist es irgendwie machbar. Mylord, wäre es Euch möglich, Eure Füße ein wenig einzuziehen, damit auch Euer holdes Weib einen Platz in dieser Wanne findet?" Sie grinst auf Caewlins Zehen hinunter, die aus dem aufgetürmten Seifenschaumgebirge lugen und lässt sich zu den beiden in das heiße, duftende Wasser sinken. Der mit glänzendem Kupfer ausgeschlagene Zuber hat gewaltige Ausmaße und ist so groß, dass sogar Caewlin sich darin bequem ausstrecken kann, so dass sie auch zu dritt ohne Schwierigkeiten hineinpassen. Dalla hat sich ein weiteres Mal als hilfreicher Hausgeist entpuppt, das Feuer im Kamin entfacht, ihnen einen Stapel weicher Leder- und Leintücher zum Abtrocknen auf eines der Fensterbretter gelegt, und dafür gesorgt, dass ein Schemel neben der Wanne bereitsteht, auf dem sie Badeöl und Seife, Schwämme und weiche Bürsten finden. Aus einem ernsthaften und vor allem gesitteten Bad wird jedoch nicht viel, weil sie einen kleinen, krakeelenden, herumplanschenden Quälgeist namens Brynden zwischen sich haben, der alles andere im Sinn hat, nur nicht, sich den Quark aus den Haaren waschen zu lassen. Allerdings beschleicht Raven der Verdacht, dass das Bad vermutlich noch viel weniger gesittet wäre, wenn sie ihn nicht zwischen sich hätten und bei dem Gedanken daran kann sie spüren, dass ihre Ohrspitzen schon wieder eine sehr verdächtige Färbung annehmen.

Sie bleiben lange in dem Zuber, so lange, dass sie zweimal in der Küche heißes Wasser nachschöpfen müssen und ihre Zehen und Finger sich anfühlen, als wären ihnen Schwimmhäute gewachsen. Sie verwandeln sich allesamt in Schaummonster, setzen den halben Nordflügel unter Wasser, kleben sich Schnurrbärte aus duftendem Seifenschaum an, schrubben sich gegenseitig den Rücken und die Haare und kichern über Bryndens kindlichen Forscherdrang und seine hingebungsvolle Experimente zum Thema Schwerkraft, Fliehkraft, Wasserverdrängung und elterliche Strapazierfähigkeit: Fliegt ein vollgesogener Schwamm? Und wenn er fliegt, wie weit fliegt er? Kann ich damit die gegenüberliegende Wand treffen? Oder Ravens Gesicht? Und wie sieht er auf Papas Kopf aus? Als sie sich müde gealbert haben, liegen sie noch eine Weile faul im Zuber herum und unterhalten sich leise, bis sich irgendwann über Bryndens Kopf hinweg ihre Blicke treffen. Der Widerschein des Kaminfeuers schillert in den Wasserpfützen auf den Bodendielen, lässt Funken über die letzten Reste Badeschaum tanzen und schimmert golden auf Caewlins nasser Haut. Wassertropfen rinnen aus seinem Haar, an seinem Hals hinab, sammeln sich einen flüchtigen Moment in der sanften Mulde zwischen den Schlüsselbeinen, um dann wie glitzernde kleine Perlen weiter über die Wölbungen kräftiger Muskeln zu rieseln. Wie gebannt starrt Raven auf seine Schultern, auf das flache Waschbrett seines Bauchs, die schlanken Hüften, die sehnigen Muskeln der Beine, und ihre Kehle fühlt sich auf einmal so trocken an wie das azurianische Treibsandmeer. Plötzlich hat sie es ziemlich eilig, aus dem Wasser zu kommen. "Raus aus der Wanne", fordert sie und kann nicht verhindern, dass ihre Stimme ein klein wenig atemlos klingt. "Brynden muss ins Bett. Und ich auch. Und zwar sofort." Das Ausleeren der Wanne überlassen sie in diesem Fall ohne schlechtes Gewissen den Mägden - wie war das noch mit diesen dekadenten Luxus-Normanderinnen? - und wickeln sich nur schnell in die bereitgelegten Tücher, um den ohnehin schon fast weggedösten Brynden nach oben in sein Kinderzimmer zu verfrachten, ihm eine frische Windel zu verpassen, ins Bett zu stecken und sich dann auf kürzestem Weg und eine Spur feuchter Fußabdrücke hinterlassend in das Schlafgemach zu verkrümeln

Über Nacht lässt der Regen nach, der die letzten Tage unablässig auf die Stadt niedergeprasselt war, und als Raven erwacht, schiebt sich tatsächlich gerade die Sonne durch eine aufgerissene Wolkendecke über dem Ildorel empor und schickt ihre ersten zaghaften Strahlen in das Zimmer. Blinzelnd richtet sie den Blick auf die mächtige Balkendecke über sich und schaut sich schlaftrunken im Zimmer um, das ihr im ersten Moment gänzlich unbekannt vorkommt, bis ihr wieder einfällt, wo sie ist und wie sie dort hingekommen ist. Schlafgemach, dämmert es ihr allmählich. Du bist in deinem neuen Schlafgemach. Und du schläfst im allerschönsten Bett überhaupt. Gähnend rollt sie sich auf den Bauch, pustet sich eine zerzauste Haarsträhne aus der Stirn und betrachtet das breite, wuchtige Betthaupt über sich, das gestern noch verstaubt und vergessen in einem entlegenen Winkel des Dachbodens vor sich hin geträumt hatte. Als Caewlin es aus seinem Versteck gezerrt und ihr gezeigt hatte, war es auf der Stelle um sie geschehen gewesen und sie hatte das Bett nur sprachlos vor Überraschung anstarren können. Es ist einfach märchenhaft schön und ein Lächeln schimmert in ihren Mundwinkeln, als ihr Blick über die beiden geschnitzten Drachenleiber gleitet, die nun jede Nacht während ihres Hochzeitsfluges über ihnen wachen werden. Schielauge und Wolkenhüpfer, fallen ihr kichernd die Namen ein, die Brynden ihnen gegeben hat. Was für nette Bettgenossen. Sie rollt sich zu Caewlin herum, der neben ihr noch in seligem Tiefschlaf liegt, stützt sich auf den Ellbogen und betrachtet lange Zeit still sein Gesicht, auf dem sanft die Morgensonne schimmert. Sie streckt die Hand aus und streicht ihm eine glänzend kastanienbraune Haarsträhne aus der Stirn. Sein warmer Atem streift ihre Finger, als sie die Handfläche weich auf die lange Narbe auf seiner Wange legt. "Hier ist mein Zuhause", sagt sie leise und bettet ihren Kopf auf seine Brust. "Du bist mein Zuhause. Und ich liebe dich, Caewlin von Sturmende."

Sie ist schon fast wieder am Eindösen, als die Geräusche des erwachenden Hauses an ihr Ohr dringen. Geschirrgeklapper aus der Küche, Rykars Stimme, der Pyp draußen bei den Ställen offenbar gerade irgendwelche Instruktionen um die Ohren haut, das Quietschen eines Tores und dann das Rumpeln eines Fuhrwerkes im Hof. Argh, das wird die Ladung Heu sein, die heute kommen soll, fällt es Raven siedend heiß ein. Götter, wie lange haben wir denn geschlafen? "Caewlin", murmelt sie und fährt mit einem Ruck hoch, "wir müssen aufstehen." Dann runzelt sie die Stirn, weil sie merkt, dass nicht nur sie mit einem Ruck hochfährt, sondern auch ihr Mageninhalt. Zwei Herzschläge später galoppiert sie mit wehendem Nachthemd zur Tür hinaus und die Treppe hinunter, quer durch die Halle und die Küche, vorbei an einer verwirrt dreinschauenden Bethel, und stürzt durch die Spülküche hinaus in Richtung Abtritt. Als sie kurze Zeit später wieder zurückkehrt, fühlt sie sich zwar ein wenig wacklig auf den Beinen und ist ziemlich blass um die Nase, aber es geht ihr schon weitaus besser, so dass sie Bethel, der sie in der Spülküche begegnet, jetzt zumindest ein genuscheltes "Morgen" zukommen lassen kann. Betreten drückt sie sich an Caewlin und Brynden vorbei, die beide schon am Frühstückstisch sitzen, murmelt etwas von "schnell waschen und anziehen" und verschwindet hastig nach oben. Du solltest abends nicht so viel futtern, schimpft sie sich, während sie sich hastig in Hemd und Hose zwängt und sich eine Handvoll kaltes Wasser aus dem Waschgeschirr, das ein guter Geist auf eine der Kommoden im Schlafgemach gestellt hatte, ins Gesicht klatscht. Nachdem sie sich in aller Eile noch die Zähne geschrubbt hat, schnürt sie das dicke, zerzauste Haar im Nacken mit einem Lederriemen zusammen und steuert zum zweiten Mal an diesem Morgen die Küche an, diesmal allerdings etwas gemächlicher. Viel Zeit für ein Frühstück bleibt jedoch nicht, denn das Rumpeln, das sie vorhin gehört hatte, ist tatsächlich der Heuwagen gewesen, der nun bei den Ställen auf das Abladen wartet. "Kommst du mich abholen, wenn ihr hier fertig seid?" fragt sie Caewlin, der neben ihr gerade den letzten Rest Cofea austrinkt. "Dann werde ich mich auch gleich auf den Weg machen."

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Caewlin am 08. Sept. 2005, 00:10 Uhr
"Natürlich," erwidert er leise auf Ravens Frage, ob das mit dem Bad ernst gemeint war, während er Brynden das Gesicht wäscht und sie sich entkleidet. Sein Sohn hat die Augen gerade fest zusammengekniffen, reckt aber tapfer das Näschen in die Höhe und lässt sich sogar ohne lautes Protestgeschrei hinter den Ohren waschen. >Ich verstehe nicht viel von solchen Sachen und weiß nicht, wie aufwendig so etwas ist und was es kostet, aber vielleicht ist es irgendwie machbar. Mylord, wäre es Euch möglich, Eure Füße ein wenig einzuziehen, damit auch Euer holdes Weib einen Platz in dieser Wanne findet?<  Caewlin zuckt grinsend mit den Schultern, macht ihr Platz und schöpft Brynden dann mit der hohlen Hand Wasser über den Kopf, um ihm die Seife abzuspülen. "Es ist bestimmt machbar und was es kostet, soll mir vollkommen gleich..." er blickt auf, gerade als Raven ihr Haar löst, mit beiden Händen hineinfährt, und es sich dann wie dunkle Seidenschleier über den Rücken fallen lässt. Einen Moment lang klebt ihm die Zunge am Gaumen und er atmet hörbar ein "...sein." Caewlin war mit nichts als den ehrenhaftesten Absichten, seinen Sohn von den Pfirsichquarkspuren zu befreien und dann selbst sauber zu werden in die Wanne gestiegen, aber im Augenblick wünscht er Brynden, der glucksend zwischen duftenden Schaumbergen sitzt, nur noch nach oben in sein Bettchen und dort in sofortigen Tiefschlaf. Der Schein des Feuers im Kamin füllt den ganzen leeren Raum mit flackernden Schatten und rotem Glühen, und der Anblick seiner nackten Frau in diesem Licht reicht aus, um Caewlin schlagartig jeden weiteren Gedanken an einen quietschenden Zweijährigen in der Wanne und die eigene Sauberkeit vergessen zu lassen. "Bist du verrückt geworden, Raven?" Erkundigt er sich im Plauderton, während sie zu ihnen in den mit Kupfer ausgeschlagenen Zuber steigt und sich dann mit einem leisen Seufzen ins heiße Wasser setzt. "Ein Bad war ausgemacht... aber nichts davon, dass du dich nackt und nass im Feuerschein räkeln würdest."
Sie räkele sich überhaupt nicht, wird ihm beschieden, aber er könnte schwören, ihre Ohren glühen schon wieder rosa und ihr Lächeln über Bryndens Kopf hinweg gilt nur ihm, während sie die Arme ausbreitet und den Kleinen auffängt, der sich begeistert - und sauber - sofort auf sein neues Opfer stürzt.

Ihr gemeinsames Bad ist eine amüsante, wenn auch mit einem quietschenden, überdrehten Knirps in der Wanne ganz schön anstrengende Angelegenheit. Caewlin lehnt sich zurück und beobachtet mit einem warmen halben Lächeln, wie Raven und sein naseweiser Sohn eine Seifenschaumschlacht nach der anderen veranstalten, sich gegenseitig alberne Schaummützen formen oder glitzernde Bärte ankleben und schreitet erst ein, als Brynden Anstalten macht, Schwammweitwerfen auszuprobieren. "Nein, Dreikäsehoch, das tust du nicht! Dalla versohlt dir deinen kleinen Hintern, wenn sie wegen dir alle Fenster putzen darf." Er nimmt seinem Sohn den vollgesogenen Schwamm ab, und Brynden, der ihn unter nassen, silberblonden Haarsträhnen hervor bitterböse und mit zitterndem Kinn anfunkelt, kuschelt sich schmollend an Raven. Über seinen Kopf hinweg tauschen sie ein Lächeln. Einen Moment lang ruhen ihre Augen auf ihm, dunkel und voller Verlangen und Caewlin atmet hörbar ein. >Raus aus der Wanne. Brynden muss ins Bett. Und ich auch. Und zwar sofort.< Er legt den Kopf in den Nacken und lacht, aber als er ihrem Blick wieder begegnet, hat er es so eilig wie sie aus dem Zuber zu kommen. Sie brauchen schätzungsweise fünf Minuten, um den - zu ihrem Glück längst gähnenden - Brynden nach oben zu bringen, ihn abzutrocknen, ihm eine frische Windel zu verpassen, sein Schlafkittelchen anzuziehen, sein Stoffhäschen in den Arm zu drücken und ihn ins Bett zu stecken, und selbst die kommen Caewlin wie eine Ewigkeit vor. Keine zehn Herzschläge später finden sie sich prustend vor Lachen über ihre Hast sich gegenseitig die nassen Handtücher vom Leib zu zerren und gleichzeitig halb wahnsinnig vor Verlangen in ihrem Bett wieder. Er muss sie haben, jetzt, alles von ihr, jeden Nerv, jeden Muskel, alle ihre Sinne, ihr Inneres, ihre weiche, noch vom Bad erhitzte Haut, ihr seidiges Haar, ihr kostbares Leben, ihr atemloses Lachen und ihr singendes Blut, ihre tröstliche Wärme und die berauschende Süße, die sie ihm schenkt. Sie lieben sich schweigend, drängend, gründlich und fast rücksichtslos, als könnten sie beide jetzt weder sanft, noch behutsam sein. Sie brennen miteinander, flammen auf und vergehen in tausend Funken, Rauch und Asche, bis nur ihr Inneres zurückbleibt und eins ist, ein Herzschlag und ein Fleisch. Selbst ihr Schatten an der Wand ist zu einem einzigen Wesen verschmolzen, das ohne den anderen nichts ist und nicht sein kann, und jeder klare Gedanke und alles Bewusstsein ist ausgelöscht, als sie in die sanfte Dunkelheit davonsinken.

Irgendwann sehr viel später und tief in der Nacht wacht Caewlin auf und weiß eigentlich nicht, was ihn geweckt hat. Der Mond scheint hell und silbrig durch die bleigefassten Scheiben von Laubentür und Fenster, sein Licht fällt voll auf die Kissen und Raven neben ihm atmet tief und gleichmäßig. Einen Moment lang lauscht er, aber auch aus Bryndens Zimmer dringt kein Laut und die Hunde träumen friedlich auf  den weichen Lammfellen, die Dalla ihnen hingelegt hatte. Die weiche, dünne Sommerdecke ist über Ravens Schultern bis zur Taille gerutscht und er streckt die Hand aus, hüllt sie wieder darin ein, zieht sie an sich und schmiegt sich dann an ihren Rücken. Sie murmelt etwas im Schlaf, räkelt sich und drängt sich an ihn, bis ihr Kopf unter seinem Kinn liegt und ihre Beine rettungslos mit seinen verheddert sind, aber sie wacht nicht auf. Caewlin schließt die Augen wieder, aber seine Gedanken wandern weiter, träge und unzusammenhängend und immer am Rand verworrener Traumbilder entlang, ohne dass er sie wirklich zu fassen bekäme oder bewusst verfolgen könnte. Schläfrig tastet seine Hand sich vor, streicht über ihre weiche Haut, schiebt sich unter sie, um sie ganz in seinem Arm zu bergen und umfasst ihre Brust. Schon halb im Einschlafen lächelt er. Sie hatte zugenommen und das nicht zu knapp. Sein Lächeln wird breiter, als sich daran erinnert, was sie alles allein gestern zum Morgenmahl verschlungen hatte, ausgehungert wie ein Wolf nach einem langen harten Winter. Ja, aber ich kann immer noch jede einzelne Rippe spüren. Da hat sie kein Gramm... Plötzlich ist er wach, hellwach sogar, richtet sich halb auf, starrt auf ihr schlafendes Gesicht hinunter und spürt, wie ein leiser Schauer seine Schultern und Arme mit Gänsehaut überzieht. All die kleinen Hinweise, die er halb gesehen, halb gespürt, aber nie zu einem logischen Gedanken zusammengefügt und denen er einfach keine Bedeutung beigemessen hatte, drängen sich ihm jetzt auf. Ihr Strahlen, als brenne in ihrem Inneren eine warme, kleine Flamme, das er in seiner unverfrorenen Eitelkeit einfach sich zugeschrieben hatte. Ihre Brüste sind so rund und voll, und so empfindsam, dass sie fast in seinen Mund geschrieen hatte, als sie sich geliebt hatten, ihre Hüften ein klein wenig geschwungener, ihr Gesichtsausdruck weicher... aber ihre Taille ist so unverändert schmal und ihre Beine so schlank wie immer. Das ist nicht Bethels gute Küche, die anschlägt... Selbst ihr Geruch ist... anders. Götter im Himmel... sie ist... ist sie... aber... wenn... warum... "Raven," er starrt auf seine schlafende Frau hinunter und fragt sich, warum sie ihm kein Sterbenswort davon gesagt hat.

Nein, sei kein Narr. Und sei nicht so unglaublich selbstgefällig. Sie ist seit gerade vier Monden deine Frau und du hast nichts besseres zu tun, als dich im Gedanken zu sonnen, sie trage jetzt schon dein Kind. Das kann nicht... Sie hätte es dir gesagt, wenn es so wäre. Sieh dir nur an, wie sie mit Brynden umgeht, warum sollte sie dir ein Kind verheimlichen? Gut, sie hatten nie über Kinder gesprochen, aber für ihn hatte sich die Frage, ob er noch mehr Kinder will auch nie gestellt - höchstens, wie viele. Und für sie ja wohl auch nicht. Kinder waren schließlich die logische Folge von soviel Liebe - und sie hatten sich unermüdlich geliebt und nie irgendwelche Vorkehrungen gegen eine Schwangerschaft getroffen. Er hatte ihr Schweigen dazu einfach als... als stilles Einverständnis genommen. Und was, wenn du dich täuschst? Möglich aber... heute morgen war ihr übel. Und sie sieht schwanger aus, verdammt noch mal! Er lässt sich rücklings in die Kissen zurückfallen und fährt sich mit der Hand über die Augen. Raven dreht sich prompt um, schmiegt sich an ihn und bettet mit einem leisen, maunzenden Laut ihren Kopf an seine Schulter. Und was... wenn doch? Caewlin liegt im Dunkeln wach, spürt sein Herz schmerzhaft schneller schlagen und ist gleichzeitig von nagender Ungewissheit und vage aufkeimender, fassungsloser Freude erfüllt. Hör auf... hör auf, bei allen neun Höllen, du wirst nur maßlos enttäuscht sein, wenn es nicht so ist. Trotzdem tastet seine Hand über ihren Bauch und er fächert seine Finger auf, als könne er damit jede noch so kleine Schwingung wahrnehmen, die sich möglicherweise ...Nur vielleicht! Vielleicht... unter der schützenden Hülle ihrer Haut verbergen mag. Auf den Gedanken, dass sie ihm nichts gesagt hat, weil sie selbst schlicht nicht weiß, wie es um sie steht, kommt er nicht einmal. Er weiß nicht, wie lange er noch wachliegt und über dieses kleine Vielleicht nachgrübelt, das ihn einfach nicht mehr loslassen will, aber irgendwann muss er eingeschlafen sein, denn das erste, was er bewusst wahrnimmt, ist eine abrupte Bewegung neben sich und Ravens drängende Stimme. >Caewlin! Wir müssen aufstehen!< Er blinzelt verschlafen in helles Tageslicht. Von unten dringen die Geräusche eines offenbar längst wachen Hauses an sein Ohr, von draußen - leiser, aber ebenso penetrant - das Knirschen schwerer Wagenräder auf Pflastersteinen. Pyp. Rykar. Heu... verdammt, wie spät ist es? Er setzt sich auf und schüttelt sich wie ein nasser Hund - und im selben Moment stürzt Raven an ihm vorbei, hastet um das Bett herum und aus dem Raum, eine Hand vor dem Mund, eine auf ihrem rebellierenden Magen. Das letzte, was er sieht, ist ihr bleiches Gesicht und die verwirrt aufgerissenen Augen. Er hört ihre nackten Füße über die Bodendielen und die Treppe hinunter hasten und lässt sich in die Kissen zurückfallen. Vergessen ist jedes Heufuhrwerk und dass man am Stall oben wahrscheinlich schon auf ihn wartet. Morgendliche Übelkeit.

Wenn er noch einen letzten Beweis gebraucht hätte, dann ist es der. Caewlin starrt an die Decke mit ihren wuchtigen, mit Schnitzereien verzierten Balken und langsam breitet sich auf seinem Gesicht ein Lächeln aus. Morgendliche Übelkeit. Schwanger. Dann verblasst das zweifellos völlig idiotische Grinsen wieder und er steht auf, gerade als Brynden hereintappt. Sein Sohn hatte offenbar versucht, sich selbst anzukleiden, denn er ist ganz ohne Windel und Schlafkittelchen, dafür aber mit einem Strumpf über dem Ohr und einem windschiefen Hemdchen, das er verkehrt herum anhat und dessen einer Ärmel leer vor seinem kleinen, runden Bauch herumbaumelt. Caewlin unterdrückt ein Lachen, aber seine Gedanken rotieren unablässig um eine Frage, die ihm keine Ruhe mehr lässt: Warum hat das verflixte Frauenzimmer ihm das nicht längst gesagt? Er steckt Brynden richtig in sein Hemd und da Raven sich vermutlich auf dem Abtritt gerade die Seele aus dem Leib spuckt und auch sonst niemand da ist, lässt er ihn einfach ohne Windel laufen. Der Tag verspricht nach all dem Regen der letzten Wochen ziemlich warm zu werden, also sollte eine einfache Hose genügen und vielleicht wäre Brynden ja einem Nachttopf gegenüber gar nicht so abgeneigt. Einen Versuch ist es allemal wert. "Die Windel lassen wir heute weg. Du bist schon ein so großer Junge, dass du es ruhig mit einem Topf versuchen kannst. Wenn du musst, sagst du Bescheid, klar?" Brynden nickt ganz ernsthaft. "Und wenn dir ein größeres oder kleineres Unglück passiert, dann ist das auch keine Schande. Und wie das Pinkeln im Stehen geht, dass zeigen Pyp, Rykar und ich dir heute schon noch. Du gehst mit uns zum Heumachen." Als sie hinunter in die Küche kommen, wo Dalla ihnen eiligst Haferbrei, gebratene Eier mit Speck und Zwiebeln, einen halben Leib Brot und ein Pfund gesalzene Butter auftischt, kommt Raven gerade durch die Spülküche wieder. Sie ist blass um die Nase und wirkt verlegen, als sie sich hinausdrückt und im Nachthemd zurück nach oben huscht, aber Caewlin hat in diesem Augenblick ohnehin nur Augen für den kurzen, vielsagenden Blick, den Dalla und die dicke Köchin hinter Ravens Rücken tauschen. Selbst Runa, die am Herd steht und einen Kessel Wasser über das Feuer hängt, lächelt versonnen in sich hinein. Verdammt! "Hmpf!" Caewlin kann soviel schnauben, wie er will, es hilft ihm kein Stück weiter. Die Mägde schweigen sich aus, nur ihre Mienen behalten den ungeheuer aufschlussreichen Ausdruck stiller Freude bei, als sie sich synchron wieder ihren Arbeiten zuwenden, als gäbe es plötzlich nichts wichtigeres auf Rohas weitem Rund, als Teewasser, Cofeakannen und Haferbreitöpfe. Aber ihr Mienenspiel kann praktisch auf alles gemünzt sein und Caewlin  wird den Teufel tun und seine Mägde fragen. Weiber!

Rykar kommt durch die Spülküche, bleibt aber in der Tür stehen und sieht nur kurz herein. "M'lord, das Heu..." Caewlin nickt nur und winkt ihn weiter, während Runa ihm Brynden abnimmt. Das Mädchen macht kurz ein überraschtes Gesicht über den windellosen Hintern auf ihrem Arm, aber dann lächelt sie und gurrt seinem Sohn ins Ohr, was er doch schon für ein großer Junge wäre. Beth schnalzt mit der Zunge und verkündet, das würde ja auch Zeit und Brynden genießt die Aufmerksamkeit sichtlich, obwohl Caewlin sich sicher ist, dass der Kleine in Wahrheit keine Ahnung hat, was diese komischen Erwachsenen heute eigentlich alle von ihm wollen, und er bis zum Mittag vermutlich drei frische Hosen brauchen würde. "Ich komme gleich. Ich will nur noch frühstücken und meine Frau verabschieden, fangt schon an..." Er vertilgt in Rekordzeit ein Pfund Brot, die ganze Butter und das halbe Omelett und stopft sich gerade eine Handvoll Haferkekse in die Gürteltasche, als Raven in die Küche kommt, diesmal in Hemd und Hosen. Irgendwie gelingt es ihm sogar, sie unbefangen anzulächeln, aber er sieht ihr so lange und intensiv ins Gesicht, dass sie verwirrt blinzelt. Dann allerdings vergräbt sie ihre Nase in ihrem Cofeabecher - von Übelkeit keine Spur mehr -  und als sie aufblickt, fragt sie nur >Kommst du mich abholen, wenn ihr hier fertig seid?< "Natürlich, min koerlighed." Hast du mir nichts zu sagen? Sie hat nicht, jedenfalls sagt sie keinerlei Dinge wie Oh, gut und ach übrigens, bevor ich es vergesse: ich bin schwanger oder Da gibt es noch etwas, das du wissen solltest... Sie macht auch nicht die geringste Andeutung, sie sieht ihn nicht an, als wüsste sie etwas, das er nicht weiß und sie verliert kein Wort über ihre Übelkeit von vorhin. Er bringt sie noch hinaus und verabschiedet sich auf der Steinterrasse von ihr, doch selbst als er sie hochhebt und küsst, verraten ihre Augen ihm nicht das Geringste. Er sieht ihr nach, bis sie durch die Strandpforte verschwunden ist, vermisst sie schon, als er sich umdreht und sich zum Stall hinauf wendet, wo ein allmächtiger Heuhaufen auf ihn wartet, und ist im Grunde kein bisschen schlauer als in der Nacht.

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Cron am 09. Sept. 2005, 20:15 Uhr
Sie donnern in halsbrecherischem Tempo den Strand hinunter, der trügerisch friedlich und still vor ihnen liegt... hätte nicht eine schwarze Sonne begonnen, mitten über Talyra zu scheinen und dort wie das brodelnde Auge eines Wirbelsturms alles Licht aufzusaugen, um die Welt in düsteres Halbdunkel zu tauchen, die Stadt hätte von dieser Seite, der Seeseite her, absolut alltäglich ausgesehen. Donners raumgreifender Galopp wirbelt weißen Sand in dichten Wolken empor und auch Ninianes kastanienbraune Jagdstute prescht rasend schnell bald neben ihm, bald ein Stück vor ihm dahin. Sie hält Shaerela fest an sich gedrückt, von Kopf bis Fuß in schimmerndes Yalaris gehüllt, mit flammenden Augen und einem Ausdruck in ihrem Gesicht, der ihm einen kalten Schauer nach dem anderen über den Rücken jagt. Cron hatte keine Fragen gestellt, als sie im Baum fast zusammengebrochen war und dann nichts als verworrene Sätze hervorgesprudelt hatte - die widerhallenden Hörner auf den Mauern der nahen Stadt, hatten ihre Worte bestätigt und hätte das noch nicht gereicht, nun, ein Wesen, das stark genug war, die Sonne zu verdunkeln und den Tag zur Nacht zu machen, war wohl etwas, das latente Panik durchaus rechtfertigte. Außerdem ist er lange genug mit ihr verheiratet, um zu wissen, wann es besser ist, ihr einfach zu folgen, ohne Fragen zu stellen oder Erklärungen einzufordern... vor allem, wenn für beides einfach keine Zeit bleibt. Je näher sie dem Seeviertel mit seinen parkähnlichen Gärten und riesigen, alten Anwesen kommen, desto lauter wird das Kreischen und Brüllen hunderter Menschen und anderer Wesen in Todesangst und Schmerzen irgendwo hinter den Mauern der Stadt und sie erreichen die Pforte in der efeuüberwucherten Mauer des Seehauses schließlich, gerade als sich irgendwo in der Nähe des Marktplatzes und der Harfe, jedenfalls schätzt Cron das von der Entfernung her, wirbelnde Flammenwolken zahllose Schritt hoch in den schwarzen Himmel schrauben. Weiter südlich, vielleicht einen Tausendschritt oder mehr entfernt, dort, wo die breite Straße vom Marktplatz zum Seeufer hinabführt, direkt unterhalb von Vinyamar und noch weiter südlich, in der Nähe des Hafens, spucken die östlichen Tore Talyras Trauben schreiender Menschen aus, die wie davonwimmelnde Ameisen aus ihrem Bau flüchten und sich über den Strand ergießen. Niniane hat nicht einmal einen Blick für sie übrig. Sie reicht ihm Shaerela, springt aus dem Sattel und zerrt dann ihr Pferd hinter sich her auf Caewlins Grund und Boden und dort zum Haus hinauf. Vor dem Haus ist das Gesinde des Sturmenders in heller Aufregung, aber die Eingangstür steht sperrangelweit offen. Cron kennt zwei der Frauen, Dalla und die dicke Köchin, von früheren Besuchen bei Caewlin und natürlich auch Rykar, den Knecht und Pyp, schließlich hatte er hier sogar einmal gewohnt, wenn auch nicht lange. Das blasse, blonde Mädchen, das Brynden auf dem Arm hat und aussieht, als könne es jeden Moment in Ohnmacht fallen, muss neu sein.

Dalla starrt sie einen Moment lang an, als hätte sie eine Halluzination, aber dann schießt sie auf ihn zu und schnattert atemlos: "Mylord! Und Lady Niniane, euch schickt der Himmel, allen Göttern sei Dank! Ihr müsst kommen, der Herr... der Herr... " hier nimmt ihre Stimme eine beängstigende Tonlage an, "der Herr ist von Sinnen, er will in die Stadt! Mitten hinein in diesen Höllenschlund, die Herrin.... oh, die arme Herrin ist in ihrem alten Häuschen, dieser Bogenmacherei, sie wollte etwas holen und wir waren alle beim Heu aufladen und dann... die Hörner! Die Finsternis! Und jetzt schreien überall Menschen und alles brennt und der Herr... oh! Oh!" Die dralle Mogbarmagd, die Cron als so resolute Person in Erinnerung hat, ist völlig aufgelöst, aber immerhin kann er ihren Worten entnehmen, dass Raven wohl gerade in diesem Augenblick irgendwo in Talyra sein muss, und damit alles andere, als in Sicherheit ist, und Caewlin zu ihr will. "Dalla, halt den Mund! Wo ist Caewlin denn? Der Herr? Sag schon!" Sie jappst etwas von Waffenkammer und Cron nickt und schneidet ihr mit einer harschen Geste einen möglicherweise folgenden Wortschwall gleich ab. "Ich kümmere mich darum. Und du nimmst dir das blonde Mädchen, das Brynden hat, und bringst sie hinein. Versammelt euch alle in der Küche, na los! Caewlin lasst meine Sorge sein. Meine Frau weiß genau, was zu tun ist, keine Sorge." Niniane scheucht das Gesinde in die Küche und drückt die verwirrte Shaerela kurzerhand der dicken Köchin in die Hände, während er Caewlin sucht. Er findet ihn tatsächlich in dem Zimmer im Südflügel des Hauses, das ihm als Waffenraum dient, wo der Sturmender gerade dabei ist, die Spangen seines Kettenhemdes zu schließen und den Waffengurt mit Morgenstern und Jagddolchen anzulegen. Sein Gesicht ist so ausdruckslos wie immer, aber Cron sieht die Angst in seinen hellen Augen, als er aufblickt und setzt ihn hastig ins Bild. "Ich habe von Dalla schon gehört, dass Raven... Ich habe nicht viel mehr Ahnung als du, aber Nan sagt, es ist ein Dämon und zwar ein starker. Im Augenblick äschert er gerade den Marktplatz ein, so wie es aussieht... hast du ein paar von den Wurfmessern für mich übrig? Danke... und wenn du mich fragst, sind das verdammt große Feuer. Niniane muss dorthin und gnaden die Götter diesem übergeschnappten Dämonen, wenn sie ihn in die Finger bekommt." Caewlin zerrt seinen Waffengurt fest und streckt dann fordernd die Hand aus. Cron braucht sich nicht einmal umzusehen, um zu wissen, was er will und hievt die schwere Lochaberaxt aus ihrer Halterung, um sie ihm zu reichen. "Fertig? Gehen wir. Wir haben Shaerela hergebracht, Caewlin. Nan wird irgendetwas tun, dass die Kinder und das Gesinde hier sicher sind, komm... in der Küche. Nan? Wir sind fertig. Bist du bereit?"

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Niniane am 09. Sept. 2005, 22:35 Uhr
"Tut mir leid, wir haben keine Zeit!" Niniane drückt Shaerela der verdutzt dreinblickenden, matronenhaften Köchin in die fleischigen Arme und schiebt Dalla voran in die Küche, wo sie als erstes von zwei durchgedrehten Hunden in Empfang genommen wird. Sie hat wenig Zeit für eine Begrüßung und auf ein kurzes, scharfes Wort hin, benimmt sich selbst Stelze gesittet in seiner Wiedersehensfreude - die Bluthündin hat ohnehin nur ein Schwanzwedeln für sie übrig. Die Hunde scheinen genau zu spüren, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung ist, denn sie sind unruhig und lauschen immer wieder mit leisem Knurren auf das brüllende Inferno in der Stadt, dass man sogar bis hierher ins Seeviertel und durch die dicken Hausmauern deutlich hört. Ebenso verschreckt sind die Kinder, und das Gesinde ohnehin und Niniane kann es ihnen nicht verdenken. Als sie den Knecht, den Stallburschen, Dalla, das blasse Mädchen und Bethel versammelt hat, hält Niniane ihre in alle Richtungen davonschwirrenden, und sich pausenlos überschlagenden Gedanken eisern im Zaum, ebenso wie ihre solide Panik, ihre Wut und ihre Eile. "Hört zu, ich werde einen Zauber um das Haus legen, so dass euch allen hier drinnen nichts geschehen kann. Ich will, dass ihr hier bleibt, genau hier, und das Haus nicht verlasst, komme was da wolle und wenn um euch her ganz Talyra in Schutt und Asche fällt. Ihr geht erst wieder hinaus, wenn ihr friedlichen Sonnenschein und noch friedlicheres Vogelzwitschern vernehmt, habt ihr mich verstanden?" Fünf Köpfe nicken synchron und fünf Augenpaar vermeiden es tunlichst, ihr ins Gesicht zu sehen. Niniane sieht sich hastig um. "Wasser... ich brauche..." Ihr Blick fällt auf die Tür zur Spülküche und den Rand des gewaltigen Spülsteins, den sie dahinter erhaschen kann. Gut, das ist zwar ungewöhnlich, aber in Anbetracht der Umstände... sie stürzt hinaus und findet in einer Küche wie der der dicken Bethel selbstredend Spülwasser im Becken, obendrein mit der Hälfte des Geschirrs vom Mittag darin, aber darauf kann sie jetzt keine Rücksicht nehmen. Bei allen Himmeln, Cron, wo bleibst du? Sie zerrt aus der Seifenlauge, was sie erwischt, schließt die Augen und intoniert inbrünstig: "Im Namen Shenrahs und aller zwölf Mächte die sind und waren und immer sein werden, ich segne dich, auf dass du rein werdest und den Mächten der Finsternis zu trotzen vermagst." Dann schlägt sie das Zeichen der Götter über milchiger Seifenlauge, deren einziger Kommentar zur plötzlichen Erhabenheit aus einem leisen Blubbern besteht, und hastet in die Küche zurück, wo sie eine Feldflasche und zwei Weinschläuche holt, die sie dann leise vor sich hinfluchend mit der Abspülbrühe füllt. Einen davon drückt sie Dalla in die Hand, die sie ansieht, als sei sie plötzlich völlig übergeschnappt. "Hier. Weihwasser. Und wenn ich ihr wäret, würde ich jetzt nicht mehr abwaschen, sondern mir das im Spülstein lieber für den Notfall aufheben. Wir müssen gehen. Ihr behaltet die Hunde hier, passt auf, dass sie uns nicht nachlaufen. Sobald wir fort sind, verschließt ihr alle Türen und die Fenster und verbarrikadiert euch, bis wir zurück sind oder eure Herrschaften herkommen."

Sie dreht sich um und küsst erst Brynden, dann Shaerela, die ihre kleinen Ärmchen um ihren Hals legt und sie gar nicht mehr loslassen will. "Ich muss gehen, min Lia. Sei ein braves Mädchen und mach den Mägden keinen Kummer. Dein Vater und ich, wir kommen dich bald holen, bald. Ich verspreche es..."
Als wäre das sein Stichwort gewesen, hört sie Cron nach ihr rufen. "Hier, in der Küche. Ich habe Weihwasser..." Sie wendet sich hastig zur Tür in die Halle, das Gesinde hinter sich, und die beiden Männer kommen ihr dort schon entgegen, der eine mitternachtsschwarz, der andere anthrazitgrau, ihre Gesichter Spiegelbilder der Entschlossenheit und eisernen Willens, viel zu stur, um zu sterben, waffenstarrend von Kopf bis Fuß und so einschüchternd, wie siebeneinhalb Fuß große Nordmänner nur sein können. Cron verabschiedet sich von seiner Tochter und Shaerelas Weinen steigert sich zu kreischendem Jaulen, während Niniane Caewlin ansieht. "Raven fehlt nichts," beschwört sie ihn. "Bestimmt nicht. Sie hat sich längst in Sicherheit gebracht, ganz sicher. Du findest sie, ich weiß es." Sie drückt ihm den Weinschlauch mit geweihtem Spülwasser gar nicht erst in die Hand, sondern bindet ihn kurzerhand an seinem Waffengurt fest. "Hier. Gut gegen Dämonen aller Art." Als sie ihm sagt, sie habe das Gesinde angewiesen, das Haus zu verschließen und hier zu bleiben, nickt er nur und in Gedanken scheint er meilenweit fort zu sein. Irgendwie gelingt es ihr sogar, aufmunternd zu lächeln, dann dreht sie sich zu Cron um und steckt ihm die Feldflasche zu. Das Gesinde spritzt auf einen Wink Caewlins hin in alle Richtungen davon, zweifellos um ihre Befehle von eben auszuführen und dann verlassen sie das Haus und seine tröstlichen Mauern und treten in das unnatürliche Dämmerlicht hinaus... auch wenn die überall in der Stadt auflodernden Brände die Dunkelheit inzwischen taghell erleuchten. Hinter ihnen schließt Dalla die Tür und Niniane hört beruhigt, wie sich der Schlüssel im Schloss dreht, einmal, zweimal, dreimal, dann entfernen sich die Schritte der Mogbarmagd, vermutlich auf dem Weg zur nächsten Tür. Caewlin ist anzusehen, dass er nicht mehr länger warten kann und will, dass sie sich ohnehin schon viel zu lange aufgehalten haben und der Sturmender bebt von Kopf bis Fuß wie eine überspannte Bogensehne... Cron sieht keinen Deut besser aus, aber das hier muss dennoch sein, wenn sie die Kinder in Sicherheit wissen will, also wirft Niniane ihnen einen Abbitte leistenden Blick zu, holt zischend ein paar Mal Luft, hebt die Hände zum Himmel, die Handflächen nach oben und ruft mit uralten Worten der Macht eine schimmernde Hülle goldenen Lichts herab, die sich wie ein Mantel aus zarten Feenflügeln vom Dachfirst bis zum Fundament über das Haus senkt, bis es ganz und gar von glänzenden, wirbelnden Schleiern umhüllt scheint. "Heiliger Boden, Caewlin," versichert sie ein wenig atemlos, als sie kurz darauf rennen muss wie Windweiß' persönlich, um mit den beiden auf dem Weg in das heulende Chaos Talyras Schritt zu halten. "Dein Haus zumindest ist sicher."

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Caewlin am 10. Sept. 2005, 16:54 Uhr
Der Morgen auf dem Heuboden vergeht in schweigsamer Stille, nur unterbrochen von Bryndens kleinkindlichen Selbstgesprächen und ab und an einem angestrengten Schnauben, wenn Rykar oder er selbst riesige Heubüschel vom Wagen laden. Caewlin, ohnehin kein redseliger Mann, unterhält sich für gewöhnlich bei solchen Arbeiten mit seinem Knecht, aber heute bleibt jeder von ihnen mit seinen Gedanken allein. Der Heuboden des Stalles ist ein zwei Stockwerke hoher, höhlenartiger Raum, erfüllt von Dämmerlicht und dem süßen, leicht staubigen Geruch nach altem Holz und trockenem Gras, als hätte man den Duft des Sommers eingefangen. In seinem holzverkleideten Ostgiebel ist ein zweiflügeliges Torfenster, damit man größere Mengen Stroh oder Heu nicht über die schmale Holzstiege und die Bodenluke aus dem Stall heraufschaffen muss und darunter steht das Fuhrwerk. Caewlin steht auf einem vier Schritt hoch mit Heu beladenen Leiterwagen, Rykar ist oben und verteilt, was er ihm mit der Heugabel nach oben reicht. Die Arbeit ist mühselig und, was noch schlimmer ist, eintönig. Es gibt nichts, das Können oder Geschick erfordert, nur Heubüschel, Hunderte davon, die mit den langzinkigen Mistforken vom Wagen hochgehievt, nach oben gestemmt und dort weiterverteilt und aufgehäuft werden müssen, und so hängt Caewlin seinen Gedanken nach, ohne weiter auf seine Umgebung zu achten. Der Tag ist warm und sonnig, ganz im Gegensatz zu seinen Vorgängern, und das Hemd klebt ihm schon nach einer Stunde an Brust und Rücken. Sein Verstand kreist unablässig um Raven. Schwanger? Nicht schwanger? Wenn ja... warum sagt sie es ihm nicht, wenn nicht... was ist dann mit ihr? Doch nur das gute Essen und das veränderte Leben? Nein, bei allen Göttern, er weiß genau, wie eine Frau in anderen Umständen aussieht und sie sieht allerdings so aus. Also wieder zurück zur Frage: warum bei allen Neun Höllen schweigt sie davon? Ihm fallen Dutzende von möglichen Antworten ein, angefangen von: sie weiß es einfach nicht, bis hin zu: sie will das Kind nicht, aber keine davon will ihm schmecken. Warte noch ein paar Tage. Debattiert er mit sich selbst und rechnet im Stillen nach. Noch eine Woche etwa und du kannst sicher sein.

Brynden saust um den Wagen des Bauern und die duldsam in ihre Futterbeutel schnaubenden Ochsen, verfolgt von Pyp, der recht erfolglos versucht, ihm die Sache mit dem Wasser lassen beizubringen - ohne Windel war Bryndens Hose nicht einmal eine Stunde trocken geblieben, aber ein größeres Malheur war bisher noch nicht passiert. Am späten Vormittag ist alles aufgeladen, der Bauer ruckelt mit seinen Ochsen davon und Caewlin steigt zu Rykar auf den Heuboden, um dem Knecht bei der Aufschichtung zu helfen, während Runa zum Stall heraufkommt, um ihnen einen Krug Wasser zu bringen und dann Pyp und Brynden zum Essen zu holen. Er hört die junge Magd mit dem Mogbarbengel schimpfen, schnappt aber nur ein paar Wortfetzen auf. "Brynden... nicht solchen Unsinn... schäm dich... wenn das Dalla hört..." Caewlin nimmt einen langen Schluck frischen, kühlen Quellwassers und reicht den Krug dann an Ryk weiter, während er durch das westliche Giebelfenster einen Blick auf den Himmel wirft, der sich endlos blau und tief über ihnen wölbt. "Hält das Wetter?"
Ryks steife Finger eignen sich nicht mehr gut für feine Arbeiten, aber die arthritischen Gelenke sind hervorragende Wettermelder. "Ja, M'lord. Regen nicht vor heute Nacht."
"Gut. Die Kornkammern sind voll, wie ich sehe. Wann will Dalla die Kartoffeln ernten?"
"Wenn das Wetter hält in zwei Wochen, M'lord, aber man kann sie schon hernehmen. Wir haben noch welche vom letzten Jahr im Keller, die verfüttert sie schon seit ein paar Tagen an die Schweine."
"Die sind von den vielen reifen Eicheln fett genug." Caewlins Blick wandert über die Obstbäume um den Stall, in denen gelb und golden Äpfel und Birnen reifen. "Aye, M'lord, aber nur mit Kartoffeln und Milch..."
"... wird der Schinken saftig," beendet Caewlin trocken den Satz seines Knechtes, aber noch bevor er ein weiteres Wort über Schweinemast verlieren kann, schrillt ein ohrenbetäubendes Kreischen über die Stadt, so harsch und hohl, als zersplittere Glas. Ein paar Herzschläge lang ist es totenstill, dann folgt ein donnerndes Krachen, ein Sturm gepeinigter Schreie, der aufsteigt wie eine Schwarm verschreckter Vögel mit blutigen Schwingen, und in sekundenschnelle nimmt der eben noch so klare Himmel die Farbe einer frischen Prellung an.

Über dem Marktplatz erscheint ein Strudel aus Schwärze, der die ganze Stadt in Wolken von Dunkelheit hüllt und dann steigen Feuer und Rauch im Herzen der Stadt auf und die Hörner der Stadtwache blasen laut und anhaltend ihren dreifachen Alarm. Raven! Caewlin starrt einen Herzschlag lang auf den brüllenden Sturm auf Feuer, Rauch und zuckenden Schatten, dann dreht er auf dem Absatz um, wirft die Heugabel fort, rutscht und schliddert die Leiter hinunter und rennt zum Haus. Dass Rykar dicht hinter ihm ist, merkt er erst, als er dem Knecht fast die Gesindetür zur Spülküche ins Gesicht donnert. In der Küche findet er alle versammelt, doch er überlässt es dem keuchenden Knecht, das Gesinde ins Bild zu setzen... über was auch immer... und hastet in seine Waffenkammer. Über der Stadt gellen die Hörner, am Marktplatz steigen Flammenwolken hundert Schritt hoch in den Himmel und eine Welle der Panik und des Entsetzens wogt durch die Stadt, hier in der weitläufigen Abgeschiedenheit seines Anwesens, nur zu hören: das anschwellende, anhaltende Heulen und Kreischen Tausender Stimmen, die sich in Todesangst und Schmerz und Wut erheben  Caewlin hat keine Ahnung, was geschehen sein mag, aber es ist ihm auch vollkommen gleichgültig - alles, woran er denken kann, ist Raven. Gerade, als er fluchend über seine Einhändigkeit mit seinem Schwertgurt kämpft und die Dolche in ihre Scheiden schiebt, taucht plötzlich Cron neben ihm auf... was immer in Talyra passiert ist, es muss Niniane und ihn auf den Plan gerufen haben. Caewlin ist unendlich erleichtert, den Tronjer zu sehen, aber er kann sich jetzt nicht damit aufhalten, viele Worte zu machen. Raven, Raven, Raven hämmert sein Herz und weigert sich stur, auch nur daran zu denken, dass er sie verlieren könnte. >Ich habe von Dalla schon gehört, dass Raven... Ich habe nicht viel mehr Ahnung als du, aber Nan sagt, es ist ein Dämon und zwar ein starker. Im Augenblick äschert er gerade den Marktplatz ein, so wie es aussieht... hast du ein paar von den Wurfmessern für mich übrig? Danke... und wenn du mich fragst, sind das verdammt große Feuer. Niniane muss dorthin und gnaden die Götter diesem übergeschnappten Dämonen, wenn sie ihn in die Finger bekommt.<
"Nimm dir, was immer du brauchst. Ein Dämon? Ich muss erst Raven finden."

Er streckt die Hand aus und Cron reicht ihm wortlos die Axt, die Caewlin sich auf den Rücken schnallt.  Schon im Hinausgehen, fällt sein Blick noch einmal auf die Kurzschwerter an der Wand und er nimmt eines davon mit... er weiß nicht, wo Raven ihren Schwertgurt und ihre Waffen hingeräumt hat, vermutlich liegen sie noch oben bei all ihrem Gepäck, aber er hat nicht die Zeit, jetzt lange danach zu suchen, also würde sie mit einer Ochsenzunge von ihm vorlieb nehmen müssen... wenn sie noch am Leben ist. Hör auf! Sie lebt. Sie lebt. Wenn sie tot wäre, dann wüsstest du es. Kein Gott und kein Schicksal kann so grausam sein, sie dir erst zu geben und dann nach vier Monden wieder fortzureißen... In diesem Augenblick weiß er, dass er sich selbst belügt. Er kennt das Schicksal und die Götter und niemand weiß besser als er, wie grausam sie sein können... aber sich selbst zu belügen ist immer noch erträglicher, als der Wahrheit in die Augen sehen zu müssen. Er hatte einmal alles verloren, seine Liebe, sein Leben, seine Hoffnung - ihren Verlust würde er nicht überleben. Er folgt Cron, hört ihn nach Niniane rufen, sieht die Waldläuferin auftauchen, seine verstörten Mägde, Rykar und Pyp in ihrem Kielwasser, hört sie etwas von Weihwasser und Dämonen und Anweisungen für das Gesinde sagen und bekommt etwas an den Waffengurt gebunden, das verdächtig nach einem Weinschlauch aussieht und nach Seifenlauge stinkt. Er vernimmt ihre zweifellos aufmunternd gemeinten Worte, aber er kann nichts darauf erwidern, nur schlucken und nicken und sich zu eiserner Ruhe zwingen. Nackte Angst hält ihn fest in ihrem Griff und sein Herz schlägt längst wie eine Trommel in seiner Brust. Das einzige, wofür er sich noch Zeit nimmt, ist seinen Sohn kurz und fest an sich zu drücken, und Dalla rau und knapp zu befehlen, alles zu tun, was Niniane ihr aufgetragen hatte - dann steht er in der Tür, als müsse er über glühende Kohlen laufen, dicht gefolgt von Cron. Es scheint ewig zu dauern, bis die Waldläuferin sein Haus mit einem Schutzzauber versehen hat und sie endlich aufbrechen können.

-> Die Straßen der Stadt/Die Bogenmacherei

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Caewlin am 24. Okt. 2005, 18:10 Uhr
Vom Sithechhain zum Seehaus


Das Licht schwindet rasch, als sie auf dem ruckelnden Leiterwagen der Steinfaust den in Rauch und flackernden Feuerschein gehüllten Friedhof hinter sich lassen, und Olyvar mit den Verwundeten in entgegengesetzter Richtung aufbricht. Caewlin sieht den davonholpernden Fuhrwerken der Blaumäntel lange nach, ehe er den Blick schließlich abwendet und auf ihre Umgebung, und den vor ihnen liegenden Weg ins Seeviertel richtet. Talyra gleicht einer Geisterstadt. Die verwinkelten und sonst stets belebten Straßen, Häuser und kleinen Plätze um die öffentlichen Brunnen sind leer, still und dunkel, und in allen Gassen hängt brandiger Dunst wie dicker Nebel. Die südlichen Stadtviertel sind unversehrt, doch wenn man nach Norden in Richtung des Marktplatzes blickt, kann man immer noch hier und da eine Rauchsäule aus verkohlten Ruinen aufsteigen sehen, die sich dunkel vom blassen Abendhimmel abhebt, wo langgezogene Wolkenstreifen rosa und golden glühen. Er denkt an Niniane, die Raven und ihm selbst das Leben gerettet hatte und an Borgil, der in den Tunneln bis zum bitteren Ende bei ihm geblieben war... und daran, dass beide die Nacht vielleicht nicht überstehen würden. Er denkt an alles, was er ihnen schuldet für Jahre der Freundschaft und für die zahllosen Male, wo sie an seiner Seite gewesen waren, wenn er oder die Seinen Unterstützung gebraucht hatten, und er denkt an Cron. Vor allem an Cron - das Gesicht des Tronjers, als er Niniane aus der Gruft gebracht hatte, das blutige, zerschlagene Bündel, das noch von ihr übrig war, würde er nie vergessen und wenn er hundert Jahre alt werden sollte. Die Götter stehen ihr bei, damit sie es übersteht... die Götter stehen Cron bei, wenn er sie verliert. Das Quietschen und Rattern ihres hölzernen Gefährtes, das Klappern der Pferdehufe auf dem buckligen Straßenpflaster, und ab und an ein leises Schnauben des Tieres, scheinen die einzigen Geräusche auf der Welt zu sein. Selbst Raven, die auf dem Sithechacker überhaupt nicht mehr damit hatte aufhören wollen, auf ihn einzureden, schweigt. Nach ihrem verzweifelten Versuch, ihm gleich an Ort und Stelle, und mitten im größten Chaos eine Erklärung aufzudrängen und ihrem panikartigen Ausbruch später über Borgils blutigem Leib - einen Finger fest im Hals des  Zwergen, um die Schlagader abzudrücken und daher nur einhändig gestikulierend -, war sie sehr still geworden. Möglicherweise, weil er zuerst nicht reagiert und ihr dann nur schweigend und ungläubig gelauscht, aber kein Wort darauf erwidert hatte. Er kann nicht glauben, dass er in diesem kakophonischen Alptraum auch nur eine Silbe ihres verworrenen Geredes gehört und verstanden hat, aber das muss er wohl, denn er kann sich an alles erinnern.

Doch noch bevor er auch nur zu irgendeiner Antwort hatte ansetzen können, war ihm erst ein Untoter in die Quere gekommen, dann ein verblutender Zwerg und anschließend ein aufgebrachter Elb und eine vollkommen verwirrte Azra, und zuletzt war der Lord Commander noch zu ihnen getreten und Cron hatte Niniane aus der Gruft gebracht ... absolut der falsche Zeitpunkt für Widerworte, Erklärungen oder Fragen, davon, dass jetzt in diesem Augenblick wirklich andere Dinge wichtiger waren, als eine rein persönliche Angelegenheit zwischen ihnen beiden, einmal ganz abgesehen. "Der Priester, den Cron auf der anderen Seite der Gruft beschützt hat, ist tot. Einer der Blaumäntel hat es eben gesagt. Morgana ist zusammengebrochen, Arwen bewusstlos. Borgil liegt im Sterben und Niniane ist halbtot geschlagen worden," hatte er nur sehr leise und sehr ruhig erklärt, während er gleichzeitig alle Selbstbeherrschung, die ihm noch geblieben war, aufgeboten hatte, um sie nicht zu packen und zu schütteln, bis ihr die Zähne klapperten. "Wir reden zu Hause." Reden! Bei allen Göttern, allerdings, das würde sie. Sie ist ihm mehr als nur ein paar Erklärungen schuldig. "Gehen wir." Caewlin hatte sie am Arm gepackt und zu dem Fuhrwerk geschoben, das Olyvar ihnen freundlicherweise überlassen hatte, ein kleiner Karren mit Strohmatten auf der Ladefläche. Er hatte Raven hochgehoben und ins raschelnde Stroh gesetzt, hatte aber jede weitere Berührung vermieden, und war dann selbst auf den Wagen gekrochen - und da sind sie nun: blutig, abgekämpft, völlig erschöpft und zerschunden, brodelnd vor Zorn und gehüllt in verletzte Wortlosigkeit, allein in einer ausgestorbenen Stadt, eine Mauer aus Schweigen zwischen sich. Sein beharrliches Schweigen ist jedoch das einzige, was ihm bleibt, um die gärende Mischung aus Wut, Sorge, Angst, Fassungslosigkeit, Schrecken, rechtschaffener Empörung, nagender Ungewissheit und dem wilden Verlangen, sie auf der Stelle ins nächste Bett zu schleifen, um ihr dort lange und ausführlich - und vor allem ein für allemal - klar zu machen, dass sie sein ist, im Zaum zu halten. Was immer sie getan hat, was auch immer sie jetzt denkt, Raven ist vollkommen erledigt, er kann sehen, dass sie Schmerzen hat und tief in seinem Inneren, an einem Ort, wo verletzter Stolz, enttäuschtes Vertrauen und das Gefühl, zum Narren gehalten worden zu sein, keine Rolle spielen, hat er vor allem eines: große Angst um sie.

Sie ist verletzt und sie ist schwanger. Das ist keine Entschuldigung, verdammt nochmal! Sie hatte viel Rauch eingeatmet in ihrem niederbrennenden Haus, sie hatte gekämpft und ihm den Rücken freigehalten, und... gezaubert, meldet sich eine extrem trockene Stimme in seinen Gedanken. Und euch alle damit gerettet! Kontert ein letzter Rest nüchterner Vernunft. Und dir kein Wort davon gesagt! Wirft seine wütende Empörung schaubend ein. Nicht nur das, sie hat dir so einiges verschwiegen, kommt seinem Zorn die Enttäuschung zu Hilfe. Ja - schon mal in den Spiegel gesehen? Sehr vertrauenerweckend, wirklich, gibt seine Selbstironie wenig hilfreich zu Protokoll. Eine Patrouille rußgeschwärzter Gardisten kommt an ihnen vorbei, doch die sechs schmutzigen, erschöpften Männer im kaum noch erkennbaren Blau der Stadtgarde sind die einzigen lebenden Wesen, die ihnen bis ins Seeviertel begegnen und Caewlin verschwendet nicht mehr als einen flüchtigen Blick an sie. Liegt es daran? Ist es das? Hat sie mir einfach nicht genug... vertraut? Ihre Worte vom Sithechhain fallen ihm wieder ein - ein Satz, der ihn zwischen all ihren hastig hervorgesprudelten Verfehlungen, Geheimnissen und Jugendsünden getroffen hatte wie ein Guss eiskalten Wassers >...manche habe ich nicht zu erzählen gewagt, weil ich fürchtete, dass ... ich weiß nicht, vielleicht dass du mich verlassen würdest, wenn du es wüsstest.< Hmpf! Was glaubt dieses närrische kleine Frauenzimmer eigentlich, was er meint, wenn er sagt: ich liebe dich? Sie erreichen die Mauern um die weitläufigen Gärten des Seehauses und Caewlin befiehlt dem Rossknecht knapp, bis zum Tor zu fahren, und dort zu halten. Da er den Mund ohnehin schon offen hat, ist er drauf und dran, Raven eine ganze Reihe von Fragen, die ihm seit ihrer Hochgeschwindigkeitsbeichte auf dem Friedhof bereits auf der Zunge brennen, an den Kopf zu werfen, kaum, dass der Wagen knarrend zum Stehen kommt und sie herunter sind, tut es dann aber doch nicht - sie sind bald zu Hause, die paar Augenblicke hat das Reden nun auch noch Zeit. Das Tor in der hohen Mauer, ist fest verschlossen, doch Raven hat den Schlüssel für die Mannpforte, die in das schwere, dunkle Steineichenholz eingelassen ist, und so schickt Caewlin den Rossknecht der Steinfaust mit ein paar gemurmelten Dankesworten schon auf der Straße wieder zurück. Die hereinbrechende Nacht scheint alle Farben zu schlucken, alles wird konturlos grau und schwarz oder füllt sich mit dräuenden, blauen Schatten, während die Dunkelheit aufsteigt und die Welt verschlingt.

Ihr Zuhause, das weitläufige Anwesen mit seinen uralten Obstbäumen und das Haus, sind - soweit sie das in der düsteren Dämmerung beurteilen können -, unversehrt. Die Läden vor allen Fenstern sind immer noch geschlossen, aber im Erdgeschoss dringt dennoch schwacher Lichtschein durch Ritzen und Spalten, und aus den Kaminen steigt Rauch auf. Sie können ihn nicht sehen, aber sie schmecken ihn in der kühlen Nachtluft, nicht den beißenden Brandgeruch, der wie eine Glocke über ganz Talyra hängt, sondern der süße Duft nach Hickoryholz und bratendem Fleisch. Er nimmt Raven am Arm, zieht sie mit sich und marschiert entschlossen den gewundenen Weg unter den Kastanien entlang. "Du willst reden? Schön, ich auch. Bisher war keine Gelegenheit dazu, aber jetzt reden wir. Götter, was gäbe ich darum, dich jetzt übers Knie legen zu können! Warum, bei allen Neun Höllen, das ist alles, was mich für's erste interessiert. Nein, das ist gelogen - da sind mindestens ein Dutzend Dinge, die mich für's erste interessieren, aber das ist das wichtigste. Also: warum hast du mir das alles verschwiegen?"
Dalla stürzt ihnen entgegen, noch während sie zum Haus hinaufgehen und rettet Raven vorerst vor einer Anwort. Hinter der Mogbar schießen die beiden Hunde heraus, eine jappende, grauschwarze, geballte Wucht mit zwei Köpfen, acht Beinen und zwei nassen Zungen, die überall gleichzeitig zu sein scheinen, und gewähren ihr noch eine weitere Galgenfrist. Im Grunde erwartet er eigentlich gar keine Antwort - die hat er auf dem Sithechacker schon bekommen, auch wenn er sich damit noch nicht ganz abgefunden hat. Caewlin taumelt unter Akiras beträchtlichem Gewicht, weist sie aber scharf zurück, ehe sie ihre großen Pfoten zielsicher gegen seine lädierten Rippen stemmen und ihnen damit vollends den Rest geben kann. Inzwischen kann er ohnehin kaum noch stehen und spürt die Erschöpfung, kalt und bleischwer - jede Bewegung fühlt sich an, als stecke er bis zum Hals in einem Fass mit nasser, schwarzer Erde. "Sluta nu! Tyst! Kom hit." Die Bluthündin lässt sofort von ihm ab und hechelt an seiner Seite, und er erwischt Stelze gerade noch am Nackenfell, ehe der Wolfshund Raven in seiner Wiedersehensfreude einfach über den Haufen rennt. Sie geht in die Hocke, legt dem Hund die Arme um den Hals und drückt ihn einen Moment an sich... oder sich an ihn?... bis Stelze sich soweit beruhigt hat, dass er nicht mehr gleichzeitig versucht, an ihr hochzuspringen, und ihr auf den Schoß zu klettern.

Dallas Mund wird angesichts ihres desolaten Zustands zu einem blutleeren Strich, aber nach dem ersten Schrecken, überhäuft sie Raven und ihn selbst mit schnatternden, tränenreichen Ausrufen, gespickt mit Fragen, Schnalzlauten und Seufzern, während ihre Knubbelfinger hastig hier und da in notdürftiger Bestandsaufnahme an ihrer blutgetränkten Kleidung herumzupfen, und ihre kurzen, kräftigen Arme sie mit sanftem Nachdruck ins Haus schieben. Die Kinder sind im Bett und schlafen, wird ihnen berichtet, während sie zu den Bänken im Windfang geleitet werden, wo sie ihre dreckverkrusteten, ascheverschmierten und rotgesprenkelten Stiefel abstreifen können. Es gehe allen gut, das Haus sei sicher, der Speicher wäre selbstverständlich inzwischen gesäubert, aber man habe schon geglaubt, dass Roha untergehe und dem Vieh fehle es auch an nichts, Rykar habe gleich danach gesehen, als man diesen unheimlichen Todesschrei vernommen hatte, und es wieder hell geworden war (nur die Hühner hätten vor Schreck kein einziges Ei gelegt), ein Abendmahl sei natürlich bereit, man habe so gebetet und die Kinder... die arme Runa sei völlig verstört, aber sie, Dalla, werde sich gleich um alles Nötige kümmern, sie hoffe, die Stadt stehe noch, und so fort... Caewlin verliert irgendwann die Geduld und unterbricht sie grob. "Sei still und kümmere dich um heißes Wasser und ein Bad," knurrt er und sein Tonfall schlägt die Mogbarmagd mit augenblicklicher Stummheit. "Bring Verbandszeug, Zaubernusssalbe und Feuerwein. Und eine Schüssel." Dalla starrt erschrocken zu Boden und nickt wild, ehe sie davonschleicht, um seine Befehle auszuführen, und Raven müht sich mit steifen Fingern, und vorsichtigen, kleinen Bewegungen mit den Schnallen ihrer Stiefel, bis er ihr den Fuß nach einem Augenblick stirnrunzelnden Beobachtens einfach abnimmt. Seine Linke ist verbrannt, blutig und aufgerissen, aber immer noch in besserem Zustand, als ihre zerschnittenen Finger, und so hat er ihr die Stiefel rasch abgestreift... allerdings lässt ihn der Schmerz dabei deutlich schneller atmen. Raven kann kaum noch alleine stehen und blinzelt wie ein verschrecktes Käuzchen in die hellen Öllampen an den Wänden. Sie sieht immer noch wie ein verstörtes Waschbärenbaby aus mit all den schwarzen und grauen Streifen in ihrem Gesicht - und er begeht prompt den Fehler, ihr in die Augen zu sehen. "Ah djävla!" Für einen Moment hätte er sich fast vergessen, sie an sich gezogen, in die Arme genommen und geküsst. Stattdessen schnappt er nur vernehmlich nach Luft, reißt seinen Blick von diesen tränenfeuchten Rehaugen los und bringt sie in den Nordflügel. Im Erkerzimmer würden hoffentlich ein Zuber heißes Wasser, weiche Ledertücher und frische Wäsche auf sie warten.

In Caewlin brodelt und gärt es gewaltig, seine Gedanken laufen entweder in die Irre oder drehen sich im Kreis, aber trotz allen rechtschaffenen Zorns, an den er sich klammert, fühlt er sich unter der aufgewühlten Oberfläche eigentlich nur leer. Leer und hohl, als hätte er einen Teil von sich irgendwo auf diesem verfluchten Knochenacker verloren, und könne ihn einfach nicht wiederfinden. Er weiß nicht, was er denken soll und was er von all dem zu halten hat, weiß er erst recht nicht. Das Bild von Raven, die den dreimal verfluchten Nachtfeuerkorb innerhalb eines einzigen Herzschlags in Brand gesetzt hat, lässt ihn nicht los... ebensowenig wie alles, was sie danach gesagt hatte... hinter ihm herhüpfend, während er wie ein Wahnsinniger brennbare Äste herbeigeschafft und sich anschließend mit wandelnden Toten herumgeschlagen hatte, und später über Borgils blutüberströmten Leib hinweg. Zauberei. Elbenblut. Unfruchtbarkeit... auch wenn Letzteres sich wohl als Lüge herausgestellt hat. >Ich hatte solche Angst, dass ich dir deswegen vielleicht nur ein nutzloses Anhängsel wäre und du mich dann nicht mehr haben willst, wenn du es weißt, und dass ich ... dass du ...<  Angst. Im Erkerzimmer brennt ein halbes Dutzend dicker Bienenwachskerzen auf den Fensterbrettern und ein Feuer im Kamin. Dalla und Pyp eilen eine ganze Weile noch hinein und hinaus, und füllen den Zuber mit Eimern dampfend heißen Wassers, doch alles andere steht schon bereit: weiche Handtücher, Seife und auf einem Stuhl ein Tablett mit Essen, einem ledernen Feuerweinschlauch, Verbandslinnen, ein paar Tiegelchen mit Salben und Tinkturen, und einer flachen, leeren Holzschüssel. Caewlin bringt Raven vor den Kamin in die Wärme des Feuers, er selbst muss erst einmal aus dem Kettenhemd heraus, dessen Gewicht längst wie ein tonnenschwerer Mühlstein an ihm zerrt. Er schält sich also aus dem Kettenwerk, den Bein- und Armschienen, dem wattierten Wams und dem verschwitzten Hemd, kann seine verbrannten Finger zu nichts wirklich gebrauchen, bewegt sich so vorsichtig und gemessen, als wäre er ein achtzigjähriger Greis, und fühlt sich im Wesentlichen auch so. Quer über seine Rippen und rund um seinen Brustkorb, vermutlich auch auf dem Rücken, verläuft ein breites Band lilaschwarzverfärbter, geschwollener Haut, dort, wo die Ogrearme ihn getroffen hatten. Das Atmen fällt ihm schwer, doch gebrochen sind die Rippen wohl nicht. Seine Hand allerdings sieht übel aus, verunziert von hühnereigroßen Brandblasen, rot, nässend und aufgerissen. Er kann die Finger kaum krümmen, geschweige denn, sie richtig bewegen. Einen Moment fragt er sich, wie bei allen Neun Höllen er sich damit in heißem Wasser waschen soll - sein Haar starrt vor Blut und Asche, und er ist von Kopf bis Fuß dreckverschmiert und rostrot gesprenkelt.

Raven sieht keinen Deut besser aus, als er - nur erschöpfter. Sie schafft es nicht einmal, ihre Hosenschnüre mit den blutenden Fingern aufzunesteln, also tut er es für sie, zieht sie aus wie ein kleines Kind, schält sie aus Hemd, Hosen, Strümpfen und Leibwäsche und setzt sie dann vorsichtig in den Zuber, obwohl er die größte Lust hätte, sie einfach wie einen Sack Mehl hineinfallen zu lassen. Für's erste beschränkt er sich jedoch darauf, sich neben dem Wannenrand aufzubauen, die Arme vor der Brust zu verschränken und sie durchdringend und erbost anzustarren. Sein Gesichtsausdruck - oder vielleicht auch ganz allgemein seine blutverkrustete, rußschwarze Erscheinung - spricht offenbar Bände, denn sie vergräbt sich augenblicklich bis zur Nasenspitze in duftenden Schaumbergen. "Du," schnaubt er, "brauchst dich gar nicht verkriechen. Genieß das Bad, so lange du kannst, denn wenn du sauber bist, werde ich mich um deine Hände kümmern!" Das klingt bedrohlich genug, um sie verschreckt aus ihren weißen Schaumwolken herausblinzeln zu lassen und Caewlin nickt grimmig. Gut so! Er hat Todesängste um sie ausgestanden, seit an diesem verdammten Mittag die Hölle über Talyra hereingebrochen war und seitdem hat er eindeutig zuviel erlebt und zuviele Offenbarungen verdauen müssen. Sie hat ihm für heute genug angetan - jetzt ist er dran. "Kannst du dich allein waschen oder soll ich Dalla holen? Nein? Gut." Er beobachtet eine Weile schweigend, wie sie sich mit ihren wunden Fingern und dem Lappen abmüht, dann rupft er ihn ihr aus der Hand. "Gib schon her, das kann sich ja kein Mensch mit ansehen." Sie protestiert prompt, sie könne sich allein waschen und er schnaubt vernehmlich. "Halt den Mund," schnappt er. "Du kannst den Lappen nicht einmal allein halten. Hinsetzen." Seine verbrannte Hand ins heiße Wasser zu tauchen lässt ihn schmerzerfüllt zischen, aber dann wäscht er ihr gründlich den Ruß vom Gesicht und den Dreck von der Haut, bevor er ihr einen Krug Wasser über den Kopf schüttet, Seifenschaum in ihrem Haar verteilt und die langen, dunklen Flechten zu einer Haube aus sich ringelnden Strähnen auftürmt. Auf ihrem Hinterkopf prangt eine riesige Beule und als er sie unabsichtlich mit den Fingern streift, jault sie erschrocken auf. "Wo hast du die her?" Sie erzählt ihm prustend von dem Balken, der sie getroffen hatte, als sie in ihrem brennenden Häuschen eingeklemmt gewesen war und er holt vernehmlich Luft. "Ein Balken hat dich dort getroffen? Himmelgötternochmal, Raven, du hättest dir den Hals brechen können! Dein Schädel ist wirklich aus Steineichenholz." Er weiß, dass sie bei diesen Worten verhalten lächelt, obwohl er ihr Gesicht überhaupt nicht sehen kann, und mustert ihren gesenkten Kopf aus schmalen Augen. "Das war kein Kompliment," schnaubt er, legt die Hand fest in ihren Nacken und taucht sie unter.

Als sie prustend und triefend wieder hochkommt, leert er mit grimmiger Genugtuung noch zwei Krüge reines Wasser über ihren Kopf. Sie hustet, schnieft und funkelt ihn böse an, doch er schnalzt nur ungehalten mit der Zunge. Dann holt er sie aus der Wanne, wickelt sie in ein weiches Handtuch und setzt sie auf einen Schemel. "Halt still." Er wirft ein weiteres Tuch über ihren Kopf und reibt ihr das Haar trocken. Seine Berührungen sind schon wegen seiner Hand sehr viel sanfter, als er eigentlich beabsichtigt hat, aber zimperlich geht er keineswegs mit ihr um - allerdings achtet er sorgfältig darauf, der beeindruckenden Schwellung auf ihrem Schädelknochen nicht zu nahe zu kommen, ärgert sich über die Nachsicht, die er eigentlich gar nicht mit ihr üben will und lobt sich gleichzeitig als geduldig und rücksichtsvoll. Ah djävla, was bist du für ein Heuchler! Du willst doch nichts anderes, als sie wieder haben. Natürlich würdest du sie am liebsten gehörig durchschütteln und ihr ordentlich ihr freches, kleines Hinterteil verwamsen, so wie sie es verdient hat, aber vor allem willst du Gewissheit wieder haben... Während er grimmig ihr Haar trocknet, schießt ihm alles, was sie auf dem Sithechacker gesagt hatte, wieder durch den Kopf, überdeutlich und in allen Einzelheiten, als stehe sie vor ihm und sage ihm all das noch einmal ins Gesicht. "Nicht mehr magische Begabung als ein Eimer Sand, ha!" Knurrt er. "Bullenscheiße! Der Druide hat's dir beigebracht, weil er nicht begreifen wollte, dass du ein ganz normaler Mensch bist, hmpf! Konnte er dich nicht einfach so lassen, wie du warst? Hat ihm das nicht genügt? Wenn ich diesen Druiden je in die Finger bekommen sollte, dann gnaden ihm die Götter, Raven!" Es war ihm selbst bis du diesem Augenblick nicht wirklich bewusst, doch jetzt, als er es ausspricht, durchzuckt ihn völlig irrational, aber glasklar und messerscharf reine, stupide Eifersucht. Was hat das spindeldürre vergeistigte Spitzohr noch alles mit ihr geteilt, wovon er nichts weiß und was er nie erfahren würde? Was hat er ihr gegeben, was hat sie überhaupt je an ihm gefunden... und vor allem: vermisst sie ihn? In einem Winkel seines Verstandes, der noch halbwegs funktioniert, erklärt er sich selbst für übergeschnappt. Das hat ihm jetzt gerade noch gefehlt, nur leider kann er überhaupt nichts dagegen tun. "Weil die Großmutter deiner Mutter eine Elbenfrau war!" Fährt er fort, sehr viel lauter und zorniger, als eben noch. Handfeste Eifersucht ist Balsam für schmorende Wut und er gießt gerade kräftig Öl ins Feuer.

"Eine Alfar, Götter im Himmel. Wann bei allen Neun Höllen wolltest du mir das sagen? Wenn meine Kinder mit Katzenaugen und Spitzohren zur Welt kommen? Oh, natürlich dachtest du, du könntest überhaupt keine Kinder bekommen, damit wärst du auch nie in die Verlegenheit geraten, mir das erklären zu müssen - aber das hat sich ja wohl als falsch erwiesen. Aber du hast recht, ja doch - man kann wirklich nicht sagen, dass du zaubern könntest. Es ist ja auch völlig normal, einen Nachtfeuerkorb mit einem einzigen Blick in Flammen aufgehen zu lassen!" Brüllt er. "Und das alles hast du mir nicht erzählt, weil du es... wie war das? verschusselt hast, weil es nicht wichtig für dich war?! Ich glaube das einfach nicht! Meine Frau ist eine elbenblütige Hexe und ich erfahre als Letzter davon!" Er ballt die Hand mitsamt dem Tuch darin zur Faust, was aber nur zur Folge hat, dass prompt ein Strom weißglühenden Feuers seinen Arm hinaufrast - und das ist zuviel. "Ah, verdammt!" Er packt den Stuhl neben Ravens Schemel mitsamt dem Tablett, das darauf steht und wirft ihn krachend gegen die Wand neben dem Kamin, wo er in seine Einzelteile zersplittert. Alles andere fliegt quer durchs Zimmer, geht zu Bruch oder rollt über den Boden davon - der Brotkorb, die Teller, die Schalen mit heißer Brühe, die leere Holzschüssel und das Stück Schinken. Der Schlauch mit Feuerwein und die Schüssel sind das einzige, was dabei heil bleibt und er stapft hinüber, um beides einzusammeln. Es gibt keinen Grund, das noch länger aufzuschieben und abgesehen davon muss zwischen ihnen irgendetwas geschehen, jetzt, sofort - da er sie nicht schlagen will und in ihrem Zustand auch kaum an den Haaren ins Bett schleifen kann, ist das hier das einzige, das ihm einfällt, um... ja, um was? Die Entfremdung auszumerzen? Sie ihm wiederzubringen? Sie wieder fest in seinem Inneren zu verankern? Das solide, kleine Gewicht, das er in seinem Herzen braucht? Aye, gut - das vielleicht nicht alles zugleich, aber es wäre immerhin ein Anfang... eine Brücke über den Abgrund. Er füllt die Schüssel bis zum Rand mit Feuerwein und der reine, scharfe Alkoholgeruch füllt das ganze Erkergemach aus. Dann stellt er ihr die flache, aber große Schale auf den Schoß - sie sitzt immer noch auf ihrem Schemel - und ignoriert ihren verständnislosen Blick. Caewlin kniet sich vor sie und nimmt ihre geschundenen Hände fest in seine Linke, die nicht minder rot, verschwollen und verletzt ist. Ihre schmalen Finger verschwinden völlig zwischen seinen. Wundflüssigkeit und Blut von ihr und ihm vermischen sich, und zweifellos bereitet es ihr Schmerzen, aber sie lässt ihm ihre Hände und er drückt sie sacht.

"Aye, deine Entschuldigung nehme ich an. Du hast gesagt, du wolltest mich nie belügen oder mir etwas verschweigen und ich glaube dir - aber du hast es getan, Raven, und ja verdammt nochmal, es hat mich getroffen. Zu hören, dass du... du... eine Magoi bist und elbenblütig obendrein und dazu noch gedacht hast, du könntest niemals Kinder haben, das hat mich erschüttert, schätze ich. Verständlich, oder?" Er zieht die Stirn in Falten, richtet den Blick auf ihre verschränkten Finger und spürt ihr Blut klebrig und warm. Es füllt seine Wunden, sickert in aufgerissenes Fleisch und über verbrannte Haut, und merkwürdigerweise lässt der Schmerz spürbar nach... oder bildet er sich das ein? Blut tropft aus ihren verschlungenen Händen in den klaren Feuerwein und färben ihn langsam rosa - falls ihr dämmert, was ihr noch damit blüht, so ist ihr im Augenblick jedenfalls nichts davon anzusehen. Einen Moment presst er die Kiefer so fest aufeinander, dass seine Haut über den Wangenknochen spannt, dann holt er tief Luft und fährt leise fort: "Aber das Wissen, dass du... dass du Angst hattest... vor mir, dass du mir und uns, allem, was wir geteilt haben, meiner... Liebe wenn du so willst, einfach nicht genug vertraut hast, um es mir zu sagen... das hat mich..." er hebt den Blick und sucht ihre Augen. "Erinnerst du dich an die Inarinacht? Ich habe dir alles erzählt, Raven. Ich hatte Angst, du könntest dich von mir abwenden, wenn du erst alles über mich wüsstest, doch ich war bereit, dich gehen zu lassen, wenn du dann hättest gehen wollen - auch wenn es mich zerrissen hätte. Ich konnte nicht damit leben, dass du nicht weißt, wer ich bin. Du musstest es erfahren, du hattest ein Recht es zu wissen und dich dann zu entscheiden. Du bist nicht gegangen, im Gegenteil. Du hast mich an dein Herz gehalten und mich trotzdem geliebt. Ich dachte, du wüsstest, was ich für dich fühle, aber die Erkenntnis, dass du... dass du mir das offensichtlich nicht zutraust ist... bitter." Er sieht ihr unverwandt in die Augen und zwingt sie, seinem Blick standzuhalten. "Aber ich denke, ich überlebe es. Und vielleicht kann ich dich ja davon überzeugen, dass du es mir gegenüber mit ein wenig Vertrauen ruhig versuchen kannst. Aber jetzt," erklärt er dann vollkommen ruhig, "kommt der gemeine Teil. Sieh es ruhig als Strafe an, denn bei allen Göttern, Frau, irgendetwas will ich dir antun. Wir müssen die Wunden desinfizieren, also... " Bevor sie auch nur widersprechen kann, hat er ihr die Eisenschelle an seinem rechten Handgelenk auf die Schulter gelegt, um sie so niederzuhalten und ihre immer noch fest mit seiner verflochtenen Hände bis zu den Gelenken in den Feuerwein getaucht.

Der Schmerz treibt ihm das Wasser in die Augen und sein Gesicht ist binnen weniger Herzschläge so bleich wie ihres, während seine Zähne aufeinanderknirschen, er in kurzen, abgehackten Zügen atmet, dabei lautlos bis sechzig zählt und versucht, nicht in Ohnmacht zu fallen. Raven verliert mehr oder weniger die Besinnung, jedenfalls sackt sie gegen ihn und ihr Kopf landet mit der Wucht eines nassen Sandsackes an seiner Schulter - Steineichenholz, mindestens. Er lässt ihre Hände nicht los, auch nicht, als er sie aus der inzwischen rostrot verfärbten Feuerweinbrühe zieht. Sie rutscht mit glasigen Augen und geblähten Nasenflügeln vom Stuhl, und er kann sie gerade noch auffangen. Die Schüssel kippt zur Seite, hüpft klappernd über den Boden und ihr Inhalt ergießt sich als schmutzige Pfütze über die Dielen, aber das ist ihm vollkommen gleich. Das Erkerzimmer sieht ohnehin schon aus, wie ein Schlachtfeld und das einzige, was jetzt zählt, ist dass er sie festhalten kann - wenigstens, bis sie wieder zu sich kommt. Raven liegt in seinem Arm, knochenlos und schweratmend, halbnackt und nur mit einem verrutschten Handtuch bekleidet. Zweifellos wird sie wieder schmutzig, denn er ist immer noch ungewaschen und er drückt sie an sich, bis sie mit einem leisen Keuchen protestiert. Sie ist nicht wirklich weg, aber sie zittert wie Espenlaub und er ebenfalls. Sie müssen sich praktisch aneinanderklammern, um nicht umzukippen, völlig legitim also, was sie hier tun, auch wenn sie alle beide dabei ihre verkrampften Finger hochhalten und sich bemühen, mit den geschundenen Händen selbst möglichst nichts zu berühren. "Geht es wieder? Raven? Keine Sorge, schlimmer wird es nicht werden... und ich bin ein Narr - ich hätte mir die Hose ausziehen sollen, bevor ich meine Hand in Feuerwein gelegt habe, die Schnüre bekomme ich so nie auf. Ich muss in die Wanne, ich starre vor Dreck. Und etwas essen..." er blickt über ihre Schulter hinweg bedauernd auf die Brot-Schinken-Suppenbrühen-Schweinerei neben dem Kamin und seufzt schwer.  

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Raven am 26. Okt. 2005, 23:52 Uhr
Als sie mit dem ratternden Karren am Seehaus ankommen, treibt der Anblick ihres Zuhauses Raven beinahe Tränen in die Augen, so erleichtert ist sie, es wiederzusehen. Mittlerweile ist sie so erschöpft, dass sie ohne Weiteres im Stehen hätte einschlafen können und nur die Aussicht auf ein heißes Bad, um sich all den Staub, den Schmutz und das Blut abzuwaschen, etwas zu Essen und ein Bett hält sie noch auf den Füßen. Als sie von der Ladefläche des Fuhrwerks klettern, genügt allerdings ein vorsichtiger Seitenblick auf Caewlins Profil, das wie aus Granit gehauen wirkt, und ihr wird klar, dass dieser dreimal verfluchte Tag noch lange kein Ende haben wird. Den ganzen Rückweg über hatten sie sich in brütendes Schweigen gehüllt und kein einziges Wort miteinander gewechselt, noch nicht einmal einen Blick getauscht, obwohl sie nichts lieber getan hätte, als ihn anzusehen und seine Stimme zu hören. Sie hätte gerne etwas gesagt, versucht zu erklären, oder einfach irgend etwas getan, um diese lastende Stille zu durchbrechen, doch sein Schweigen war wie ein bodenloser Abgrund gewesen, den sie nicht zu überqueren gewagt hatte und sie hatte fast körperlich spüren können, wie seine Wut und sein Zorn gefährlich dicht unter der Fassade aus eiserner Beherrschung vor sich hin gebrodelt hatten. Mit zusammengepressten Lippen und beklommener Miene war sie neben ihm gesessen, müde, erschöpft und völlig zerschlagen, während in ihrem Inneren ein heilloses Durcheinander getobt hatte und sie am liebsten Hals über Kopf vom Wagen gesprungen wäre, um sich vor das ratternde Fuhrwerk zu werfen. Bei meinem Glück wären Pferd und Wagen sicherlich einen halben Schritt vorher ganz plötzlich abgebogen, anstatt mich gnädigerweise zu überrollen. Selbst jetzt, als sie sich den gewundenen Weg zum Haus entlangschleppen, hat sie es noch nicht geschafft, das Chaos ihrer hin- und herschwirrenden Gedanken in geordnete Bahnen zu lenken, und alles, was an diesem verflixten Tag passiert ist, hat sich mittlerweile zu einem völlig verworrenen Knäuel ohne Anfang und Ende verheddert.

Seitdem sie am Morgen das Haus verlassen hatte, war so viel geschehen, dass sie es noch nicht einmal ansatzweise in Worte kleiden, geschweige denn alles begreifen kann .... erst war dieser unsägliche Dämon in einer Wolke aus Finsternis aufgetaucht, ein Feuerball hatte ihr Häuschen in Schutt und Asche gelegt, sie wäre beinahe von einem Rudel hungriger Boghaniks angeknabbert und von einem Höllenhund gefressen worden, hätte Caewlin sie nicht aus den brennenden Trümmern gezerrt; dann hatte sie die aufkeimende Gewissheit, dass sie ein kleines, neues Leben in sich trägt, vollkommen sprachlos gemacht und ihr den Boden unter den Füßen weggezogen. Sie hatten gegen Höllenogres und Schattenhunde gekämpft, gegen Goblins und Horden von Untoten, sie hatten die halbe Stadt in Flammen aufgehen und den Marktplatz sich in einen Schlund verwandeln sehen, sie waren einem vor Angst halb durchgedrehten Tronjer nachgehetzt, sie hatte mit einer besitzerlosen Knochenhand gerungen, hunderte von Pfeilen verschossen, den Finger in einem verblutenden Zwerg gehabt, hätte fast mit ansehen müssen, wie ihr Mann von einem durchgedrehten Ogre zerquetscht wird, und sie hatte völlig unbedarft einen Nachtfeuerkorb mit Magie in Brand gesetzt, was ihr den schönsten Ehekrach beschert hat. Und nun steht sie hier vor ihrer Haustür wie das personifizierte schlechte Gewissen, krank vor Sorge um ihre Freunde, niedergedrückt von all der Schuld, mit der Angst im Herzen, durch ihre Dummheit Caewlin verloren zu haben, und dem Wissen, dass sie ihn zutiefst verletzt und enttäuscht hat. Während sie mit flatternden Fingern versucht, den großen Eisenschlüssel in das Türschloss zu zittern, grollt seine Stimme bedrohlich wie Donner über sie hinweg, und sie zieht unwillkürlich den Kopf zwischen die Schultern, weil sie dunkel zu ahnen beginnt, was noch folgen wird. Auch die heranhechelnden Hunde, die sie in ihrer Wiedersehensfreude von oben bis unten besabbern und beinahe umwerfen, Dallas atemloses Geschnatter oder die Nachricht, dass die Kinder wohlauf sind und schlafen, können an Caewlins Laune nichts ändern, und als die kleine Mogbar wie eine aufgeregte Henne um sie herumzuglucken beginnt, knurrt er sie so böse an, dass es ihr augenblicklich die Sprache verschlägt und sie sich eilig aus seiner Reichweite bringt.

Raven hat ihn noch nie so wütend gesehen und es hätte sie ganz und gar nicht gewundert, wenn er zornige Dampfwolken aus der Nase geschnaubt hätte. Und er hat auch alles Recht der Welt, so wütend zu sein. Warum habe ich es nur nicht erzählt... Aber alle Reue und alle Hätte-ich-doch-nur's kommen zu spät und bittere Zweifel machen ihr das Herz schwer. Und wenn er mich jetzt wegschicken wird? Sie weiß, er könnte es. Aber würde er sich dann noch die Mühe machen und mir die Stiefel ausziehen? Wutschnaubend reißt er ihren Fuß an sich und macht sich an den Stiefelschnallen zu schaffen, und obwohl er sich Mühe gibt, es zu verbergen, sieht sie doch, dass er große Schmerzen haben muss. Sie versucht trotzig, ihm den Fuß wieder zu entwinden, aber trotz der Brandwunden und offenen Stellen, die seine Hand bedecken, ist sein Griff so fest wie der einer Eisenklammer. Was er tut, verwirrt sie zusehends und ist so widersprüchlich, dass sie die Welt nicht mehr versteht. Ein Mann zieht seiner Frau wohl kaum fürsorglich die Stiefel aus, noch dazu, wo seine Hand selbst so verletzt ist, wenn er sie gleich darauf vor die Tür setzen will. Es sei denn, er will die Stiefel behalten. Ein Blick auf ihr ramponiertes, angesengtes, rußgeschwärztes und löchriges Schuhwerk offenbart allerdings, dass das ganz bestimmt nicht der Fall sein kann, doch bevor sie noch dazu kommt, weitere Gründe dafür zu finden, zerrt Caewlin sie auf die Beine, umfasst mit stählernem Griff ihre Schulter und dirigiert sie zum Nordflügel und in den Raum, in dem der große, kupferbeschlagene Badezuber steht. Sie richtet sich zu ihren ganzen fünfeinhalb Fuß Starrköpfigkeit auf und wankt hocherhobenen Hauptes vor ihm her, obwohl ihr das Herz dabei in die Hosen sinkt. Es sind nur wenige Schritte den Gang entlang, aber Raven scheint es, als würde er sie zu ihrer eigenen Hinrichtung schleppen. Wahrscheinlich wird er mich gleich im Seifenwasser ersäufen, mutmaßt sie und äugt sicherheitshalber nach einem Fluchtweg, doch nachdem Dalla und Pyp den Zuber gefüllt haben und wieder verschwunden sind, ist die Tür fest verschlossen und wird zudem noch von einem zornbebendem Nordmann blockiert, der sich gerade mit unterdrückten Schmerzenslauten aus seiner Rüstung schält. Caewlin sieht erschöpft und abgekämpft aus und die dunklen Blutergüsse, die sich um Brust und Rücken winden, bereiten ihr allein beim Ansehen schon Schmerzen. Er wirkt so zerschlagen, als hätte er auf dem Amboss eines Riesen gelegen, der ihn mit einem Schmiedehammer bearbeitet hatte. Aber noch schlimmer als die Rippen hat es seine Finger erwischt und Raven verzieht mitfühlend das Gesicht. Sie hat die Hand schon halb zu einer tröstlichen Berührung erhoben, lässt sie dann aber nach einem Blick in sein ergrimmtes Gesicht mutlos wieder sinken.

Während er sich fluchend aus Kettenhemd, Wams und Hemd schält, versucht sie, sich ihrer eigenen Kleidung zu entledigen, doch die Knoten der ledernen Schnürbänder mit ihren wunden Fingern aufnesteln zu wollen, erweist sich beinahe als unmöglich, so dass sie schließlich doch Caewlins Hilfe dazu braucht. Das Angebot, Dalla zum Baden hinzu zu holen, weist sie jedoch entschieden von sich. "Das kann ich allein",  knurrt sie und versinkt eilig bis zur Nasenspitze im Seifenschaum. Unter Caewlins finsterem Blick hätte sie sich allerdings am liebsten selbst in Seifenschaum verwandelt und sich auf der Stelle im Wasser verflüchtigt oder sich durch einen geheimen Abfluss davongemacht, vor allem, als er ihr dann auch noch grob den Lappen aus der Hand reißt. Und dann prasseln die Liebenswürdigkeiten nur so auf sie herunter: >Gib schon her ... halt den Mund ... hinsetzen ... halt still!< Er malträtiert sie von Kopf bis Fuß und geht alles andere als sanft mit ihr um, und unter all den Zweifeln, der Angst und den drückenden Schuldgefühlen regt sich in ihr allmählich auch so etwas wie Trotz. "Vielleicht habe ich ja einen Fehler gemacht .... ganz sicher sogar ... aber das ist noch lange kein Grund, mich zu skalpieren oder mir die Haut abzuziehen. Aua! Zerr doch nicht so!" schnaubt sie und wirft ihm einen bitterbösen Blick zu, als er sich mit grimmiger Befriedigung über ihr Haar hermacht, und als er versehentlich das Hühnerei von Beule, das ihren Hinterkopf ziert, ein wenig unsanft berührt, schießt sie vor Schmerz fast senkrecht an die Decke. Aber all ihr Geschnaube und Geknurre beeindrucken ihn nicht im Mindesten und er lässt auch keine Gnade walten, als er sie schließlich aus dem Zuber hievt, in ein Handtuch wickelt, auf einen Schemel setzt und dann beginnt, mit einem Leintuch ihr Haar trockenzureiben. Dabei brodelt er wie ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch und redet sich allmählich so in Rage, dass seine Stimme lauter und lauter wird. >Nicht mehr magische Begabung als ein Eimer Sand, ha! Bullenscheiße!< Seine angestaute Wut flammt auf wie ein Steppenbrand und sie kann den Zorn und die Empörung spüren, die jede Sehne seines Körpers vibrieren lässt. >Der Druide hat's dir beigebracht, weil er nicht begreifen wollte, dass du ein ganz normaler Mensch bist, hmpf! Konnte er dich nicht einfach so lassen, wie du warst? Hat ihm das nicht genügt? Wenn ich diesen Druiden je in die Finger bekommen sollte, dann gnaden ihm die Götter, Raven!< Sie sinkt in sich zusammen, als Caewlins Gebrüll wie eine verbale Feuerwalze über sie hinweg fegt und um ein Haar wäre sie verschreckt vom Schemel gefallen. >Eine Alfar, Götter im Himmel. Wann bei allen Neun Höllen wolltest du mir das sagen? Wenn meine Kinder mit Katzenaugen und Spitzohren zur Welt kommen? Oh, natürlich dachtest du, du könntest überhaupt keine Kinder bekommen, damit wärst du auch nie in die Verlegenheit geraten, mir das erklären zu müssen - aber das hat sich ja wohl als falsch erwiesen...<

Sind seine Worte bis dahin nur verärgert gewesen, wütend und empört - nun treffen sie so schneidend und zielsicher wie Messerklingen und bohren sich mit eisiger Kälte in ihr Herz. Aus Ravens ohnehin blassem Gesicht schwinden auch noch die letzten Reste von Farbe. "Du ... du glaubst, ich war glücklich darüber, dass ich keine Kinder bekommen kann, weil ich dadurch meine Abstammung hätte verheimlichen können?" Einen Atemzug lang kann sie ihn nur reglos und mit offenem Mund anstarren. Sie weigert sich beinahe zu glauben, was sie da gerade hört, aber er setzt noch eins drauf und schreit ungerührt weiter: >Und das alles hast du mir nicht erzählt, weil du es... wie war das? verschusselt hast, weil es nicht wichtig für dich war?! Ich glaube das einfach nicht! Meine Frau ist eine elbenblütige Hexe und ich erfahre als Letzter davon!< Die Worte treffen sie so hart und unvermittelt, als hätte er ihr mitten ins Gesicht geschlagen. Elbenblütige Hexe... Das Zimmer um sie herum beginnt zu schwanken und sie spürt, wie etwas mit kalten, schwarzen Fingern ihr Herz umschlingt. Eine Flut von Erinnerungen brüllt über sie hinweg, grausam und ohne Vorwarnung, und sie fühlt sich durch die Zeit zurückgerissen an einen Tag, an dem sie diese Worte schon einmal zu hören bekommen hatte, kalt und voller Hass und unauslöschlich in ihre Seele gebrannt. Sie will etwas erwidern, will ihn anschreien, aber ihre Kehle ist plötzlich wie ausgetrocknet und ihre Zunge gehorcht ihr nicht. Sie kann Caewlin nur wie betäubt anstarren, als er überschäumend vor Zorn den Stuhl gegen die Wand schmettert und unter lautem Getöse ein Regen aus geborstenen Holzsplittern und Scherben rundum niedergeht, als die Schalen und Schüsseln klappernd davonrollen und ein Schwall kochendheißer Brühe sich über den Boden ergießt. Hinter der geschlossenen Tür ist leise ein erschrockenes Zischen zu hören, ein Rascheln und hastige Schritte - wahrscheinlich nimmt das Gesinde gerade entsetzt die Lauscher vom Türblatt -, doch Raven hätte es nicht einmal gemerkt, wenn in diesem Moment ein siebenköpfiger Drache durch das Fenster hereingeflogen wäre. Wie versteinert sitzt sie auf dem Schemel und starrt Caewlin an, als er sich vor sie kniet und ihr die mit Feuerwein gefüllte Schüssel auf den Schoß stellt.

"Sag das nie wieder zu mir..." Ihre Lippen formen fast lautlos die Worte, aber dann gehen sie in einem erstickten, schmerzerfüllten Wimmern unter, als Caewlin ihre Hände packt, so fest, als wolle er sie zerquetschen. Tränen laufen ihr über das Gesicht, vermischen sich mit dem Blut, das aus ihren miteinander verwobenen Händen quillt, ihren Arm hinabrinnt und in die Schüssel mit Feuerwein tropft, auf ihre Knie, auf das Leintuch und auf den Boden, und der Schmerz ist so groß, dass er ihr beinahe den Atem raubt. Seine Stimme ist leise und hat jeglichen Anflug von Zorn verloren, als er zum Sprechen ansetzt: >Aye, deine Entschuldigung nehme ich an. Du hast gesagt, du wolltest mich nie belügen oder mir etwas verschweigen und ich glaube dir - aber du hast es getan, Raven, und ja verdammt nochmal, es hat mich getroffen. Zu hören, dass du... du... eine Magoi bist und elbenblütig obendrein und dazu noch gedacht hast, du könntest niemals Kinder haben, das hat mich erschüttert, schätze ich. Verständlich, oder?< Es ist schwer, seinem Blick standzuhalten. Aber noch schwerer ist es, den Blick abzuwenden, und so lässt sie ihre Augen in seinen ruhen, und was sie darin lesen kann, erschüttert sie zutiefst. >Aber das Wissen, dass du... dass du Angst hattest... vor mir, dass du mir und uns, allem, was wir geteilt haben, meiner... Liebe wenn du so willst, einfach nicht genug vertraut hast, um es mir zu sagen... das hat mich ... Erinnerst du dich an die Inarinacht? Ich habe dir alles erzählt, Raven. Ich hatte Angst, du könntest dich von mir abwenden, wenn du erst alles über mich wüsstest, doch ich war bereit, dich gehen zu lassen, wenn du dann hättest gehen wollen - auch wenn es mich zerrissen hätte. Ich konnte nicht damit leben, dass du nicht weißt, wer ich bin. Du musstest es erfahren, du hattest ein Recht es zu wissen und dich dann zu entscheiden. Du bist nicht gegangen, im Gegenteil. Du hast mich an dein Herz gehalten und mich trotzdem geliebt. Ich dachte, du wüsstest, was ich für dich fühle, aber die Erkenntnis, dass du... dass du mir das offensichtlich nicht zutraust ist... bitter.< Die Maske aus Zorn und brennender Wut in seinem Gesicht ist zerfallen, und seine hellen Augen blicken plötzlich so müde und traurig, dass es ihr vor Kummer das Herz zusammenschnürt.

"Du warst nie ein Feigling", sagt sie leise und ihre Stimme zittert so vor Qual, dass sie kaum einen Ton herausbringt. "Ich dagegen schon. Vielleicht habe ich dir wirklich nicht genug vertraut. Vielleicht habe ich daran gezweifelt, dass du mich so haben willst, wie ich wirklich bin. Niemand wollte das je. Niemand wollte jemals wirklich alles haben. Es hat nie jemanden gekümmert oder interessiert, was unter der Stachelhaut steckt. Nie. Vielleicht habe ich geglaubt, dass du mich nur fehlerlos haben willst, so wie alle anderen, und ... vielleicht hatte ich auch Angst, es dir zu erzählen, weil ich fürchtete, du könntest dir Calyra zurückwünschen .... sie hat dir einen Sohn geschenkt, sie hat dir all das schenken können, von dem ich dachte, dass ich es dir niemals geben kann. Es tut mir leid, dass all das geschehen ist, es tut mir leid und ich wünschte, ich wäre nicht so dumm gewesen, ich wünschte, ich hätte mehr Zutrauen gehabt und ich wünschte, ich wäre mutiger gewesen, dann hätte ich dir nicht wehgetan. Aber ich war es nicht, es ist geschehen und ich kann es nicht mehr rückgängig machen. Aber wählen kannst du noch immer und wenn du kein Elbenblut, keine Magoi und keine Lügnerin zur Frau haben willst, wenn du keine katzenäugigen Kinder haben willst, dann werde ich gehen." Ihre Hände schweben noch immer über der Schale mit Feuerwein, ineinander verschlungen, verwoben, brennend, schmerzend und blutend, und als ihr Blick darauf fällt, kann sie spüren, wie sich in ihrem Inneren etwas bewegt, wie etwas aufbricht, und auf einmal scheint diese Geste etwas von einem Ritual an sich zu haben ... und sie weiß plötzlich, dass ihre Liebe groß genug ist, die Qual zu überstehen, die sie einander angetan haben, dass sie auch die Wunden überstehen kann, die sie dem anderen geschlagen haben, und wenn sie gemeinsam den körperlichen Schmerz ertragen würden, der sie in diesem Moment zusammenschweißt, dann würde es nichts mehr geben, was sie noch trennen, nichts, was sie noch auseinanderreißen könnte. Sie schließt die Augen, still, und so langsam, dass es einem Schwur gleichkommt, als sie sich nach vorne beugt und ihre Stirn an seine legt. In dem Moment, als Caewlin die Hand senkt, die ihre umschlossen hält, weiß sie mit untrüglicher Sicherheit, was kommen wird, und sie beißt tapfer die Zähne zusammen, obwohl sie mittlerweile am Rande der völligen Erschöpfung entlangbalanciert. Sie weiß aber auch - oder vielleicht spürt sie es auch nur -, dass er sie nicht allein lassen wird, dass er ihre Hände nicht loslassen und seine mit ihren verschlungen in den Feuerwein tauchen wird, bereit, freiwillig die gleichen Schmerzen zu ertragen, als könne dies sie miteinander verschmelzen. Es ist, als würden sie etwas besiegeln, unverbrüchlich, endgültig und für immer und alle Zeit.

Auf den Schmerz, der aber dann tatsächlich kommt, ist Raven jedoch absolut nicht vorbereitet. Er haut sie schlichtweg einfach um, als Caewlin ihre Hände in die Schüssel taucht, und sie kommt nicht einmal mehr dazu, aufzuheulen oder auch nur irgend etwas zu tun. Ihr wird schlagartig schwarz vor Augen und dann kippt die Welt kopfüber. Das nächste, was sie spürt, sind ihre schmerzbrüllenden Hände, die jemand in blanke Salzsäure getaucht zu haben scheint, oder vielleicht ist auch gerade jemand dabei, ihr die Haut lebendig vom Leibe zu ziehen. Ein loderndes Höllenfeuer scheint ein Nichts zu sein gegen die Schmerzen, die sich von ihren Händen aus in ihre Arme hinauffressen und durch sie hindurchbranden wie weißglühendes Feuer. Tränen schießen ihr aus den Augen und ein wimmernder Klagelaut löst sich von ihren Lippen, und dann kippt sie wortlos und stumm vom Schemel. Sie weiß nicht, wie lange sie ohne Besinnung ist, und eine ganze Weile spürt sie nichts außer dem lodernden Schmerz in ihren Händen, bevor sie realisiert, dass jemand sie festhält und an sich presst. In einem wilden Reflex versucht sie, sich zu befreien und um sich zu schlagen, um diesen Schmerzen zu entkommen, doch allein die Bewegung reicht, sie sogleich wieder an den Rand der Bewusstlosigkeit zu treiben. Noch immer hält Caewlin ihre Hände fest umschlungen, zitternd und mit kreidebleichem Gesicht, bis der Schmerz allmählich in ein heißes, dumpfes Pochen abflaut - nach wie vor unerträglich, aber immerhin gelingt es Raven inzwischen, bei Sinnen zu bleiben, auch wenn ihr Kopf in einer dicken, grauen Wolke der Benommenheit zu stecken scheint. Durch diesen träge wallenden Nebel dringt irgendwann Caewlins Stimme an ihr Ohr: >Geht es wieder? Raven? Keine Sorge, schlimmer wird es nicht werden...< "Das ... das beruhigt mich jetzt aber ungemein." Ihre Stimme ist ein heiseres, schmerzerfülltes Krächzen, und sie hat Mühe, ihrer Kehle überhaupt einen verständlichen Laut zu entringen. Einen langen Moment verharrt sie reglos und völlig benommen, den Kopf an seiner Schulter, doch dann zwingt sie ihre schmerzenden Knochen und Muskeln dazu, ihr zu gehorchen, und sich selbst dazu, sich aufzurichten, so sehr sie sich auch nach der Wärme und dem Halt seines Körpers sehnt.

"Bist du jetzt fertig damit? Hättest du mich nicht einfach nur verprügeln können?" keucht sie und schnappt kläglich nach Luft, während ihr Blick dem seinen folgt, der bedauernd an Brot und Schinken klebt, die in einer Suppenpfütze auf dem Fußboden herumschwimmen. >Und ich bin ein Narr<, hört sie ihn sagen. >Ich hätte mir die Hose ausziehen sollen, bevor ich meine Hand in Feuerwein gelegt habe, die Schnüre bekomme ich so nie auf. Ich muss in die Wanne, ich starre vor Dreck. Und etwas essen...< "Geschieht dir recht, wenn du hungern musst", japst sie nur und löst mit schmerzverzerrtem Gesicht ihre Hände aus seiner Linken, um damit nach dem Langdolch zu angeln, der sich irgendwo unter dem dreckstarrenden Kleiderhaufen verbergen muss. Sie kann vor Schmerz zwar kaum die wunden, blutenden Finger krümmen, aber mit beinahe übermenschlicher Willensanstrengung und zusammengebissenen Zähnen gelingt es ihr schließlich, den Dolchgriff zu fassen. Ihr Blick heftet sich auf das heillose Durcheinander, das er in seiner maßlosen Wut angerichtet hat. "Dalla wird entzückt sein, wenn sie das wieder wegputzen darf." Mühsam kommt sie auf die Füße und es gelingt ihr sogar stehenzubleiben, obwohl ihre Knie dabei schlimmer aneinanderschlagen als die Schellen an einem Tambourin. "Steh auf", fordert sie und beobachtet mit grimmiger Genugtuung, dass er nicht weniger Mühe hat, als sie selbst, sich auf die schmerzenden Beine zu hieven. Mit noch viel größerer Genugtuung registriert sie das wachsende Unbehagen in seinem Blick, den er keinen Herzschlag lang von der Klinge in ihren Fingern nimmt. "Und jetzt halt still." Noch bevor er irgend etwas sagen oder tun kann, rückt sie mit dem Dolch entschlossen der Verschnürung seiner Beinkleider zu Leibe, säbelt die Knoten der Lederbänder auf und dirigiert ihn zu dem dampfenden Badezuber hinüber.

Sie ist nicht so naiv zu glauben, dass es an dem Dolch in ihrer Hand liegt, aber Caewlin schält sich tatsächlich aus seinen Hosen und steigt folgsam in den Zuber. Während er sich in das heiße Wasser sinken lässt, fischt sie nach Lappen und Seife, wild entschlossen, es ihm heimzuzahlen. Kaum dass ihre wunden Finger jedoch die Wasseroberfläche berühren, bereut sie ihren Entschluss auch schon bitterlich. Caewlins wissendes, boshaftes Grinsen übersieht sie dabei geflissentlich und beginnt ohne Umschweife damit, ihm das Haar einzuseifen. Das heiße Wasser und der Seifenschaum brennen zwar wie blanke Säure auf der offenen, aufgeplatzten Haut, aber sie presst nur die Kiefer zusammen und versucht in stiller Verzweiflung, den Schmerz zu ertragen. Schweigend kniet sie sich hinter den Zuber und während ihre Finger vorsichtig durch Caewlins blutverkrustetes Haar fahren, sucht sie nach den richtigen Worten. "Mein Vater hat mich so genannt", sagt sie leise. "Elbenblütige Hexe. Das war an dem Tag, an dem meine Mutter gestorben ist. Er hat mich vom ersten Atemzug an gehasst, und das hat er mich auch deutlich spüren lassen." Ihre Stimme stockt, als müsse sie die Worte erst mühsam aus den Tiefen ihrer Gedanken hervorzerren, bevor sie weiterspricht. "Meine Mutter hat ihm fünf Söhne geboren, und als ich dann auf die Welt kam, war er so bitter enttäuscht, als hätte sie ihm ein Kuckucksei ausgebrütet. Er hat mich gehasst, weil ich kein Sohn geworden bin, sondern eine Tochter. Töchter wollte er nicht. Seiner Meinung nach sind Mädchen zu nichts nütze, machen nur Ärger und man muss sie auch noch rentabel verheiraten. Und ich war auch kein strammer, hochgewachsener Bilderbuchnormander, kein blondgelockter, propperer Achtpfünder, als ich auf die Welt kam, sondern ein kleines, dünnes, verschrumpeltes Etwas mit Haaren, schwarz wie Rabenfedern. Das hat er meiner Mutter nie verziehen. Und auch das Elbenblut nicht. Er wusste sehr wohl davon, aber richtig akzeptieren konnte er es nie, auch wenn er sie geliebt hat. Richtig schlimm wurde es, als ich das letzte Kind blieb. Nach mir hatte meine Mutter zwei Fehlgeburten und dann wurde sie überhaupt nicht mehr schwanger, und seitdem hat er mich für eine Art Fluch gehalten, den ihm übelgelaunte Götter aufgehalst haben, für eine Plage, die er irgendwie wieder loswerden musste. Ich war noch sehr klein damals, und ich kannte seine Gründe nicht, aber dennoch habe ich gespürt, wie sehr er mich verabscheute."

Ihre Finger zittern, als sie mit der hohlen Hand Wasser schöpft und damit den Seifenschaum aus Caewlins Haaren spült - vielleicht vor Schmerzen, vielleicht wegen all den Bildern, die aus der Tiefe ihrer Erinnerungen emporsteigen. Vielleicht auch wegen beidem. Sie hatte nie zuvor von all diesen Dingen gesprochen, zu niemandem, und fast hatte sie alles vergessen geglaubt. Doch es scheint, als wären die Wunden niemals richtig verheilt und jetzt wieder aufgebrochen. "Ich dachte, er würde mich vielleicht lieben, wenn ich so wäre wie meine Brüder, also habe ich versucht, ihnen nachzueifern und alles zu tun, was sie auch taten. Ich lernte reiten, noch bevor ich richtig laufen konnte, ich lernte schießen und mit Waffen umzugehen, ich übte mit Schwertern, die ich noch nicht einmal richtig heben konnte - alles in dem Glauben, dass er, wenn ich mich nur genug anstrengen würde, mich ebenso lieben würde wie sie. Aber es half alles nichts, an seiner Abneigung änderte sich auch dadurch nichts. Und dann starb meine Mutter, da war ich wohl sechs oder sieben Jahre alt. Ich hatte Streit mit meinem Vater, weil ich irgend etwas nicht tun wollte, was er mir aufgetragen hatte, und war wütend mit meinem Pony davongeritten, statt zu gehorchen. Ich ritt in der Nähe der Küste entlang, in einem Waldstück, in dem es auch einen ziemlich tückischen Sumpf gibt, aber bevor ich am Abend umdrehen und wieder nach Hause zurückkehren konnte, kam ein schlimmer Sturm auf. Ich habe geschlottert vor Angst, aber ich bin einfach unter einem Felshang untergekrochen und wollte abwarten, bis der Sturm vorbei war und ich wieder nach Hause konnte. Aber meine Mutter muss sich unterdessen halbtot gesorgt haben. Sie verlangte von meinem Vater, dass er mir jemanden nachschicken sollte, weil sie fürchtete, ich würde in die Sümpfe geraten, aber er weigerte sich, weil er meinte, ich hätte es in meinem Trotz nicht besser verdient. Sie stritten deswegen und meine Mutter geriet über seine Sturheit dermaßen in Wut, dass sie ihr Pferd satteln ließ und mir hinterher ritt - und dann war sie selbst es, die in die Sümpfe geriet, von ihrem Pferd abgeworfen wurde und die Nacht in einem eiskalten Wasserloch verbrachte, aus dem sie nicht mehr herausgelangen konnte. Als mein Vater endlich jemanden schickte, war sie schon völlig am Ende ihrer Kräfte. Sie wurde nicht mehr gesund und starb keine zwei Siebentage später an schlimmem Lungenfieber. Ich weiß noch ... ich weiß noch, wie mein Vater aus ihrem Zimmer kam. Er hat mich gepackt und geschüttelt und angebrüllt und dann hat er mich grün und blau geprügelt und in seinem Hass und Zorn immerfort geschrieen, ich sei verflucht und ich sei die gleiche elbenblütige Hexe wie meine Mutter, und es sei alles nur meine Schuld und er hätte mich besser gleich nach meiner Geburt ersäufen sollen."

Ravens Hände verharren in der Bewegung und klammern sich haltsuchend an den Rand des kupferbeschlagenen Zubers. Sie beugt den Kopf, als würde das Gewicht der Erinnerungen ihn niederdrücken, und der Stein in ihrem Nacken scheint plötzlich eine Zentnerlast zu wiegen. "Die nächsten Jahre waren schlimm und er machte mir das Leben zur Hölle, wo er nur konnte. Er hat mich gehasst, er wollte mich einfach nicht, und für meine Brüder war ich nur ein lästiges Anhängsel. Und meine Mutter war tot. Es war vor allem eine einsame Zeit und ich blieb allein mir selbst überlassen, bis er dann eines Tages auf die Idee kam, er müsse mich an die Flusslords verheiraten. Es war er selbst gewesen, der sie in meine Kammer gelassen hatte, nachdem sie ihn lange genug beschwatzt hatten. Was ...was damals geschah, weißt du." Sie bemüht sich, ihrer Stimme einen festen Klang zu geben, aber sie kann das Zittern darin kaum noch verbergen. "Aber ich habe an diesem Tag viel mehr verloren als nur mein Zuhause oder meine Unschuld. Als ich aus dieser Burg kroch, als mich Raidri dann fand, wollte ich nur noch sterben. Und als dieser Heiler, zu dem er mich brachte, dann auch noch sagte, dass ich keine Kinder haben könne .... ich ... ich war doch zu gar nichts mehr nütze, nicht einmal das hätte ich gekonnt. Ich war ein Nichts, ein Niemand, nicht mehr als ein Stück Dreck, das nie jemand haben wollte, nur eine elbenblütige Hexe, die anderen Unglück bringt, und den größten Teil meines Lebens habe ich mich auch genau so gefühlt. Ich habe mit der Zeit gelernt, mich zu verstecken, und all das, was ich bin, zu verbergen und niemandem zu zeigen. Und niemand wollte es je sehen. Noch nicht einmal der Druide. Immer wenn ich Angst hatte oder in Schwierigkeiten geriet, war er weit fort, und jedes Mal, wenn ich ihn gebraucht hätte, hatte er gerade mit seelischen Krisen zu kämpfen. Ich war ihm einfach nicht wichtig, und irgendwie dachte ich, dass ich es wohl auch nicht verdienen würde, jemandem wichtig zu sein. Ich habe auch nie gelernt, jemandem zu vertrauen, und diejenigen, bei denen ich es versuchte, haben mir die schlimmsten Dinge angetan." Raven kauert hinter dem Badezuber und ihre Stimme wird so leise, dass sie nicht weiß, ob Caewlin sie überhaupt noch hört. All das zu erzählen, kostet sie so viel Überwindung, dass sie mittlerweile am ganzen Körper zittert, und sie fühlt sich so nackt und schutzlos wie ein Neugeborenes. "Ich habe nie jemandem wirklich so vertraut, dass ich ihm all das erzählt hätte. Es hat auch nie jemand wissen wollen, kein Mensch hat mich je so haben wollen, wie ich bin. Ich war so dumm, dir nicht alles zu erzählen, so feige .... ich hatte einfach Angst .... jetzt weiß ich, dass ich sie nicht hätte haben müssen. Aber nun ist es vielleicht zu spät. Du hättest so viel mehr verdient als mich und ich kann verstehen, dass du enttäuscht und verletzt bist. Und ich möchte, dass du ... dass du glücklich bist, deswegen .... was ich vorhin sagte, meinte ich auch so, du kannst immer noch entscheiden, ob du mit so etwas dein Leben teilen willst. Und wenn du dich dagegen entscheidest, dann werde ich es akzeptieren und gehen." Auch wenn es mich umbringen wird.

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Caewlin am 27. Okt. 2005, 23:57 Uhr
Als sie sich irgendwann mühsam wieder auf die Füße quälen, kann er nicht sagen, wer von ihnen beiden jetzt mehr zittert, aber noch stärker, als die orgiastischen Schmerzen, die sie gerade durchgestanden hatten, haben ihn ihre kurz zuvor gesprochenen Worte erschüttert - sie hallen immer noch in ihm nach, ein leises, anklagend flüsterndes Echo. >Du warst nie ein Feigling. Ich dagegen schon. Vielleicht habe ich dir wirklich nicht genug vertraut. Vielleicht habe ich daran gezweifelt, dass du mich so haben willst, wie ich wirklich bin...Vielleicht habe ich geglaubt, dass du mich nur fehlerlos haben willst, so wie alle anderen, und ... vielleicht hatte ich auch Angst, es dir zu erzählen, weil ich fürchtete, du könntest dir Calyra zurückwünschen .... sie hat dir all das schenken können, von dem ich dachte, dass ich es dir niemals geben kann. Es tut mir leid, dass all das geschehen ist... ich wünschte, ich wäre nicht so dumm gewesen, ich wünschte, ich hätte mehr Zutrauen gehabt... ich wünschte, ich wäre mutiger gewesen, dann hätte ich dir nicht wehgetan... es ist geschehen und ich kann es nicht mehr rückgängig machen.... wählen kannst du noch immer... wenn du kein Elbenblut, keine Magoi und keine Lügnerin zur Frau haben willst, wenn du keine katzenäugigen Kinder haben willst, dann werde ich gehen.< Er muss sie wie vom Donner gerührt angestarrt haben, ehe der Sinn ihrer Worte zu ihm durchgedrungen war und er ganz langsam, wie ein Verwundeter, der weiß, dass das Ende kommt und sich dennoch bewegen muss, den Kopf geschüttelt hatte. "Ja," hatte er leise erwidert. "Du hättest mir vertrauen sollen, aber ein Feigling bist du nicht, Raven, das warst du nie. Mir Calyra zurückwünschen? Cal hat rein gar nichts mit dem hier zu tun und nichts mit uns beiden, und das weißt du genau. Sie ist tot. Ich habe dir einmal gesagt, dass ich sie mir nicht an deine Stelle wünsche, ich habe es damals so gemeint - und ich meine es noch. Wählen? Du glaubst, ich würde deine Kinder nicht wollen, nur weil sie spitze Ohren und schräge Augen haben könnten? Es wären doch ebenso meine Kinder wie deine. Gehen? Du gehst nirgendwohin. Du magst vielleicht eine elbenblütige Hexe sein, Raven, aber du bist meine elbenblütige Hexe. Und ganz gleich, was du mir für Kinder schenken wirst, sie werden ein Teil von dir sein - und ich würde sie lieben." Er hat ihre Hände nicht losgelassen, die ganze Zeit über nicht. Ihr Schmerz war zu seinem und sein Leid zu ihrem geworden, während ihr wundes Fleisch verschmolzen war, und auch die letzten Membranen, Masken, Hüllen und Abgründe, die sie noch trennten, zerrissen waren. Sie hatte ihre Stirn an seine gepresst und dann hatte ein Strudel aus Blut, Schweiß, Wundwasser, Dreck, Haut und Feuerwein sie für immer verbunden.

Jetzt richtet sie sich zittrig auf, murmelt etwas, fragt etwas, erwidert irgendetwas auf seine bedauernden Worte, die seinen Hosen und dem Essen gelten, doch ihre Stimme und die Bedeutung ihrer Worte sickert nur allmählich durch den roten Nebel in seinen Gedanken. >Bist du jetzt fertig damit? Hättest du mich nicht einfach nur verprügeln können?< "Ich schlage keine schwangeren Frauen," hört er sich selbst sagen, mit tränenden Augen und nicht minder abgehackt nach Atem ringend, als sie. Der Schmerz in seinem Arm ist mittlerweile zu einem dumpfen Pochen abgeflaut, aber seine Finger fühlen sich noch immer an, als würden sie sich gerade in Säure auflösen. "Normalerweise schlage ich überhaupt keine Frauen, nur um in Übung zu bleiben." >Steh auf,< fordert sie und er tut es, schwankend wie ein Betrunkener, dann allerdings fällt sein Blick auf den Dolch in ihrer Hand und seine Augen werden schmal. Er hat nicht den leisesten Schimmer, was sie mit der zwölf Zoll langen Klinge anfangen will, aber der Anblick ist durchaus beunruhigend - vor allem, weil sie eindeutig mehr als aufgewühlt ist und durchaus wütend sein könnte, und obendrein keinen Deut sicherer auf den Beinen steht, als er. Sein Blick zuckt einen Herzschlag lang von dem Dolch in ihrer Hand zu ihren Augen und die grimmige Befriedigung über die Sorge, die sich auf seiner Miene gezeigt haben muss, lässt ihn empört schnauben. "Rachsüchtiges Biest." Sie schnaubt einen sehr normandischen Laut der Verachtung zurück und zupft dann energisch an den ledernen Schnürbändern seiner Hose herum - so energisch sie es mit ihren wunden Fingern eben vermag. >Und jetzt halt still.< "Bei allen Göttern, Raven, wenn du nicht für den Rest deines Lebens mit einem Eunuchen verheiratet sein willst, dann sei um Himmels Willen vorsichtig mit dem Ding! Du kannst das Messer ja kaum halten..." Ihr Lächeln wird nur eine Spur schmaler, als sie die Knoten mit einem Ratsch durchtrennt und dann wortlos mit der blanken Klinge in Richtung Badezuber weist. Caewlin ergibt sich seufzend in sein Schicksal, zerrt sich mühsam und leise fluchend vor Schmerz das von getrocknetem Blut und Dreck stocksteife, schwere Leder vom Leib, und steigt dann in das noch immer dampfende Wasser. Die Hitze lässt Flammen aus seinen Wunden schlagen und aus seiner geschundenen Hand erst recht, aber er beißt die Zähne zusammen und taucht einmal völlig unter, ehe er sich mit einem leisen Stöhnen, halb Schmerz, halb Erleichterung, an das hochgezogene, kupferbeschlagene Ende des Zubers lehnt. Trotz des brennenden Stechens in den Prellungen und Quetschungen, die geschwollen, pochend, rotschwarz und blauviolett seine Brust, seine Rippen und seinen Rücken verunzieren, fühlt sich das heiße Wasser ansonsten geradzu paradiesisch an, und verwandelt seine überanstrengten und völlig verkrampften Muskeln binnen weniger Augenblicke in weiche Butter.

Er dreht den Kopf, dehnt die Nackenmuskeln und hört seine Halswirbel vernehmlich knacken, und als er die Augen öffnet, sieht er Raven irgendwo an seinen Knien entschlossen nach dem Lappen angeln. Den Dolch hat sie inzwischen aus der Hand gelegt, aber ihre Miene enthält ein eindeutig drohendes Versprechen - zumindest solange, bis ihre aufgerissenen Hände mit dem Seifenschaumwasser in Berührung kommen und sie schmerzerfüllt das Gesicht verzieht. Caewlin grinst sie ohne eine Spur Reue an, aber sie lässt sich nicht beirren, fischt auch noch nach der Seife und beginnt dann, sein Haar auszuwaschen... sehr viel sanfter, als er erwartet hat. Er rechnet mit vielem, vor allem damit, dass er die ruppige Behandlung, die er ihr hatte zuteil werden lassen, nun mit Zins und Zinseszins heimgezahlt bekäme - womit er nicht rechnet, ist ihre leise, verletzte Stimme und die lange, verworrene Erklärung voll dunkler Erinnerungen und lange vergessenen Leides, die sie ihm stockend  gibt. >Mein Vater hat mich so genannt. Elbenblütige Hexe. Das war an dem Tag, an dem meine Mutter gestorben ist. Er hat mich vom ersten Atemzug an gehasst, und das hat er mich auch deutlich spüren lassen...< Caewlin erstarrt, als er ihre Worte hört und holt kräftig durch die Nase Luft. Er lauscht ihr fassungslos und schweigend, unterbricht sie kein einziges Mal, während sie erzählt und ihm dabei das Haar auswäscht, schließlich neben der Wanne kniet und sich mit blutenden Fingern am Rand festklammert. Ihr Blick geht ins Leere, während sie spricht, als sehe sie weder ihn, noch den Raum um sie her, als nehme sie nichts mehr von ihrer Umgebung wahr, sondern blicke durch die Jahre zurück in ihre Kindheit. Wenn er geglaubt hat, sein Vater sei ein kaltschnäuziger Hurensohn, dann wird er jetzt eines besseren belehrt - gegen Thorgal von Corwyness wirkt Cedric Långbenet wie der reinste Sonnenschein. >Er hat mich gepackt und geschüttelt und angebrüllt und dann hat er mich grün und blau geprügelt und in seinem Hass und Zorn immerfort geschrieen, ich sei verflucht und ich sei die gleiche elbenblütige Hexe wie meine Mutter, und es sei alles nur meine Schuld und er hätte mich besser gleich nach meiner Geburt ersäufen sollen...< Caewlin starrt durch die aufsteigenden Dampfschwaden in die seifige Brühe, die sich längst in milchiges Schmutzwasser verwandelt hat und sieht Raven als Kind vor sich, ein kleines Mädchen mit schwarzem Zopf und großen, braunen Augen, dass die Welt nicht mehr versteht, gerade seine Mutter verloren hat und von dem einzigen Menschen, der ihm Trost und Wärme hätte geben müssen, dafür geprügelt worden ist wie ein Hund. Elbenblütige Hexe... und nun habe ich sie so genannt, ah djävla. Verdammt.

Es hilft rein gar nichts, dass er sich sagt, dass er es schließlich nicht als Beleidigung gemeint hat. Sie ist nun einmal elbenblütig, und sie kann nun einmal hexen - oder hat immerhin das Talent, etwas mit einem einzigen Blick anzuzünden. Deswegen war er schockiert gewesen, sicher, aber was ihn so zornig gemacht hatte, war die Tatsache, dass sie ihm von all dem so lange kein Sterbenswörtchen erzählt hatte. Was soll das jetzt noch für einen Unterschied machen? Du hast sie verletzt. Er sieht sie an, aber sie hält ihren Kopf und ihren Blick gesenkt, und ihre Stimme bricht fast, als sie weiter spricht. >Die nächsten Jahre waren schlimm und er machte mir das Leben zur Hölle, wo er nur konnte. Er hat mich gehasst, er wollte mich einfach nicht, und für meine Brüder war ich nur ein lästiges Anhängsel. Und meine Mutter war tot. Es war vor allem eine einsame Zeit und ich blieb allein mir selbst überlassen, bis er dann eines Tages auf die Idee kam, er müsse mich an die Flusslords verheiraten. Es war er selbst gewesen, der sie in meine Kammer gelassen hatte, nachdem sie ihn lange genug beschwatzt hatten. Was ...was damals geschah, weißt du...< Er hält es keinen Herzschlag länger aus, sie nicht zu berühren, also steigt er aus der Kupferwanne, streift sich das Wasser von der Haut, wringt sein Haar aus, schlingt sich ein Handtuch um die Hüften und legt sich eines in den Nacken und tappt dann auf nackten, nassen Füßen zu ihr. Inzwischen kauert sie hinter dem Zuberrand und zittert von Kopf bis Fuß, weigert sich aber immer noch, ihn anzusehen, und fährt stockend und immer leiser werdend fort. Im Raum ist es warm, denn im Kamin schlagen die Flammen hoch, aber er fröstelt dennoch und das nicht vor Kälte. >Ich war so dumm, dir nicht alles zu erzählen, so feige .... ich hatte einfach Angst .... jetzt weiß ich, dass ich sie nicht hätte haben müssen. Aber nun ist es vielleicht zu spät. Du hättest so viel mehr verdient als mich und ich kann verstehen, dass du enttäuscht und verletzt bist. Und ich möchte, dass du ... dass du glücklich bist, deswegen .... was ich vorhin sagte, meinte ich auch so, du kannst immer noch entscheiden, ob du mit so etwas dein Leben teilen willst. Und wenn du dich dagegen entscheidest, dann werde ich es akzeptieren und gehen.< "Ich liebe dich, närrischer Angsthase," erwidert er leise, streicht ihr mit dem Handrücken das Haar aus dem Gesicht und berührt ihre Wange. "Da gibt es nichts zu entscheiden. Ich habe dich von anfang an gewollt, mehr als ich jemals irgendetwas sonst in meinem Leben gewollt habe und ich will dich immer noch. Komm. Komm jetzt, ich bringe dich hoch, du bist völlig erledigt." Er hilft ihr auf die Füße, erkennt, dass sie kaum noch alleine stehen kann und nimmt sie in die Arme. Sie ist leicht wie ein Kind und einen Moment lang kommt ihm der belustigte Gedanke, dass es durchaus auch praktische Vorteile hat, eine so kleine und zierliche Frau zu haben - man kann sie auch dann noch tragen, wenn einem die Arme nur noch aus zerkochter Sülze bestehen.

Im Gang begegnet er Dalla, die dort gerade  mit einem Staubwedel als Tarnung um die Ecke schleicht, bei seinem Anblick allerdings schuldbewusst zur Salzsäule wird und erst ihn, dann Raven ungläubig anstarrt, ehe sie hastig den Blick senkt. "Oh, ich weiß schon, du gehorchst immer," schnaubt er. Die Mogbarmagd blickt auf ihre Füße, den Boden, die Wände und die Decke, überall hin, aber nicht mehr in sein Gesicht und nickt so heftig, dass ihre Haube verrutscht. Caewlin sieht die nachdenkliche Falte zwischen ihren dünnen Brauen dennoch und schnaubt noch einmal. "Sei nicht albern, ich habe ihr nichts getan. Bring uns heißen Tee, Salbe und Leinen nach oben. Und etwas zu essen." Er tritt zur Seite und trägt seine völlig erschöpfte Frau durch den langen Flur, wendet sich dann nach links und die Treppen hinauf und bringt sie ins Schlafzimmer. Auch dort ist es warm, weil im Kamin funkenstiebend ein Feuer brennt, aber seine orangeroten Flammen sind auch das einzige Licht im Raum, so dass glühendes Halbdunkel herrscht. Die beiden Hunde haben sich längst hierher verzogen, dösen auf den Lammfellen und heben nur müde die Köpfe, als er mit Raven hereinkommt und sie ins Bett legt. Er reicht ihr eines seiner Hemden, das ihr ohnehin bis an die Knie geht, als Nachtgewand, nimmt ihr das feuchte Handtuch ab und hüllt sie in eine warme, weiche Pelzdecke. Dann überlässt er sie kurz sich selbst, um nach den Kindern zu sehen, die jedoch beide in Bryndens Zimmer friedlich und ungerührt von allem vor sich hinschnarchen. Während er seinen Sohn zudeckt und Crons naseweiser kleiner Tochter die Decken vorsichtig aus dem Gesicht schlägt, in die sie sich jedoch grummelnd sofort wieder verkriecht, hört er Dalla im Schlafgemach nebenan mit einem Tablett hereinklappern. Raven murmelt leise einen Dank und die Mogbar tätschelt mitfühlend ihr blankes Knie, das unter den Decken herauslugt, gerade, als er aus dem Kinderzimmer zurückkommt. "Geh, ich kümmere mich um sie." Dallas vorwurfsvollem Blick kann er entnehmen, dass sie sich inzwischen das Erkerzimmer angesehen hat, und dass sie ihn ganz allein für Ravens Zustand verantwortlich macht - und in gewisser Weise muss er ihr da sogar zerknirscht recht geben - aber sie watschelt dennoch ohne Widerworte hinaus. Ihre oberste Magd hat ihnen nicht nur eine Kanne Tee, Zaubernussalbe und Verbände gebracht, sondern auch - und dass, obwohl zumindest er es nicht verdient hat - Brot und kräftige Fleischbrühe. "Lass mich deine Hände sehen..." er setzt sich zu ihr, nimmt ihre geschundenen Finger vorsichtig in seine und trägt dann dick die grünweiße Paste aus dem Tontiegelchen auf, die Dalla ihnen mit heraufgebracht hat. Sie duftet nach Kräutern und wirkt sofort kühlend und lindernd auf den tiefen Schnitten und den aufgescheuerten Stellen, wo das Fleisch rot und roh durchschimmert.

"Dein Vater ist ein solcher Narr," knurrt er missbilligend, während er ihre Hände so behutsam und locker wie möglich mit Verbandslinnen umwickelt. Sie würde die Finger darunter bewegen können, aber die Wunden wären geschützt und die Salbe würde bleiben, wo sie hingehört. "Als ob fünf Söhne nicht genug wären. Abgesehen davon sind alle Babies klein und verschrumpelt wie Winteräpfel, wenn sie zur Welt kommen, was hat er denn erwartet? Einen bärtigen Berserker mit Schild und Schwert? Wenn er auch nur den Verstand einer Kröte besitzen würde, wäre er stolz auf eine Tochter wie dich gewesen und hätte den Teufel getan, dich an diese Schlächter zu verschachern, nur um sich Grenzärger mit Stenford zu ersparen. Sorg dafür, dass ich ihm nie begegne, sonst muss ich ihm begreiflich machen, was ich von ihm halte. Ich könnte ihm den Hals umdrehen dafür - und deinen missratenen Brüdern gleich mit, weil sie nichts dagegen getan haben. Es wäre ihre Aufgabe gewesen, dich zu beschützen." Seine Stimme ist längst zu einem Grollen geworden, doch als er den Blick von ihren Händen nimmt und auf ihren gesenkten Kopf hinuntersieht, wird sein Tonfall weich und dunkel. "Kleines, dünnes, verschrumpeltes Etwas mit Haaren, schwarz wie Rabenfedern... sieh dich an, was aus dir geworden ist." Er umfasst ihr Kinn und hebt es leicht an, so dass sie ihn ansehen muss. Ihre sonst honigfarbene Haut schimmert wie poliertes Elfenbein und ihre Augen sind sehr dunkel in diesem Licht. Der Wiederschein des Feuers lässt die Goldsprenkel im samtigen Bernsteinbraun glühen, aber unter den langen, dichten Wimpern sind sie auch von etwas umschattet, das nichts mit ihrer Farbe zu tun hat - es trifft ihn unfehlbar mitten ins Herz, aber er will verdammt sein, wenn er weiß, was es ist. "Abnallautaq." Er neigt den Kopf und küsst ihren warmen, weichen Mund, schwelgt in ihrem Geschmack, einer Mischung aus Nektar und Salz, tastet über die weiche, volle Rundung ihrer Lippen, küsst ihr Kinn, ihre Wangen, ihre geschlossenen Augen und ihre Stirn, wärmt sie mit seinem Atem und zieht sie schließlich fest an sich. Sie fühlt sich furchtbar gut in seinen Armen an. "Du bist mein, Raven. Mein. Ich weiß, wer du bist und was du bist und ich lasse dich nicht gehen, selbst wenn du zehn elbische Urgroßmütter hast und zur Erzmagierin wirst."  

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Raven am 29. Okt. 2005, 21:53 Uhr
Sie hört überhaupt nicht, dass Caewlin aus dem Wasser steigt und auf nackten Füßen um den Zuber herum zu dem dämmerlichterfüllten Winkel tappt, in dem sie kauert. Erst als das Licht des Kaminfeuers seinen riesigen Schatten auf die pfützenübersäten Bodendielen wirft, sieht Raven erschrocken auf. Einen unwirklichen Atemzug lang ist sie wie benommen und ihr ist, als kehre sie von einer Reise durch die Zeit wieder, einer Reise, die sie viele Jahre zurück in die Vergangenheit katapultiert und durch ein Meer grausiger Erinnerungen gezerrt hat. Sich plötzlich in der Wirklichkeit wiederzufinden, lässt sie erleichtert aufschluchzen, auch wenn - oder vielleicht gerade weil - die Wirklichkeit in diesem Moment aus müden, schmerzenden Knochen, trübem Seifenwasser und einem Schlachtfeld von Zimmer besteht. Aber sie besteht auch aus einer warmen, dunklen Stimme, aus Augen, so blaugrün und klar wie das Meer an einem Sommertag, aus tröstlicher Wärme und zwei starken Armen, die ihr wieder auf die Füße helfen. "Caewlin, nicht .... deine Hand ... deine Rippen .... du kannst dich ja kaum noch alleine auf den Beinen halten", versucht sie zu protestieren, als er sie hochhebt, aber um herumzuzappeln, ihm wieder vom Arm zu hüpfen oder ihm auf irgendeine andere Weise wirkungsvoll Widerstand entgegenzusetzen, ist sie viel zu erledigt. Und eigentlich will sie diesen Wunderbarsten aller Plätze auch gar nicht wieder verlassen - vielleicht weil sie endlich begriffen hat, dass dies ihr Platz ist, vollkommen gleichgültig, was in ihrem Leben noch alles geschehen mag. Er war zornig gewesen, wütend, enttäuscht und verletzt, und dennoch hat er sie nicht abgewiesen, nicht fortgeschickt und nicht allein gelassen in ihrer Not, und ihre Erleichterung ist so groß, als wäre ihr gerade das ganze Wolkenthrongebirge vom Herzen gekullert. Wenn ihr Verstand auch nach wie vor nicht begreifen kann, was ein Mann wie er an ihr finden, geschweige denn lieben könnte, so weiß sie doch irgendwo tief in ihrem Inneren, dort wo dieses närrische kleine Hasenfußherz schlägt, dass es einfach die Wahrheit ist, und eine so unverrückbare Tatsache wie die, dass der Himmel blau ist oder die Sonne jeden Morgen im Osten über dem Ildorel aufgeht. Vielleicht muss ich es auch gar nicht verstehen. Ich könnte genauso wenig erklären, warum ich ein narbengesichtiges, nacktemädchenfressendes Ungeheuer liebe, es ist einfach so. Und vielleicht ist es wirklich so, wie er in der Inarinacht sagte .... vielleicht sieht er in mir etwas, was ich selbst nicht sehen kann, so wie ich in ihm etwas sehen kann, was er nicht sieht. Außerdem bin ich nicht nur ein Hasenfuß, sondern auch noch schrecklich gefühlsduselig... Die Tränen, die ihr nun vor lauter Erleichterung übers Gesicht laufen, kann sie nämlich beim besten Willen nicht mehr zurückhalten und sie vergräbt beschämt ihr Gesicht an Caewlins warmer Schulter, während sie die Arme um seinen Hals legt.

Draußen im Flur läuft ihnen prompt Dalla vor die Füße, die gerade angestrengt so tut, als täte sie etwas. Bei Caewlins harschen Worten wird die ohnehin schon ziemlich kleine Mogbarmagd noch ein Stückchen kleiner und zieht so hastig den Kopf ein, dass es den Eindruck macht, als wäre er ihr direkt auf den Schultern festgewachsen. Raven blinzelt schniefend auf sie hinunter und versucht, einen möglichst beruhigenden Gesichtsausdruck aufzusetzen und dabei so auszusehen, als sei es das Normalste der Welt und etwas vollkommen Alltägliches, dass ihr Mann sie durchs Haus spazierenträgt, während sie halbnackt, heulend und wie ein nasser Sack an seinem Hals klebt - und offenbar tut dies seine Wirkung. Dalla schleudert Caewlin zwar einen finsteren Blick zu und scheint ernsthaft zu überlegen, ob sie nicht die Stadtwache holen soll, aber dann trollt sie sich ergeben, um seine Befehle auszuführen, und zweifellos auch, um dem neugierigen Rest des Gesindes Bericht zu erstatten. Kaum dass Raven, angetan mit einem von Caewlins Hemden und in weiche Pelze gewickelt, jedoch in dem riesigen Bett sitzt und er zu den Kindern in den Nebenraum verschwunden ist, taucht Dalla allerdings auch schon wieder auf. Sie schleppt ein mit Verbandszeug, Salbe, zwei Schalen heißer Brühe und einem Brotkorb beladenes Tablett und zudem noch ein Übermaß an mitleidiger Besorgnis in das Zimmer, und sie verschwindet erst wieder, als sie sich davon überzeugt hat, dass es ihnen an nichts fehlt und Caewlin sie endgültig davonscheucht. Er setzt sich zu ihr auf das Bett, und während er sich ihre Hände betrachtet und dann mit Salbe bestreicht, tut er knurrend und unmissverständlich seinen Unmut über ihren Vater kund. >Als ob fünf Söhne nicht genug wären. Abgesehen davon sind alle Babies klein und verschrumpelt wie Winteräpfel, wenn sie zur Welt kommen, was hat er denn erwartet? Einen bärtigen Berserker mit Schild und Schwert?< Trotz der Schmerzen in ihren Fingern, der Tränen und des ganzen Ernstes, der diesen seltsamen Tag erfüllt, muss Raven bei seinen Worten auflachen. "Ich glaube, genau das hat er tatsächlich erwartet", erwidert sie augenrollend, während sie ihre Hände hin und her dreht, damit Caewlin die Verbandsstreifen drumherum wickeln kann. "Oder es sich zumindest herbeigewünscht. Eine Tochter hat einfach nicht in sein Konzept gepasst. Manchmal hat er mich so angesehen, als wäre ich irgendein merkwürdiges Wesen von einem anderen Stern, bei dem er sich wundert, wie es auf einmal in sein Haus gekommen ist. Er war ... oder ist .... ein Mann des Stahls, stur wie Maulesel, halsstarrig, jähzornig und barbarisch und von seinen Ansichten weicht er keinen Fingerbreit ab."

Die duftende Salbe tut gut auf ihrem geschundenen Fleisch und Raven spürt beinahe augenblicklich ihre kühlende, lindernde Wirkung. Sie hält bereitwillig still, während Caewlin die losen Enden der Leinenstreifen befestigt und gewissenhaft prüft, ob der Verband richtig sitzt. >Sorg dafür, dass ich ihm nie begegne<, grollt er dabei leise. >Sonst muss ich ihm begreiflich machen, was ich von ihm halte. Ich könnte ihm den Hals umdrehen dafür - und deinen missratenen Brüdern gleich mit, weil sie nichts dagegen getan haben.< "Ich will ihm auch nie wieder begegnen, das kannst du glauben", seufzt sie leise. "Ich denke nicht sehr oft an ihn oder an mein altes Zuhause, und ich will auch gar nicht wissen, wo er ist oder was er tut. Nur über meine Brüder denke ich manchmal nach, und darüber, was wohl aus ihnen geworden ist .... Ylyr, der jüngste von ihnen, ist nur ein Jahr älter ich. Aber im Grunde kann es mir gleichgültig sein und von mir aus kann mir ganz Normand den Buckel runterrutschen. Mein Platz und meine Familie sind hier. Bei dir." Caewlin legt die restlichen Verbandsstreifen beiseite und umfasst mit der Hand ihr Gesicht. An seinen wunden, aufgerissenen Fingerspitzen kann sie sein Blut pulsieren spüren und in seiner dunklen Stimme liegt etwas, das ihr kribblige Schauer über den Rücken tanzen lässt. >Kleines, dünnes, verschrumpeltes Etwas mit Haaren, schwarz wie Rabenfedern... sieh dich an, was aus dir geworden ist. "Was ... was denn?" fragt sie vorsichtig nach, und sie hätte alles erwartet, nur nicht, dass er sie eine Abnallautaq nennt, eine schöne Frau. Sie weiß genau, wann und für wen er dieses Wort benutzt hat, dieses eine Mal, als sie es ihn hat sagen hören, in einem mondlichtbeschienen Hain, als sie zwischen weichem Smaragdgras und wilden Farnbüscheln gelegen hatten und sie seiner Stimme gelauscht hatte  - es war, als er über seine Mutter gesprochen hatte, über Ykenai, die Große, Starke, Schöne. Und die Liebe, die damals in seiner Stimme mitgeklungen war, hört sie auch jetzt in diesem Wort, aber diesmal gilt sie nicht seiner Vergangenheit, sondern dem Hier und Heute, und sie kann sie nicht nur in seiner Stimme hören, sondern auch in seinen Augen lesen, auf seinen Lippen schmecken und mit jedem seiner Atemzüge trinken. >Du bist mein, Raven. Mein. Ich weiß, wer du bist und was du bist und ich lasse dich nicht gehen, selbst wenn du zehn elbische Urgroßmütter hast und zur Erzmagierin wirst.< Er küsst alle Zweifel und Sorgen einfach weg und die Empfindungen, die in diesem Augenblick ihr Innerstes aufwühlen, machen sie völlig benommen. Eines weiß sie mit absoluter Sicherheit, so sicher, wie sie noch nie etwas in ihrem Leben gewusst hat: sie will ihn, ihn allein, und sonst nichts auf dieser Welt. Erst ein leiser, schmerzerfüllter Zischlaut aus seiner Kehle, als sie sich so heftig an ihn presst, dass sie seine lädierten Rippen quetscht, bringt sie wieder in die Wirklichkeit zurück.

"Herrje, lass mich das mal ansehen", murmelt Raven ein wenig schuldbewusst und rückt ein Stückchen von ihm ab, um die blauschwarzen Prellungen in Augenschein zu nehmen - sicherheitshalber aber nicht mehr als gerade mal zwei Fingerbreit, denn sie hat nicht vor, freiwillig auch nur einen Sekhel mehr Abstand als notwendig zwischen ihn und sich zu bringen. Der Arm des Ogres, der Caewlin niedergedrückt und fast zerquetscht hat, muss mindestens eine Tonne gewogen haben, stellt sie mitfühlend fest und angelt nach dem Salbentiegel und den weichen Leinenstreifen, während sie medizinische Weisheiten zum Besten gibt: "Das muss bandagiert werden, damit es in Ruhe abheilen kann und die Rippen nicht noch mehr anknacksen. Aber ich glaube, du musst mir dabei helfen...." Mit einem schiefen Grinsen hebt sie zur Demonstration beide eingebundene Hände. Zwar gestaltet es sich als ziemlich schwierig, damit Salbe auf die dunkelschimmernden Prellungen aufzutragen und einen Verband um Caewlins Brustkorb zu legen, der hält und nicht verrutschen kann, doch nachdem er bereitwillig mit anpackt und sie auch noch die Zähne zu Hilfe nimmt, gelingt es schließlich doch, auch wenn er hinterher einer Mumie nicht unähnlich sieht. Nachdem sie auch noch seine wunden, aufgerissenen Finger behandelt und mit einem Verband geschützt haben, sehen sie beide aus wie altgediente Kriegsveteranen, die gerade aus einer Schlacht zurückgekehrt sind, was der Wahrheit im Grunde auch ziemlich nahe kommt. Und genau so lehnen sie schließlich nebeneinander an dem mächtigen, geschnitzten Betthaupt, einen Berg weicher Kissen im Rücken, und schlürfen die Fleischbrühe, die Dalla ihnen gebracht hat, direkt aus den Schüsseln - umständlich mit den Holzlöffeln herumzuhantieren, schafft keiner mehr von ihnen, und Raven ist mittlerweile so müde, dass ihr einmal beinahe die Schale aus den Händen rutscht. Jetzt, wo die Geschehnisse des Tages hinter ihnen liegen, all die körperliche Anstrengung, die Angst und Sorgen, und der Abgrund, der sie getrennt hatte, sich in ein Nichts aufgelöst hat, jetzt rollt eine Welle der absoluten Erschöpfung über sie hinweg, der sie nichts mehr entgegenzusetzen haben. Und auch nicht wollen. "Demjenigen, der es wagt, mich morgen zu wecken, drehe ich eigenhändig den Hals um", murmelt sie drohend, während sie sich unter den Decken an Caewlins warme Haut schmiegt und ihre Arme und Beine mit seinen verknotet, um ihm so nahe wie überhaupt möglich zu sein.

Obwohl sie angenommen hatte, dass sie auf der Stelle in Tiefschlaf sinken würde, noch ehe ihr Kopf das Kissen berührt, liegt sie trotzdem noch eine ganze Weile wach und auch Caewlins tiefe, gleichmäßige Atemzüge können das Gedankenwirrwarr in ihr nicht vertreiben. Ihr Körper mag bis an seine Grenzen erschöpft sein, aber ihr Geist findet einfach noch keine Ruhe. Unablässig kreist das, was an diesem Tag geschehen ist, in ihren Gedanken herum und lässt sich nicht beiseite schieben, so sehr sie sich auch bemüht. Sie vergräbt das Gesicht an seiner Schulter und schließt die Augen, doch immer wieder schiebt sich das Bild dieses höllenschwarzen Dämons in das Dunkel hinter ihren Lidern, der Anblick der blutüberströmten Niniane, ihres lichterloh brennenden Häuschens, hässliche Goblinfratzen und die Erinnerung an Borgil, der so bleich und blutleer ausgesehen hatte wie ein leibhaftiger Geisterzwerg. Und dann gibt es noch etwas, das sie seit dem vergangenen Tag fortwährend beschäftigt und ihr keine Ruhe lässt: der Gedanke an ihr ungeborenes Kind. Caewlins Kind. Das Wissen darum hatte sie so unvorbereitet getroffen wie ein plötzlicher Wolkenbruch aus heiterem Himmel und sie hatte noch gar keine Zeit gehabt, sich überhaupt mit dem Gedanken anzufreunden. Irgendwie erscheint es ihr immer noch vollkommen unwirklich, aber sie weiß dennoch, dass es die Wahrheit ist. Es sind nur Kleinigkeiten, die sich in letzter Zeit verändert haben, und doch sind es so unübersehbare Anzeichen, dass sie sich wundern muss, wie blind sie gewesen ist ... eine Oberweite, die neuerdings jedes Mieder zu sprengen droht, spontane Anfälle von "Ich muss drei Schüsseln Haferbrei zum Frühstück verputzen", ausgiebige, morgendliche Zwiesprachen mit Abtritt und Spuckschüssel - all das hatte sie einfach übersehen oder schlicht völlig anderen Gründen zugeschrieben. Bis auf diese Dinge kann sie aber ansonsten keine Veränderung spüren und es ist ihr unbegreiflich, dass sie etwas Lebendiges in sich tragen soll, ohne es zu merken oder zu fühlen.

"Bist du wirklich da drin?" Zweifelnd drückt sie auf ihrem Bauch herum, der genauso unschuldig und flach aussieht wie immer. Nur über dem Schambein fühlt es sich irgendwie anders an als sonst und nach einigem Herumtasten kann sie tatsächlich so etwas wie eine flache Erhebung spüren und einen leisen Widerstand, wo normalerweise weiche Nachgiebigkeit antworten müsste. "Hallo, Baby", murmelt sie mit leiser Flüsterstimme und grübelt darüber nach, wie groß es zu diesem Zeitpunkt wohl ist. Vielleicht so groß wie eine Kaulquappe? Oder wie einer dieser winzigen Frösche, die im Frühjahr und im Herbst durchs Ufergras hüpfen? Sie muss sich leider eingestehen, dass sie nicht die leiseste Ahnung hat, weder von seiner Größe noch von all den anderen Dingen, die damit zusammenhängen. Woher auch? Bislang war sie ja immer davon ausgegangen, dass ihr so etwas wie eine Schwangerschaft gar nicht passieren könnte und sie hatte folglich nicht einen Gedanken daran verschwendet. "Du hättest dir keinen schlechteren Tag aussuchen können, um dich bemerkbar zu machen", flüstert sie weiter, völlig ungeachtet der Tatsache, dass das Kind bis jetzt wohl noch nicht einmal Ohren hat, geschweige denn, sie hören könnte. Leises Bedauern schleicht sich in ihre Stimme. "Heute ging einfach alles drunter und drüber.... zuerst dieser Dämon und all diese Höllenkreaturen ... und dann Caewlin ..." Wie auf's Stichwort drängt sie sich bei dieser Gelegenheit noch ein wenig dichter an seinen großen, warmen Körper, vorsichtig darum bemüht, seine verletzten Rippen nicht zu berühren. "Caewlin ist dein Vater", erklärt sie diesem Winzling in ihrem Bauch, und sie merkt, wie ihre eigene Stimme sie zu beruhigen beginnt und allmählich in den Schlaf wiegt. "Das ist der auf der anderen Seite deiner Wohnung. Und vielleicht sollte ich dich gleich ein wenig ... auf ihn vorbereiten. Manchmal kann er nämlich ziemlich laut und jähzornig sein .... und ganz schön erschreckend, also mach dich besser auf einiges gefasst. Und stur ist er auch. Und eigensinnig und brutal. Aber er kann nichts dafür, er ist ein Normander, weißt du ... die sind alle so." Inzwischen sind ihre Augenlider so bleischwer wie ihre Glieder, und ihre Stimme ist zu einem leisen, schläfrigen Wispern geworden. "Aber er ist auch der beste, der tapferste und ehrenhafteste Mann, den ich kenne, und er ist mir das liebste auf der Welt. Du könntest dir keinen besseren Vater wünschen .... und ich muss jetzt unbedingt schlafen."

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Caewlin am 01. Nov. 2005, 22:45 Uhr
Er kann nicht sagen, ob sie sich fünf oder fünfzehn Minuten lang küssen, aber mit jeder Berührung schwindet auch die letzte Verzweiflung zwischen ihnen und verwandelt sich in glühende Wärme und köstlichen Hunger. Er zittert vor Verlangen, seine Hand bis in Ravens Nacken hinauf in ihrem weichen, schweren Haar zu vergraben und ihren Kopf zurückzubeugen, aber er kann nichts von all dem tun, ohne höllische Schmerzen zu riskieren - und erinnert sich gerade noch rechtzeitig daran. Wärme ballt sich in seinem Inneren und füllt ihn bis in die Fingerspitzen, als ihr Mund seinem antwortet, ihr Geruch, ihr Geschmack, das Gefühl ihrer Haut an seiner ihn berauscht. Er hätte sie ewig so weiterküssen können, aber irgendwann schmiegt sie sich so fest an ihn, dass der Schmerz in seinen Rippen und der schiere Sauerstoffmangel sie doch auseinanderzwingen. Seinem halbunterdrückten Schmerzlaut folgt ein bestürztes >Herrje, lass mich das mal ansehen...< und sie zieht sich zurück. Caewlin gibt sie nur widerwillig frei, allerdings hat Raven offenbar auch gar nicht vor, wirklich weit von ihm abzurücken, und das ist ihm nur recht. Sie tastet mit ihren eingebundenen Händen vorsichtig über das breite, schwarzblau verfärbte Band, das um seine Brust läuft und klingt wie eine Autorität, als sie bemerkt: >Das muss bandagiert werden, damit es in Ruhe abheilen kann und die Rippen nicht noch mehr anknacksen. Aber ich glaube, du musst mir dabei helfen...< Sie blickt auf ihre eingebundenen Finger und anschließend seufzend auf seine lädierte Hand, und Caewlin nickt folgsam, hat aber ganz andere Dinge im Kopf, als irgendwelche - seiner Meinung nach ohnehin vollkommen überflüssigen - Verbände. Raven verteilt mit sanften, flüchtigen Berührungen Zaubernussalbe auf den Würgemalen an seinem Hals, auf seinen blaugequetschten Rippen und den Prellungen auf Schultern und Rücken, und sie ist ihm dabei die ganze Zeit so nahe, dass er die Wärme ihrer Haut spüren kann und ihren Geruch in der Nase hat. Derart abgelenkt, ist er bestimmt keine große Hilfe, aber sie konzentriert sich ganz auf ihr Tun. Um einen möglichst festen Verband um seinen Brustkorb anlegen zu können, muss sie auf Knien um ihn herumrutschen, und als sie sich dabei über ihn beugt, fällt ihr Haar nach vorn über seine nackten Schultern. Einen Moment lang verbirgt er sein Gesicht darin und schließt die Augen. "Wenn das deine Vorstellung von Rache ist, Raven, dann..." flüstert er in ihr Ohr, wird aber von einem nachdrücklichen Räuspern wieder zur Ordnung gerufen und gibt sich geschlagen. Sehr schön, ich wäre ohnehin kaum in der Lage dazu... und sie erst recht nicht.

Als es ihnen irgendwie und irgendwann mit den fünfzehn linken Daumen, die sie zusammen anstelle dreier Hände haben, und mit Hilfe zahlreicher Verwünschungen dann doch noch gelungen ist, seinen Brustkorb zu mumifizieren und ihm erfolgreich die Luft abzuschnüren, sind sie beide so müde, dass sie kaum noch die Augen offenhalten können. Raven behandelt auch die nässenden Brandwunden auf seiner Handfläche und den Fingern mit Zaubernusssalbe, und deckt alles mit ein wenig Gaze ab, doch dann hält nur noch ihr Hunger sie wach - gerade lange genug, um zwei Schalen Brühe zu leeren. Als sie auch das geschafft haben, schmiegt Raven sich in seine Arme, schiebt die kleinen Eisklumpen, die sie anstelle von Füssen hat, unter seine Beine, windet sich dabei ausführlich... Götter im Himmel... an ihm entlang und drängt sich an ihn, bis sie vom Nacken bis zu den Zehen mit ihm verschmilzt. >Demjenigen, der es wagt, mich morgen zu wecken, drehe ich eigenhändig den Hals um.< Ihre Worte lassen ihn leise lachen, doch daraus wird dank seiner protestierenden Rippen sehr schnell ein hustendes Schnauben. Er schließt die Augen, die er beim besten Willen nicht mehr offenhalten kann, legt den Arm um sie, schiebt seine gazeumwickelte Hand unter das Hemd, dass sie trägt, und umfasst ihre Brust. "Wetten," murmelt er schon halb im Schlaf, "das tust du nicht?" Ihr kleiner, runder Hintern nistet sich in die Beuge seiner Oberschenkel und ihr ganzer Körper entspannt sich, warm und schwer an seinem. Das ist zuviel. "Bei allen Neun Höllen, Weib..." grollt er schlaftrunken. Für den Bruchteil eines Herzschlags ist er inmitten seiner bleiernen Erschöpfung wieder hellwach und fragt sich mit leicht erstaunter Belustigung, ob seine Kondition hier gerade über- oder seine Selbstbeherrschung unterschätzt wird. "Raven, willst du mich umbringen?" Sie kuschelt sich nur noch fester an ihn, aber eindeutig auf der Suche nach Wärme und Nähe, legt ihre Hand auf seine und streicht durch die Schichten von Salbenkleister und Leinen besänftigend über seinen unverletzten Handrücken. Sie sind beide einfach nicht in der Verfassung, um miteinander zu schlafen, er weiß es, sie weiß es und sein Körper würde sich bestimmt bald daran erinnern. Mit diesem Gedanken streckt auch die Schwärze wieder ihre Arme nach ihm aus, warm, dunkel und betäubend. "Aye, ich weiß," er hält Raven fest, küsst ihr Ohr, vergräbt seine Nase an ihrer weichen Haut und murmelt dann in ihren Nacken. "Schlaf, min koerlighed. Ich bin selbst so müde, dass mir Sterne vor den Augen tanzen und meine Arme und Beine sich wie zerkochte Hafergrütze anfühlen, von meinem Rest ganz zu schweigen. Aber selbst wenn ich halbtot bin und vor Erschöpfung nicht einmal mehr kriechen kann, will ich dich immer noch. Immer... immer. Immer... dich."

Das letzte Wort ist kaum mehr als ein Flüstern, dann löst sich jede Faser seines Körpers einfach auf, der Schlaf kommt und holt ihn, und zieht ihn in traumlose, warme Bewusstlosigkeit hinab. Kurze Zeit später, er weiß nicht wann, aber sicherer Instinkt sagt ihm, dass es nicht lange gewesen sein kann, kommt er doch noch einmal zu sich. Er weiß, dass der Klang von Ravens Stimme ihn geweckt hat, aber welche Worte sie gesprochen hat, hätte er nicht sagen können. Seine Hand streicht über ihre weiche Haut, tastet über ihren Bauch und findet schließlich ihre. Ihre eingebundenen Finger ruhen dort schützend über der Andeutung einer Wölbung, noch so zart, dass man sie nur ahnen kann, wenn man weiß, dass sie dort ist. Er legt seine Hand über ihre, auf jene Stelle, wo in ihrem Leib sein Kind heranwächst und sinkt endgültig in die Schwärze davon. Am nächsten Morgen hält er Raven noch immer fest, ein warmes, tröstliches Gewicht in seinem Arm, doch Caewlin erwacht nicht davon, sondern weil sich etwas Kleines, ungeheuer Warmes, unruhig an seinem Rücken herumwindet und neugierig an den Verbänden zupft. Noch halb im Schlaf erinnern ihn diese Bewegungen an die Zeit auf Sturmende, als er noch ein Junge und seine Schwestern noch klein waren, und Asha und Rannveig zu ihm ins Bett gekrochen waren, wenn sie sich gefürchtet hatten oder ihnen kalt gewesen war. Als er benebelt den Kopf hebt und über seine Schulter blinzelt, erwartet er fast, das kleinkindliche Gesicht einer seiner Schwestern zu erblicken, was er stattdessen sieht, ist Crons Tochter, die ihn aus dem Nest der Pelzdecken fröhlich anblinzelt und dann in breites Grinsen ausbricht. Dabei sieht sie ihrem Vater so ähnlich, wie ein eineinhalbjähriges Mädchen einem dreißigjährigen Mann nur ähnlich sehen kann - nur ihre Augen sind rein und golden wie die Ninianes und ihr Körper strahlt Wärme ab wie ein erhitzter Stein. Eindeutig auch die Tochter ihrer Mutter. "Aua," bemerkt sie fachkundig und bohrt einen ihrer Knubbelfinger mitfühlend in einen blauen Fleck, der unter dem weißen Leinen hervorschimmert. "Groooßes Aua." Ja, ganz eindeutig. "Uh, ja allerdings. Wo ist Brynden?" Shaerela lässt ein glucksendes Kichern hören, mustert eindringlich sein verschlafenes Gesicht und zieht sich dann an seinem Arm hoch, bis sie hinter ihm steht, und ihre neugierige kleine Nase über seine Schulter schieben kann. "Da." Caewlin dreht den Kopf und erspäht seinen Sohn, zusammengerollt in Ravens Armen, der zwischen ihr und der Bettkante klemmt wie ein solider Keil. Er unterdrückt ein Lachen - ihr Bett ist ein einziges Wirrwarr aus zerwühlten Decken, Beinen, Armen und Kindern - soviel zu seinem Plan, seine Frau zu wecken. Eines der kleinen Monster ist außerdem viel zu ausgeschlafen und obendrein reif für Dallas fachkundige Hände, wie ein ziemlich strenger Geruch aus dem dicken Windelpaket verrät. "In Ordnung, junge Dame. Du hast die Hosen voll und du brauchst Frühstück. Komm, ich bringe dich in die Küche."

Er wühlt sich aus dem Bett, schlüpft in eine saubere Hose und schnappt sich Shaerela, die gerade Anstalten macht, unter Quietschen und Tritten Ravens Oberkörper zu erklettern, um zu Brynden zu gelangen. Kaum ist er auf dem Gang und trägt Crons Tochter mit gerümpfter Nase und ausgestreckten Armen vor sich her, kommt auch sein Sohn hinter ihnen hergetappst, das zerfledderte Stoffhäschen am Ohr hinter sich schleifend. "Auch aufgewacht? Na, dann komm mit, wir gehen zu Dalla. Du hast Raven doch nicht geweckt?" Brynden schüttelt den Kopf und  wirft ihm und Shaerela einen langen, missmutigen Blick zu. "Schläft noch," grummelt er morgenmufflig und stapft dann auf nackten Füssen voraus die Treppe hinunter. Die beiden Hunde schließen sich ihnen gähnend und jappend an, und Caewlin lässt sie nach draußen, bevor er die Kinder in der Küche bei seinen Mägden abgibt. Runa nimmt ihm Brynden ab, Dalla kümmert sich gurrend um Shaerela, von Rykar und Pyp ist nichts zu sehen und Bethel fuhrwerkt irgendwo in der Spülküche herum, doch Caewlin hält sich nicht auf. Er trinkt nur einen Schluck Wasser, knurrt etwas davon, dass man die Hunde irgendwann hereinlassen müsse, nickt einmal in die Runde, und kehrt gähnend wieder in sein Schlafgemach zurück. Er ist völlig zerschlagen, in allen Muskeln und Knochen bohrt dumpfer Schmerz und er muss einfach noch ein paar Stunden schlafen. Er zerrt sich die Hosen vom Leib, schlüpft wieder zu Raven unter die warmen Decken, zieht sie an sich und ist weg, noch bevor er sie ganz in seinem Arm geborgen hat. Als er das nächste Mal erwacht, erfüllt goldenes Nachmittagslicht ihr Schlafgemach und die Schatten der Rosenblätter um die Laube draußen vor Fenster und Tür tanzen über die Wände und die Musselinlaken, so dass sie beide in einem Nest wechselnden Lichtspiels liegen. Die Sonne muss bereits tief stehen, denn es fällt kein direktes Licht mehr in den Raum, der nach Osten geht - die Helle ist diffus, aber sie glüht noch nach, bernsteingolden wie Honig. Ravens Kopf liegt unter seinem Kinn, ihre Arme und Beine sind mit seinen verschlungen, als wären sie beide Teil eines einzigen Wesens und ihre Haut ist so vollkommen mit seiner verschmolzen, als hätten sie beide die Grenzen ihrer Körper einfach aufgegeben. Er muss sie berühren, ihre Weichheit fühlen, aber alles, was er spürt, als er es tut, ist verklebte Gaze auf seinen wunden Fingern. In diesem Augenblick hätte er alles darum gegeben, keinen Verband um seine Hand zu haben. Dann hätte er über seidige Glätte und samtige Wärme hinaufstreichen, und diesen himmlischen Hintern umfassen können - so kann er nur mit dem Handrücken und einer Lage verfluchten Leinens zwischen seiner Haut und ihrer über den Schwung ihrer Hüften fahren. Verdammt.

Sie räkelt sich schlaftrunken, halb fragend, halb einladend und er küsst ihren Nacken und schiebt seine Hand unter ihr Hemd, Verbände um seine Finger hin oder her. Sie bewegt sich sacht, langsam, als tauche sie gerade aus den Tiefen des Schlafes auf, macht aber keine Anstalten, ihn von seinem Vorhaben abzubringen - soll sie ihn ruhig erwürgen, wenn sie nicht geweckt werden will. Wenn das der Preis dafür ist, dann zahlt er ihn gern. "Götter, du bist so schön," flüstert er halberstickt an ihrer Haut, "so schön, so... " er bekommt die Verschnürung des Hemdes zu fassen, das sie trägt, lose geknüpfte Bänder und zieht sie mit schmerzenden Fingern auf, eines nach dem anderen, bis er den hinderlichen Stoff endlich zur Seite schieben kann. Sein Mund wandert über ihren Nacken, ihren Hals und ihre Schulterblätter, über die schimmernden Knochen ihrer Wirbelsäule, küsst das Geflecht dünner, weißer Linien auf ihrem Rücken, so hell gegen ihre gebräunte Haut, schmeckt Salz und Süße und langsam erwachendes Verlangen. Seine Finger haben sich längst um die Rundung ihres Hinterns geschlossen, bandagiert oder nicht, und zum Teufel mit dem Schmerz. Sie erschauert von Kopf bis Fuß und dreht sich langsam zu ihm um, blinzelnd wie ein verschlafenes Kätzchen im Nest. Er küsst ihre gesenkten Wimpern und die geschwungenen Brauen, und findet schließlich ihren Mund, diesen wundervollen, breiten Mund, der ihn ganz bestimmt irgendwann einfach den Verstand kosten wird. "Hmmm... wenn du mich erwürgen willst, min koerlighed, dann tu es lieber gleich. Ich muss dich haben... jetzt." Er nimmt sich ihren Mund, ihre bebenden Lippen und ihre süße, weiche Zunge, so hungrig, wie er sie an sich presst. "Auf der Stelle, Raven." Eine einzige, rasche Bewegung, und sie liegt auf dem Rücken. Er drängt sie mit seinem ganzen Gewicht in die weichen Kissen zurück, drückt sie auf das Bett, füllt sie aus, küsst sie noch immer, schluckt den vibrierenden Laut, der tief aus ihrer Kehle kommt und überhaupt nichts Sanftes mehr an sich hat und verliert sich in ihrem Inneren. Sie bewegen sich langsam, nackte Haut an nackter Haut, balancieren, zerschlagen wie sie sind, wie im Rausch irgendwo auf dem Grat zwischen Lust und Schmerz, bis sie vom kurzen, kurzen Wahn der Erlösung mitgerissen, ertränkt und dann sanft ans Ufer zurückgespült werden. Mit hämmerndem Herzen und wild pochenden Rippen sinkt er auf sie hinunter, legt seine Stirn einen Moment an ihre und hält sie fest, während das Donnern seines Blutes in seinen Ohren dröhnt. "Sag mir's, wenn ich dir zu schwer werde," murmelt er irgendwann, noch immer ein wenig atemlos, aber sie hält ihn nur fest und er bleibt liegen, wo er ist, eingehüllt in ihre Wärme und die Gewissheit, dass sie eins sind. Aber irgendwann fällt ihm etwas ein und er löst sich sacht von ihr, und schiebt sich nach unten, bis er sein Gesicht auf ihren Bauch legen kann.

"Das Kind..." murmelt er nachdenklich und schließt die Augen, obwohl er genau weiß, dass er frühestens in zwei Monden den Herzschlag des Babies würde hören können - die Versuchung ist einfach zu groß. Aber er kann das zarte Gewicht in ihrem Leib, gut verborgen in den schützenden Hüllen ihrer Haut, unter seiner Wange spüren. "Wann wird es zur Welt kommen, was glaubst du?" Sie hatten inmitten einer brennenden Stadt, eines tobenden Dämons, beschworener Höllenkreaturen und wandelnder Untoter noch überhaupt keine Gelegenheit gehabt, auch nur ein Wort darüber zu verlieren, aber jetzt rechnet er nach. Taumond? Sturmwind? Irgendwann um diese Zeit. Noch ist ihr Bauch flach, man sieht es ihr nur an winzigen Details an - all die vielen Kleinigkeiten, die ihn überhaupt erst darauf gebracht hatten, dass sie schwanger sein könnte. Aber bald würde er sich wölben, noch einen Mond, vielleicht zwei... dann würde er seine Hand auf ihren Bauch legen und das Kind darin spüren können, die ersten Bewegungen nicht mehr, als zarte Klopfzeichen. Aus dem Klopfen würde sanfter Druck werden und aus dem Druck irgendwann energische Tritte und wilde Purzelbäume. Ravens Bauch würde sich Heben und Senken, wenn das Kind sich darin drehte, ausgebeult von einem winzigen Fuß oder einer kleinen Faust... und dann, wenn der Schnee schmelzen und die Bäume austreiben würden, würde es ganz ruhig werden in ihrem Leib. Bis es geboren wird. Einen Moment lang erfasst ihn Angst - sie ist so klein und schmal. Hör auf. Sie ist auch zäh und stark. Ihr wird überhaupt nichts geschehen... und dem Kind auch nicht. Sie streckt eine Hand nach ihm aus und legt sie sacht auf sein Haar, und er malt sich in Gedanken aus, wie sie gegen Ende des Winters  aussehen würde, so rund und voller Leben. Ein gehöriges Knurren aus ihrem Magen schreckt ihn auf und lässt ihn grinsen. "Dir ist gar nicht schlecht heute," stellt er fest. "Aber genau genommen hast du die Morgenübelkeit auch verschlafen, denn es ist fast schon wieder Abend. Hungrig?" Er stemmt sich hoch, beugt sich über sie, um sie zu küssen und steht dann auf. Während er sich eine Katzenwäsche über der Waschschüssel gönnt, sich die Zähne mit einem geschälten Weidenzweig putzt und sie langsam aus den Decken krabbelt, erzählt er ihr von der morgendlichen Kinderplage in ihrem Bett. "Ich frage mich, wie es Niniane und den anderen geht... und wie es jetzt in der Stadt aussieht. Wenn ich bis morgen nichts von Cron hören, gehe ich nach TianAnmen oder in die Steinfaust und sehe, ob ich irgendetwas herauskriege." Er angelt nach einem sauberen Hemd aus dem Schrank und späht ihr über die Schulter, als sie einen kritischen Blick in ihre gähnend leeren Fächer wirft. "Wir müssen einkaufen gehen, min koerlighed... sobald diese Stadt wieder so etwas wie einen funktionierenden Markt hat, die Schneider wieder arbeiten oder die Herbstkarawane auf dem Platz der Händler ankommt. Du brauchst etwas zum Anziehen."

Als sie nach unten in die heimlige Wärme der Küche kommen, wo das Abendessen auf dem Herd vor sich hinschmurgelt, sind nur Dalla und Bethel dort. Die dicke Köchin steckt bis zu den Ellenbogen in einer gewaltigen Rührschüssel und knetet süß duftenden Teig, Dalla hat einen Berg Äpfel vor sich und schält sie. Beide blicken auf, als sie hereinkommen und dann ist für eine Weile jeder Kuchen vergessen. In ihrer Sorge um Raven vergisst Dalla sogar, ihn mit weiteren bösen Blicken zu bedenken oder mit furchtsamer Verachtung zu strafen. Sie wirft ihm zwar hin und wieder einen vorsichtigen Augenaufschlag zu, sagt aber keinen Ton, abgesehen davon, dass sie beiläufig bemerkt, das Erkerzimmer sei sauber - dafür schwirrt sie um sie herum wie eine aufgebrachte Hummel. "Hmpf." Ihre Hände werden aus den alten Verbänden geschält, mit kühlenden Salben versorgt und neu verbunden, wobei sie erfahren, dass Runa mit den Kindern nach draußen gegangen ist, und Rykar und Pyp mit dem Wagen zum Haus der Weißen Dame gefahren wären, um dort Cron von Tronje und Lady Niniane abzuholen. Der Tronjer habe am Mittag einen Boten geschickt und um ein Fuhrwerk gebeten, sie hoffe, es sei in Ordnung, dass Rykar gleich gefahren war und sie müssten eigentlich alle bald hier ankommen. Caewlin tauscht einen erleichterten Blick mit Raven - wenn Cron Niniane noch heute nach Hause bringen kann, dann muss es ihr besser gehen und sie würden von ihm vielleicht auch etwas über die anderen erfahren können. "Natürlich ist das in Ordnung. Weiß schon jemand, wie es in der Stadt aussieht?"
"Oh, nicht gut, M'lord, nicht gut, und dabei war ich heute nur kurz auf der Straße. Die ganze Nacht über sind die Leute wieder in ihre Häuser gekommen, die gestern geflohen sind, wißt Ihr. Alles war voller Lärm und Geschrei und Blaumäntel, hat bis heute, bis zum Mittag angedauert. Am Marktplatz soll ja alles zerstört sein, M'lord, aber das werdet Ihr zweifellos besser wissen, als ich. Ist auch alles abgesperrt dort, man kommt gar nicht hin. Es herrscht fürchterliches Durcheinander überall, aber die Stadtgarde tut ihr Bestes, glaub' ich. Hab' mich auch  nicht weit vorgewagt, wollte nur sehen, wie es bei uns in der Nähe aussieht. Oh, es wird bestimmt Monate dauern, das wieder aufzubauen. Eine Schande ist das..." Während Dalla eifrig vor sich hinschnattert, bekommen sie frisches Brot, Butter, kalten Braten vom Mittag, ein Rad würzigen Käse, geräucherten Schinken, ein Glas Honig, ein halbes Dutzend verschiedene Marmeladen, Rosinenkuchen und süßen Haferbrei aufgetischt - und von der breit lächelnden Bethel, die Caewlin dafür hätte Küssen mögen, eine Kanne dampfenden Cofeas. Während sie essen, werden sie mit Fragen nach den gestrigen Geschehnissen bestürmt, doch er gibt seiner obersten Magd und seiner Köchin nur eine vage Kurzfassung der Ereignisse, während er mit leiser Belustigung und wachsender Faszination beobachtet, wie Raven in sekundenschnelle drei Schalen Haferbrei verschlingt, und dann genüsslich eine Scheibe geräucherten Schinkens fingerdick mit Erdbeermarmelade bestreicht. Dann fängt er Dallas gebannten Blick auf und findet ein Abbild ihrer spekulativen Miene in Bethels runden Zügen. "Tut nicht so, als hättet ihr das nicht ohnehin schon längst gewusst."

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Raven am 04. Nov. 2005, 22:19 Uhr
Müdigkeit und Erschöpfung zerren mit bleiernen Fängen an Raven, aber kaum, dass sie die gemurmelte Zwiesprache mit dem ungeborenen Familienzuwachs in ihrem Leib beendet hat und am wegdösen ist, holt Caewlins schlaftrunken flüsternde Stimme sie noch einmal zurück. >Schlaf, min koerlighed ... ich bin selbst so müde ... aber selbst wenn ich halbtot bin und vor Erschöpfung nicht einmal mehr kriechen kann, will ich dich immer noch. Immer... immer. Immer... dich...< Sein Atem streift warm wie Sonnenlicht über ihr Haar und ihren Hals, und sie schmiegt sich noch näher an ihn, bis sie so unentwirrbar ineinander verschlungen sind, als wären sie nicht zwei Hälften, sondern ein einziges, ungeteiltes Ganzes. Im Halbschlaf spürt sie die Bedeutung seiner Worte mehr, als dass sie sie noch richtig hört, aber allein ihr drängend sanfter Klang reicht aus, sie einzufangen und festzuhalten, bevor sie unwiederbringlich in die Nacht davon flattern können. Sie birgt sie in ihrem Herzen wie einen kostbaren Schatz und nimmt sie mit hinüber in ihre Träume, und dann verschmilzt alles in Dämmerlicht und vollkommen erschöpftem Schlaf. Das nächste, was Raven spürt - und ihrem Zeitempfinden nach ist es allerhöchstens drei Herzschläge her, dass sie die Augen geschlossen hat -, sind zwei kleine, nackte Füße, die über ihre Hüften und Beine hinweg eine Art wacklige Bergbesteigung unternehmen. Den Füßen folgt gleich darauf noch ein Paar energischer Patschhändchen, und dann krabbelt Brynden Morgenmuffel mitsamt seinem zerknautschten Stoffhasen und grummelnder Anstrengung über sie hinweg, um sich in den schlafwarmen Laken neben ihr ein Nest zurechtzustrampeln und sich in ihrem Arm zusammenzuringeln wie ein kleines Gürteltier. "Bryndenschatzlassmichschlafen", nuschelt sie, noch halb im Koma und unfähig, auch nur ein Auge zu öffnen, geschweige denn so selbstmörderische Aktionen durchzuführen, wie ihren völlig benebelten Kopf zu heben. Als Antwort erhält sie lediglich ein höchstzufriedenes Schnurren und dann nur noch leise Schnarchgeräusche, als er prompt auch schon wieder einschlummert, kaum dass er sich in eine halbwegs bequeme Lage gerollt hat. Ein ähnlicher Schnurrlaut dringt auch von ihrer Rückseite her an ihr Ohr, auch wenn er eher klingt wie der einer großen, schläfrigen Katze und ihr einen warmen Schauder über das Rückgrat krabbeln lässt. Sie deckt Brynden zu, verkriecht sich in Caewlins Wärme und dann schläft sie, umzingelt von zwei Nordmännern, augenblicklich wieder ein.

Der Schlummer währt allerdings nicht lange, und er wird wieder von einem Paar Kinderfüßen unterbrochen und dazu noch von einer geradezu unverschämt ausgeschlafenen Krähstimme, die zweifellos zu einer viel zu wachen Shaerela gehört. Sie diskutiert mit Caewlin gerade Windel- und Aua-Probleme und hat ihn mittels anhaltender Geruchsbelästigung tatsächlich so weit gebracht, dass er sich aus dem Bett und in ein Paar Hosen quält, um sie hinunter zu Dalla zu schaffen. Raven blinzelt den beiden aus schmalen Augen hinterher, überlegt kurz, wie spät es sein mag, stellt fest, dass ihr das im Grunde vollkommen egal ist, und lässt den Kopf zurück in die Kissen sinken. Doch kaum dass sich die Tür hinter Caewlin und der kleinen Halbelbin schließt, das Tappen ihrer nackten Füße draußen auf dem Gang verhallt und sie sich gerade wieder in den Schlaf flüchten will, fängt es neben ihr zu rumoren an. Brynden hat sich offenbar spontan dafür entschieden, den warmen Kuschelplatz im Bett aufzugeben und stattdessen lieber den beiden Frühaufstehern hinterherzutappen. Die Gefahr, seine heißgeliebte Dalla oder gar Bethel oder - noch schlimmer - beider Hätscheleien und Aufmerksamkeiten Shaerela allein zu überlassen, ist ihm dann wohl doch zu groß, denn auf einmal hat er es schrecklich eilig, ihnen hinterherzukommen und dabei zielgenau jeden einzelnen von Ravens unzähligen blauen Flecken zu malträtieren, als er schimpfend über sie hinweg krabbelt. Als ihm dann auch noch beide Hunde folgen und bei der Gelegenheit - obwohl sie sich durchaus lautlos wie zwei Schatten bewegen können, wenn sie wollen - einen Krach machen, als würden Asgrims wilde Horden mitsamt Nachhut und Küchenwagen durch das Zimmer scheppern, ist es aus mit ihrer Geduld und sie beißt entnervt in ihr Kissen und zieht sich die Decke über den Kopf. Aaaah ..... ein Königreich für eine Rüstung und ein Paar Ohrstöpsel! Dass Caewlin nicht lange danach ohne die Kinder wieder zurückkehrt, merkt sie allerdings schon nicht mehr, denn der Schlaf gewinnt mit Leichtigkeit den Kampf gegen jedweden Ärger und zu dem Zeitpunkt ist sie trotz der Unruhe schon längst wieder ins Reich der Träume abgedriftet. Der ganze vergangene Tag, die Anstrengung, die Angst, die schmerzenden Knochen und müden Muskeln fordern einfach ihren Tribut und sie schlafen bis in den späten Nachmittag hinein - ohne herumkrähende Kinder, ohne lärmende Hunde und ohne weitere Störung, und sie hätten es wohl nicht einmal bemerkt, wenn neben ihnen ein Vulkan ausgebrochen oder um sie herum die Welt untergegangen wäre.

Irgendwann am Nachmittag, als das Licht golden und die Schatten lang geworden sind, treibt Raven allmählich so etwas wie einem Wachzustand entgegen, eingehüllt in ein Knäuel aus Armen, Beinen, samtigen Pelzdecken und zerwühlten Laken. Sie liegen wie in einer behaglichen Höhle, und sie spürt Caewlins großen, warmen Körper hinter sich, seinen Herzschlag und seine entspannten Atemzüge, unter denen sich sein Brustkorb dehnt. Eine Zeitlang wiegt sie sich in diesem angenehm unwirklichen Nebelreich zwischen Tag und Traum und räkelt sich wohlig, noch viel zu müde, um die Augen zu öffnen, aber schon zu ausgeschlafen, um wieder einzuschlafen. Irgendwo in diesem sanften Schlummer spürt sie, wie der Herzschlag an ihrem Rücken sich verändert, wie die Atemzüge sich beschleunigen und glatte, weiche Laken über ihre Haut rascheln. Eine Hand schiebt sich unter ihr Hemd und warme Lippen streifen ihren Nacken und überziehen sie von Kopf bis Fuß mit einem glühenden Wonneschauer. Mit einem schläfrigen Seufzen wölbt sie den Rücken und drängt sich Caewlin entgegen, versinkt im Klang seiner Stimme, die leise Worte flüstert, atemlos und halberstickt in ihrem Haar, an ihrem Hals, in ihrem Herzen, und sie lichterloh in Brand steckt. Sie spürt, wie sich seine wunden Finger mit den Schnürbändern plagen, qualvoll langsam, bis sie sich endlich aus dem Hemd winden und an seine warme Haut pressen kann. All ihre Sinne sind auf einmal hellwach. Jeder Nerv reagiert auf seine Berührung, so augenblicklich, als hätte er eine Flasche Loas Öl in ein kleines, zufrieden brennendes Feuer gegossen, und jetzt ist es ihr eigener Herzschlag, der so laut hämmert, dass er ihr den Brustkorb zu sprengen droht. Sie dreht sich zu ihm um und hält es kaum noch aus, so sehr sehnt sie sich seinen Mund auf ihren, und sie fühlt sich zittrig, weich und aufgeregt, als sie schließlich findet, was sie sucht. Von ihrem wild schlagenden Herzen aus strömt etwas unaufhaltsam in ihren Bauch, wie Lava, schwer und glühend, fließt weiter, tiefer, und entfacht einen ungestümen Hunger, den nur er noch stillen kann.

In diesem Augenblick verflucht sie in stiller Verzweiflung die Leinenstreifen, die ihre Finger umhüllen und wünscht sich hundert Paar Hände, damit sie ihn überall gleichzeitig festhalten und berühren könnte, jeden Muskel, sein Haar, sein Gesicht und seine warme Haut, jede Stelle seines Körpers, alles von ihm und alles auf einmal. >Hmmm... wenn du mich erwürgen willst, min koerlighed, dann tu es lieber gleich<, hört sie Caewlins Flüstern, rau und drängend. >Ich muss dich haben... jetzt. Auf der Stelle, Raven.< Er fühlt sich an wie reines, gebündeltes Begehren, vibrierend wie eine gespannte Feder, und sie hat nur eine einzige Antwort darauf, als sie die Arme um seinen Nacken schlingt und begierig seinen Mund zu sich herunterzieht. Ich will dich, zittert es in ihrem Atem, in ihren Küssen, in ihrem ganzen bebenden Leib, und sie fühlt die beglückende Last seines Körpers und die Gewissheit, dass nichts mehr sie trennt. Ich will dich. Jetzt. Immer. In alle Ewigkeit. Ich liebe dich. Ihre Augen sagen es, ihre Hände sagen es, und ihre Lippen sagen es, als sie ihn berühren. Sie sind ein Körper, eine Seele und ein Wesen, atemloses Seufzen, glühende Haut und bebendes Fleisch, bis sie einander ihren Hunger gestillt haben und in entkräftetem Frieden zurückbleiben, vollkommen miteinander verschmolzen und so eng ineinander verschlungen, dass nicht einmal mehr ein Gedanke zwischen sie passen würde. Zittrig und knochenlos und völlig erschöpft, wie ein Schiffbrüchiger, der eben an Land gespült wurde, liegt Raven unter ihm und versucht, ihren fliegenden Atem und ihren Herzschlag zu beruhigen, den sie von den Fingerspitzen bis zu den Zehen hinunter spüren kann, ein flatterndes Pochen, das sie vollständig ausfüllt. >Sag mir's, wenn ich dir zu schwer werde<, hört sie Caewlin murmeln, aber sie lächelt nur, umarmt alles von ihm, was sie erreichen kann, und hält ihn fest, bis sie spürt, wie er sich entspannt und sein Herz nicht mehr seine Rippen zu durchschlagen droht.

Irgendwann später, als sie wieder in der Lage sind, sich zu bewegen, rutscht er ein Stück nach unten und legt sein Gesicht auf ihren Bauch, als würde er nach drinnen lauschen. "Kannst du da drin schon etwas hören?" fragt Raven überrascht und richtet sich so weit auf, dass sie sich auf die Ellbogen stützen kann. Sie kann ihn lächeln spüren und ahnt, dass es wahrscheinlich eine ziemlich idiotische Frage war. Aber woher soll sie all diese Dinge wissen, die aus heiterem Himmel auf einmal so wichtig geworden sind, wenn sie noch nie ein Kind ausgetragen oder sich überhaupt mit all dem beschäftigt hat? Einen Moment lang kommt sie sich nur schrecklich dumm und ahnungslos vor, vor allem, als sie Caewlin auf seine Frage noch nicht einmal eine richtige Antwort geben kann. "Wann es zur Welt kommt?" echot sie ein wenig ratlos und kramt hektisch in ihrem Gedächtnis nach allem, was sie jemals über Schwangerschaften gehört hat. "Ich weiß nicht genau", gesteht sie kleinlaut, "ich habe es noch gar nicht nachgerechnet, aber es muss dann wohl ..." Vierzig Siebentage. Es war irgendwas mit vierzig Siebentagen, das weiß ich genau. "... hm, Anfang des Sturmwindmonds zur Welt kommen. Es dauert noch den ganzen Winter über. Und ich habe noch genügend Zeit, so fett wie ein Walross zu werden." Ihr leises Lachen mischt sich mit einem unüberhörbaren Grollen aus ihrer Magengegend, das Caewlin von ihrem Bauch verscheucht. >Dir ist gar nicht schlecht heute<, bemerkt er grinsend. >Aber genau genommen hast du die Morgenübelkeit auch verschlafen, denn es ist fast schon wieder Abend. Hungrig?< "Hungrig?" Raven zieht die Nase kraus und gibt ein vieldeutiges Schnauben von sich. "Ich könnte einen halben Ochsen verdrücken. Mindestens. Und zum Nachtisch einen Kessel Haferbrei. Und Bethels Rosinenkuchen. Einen Ganzen. Oder vielleicht auch zwei. Oder mehr." Caewlin drückt ihr einen Kuss auf die Lippen, müht sich ächzend auf die Beine und an die Waschschüssel, die, mit frischem, kühlem Wasser gefüllt, auf der Kommode bereitsteht. "Was hätte ich denn auch von mir geben sollen?" fragt Raven belustigt, während sie ihren Blick auf seine breiten Schultern, seinen Rücken und seine höchst verlockende Kehrseite heftet. "Es ist ja nichts drin, das ich hätte ausspucken können, ich habe bis auf das Frühstück gestern morgen und die paar Löffel Brühe keinen Bissen mehr gegessen. Du übrigens auch nicht. Das werde ich jetzt aber gleich nachholen."

Sie hat so absolut gar keine Lust, sich aus dem Bett zu quälen oder sich gar die Zähne zu putzen und sich zu waschen. Sie will viel lieber Caewlins Geruch an sich behalten, ihn auf der Zunge schmecken können und das Echo seiner Küsse auf der Haut tragen, so lange es nur irgend geht. Aber sie tut es trotzdem, so gut es mit den verbundenen Händen eben möglich ist, schon aus reiner Gewohnheit. Währenddessen erzählt Caewlin amüsiert von den Kindern, aber dann hält er inne und legt besorgt die Stirn in Falten. >Ich frage mich, wie es Niniane und den anderen geht... und wie es jetzt in der Stadt aussieht. Wenn ich bis morgen nichts von Cron hören, gehe ich nach TianAnmen oder in die Steinfaust und sehe, ob ich irgendetwas herauskriege.< "Ich will mit", verkündet sie, hockt sich auf die Bettkante und zerrt sich Socken über ihre Füße. "Ich mache mir doch genauso Sorgen, also lass uns zusammen nach ihnen sehen, wenn wir nichts von ihnen hören." Sie tritt neben Caewlin, schlingt den Arm um seine Hüften und schmiegt sich an seine Seite, bevor er unter dem frischen Hemd verschwinden kann. Dabei zupft sie sorgenvoll an den Verbänden herum, die sich,  inzwischen ziemlich verrutscht und in Unordnung geraten, um Brust und Rücken winden. "Tut's sehr weh?" erkundigt sie sich mitleidig, aber er schüttelt nur den Kopf und drückt sie kurz an sich. Natürlich hat er trotzdem Schmerzen, sie sieht es genau, und wenn er sich noch so Mühe gibt, es zu verbergen. "Ich kann dir nachher Salbe auftragen und einen frischen Verband anlegen", verspricht sie und streicht vorsichtig über seine verletzten Rippen. Die Inspektion des Kleiderschrankes könnte sie sich allerdings sparen, wie sie nach einem kurzen Blick in seine leeren Fächer missmutig feststellt, und sie kann zu Caewlins Vorschlag, bald einkaufen zu gehen, nur schicksalsergeben nicken. "Ich mag ja sonst nicht viel Wert auf eine umfangreiche Garderobe legen, aber jetzt wird es allmählich wirklich Zeit, sonst kann ich mir entweder einen Kartoffelsack über den Kopf stülpen oder mir eins von Bethels Kleidern leihen." Bei dem Gedanken muss sie grinsen, dann folgt sie Caewlin in die Küche hinunter, wo sie sofort von einer sorgenvollen Dalla überfallen werden, die sich auf ihre Verbände stürzt wie ein Hund auf seinen Knochen. Nachdem ihre Hände frisch verbunden und sie selbst mit genügend Mitleid und den Neuigkeiten aus der Stadt versorgt worden sind, können sie sich auch endlich am Tisch niederlassen, ausgehungert wie zwei magere Winterwölfe. Als Dalla erzählt, dass Cron nach dem Wagen hat schicken lassen und Rykar und Pyp nach TianAnmen unterwegs sind, um ihn und die Waldläuferin abzuholen, tauschen sie einen mehr als erleichterten Blick. "Gestern sah Niniane so aus, als würde sie die Nacht nicht überleben", seufzt Raven und muss einen grusligen Erinnerungsschauer unterdrücken bei dem Bild, das sich ihr dabei aufdrängt. "Das kann nur ein gutes Zeichen sein, wenn Cron sie dennoch jetzt schon nach Hause bringen kann. Vielleicht stimmt es ja wirklich, was man sich in der Stadt über TianShi erzählt, die Leute behaupten offenbar nicht zu Unrecht, dass sie kleine Wunder vollbringen kann." Und es ist ein wahrer Göttersegen, dass sie wieder in der Stadt ist.

"Cron weiß bestimmt auch, wie es Borgil geht, und Morgana und all den anderen", fällt ihr ein, während sie sich Haferbrei aus dem großen Topf in eine Schale schöpft, dann gehen sämtliche weiteren Überlegungen in Dallas hervorsprudelndem Wortschwall unter, der auf sie niederprasselt wie Hagelkörner in einem Sommergewitter. Raven lauscht mit halbem Ohr ihrer Berichterstattung, während sie ungerührt drei Schalen Haferbrei in sich hineinschaufelt und dann zu handfester Nahrung in Form von Räucherschinken und Erdbeermarmelade übergeht. Als sie das Ganze noch mit höllenscharfen Azurianischen Pfefferschoten belegt, von denen Bethel einen kleinen Tonkrug voll auf den Abendbrottisch gestellt hat, bemerkt sie jedoch, dass das Gespräch um sie herum auf einmal verstummt ist. Verwirrt sieht sie auf und in drei Gesichter, die sie in einer Mischung aus Faszination und fassungslosem Ekel beobachten. "Was denn?" fragt sie irritiert und beißt herzhaft in ihre Räucherschinken-Erdbeer-Pfefferschoten-Kombination. "Stimmt was nicht?" Erst als Caewlin die beiden Mägde mit einem belustigten Schnauben und einem >Tut nicht so, als hättet ihr das nicht ohnehin schon längst gewusst< bedenkt, begreift sie, weshalb sie gerade angestarrt wird wie ein durchgedrehter Tanzbär auf einem Jahrmarkt. Dalla und Bethel brechen synchron und wie auf Kommando in völlig verzücktes Geschnatter aus und übertreffen sich dabei gegenseitig in der Schnelligkeit, mit der sie die verdatterte Raven mit Fragen überschütten. Sie kann nur verblüfft von einem zum anderen blicken und bringt es angesichts dieser plötzlichen Anteilnahme tatsächlich fertig, rot zu werden. Plötzlich hat sie Tränen in den Augen stehen und zieht schniefend und schnüffelnd die Luft ein, was die kleine Mogbarmagd dazu bringt, ihr in einem Anfall von Rührseligkeit den Arm zu tätscheln, und Bethel auf der Stelle veranlasst, ein riesiges, nicht mehr ganz blütenweißes Taschentuch aus ihrer Schürze hervorzuziehen. "Es ... es .... es ist gar nicht wegen dem Kind", erklärt Raven mit tränenerstickter Stimme und schnaubt sich lautstark in das Taschentuch. "Es ist nur .... es ist, weil .... diese Pfefferschoten sind so verdammt scharf!"

Sie hat sich kaum die Tränen aus dem Gesicht gewischt und sich einen Becher kühlenden Löschwassers in den Rachen gestürzt, als von draußen Stimmen zu hören sind und das Knirschen von Wagenrädern auf dem kiesbestreuten Weg laut wird. Keinen Herzschlag später fliegt auch schon die Tür zur Spülküche auf und spuckt einen atemlosen und völlig zerzausten Pyp in den Raum, der keuchend und in händeringender Aufregung hervorsprudelt, der Lord von Tronje und Lady Niniane wären eben mit dem Wagen angekommen. Auf einmal ist das Essen überhaupt nicht mehr wichtig und in der Küche bricht hektisches Chaos aus, als alle gleichzeitig von Stühlen und Bänken rumpeln. Caewlin folgt dem unablässig plappernden Mogbarjungen durch die Spülküche hinaus in den Hof, wo Rykar das Fuhrwerk angehalten und die Pferde angebunden hat, während Ravens Blicke in plötzlicher Verwirrung durch die Küche fliegen. "Shaerela ... Brynden ... wo sind denn überhaupt die Kinder?" Dalla, die ebenfalls schon wie eine aufgescheuchte Henne auf dem Weg hinaus ist, stopft ihre widerspenstigen Locken zurück unter die Haube und erklärt verlegen, dass Runa mit ihnen im Erkerzimmer ist und sie in die Wanne gesteckt hat, dann ist sie auch schon draußen und Caewlin und Pyp auf den Fersen. Raven sieht ihr kopfschüttelnd nach, ignoriert das Pfefferschotenhöllenfeuer, das ihr in der Kehle brennt, und eilt geradewegs in das Erkerzimmer, um Shaerela zu holen. Auf halbem Weg hält sie jedoch inne, weil ihr einfällt, dass das vielleicht doch keine so gute Idee ist, denn selbst wenn Niniane auch nur halb so zerschlagen aussehen sollte wie am vergangenen Tag, dann würde das vermutlich noch immer ausreichen, ihrer Tochter bei diesem Anblick einen gewaltigen Schock zu versetzen. Sie wirft einen Blick durch die angelehnte Tür, wo Runa neben dem Badezuber auf einem Schemel sitzt und die Kinder daran zu hindern versucht, sich gegenseitig im Seifenwasser zu ersäufen. Sie trägt ihr nur auf, die beiden allmählich aus der Wanne zu holen, zu wickeln und anzuziehen, und dann mit ihnen vorerst im Kinderzimmer oben zu warten. Zumindest bis wir wissen, wie es Niniane geht. Als sie in die Küche zurückkommt, humpelt die Waldläuferin gerade in den Raum, Pyp und Dalla im Schlepptau, und auf jeder Seite von einem Nordmann gestützt. "Heilige Götter", entfährt es Raven erschrocken, als sie Niniane im Goldschein des flackernden Herdfeuers näher betrachten kann, und sie kann Cron nur einen entsetzten und hilflos fragenden Blick zuwerfen. "Was hat dieses Höllenvieh nur mit ihr angestellt?"

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Niniane am 06. Nov. 2005, 17:26 Uhr
Vom Bild der Zerstörung, das Talyra zweifellos noch immer bietet und das im letzten Licht eines sonnigen Erntemondnachmittags auch in all seiner Pracht zu bewundern ist, bekommt Niniane kaum etwas mit. Ihr ist übel und vor ihren Augen zucken kleine, bunte Lichtblitze auf... merkwürdigerweise sehen sie jedoch überhaupt nicht aus, wie herkömmliche Blitze, sondern haben die vage Form von Monsterfratzen - winzig klein und phosphoreszierend grün, aber nichtsdestotrotz bewaffnet mit Mäulern voller Zähnen und grotesken Augen. Das war ein Dämon zuviel, fürchte ich. Ihre Fahrt quer durch Talyra scheint eine Ewigkeit zu dauern - was aber auch kein Wunder ist, denn Caewlins Knecht ist gezwungen, einen großen Bogen um den Marktplatz zu schlagen, der immer noch abgesperrt ist. Hier und da erhaschen sie durch kleine Gassen und Straßen einen Blick auf das verbrannte Herz der Stadt, wo sich Dutzende von Blaumänteln in rußschwarzen Umhängen tummeln und die Leichen, die man bisher geborgen hat, in langen Reihen lebloser, mit Leinen bedeckter Körper aufgebahrt werden. Das ganze Viertel südlich des Marktplatzes ging durch die Feuerbälle des Dämons in Rauch und Flammen auf und scheint ein einziges, schwarzverkohltes Trümmerfeld - vom Ende der langen Straße, wo Ravens Häuschen stand, bis hinauf zum Laden des laiginischen Wollhändlers und Morholdrims alter Alchemistenküche steht kein Stein mehr auf dem anderen. Die anderen Stadtviertel sind jedoch weit weniger von Zerstörung betroffen und die allermeisten Talyrer längst in ihre Häuser zurückgekehrt - auf den Straßen herrscht nach einem langen Tag der Rückkehr und der ersten Aufräumarbeiten dichtes Gedränge. Allerorts stehen besorgte und verstörte Menschen in Gruppen beisammen und auf den Straßen herrscht die Stimmung und das Durcheinander eines Heerlagers nach einer Schlacht - siegreich, aber mit zu großen Verlusten, um euphorisch zu feiern. Im Augenblick mögen die Talyrer noch durcheinanderlaufen wie aufgeschreckte Schafe, aber Niniane kennt die Stadt und ihre Menschen - die Leute hier hatten schon viel gesehen und erlebt und sich nie von irgendetwas unterkriegen lassen. In ein paar Tagen, wenn der erste Schock überwunden, die Toten begraben und die gröbste Zerstörung beseitigt ist, würden sie die Ärmel hochkrempeln, in die Hände spucken und zusammenrücken - und sich mit bewundernswertem Gleichmut daran machen, ihre Stadt wieder herzurichten und ihre Häuser wieder aufzubauen. Die Wunden werden heilen. So wie meine.

Das eisenbeschlagene Tor zum Anwesen Caewlins und Ravens steht sperrangelweit offen, als sie endlich das Ziel ihrer holprigen Fahrt auf dem ratternden Leiterwagen erreichen. Dahinter liegen grüne Wiesen, die sanft zum Ildorel hin abfallen und die rotgoldene Abendsonne fängt sich in den Blättern der alten Kastanien und glänzt kupfern und bronzebraun im Laub der Ahornbäume, unter denen sich der schmale, gepflasterte Weg hinzieht. Rykar lenkt den Wagen nicht vors Haus, sondern ein Stück nach Norden hinauf und um die Mauern des Küchengartens, wo er schließlich quietschend zum Stehen kommt. Pyp springt vom Kutschbock, noch ehe sie wirklich halten und flitzt durch die hölzerne Gartentür unter einem Mauerbogen - Rykar folgt ihm langsamer und steigt umständlich vom Wagen, dann hilft Cron ihr selbst aus dem duftenden Heu und sie wankt an seinem Arm dem Mogbarjungen hinterher, der wohl durch die Spülküche ins Haus schlüpft. Niniane erhascht aus ihren verschwollenen Augen gerade noch einen Blick auf geordnete Beete mit allerlei Kräutern, Mangold, Erbsen und rankenden Stangenbohnen an gewundenen Holzstäben, dann wird sie durch einen kleinen Anbau geschoben und findet plötzlich Caewlin an ihrer anderen Seite, der kurzerhand ihren linken Arm nimmt, um sie zu stützen. Flankiert von den beiden Riesen quetscht sie sich in die Küche, wo Wärme, Essensdüfte und golddurchwirktes Licht sie einhüllen - und ihr eine Phalanx schockierter Augen entgegenblickt. Dalla, die dicke Köchin und Raven starren sie mit entsetzten Gesichtern an und während die beiden Mägde umgehend unergründliche Mienen aufsetzen und es plötzlich sehr eilig haben, wieder an ihre Töpfe zu kommen, wendet Raven sich entgeistert an Cron. >Was hat dieses Höllenvieh nur mit ihr angestellt?< Niniane tauscht einen Blick mit ihrem Mann und prustet dann ein Geräusch hervor, das man als leises Lachen ebenso interpretieren könnte, wie als Schluchzen. "Nach was sieht es denn aus?" Erwidert sie trocken und lässt sich von ihren beiden Stützen sanft auf einen eilig herbeigeschobenen Stuhl verfrachten. Raven betrachtet mitfühlend ihr geschundenes Gesicht und greift dann vorsichtig nach ihrer Hand. "Du siehst aus, als wärst du unter eine Horde durchgehender Mammuts geraten." Ihre schmalen Brauen ziehen sich nachdenklich zusammen, während sie sie aufmerksam betrachtet und dann korrigiert. "Zwei Horden durchgehender Mammuts." "So fühle ich mich auch in etwa." Niniane sonnt sich in der heimeligen Atmosphäre von Ravens und Caewlins Küche, einem Raum der immer, selbst im tiefsten Winter, noch von Sonnenlicht durchflutet scheint, der immer Behaglichkeit verströmt wie ein prasselndes Kaminfeuer und in dem es obendrein phantastisch riecht.

Ihr Magen meldet sich knurrend zu Wort und ihr Blick streift hoffnungsvoll eine Scheibe Schinken mit Erdbeerkompott und azurianischen Pfefferschoten, die herrenlos auf einem Brett herumliegt, aber auch wenn ihr augenblicklich das Wasser im Mund zusammenläuft, ihre schmerzenden Kiefer würden das niemals kauen können. Schinken mit Erdbeermarmelade und Pfefferschoten... herrje, wer isst denn so etwas, außer einer Schwange... Moment mal. Ihr Blick schweift von dieser kulinarischen Unaussprechlichkeit zu Raven, wieder zurück und noch einmal in das Gesicht ihrer Freundin. Leider verbergen ihre Prellungen erfolgreich das Fragezeichen, zu dem ihre Miene wird. Sie kann nicht einmal süffisant eine Braue heben, geschweige denn die Augen aufreißen. "Bist du...?" Schwanger spricht sie zwar nicht aus, aber es klingt trotzdem mit. Ravens Gesicht glüht augenblicklich in schönstem Pfirsichton und Niniane drückt ihre schmale Hand. Sie wäre so gern aufgesprungen und hätte die junge Frau ein paarmal im Kreis herumgewirbelt vor lauter Begeisterung über diese mit Abstand beste Neuigkeit seit langem, aber sie kann nicht. Sie kann nur hier sitzen, sich still für Raven und Caewlin freuen und ihrer Freundin die Finger blau quetschen. Raven braucht nicht wirklich zu antworten - sie strahlt inzwischen mit dem polierten Kupfergeschirr um die Wette. Die beiden Nordmänner in ihrem Rücken brechen synchron in breites, haarsträubend selbstgefälliges Grinsen aus und Niniane tauscht einen augenrollenden Blick mit Raven. Männer. Bethel segelt wie eine dickbauchige Galeere durch die Küche, bedenkt alles und jeden mit seharimgleichem Lächeln und räumt im Handumdrehen den Tisch ab, während Dalla von irgendwoher einen Berg weicher Kissen anschleppt, die sie mit zungenschnalzenden Ratschlägen zur Behandlung schlimmer Prellungen - gewürzt mit diversen Beispielen solcher Verwundungen aus dem näheren Verwandtenkreis (sie führt hier eine unüberschaubare Anzahl von Vettern, Onkeln, Tanten, Nichten und Neffen an, die sich alle schon dies oder das getan hatten) - in Ninianes Rücken stopft. Das Funkeln ihrer kleinen, braunen Augen, wann immer ihr Blick auf Raven trifft, zeigt allerdings deutlich, dass auch sie es kaum erwarten kann, endlich wieder ein Baby in die Finger zu bekommen - offenbar hat die freudige Nachricht im Seehaus schon die Runde gemacht. "Wie weit bist du denn?" Will Niniane wissen, während sie das verführerische Schinkenscheibchen mit spitzen Fingern außer Reichweite schiebt, um nicht doch in Versuchung zu geraten. Bethel, ausgestattet mit dem untrüglichen, sechsten Sinn für Hungrige, drückt ihr eine Schale heißer Brühe in die Hände und sie murmelt ein glückliches: "Danke," und nippt vorsichtig daran, während Raven etwas von "drittem Mond oder so" nuschelt. "Oder so?" Hakt sie nach und Raven nickt verlegen. "Naja, ich weiß es selbst erst seit äh... gestern."  

"Seit gestern?" Niniane hätte sich beinahe an der heißen Brühe verschluckt. "Aber..." ihr Blick schweift kurz zu Caewlin, der augenrollend seufzend einen Blick an die nicht vorhandene Decke wirft, und kehrt dann einigermaßen verständnislos zu Raven zurück. "Oh. Nun ja, das kann schon vorkommen, dass man es erst spät bemerkt," fährt sie fort. "Wenn dir morgens nicht übel war und du nicht zugenommen hast..." Noch während ihr die letzten Worte über die Lippen kommen, fällt ihr Blick auf Ravens ziemlich beieindruckend gewordene Oberweite. "Ups. Und das ist dir gestern erst aufgefallen?" Ihr Blick zuckt zu Caewlin, dessen Grinsen hinter Ravens Rücken inzwischen solche Ausmaße angenommen hat, dass klar ist, dass ihm das keineswegs entgangen war. Raven dagegen hat irgendetwas höchst Interessantes auf der Tischplatte entdeckt und murmelt etwas von "guter Küche", "kann schon mal passieren", "weiß nicht so genau", "Frauenkram" und "keine Ahnung." "Oh." Ihr fällt ein, dass Raven bei dem Leben, das sie bisher geführt hat, vermutlich wirklich nicht viel Ahnung von "Frauenkram" haben dürfte. "Nun... wenn du irgendwelche Fragen hast..." sie weiß genau, dass sie eigentlich gar nicht in der Verfassung dazu ist, jetzt die kluge Ratgeberin zu spielen, Götter im Himmel, sie kann ja nicht einmal alleine stehen, aber die Hebamme in ihr würde Raven trotzdem am liebsten auf der Stelle auf den Tisch zerren, um sie gründlich zu untersuchen. Raven wedelt ungeduldig mit der Hand vor ihrer Nase herum und erwidert hektisch: "Fragen? Ja, Tausende. Wie fühlst du dich? Brauchst du irgendetwas? Können wir irgendetwas für dich tun? Willst du etwas trinken? Oder essen? Willst du dich hinlegen? Ein Bad? Noch mehr Kissen? Pepperoni? Ist dir kalt? Ist dir warm? Magst du von Bethels Rosinenkuchen versuchen? Der ist so gut und du kannst ihn ja in Milch einweichen." Bei dem atemlosen Wortschwall, den Raven hervorsprudelt, sieht sie Niniane die ganze Zeit so liebevoll und besorgt an, dass es ihr für einen Moment schlicht die Sprache verschlägt. Sie sitzt in Ravens Küche, umgeben von zwei Nordmännern, zwei Mägden und einem Mogbarjungen und der jungen Frau ihr gegenüber, die sie allesamt so fürsorglich und erwartungsvoll zugleich ansehen, und blickt hilfesuchend zu Cron. Seine Miene sieht allerdings nicht viel anders aus, also kann sie nur leicht ratlos mit den Schultern zucken, eine Bewegung, die sie sofort bitter bereut, denn augenblicklich schießt ihr der Schmerz über den Rücken. "Nein, danke. Mir geht's gut. Wirklich. Ich will... ich will nur einen Moment hier sitzen und ausruhen. Wo ist..." Ihr Blick schweift durch die Küche. "Wo sind die Kinder? Wir wollten nur die Pferde und Shaerela abholen und dann nach Hause. Macht euch wegen mir keine Umstände bitte."

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Caewlin am 12. Nov. 2005, 21:46 Uhr
Caewlin beobachtet amüsiert, wie die dicke Köchin und Dalla Raven nach dieser mehr oder minder offiziellen Bestätigung ihrer wohl schon länger währenden Spekulationen einen Moment lang atemlos anblinzeln und dann begeistert über sie herfallen. Ein Sturzbach an erfreuten Segenswünschen geht auf Raven nieder, gefolgt von mütterlichen Ratschlägen, hingerissenen Fragen und altklugen Sprichworten - alles durcheinander, alles auf einmal. Dalla lässt vor lauter Aufregung ihr Schälmesser fallen, Bethel klatscht in die Hände und dann gibt es kein Halten mehr. Caewlin, der vage ahnt, was kommt, lächelt still in seinen Cofeabecher, nimmt sich beiläufig ein Stück Rosinenkuchen, lehnt sich zurück, überlässt seinen sich wie Glucken aufplusternden Mägden mit schwach ironischer Schicksalsergebenheit das Feld und denkt sich seinen Teil - zu Wort würde er jetzt ohnehin nicht mehr kommen.
"Ein Kind, was für ein Segen! Was für Neuigkeiten, M'ladie, Ihr seid guter Hoffnung." Bis gestern wohl eher guter Verwirrung.
"Glücklich die Braut, die die Zeit nutzt, solange sie jung ist, heißt es ja immer." Ah...ja.
"Wo sind Ryk und Pyp, ach ja unterwegs, nun sie werden es eben erfahren, wenn sie zurückkommen...." Mit Sicherheit...
"Ich koche Sahnebonbons für den Kleinen, dann kann er mit uns feiern und wir anderen trinken darauf. Wie fühlt Ihr euch denn?" Wie sie sich fühlt? Zwischen euch vermutlich sprachlos...
"Geahnt haben wir's ja schon, M'ladie, nichts für ungut, weil Ihr doch immer spucken musstest am Morgen. Bethel, hab ich gesagt, Beth, die Herrin ist schwanger, im Frühling haben wir ein Baby hier!" Hoffentlich bekommen wir selbst es wenigstens einmal zu Gesicht, ehe es mündig wird...
"Ja und wißt Ihr, es wird bestimmt ein Junge, bei Jungs ist einem immer schlecht, das hat meine Großtante Edmea stets gesagt. Hatte sechs Söhne und drei Töchter, und bei den Mädchen war ihr nie übel. Na, Männer, was will man da erwarten? Von Anfang an nur Är... oh, Vergebung, M'lord." Hmpf!
"Wo war ich? Ach ja. Hagebuttentee. Und Zwieback. Morgens im Bett, vor dem Aufstehen, das hilft. Ihr müsst..." Ich weiß, was morgens im Bett vor dem Aufstehen hilft...
"Oh, M'ladie, wir freuen uns ja so für Euch. Ein Bruder für den Kleinen ... oder eine Schwester, es kann natürlich auch ein Mädchen werden." Ja bitte - mit rabenschwarzem Haar und Grübchen in den Wangen. Und wenn sie groß wird, wird sie so schön wie ihre Mut.. du lieber Himmel! Sie werden ihr in Scharen nachlaufen! Sobald sie ins heiratsfähige Alter kommt, werde ich den Morgenstern überhaupt nicht mehr aus der Hand legen können und ein Dutzend Bluthunde füttern müssen, statt nur einem... vielleicht lieber doch kein Mädchen.

"Natürlich kann es auch ein Mädchen werden, was denn sonst? Das ist doch aber völlig gleich, Vergebung, M'lord, Männer wünschen sich ja meist Söhne, aber ich sage immer: Hauptsache, es ist gesund und..."
"Och, ich kann es nicht erwarten, es Ryk zu erzählen, er hat Kinder doch so gern. Und für den Kleinen ist es ohnehin besser, wenn er Geschwister bekommt, Kinder kann man nie ja genug haben..."
"Wo steckt denn bloß Runa, die muss es auch erfahren... aber Brynden sagen wir besser noch gar nichts, nicht bevor Ihr nicht ein bißchen weiter seid, sonst fragt er jeden Tag nach dem Baby und die Zeit wird ihm zu lang...herrje, mein Teig, nun, einerlei..."
"Aber, aber, Herrin... nicht weinen...nicht doch..."
Raven blinzelt vollkommen verwirrt von einer zur anderen, weiß wohl nicht, in was sie da hineingeraten ist, stürzt ob der allgemeinen Aufmerksamkeit in tiefste Verlegenheit, wird rot und flüchtet sich schließlich hinter ein hilfreich gereichtes, voluminöses Taschentuch, als die laustarke, aber etwas konfuse Begeisterung plötzlich in tränenfeuchte Rührseligkeit umschlägt. >Es ... es .... es ist gar nicht wegen dem Kind...Es ist nur .... es ist, weil .... diese Pfefferschoten sind so verdammt scharf!<
"Och, oi, die Pfefferschoten..." Dalla und Beth überschlagen sich beinahe, um Raven ein Glas Wasser zu bringen und Caewlin beißt sich auf die Zunge, um nicht zu lachen. In Gedanken immer noch halb bei der Frage, wie er seine zukünftigen Töchter vor jedweden Nachstellungen würde schützen müssen, wenn sie einmal erwachsen wären, hatte er auf die letzten Worte kaum geachtet, doch jetzt streckt er die Hand aus, um seiner Frau mitfühlend den Rücken zu klopfen. Er will sich gerade vorbeugen, um sie zu küssen und ihr Pfefferschotenlos zu teilen, als die Hintertür krachend auffliegt und Pyp hereinkommt - blass um die Nase und ziemlich bestürzt. Caewlin tauscht einen besorgten Blick mit Raven, die davoneilt, um nach den Kindern zu sehen und folgt dann dem Mogbarjungen hinaus. Hinter ihm drängen sich Dalla und Bethel, doch sie alle prallen beim Anblick Ninianes, die durch den Küchengarten und die Spülküche hereinkommt, zurück. Wenn das überhaupt möglich ist, sieht die Halbelbin vielleicht sogar noch schlimmer aus, als gestern, als Blut, Dreck und Asche die meisten ihrer Wunden gnädig verdeckt hatten. Caewlin bleibt wie angewurzelt in der Spülküche stehen, blockiert den Durchgang in die Küche, kann die Waldläuferin einen langen Moment nur anstarren und spürt, wie ihn sein sonst so ungerührtes Gesicht im Stich lässt. Hatte die Weiße Dame Niniane nicht helfen können? Ravens Worte von eben geistern durch seinen Kopf, als sie erfahren hatten, dass Cron mit ihr auf dem Weg hierher war und sie dann nach Hause bringen würde. >Gestern sah Niniane so aus, als würde sie die Nacht nicht überleben. Das kann nur ein gutes Zeichen sein... Vielleicht stimmt es ja wirklich, was man sich in der Stadt über TianShi erzählt... dass sie kleine Wunder vollbringen kann.<

Wunder?! Niniane ist von Kopf bis Fuß mit schwarzblauen Prellungen, Schnitten, Rissen und Kratzern übersät, ihre Kleidung hängt in Fetzen und ist blutverkrustet, ihr Haar verschmiert und ihr Gesicht nicht zu erkennen. Aber sie steht auf ihren eigenen Beinen - mehr schlecht als recht vielleicht, doch sie steht. Und sie ist bei sich... Himmel, was muss sie für Schmerzen haben... Mehr noch als ihr Zustand verstört ihn genau das, wird ihm klar - die Tatsache, dass sie so übel zugerichtet und dennoch auf den Füßen ist. Eigentlich hätte sie nicht einmal mehr in der Lage sein dürfen, zu stehen, geschweige denn, in der Gegend herumzulaufen. Offenbar hat die Weiße Dame doch etwas getan, auch wenn davon äußerlich nichts zu sehen ist... Er kennt TianShi wirklich nicht gut, aber er kennt ihren Ruf - und wenn auch nur die Hälfte von dem stimmt, was man sich in Talyra über ihre Kräfte erzählt, dann hätte Niniane jetzt eigentlich aussehen müssen wie das blühende Leben. Hör auf, was hast du erwartet? Dass sie taufrisch und quietschlebendig in deine Küche hopst? Sie ist am Leben und es geht ihr eindeutig besser. Es mag Niniane wirklich besser gehen und ihr Leben mag nicht mehr in Gefahr sein, aber geheilt sieht anders aus und das verwirrt ihn angesichts dessen, was man der Weißen Dame nachsagt. Wenn er ehrlich ist, hat er einfach erwartet, dass Niniane nun ja - unversehrt ... oder zumindest unversehrter... wäre. Vielleicht haben auch die Heilkräfte TianShis Grenzen oder Niniane ist durch Magie ebenso schwer zu heilen, wie zu verwunden... oder aber, was am wahrscheinlichsten ist, sie hat sich, nachdem das Nötigste getan war, stur wie ein Gododdinesel auf und davongemacht. Caewlin streckt ohne Nachzudenken die Hand aus, um ihr zu helfen, obwohl sie sich mit dem anderen Arm schon schwer auf Cron stützt, einfach um irgendetwas zu tun und vielleicht auch, um zu spüren, dass sie wirklich lebendig ist. Über Ninianes ascherußiges Haar hinweg tauscht er einen Blick mit dem Tronjer. Er hätte gern gefragt, wie es um sie steht, was mit dem Kind ist, ob sie hier überhaupt herumlaufen sollte, aber Crons Gesichtsausdruck lässt ihm jedes Wort im Hals stecken bleiben - anscheinend war es wirklich Ninianes Sturheit, die sie überhaupt hierher gebracht hat, und wo sie Crons Meinung nach sein sollte, steht deutlich in seinen Augen geschrieben. Sie bringen die Waldläuferin, deren Anblick selbst Dalla und Bethel mit schockiertem Schweigen belegt, in die Wärme der Küche und helfen ihr vorsichtig auf einen der Armlehnstühle am Tisch. Im Licht der Öllampen und Bienenwachskerzen, und im hellen Schein des Herdfeuers potenziert sich ihr entsetzliches Aussehen um ein Vielfaches und Caewlin holt hörbar Luft. Raven setzt sich zu ihr, findet als erstes ihre Sprache wieder und will wissen, was dieses Höllenvieh nur mit ihr angestellt hätte. Sie spricht ihm aus der Seele, wendet sich jedoch ganz unwillkürlich an Cron, so als erwarte sie erst gar nicht, dass Niniane ihr auf ihre erschrockene Frage selbst antworten könnte - dennoch tut die Halbelbin genau das und gibt spröde zurück: >Wonach sieht es denn aus?<

Caewlin fährt sich mit der Hand durchs Haar und kämpft mit einem widerwilligen Lächeln - ihr Humor scheint jedenfalls nicht sehr gelitten zu haben. Ihr Spürsinn auch nicht, denn kaum sitzt sie und blinzelt aus völlig verschwollenen Augen über den Tisch, entdeckt sie Ravens Schinken-Marmelade-Pfefferschotenimbiß und zieht prompt die richtigen Schlüsse daraus. >Bist du...?< "Ist sie?" Echot Cron im selben Augenblick an seiner Seite und starrt abwechelnd ihn selbst, dann Raven und Niniane fragend an. Caewlin kann rein gar nichts für das Grinsen, das sich in seine Mundwinkel schleicht und sich dann auf seinem Gesicht breit macht, das männliche Äquivalent zu Ravens Strahlen. Dalla und Bethel erstarren, mindestens ebenso selige Lächeln auf ihren Gesichtern, an ihren Rührschüsseln und Töpfen, doch niemand, auch nicht Raven, sagt etwas. Für einen Herzschlag ist es bis auf das Flüstern des Herdfeuers mucksmäuschenstill in der Küche, doch ihrer aller Mienen müssen Bände sprechen, denn im nächsten Augenblick löst sich die plötzliche Spannung in gönnerhaftem Schulterklopfen, begeistert losschnatternden Mägden und stiller Freude. Caewlin lauscht mit halbem Ohr auf Crons gemurmelte Glückwünsche und tauscht einen Blick mit Raven, doch kaum ist Niniane, die immer noch aussieht, als könne sie jeden Augenblick umkippen, von seinen Mägden mit Kissen, ungebetenen Ratschlägen und einer Schale Brühe versorgt, reißt sie zeilsicher das Gespräch wieder an sich. >Wie weit bist du denn?< Caewlin spürt, wie seine Augenbrauen in die Höhe fahren... anstatt endlich zu erzählen, was in dieser dreimal verfluchten Gruft geschehen und was aus dem Dämon geworden war, wie es bei allen Neun Höllen hatte passieren können, dass sie für die Rettung Talyras letztlich fast mit ihrem Leben bezahlt hatte, sitzt Niniane hier und fragt Raven über ihre Schwangerschaft aus - gerade so, als sei sie nur schnell auf dem Markt gewesen und auf dem Heimweg auf einen Sprung vorbeigekommen. Raven rückt verlegen mit der Sprache heraus. >Naja, ich weiß es selbst erst seit äh... gestern.< Niniane, verständlicherweise verwirrt, sieht ihn an und Caewlin blickt zur Decke. >Oh. Nun ja, das kann schon vorkommen, dass man es erst spät bemerkt,< hört er die Waldläuferin dann sagen. >Wenn dir morgens nicht übel war und du nicht zugenommen hast...< Morgens nicht übel? Nicht zugenommen? "Oh, keine Spur," murmelt er ironisch. "Und ihre Leibchen schlottern ihr am Leib..." Cron neben ihm stößt ein amüsiertes Schnauben aus und Niniane am Tisch fährt nicht minder belustigt fort: >Ups. Und das ist dir gestern erst aufgefallen? Ihr Blick wandert von Raven wieder zu ihm, das Schimmern in ihren seltsam trüben, goldenen Augen eindeutig anzüglich und Caewlin kämpft darum, sein ohnehin schon monströses Grinsen nicht auch noch unverschämt werden zu lassen.

Raven nuschelt Unverständliches vor sich hin, und klingt zwar immer noch entzückt von der ganzen Angelegenheit, aber mittlerweile auch reichlich verlegen, doch als Niniane sich vorsichtig in die Kissen lehnt und tatsächlich Anstalten macht, anlässlich dieser Neuigkeit ein Gespräch über - zweifellos haarsträubende - Schwangerschafts- und Geburtsgeschichten anzufangen, blickt Caewlin ungläubig zu Cron. Der Tronjer fixiert seine Frau allerdings bereits aus schmalen Augen... entweder um sie darauf aufmerksam zu machen, dass jetzt wirklich anderes wichtig ist, oder als suche er in ihrem zerstörten Gesicht oder in ihren Augen nach etwas ganz Bestimmtem. Caewlin schüttelt nur noch verblüfft den Kopf und glaubt seinen Ohren nicht zu trauen - und Raven offenbar ebenso wenig, denn sie nutzt die Gelegenheit, um mit einem ganzen Rattenschwanz von Fragen das Thema zu wechseln: >Fragen? Ja, Tausende. Wie fühlst du dich? Brauchst du irgendetwas? Können wir irgendetwas für dich tun? Willst du etwas trinken? Oder essen? Willst du dich hinlegen? Ein Bad? Noch mehr Kissen? Pepperoni? Ist dir kalt? Ist dir warm? Magst du von Bethels Rosinenkuchen versuchen? Der ist so gut und du kannst ihn ja in Milch einweichen.< Caewlin tritt an den Tisch, legt ihr die dick eingebundene Hand auf die Schulter und Raven streicht mit nicht weniger großzügig verpflasterten Fingern über seine. Niniane dagegen blinzelt in ihre Gesichter, als hätte man sie etwas vollkommen unlogisches gefragt, wendet sich verwirrt an Cron und Caewlin meint für den Bruchteil eines Herzschlags in ihren Augen so etwas wie Panik aufflackern zu sehen. Sie will nicht über sich reden... noch über irgendetwas sonst, das auf dem Knochenacker oder in dieser Gruft geschehen ist. Und sie war heilfroh, mit Ravens Schwangerschaft ein unverfängliches Thema gefunden zu haben, deshalb hat sie sich auch so darauf gestürzt...
>Nein, danke. Mir geht's gut. Wirklich. Ich will... ich will nur einen Moment hier sitzen und ausruhen. Wo ist... Wo sind die Kinder? Wir wollten nur die Pferde und Shaerela abholen und dann nach Hause. Macht euch wegen mir keine Umstände bitte.
"Gut?!" Echot er. "Niniane, du wärst fast gestorben. Du siehst schrecklich aus und du sitzt hier wie ein Häufchen Elend, also erzähl uns nicht, dass dir nichts fehlt. Nein, schon gut, sieh mich nicht so an - du musst nicht über das reden, was passiert ist, wenn du nicht willst oder nicht kannst. Aber wenn du's dir irgendwann anders überlegst, weißt du, wo du uns findest, aye?" Er nickt und legt den Kopf leicht schräg. "Brynden und Shaerela sind irgendwo oben bei Runa." Ohne den Blick von Niniane zu nehmen, wendet Caewlin sich an seine Oberste Magd. "Dalla, geh und hol die Kinder her." Die Mogbar watschelt hinaus und er mustert die Halbelbin. "Ich nehme nicht an, dass du reiten kannst, also bringt Rykar euch mit dem Wagen nach Hause. Und du machst keine Umstände."  

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Cron am 13. Nov. 2005, 10:40 Uhr
Bei aller Freude über den Nachwuchs, den Raven und Caewlin im Frühjahr erwarten dürfen, die Situation in der heimeligen Küche des Seehauses hat etwas so surreales an sich, dass Cron einen langen Moment nicht weiß, ob er lachen oder schreien soll. Er war dagegen gewesen, dass sie TianAnmen und die Obhut der Weißen Dame jetzt schon verlässt, aber er hatte sich gefügt - und seitdem sie von der Heilerin aufgebrochen sind, ist sein Magen ein einziger verschlungener Knoten aus eisigen Fäden. Niniane wirkt so zerbrechlich, als sei sie aus Rauchglas, als würde die kleinste, unachtsame Berührung sie in tausend Scherben zerspringen lassen, ihre so mühsam mit Magie geschlossenen Wunden können jederzeit wieder aufbrechen und allein die Anstrengung, die Schmerzen auszuhalten, ohne zu schreien, lässt einen dünnen Schweißfilm auf ihrer Stirn glänzen, aber sie hält sich eisern aufrecht - und sie sitzt hier und beginnt, mit Raven über Schwangerschaften und Babies zu schwadronieren. Und als die junge Frau sie mit der Nase darauf stösst, dass jetzt wirklich ganz andere Fragen Vorrang haben, etwa die, wie sie sich fühle oder ob sie etwas brauche, wird sie sprachlos. Damit hat sie nicht gerechnet, das kann er sehen und nun weiß sie nicht, was sie sagen soll. Er schnaubt in Caewlins Rücken, laut genug, dass sie ihn hört, aber sie sieht ihn erst dann leicht hifllos an, als sich alle Augenpaare in der Küche auf sie richten und alle Mienen sich ihr besorgt und mitfühlend zuwenden - so als hätte Raven stellvertretend für sie alle gesprochen. Hat sie auch. Einen Moment lang findet Ninianes Blick seinen, aber der Ausdruck auf seinem Gesicht, irgendwo zwischen Bestürzung und widerstrebender Belustigung, bringt sie kein Stück weiter und in ihrer pötzlichen Verlegenheit windet sie sich um eine Antwort wie ein aufgestörter Aal - und tut dann alles ab, als wäre es völlig belanglos. >Nein, danke. Mir geht's gut. Wirklich. Ich will... ich will nur einen Moment hier sitzen und ausruhen. Wo ist... Wo sind die Kinder? Wir wollten nur die Pferde und Shaerela abholen und dann nach Hause. Macht euch wegen mir keine Umstände bitte.< Götter im Himmel, Nan, hör endlich auf, die Heldin zu spielen! Noch bevor er irgendetwas sagen oder tun kann, nimmt Caewlin ihm halb die Worte aus dem Mund und als er endet und seine Magd hinausschickt, um die Kinder herzubringen, leert Cron den Cofeabecher, den ihm Bethel mitleidig in die Hände gedrückt hatte, und tritt zu Niniane. "Lass es gut sein, Caew. Sie ist sturer als jedes Maultier, du kennst sie doch. Danke für alles, aber ich bringe sie jetzt nach Hause. Rykar holt die Pferde, ich habe ihn schon zum Stall geschickt, bevor wir hereinkamen, und sobald Dalla die Kleine gebracht hat, brechen wir auf."

Es dauert nicht lange, bis die dralle kleine Mogbarsfrau mit den beiden Kindern zurückkommt und sie können zumindest Shaerela schon lange hören, bevor sich die Tür von der Halle in die Küche öffnet, und nacheinander erst Brynden und dann Dalla und die Kleine ausspuckt. Die Mogbar sieht reichlich zerzaust aus, hat ihre Haube verloren und hält Shaerela fest im Arm, die gerade versucht, ihren Oberkörper zu erklimmen, sich sich mit beiden Händen in ihre dichten, schwarzen Locken klammert und ungeduldig daran herumzerrt. Bei jedem energischen Ruck, kneift die arme Dalla fest die Augen zusammen. "Mamamamamama..." Shaerelas monotones Jammern verrät, dass sie schon eine ganze Weile nur noch dieses Wort von sich gibt - offenbar hatte ihr irgendjemand erst überschwenglich erzählt, ihre Mutter wäre hier und sie dann, in Anbetracht von Ninianes Anblick, lieber doch noch ein wenig hingehalten. Cron hört Niniane laut einatmen und nimmt der Magd seine Tochter ab, bevor sie ihre Mutter wirklich zu Gesicht bekommt. "Lass das, junge Dame," er löst Shaerelas kleine Finger nacheinander aus dem Lochengewirr von Dallas Haarknoten, die sich in ziemlicher Auflösung befinden. "An den Haaren wird niemand gezogen, klar?" Shaerela streckt ihm ihre Ärmchen entgegen, wechselt von Dalla zu ihm und klammert sich wie ein Äffchen an seinem Hals fest. "Papa, will Mama!" Ihre weiche Haut und ihre seidigen Locken riechen nach Ringelblumen und Mandeln, offenbar ist sie frisch gebadet. "Mamamamamamama...!" Ihre Fäuste graben sich prompt in sein Haar, aber seinetwegen kann sie daran zerren so lange sie will, wenn ihr der Sinn danach steht. Cron drückt sie einen Moment lang fest an sich, spürt ihre zarten und doch festen Knochen unter seinen großen Händen, ihre vertrauensvoll um ihn geschlungenen Ärmchen und ist einfach nur froh, sie wieder bei sich zu haben und sie berühren zu können. "Autsch! Shaerela, lass mein Haar los, ja?" "Mama! Papa, will Mama. Will Mama!" "Schschsch, min lilla. Mama ist hier. Hörst du mich? Sie ist hier. Aber es geht ihr nicht gut, sie ist schwer verletzt, hörst du? Nicht erschrecken... Mama sieht... furchtbar aus." Während er seiner Tochter mechanisch beruhigend den Rücken tätschelt, dreht er sich um und gibt ihr damit den Blick auf Niniane frei, die immer noch am Tisch sitzt und im flackernden Feuerschein und dem weichen Kerzenlicht aussieht wie eine blutverkrustete  Dämonenhexe. Shaerela gibt ein schockiertes Glucksen von sich, drückt sich an ihn und mustert diese Alptraumerscheinung aus dem Schutz seiner Halsbeuge heraus mit wachsender Verzweiflung - es fehlt nicht viel und sie hätte entsetzt losgekreischt. Brynden, der nach Dalla hereintrippelt, immerhin schon fast drei und ein ohnehin absolut unerschütterliches Kind, kennt keine solchen Bedenken. Er mustert Niniane genau, krabbelt neben sie auf eine der langen Bänke am Tisch und betrachtet ihr geschundenes Gesicht dann mit morbider Faszination, während seine Finger hier und da an Verbänden zupfen oder über einen blutigen Striemen streichen.

Als sie sich bewegt und ihm zuwendet, seine kleine Hand in ihre nimmt, denn lächeln kann sie nicht, und "Hallo Brynden" sagt, zuckt er erst erschrocken zusammen, aber dann kichert er. Sein nachfolgendes "Ooh!" Klingt ganz und gar hingerissen. "Au-weh," konstantiert er dann. "Tante Nan, du hast dich gehauen!" Cron tauscht einen belustigten Blick mit Caewlin, der seinen Sprössling wieder einfängt, bevor Brynden sich an eine detailliertere Untersuchung sämtlicher ihrer blauen Flecken machen kann und auch sofort wissen will, ob etwas gebrochen ist, ob die Nase wieder gerade wird, ob es noch blutet, ob es ein großes Aua ist und ob es wieder heil wird. Shaerela ist immer noch mehr als skeptisch, ihr kleiner, rosaner Mund zittert und die Wangen beben, aber auch, wenn sie sich weigert, diese blutige Fremde als ihre Mutter anzuerkennen, nach der sie eben noch so lautstark gejammert hat, sieht sie immerhin nicht mehr so aus, als würde sie gleich in bansheeartiges Gebrüll ausbrechen. Er reicht die Kleine an Raven. "Hier, nimm du sie für einen Moment ja? Nein, min lilla, nicht weinen, wir gehen gleich nach Hause. Ich muss nur deine Mutter hinausbringen. Cariad, fühlst du dich gut genug, um auf den ratternden Wagen zurückzukehren? Dann komm, ich trage dich. Nein, keine Widerrede, Nan. Einmal im Leben wirst du auf mich hören." Er hilft ihr behutsam auf die Füße, hebt sie hoch und trägt sie durch die Spülküche hinaus, während Raven mit Shaerela im Arm vor ihnen hereilt und ihm die Türen öffnet. Draußen umfängt sie neblige Dunkelheit und herbstliche Kühle, aber Caewlins Knecht hat das weiche Heu auf dem Wagen inzwischen mit wärmenden Pelzen bedeckt und zwei Sturmlaternen auf dem Bock spenden flackerndes Licht. Er setzt Niniane auf die Ladefläche, packt sie fest in graues Wolfsfell und hilft Rykar dann, die Pferde an den Wagen zu binden, die der Knecht eben vom Stall herunter bringt. "Fahren wir am Strand entlang, in der Stadt ist auf dem Marktplatz kein Durchkommen und das Nordtor ist immer noch gesperrt... außerdem ist es sowieso kürzer." Der hagere alte Mann nickt nur und klettert dann auf den Kutschbock, während Caewlin und Raven sich von Niniane verabschieden, die beide aus ihrem Nest weichen Pelzes und duftenden Heus heraus anblinzelt. Pyp taucht von irgendwo her auf und flitzt davon, um das Tor zu öffnen und hinter ihnen wieder zu schließen, und Cron nimmt seine Tochter wieder an sich. Er umarmt Raven zum Abschied für einen Moment, nickt Caewlin zu und setzt sich dann zu seiner Frau auf den Wagen. "Wir sehen uns, sobald wir uns alle ein wenig erholt haben, aye? Lasst euch in den nächsten Tagen im Baum blicken und besucht uns, dann können wir über alles reden... und bringt den Kleinen mit." Er setzt Shaerela auf seinen Schoß und hüllt die Kleine zum Schutz gegen die Kälte in einen weichen Pelz, während Dalla noch herbeiflitzt und ihr ein Stück Rosinenkuchen zusteckt, dann ruckt der Wagen an, wendet mit knirschenden Rädern und rattert dann in den Nebel davon. Cron winkt der kleinen Gruppe, die im goldenen Schein einer Laterne vor der Mauer des Küchengartens steht und ihnen nachblickt, bis sie in der Dunkelheit verschwunden sind - ein sehr großer Mann, eine zierliche Frau, ein kleiner Junge, dessen helles Haar gespenstisch leuchtet, eine dicke Köchin und eine kleine Mogbar.

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Raven am 17. Nov. 2005, 19:52 Uhr
Niniane und Cron halten sich tatsächlich nicht lange bei ihnen in der Küche auf und machen sich bald wieder auf den Heimweg. Der Tronjer schaut dabei so ungeduldig drein, dass es Raven nicht wundern würde, wenn er sich Niniane einfach über die Schulter werfen würde, um dieses eigensinnige Frauenzimmer endlich nach Hause zu verfrachten, und in seiner umwölkten Miene steht deutlich Sorge zu lesen. Bestimmt hätte er sie am liebsten in TianShis Obhut gelassen, mutmaßt Raven im Stillen. Dort wäre sie gut aufgehoben, sie hätte eine Heilerin in der Nähe und Mägde, die sich um alles kümmern. Stattdessen spaziert sie durch die Gegend, als hätte es überhaupt keinen Dämon gegeben, der sie halbtot geprügelt hat, und behauptet auch noch, es gehe ihr gut. Um zu merken, dass dem ganz und gar nicht so ist, muss sie beileibe keine seherischen Gaben besitzen. Ninianes Gesicht ist so verschwollen, dass allein das Anschauen schon weh tut, und es ist ein Wunder, dass sie nicht einfach völlig entkräftet vom Stuhl kippt. Zumindest sieht sie aus, als wäre sie nahe dran, genau das gleich zu tun. Cron lässt sie keinen Lidschlag lang aus den Augen und ihm ist anzusehen, dass er im Moment nichts lieber tun würde, als sich Frau und Kind unter den Arm zu klemmen, schnurstracks in den Baum am Smaragdstrand zurückzukehren, zu essen, zu baden, sich mit Heilsalbe einzubalsamieren und dann wie tot ins Bett zu fallen, um einen Siebentag lang einfach nur zu schlafen. Genau das, was ich jetzt auch gern machen würde. Allerdings in meinem eigenen Bett und mit meinem eigenen Mann. Als Dalla dann mit Brynden an der Hand und der quengeligen Shaerela auf dem Arm in die Küche kommt, verschlägt es der kleinen Halbelbin bei Ninianes Anblick prompt auch sogleich die Sprache und sie mustert mit zitterndem Kinn und schockiertem Gesichtsausdruck das blutverkrustete Wesen, das angeblich ihre Mutter sein soll. Brynden dagegen nimmt es mit stoischer Gelassenheit und konstatiert mit Kennerblick sofort eine Schlägerei, in die Niniane verwickelt gewesen sein muss - womit er nicht einmal Unrecht hat. Er lässt es sich auch nicht nehmen, in einer Mischung aus Neugier und Mitgefühl an ihr herumzutatschen und die Verbände und blauen Flecken einer genauen Inspektion zu unterziehen. Im Gegensatz dazu kostet es jedoch eine Menge Überredungskunst und viele besänftigende Worte, bis der entsetzte "Wer bist du und was hast du mit meiner Mama gemacht"-Blick aus Shaerelas Gesichtchen verschwindet und sie sich dann, schutzsuchend an Cron geklammert, nach draußen bringen lässt, wo Rykar mit dem Fuhrwerk wartet. Sie verabschieden sich und versichern, bald zu einem Besuch in den Baum zu kommen, doch vorerst steht ihnen der Sinn nach ganz anderen Dingen und es sollen noch einige Siebentage vergehen, bis sich das Vorhaben auch in die Tat umsetzen lässt.

Nach dem Angriff des Dämonen auf die Stadt dauert es eine ganze Weile, bis wieder so etwas wie Alltag in das Seehaus einkehrt, und die ersten Tage sind sie vollauf damit beschäftigt, ihre Blessuren auszukurieren und sich auszuschlafen. Dank reichlichen Mengen Zaubernussalbe, Bethels guter Küche und Dallas unerschütterlicher Fürsorge - sowie ihren unvermeidlichen medizinischen Ratschlägen und der obligatorischen Endlosaufzählung diverser ähnlicher Verletzungen in ihrer zahlreichen und über die ganzen Herzlande verstreuten Verwandtschaft - erholen sie sich auch in kurzer Zeit wieder und die blauvioletten Blutergüsse und Prellungen verblassen allmählich zu schillerndem Grün und Gelb, bevor sie schließlich ganz verschwinden. Auch Caewlins geschundene, brandblasenübersäte Hand und Ravens wunde Finger sind bald wieder heil und einigermaßen brauchbar, auch wenn sie geraume Zeit noch so aussehen, als hätten sie ein unfreiwilliges Säurebad genossen. Dalla flattert dabei ständig um sie herum wie eine aufgeregte Henne um ihre Küken und strapaziert dabei Caewlins und Ravens Nerven manchmal bis zum Zerreißen, aber der kleinen Mogbarmagd ist es auch zu verdanken, dass die Wunden vielleicht etwas schneller heilen als gewöhnlich. Es genügt ihr nicht, sie dreimal täglich mit Zaubernusssalbe und frischen Verbänden zu traktieren, sondern sie schwatzt ihnen auch noch eine Kräutertinktur zum Bepinseln der Wunden auf, die, wie sie stolz verkündet, nach einem alten Mogbarfamilienrezept gebraut wird, das sich bis zu ihrem Urururgroßvater zurückverfolgen lässt - oder vielleicht sogar noch ein paar Ur's mehr, so sicher ist sich Dalla da nicht ganz. Die trübe, scharf riechende Flüssigkeit sei zwar eigentlich mehr zur inneren Anwendung gedacht, werden sie von ihr aufgeklärt - wobei Raven davon überzeugt ist, dass zwei Schlucke dieses Gesöffs ausreichen, einen in die Knie gehen zu lassen und Halluzinationen hervorzurufen -, aber man könne damit auch Kupfergeschirr polieren, es zum Feuerentfachen benutzen und außerdem fast alle Wehwehchen damit behandeln, von Bandwürmern über Hühneraugen bis hin zu schwarzen Furunkeln. Und auch wenn das Zeug auf ihren geschundenen Handflächen brennt wie reines Höllenfeuer, es wirkt tatsächlich, und binnen weniger Tage sind die Verletzungen nahezu verheilt. Nur für Caewlins gequetschte Rippen findet sich kein Zaubermittel und er kann nur abwarten, bis die Natur selbst die Knochen heilt und er nicht mehr jede unbedachte Bewegung mit schmerzerfüllten Zischlauten quittieren muss.

Ein paar Tage lang gönnen sie sich den Luxus purer Faulheit, lassen sich ein wenig hätscheln und ruhen sich einfach nur aus, wohl wissend, dass bald jede Menge Arbeit mit der Ernte und dem Anlegen der Vorräte für den kommenden Winter ansteht. Dank Dalla und Bethel sind sie über das Stadtgeschehen dennoch immer auf dem Laufenden und bestens informiert. Es vergeht kein Tag, an dem nicht mindestens eine von beiden Mägden zum Markt, zum Schuster, Kesselflicker, Scherenschleifer oder sonst wohin in der Stadt unterwegs sind, und jedes Mal nach ihrer Rückkehr bekommen sie brühwarm die neuesten Nachrichten aufgetischt - mitsamt empörtem Gezeter darüber, dass der Marktplatz noch gesperrt ist und sie den ganzen weiten Weg hinunter bis zum Platz der Händler zurücklegen müssen, nur um fehlende Nahrungsmittel einzukaufen. Von wegen fehlende Nahrungsmittel .... um die allerneuesten Gerüchte zu erfahren, würden sie noch viel weiter laufen, als nur bis zum Platz der Händler.... So erfahren sie, dass die Aufräumarbeiten in der Stadt schon begonnen haben, kaum dass die lodernden Brände gelöscht waren, dass ganze Heerscharen von Blaumänteln die Straßen von Asche, Schutt und verkohlten Balken freiräumen und die Leichen der leider viel zu zahlreichen Opfer des Dämons bestattet wurden, dass der Marktplatz ein einziges Kraterfeld und die Goldene Harfe zwar nach wie vor geschlossen, Borgil aber wieder halbwegs wohlauf sei, und dass auch Galrin Ragnarsson von seiner Expedition ins eisige Gronaland wieder zurückgekehrt ist. Seine Frau kam dabei allerdings ums Leben, weiß Bethel hinter vorgehaltener Hand zu berichten und ergeht sich in rührseligen Mitleidstiraden über den armen, armen Schiffsbauer und die kaum ein paar Monde alten Zwillinge, die nun im wahrsten Sinn des Wortes mutterseelenallein auf der Welt sind. Bei der Erwähnung Ragnarssons ziehen sich Ravens Brauen düster auf der Stirn zusammen, denn es erinnert sie eindringlich an den Tag, an dem sie ihm im Baum der Waldläuferin begegnet sind und vor allem an Caewlins Pläne, mit dem Windschiff nach Normand zu segeln, um mit den dreimal verfluchten Flusslords ein gewaltiges Hühnchen zu rupfen. Vorerst schiebt sie die unheilschwangeren Gedanken daran jedoch beiseite, und der Erntemond bringt so viel Arbeit mit sich, dass sie ganz froh ist, sich damit ablenken zu können.

Sie leeren die Obstbäume im Garten und schaffen kistenweise Äpfel, Birnen und Zwetschgen ins Haus, um sie einzulagern, zu dörren, einzukochen, zu Mus zu verarbeiten und durch die große Obstpresse zu jagen, die im Keller steht, um Most anzusetzen. Dazu kommen noch alle möglichen Gemüsesorten, von denen Raven von einigen noch nicht einmal die Namen kennt, und sie sind tagelang nur am schnippeln, schaben, stifteln und putzen, bis ihnen die Finger glühen und die Speisekammern schier überquellen von der Menge der angelegten Vorräte. An den wenigen sonnigen Tagen, die der durch und durch verregnete Erntemond mit sich bringt, packt Raven Brynden vor sich in den Sattel des Braunen und nimmt ihn mit ins Larisgrün, wo sie Beeren und Pilze sammeln, von denen es in diesem Jahrestanz wirklich reichlich gibt. Zudem fischen sie aus den kalten, klaren Wasserläufen eine ordentliche Anzahl Bachforellen, die sie für den Winter räuchern können, und auch einige Wildenten, Moorhühner und Fasane fallen ihrem Bogen zum Opfer, so dass sie nie mit leeren Satteltaschen nach Hause zurückkehren und Raven wenigstens ein bisschen das Gefühl hat, auch etwas für die Versorgung ihrer Familie beizutragen. Mittlerweile ist sie im Seehaus auch heimisch geworden, hat noch die letzten verborgenen Orte auf dem Grundstück inspiziert, so dass sie inzwischen jeden Winkel kennt und sich auch nicht mehr bei jeder sich bietenden Gelegenheit verirrt. Besonders angetan haben es ihr die Stallungen, Rykars und Pyps Reich, ein dämmerlichterfülltes, anheimelndes Refugium, angefüllt mit leisem Schnauben, Strohgeraschel und dem köstlichem Duft nach frischem Heu, Lederzeug und großen, warmen Pferdeleibern. Brynden hat sie inzwischen auch mit dem seehauseigenen, reichhaltigen Sortiment an Hühnern, Enten, Gänsen, gluckernden Truthähnen, Kaninchen, Ziegen und herumstreunenden Katzen bekannt gemacht, von denen er jedes einzelne Tier mit Vor- und Zunamen zu kennen und sie auch nie miteinander zu verwechseln scheint. Wie er nahezu gleich aussehende Gänse absolut treffsicher voneinander unterscheiden kann, wird mir ewig ein Rätsel bleiben.... Brynden gilt in diesen Siebentagen auch besonderes Augenmerk, denn sämtliche Bewohner des Seehauses versuchen dieser Tage alles Menschen- und Mogbarmögliche, ihm die Windel ab- und das Töpfchen anzugewöhnen, was zur Folge hat, dass er den halben Tag auf seinem Nachttopf verbringt, dabei so würdevoll aussieht wie König Teja auf seinem Thron, und tiefschürfende Unterhaltungen mit seinem zerfledderten Stoffhäschen führt, das bei diesen wichtigen Sitzungen natürlich nie fehlen darf. Sind sie von Erfolg gekrönt, dreht er jedes Mal mit stolzgeschwellter Brust und dem gefüllten Topf in der Hand eine Ehrenrunde durchs Haus und lässt jeden, der sich nicht schnell genug außer Reichweite bringen kann, seine Häufchen bewundern.

Dass er aller Voraussicht nach im Frühjahr einen Bruder oder eine Schwester bekommen wird, weiß er noch gar nicht, und bislang war auch noch keine Veranlassung, es ihm zu erzählen, denn Raven ist davon noch immer kaum etwas anzumerken. Die kleine Wölbung, hinter der lautlos und in aller Stille ein winziger Mensch heranwächst, ist noch ziemlich unscheinbar, und würde sie nicht allmorgendlich hektisch würgend zum Abtritt galoppieren oder sich vor dem Spiegel stehend entgeistert fragen müssen, wem bei allen Neun Höllen diese Brüste gehören, die unmöglich ihre eigene sein können, hätte sie wahrscheinlich einfach vergessen, dass sie schwanger ist. Bis auf die Oberweite hat sie auch kaum zugenommen. Wie auch? Alles, was ich esse, kommt schneller wieder zum Vorschein, als mir lieb ist. Eher das Gegenteil ist der Fall, was Bethel und Dalla zu sorgenvollen Mienen, konspirativem Flüstern und dazu veranlasst, ihr ständig wohlwollend und mit wissenden Blicken irgendwelche besonders leckeren Häppchen zuzustecken. Sie wollen mich mästen .... im Frühjahr werde ich kein Kind gebären, sondern einen Rosinenkuchen .... Drei, vier Siebentage lang kauert sie allmorgendlich vor dem Abtritt, starrt stumpfsinnig in dessen Tiefen und fragt sich, wie lange dieser Alptraum noch anhalten wird, doch dann, irgendwann zum Ende des Erntemonds oder zu Anfang des Blätterfalls, ist schlagartig und ohne Vorwarnung auf einmal wieder Ruhe in ihrem Magen eingekehrt und auch die seltsamen Geschmacksverirrungen und Fressanfälle, die sie ab und zu aus heiterem Himmel heimsuchen, legen sich allmählich wieder. Dass die beiden Mägde dennoch ständig wie zwei übereifrige Glucken um sie herumschleichen und sie am liebsten in Watte packen würden, kann sie dagegen gar nicht verstehen, und sie hat auch nicht vor, sich in irgendeiner Weise zu schonen oder sich anders zu benehmen als bisher, zudem sie ja von dem Kind bis jetzt noch nicht einmal wirklich etwas gemerkt hat. So winkt sie jedes Mal mit der Versicherung, ihr gehe es prächtig, nur ab und lässt sich auch nicht daran hindern, bei den Arbeiten in und ums Haus mit anzupacken, wo es eben geht.

Zusammen mit den Mägden räumt sie, wie sie es Dalla versprochen hatte, den Speicher aus und schafft den ganzen alten Plunder, den wirklich niemand mehr gebrauchen kann, vor den Stall, wo Caewlin mit Hilfe der Knechte alles zu Kleinholz verarbeitet; sie rechen das Laub zusammen, schneiden die Hecken und stutzen die wuchernden Giftsummachranken an der Seemauer, was einen plärrenden, über und über mit roten, juckenden Pusteln übersäten Brynden drei Tage lang außer Gefecht setzt und sie alle nahezu an den Rand eines kollektiven Nervenzusammenbruchs bringt. Bethel weiht Raven zudem in ihre Küchengeheimnisse ein und zeigt ihr, wie man Sauerteigbrot bäckt. Die ersten eigenen Versuchsbrote, die Raven aus dem Backrohr holt, sind zwar so hart, dass man einem Normander damit den Schädel einschlagen könnte, aber nach einigen Probedurchgängen sind die Laibe durchaus genießbar. Zum Anfang des Blätterfalls nehmen sie dann ernsthaft den Einbau eines Badezimmers in Angriff und reden sich tagelang die Köpfe darüber heiß, wo es hinkommen und wie es aussehen soll, was es kosten wird und vor allem, wo man in einer Stadt, in der seit einigen Siebentagen der Wiederaufbau der zerstörten Häuser in vollem Gange ist und praktisch zu jeder Tages- und Nachtzeit gehämmert, geklopft und gesägt wird, überhaupt einen Handwerker oder Baumeister auftreiben kann, der diese ganzen Arbeiten erledigt - alle scheinen momentan in Aufträgen zu ersticken und sich vor Arbeit kaum retten zu können. Dror Silberbart, der wohl bekannteste Baumeister Talyras - und der einzige, den Raven wenigstens flüchtig kennt - hält sich zur Zeit gar nicht in der Stadt auf, wie sie in Erfahrung bringen. Aber schließlich treiben sie im Handwerkerviertel doch noch einen auf, der Zeit erübrigen kann und mit dem sie schnell handelseinig werden. Threndur Hammerhand nennt er sich und ist ein waschechter Vertreter der berühmten Baumeisterzunft in Mazandar - und er ist sogar für einen Zwergen, die ohnehin meist breiter als hoch sind, mehr als stattlich gebaut, um nicht zu sagen gewaltig. Als er dem Seehaus kurze Zeit später einen ersten Besuch abstattet, um den Ort seines künftigen Wirkens zu inspizieren, mustert Dalla seine Körpermassen mit so unverhohlenem Misstrauen, als erwarte sie, dass er bei jedem Schritt einen Krater in ihrem sorgfältig gewienerten Fußboden hinterlassen könnte. Mit einem Zollstock und haufenweise Pergamenten bewaffnet und einer Miene angestrengter, stirnrunzelnder Konzentration im Gesicht schreitet Hammerhand durch die Zimmer, klopft hier und da an die Wände und rechnet mit wichtigtuerischer Miene halblaut irgendwelche Zahlen zusammen. Dann verkündet er, dass er mit seinen Gehilfen in den nächsten Tagen anrücken werde und ist gleich darauf auch schon wieder verschwunden.

Vielleicht hätten sie ihn sicherheitshalber fragen sollen, was genau sie sich unter "Gehilfen" vorzustellen haben, denn mit allem hätten sie gerechnet, nur nicht mit der ganzen Hundertschaft Kobolde, die einige Tage später in seinem Kielwasser über das ahnungslose Seehaus herfällt wie ein Heuschreckenschwarm über ein reifes Weizenfeld. Als Dalla ihnen die Tür öffnet, wird sie angesichts dieser Invasion schlagartig kreidebleich im Gesicht und hat Mühe, ihre heruntergeklappte Kinnlade wieder unter Kontrolle zu bringen, doch dann besinnt sie sich auf ihre guten Manieren und ihre Pflichten und lotst Hammerhand mitsamt den umherwuselnden Kobolden ins Haus. Es sind so viele, dass sie sich beim Zählen verhaspelt und sie sich, mit wackligen Knien und einer Ohnmacht nahe, auf die Küchenbank fallen lassen muss. "Kobolde!" haucht sie ungläubig, in genau jenem Tonfall, in dem sie auch "Kakerlaken!" sagen würde, und ihre Stimme nimmt einen verdächtig hysterischen Unterton an. Die Augen der Köchin dagegen leuchten angesichts der Menge zu fütternder Mäuler frohlockend auf. Raven, die wie angewurzelt in der Halle steht und dem Vorbeimarsch der Koboldhorde Richtung Norderker nur mit verblüfft aufgerissenen Augen folgen kann, wirft Caewlin einen rat- und hilflosen Blick zu, aber sein Achselzucken und die darauffolgende Geste signalisieren ihr, dass auch er keine Ahnung von diesen Helfern hatte. Sogar die Hunde, die sich neben dem Kamin in der Halle auf ihrem Lieblingsplätzchen niedergelassen haben, sind völlig verdattert. Stelzes zottiger Schädel dreht sich so schnell hin und her, dass man glauben könnte, er hätte ein Schraubgewinde im Hals, doch als er die Kobolde in seiner absoluten Verwirrung anwufft, marschieren sie so gleichgültig an ihm vorbei, als sei er ausgestopft - was ihn noch viel mehr in Verwirrung stürzt. Raven kann sich trotz allem ein Grinsen nicht verkneifen. "Hoffentlich überlebt die arme Dalla das", kichert sie. "Und ich hoffe, sie bauen da wirklich ein Badezimmer ein und keine Koboldstadt."

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Caewlin am 23. Nov. 2005, 23:09 Uhr
Der Herbst hält Einzug in den Herzlanden, während sie genesen und die Stadt langsam in ihren alten Rhythmus aus geschäftigem Treiben, dem Pulsschlag von Handel und Wandel, und dem steten Fluß des Alltagslebens zurückfindet. Kein Morgen im Seehaus vergeht, an dem Raven und Caewlin nicht von Dalla und Bethel mit den wichtigsten Neuigkeiten, dem täglichen Stadtklatsch oder den die Runde machenden Gerüchten versorgt werden. Auch bei ihnen hält zum ersten Mal seit sie von Ninianes Baum hergezogen sind, so etwas wie Alltag Einzug... jedenfalls sobald Raven und er selbst ihre Finger wieder gebrauchen können, und Caewlin ist mehr als dankbar dafür. Von haarsträubenden Abenteuern, Kämpfen, tödlichen Gefahren und dramatischen Ereignissen hatte er für seinen Teil in der letzten Zeit auch mehr als genug. Dalla und Bethel, vor allem aber Runa, doch eigentlich das gesamte Gesinde, hat längst einen Narren an Raven gefressen, aber wenn die Mägde insgeheim erwartet hatten, dass von ihr in Haus und Hof - bei ihrer Vergangenheit... Ehemalige Diebin, hat mit dem fortgewanderten Druiden im Wald gelebt - auf einem Baum! Bogenschnitzerin... Bogenschützin, herrje! -, wohl nicht viel zu erwarten sei, dann haben sie sich gründlich getäuscht. Ein altes Sprichwort sagt, dass wer ein Gut führen will, auf einem Gut groß geworden sein muss - und bei aller Sympathie für ihre neuen Herrin, ihr selbstverständliches Zupacken und Mithelfen hat wirklich niemand des Gesindes von ihr erwartet. Aber manche Menschen finden sich zurecht, wohin sie kommen und lernen in wenigen Monden das, was andere in vielen Jahren nicht lernen - und Raven war es in ihrem bisherigen, oft entbehrungsreichen Leben in den Schatten, auf der Straße, dem Untergrund der Diebesgilden oder später im Wald bestimmt nicht gewohnt, müßig zu gehen. Sie belagert Dalla im Garten, Bethel in der Küche, Runa beim Kleinvieh im Stall, sogar Rykar bei der schweren Gartenarbeit. Sie fasst überall mit an, lernt Brot zu backen, Most anzusetzen und Kraut in Fässer zu stampfen, Gemüse einzukochen und Birnen zu Dörren - allerdings weigert sie sich standhaft, zu singen, solange sie auf allen Vieren und bis zum Hintern im noch warmen Dörrofen steckt, um die honigsüßen, getrockneten Früchte einzusammeln, so wie es Pyp tun muss, damit man sicher sein kann, dass er nicht zuviel davon nascht. Der große Herd in der Küche und der gemauerte Back- und Dörrofen oben am Schlachthaus glühen wochenlang ununterbrochen, aber wann immer es das Wetter erlaubt, schnappt Raven sich ihren Bogen, einen Köcher voll Pfeile oder eine Angelschnur und Brynden, und reitet auf ihrem Braunen ins Larisgrün.

Stets bringt sie von ihren Ausflügen Beute mit: Pilze, Beeren, Wildkräuter, Nüsse, Weißmoos, Bachforellen, die fast alle in die Räucherkammer wandern, Hasen oder Wildgeflügel. Wann immer es Caewlin die anstehenden Arbeiten und die Vorbereitungen auf den Winter erlauben, begleitet er sie, doch wenn er das nicht kann, gibt er ihr Akira mit, und in diesem einen Punkt lässt er auch nicht mit sich reden. Er kann sich hundertmal sagen, dass das Larisgrün Ninianes Wald ist, - Und was soll ihr dort schon geschehen? -, aber seine Sorge um Raven, wenn er sie allein weiß, bleibt - keine wirkliche Angst, sondern jene leise, vage Unruhe, die man die meiste Zeit erfolgreich verdrängen kann, die einen aber untrüglich und von einem Herzschlag auf den anderen mit aller Macht einzuholen vermag. Er sagt sich pausenlos, dass sie nicht allein ist und nicht wehrlos, und dass sie schließlich nicht tausendschrittweit fort reitet, trotzdem gefällt es ihm ganz und gar nicht. Sicher, sie hat den Wolfshund, und Stelze ist ein guter Hund. Er ist groß und kräftig genug, um respekteinflößend zu sein, gut abgerichtet und er würde sie und Brynden auch verteidigen, daran zweifelt Caewlin nicht im Geringsten, aber Stelze ist nicht mehr der Jüngste und er ist kein Kampfhund, das war er nie - Akira schon. Er will Raven bestimmt nicht an... wie sagt man hier im Süden noch?... an Heim und Herd fesseln, noch will er ihr verbieten, jagen zu gehen, also lässt er sie gewähren, schluckt seine unbestimmten Ängste ungesagt hinunter und sorgt dafür, dass sie die Bluthündin bei sich hat, wann immer sie das Anwesen verlässt... und wenn tausendmal kein Feind in Sicht, geschweige denn einer in der Nähe ist - wenn er von etwas genug auf Rohas weitem Rund hat, dann sind das Feinde. Cal wurde innerhalb der götterverdammten Stadtmauern erschlagen, weil sie meine Frau war, aus keinem anderen Grund. "Du bist meine Frau, du trägst mein Kind. Brynden ist mein Sohn. Reite soviel aus, wie du willst, min koerlighed, geh jagen, soviel du willst, es ist dein gutes Recht. Aber es ist meine Aufgabe, für deine Sicherheit zu sorgen und ich werde nicht riskieren, dich zu verlieren, Raven." Gegen Ende des nebligtrüben Erntemonds mit seinen zahllosen Regentagen klart das Wetter endlich auf - die Luft wird so klar wie Glas und die Sonne bekommt jenen weichen, sattgoldenen Schimmer, wie ihn nur Herbsttage zu bringen vermögen. Der Giftsumach, der die Mauer des Anwesens fast überall bewuchert, wird rot wie Feuer und die hohen Kastanien mit ihren gelben und braunen Blättern wölben Säulengänge und Hallen aus goldenem Licht über den gepflasterten Weg vom Tor zum Haus.

Waldkätner bringen Feuerholz für den Winter, ein Teil des Kleinviehs, hauptsächlich Enten, Gänse und Truthähne, sowie drei Schweine werden geschlachtet und ihr Fleisch zu Räucherschinken, Wurst, Dörrlfeisch oder Gepökeltem verarbeitet, die Beete des Küchengartens umgestochen und winterfest hergerichtet, die Weidezäune ausgebessert, wo es nötig ist, ein neuer Schweinepferch wird mit Flußsteinen ummauert und andere herbstliche Arbeiten werden nach und nach erledigt. Caewlin hat seine alten Angewohnheiten wieder aufgenommen - er steht mit der Sonne auf, schwimmt jeden Morgen eine Stunde im Ildorel, lacht über Ravens fassunglose Bemerkung, das Wasser sei eiskalt, bewegt nach dem Morgenmahl den Grauen und nimmt die Hunde dabei zumeist mit an den Strand, verbringt den Rest des Vormittages mit Waffenübungen, und geht nach dem Mittagsmahl mit Pyp und Rykar an die anstehende Arbeit, und wenn es das Fortschaufeln allmächtiger Misthaufen in irgendwelchen Ställen ist. Ab und an kreuzen seine täglichen Wege sogar die seiner Frau und wann immer es geht, stehlen sie sich ein wenig Zeit, weit fort von Brynden und dem schnatterndem Gesinde - was meistens damit endet, dass der Heuboden über dem Pferdestall einer sofortigen und ausführlichen Inspektion bedarf. Ravens morgendliche Übelkeit verschwindet gegen Ende des Erntemonds endlich und sie fühlt sich besser, nicht mehr ständig müde oder am Rand einer Übelkeit entlangbalancierend. Ihr Bauch rundet sich langsam, die sachte Wölbung dort ist nun nicht mehr nur zu spüren, sondern auch zu sehen, und Caewlin beobachtet fasziniert die vielen kleinen Veränderungen an ihr: der kaum merklich weichere Gesichtsausdruck, weil Mund und Nase voller wirken, das Schimmern ihrer Haut, das Glühen ihrer Wangen, weil die feine Haut jetzt besser durchblutet wird, der neue Schwung ihrer Hüften, weil ihr Körper sich rundet... jede Nacht  legt er in der Dunkelheit und Wärme ihres Bettes nachdem sie sich geliebt haben sein Ohr an ihren Leib und lauscht in ihr Inneres. Raven wird die erste sein, die die Bewegungen des Babys in sich spürt, aber er ist der erste, der den Herzschlag seines ungeborenen Kindes unter ihrem hört. Als er das leise, klopfende Pochen zum ersten Mal vernimmt, zu Beginn des Blätterfallmonds, hält er den Atem an und wünscht sich nur, den Augenblick mit ihr teilen zu können. "Sein Herz schlägt. Ich kann es hören, genau hier. Poch... poch... poch." Ihre Finger fahren durch sein Haar, und als er den Kopf hebt, begegnet er ihrem Blick. In ihren Augen ist etwas, das ihn anzieht und verschlingt, und sein Inneres gefangenhält, als sehe sie in diesem Moment direkt in seine Seele.

Er liegt in jener Nacht noch lange wach, beobachtet sie, während sie schläft, verloren in Träumen, ihr Gesicht beleuchtet vom letzten Schein sterbender Glut, und kann sich nicht satt sehen an ihr. Sie liegt auf der Seite, eine Hand unter ihrem Kinn und ihr Haar fließt offen wie ein dunkler Umhang über ihre Schultern und den Rücken. Roter Feuerschein lässt einzelne Strähnen zimt- und kastanienrot leuchten, glüht hier und da in kupfernen Funken darin und schmilzt golden auf ihren honigfarbenen Schultern. Er küsst die Narben auf ihrem Rücken, birgt sie in seinem Arm und an der Wärme seines Körpers, lauscht dem süßen, langsamen Klopfen ihres Herzens und findet doch noch lange keinen Schlaf. Am nächsten Morgen dann fällt Hammerhand mit seiner Koboldshorde über das Seehaus her und mit der Ruhe nach den herbstlichen Erntearbeiten ist es vorbei. Caewlin kommt gerade aus dem Südflügel, wo er an den Büchern gesessen hat, als der mazandarer Baumeister samt seinen "Helfern" bei ihnen anrückt, um endlich das Bad einzubauen, das Raven sich schon so lange wünscht. Sie hatten zu tun gehabt, in dieser wiederaufbauwütigen Stadt, in der scheinbar an allen Ecken und Enden von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang nur gehämmert, gesägt und gemauert wird, überhaupt einen Handwerker aufzutreiben, und er war froh gewesen, als der Zwerg den Auftrag übernommen hatte - mit dieser Invasion des Kleinen Volkes allerdings hat Caewlin nicht gerechnet. Kobolde bedeuten ganz sicher Magie und Magie bedeutet ganz sicher ein magisch erbautes Bad (wofür bei allen Neun Höllen das auch immer gut sein soll), und ein magisch erbautes Bad kann nur eines bedeuten: Ärger. Entsprechend finster wird seine Miene, während Raven ratlos und verwirrt dreinblickt, Dalla am Rand überforderter Fassungslosigkeit herumzappelt, und die dicke Köchin spekulativ die zu stopfenden Mäuler zählt - oder es zumindest versucht, doch es sind zu viele. Stelze gibt irgendwann in höchster Verwirrung ein empörtes Bellen von sich,  Akira tut gar nichts - aber sie mustert Hammerhands Helfer mit dem selben Blick, mit dem sie eine vorbeihuschende Rattenhorde ansehen würde, und das löst Caewlin schließlich aus seiner Starre. "Nej, Akira." Er steht noch im Gang zum Südflügel, also steigt er mit einem großen Schritt über die zur Haustür hereindrängenden Scharen kunterbunter Winzlinge hinweg und geht zu seiner Frau und seinem Sohn in die Halle, um die Bluthündin notfalls am Genick packen zu können. "Nej. Jag varna dig." Akira wendet mit einem Schnauben den Kopf, gähnt übertrieben und blinzelt dann gelangweilt. Der einzige, der den Aufmarsch der Kobolde mit Begeisterung beobachtet, ist Brynden.

Er starrt ihnen fasziniert hinterher, während sie durch den Windfang und den Gang in Richtung Nordflügel traben, hopst von einem Bein auf's andere, trippelt ihnen ein Stückchen nach und verkündet dann mit leuchtenden Augen: "Grumekin! Snarka! Småfolket! Papa, einer hat einen Pilzhut auf!"
"Das sehe ich," knurrt er und blickt finster auf seinen hingerissenen Sohn und seine Frau hinunter. "Hast du davon gewusst?" Will er wissen, aber Raven schüttelt nur verwirrt den Kopf, verbeißt sich mühsam ein Kichern und legt ihm dann beruhigend die Hand auf den Arm. Eine Geste, die soviel bedeutet wie: Ich hatte keine Ahnung, und du auch nicht, aber lass es den Zwerg und die Kobolde wenigstens versuchen, ehe du Hammerhand den Schädel einschlägst... "Hmpf!"
>Hoffentlich überlebt die arme Dalla das. Und ich hoffe, sie bauen da wirklich ein Badezimmer ein und keine Koboldstadt.< Sie tun es nicht, obwohl Caewlin mehr als einmal die Befürchtung hegt, sie würden. Dafür entsteht in den nächsten sechs Wochen im hinteren Erkerzimmer des Nordflügels ein Bad und alles, was Raven, Brynden, er selbst oder das Gesinde davon zu sehen bekommen, sind verschlossene Türen und von Innen verhängte Fenster. Allerdings sind ihre ungewöhnlichen Handwerker zu hören - jeden Tag von früh bis spät wird im Norderker gehämmert, geklopft und gelärmt, was das Zeug hält, doch so sehr Caewlin auch die misstrauischen Ohren spitzt, von unheilsschwangeren Zaubersprüchen oder Beschwörungsformeln vernimmt er nicht den leisesten Laut. Nach einem Siebentag Koboldsbelagerung kommt ein Wagen, bestückt mit Kisten und Truhen voller in Stroh eingepackter Fliesen, mit einem gewaltigen Kupferkessel und mit zahllosen Rohren und sonstigem Material, das alles von einem halben Dutzend schwitzender Zwergenhelfer hereingetragen wird, und ebenso ungesehen wie der Rest ihres entstehenden Bades im Norderker oder im Keller darunter verschwindet. Threndur Hammerhand selbst bekommen sie - abgesehen von den Mahlzeiten - nur selten zu Gesicht, und wenn, dann erscheint der zwergische Baumeister mit einer Schürze voller Steinmehl, einem Ledergurt voller Feinmeißel, Kellen, Stemmeisen, Hämmern und Feilen oder Metallsägen, von oben bis unten staubbedeckt und mörtelverschmiert - doch wann immer er irgendetwas wegen seines Auftrages zu bereden hat, bespricht er es mit Raven. Als Caewlin dem Mazandarer zum ersten Mal begegnet war, hatte der Zwerg ihn von oben bis unten gemustert, seine Narbe angestarrt, dann die Augen aufgerissen und verkündet. "Ihr seid der Sturmlord!" - in einem Tonfall, als sei ihm gerade klar geworden, er solle einem Feuerdrachen ein Badehaus in seine Höhle meißeln.

"Allerdings," hatte Caewlin zurückgeschnappt und ihm den Stumpf vor die fleischige Knollennase gehalten. "Wenn Ihr noch Zweifel habt, zählt die Hände. Es ist nur eine. Aber ganz gleich, was ihr sonst über Nordmänner gehört habt, wir waschen uns mehr als einmal im Jahr und Ihr sollt ein Bad in mein Haus einbauen. Könnt Ihr das?" Der Zwerg hatte den Auftrag zwar übernommen (und insgeheim ist Caewlin überzeugt, die Kobolde sind eine etwas seltsame Rache für seine harschen Worte), sich im Verlauf der Arbeiten dann jedoch in allem tunlichst lieber an Raven gewandt. Sie weiß allerdings auch nicht mehr, als irgendjemand sonst im Seehaus, auch wenn sie immerhin die Fliesenmuster zu Gesicht bekommt und die Farben auswählt - über die sie sich jedoch ebenso beharrlich ausschweigt, wie Hammerhand über das ganze dreimal verdammte Bad an sich. Nicht einmal Dalla und Bethel werden von ihr eingeweiht, von ihm selbst ganz zu schweigen - alles, was er zu hören bekommt, ist, es würde bestimmt sehr schön. "Sehr schön, sehr schön," knurrt er. "Hmpf. Ich hätte meine Wanne behalten sollen. Kein Mensch weiß, was dieser Steineklopfer dort hinten veranstaltet..." Raven lässt sich nicht beirren und erweichen schon gar nicht, tätschelt ihm nur tröstend den Arm und meint, er solle sich keine Sorgen machen. Nachdem auch alle Bemühungen Dallas, zu spionieren, fehlschlagen, verlegt sie sich darauf, Hammerhand um den Bart zu gehen (der im Übrigen ziemlich beeindruckend ist) und Bethel bäckt Unmengen winziger Brötchen, Kuchen und Rosinenleibchen, um sich bei seinem Fußvolk einzuschmeicheln. Allerdings hat das nur den Erfolg, dass sie im weiteren Verlauf des Blätterfalls sämtliche Kobolde zu allen Mahlzeiten in der Küche sitzen haben (auf dem Tisch, unter dem Tisch, auf allen Bänken und Stühlen, auf den Schränken, in den Anrichten und überhaupt überall wo ein Fleckchen Platz ist), samt dem Baumeister höchstselbst. Dallas Augenklimpern bringt ihr auch nicht mehr ein - sie bekommt zwar deswegen nun dreimal täglich einen durchaus ernstgemeinten Heiratsantrag von einem einsamen Zwergen, aber keinen Einblick in das Bad. Caewlin, dem die ganze Scharade bei allem Groll doch allmählich Spaß zu machen beginnt, hat längst erkannt, dass eine Hundertschaft Kobolde im Haus zwar ziemlich ungewöhnlich, aber doch bei Weitem nicht so unheilvoll wie befürchtet ist, und so - auch wenn er der letzte wäre, der das zugibt -, bedenkt er das Kleine Volk nach einiger Zeit nicht mehr wo er geht und steht mit finsteren Blicken oder jagt ihnen absichtlich Angst ein.

Brynden dagegen versteht sich von Anfang an prächtig mit den Grumekin und sie sich mit ihm, was seinem Sohn eine Menge Leprechaungold einbringt, das sich prompt mit Sonnenuntergang in Süßigkeiten verwandelt (weswegen Raven irgendwann eine ernsthafte Unterredung mit einem Vorarbeiter namens Klapperschwamm hat, die sich hauptsächlich um Völlerei und Bauchschmerzen dreht) und obendrein eine Heerschar winziger Spielgefährten, denn die Kobolde arbeiten in Schichten und irgendein Trupp des Kleinen Volkes hat immer für den Jungen Zeit oder leistet ihm Gesellschaft bei seinen Nachttopfsitzungen. Immerhin wird er so geradezu unverschämt schnell sauber, auch wenn ihm ab und an noch ein Malheur passiert und er bis zum Ende des Blätterfalls zumindest nachts noch eine Windel braucht. Als der Dimmamåne, der Nebelmond, mit trübem, nasskaltem Wetter in Talyra Einzug hält, wird Brynden dann endgültig sauber und der Nachttopf bekommt einen festen Platz im Abtritt, wo er hingebungsvoll von ihm benutzt wird. Das Koboldheer unter der Führung General Hammerhands arbeitet immer noch wie besessen im Norderker, aber immerhin liegt ihre Schlacht mit Marmor, Fliesen, Rohren und Wanne, wie ihnen nun beinahe täglich versichert wird, schon in den letzten Zügen. Im Keller wurde in der Feuerkammer des Hypokaustums ein gewaltiger Kessel eingebaut, der auch dort zu beheizen ist, und ein verwirrendes Rohrsystem führt von unten durch die Decke nach oben. Ein weiteres für das Abwasser verschwindet, außen am Haus, geschickt verborgen unter den Holzschnitzereien des Erkers, im schwarzen Erdreich, um irgendwo in der Kanalisation zu landen - den Göttern sei Dank besitzt Talyra eine. Da alle Erntearbeiten erledigt sind und das Anwesen gut auf den Winter vorbereitet ist, Dalla weder Raven, noch Caewlin bei ihrem herbstlichen Großreinemachen gebrauchen kann, sondern lieber Pyp und Runa ins Feld führt, und auch Bethel ihnen freundlich, aber bestimmt erklärt, sie wolle sie beide bei den diversen Julmondbäckerein in ihrer Küche nicht sehen, haben sie unerwartet viel freie Zeit und verbringen den Großteil davon miteinander. Raven hatte mit ein paar Ersatzkleidungsstücken beim besten Willen nicht warten können, bis die Schneider und Näherinnen Talyras ihre Geschäfte endlich wieder eröffnen, denn sie passt - jetzt fast im fünften Mond schwanger -, nicht mehr in ihre Hosen. Dalla hatte ihr also nach dem Schnittmuster ihrer alten, wildledernen Hose eine zweite, etwas weitere, dazu zwei Hemden und ein einfaches, wollenes Hauskleid geschneidert. Das würde übergangsweise genügen, aber es ist klar, dass sie unbedingt bei der nächsten Gelegenheit, die sich bietet, einkaufen gehen müssen.

Sie besuchen Niniane und Cron im Baum, nehmen Brynden und die Hunde mit und verbringen den ganzen Tag dort, und als sie sich schließlich in einer kalten, grauen Dämmerung verabschieden, verabredet Raven sich mit der Waldläuferin zu einem ausgedehnten Großeinkauf, sobald Ninianes Prellungen völlig abgeheilt wären. Zwei Monde nach ihrem Kampf mit dem Dämon ist ihre Nase wieder gerade, die Schnitte und Kratzer sind gut verheilt und die schwärzlichblauen Schwellungen in ihrem Gesicht sind zu verblassenden, grüngelben Schatten geworden, aber zu sehen sind sie immer noch ein wenig. Als Caewlin und Raven von ihrem Besuch am Smaragdstrand nach Hause zurückkommen, sind die Koboldsscharen - sehr zu Bryndens Leidwesen - verschwunden, dafür werden sie von einer aufgeregten Dalla erwartet, die wie ein Derwisch um sie herumhüpft und atemlos erzählt, der Zwergenbaumeister sei heute Nachmittag mit seinen Helfern gegangen, das Bad sei fertig und sie solle bestellen, er, Hammerhand, würde in den nächsten Tagen vorbeikommen, um den vereinbarten Lohn abzuholen und seine Auslagen abzurechnen. Caewlin ahnt, dass ihn die letzten sechs Wochen und der Einbau dieses Badetempels vermutlich ruinös teuer zu stehen kommen werden, aber er verschwendet keinen großen Gedanken daran - Raven hatte ein Bad gewollt, er ebenso und er besitzt das nötige Gold. Als Raven, Brynden an der Hand, aufgeregt wie ein kleines Mädchen, das vor seinen Julgaben steht, dann die Tür öffnet und sie endlich den Baderaum ansehen können, verschlägt es ihnen beiden im ersten Moment die Sprache, und Caewlin kommt der leise Gedanke, dass es, was immer der Zwerg auch verlangen würde, seinen Preis wert ist. Der ganze Raum wurde mit glattem, matt glänzenden Marmor aus Sûrmera ausgekleidet, der kräftige, aber weich ineinander übergehende Farbtöne und fast zarte Maserungen aufweist. Etwa einen Schritt hoch, bis unter die Fenster, sind die großformatigen, rechteckigen Fliesen burgunderrot, zimtfarben und rosig marmoriert. Die weinroten Kacheln werden von einer breiten Bordüre, die bronzen, gold und rot verschlungene Rankenreliefs zeigt, abgesetzt, und über ihr zieht sich der Marmor dann in helleren bernsteinbraunen, elfenbeingelben und honiggoldenen Tönen an den Wänden entlang und hinauf  bis unter die Decke. An der rechten Wand, gleich wenn man hereinkommt, steht ein langer, schmaler Tisch aus glänzend dunkel gebeiztem Rosenholz, in dessen Platte zwei elfenbeinhelle Waschschüsseln eingelassen sind. Darüber hängt ein hoher, rechteckiger Spiegel mit einem breiten Rahmen aus geflochtener Bronze, niedrig genug angesetzt und hoch genug hinaufreichend, dass sie beide ihre Gesichter darin sehen können. Der Spiegel wird flankiert von zwei Laternen aus dunklem, durchbrochenen Metall, die aussehen, als wären sie geradewegs aus einem azurianischen Serail entwendet worden, und die jetzt in der spätherbstlichen Abenddunkelheit brennen und goldgelben Schein werfen.

An der Westwand, zwischen den beiden hohen Sprossenfenstern, steht ein weiterer Tisch aus dem gleichen, schimmernd-dunklen Holz, mit ebenso schlichten, geschwungenen Formen, wie der Waschtisch, dazu ein paar kleinen Fächern und Läden, einem ovalen Spiegelaufsatz und dem passenden Hocker davor. Auf den breiten Fenstersimsen drängen sich kleine Gruppen dicker Stumpenkerzen auf flachen, lackierten Holztellern und getrocknete Blüten in Körben aus Bronzedraht, und in der Mitte des Raums ringelt sich der marmorne Leib eines schlafenden Drachen um den hochgewölbten Rand einer runden, schneeweißen Wanne, die auf ebenholzschwarzen Klauenfüßen steht. Nur der Kopf, ein Teil des Körpers, die Vorderpranken, ein Hinterlauf und der Rücken des verschlungenen Drachenleibes sind vollkommen ausgearbeitet, so filigran und kunstfertig, dass jede einzelne Schuppe daran zu sehen ist, der Rest verschmilzt mit den gewölbten Wänden des steinernen Beckens. Das Beste daran ist jedoch zweifellos, dass es, verborgen unter dem Drachenmaul, zwei Wasserspeier gibt, die man nur auf- und zudrehen muss, um wahlweise kaltes oder heißes Wasser in das Steinbecken laufen zu lassen, was Dalla ihnen mit leuchtenden Augen vorführt, und dass die Wanne einen Abfluss hat - für die Mogbarmagd das reinste Wunder. Nie wieder würden sie Eimer um Eimer Wasser herbeischleppen oder nach einem Bad mühsam abschöpfen müssen. Als Caewlin endlich seine Sprache wieder findet, tauscht er einen Blick mit Raven, die wie betäubt im ganzen Raum herumwandert und ebenso fassungslos wie hingerissen scheint, und krächzt dann. "Das ist kein Bad, das ist ein... ein... es gibt kein Wort dafür, was das hier ist." Sie brauchen beide eine Weile, bis sie sich von diesem Schock erholt haben, doch in den nächsten Tagen tun sie das, was wohl jeder tun würde, der unvermutet von einer verbeulten Kupferwanne zum Besitzer eines märchenhaften Marmortempels aufgestiegen ist: sie ziehen im Nordflügel ein und baden dort täglich so lange und so ausgiebig, dass sie befürchten müssen, Schwimmhäute zwischen den Fingern und Zehen, und Kiemen anstatt Lungenflügeln zu bekommen. An einem frostigen, nebeldunklen Abend zwei Wochen später sitzt Caewlin im Süderker an den Büchern und Dalla hat ihm gerade eine Kanne Cofea gebracht, als Raven hereinkommt. Sie hat Brynden ins Bett gestreckt, der, todmüde von einem langen Spaziergang mit dem Hunden nach dem Abendessen, wahrscheinlich einfach umgefallen ist und erscheint jetzt zur allabendlichen Übungsstunde. In den letzten Tagen hatten sie begonnen, den lange versprochenen Unterricht im Lesen und Schreiben aufzunehmen und Caewlin hatte ihr ein Kästchen aus geöltem, polierten Kirschbaumholz geschenkt, bestückt mit wunderschön geschnitzten und bemalten Holzwürfeln, die die Buchstaben des Alphabets zeigen. Er hatte ihr alle Buchstaben benannt und sie das Alphabet gelehrt, und sie lernt schnell - ihren eigenen Namen konnte sie ohnehin schreiben, aber nun, nach noch nicht einmal zwei Siebentagen Unterricht, beherrscht sie auch seinen, Bryndens und die Namen aller Mägde und Knechte und hat begonnen, einfache Wörter aus den Buchstabenwürfeln zu bilden und diese dann abzuschreiben oder laut vorzulesen.

Als er sie an der Tür hört und aufblickt, sieht er, dass sie zum ersten Mal das Kleid, das Dalla ihr genäht hatte, trägt. Es ist rostrot und, bis auf ein paar kleine Stickereien an den Ärmeln und am Saum, sehr schlicht, aber es steht ihr gut. Caewlin starrt auf den Ansatz ihrer Brüste unter dem rechteckigen Ausschnitt, die weiche Kurve ihrer Taille, den Schwung ihrer Hüften und die kleine Wölbung ihres Bauches, und seine Zunge klebt ihm plötzlich am Gaumen. Mehr als gut. Er steht auf, tritt auf sie zu, geht um sie herum, mustert sie dabei eingehend von Kopf bis Fuß, späht grinsend in ihr Dekolletè und lässt seinen Blick dann langsam zu ihrem Gesicht zurückwandern. An der zarten Haut ihres Halses pocht ihr Puls, er kann es sehen. Als er ihren Augen begegnet, zuckt ein halbes Lächeln in seinen Mundwinkeln. "Ich weiß wirklich nicht, ob ich mir jetzt die Hosen zurückwünschen soll oder nicht... und das ist nur ein einfaches Alltagsgewand." Raven wirft ihm von unten herauf einen kurzen Blick zu, mustert dann ihre weit fallenden Röcke, als sei auch sie sich noch nicht ganz schlüssig, ob sie nicht lieber doch ihre Hosen wieder haben will und tritt einen halben Schritt zurück. Plötzlich verlegen murmelt sie halb unverständlich etwas davon, dass das ja nur ein einfaches Hauskleid sei und gar nichts, absolut nichts besonderes, und überhaupt, sie habe es nur an, weil ihre eine Hose nass und die andere dreckig sei, aber sie könne ja versuchen... Caewlin hebt sie einfach hoch und küsst sie. "Halt die Klappe, min koerlighed," flüstert er. "Du hast keine Ahnung, wie du in dem Kleid aussiehst. Es ist schön, auch wenn es nur ein einfaches Gewand ist. Du bist schön." Er setzt sie auf den Schreibtisch, küsst sie noch einmal, fährt mit der Hand über ihren Rücken bis in ihren Nacken hinauf, spürt den weichen Wollstoff, der sich so leicht um ihre Konturen schmiegt und lässt seine Finger dann durch ihr Haar gleiten, als wolle er es kämmen. Sie hat es gelöst und es fällt wie ein Vorhang aus schwerer Seide über seine Arme und fängt das Licht der Kerzen auf, so dass es wie dunkle Bronze schimmert. Dann erinnert sich irgendwann widerwillig an den Unterricht. "Kleid," murmelt er an ihrem Mund und löst sich mehr als unwillig von ihr. "Kannst du das buchstabieren?"  

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Raven am 26. Nov. 2005, 19:52 Uhr
Nach dem Nachtmahl bringt Raven den todmüden Brynden hinauf in sein Zimmer, packt ihn in sein Bettchen, deckt ihn zu und stopft die Laken und weichen Felle rund um seinen kleinen, zusammengeringelten Körper fest, doch er ist schon weggeschlummert, bevor sie auch nur Gute Nacht sagen kann. Einen Moment lang bleibt sie im Halbdunkel an seinem Bett stehen, bevor sie die Lichter löscht, und betrachtet sein schlafendes Gesicht, die rosig schimmernden Wangen, den halb offen stehenden Mund, die langen Wimpern und die Wurstärmchen, die hingebungsvoll das schon ganz kaputtgeliebte Stoffhäschen an sich drücken, und sie muss unwillkürlich lächeln. So rund und kindlich sein Gesicht noch ist, so trägt es doch auch unverkennbar die Züge seines Vaters. Seine Augen unter den geschlossenen Lidern sind von dem gleichen strahlenden, hellen Blaugrün und manchmal hat er genau den selben Ausdruck grimmiger Entschlossenheit im Blick - vorzugsweise dann, wenn es darum geht, seinen Dickschädel durchzusetzen, ihr klarzumachen, dass er es für eine Zumutung hält, sich schon wieder hinter den Ohren waschen zu müssen, oder zu beweisen, was er schon für ein großer, tapferer Junge ist. Sogar Caewlins unwiderstehliches halbes Lächeln hat er geerbt und Raven muss sich eingestehen, dass er es, ebenso wie sein Vater, mühelos schafft, sie damit um den Finger zu wickeln - ganz offenbar legt dieses Lächeln bei ihr auf geheimnisvolle Weise sämtliche Gehirnbereiche lahm, die auch nur entfernt mit Verstand und Vernunft zu haben. "Hmpf", schnaubt sie leise, zupft ein wenig an den Decken herum und streicht Brynden liebevoll über das helle, weiche Haar. "Nordmänner. Sie bringen einen wirklich um den Verstand. Aber vielleicht bekomme ich jetzt ja weibliche Verstärkung." Sie wirft einen spekulativen Blick auf die Rundung ihres Bauchs, die inzwischen ohne Kleidung schon sehr deutlich zu sehen ist, sich im Moment jedoch unter dem weichen, lose fallenden Wollstoff ihres Kleides verbirgt. Doch die kleine Wölbung will ihr Geheimnis nicht preisgeben und ihr Inhalt hüllt sich nach wie vor in hartnäckige Reglosigkeit und Schweigen. "Ich weiß, dass du da drin bist. Caewlin hat sogar schon deinen Herzschlag gehört, also hör auf, dich zu verstecken." Die Antwort fällt so aus wie immer - es kommt einfach keine. Seufzend pustet Raven die Laternen im Kinderzimmer aus, bis nur noch das heruntergebrannte Kaminfeuer seinen matten Schein in den Raum wirft, und schleicht auf Zehenspitzen zur Tür hinaus, um Brynden nicht wieder aufzuwecken - obwohl er bestimmt auch weiterschnarchen würde, wenn ein glühender Feuerball das Hausdach durchschlagen würde.

Während Raven die Treppenstufen hinuntertrödelt, überlegt sie, wie groß das unsichtbare Wesen in ihr wohl schon ist und wie winzig dieses kleine, schnell pochende Herz noch sein muss. Bestimmt nicht größer als eine Haselnuss, mutmaßt sie und erinnert sich mit einem leisen Schauder an den Augenblick, als Caewlin es zum ersten Mal gehört hatte, das Ohr an ihren Bauch gepresst und die Stimme nur ein leises Flüstern. >Sein Herz schlägt. Ich kann es hören, genau hier...< Sie hätte es auch gern gehört, doch das einzige, was sie bislang hören kann, wenn sie in sich hineinlauscht, ist Stille. Aber sie hatte Caewlins Gesicht gesehen, sein Lächeln und den Ausdruck in seinen Augen, und das hatte sie mindestens ebenso glücklich gemacht, als wenn sie es hätte hören können. Das ganze Kind kann doch höchstens so lang sein wie meine Hand, oder, wenn es ein großes Kind ist, dann vielleicht so lang wie Caewlins Hand, oder ... herrje, worüber du dir bloß wieder Gedanken machst.... Sich über solche Dinge den Kopf zu zerbrechen, ist völlig sinnlos und das weiß sie auch, aber trotzdem beschäftigt es sie in einem fort, auch wenn sie es nach außen hin nicht zugeben würde und so gelassen auszusehen versucht, als hätte sie schon drei Dutzend Kinder geboren. Als sie den untersten Treppenabsatz erreicht, hält sie unschlüssig inne und einen Augenblick lang spielt sie mit dem Gedanken, einen Schlenker nach rechts zu machen und durch den Gang hinüber in den Nordflügel zu schleichen, nur um sich das neue Badezimmer noch einmal anzuschauen. Sie hat es bestimmt schon hundert Mal angesehen und kennt es inzwischen schon in- und auswendig, hat unzählige Male die polierten Marmorkacheln berührt, die sich unter ihren Fingen kühl und glatt anfühlen, die kleinen Schubläden im Frisiertisch auf- und zugezogen und den Drachen so lange heißes Wasser spucken lassen, bis Dalla geschimpft hatte, sie würden mit dem Heizen des Kupferkessels im Keller nicht mehr nachkommen - aber es ist so schön geworden, dass sie sich einfach nicht davon trennen, geschweige denn die Finger davon lassen kann. Nur schnell ansehen, nur einmal, nur ganz kurz .... und vielleicht ein bisschen an den Wasserhähnen drehen, bis der Wannendrache Dampfwolken schnaubt...

Hammerhand und seine Koboldhorde hatten wirklich ganze Arbeit geleistet und was vorher ein leeres Zimmer gewesen war, weltvergessen und ein bisschen angestaubt, ist nun ein Märchen aus warmleuchtendem Marmor, poliertem Holz und einer Wanne, in die sie am liebsten einziehen würde. Am meisten fasziniert sie der Drachenkopf mit den versteckten Hebeln, der je nach Belieben kaltes oder heißes Wasser ausspuckt, das dann nach dem Baden durch einen Ablauf in geheimnisvollen Tiefen verschwindet, ohne dass man es erst mühsam mit Eimern nach draußen schleppen muss. Zusammen mit Runa und Dalla hatte sie noch endlos lange Bahnen feinen Kattuns und schleierzarten Nesselstoff gesäumt, die nun in der Farbe von hellgoldenem Waldhonig und dunklem, glutrotem Sommerwein die hohen Bogenfenster schmücken. Der einzige Wermutstropfen an der Sache ist das gewaltige Geldsäckel, das Caewlin dem Baumeister über den Schreibtisch in seinem Kontor hinweg zugeschoben hatte, als der ihm seine Abrechnung präsentiert hatte. Raven kennt zwar den genauen Betrag nicht, den Hammerhand für seine Arbeit verlangt hatte, aber ihr ist klar, dass in der prallgefüllten Geldkatze ein kleines Vermögen gesteckt haben muss. Ein bisschen zwickt sie deswegen jetzt das schlechte Gewissen, denn sie weiß, dass es selbst für Caewlin eine mehr als stattliche Summe war, auch wenn er nicht einmal mit der Wimper gezuckt hatte, als er Hammerhand ausbezahlt hatte. Ich muss nächstes Jahr unbedingt wieder am Wettschießen beim Sommerturnier teilnehmen. Und natürlich möglichst das Preisgeld gewinnen, so sollte wenigstens ein Teil der Kosten wieder hereinkommen und er muss sich wegen mir nicht in den Ruin stürzen.

Der Gedanke an Caewlin bringt sie auch sogleich von ihrem Vorhaben ab, zum hundertsten Male das Badezimmer zu besichtigen und sich allmählich für übergeschnappt erklären zu lassen, stattdessen wendet sie sich in Richtung Schreibzimmer, weil sie weiß, dass er dort gerade über den Büchern und Abrechnungen brütet. Und es ist ohnehin Zeit, sich wieder über ihr Buchstabenkästchen herzumachen und ihre allabendliche Übungsstunde in Angriff zu nehmen. Anfangs war sie ein wenig skeptisch gewesen und die Übungen hatten ihr ganz und gar nicht behagt, weil sie sich dabei Caewlin gegenüber immer ziemlich ungebildet und dumm vorgekommen war - wobei zumindest das 'ungebildet' nicht abzustreiten ist -, aber er hatte beim Erklären eine solch unendliche Geduld an den Tag gelegt und ihr so bereitwillig geholfen, dass das Gefühl schnell wieder verschwunden war und sie nun jeden Abend eifrig wie ein Schulkind in das Scheibzimmer hüpft, um den Kampf mit den widerspenstigen Buchstaben aufzunehmen. Als sie leise in den Raum schlüpft, der in das warme Gold von Kerzenlicht und Kaminfeuer getaucht ist, sieht Caewlin auf, legt den Federkiel beiseite und schiebt das große, ledergebundene Buch beiseite, in dem er gerade herumgekritzelt hat. Einen Augenblick lang sieht er sie von oben bis unten an und sein Blick wird dabei so durchdringend, dass leise Verwirrung in ihr aufkeimt und sie einen Moment versucht ist, an sich hinunterzublicken und nachzusehen, ob etwas an ihr nicht stimmt - bis sie begreift, dass es das Kleid ist, das seine Aufmerksamkeit auf sich zieht. Es ist sehr schlicht und einfach und wirklich nichts besonderes, und würde sie noch in ihre Hosen passen, würde sie kaum in Versuchung geraten, Röcke zu tragen. Obwohl der Blick, mit dem Caewlin sie mustert, als er aufsteht und um sie herumspaziert, sie vielleicht doch davon überzeugen könnte, dass Kleider nicht unbedingt etwas mit Folterpein und unaussprechlichen Qualen zu tun haben müssen.  >Ich weiß wirklich nicht, ob ich mir jetzt die Hosen zurückwünschen soll oder nicht... und das ist nur ein einfaches Alltagsgewand,< bemerkt er und in seinen Mundwinkeln schimmert der Anflug eines Lächelns, das ihr wider Willen ein sanftes Glühen auf die Wangen treibt. Bei allen Göttern im Himmel, es gehört verflixt nochmal einfach verboten, dass ein Mann SO lächeln kann .... schau mich noch länger so an, und ich werde gleich gar nichts mehr anhaben. Und du auch nicht.

"Es ist doch nichts besonderes", windet sie sich, "es ist nur ein Kleid, und ich hätte bestimmt auch lieber wieder meine Hosen zurück, aber in die alten passe ich ja nicht mehr und außerdem..." Sie kommt überhaupt nicht dazu, sich noch weitere Argumente einfallen zu lassen und der Wortschwall, der gerade aus ihr heraussprudeln will, wird von einem grinsenden "Halt die Klappe" und einem Kuss unterbrochen, der alle Kleider, Lesestunden und sämtliche sonstigen Übel der Welt auf einmal zu völlig unwichtigen Nebensächlichkeiten zusammenschrumpfen lässt. Plötzlich ist nur noch dieser verheißungsvolle Mund wichtig, der so vieles verspricht und Hunger auf mehr entfacht, die Finger, die über ihren Rücken streichen und sich in ihrem Haar vergraben, und die glühende Wärme, die sie umfängt. Sie schmiegt ihren Nacken in seine warme Hand, schlingt die Arme um seinen Hals und weiß ganz genau, wenn sie sich nicht auf der Stelle wieder voneinander losreißen, dann würden sie gleich ganz andere Dinge tun, als nur Buchstabenplättchen auf dem Schreibtisch hin- und herzuschieben. >Kleid ... kannst du das buchstabieren?< hört sie Caewlin flüstern, aber sie braucht lange Herzschläge, bis sie sich so weit von seinen Lippen lösen kann, dass sie so etwas wie eine Antwort hervorbringt. "Kleid? Selbstverständlich kann ich das buchstabieren. Ich kann noch ganz andere Sachen ...", murmelt sie atemlos zwischen zwei Küssen, "...buchstabieren." Ein leises Klopfen dringt an ihre Ohren, das sie zunächst gar nicht zur Kenntnis nehmen, so beschäftigt sind sie miteinander. Erst als das zaghafte Pochen zu einem energischen Hämmern am Türblatt wird, fahren sie verwirrt auseinander. Auf die unwillig an die Tür gerichtete Frage, was los sei, schiebt sich schuldbewusst Dallas rotleuchtende Knubbelnase durch den Türspalt und sie haspelt nervös und in atemberaubender Geschwindigkeit ihr Anliegen hervor. "M'lord, M'lady, verzeiht die Störung, aber es ist ein Botenjunge aus der Harfe hier, der Herr Borgil hat ihn geschickt, und er lässt ausrichten, er würde mit seiner Gemahlin morgen zum Mittagsmahl kommen wollen, und er lässt fragen, ob das recht sei, andernfalls wünscht er einen Tag zu wissen, an dem es besser passt, und der Bote soll gleich wieder zurückkehren und Nachricht überbringen, weil es wohl eilig ist..." Sie tauschen einen verwirrten Blick, weil sich keiner von ihnen den überraschend angekündigten Besuch so recht erklären kann, und weil zudem ein Borgil, der sich zum Essen vorher ankündigt und nicht einfach mit der Tür ins Haus fällt, wirklich etwas Besorgniserregendes an sich hat. Sie tragen Dalla auf, dem Boten auszurichten, dass es recht sei und die Herrschaften Blutaxt ruhig anrücken könnten, und schicken sie damit zurück in die Küche, wo sich in der Zwischenzeit zweifellos Bethel um den wartenden Jungen kümmern und ihn mit Rosinenkuchen und der einen oder anderen Kostprobe ihres Julgebäcks beglücken wird.

"Borgil und Azra?" grübelt Raven und rutscht von der Schreibtischkante, um nun wirklich ernsthaft ihre Übungen aufzunehmen oder wenigstens noch ein paar Wörter zu lesen und zu schreiben, bevor sie sich endgültig anderen - und außerdem viel wichtigeren und angenehmeren - Tätigkeiten zuwenden würden. "Was können die beiden wollen?" Sie lässt sich Caewlin gegenüber an dem überdimensionalen Monstrum von Schreibtisch nieder und öffnet das feinverzierte Kästchen aus poliertem Holz, das er ihr geschenkt hat. Es enthält unzählige geschnitzte Holzwürfelchen mit Buchstaben, und sie hütet es so sorgsam wie ein Geizkragen seine Goldstücke. Caewlin kann auf ihre Frage jedoch auch nur den Kopf schütteln, er weiß genauso wenig wie sie, was den Zwergen und seine Frau ins Seehaus treiben sollte. Nachdem sie eine Weile ziemlich erfolglos herumüberlegt haben, was er wollen könnte, und Raven währenddessen mit den Holzwürfeln auch gleich brav "Borgil", "Azra", "Harfe", "Blutaxt", "Halla" und das restliche Personal rauf und runter buchstabiert und mit einem Federkiel einige Male auf Pergament geschrieben hat, wird sie mutig und versucht sich an schwierigeren Worten. "Ich kann auch richtig lange Wörter, schau her", verkündet sie stolz, und dann buchstabiert sie in schneller Reihenfolge, "Marktplatz", "Karawane", "Misthaufen", "Steinfaust" und "Morgenstern", und ihre Finger sortieren dabei geschickt und mit schlafwandlerischer Sicherheit die verwirrend vielen Holzplättchen in eine einigermaßen sinnvolle Reihenfolge. Dass sie die Wörter mittags schon geübt hat, als Caewlin noch zusammen mit Rykar damit beschäftigt war, dürre Äste vom großen Apfelbaum im Garten zu sägen, verschweigt sie mit einem hintergründigen Lächeln in den Mundwinkeln und ordnet stattdessen erneut die Lettern um. "Das hier ist ganz besonders schwer", behauptet sie und deutet mit triumphierender Miene auf das eben ausgelegte Wort. Caewlin scheint davon nicht im Geringsten beeindruckt zu sein, denn er tauscht nur grinsend die Buchstaben aus und macht aus Ravens stolz präsentiertem "Moiseschrek" einen "Mäuseschreck". "Pöh", schmollt sie beleidigt, "mit den getüpfelten Buchstaben habe ich eben noch Schwierigkeiten, aber ich werde das schon noch lernen. Das hier kann ich jedenfalls schon, obwohl es knifflig ist..." Ihre Finger sortieren die Holzplättchen flink zu einem völlig korrekten "Badezimmer", das Caewlin zufrieden nicken lässt. Und er hat dabei schon wieder dieses halbe Lächeln in den Mundwinkeln sitzen, das es ihr schwer macht, den Blick von ihm loszureißen und die Worte Gehirn und Denken ersatzlos und mit sofortiger Wirkung aus ihrem Vokabular streicht.

Für die Dauer einiger langer Herzschläge bleibt ihr Blick an seinen Augen hängen - helle Splitter eisigen Winterhimmels, die herabgefallen und von einem Kranz dichter, dunkler Wimpern aufgefangen worden sind. Die Funken des Kaminfeuers spiegeln sich in ihnen, aber sie kann auch noch einen völlig anderen Funkenstrom spüren, der zwischen ihnen hin und her knistert, ganz und gar nichts mit Kaminfeuer zu tun hat und ihr einen kribbelnden Schauer über den Rücken kriechen lässt. Ihr Herz schlägt auf einmal so schnell, als wäre sie dreimal rund um die Stadtmauern gerannt. Sie sammelt die Buchstaben wieder ein und ordnet sie anschließend hastig und mit bebenden Fingern neu. "Schlafgemach" liegt nun eilig zusammengesetzt und reichlich windschief auf der Tischplatte, und sie hängt noch ein ziemlich atemloses "Jetzt! Sofort!" hintendran. Das Lächeln in Caewlins Mundwinkeln vertieft sich zu einem Grinsen, und dann haben sie es plötzlich schrecklich eilig, nach oben zu kommen und finden sich keine zwei Dutzend Atemzüge später zwischen weichen Laken und warmen Fellen wieder, verrückt vor Verlangen und unfähig, einander wieder loszulassen, hungernd, brennend, Haut an Haut, Herzschlag an Herzschlag und zu einem einzigen Wesen verschmolzen, bis sie zu verglühen glauben und die Welt sich in einem wilden Strudel auflöst und nichts als vollkommene Schwärze zurücklässt. Matt und schwer liegt sie in seinen Armen und alles an ihr scheint zu zittern, so dass Raven minutenlang nichts weiter tun kann, als sich an ihn zu klammern, ihn festzuhalten und die Stirn an seine Brust zu pressen, als wäre er ihr einziger Halt auf dieser Welt. Und vielleicht ist er das auch. Ihr ganzer Körper scheint von den Schlägen ihrer Herzen zu dröhnen und es dauert eine ganze Weile, bis sich das wilde Pochen in ihrem Inneren beruhigt hat und sie wieder zu Atem kommen. Aber selbst als ihr Herz wieder einigermaßen normal schlägt und Stille einkehrt, ist da noch etwas, und sie kann etwas fühlen, das sie zuerst nicht zuordnen kann, kaum wahrzunehmen, ein hauchzartes Flattern, ein sanftes Streifen wie von durchscheinenden Falterflügeln oder wie von Blättern, die der Wind gegen die Haut rascheln lässt. Raven hebt den Kopf, hält den Atem an, runzelt die Stirn und lauscht nach innen. Jetzt kann sie es ganz deutlich spüren. Und dann weiß sie auf einmal, was es ist. Sie tastet nach Caewlins Hand, schlingt ihre Finger um seine und legt sie auf ihren Bauch, direkt über die flatternde Stelle. "Kannst du das fühlen?" flüstert sie. "Es bewegt sich." Sie ist sich nicht sicher, ob er es überhaupt wahrnehmen kann, aber sie würde das Gefühl so gern mit ihm teilen und sie will seine warme Hand dort spüren, wo sich unter ihrer Haut sein eigen Fleisch und Blut bewegt. Dann huscht ein Lächeln über ihre Lippen und sie kommt nicht umhin, kichernd festzustellen: "Ich glaube, du hast es wachgerüttelt."

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Caewlin am 29. Nov. 2005, 23:04 Uhr
Sie presst sich an ihn, und er hält sie fest, das weiche Gewicht ihres Körpers ein wohltuender Segen auf seinem und ihr Zittern das Echo des dröhnenden Pulsierens, das immer noch mit jedem Atemzug wie flüssiges Feuer durch seine Adern rollt. Irgendwann hat er einmal so etwas wie eine Wirbelsäule, ein schlagendes Herz und funktionierende Lungen besessen, er weiß es, aber im Augenblick sind ihm alle drei irgendwie abhanden gekommen, und er ist sich immer noch nicht ganz sicher, wo sein Körper endet und ihrer beginnt. Er fühlt sich vollkommen knochenlos, zerschmolzen von ihrer Hitze, zu Asche verbrannt in ihrem Fleisch, bis die Welt schlagartig in einem Rad aus Feuer untergegangen war. Caewlin streicht über ihren Rücken, tastet über die Rundungen und Kurven ihres Körpers, die nackt und verletzlich der Dunkelheit ausgesetzt sind, nach den zerwühlten Pelzdecken und hüllt sie beide wieder in ein warmes Nest. "Wage es ja nicht," schnurrt er, als er wenigstens soviel seines Bewusstseins zusammengekratzt hat, dass er seine Sprache wiederfindet, "wage es ja nicht, mir das noch einmal anzutun, ohne mich vorher zu warnen." Unter seinem Kinn ertönt ein fragendes Prustgeräusch und ihr Brustkorb vibriert von leisem Kichern, aber als sie den Kopf hebt, liegt auf ihrem Gesicht das verträumte Spiegelbild seines eigenen Lächelns. "Oh..." Er legt seine ganze Hand an ihr Gesicht, lässt seine Finger über ihren Nasenrücken gleiten, zeichnet den Schwung ihrer Brauen und die Linien von Schläfe und Wange nach und fährt schließlich sanft mit dem Daumen über ihren Mund, von einer Seite zur anderen. Mein. "Heißt das, es war schön, ja?" Sie prustet noch ein wenig lauter und für einen Herzschlag sieht er Rebellion in ihren Augen schimmern, aber ihm zu widersprechen, verbietet die Ehrlichkeit und außerdem weiß er genau, dass es so war. Eigentlich hätte spätestens jetzt aus seinem vagen, halben Lächeln ein leicht selbstgefälliges Grinsen werden müssen, aber das lässt ihr Blick nicht zu und plötzlich ist da etwas zwischen ihnen, das über die eben geteilte Lust, den Hunger nacheinander, sogar über Liebe hinaus geht - etwas sehr viel elementareres als selbst das, falls so etwas möglich ist. Er sieht sie an und kann das wortlose Versprechen in ihren Augen lesen, so wie sie es in seinen sehen kann.

Caewlin fährt mit den Fingern in ihren Nacken unter die wirre, mitternachtsseidige Masse ihres Haars, gräbt seine Hand tief hinein und ballt sie dort einmal langsam und sacht zur Faust, ehe er die Finger wieder öffnet, ihren Kopf umfasst und sie zu sich herab zieht, um sie zu küssen. Das Silber ihres Ringes leuchtet rot im Schein der letzten Glut, als sie die Hände hebt und sein Gesicht berührt, und ihre Fingerspitzen, ihr Mund, ihr Atem, selbst der Geruch ihrer Haut sagen ihm wortlos, was er bereits weiß. Du... bist... mein. "Ja, Rabenkind." Er küsst sie noch einmal und weiß tief in seinem Innersten, dass es die Wahrheit ist. "Und du gehörst mir." Es ist wahr, er gehört ihr, so wie sie sein ist und alles, was er jemals ohne sie sein könnte, ist... unvollständig. Ihr Geschmack ist noch immer in seinem Mund und ihr Geruch füllt seine Lungen, als sie ihren Kopf wieder auf seine Brust legt. Seinetwegen hätten sie für immer so bleiben können, ihre Körper noch miteinander verbunden, aber für sie muss es langsam unangenehm werden, so lange auf ihrem Bauch zu liegen, also rückt er ein wenig zur Seite, löst sich mit einem bedauernden Seufzen von ihr und dreht sie so, dass sie ihren Kopf bequem an seine Schulter betten kann. Er weiß nicht, wie lange sie so aneinandergeschmiegt in der Dunkelheit ihres Bettes liegen, warm bis in die Zehenspitzen, absolut friedvoll, aber hellwach und schweigend. Sie lauschen auf den Wind, der kalt und frostig um das Haus singt und in den Balken der Laube ächzt, und das Feuer ist fast heruntergebrannt, nur noch hier und da schimmert es rot zwischen weißer Asche und verkohltem Holz, als Raven neben ihm plötzlich erstarrt. "Was?" Ihr ganzer Körper spannt sich und sie hebt den Kopf. Ihr Gesicht ist im düsteren Halbdunkel kaum noch zu erkennen, aber er kann sehen, wie das Weiß ihrer Augen schimmert, als sie sich weiten. Plötzlich spürt er sein Herz. "Was ist? Hast du Schmerzen?" Sie schüttelt vage den Kopf, aber sie sieht ihn nicht an, sie scheint überhaupt nichts mehr von ihrer Umgebung zu sehen und er kann hören, wie ihr der Atem stockt. Ihr Blick richtet sich völlig versunken nach innen, als höre sie etwas tief in ihrem Inneren, das nur sie wahrnehmen kann. Dann breitet sich langsam ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus und sie nimmt seine Hand, legt sie auf die Rundung ihres Bauches und hält sie dort fest. >Kannst du das fühlen? Es bewegt sich.< Ihre gespannte Haut ist warm, glatt und seidig unter seiner großen, schwieligen Hand und er spreizt die Finger fächerförmig auf, um jede noch so leise Regung einzufangen. "Wo?"

Sie schiebt seine Finger ein wenig nach rechts und ein Stück nach oben und plötzlich pocht direkt unter ihrem Nabel etwas gegen seine Handfläche, so sacht, dass er im ersten Augenblick glaubt, es sich nur eingebildet zu haben, so schnell und zart, als schlügen unter ihrer Haut kleine, aufgebrachte Vogelschwingen. "Götter im Himmel..." Er legt seine ganze, flache Hand darüber, um soviel wie möglich von dem winzigen Flattern zu spüren, und plötzlich wird die Bewegung entschlossener, taucht träge und sich räkelnd aus der warmen, dunklen Tiefe der Unterwasserwelt in ihrem Leib auf, rollt durch seine Handfläche und verschwindet dann wieder. Zurück bleibt das fassungslose, ehrfurchtgebietende Gefühl, jemand vollkommen Neues berührt zu haben. Er hat den Herzschlag seines Kindes schon vor einem Mond gehört und seit jener Nacht hat er ihm oft gelauscht, hingerissen von dem leisen, rhythmische Pochen, diesem verheißungsvollen Versprechen von neuem Leben, aber bisher hatte ihr Kind sich nur durch diese kaum hörbaren Zeichen bemerkbar gemacht. Es war körperlos gewesen, eine abstrakte Vorstellung in ihrem Leib, nur zu hören, nicht zu fühlen - jetzt bewegt es sich, ein eigenständiges, kleines Wesen, noch immer vor der Welt und vor allen Augen verborgen, aber nicht mehr länger nur "es". Was hatte Raven gesagt, als kein Zweifel mehr bestanden hatte, dass sie tatsächlich schwanger war...? Mit diesem Kind trage ich dich in mir. Dich. Einen Teil von dir. Dein Blut, dein Herz, deinen Atem, dein Lachen, deine Gedanken, dein Wesen, deine Liebe. Ich trage dein Leben in mir. Wie könnte ich dir je näher sein? Wie könnte er ihr je näher sein? "Es hat... hat es sich gerade umgedreht?" Sie sieht ihn an und er kann das Verlangen, loszuprusten in ihren Augen aufschimmern sehen, aber dann wird aus ihrem hingerissenen Lächeln nur ein Grinsen und schließlich ein leises Kichern. >Ich glaube, du hast es wachgerüttelt.< "Wachgerüttelt?" Echot er und schafft es irgendwie, gleichzeitig belustigt, empört und leicht verschreckt zu klingen. "Wer hat mich denn ins Bett gezerrt und ist dann über mich hergefallen?" Ihr Gesicht wird so unschuldig wie frische Sahne, das ist selbst im letzten Schein der sterbenden Glut noch zu erkennen, aber in ihren Augen, groß und schwarz wie Onyx, verbirgt sich auch noch etwas ganz anderes. "Wachgerüttelt, hmm..." Er rollt sie vollends auf den Rücken und drückt sie in die Kissen, sehr groß, sehr warm, sehr sanft und sehr hungrig. "Nun, dann... müssen wir es eben wieder in den Schlaf wiegen."

Der nächste Morgen beginnt neblig, frostkalt und grau. Das Schlafgemach außerhalb der weichen Pelze und Daunendecken ist eiskalt, denn daran, das Feuer abzudecken, hat in der Nacht niemand mehr gedacht. Brynden, der mit der Dämmerung zu ihnen ins Bett gekrochen war, schenkt ihnen gönnerhaft noch eine halbe Stunde und während er friedlich zwischen ihnen schnarcht, ziehen sie sich über seinen silbernen Haarschopf hinweg flüsternd mit albernen Namensvorschlägen für sein ungeborenes Geschwisterchen auf. "Hulda?" Echot Caewlin und lacht leise. "Bist du wahnsinnig, Frau? Meine Tochter wird auf gar keinen Fall Alwine, Hulda, Frikka, Freydis oder Berchte heißen. Und mein Sohn weder Gunnar, noch Lasse, noch Erik oder Sven!" Sie kichert schon seit Freydis hifllos vor sich hin und bewirft ihn mit kleinen Kissen, bis Brynden aufwacht, sich begeistert an der Kissenschlacht beteiligt und sie sich schließlich alle drei zähneklappernd aus den Federn quälen, ein paar frische Kleider schnappen und ins Bad aufmachen. Als sie in die Küche kommen, haben Rykar, Pyp, Runa und Dalla ihr Morgenmahl schon beendet und von den Knechten ist nichts mehr zu sehen, aber am Herd herrscht trotz der frühen Stunde schon Hochbetrieb. Sie haben Mühe, am Tisch überhaupt einen Platz zum Frühstücken zu ergattern, denn Bethel hat sich hier bereits mit Rührschüsseln, Schneidbrettern, Schüsseln und Töpfen ausgebreitet, segelt rotgesichtig und mit schiefem Häubchen von einer Anrichte zur anderen, rauft sich die Haare, knetet Teig und hantiert mit Fleischbrätern, Brotfüllungen und Gewürzen. Außerdem sieht Caewlin sie zum allerersten Mal mit so etwas wie einem Kochbuch vor der Nase. "Was bei allen Neun Höllen ist hier los?" Dalla hastet mit einem Arm voller Zwiebeln an ihnen vorbei, grinst über beide Ohren, tätschelt Brynden den Kopf und verspricht, ihnen so schnell es geht, ein Omelett oder ähnliches zu braten. Dann senkt sie ihre Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern, nickt augenrollend in Richtung der wild umherkreiselnden Bethel hinüber und raunt, sie müssten schon entschuldigen, aber die Aussicht, heute als Gast zum Essen Borgil höchstpersönlich samt seiner Frau zu haben, hätte für etwas Aufruhr gesorgt.

"Das sehe ich," konstatiert er und lässt seinen Blick über dieses apokalyptische Küchenchaos schweifen. "Sag ihr, es ist nur Borgil, und nicht der König, der verheißen wurde. Und sie soll um Himmels Willen nicht mehr kochen, als wir auch essen können." Dalla nickt, seufzt aber in einer Weise, die klar macht, dass das alles reichlich vergebens wäre und fügt sich in ihr Schicksal als Küchenhilfe, ebenso wie Runa, die gnadenlos von Beth zu niederen Handlangerdiensten verdonnert wird. Kaum haben sie ihr Morgenmahl beendet, ergreifen Raven, Brynden und er selbst die Flucht, überlassen die Küche der wildgewordenen Köchin, bevor auch sie noch zum Gemüse schälen rekrutiert werden, und vertreiben sich den Vormittag mit Brynden und einem langen, neblig kalten Spaziergang mit dem Jungen und den Hunden am Strand. Als sie kurz vor Mittag zurückkommen, duftet es im ganzen Haus nach Gänsebraten, gebackenem Gemüse, Ildorelkrebspastete, braunem Brot, Bratäpfeln, Kuchen und frisch aufgebrühtem Cofea. Als sie, nachdem sie die Hunde und auch Brynden von nassem Sand und dem gröbsten Dreck befreit haben, einen vorsichtigen Blick in die Küche riskieren, ist das Chaos dort verschwunden, das Kupfergeschirr blinkt, der Boden ist gescheuert, der Tisch gedeckt und die Essensgerüche absolut himmlisch, und Bethel sitzt, knallrot, verschwitzt und vollkommen erledigt, aber hochzufrieden mit sich und der Welt auf einem Schemel am Herd, wirft ihnen einen triumphierenden Blick zu und dann ab und an einen prüfenden in einen der zahlreichen Töpfe. Eine halbe Stunde später schlagen synchron die beiden Hunde an - Akira grollt leise, Stelze bellt einmal, dann noch einmal und schießt kurz darauf mit wildem Schweifwedeln in Richtung Tür davon, einen Herzschlag, bevor es laut und vernehmlich daran klopft.

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Borgil am 30. Nov. 2005, 21:55 Uhr
Der Tag ist eiskalt und voller grauen Nebels, ihr Weg ist nicht der kürzeste, und angesichts Azras hochschwangeren Leibes und ihrer Geschenkkörbe, besteht Borgil darauf, dass sie den Wagen nehmen. Jetzt im Spätherbst bietet Talyra wieder das gewohnte Bild einer großen, belebten Handelsstadt, der Markt hat längst wieder geöffnet, auch die allerletzten Spuren der Zerstörungen durch den Dämon und seine verfluchten Höllenfeuer sind inzwischen beseitigt worden, und überall herrscht geschäftiges Treiben. Borgil und Azra haben nicht mehr viel Zeit, die Tempelglocken läuten gerade zum Mittag, als sie endlich das Viertel direkt am Seeufer erreichen, in der die teilweise uralten, herrschaftlichen Anwesen Talyras in ihren parkähnlichen Gärten stehen - und Caewlins und Ravens Haus liegt zudem ganz im Norden dieses Stadtteils. "Dort vorne ist es," brummt Borgil seinem Knecht zu, der den Wagen lenkt, als endlich die hohe Flussteinmauer in Sicht kommt, auf der dicht und flammendrot der Giftsummach wuchert. Der Zwerg selbst war noch nicht hier, seitdem der Sturmlord das Anwesen besitzt, aber er kennt das Haus und den Grund von früheren Besuchen bei Aínmyron von Cavanac, dem Vorbesitzer - einem todkranken Ritter aus den Ostlanden. Ein oder zweimal war er als Stadtrat hier gewesen, aber der Giftsummach muss neu sein, denn an den kann Borgil sich nicht erinnern. Gnaden die Götter dem armen Dieb, der dumm genug ist, sich hieran zu versuchen... und selbst wenn er es über die Mauer schafft, ohne dabei an Juckreiz und Ausschlag zu sterben, erwartet ihn auf der anderen Seite immer noch die gute Akira... "Bin gespannt, was sich hier verändert hat," murmelt er vor sich hin, als sie das weit offen stehende Tor mit seinen wuchtigen Balken und eisernen Beschlägen passieren, und dann auf dem gewundenen Weg aus Kopfsteinpflaster in Richtung des Hauses fahren. "Früher war das mal ein fürchterlich düsterer Kasten, hübsch von Außen, aber innen ganz staubig, immer halbdunkel und die Hälfte der Räume stand leer..." Hier, in der Nähe des Ildorel, ist der Nebel zum Schneiden dick und hängt wie ein graues Tuch über allem, so dass sie kaum hundert Schritt weit sehen können, und die hohen Giebel des Hauses schälen sich nur langsam aus den bleichen Schwaden.

Die Luft ist klamm und feucht, während sie unter den mächtigen, alten Kastanien dahinruckeln, die den Weg säumen und ihre Äste von beiden Seiten her darüber breiten und in einiger Entfernung links von ihnen, nach Norden hinauf, meint Borgil hinter Obstbäumen, Weidezäunen und Koppelpfosten eine ordentliche Anzahl weiterer Gebäude zu erkennen, fern, aber deutlich und rechtwinklig wie unerschütterliche Mauern. Stall, Scheune, Räucherhaus... etwas in der Art vermutlich... Irgendwo vor ihnen taucht plötzlich wamer Lichtschein auf, der ihnen golden und märchenhaft aus einem Dutzend hoher Sprossenfenster entgegenglüht, die hohen Bäume, unter denen sie bisher entlang gekommen sind, weichen zurück, und dann haben sie das Haus erreicht.  Der Wagen kommt quietschend zum Stehen und Borgil hebt Azra herunter, und lässt sich dann von seinem Knecht, den er postwendend wieder zur Harfe schickt mit der Anweisung, sie in ein paar Stunden wieder abzuholen,  ihre Körbe mit den Mitbringseln reichen. Als ihr Fuhrwerk davonrattert und er sich zu seiner Frau umdreht, steht Azra auf dem sauber gefegten Platz vor dem wundervollen, alten Haus und starrt hinauf. Der gewaltige, verschlungene Blauregen, der die ganze Nordfront bedeckt, hat längst alles Laub verloren, so dass die Schnitzereien der hölzernen Erker darunter durchscheinen und die rankenden Rosen, die die restliche Fassade und den Laubengang über der hölzernen Veranda bedecken, tragen noch ihre Blätter, dunkel und grün, aber leider keine Blüten mehr. Azra blinzelt an den Winkeln und Vorsprüngen der Erkern hinauf, folgt der Linie der mächtigen Giebel und Schnitzereien mit den Augen und nimmt den ganzen Anblick, der sich ihnen bietet, in sich auf. Borgil kommt der leicht belustigte Gedanke, dass das Haus im Grunde wie sein Besitzer wirkt -  außer dass es einem weniger Angst einjagt: es ist groß, breit, stark und sicher, absolut unverrückbar und wuchtig, ohne dabei auch nur im Mindesten an Eleganz einzubüßen. "Ay, mein Mädchen. Ganz schön... hm... beeindruckend, was?" Sie nickt, immer noch staunend, aber Borgil sieht gar nicht mehr das Haus an, sondern sie. Der neue Winterumhang aus zimtfarbenem Leder, gefüttert mit getüpfeltem Luchspelz und bestickt mit den cremefarbenen Runen seines Clans, steht Azra ganz ausgezeichnet, darunter hat sie ein Gewand aus tiefblauer Wolle an, das an den Ärmeln und Säumen mit winzigen Flussperlen bestickt ist, und sie trägt die feine Nebelfeuchtigkeit wie glitzernde Juwelen in ihrem schneeweißen Haar.

"Komm, klopfen wir an und sehen wir zu, dass wir aus dieser Nebelkälte herauskommen und endlich diese ganzen Geschenke loswerden..." Gesagt getan - kaum haben sie die tiefe Laube betreten, die offenbar um das ganze Haus läuft, ertönt von drinnen Hundegebell und Borgil kann sehen, wie die Sonne in Azras Gesicht aufgeht, als sie flüstert, das sei Stelze. Dann klopft er und es dauert nicht lange, ehe die Tür aufgeht und sich - nacheinander - zwei Hunde, ein Kleinkind, eine dralle Mogbarsfrau mit einer flauschigen Haube auf einem voluminösen dunklen Lockennest und hinter ihnen allen Raven in der Öffnung verkeilen. Sie werden eilig aus der Kälte in die Wärme eines Lichtfangs und eine Flut warmen Kerzenlichts und durchbrochener Laternen geholt, si werden begrüßt und bekommen ihre Umhänge abgenommen, und während Azra und Stelze selbstvergessen ihr Wiedersehen feiern, blinzelt er verwirrt die Frau vor ihm an, die aussieht, spricht und sich bewegt, wie Raven, aber ganz unmöglich Raven sein kann. "Silanseineresse... Lieblingskratzbürste, bist du das?" Kann nicht sein - erstens war Raven zwar immer schon ausnehmend hübsch, aber diese Fremde vor ihm strahlt mit jedem Grünglanzmorgen um die Wette und zweitens trägt sie ein Kleid. Und darunter unverkennbar ein niedliches, kleines, rundes Bäuchlein. Borgil kann es einen langen Augenblick überhaupt nicht fassen und sie nur ziemlich sprachlos anstarren. Wo sind nur der schmuddelige Zopf, der verbissene Gesichtsausdruck, der Wag-es-ja-nicht-mich-anzusprechen-Blick, die formlosen Hemden und die fleckigen Lederhosen geblieben? Borgil klappt den Mund auf, klappt ihn unverrichteter Dinge wieder zu, mustert sie noch einmal von oben bis unten und bricht dann in ein haarsträubendes Grinsen aus. "Umwerfend!" Sie hat Brynden an der Hand, der ihn und Azra still, aber neugierig und ohne jede Angst mustert, doch als Caewlin hinter sie tritt und es damit mit einem Mal ziemlich voll wird im Windfang, reicht sie den Kleinen seinem Vater und zerrt Borgil dann grinsend mit sich, bevor er auch nur ein Wort mit dem Sturmender wechseln kann. "Äh..." Raven plappert begeistert etwas von "wasserspeiendem Drachen" und "musst du dir ansehen" und "Zwergenbaumeister aus Mazandar", und Borgil folgt ihr etwas verdattert durch einen langen Flur in den Nordflügel des Hauses. "Herzblatt, Drachen speien Feuer und kein Wasser," bemerkt er irgendwann reichlich perplex, während Raven ihn durch eine Tür und dann noch eine lotst.

Ein rascher Blick über die Schulter zeigt ihm einen kopfschüttelnden Caewlin und eine verwirrte Azra, die mit Brynden und den Hunden in einigem Abstand folgen, und dann steht er plötzlich mittendrin im Zauber eines marmornen Bades von solcher Wärme und Kunstfertigkeit, dass selbst Borgil einen Moment lang der Mund offen stehen bleibt. "Sil am Amboß," haucht er, während er seinen Blick einmal durch den ganzen Raum schweifen lässt. Selbst an so einem nebeltrüben Tag leuchtet dieses Bad im Schein von ein paar rasch entzündeten Kerzen und Öllampen, als gehe hier gerade eine satte Lingithasonne unter. Das Umwerfendste und Beeindruckendste an diesem Traum in Zimt, Burgunder, Bernstein, Gold, Ebenholz und Elfenbein ist jedoch zweifellos diese unglaubliche Steinwanne, um deren ganzen Rand sich ein Drache ringelt, als hätte er es sich dort gerade zum Schlafen gemütlich gemacht. "Sil am Amboß... Zwergenbaumeister aus Mazandar... Zwergenbaumeis... Moment mal. Ihr wart das, für die Thren gearbeitet hat? Ich hab' da so etwas läuten hören, er sei in der Stadt und hätte einen Auftrag übernommen. Herrje! Was denn, mitsamt seiner Koboldshorde?" Er tauscht einen Blick mit Caewlin, der mittlerweile in der Tür steht und da er weiß, wieviel der Sturmender von jeglicher Art von Magie hält, rutschen Borgils Brauen ungläubig ein ganzes Stück nach oben. Hinter dem Nordmann, der den hohen Türrahmen auch ganz allein ziemlich gut ausfüllt, drängen Brynden und die Hunde herein und schließlich schlüpft auch Azra noch mit leicht besorgtem Blick an ihm vorbei und hastet an Borgils Seite. Der Zwerg verbeißt sich ein Lachen und Caewlin schnaubt etwas Unverständliches, kämpft jedoch eindeutig ebenfalls mit einem Lächeln, und überlässt es dann seiner Frau, das Bad vorzuführen - was sie auch ausführlich und hellauf begeistert tut. Lang und breit und haarklein bekommen sie abwechselnd von Raven oder Brynden - oder beiden - den Wannendrachen erklärt, inklusive einer eindrucksvollen Vorstellung von seiner wahlweise dampfend heißen oder kalten Wasserspeierei, und dann auch das ganze übrige Bad gezeigt. Raven schwärmt immer noch davon, als sie sich irgendwann tatsächlich aus dem Raum losreißen und in die Halle zurückkehren. "Ein Wunder, dass du noch keine Schwimmhäute hast..." raunt er und wendet sich dann grinsend an Caewlin. "Kommt sie überhaupt noch einmal raus aus dieser Wanne?"

Borgil schnuppert die verführerischen Düfte von gebratenem Fleisch, frischem Brot und süßem Kuchen, doch dann fällt ihm etwas ein und er dreht um. "Potzblitz, die Geschenke." Er holt die mitgebrachten Körbe aus dem Windfang, reicht Azra den ihren und verteilt dann Sommerwein und Honigkugeln. "Hier bitte. Die Honigkugeln sind für den Kleinen, aber fragt mich nicht, was das für geheimnisvolle Päckchen sind, die Azra dabei hat - ich habe keine Ahnung, was darin ist. Doch bevor wir jetzt alles verteilen... wie ist es euch überhaupt ergangen seit diesem verfluchten Dämonenüberfall? Ich habe gehört, ihr wurdet verletzt, wenn auch nicht schwer... und ich muss euch beiden sowieso danken. Hab gehört, ihr habt mich aus der Rüstung geholt und mir..." er bohrt sich mit vielsagender Geste den Zeigefinger gegen die Halsschlagader. "Danke. Zum Donnerdrummel, ich bin noch nicht einmal dazugekommen, euch alles Gute dazu," er stupst vorsichtig Ravens Bäuchlein an, "zu wünschen vor lauter Marmordrachen! Wann ist es denn soweit? Und überhaupt, was riecht hier eigentlich so gut? Ich bin am Verhungern."

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Azra am 01. Dez. 2005, 22:17 Uhr
Der Nebel hängt in so dicken Schwaden vor ihrem Gesicht, dass sie das Gefühl hat, nur danach greifen zu müssen, um die grauen Fetzen wie samtweiche Wattebällchen zwischen ihren Fingern zu spüren. Azra kann ihren Kiefer schon nicht mehr hinaufklappen, seit sie im Seeviertel angekommen sind, denn trotz der dicken, regentrüben Suppe und dem wenigen, blassen Licht der Sonne, dass es schafft, bis zum Erdboden durchzudringen, kann sie die wuchtigen, grossen Anwesen hinter uralten Buchen, spitzen Tannen, hohen Goldeschen und schlanken Kiefern  als anmutige Silhouetten erkennen, die sich dunkel in den verhangenen Himmel erheben und der Zeit mit ihrer Wucht zu trotzen scheinen. Schnell wendet Azra den Kopf von einem Ort zum Anderen, saugt die Bilder gierig in sich auf und verfängt sich mit ihren Blicken in hohen Mauern aus zart gewundenen Eisenstäben, in mit Efeu überwucherten Hauswänden, die unter der ganzen gelbbraunen Blätterpracht weissgetüncht durchschimmern, in mit grauen Flusssteinen gestärkte Grundmauern und schlussendlich bleiben ihre geweiteten Augen an einer, von undefinierbarem Grünzeug überwucherten Mauer hängen, die sicher viermal so gross ist wie sie und bei der sie sich noch nicht einmal vorstellen möchte, darüber klettern zu müssen. Den Hals würde ich mir brechen, schleicht es durch ihre Gedanken und einen Herzschlag später fügt sich noch ein Kleines: Momentan sowieso, hinzu und erneut, als ihre Hände sich unter den dicken, herrlich weichen Mantel schieben, um auf ihren gerundeten Leib gelegt zu werden, kommt sie sich vor wie ein dicker, fetter Käfer auf dem Rücken, der ohne Hilfe noch nicht einmal mehr auf seine Beine kommt. Der Wagen rattert durch ein offenes Tor hindurch, über einen beinahe ebenen Kopfeinpflasterweg hinweg und auf einen runden Platz zu, hinter dem ein Gebäude wie ein dunkler, bedrohlicher Schatten aufragt, der aus halbgeöffneten Augen misstrauisch auf die Besucher hinabblickt. Über ihnen durchstreifen dicke, kahle, braune Äste das undurchsichtige Gewirr des Nebels, wie braune Adern und es scheint, als würden sie allen, die unter ihnen hindurchgingen, ihren Segen und ihren Schutz schenken. Borgil hilft ihr vorsichtig vom Wagen und schickt diesen auch sogleich zurück zur Goldenen Harfe, doch dafür hat Azra weder Augen noch Ohren, denn die sind allesamt damit beschäftigt, den Bau vor sich in seiner ganzen Grösse zu umfassen und all die herrlichen Gerüche, die sich unter die klare, kühle und schrecklich feuchte Herbstluft drängen, aufzunehmen. Das Haus ist riesig und Azra kommt sich daneben plötzlich ganz klein und unbedeutend vor, reckt jedoch den Hals trotzdem noch ein wenig, um auch die unzähligen Details, welche dem Anwesen sein so altes, aber immer noch schönes Antlitz verleihen, zu entdecken.

Die Erker mit der Holzverkleidung fallen ihr auf, welche in diesem diffusen Licht sich wie Wächter zu beiden Seiten erheben, voller Schnitzereien und Bildern, die längst zur Vergangenheit gehören und hinter den bleigefassten, halbrunden Fenstern dämmert ihnen fahles, gelbgoldenes Licht so einladend entgegen, dass der winzige Kloss, der sich in ihrem Magen während der Fahrt gebildet hat, augenblicklich verschwindet. Sie betrachtet die verschiedenen, verschlungenen und kaum voneinander zu unterscheidenden Pflanzen, von welchen sie keinen einzigen Namen kennt, starrt die Veranda mit vor Entzücken leuchtenden Augen an und weiss trotzdem, wie froh sie ist, in der Goldenen Harfe mit ihren kleinen, bleigefassten Fenstern, den wohligen, mit rotbraunen Holzwänden ausgestatteten Zimmern und den robusten und langlebigen Möbeln zu leben. "Ay, mein Mädchen. Ganz schön... hm... beeindruckend, was?" Sie kann nur nicken, so sehr hat der wundervolle Anblick sie gefangen genommen und wahrscheinlich wäre sie einfach stehen geblieben, wäre Borgil im Gegensatz zu ihr nicht mit soviel Verstand gesegnet worden, dass er sie irgendwann darauf aufmerksam macht, dass man Häuser nicht nur von Aussen, sondern auch von Innen – wo es zudem deutlich wärmer und gemütlicher sei – betrachten könne. Sie wird zumindest rosa um ihre Nasenspitze und lässt sich dann widerstandslos auf die Veranda schieben, die so gross ist, dass sie das Ende nicht sehen kann durch die trübe, zähe und alles verdeckende graue Suppe. Doch sowohl die Feuchtigkeit, als auch die Schönheit des Hauses und sogar ihre leichte Nervosität angesichts ihres Besuches verfliegt in einem Wimpernschlag, als ein leises Bellen aus dem Inneren erklingt, dumpf und freundlich, wie eine kleine Begrüssung im Voraus. „Stelze, das ist Stelze“, wispert sie entzückt und drängt sich dabei so weit es Bauch und Geschenkkörbe erlauben, noch näher an Borgil, der nur ein zufriedenes Brummen vorausschickt und dann wissen sie beide schon nicht mehr wie ihnen geschieht. Die massive Holztüre wird regelrecht aufgerissen und milchiggelbes Licht flutet über sie hinweg und gleich hinterher springen ihnen schwarze Gestalten entgegen, die nichts Besseres zu tun haben, als sich allesamt im Türrahmen zu verkeilen, nach vorne zu stürzen und sie dann in einem Durcheinander an Armen und Beinen ins warme, von Kerzen erhellte Innere zu bugsieren, wo ihnen auch gleich die Mäntel abgenommen werden. Azra ist für einen Moment verblüfft und wird im nächsten Augenblick von einer feuchten Hundenase und dem dazu gehörigen, von zotteligem, grauen Fell, bedeckten Schädel mit den gütigen und vor Freude glitzernden Augen in Besitz genommen. „Stelze!“, haucht sie und spürt die Tränen vor Rührung in ihren Wimpern kleben. Mit einer akrobatischen Leistung lässt sie sich auf die Knie nieder – Korb zur Seite und auf das Kleid wird kaum geachtet – und schlingt einen Herzschlag später ihre Arme um den alten Hund, der sich heftig mit dem Schwanz wedelnd an sie schmiegt und seinen Kopf in ihrem Schoss vergräbt.

Alles was in letzter Zeit auf ihren Schultern gelastet hat, geht unter in dem Strudel der Wiedersehensfreude und für die erste Zeit ist sie mit grossen Pfoten, nasser Zunge und einem Anspruch erhebenden und Zärtlichkeiten fordernden Hund beschäftigt, wobei Akira das ganze mit leicht geneigtem Kopf von der Seite ihres Herrn aus betrachtet und dabei so stolz aussieht, wie eine Königin. Mit einem leisen Keuchen kommt sie schliesslich mit ein wenig Hilfe von Dalla wieder auf die Füsse und sieht sich doch leicht verdattert nach Borgil um, der gerade mit einer wild palavernden und heftig gestikulierenden Raven am Arm um die nächste Ecke verschwindet. “Das Badezimmer“, erklingt es irgendwo über ihr und fragend hebt sie den Kopf… und hebt ihn… und hebt ihn bis er schliesslich im Nacken liegt und sie über sich zwei Gesichter entdecken kann. Das eine mit harten, kantigen Zügen, aus denen zwei eisblaue Augen wie funkelnde Steine hervor schimmern und in den Mundwinkeln ein amüsiertes Grinsen. Der Sturmlord. Sogleich erinnert sich Azra trotz beinahe aufgeklapptem Kiefer – Caewlin war aus der Ferne schon beeindruckend und nun, wo sie direkt neben ihm steht, wäre er beinahe Furcht einflössend, wäre der Zug in seiner Miene nicht voll von Belustigung – an ihre irgendwann erlernten Manieren und nickt ihm zu: „My Lord, vielen Dank,… das ihr uns empfangt.“ Für einen Moment hat sie mit sich selbst gehadert, doch ausser diesen förmlichen Worten, wollen ihre keine passenden einfallen und so fällt ihr Blick schliesslich auf den Jungen auf seinem Arm, der sie neugierig und mit stiller Miene aus tiefblauen Augen mustert und dabei nicht einen Funken an Angst zeigt. Viel eher scheint er an ihren Haaren interessiert, zupft flüchtig an seinen eigenen herum, betrachtet eine Strähne genauer und deutet dann auf das Ihre: “Dein Haar ist genauso weiss, wie das Meine.“ Sie kommt um ein Schmunzeln nicht herum, vermag jedoch genauso wenig zu verhindern, dass sich ein Hauch von Trauer darüber legt und Erinnerungen an silberrotes Haar, so fein wie Feenfäden, an die Oberfläche kriechen. „Ja“, stimmt sie ihm schnell zu und zupft an einer ihrer Strähnen herum: „Da hast du wohl recht.“ Weiter kommt sie nicht, denn da schiebt die Mogbar mit den fülligen, braunen Locken sie bereits in Richtung eines langen Flurs und murmelt etwas von: „Müsst ihr euch auch ansehen… Kobolde… Nur Ärger… soviel Essen…“ und hinter ihnen stampft der Sturmlord mit seinem Sohn hinterher. Azra läuft so schnell wie sie kann, versucht etwas aus den unzähligen Erklärungen zu verstehen, welche die Magd, oder was sie auch immer ist, von sich wirft und gibt es schliesslich auf, als die kleinere Frau dazu noch beginnt, heftig mit ihren Händen zu gestikulieren, um damit besonders wichtige Ereignisse zu unterstreichen und gleichzeitig damit beschäftigt ist Stelze, welcher um ihre Beine, Hüfte streunt auszuweichen.

Sie werden durch einen langen Flur geführt und Azra wünscht sich plötzlich zwanzig Augenpaare mehr, um alles in diesem wunderschönen Haus gleichzeitig sehen zu können und ihr Kopf ruckt hin und her, damit ihr Blick über halbhohe, mit reichlich Schnitzereien verzierte, dunkle Truhen, über riesige Bögen in der Decke, die von, mit verschlungenen Mustern übersäten, hölzernen Säulen gehalten werden, über graue Steinfliesen, die im Halblicht silbern schimmern schweifen kann und bleibt schliesslich an einem funkelnden Licht hängen, dass sich zwischen Türrahmen und dem Sturmlord hindurchquetscht. Sie kann Borgils Stimme hören, oder zumindest das, was davon übrig ist, denn etwas scheint sie ihm verschlagen zu haben und mit einer leisen Entschuldigung auf den Lippen zwängt sie sich zwischen Caewlin und der Schwelle hindurch, um an Borgils Seite eilen zu können. Doch noch bevor sie seinen rettenden Arm erreicht, klappt ihr Kiefer hinunter und jeglicher Kommentar zu irgendwas, bleibt ihr beim Anblick des Bades, in dem sie steht, irgendwo zwischen ihren Mandeln stecken. Es leuchtet ihr in Gold, Creme, Burgunder und Zimt entgegen und sie weiss gar nicht, was sie als erstes Betrachten soll in dieser Luxusausgabe von Bad, wie sie es zuvor noch nie in ihrem Leben gesehen hat. Raven erklärt, erzählt, deutet auf dieses und jenes, auf das und dies, gibt Anekdoten zum Besten, berichtet von gefrässigen Koboldshorden in Schränken, Truhen, unter dem Tisch, auf dem Tisch, im Flur, die Bethel beinahe noch mehr graue Haare eingebracht hätte, als das sie jetzt schon besitzt, verrät, dass sie alle auf das Ergebnis gespannt gewesen wären, wie kleine, überaus neugierige Kinder auf ihre Geschenke und setzt noch flüchtig hinzu, dass sie das Bad einfach nur wundervoll, bezaubernd, einmalig und wunderschön findet. Azra kann ihr auf jeden Fall nicht widersprechen und staunt nur mit offenem Mund in die Runde, überhört dabei Borgils Sticheleien von wegen *Schwimmhäuten* und *ob sie überhaupt noch rauskomme* und geht, völlig in Begeisterung versunken, von einem Ecken des Badezimmers zum Anderen, streicht mit den Fingern über die wahrscheinlich urteuren sûrmerischen, dunkelroten Marmorkacheln, die zarte, rosene Maserungen aufweisen und an goldbronzenen Bordüren enden, fährt dem riesigen Drachen, der sich um das steinerne Becken windet über seinen gewaltigen und doch so anmutigen Schädel und kann sich erst aus ihrer völligen Verzückung lösen, als ihrem Mann plötzlich einfällt, dass sie ja noch Geschenke hätten. Die Geschenke! Oh herrje, die hab ich einfach stehen lassen. Leicht beschämt über ihre Sorglosigkeit kaut sie auf ihrer Unterlippe umher, krault gleichzeitig Stelze hinter den zuckenden Ohren und muss doch grinsen, als Raven noch während sie die Türe zum Bad hinter sich schliesst, nicht damit aufhören kann, über diese sensationelle Heiss- und Kaltwassertechnik, über die glänzenden Fliessen, die  zartes Licht spendenden Laternen und die vielen süssen, kleinen Pflanzen auf dem Fenstersims zu schwärmen.

Während sie also zurück laufen und Borgils Kennernase – Der arme Zwerg hatte seit heute Morgen nichts mehr gegessen – in der Luft eindeutig den Duft nach herrlich riechendem Essen, das nur von Beth kommen kann, erschnuppert, gelangen sie schliesslich doch noch zu ihren Geschenkkörben und ihr Mann verteilt auch sofort den guten Sommerwein, sowie die goldgelben, süssen Honigkugeln für Brynden, welcher begeistert mit seinen Händen danach grabscht und sich dann mit vollkommener Zufriedenheit in dem Gesicht wieder an Ravens Seite zurückzieht und mit kleinen, honigverschmierten Fingern nach einer ihrer Rockfalten greift und neugierig weiter zu den Körbe hinüberlinst, als würde da vielleicht noch mehr Köstlichkeiten für ihn zum Vorschein kommen. "Hier bitte. Die Honigkugeln sind für den Kleinen, aber fragt mich nicht, was das für geheimnisvolle Päckchen sind, die Azra dabei hat - ich habe keine Ahnung, was darin ist. Doch bevor wir jetzt alles verteilen... wie ist es euch überhaupt ergangen seit diesem verfluchten Dämonenüberfall? Ich habe gehört, ihr wurdet verletzt, wenn auch nicht schwer... und ich muss euch beiden sowieso danken. Hab gehört, ihr habt mich aus der Rüstung geholt und mir... Danke. Zum Donnergrummel, ich bin noch nicht einmal dazugekommen, euch alles Gute dazu zu wünschen vor lauter Marmordrachen! Wann ist es denn soweit? Und überhaupt, was riecht hier eigentlich so gut? Ich bin am Verhungern." Als wäre das ein Stichwort gewesen, beginnen Beth und Dalla gleichzeitig wie schnatternde Gänse wild zu erzählen, dass das Kind irgendwann im Sturmwind komme, von der berauschenden Vorfreude, welche die kommende Geburt bei allen ausgelöst hat, von knusprigen Gänsebraten bis hin zu herbstlich süssen und saftigen Backäpfeln, dass das Kind sicherlich so gross und so stur – „Tut mir Leid M’Lord.“ – und so kräftig wie sein Vater wird und so schön, so schlank und so bezaubernd wie seine Mutter, dass die Brote noch warm und frisch wären, dass sie es ja selbst erst seit kurzem wüssten, dass ihre Herrin schwanger sei und und und, bis Azra irgendwann nur noch fragend in die Gegend blinzelt und sich nicht mehr sicher ist, ob Beth jetzt meinte, dass die Ildorellkrebschen schwanger seien, oder das Kind sicher ein Ildorellkrebs werde. Caewlin unterbricht das wilde Geschwätz mit wenigen Worten und bringt es sogar so weit, dass sie erst einmal an dem grossen, langen Tisch setzen können und Azra kurze Zeit wieder damit beschäftigt ist, sich mit grossen, beinahe aus den Höhlen kullernden Augen umzusehen, nur um fest zu stellen, dass der Fliesenboden so sauber geputzt ist, dass sie sich darin sogar spiegelt. Beth, die Köchin, ein gestandenes Weib, mit einer riesigen Schürze um ihren Bauch, huscht eilig zwischen Herd und Tisch hin und her, serviert nacheinander goldbackenes Brot, zart duftende und wahrscheinlich gerade erst gefangene Krebschen, tiefschwarzen Cofea, mit Kartoffeln garnierten Gänsebraten und mit honigbraunem, geschmolzenem Zucker überzogene Bratäpfel. Nur der Kuchen bleibt noch ausser Reichweite mancher zu gieriger Händchen, die gerade dabei sind ein Stück Brot zu zerteilen. Lächelnd blickt Azra zu Brynden hinüber, spürt Stelze gross und beruhigend an ihren Beinen und blinzelt dann mit verbissenem Gesichtsausdruck zu Borgil hinüber, als Raven und Caewlin schliesslich von diesem dreimalverfluchten Tag im Beerenreif zu erzählen, als der Dämon halb Talyra in Schutt und Asche gelegt hat.

Sie selbst schweigt still, sagt kein Wort und nestelt trotzdem augenscheinlich berührt an dem grünen Tuch herum, dass über dem Weidekorb liegt, um die darunter liegenden Geschenke zu verdecken, die noch immer darauf warten, zu ihren neuen Besitzern zu gelangen. Sie will nicht an den Tag denken, überhaupt will sie momentan an nichts denken, was sie auf das Gespräch des gestrigen Abends bringen könnte, doch dafür ist es bereits zu spät und ihre Gedanken schweifen zu Arwen und ihrer Bitte an Borgil, der Elbin eine persönliche Entschuldigung zukommen zu lassen. Nichts Dummes tun. Genau das werde ich. Sie wird aus dem drohenden Trübsal gerissen, als jemand sie am Aermel zupft und sie gleich darauf in ein erwartungsvolles Gesicht blickt, von silberblauem Haar umrahmt. “Was ist da drin?“ Brynden streckt seinen Finger aus, mit der anderen einen gequetschten Stoffhasen fest an sich drückend, und deutet auf den Korb, den sie noch immer auf ihrem Schoss – so gut das bei ihrem Leib eben geht – hat und siedendheiss erinnert sich Azra daran, dass einige Dinge darin, vielleicht besser an einem nicht so warmen Ort aufbewahrt werden sollen. „Ohje, das habe ich vollkommen vergessen“, murmelt sie aufgeregt, entdeckt aus den Augenwinkeln ein verräterisches Zucken in Borgils Schnurrbartspitzen und merkt, wie ihre Wangen einen feinen roten Ton annehmen. Ich bin nervös. Hmpf… Zwergen!, kommentiert sie Borgils amüsiertes Grinsen und zupft schliesslich das grüne Wolltuch von den Überraschungen, die sie mitgebracht hat und stellt den Korb auf den Tisch, irgendwo auf einen Flecken, der nicht von Essen, Tellern, Besteck oder Kerzenleuchtern in Anspruch genommen wird und holt dann nacheinander fünf kleine Päckchen aus dem gut ausgelegten Inneren und Brynden hüpft dabei begeistert an ihrer Seite umher, mit glänzenden Augen die in Stoff gewickelten Geschenke betrachtend und Raven rutscht unbehaglich auf ihrem Stuhl umher, etwas wispernd von: „Das wäre doch nicht nötig gewesen“ und „Muss nicht sein“, doch Azra tritt einfach bis an ihre Seite und umarmt sie im nächsten Wimpernschlag vorsichtig, zumindest so weit ihr gerundeter Bauch es zulässt. „Danke“, flüstert sie leise und die unendliche Dankbarkeit, die in ihrer Stimme mitschwingt, überschlägt sich beinahe. „Danke, dass ihr Borgil gerettet habt, ich wüsste nicht, was ich ohne ihn täte“, fügt sie noch hinzu, löst sich sachte und mit gesenktem Blick wieder von Raven, die kaum eine Handspann grösser ist als sie und deutet dann mit roter Nasenspitze auf die Päckchen auf dem Tisch: „Sie sind von Halla, Grid, Sigrun, Tiuri und mir, als Dank, dass ihr uns Borgil am Leben gehalten habt. Sigrun hat euch einen ganzen Beutel voller Zimttörtchen mit Apfelstückchen gemacht“, dabei greift sie zielsicher nach einem der fünf Päckchen und drückt es Raven in die Hände, welche von den Geschenken überrumpelt und gleichzeitig gerührt scheint und sich hilfesuchend nach Caewlin umsieht, der jedoch gerade damit beschäftigt ist Brynden davon abzuhalten, die Bänder der Säckchen vorzeitig zu lösen.

„Grid hat euch zusammen mit Halla ein Hemd genäht für den Winter, dass euch auch während der Schwangerschaften passen sollte und natürlich möchte auch ich euch und eurem Gatten noch zu dem Kind gratulieren, es freut mich sehr diese guten Nachrichten zu hören, wo doch…“, flüchtig stockt sie, schluckt leer und lächelt dann entschuldigend: „Ich meine, wo in letzter Zeit doch so viele schreckliche Dinge geschehen sind.“ Dabei schlingen sich ihre Finger in den dunklen, blauen Stoff ihres Wollkleides und um schnell wieder auf ein anderes Thema zu kommen, greift sie nach dem grössten der Päckchen, entwirrt den doppelten Knoten, den der junge Mann in das geflochtene Band gezogen hat und hält Raven schliesslich zwei kleine Strohpuppen entgegen, nach dem Aussehen zu urteilen ein Mädchen und ein Junge, beide in bunte Kleidung gehüllt, mit braunem und schwarzem Haar und niedlichen, schwarzen Knopfaugen, die Halla mit übrig gebliebenem Garn erstellt hat. Auch das Hemd zieht sie noch hervor – dunkelgrün mit schwarzen Stickereien an Kragen und Armsäumen – und legt es behutsam über den Korb, damit es nicht schmutzig wird. Brynden hat die Puppen entdeckt und strahlt über das ganze Gesicht, als wäre die Sonne persönlich in seinen Augen aufgegangen und nur einen Herzschlag später hat er sie auch schon in den Armen, neben seinem kleinen, leicht demoliert aussehenden Stoffhäschen und untersucht die Puppen bis aufs Kleinste auf ihre Zustand. Azra hat Tiuri tagelang bei der Arbeit zugesehen und obwohl es nur Stroh ist, was er benutzt hat, ist sie sich sicher, dass die fein gearbeiteten Puppen wirbelnden Kinderhänden Stand halten werden, denn der dicke Kater in der Harfe hatte es auch nicht geschafft, sie zwischen seinen Krallen zu zerfetzen. Ein Schmunzeln schleicht sich in ihre Züge, verschwindet jedoch ebenso schnell wieder, als sie nach dem letzten Päckchen greift, klein und unscheinbar und es Raven in die schlanken Hände drückt: „Das ist von mir. Ich kann nichts wirklich besonders gut, weder kochen noch nähen noch stopfen oder was weis ich und ich besitze nur wenig, aus der Zeit, bevor ich Borgil kennen lernte.“ Natürlich gibt es viele Dinge, die ihr seither ans Herz gewachsen sind, von den vielen, neuen Kleidern, über die, von goldenen Fäden durchzogenen, weichen Kissen in den dicken, robusten Sesseln ihrer Gemächer bis hin zu dem Buch, dass er ihr einst geschenkt hat, damit sie ihre Lesekunst aufbessern konnte und von dem sie nun bereits jeden Satz auswendig kennt. „Aber das hier ist etwas davon und damit möchte ich euch selbst noch einmal danken für die Rettung Borgils.“ Raven sieht sie an, als sei sie verrückt geworden, aber bevor sie auch nur den Mund aufmachen kann und auf irgendeine erdenkliche Weise zu protestieren, schliesst Azra ihre Finger um das Päckchen und flüstert leise: „Bitte, nehmt es.“

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Raven am 02. Dez. 2005, 20:59 Uhr
Von dem Moment an, in dem der schwere, bronzene Klopfer gegen das Holz der Haustür schlägt, herrscht augenblicklich ein heilloses, schnatterndes Durcheinander im altehrwürdigen Seehaus, und selbst als sich schließlich alle in der Küche rund um den riesigen Tisch niederlassen und eine schnaufende Bethel mit vor Eifer rotglühenden Wangen die Glanzstücke ihrer Kochkunst herbeischleppt, bis die Tischplatte sich schier unter dem Gewicht biegen will, legt sich das Chaos nicht. Raven war schon seit dem Frühstück so aufgeregt wegen dem angekündigten Besuch, dass sie keinen Herzschlag lang hatte stillsitzen können, und obendrein war das geschäftige Getue, das Beth angesichts einer bei ihnen zu Mittag essenden Familie Blutaxt an den Tag gelegt hatte, auch noch fürchterlich ansteckend gewesen. Als Caewlin, Brynden und sie mit den beiden Hunden durch die vormittägliche Nebelsuppe hinunter an den Strand spaziert waren, war sie so nervös gewesen, dass sie geglaubt hatte, jeden Augenblick bersten zu müssen. Sie waren mit den Hunden herumgetobt, hatten Stöcke geworfen und ihnen das vergammelte Treibgut wieder abgejagt, das die beiden angeschleift hatten, und Raven hatte sich dabei so sehr verausgabt, dass sie von dem ganzen Gerenne völlig außer Puste geraten war, doch nicht einmal diese wilde Hatz hatte ihre Nervosität wirklich beruhigen können. Dabei weiß sie eigentlich gar nicht, warum sie so aufgeregt ist, denn Borgil kennt sie seit einer halben Ewigkeit und Azra scheint ein liebes Mädel zu sein, zudem war sie neben ihr schon blutüberströmt auf einem Friedhof gesessen, um einem röchelnden, bleichgesichtigem Zwerg die Schlagader abzudrücken. Wegen den beiden müsste sie nun wirklich nicht gleich in Panik verfallen, aber dennoch - es sind die ersten Gäste, die sie im Seehaus haben, seitdem sie hier lebt, der erste richtige Besuch, den sie als Caewlins Frau und als Lady von Sturmende bewirtet, und sie möchte einfach alles richtig machen und will nicht, dass ihr Mann sich am Ende fragen muss, was für ein unmanierliches Trampeltier er geheiratet hat.

Jetzt hör schon auf, dir wegen Borgil in die Hosen zu machen, hatte sie mit sich selbst geschimpft, und mit der Bewirtung der Gäste hast du ja sowieso kaum etwas zu tun. Bethel kocht, Dalla kümmert sich um den Rest, und du musst nichts weiter tun, als dich nett zu unterhalten und Borgils Witze zu ertragen. Aber sie ist Besuch einfach nicht gewohnt, in ihrem alten Häuschen hatte sie nie welchen gehabt und zu dem Baum des Druiden mitten im tiefsten Wald hatte sich auch kaum jemand verirrt, so dass dies alles etwas vollkommen Neues für sie ist. Caewlin war ihre Aufregung natürlich nicht entgangen, aber er hatte nur mit einem Grinsen in den Mundwinkeln und amüsiert hochgezogener Braue ihre Anstrengungen verfolgt, eine passable Gastgeberin und Herrin des Hauses aus sich zu machen. Nachdem sie einen flüchtigen Blick in den Spiegel geworfen hatte und ihr daraufhin ein "Heilige Götter, wie sehe ich denn wieder aus" herausgerutscht war, hatte sie sich im Badezimmer verkrochen, eine geschlagene halbe Stunde lang an ihrem Kleid - immer noch dem einzigen - herumgezupft und energisch ihr Haar gebürstet, bis es wie ein glänzender Wasserfall über ihren Rücken geflossen war. Auf den obligatorischen Zopf hatte sie verzichtet, und das Haar nur im Nacken mit einer schlichten Schildpattspange zusammengefasst. Und dann hatten sie gewartet, sie hatte sich allerlei würdevolle und hochtrabende Sätze zurechtgelegt, sie verworfen, sich neue ausgedacht, sie wieder vergessen, sich ein albernes Frauenzimmer geschimpft, sie war Dalla auf die Nerven gegangen, hatte Brynden und die Hunde ganz närrisch gemacht und Bethel zur Weißglut gebracht, weil sie ihre neugierige Nase nicht von den Töpfen hatte lassen können. Doch als dann das dumpfe Dröhnen des Türklopfers durch das Haus gehallt war und sie sich samt und sonders in den Vorraum gedrängelt hatten, allen voran Brynden und ein wild kläffender Stelze, war schlagartig alles vergessen gewesen, einschließlich der formvollendeten Gastgeberin, die sie hatte sein wollen. Es war die gleiche Raven wie immer, die aufgeregt wie ein kleiner Kobold und mit leuchtenden Augen um Borgil und seine Frau herumgehüpft war und sie mit einem begeistert sprudelnden Wortschwall und tausend Fragen auf einmal überschüttet hatte, ihnen die Umhänge aus den Händen gerupft, sie in die Halle geschoben und den sprachlosen Zwergen hinter sich her in ihren geheiligten Badetempel gezerrt hatte, bevor er auch nur ein einziges Wort des Protestes hatte von sich geben können. Er hatte sie nur von oben bis unten gemustert, süffisant die Augenbrauen tanzen lassen und war in ein Grinsen ausgebrochen, so breit wie das Rhûnetal.

Als sie jetzt in der Küche sitzen, kann Raven immer noch nicht damit aufhören, ihrer Euphorie Luft zu machen und ihr Mund und ihre Hände stehen keinen Augenblick still. Obwohl sie Borgil den wasserspuckenden Badezimmerdrachen mindestens schon drei Mal in allen Einzelheiten erklärt hat, einschließlich des ausgeklügelten Rohrleitungssystems, des Kessels und sämtlicher Hebel, Rädchen, Nieten und Gestänge, geht die Begeisterung über diese neue wunderbare Errungenschaft restlos mit ihr durch und sie kann einfach nicht aufhören, wild gestikulierend davon zu reden. Der Zwerg hat die Ellbogen auf die Tischplatte gestützt, das bärtige Kinn auf die gefalteten Pranken gelegt und versucht den Eindruck zu erwecken, als würde er hingerissen ihren Ausführungen lauschen, doch mit einem Auge und unverhohlener Gier schielt er ständig nach Beth und den gewaltigen Platten mit Gänsebraten, Kartoffeln, gestampftem Rotkraut und all den Köstlichkeiten, die verlockend duftend an ihm vorbeigetragen werden und ihren Platz auf dem Tisch finden. Raven macht den Mund auf und will gerade ansetzen, von Hammerhand und seinen Kobolden zu erzählen, doch dann hält sie mitten in der Bewegung inne, klappt den Mund unverrichteter Dinge wieder zu, lässt die Hände sinken und blickt irritiert zu Caewlin und dann wieder zurück zu Borgil und seiner Frau, und in ihrer Miene spiegelt sich plötzlich ein Funke der Erkenntnis wider. Mit einem Mal weiten sich erschrocken ihre Augen und ein feiner rosa Schimmer kriecht über ihre Wangen, während sie ein wenig beschämt in ihrem Begeisterungssturm innehält. Du meine Güte, ich sollte besser still sein und einfach die Klappe halten ..... sie müssen ja glauben, dass ich nur herumprotzen will und zum größten Aufschneider unter der Sonne geworden bin. Dabei ist es einfach nur Freude, die sie verspürt und teilen will, und nichts läge ihr ferner, als mit irgendwelchen Dingen herumzuprahlen, die sie zudem nicht einmal selbst geschaffen hat. Dennoch wechselt sie abrupt das Thema und quetscht stattdessen Borgil nach seinen Verletzungen, nach der Harfe, nach seinem Nachwuchs und allen möglichen anderen Dingen aus.

Ihr Blick fällt auf Azra, die still und schweigsam neben ihm sitzt, ihre schmalen, weißen Hände haltsuchend in Stelzes Nackenfell vergraben hat und sich mit großen Augen staunend umsieht. Der Tag ist so düster und neblig, dass der spärliche Lichtschein, der durch die hochgelegenen Fenster hereinsickert, kaum bis in die ebenerdige Küche dringt, und so haben sie zusätzlich zum Herdfeuer noch ein wahres Meer von Kerzen und Laternen entzündet, die den großen, behaglichen Raum in warmen Goldschein tauchen, sich funkelnd im blankpolierten Kupfergeschirr spiegeln und das Küchengewölbe noch gemütlicher wirken lassen, als es ohnehin schon ist. Doch trotz all der Behaglichkeit und anheimelnden Atmosphäre wirkt Azra irgendwie angespannt. Seitdem sie und Borgil das Haus betreten haben, hat sie kaum einen Laut von sich gegeben und sich nur still und schweigend umgeblickt. Kein Wunder, du lässt ja auch niemanden zu Wort kommen ... und dann noch Bethel und Dalla mit ihrem Geschnatter, sie muss sich ja wie erschlagen fühlen. Das einzige, was sie von ihr überhaupt vernommen hatte, war ein ehrfürchtig gehauchtes >Mylord, vielen Dank, dass Ihr uns empfangt< gewesen und dann Caewlins belustigtes Schnauben angesichts dieser förmlichen Wortwahl. Raven hatte gerade noch aus den Augenwinkeln einen Blick auf die beiden erhaschen können, bevor sie mit dem Zwerg im Schlepptau Richtung Badezimmer verschwunden war, und der Ausdruck in Azras Gesicht hatte sie eindringlich daran erinnert, wie Caewlin jemandem erscheinen muss, der ihn nicht oder nur flüchtig kennt: düster, drohend, einschüchternd, und in jedem Fall ziemlich furchteinflößend. Schon allein seine schiere Größe lässt ihn mehr als beeindruckend wirken. Und doch hat er auch ganz andere, verborgene Seiten... Sie braucht nur daran zu denken, wie sanft er sein Ungeborenes letzte Nacht in den Schlaf gewiegt hat, wie erschreckend zärtlich er trotz allem sein kann, und schon schlägt ihr Herz einen Takt schneller und die Zunge klebt ihr irgendwo am Gaumen. Zum Glück kann Borgil, den sie in diesem Augenblick hinter sich her gezerrt hatte, nicht Gedanken lesen, sonst hätte ihre Gesichtsfarbe ganz bestimmt den Tomaten aus Bethels Küchengarten Konkurrenz gemacht.

Es kostet sie demnach auch einige Mühe, ihre herumgaloppierenden Gedanken wieder auf den Besuch zu konzentrieren und während die Tischplatte nun allmählich völlig unter Tellern, dampfenden Schüsseln und Schalen verschwindet und sie sich genussvoll an der knusprig braun gebratenen Gans gütlich tun, erzählen sie sich gegenseitig von den zahllosen Blessuren, die sie von dem Kampf gegen die ganzen Höllenkreaturen davongetragen haben und tauschen die neuesten Gerüchte aus, die ihnen zu Ohren gekommen sind. Der einzige, den das Gespräch nicht im Mindesten interessiert, ist Brynden, der stattdessen unverwandt auf den abgedeckten Korb starrt, den Azra nicht aus den Augen lässt und der seine ganze Aufmerksamkeit fesselt. Als sie mit dem Essen fertig und bis obenhin mit all den Köstlichkeiten abgefüllt sind, die Bethel fabriziert hat, kann er seine Neugier schließlich nicht länger bezähmen, rutscht von der Bank, tappt zu seiner neuen, weißhaarigen Freundin hinüber, zupft sie am Ärmel und verlangt energisch zu wissen, was denn unter dem Tuch sei. Raven will ihm schon erklären, dass es ziemlich unhöflich ist, seine Gäste so zu löchern, doch dann zieht Azra tatsächlich das Tuch beiseite, die Wangen vor Verlegenheit gerötet und leise, unverständliche Worte vor sich hin murmelnd, und eine stattliche Anzahl kleiner, gut verschnürter Päckchen kommt zum Vorschein, die sie auf jedem freien Fleckchen Tisch zwischen leeren Schüsseln und Tellern mit abgenagten Knochen deponiert. Ravens Augen werden angesichts der ganzen Geschenke immer größer und sie ist so verblüfft, dass es ihr förmlich die Sprache verschlägt. Bevor sie sich versieht, wird sie von Azra zaghaft umarmt und hört sie mit tränenerstickter Stimme leise Dankesworte flüstern. "Ach du meine Güte", erwidert Raven vollkommen perplex und wirft einen mehr als hilflosen Blick zu Caewlin hinüber. "Das wäre doch gar nicht nötig gewesen, also wirklich, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, du lieber Himmel, ihr müsst doch deswegen keine solchen Geschenke machen, ich hab doch gar nichts getan, ich hab Borgil doch nur den Finger in den Hals gesteckt, herrje..." Vor Rührung hat sie auf einmal einen dicken Kloß im Hals sitzen und sie drückt die kleine Blutelbin fest an sich - zumindest so viel, wie sie von der hochschwangeren Azra mit ihrem kugelrunden Bauch noch ohne Schwierigkeiten erreichen kann. "Danke, wirklich ... das ist furchtbar lieb von euch allen."

Sie versucht, von den Geschenken zu retten, was zu retten ist, bevor die sorgsam eingewickelten Päckchen gänzlich Bryndens neugierigen Fingern zum Opfer fallen, und neben einer Schachtel köstlich aussehender Apfel-Zimt-Pasteten packt sie zwei kleine Strohpuppen aus und dazu noch ein feines besticktes Leinenhemd. "Ihr seid ja völlig übergeschnappt", entfährt es ihr, als Azra erzählt, dass die halbe Harfenbelegschaft an den Geschenken mitgearbeitet hat, und ihre Wangen röten sich vor Verlegenheit und Freude, während sie sich probehalber das Hemd vor die Brust hält und an sich hinunterschielt. Die Stickereien an Kragen und Säumen sind so fein und gleichmäßig, dass Halla und Grid ihre liebe Not damit gehabt haben müssen, und Raven weiß die Arbeit sehr wohl zu schätzen - ganz abgesehen davon, dass sie ein warmes Hemd für den Winter wirklich dringend gebrauchen kann. Einige Augenblicke herrscht wildes Durcheinander am Tisch, weil jeder einen Blick auf die mitgebrachten Sachen werfen will, dann zieht Azra noch ein sehr kleines, sehr schmales Päckchen aus dem Korb hervor, das sie Raven reicht. >Das ist von mir. Ich kann nichts wirklich besonders gut, weder kochen noch nähen noch stopfen oder was weis ich und ich besitze nur wenig, aus der Zeit, bevor ich Borgil kennen lernte. Aber das hier ist etwas davon und damit möchte ich euch selbst noch einmal danken für die Rettung Borgils.< Zweifelnd sieht Raven sie an und will schon einwenden, dass es der Gaben nun wirklich genug sei und sie nicht noch mehr annehmen kann, doch die Blutelbin fährt mit leiser, fast flehender Stimme fort und sie kann das Zittern darin kaum verbergen. Allein ihr drängender Tonfall drückt aus, wie wichtig es ihr ist. >Bitte, nehmt es.< Vorsichtig löst Raven die feinen Schnüre und das Lederstück, in dem der Gegenstand eingeschlagen ist, und dann purzelt auf ihre Handfläche eine goldene Haarnadel, kaum so lang wie ihr Zeigefinger, mit einem kleinen, schimmerndem Halbedelstein in einer Fassung, die wie ein zierlicher Rabe geformt ist. Sprachlos starrt Raven das Schmuckstück an, dann hebt sie den Blick und blinzelt verwirrt in Azras erwartungsvolles Gesicht. "Sie ist wunderschön .... aber ich kann das nicht annehmen, das ist ja viel zu wertvoll." Sie weiß kaum etwas über die Vergangenheit der Blutelbin, doch sie kann aus ihrer Stimme hören, dass die Nadel ein geliebtes Erinnerungsstück sein und ihr viel bedeuten muss, ganz abgesehen von dem materiellen Wert, den sie zweifelsohne besitzt. Aber sie schüttelt so vehement den Kopf, dass sie silberweißen Haare nur so fliegen, und weigert sich hartnäckig, die Haarnadel wieder zurückzunehmen, obwohl Raven auf sie einredet wie auf ein krankes Pferd. "Was habe ich denn schon groß getan?" versucht Raven abzuwiegeln und gibt ein leises Schnauben von sich - oder vielleicht ist es auch so etwas wie ein gerührtes Schniefen, so genau lässt sich das nicht feststellen. "Nicht mehr, als jeder für seine Freunde tun würde. Und wahrscheinlich kann er sich noch glücklich schätzen, wenn er wegen mir keine Blutvergiftung oder Schlimmeres davongetragen hat." Sie drückt Azra verlegen lächelnd einen Kuss auf die Wange. "Danke. Ich weiß, dass es ein wertvolles Geschenk ist, und ich werde gut drauf aufpassen." Mit einem zuckersüßen Lächeln schielt sie zu Borgil hinüber und schenkt ihm ihren unschuldigsten Augenaufschlag. "Aber dafür musst du diesen wildgewordenen Zwergen im Auge behalten und dafür sorgen, dass er nicht auf seine alten Tage noch mehr solchen Unfug anstellt."

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Caewlin am 04. Dez. 2005, 11:06 Uhr
Zurück in der Halle und gerade auf dem Weg in die Küche, wo das Essen auf sie wartet, verteilt Borgil die mitgebrachten Geschenke aus seinem Korb und Caewlin reicht den Sommerwein, den der Zwerg ihm in die Hand drückt, mit einem gemurmelten Dank an Dalla weiter. Die Honigkugeln, die Borgil Brynden mitgebracht hat, verschwinden allerdings sofort mit rapider Geschwindigkeit im Mund seines Sohnes und Caewlin kann gerade noch verhindern, dass er sie alle auf einmal verdrückt und dann seine klebrigen Finger in Ravens Röcke krallt. "Nej, min Skrollan. Hiergeblieben." Er erwischt den naseweisen Bengel am Kragen und windet ihm dann geduldig die Honigkugelreste aus den Fingern. "Du bleibst bei mir jetzt und vor dem Essen gibt es keine weiteren Süßigkeiten mehr." Als sie endgültig in die Küche hinübergehen - sie haben zwar einen großen Tisch und Stühle für die Halle im Handwerkerviertel in Auftrag gegeben, als sie dort waren, um einen Baumeister aufzutreiben, aber der wurde noch nicht geliefert -, fragt Borgil, der Prioritäten setzen kann, nach dem Kind und dem Essen, und Caewlin hätte ihm auf beides gern geantwortet, doch zu mehr, als einem "Nun..." kommt er nicht einmal. Dalla und Beth fühlen sich prompt angesprochen, vergessen völlig, dass sie bestimmt nicht gemeint waren, und überschlagen sich augenblicklich darin, dem Zwergen die gewünschten Erklärungen zu liefern - was das Essen, wie das Kind gleichermaßen angeht. Verwirrende Wortfetzen und Satzfragmente schwirren durch die Küche, bis keiner mehr weiß, was gerade gemeint ist, und Dalla hüpft dabei - selbstverständlich ohne ein einziges Mal ihren Redefluss zu unterbrechen oder auch nur Atem zu holen -, wie eine Springwachtel zwischen ihnen herum, um sie alle am Tisch zu versammeln. Caewlin tauscht einen kurzen Blick mit Raven, schnaubt vernehmlich und bringt die beiden schwatzhaften Elstern, die sich Köchin und Magd schimpfen, dann mit einem leisen, aber unmißverständlichen "Genug jetzt!" zum Schweigen, bevor außer ihnen überhaupt niemand mehr zu Wort käme. Dalla läuft puterrot an und klappert hastig mit ein paar Holzbrettern in Richtung Spülküche davon, und Bethel besitzt immerhin den Anstand, ein "Verzeihung, M'lord," hervorzumurmeln, bevor sie beginnt, das Essen aufzutragen. Caewlin setzt sich Brynden auf den Schoß, schneidet dem Kleinen Fleisch und überbackene Kartoffeln mit seinem Munddolch in kleine Stücke und hilft ihm hin und wieder, ein größeres Löffelunglück zu verhindern, während Azra sich mit großen Augen umsieht, und Raven immer noch dabei ist, mit leuchtendem Blick und beredten Gesten Borgil von ihrem Bad vorzuschwärmen. Sie redet, wie stets, wenn sie sich für etwas wirklich begeistert, mit Händen und Füßen und glühenden Wangen, und ihr Zeigefinger zeichnet niedliche kleine Kreisel in die Luft, als sie den Mechanismus der Griffe im Drachenkopf erklärt, die man tatsächlich einfach nur drehen müsse, um das Wasser sprudeln zu lassen.

Als sie zum dritten Mal von den Rohrleitungen und den Kessel im Keller anfängt, tauscht Caewlin einen amüsierten Blick mit dem Zwerg und beobachtet dann, wie seine hingerissen gestikulierende Frau abrupt verstummt, von einem zum anderen blickt, bemerkt, dass alle Augen auf ihr ruhen, und prompt noch ein wenig rosaner um die Nasenspitze wird. Raven wechselt hastig das Thema, doch auf Borgil ist wie immer Verlass. Der Zwerg blinzelt sie aus schwarzen Augen an, stützt sein bärtiges Kinn auf eine Faust, kann es nicht lassen, sie ein wenig aufzuziehen, säuselt, sie solle ihm das mit dem Wasser doch auch noch ein viertes Mal erklären, und weicht dann gerade noch rechtzeitig einem drohend in seine Richtung geschwenkten Brotkanten aus. Raven murmelt halb betreten, halb empört etwas von "Banausen" und "sie fände es eben so schön", und plaudert dann mit Azra, während er sich mit Borgil noch ein wenig über Hammerhand unterhält und Brynden von seinen Koboldsfreunden erzählt. Der Kleine ist inzwischen abgefüttert und hat neben Borgil auf der Bank Platz genommen, der bereitwillig ein Stückchen zur Seite gerückt war. Irgendwann kommt ihr Gespräch unweigerlich auf den Tag des Dämonenangriffs, auf das, was auf dem Sithechhain damals geschah, nachdem Borgil umgekippt war, und wie es ihnen allen seither ergangen ist und so fort, bis es Brynden nicht mehr am Tisch hält. Pappsatt und mit Saucenflecken auf dem Hemdchen erklärt er mit rollendem sturmender Akzent in breitestem Normdandik: "Jag har långtråkigt, far!", windet sich von der Bank, sobald Caewlin genickt hat und steuert dann zielsicher auf Azras Korb zu. Borgils Frau ist schon seit sie über die Türschwelle getreten war ungewöhnlich still - oder jedenfalls sehr viel stiller als Caewlin sie noch vom Inarifestessen im vergangenen Frühjahr in Erinnerung hat -, beteiligt sich außer mit einem verhaltenen Lächeln nicht ein einziges Mal am Geplänkel zwischen ihrem Mann und Raven über das Bad und auch sonst kaum an ihren Gesprächen, doch mit dem impertinent neugierigen Brynden an ihrer Seite, der vor lauter Ungeduld schon fast kopfüber in ihrem Weidenkorb hängt, taut sie ein wenig auf. Sie steht auf, eilt um den Tisch herum an Ravens Seite und verteilt ihre Geschenke - ein besticktes Hemd und zwei Strohpuppen - an seine Frau, die alle Hände voll damit zu tun hat, gleichzeitig das Kleidungsstück zu bewundern und Brynden davon abzuhalten, die Puppen sofort in ihre Einzelteile zu zerrupfen, während sie mit belegter Stimme erklärt. >Ach du meine Güte. Das wäre doch gar nicht nötig gewesen, also wirklich, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, du lieber Himmel, ihr müsst doch deswegen keine solchen Geschenke machen, ich hab doch gar nichts getan, ich hab Borgil doch nur den Finger in den Hals gesteckt, herrje...<

Caewlin fängt einen fast bestürzten Blick von ihr auf, aber er lächelt nur. Hätte sie damals auf dem Sithechhain wirklich "doch gar nichts" getan, säße Borgil jetzt nicht hier. Er weiß es, Azra weiß es, sie weiß es und der Zwerg weiß es ebenso. Dalla watschelt mit einer bauchigen Kanne an den Tisch und Caewlin lehnt sich zurück und nimmt dankbar eine Schale dampfend heißen Cofeas entgegen. Die Mogbarmagd hat inzwischen das Geschirr fort- und den Kuchen, den Cofea, einen Krug frische Sahne und ein Schälchen mit ein paar Stücken kostbaren Zuckers aufgetragen, und nutzt die Gelegenheit auch gleich, um ungehemmt und wortreich Azras Gaben zu bewundern, vor allem die feinen Stickereien und den schönen grünen Stoff. Die Strohpuppen bekommt sie allerdings kaum zu Gesicht, denn Brynden verschwindet augenblicklich mit ihnen, seinem Stoffhäschen und den zurück erbeuteten Honigkugeln - und lauthals nach Runa krähend -, im Gesindetrakt, zweifellos, um seine neuesten Errungenschaften vorzuführen. Das letzte - und sehr viel kleinere - verschnürte Bündel, muss Azra Raven förmlich aufdrängen, während sie sich immer wieder und halb tränenerstickt für Borgils Rettung bedankt, so nachdrücklich, dass der Zwerg gegenüber den beiden allmählich unruhig auf seinem Stuhl hin und herrutscht. Doch als Raven sich geschlagen gibt und es schließlich auspackt, stürzt die goldene Nadel sie vollends in Verlegenheit. >Sie ist wunderschön .... aber ich kann das nicht annehmen, das ist ja viel zu wertvoll.< Sie versucht ebenso hektisch wie vergeblich, Azra das Geschenk irgendwie zurückzugeben, doch davon will Borgils Frau nichts wissen und besteht darauf, dass Raven es behält - so lange, bis sie irgendwann aufgibt. >Danke. Ich weiß, dass es ein wertvolles Geschenk ist, und ich werde gut drauf aufpassen. Aber dafür musst du diesen wildgewordenen Zwergen im Auge behalten und dafür sorgen, dass er nicht auf seine alten Tage noch mehr solchen Unfug anstellt...< Caewlin tauscht einen Blick mit Borgil, als sich das Geschenkehinundher zwischen den beiden Frauen schließlich in augenfeuchter, tränenschnüffelnder Rührung auflöst - und bemüht sich dann synchron mit dem Zwerg umgehend um einen möglichst undeutsamen Gesichtsausdruck. Seine Gedanken schweifen zurück zu jenen Stunden auf dem Knochenacker. Er weiß nicht, was Azra dort eigentlich gewollt und auch nicht, was sie getan hat, aber er weiß, das Borgil ihr vom Marktplatz aus zum Sithechhain nachgehetzt war - mit Cron und ihnen selbst -, obwohl er zu diesem Zeitpunkt unter seiner schweren Rüstung schon längst in seinem eigenen Blut geschmort haben musste. In seinen Gedanken hört er Borgil noch einmal Azras Namen brüllen und erinnert sich, dass sie alle bei seinem Ton selbst inmitten dieses Alptraums noch zusammengefahren waren. Die Bilder ihres verzweifelten Kampfes um die Gruft ziehen vor seinem Inneren Auge vorbei, als er nachdenklich goldene Haarnadel in seiner Handfläche wiegt, die Raven ihm gereicht hat, damit er sie sich ansehen kann. "Habt ihr etwas von den anderen gehört? Wir haben Niniane und Cron Anfang des Nebelmonds besucht, und Nan hat sich einigermaßen erholt, aber wir wissen nicht, wie es Morgana und ihrem Spitzohr geht oder was mit Olyvar, Kizumu und Arwen ist... jedenfalls nicht genau. Die üblichen Gerüchte..." er wirft Dalla einen kurzen Blick zu, die auch prompt zusammenzuckt, "kennen wir."  

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Borgil am 07. Dez. 2005, 00:36 Uhr
Borgil, noch ganz im Hochgefühl seine Lieblingskratzbürste - endlich! - ein wenig mit ihrer überschwenglichen Badezimmerbegeisterung aufziehen zu können, verfolgt das Verteilen der Geschenke durch Azra mit wachsender Verlegenheit und noch viel größer werdender Rührung, als er bemerkt, wie überschwenglich... oder nachdrücklich... sie sich bei Raven für seine Rettung bedankt, und ertränkt beides hastig in einem Becher Cofea. Er hat ja geahnt, dass Azra hauptsächlich aus diesem Grund hierher gewollt hatte, aber dass sie deshalb gleich eine ihrer goldenen Haarnadeln hergeben würde, damit hat er nicht gerechnet. Nicht, dass er selbst Raven nicht dankbar wäre, dafür, dass sie einen ihrer niedlichen kleinen Finger in seinen Hals gesteckt hatte, nicht, dass er Caewlin nicht dankbar dafür wäre, dass der Sturmender sie alle gegen wissen die Götter allein wie viele Untote verteidigt hatte, aber... nun ja, seine Dankbarkeit ist einfach praktischerer Natur. Er weiß sehr wohl zu schätzen, was die beiden für ihn und auch Azra getan hatten und ist sich dessen auch durchaus bewusst, aber zwischen Freunden, wie sie es sind, zwischen Waffengefährten, Waffenbrüdern oder -schwestern, wie auch immer, bedarf es darüber keiner großen Worte. Und die wenigen, die ausdrücken würden, was er empfindet, spricht Raven für ihn aus: >Was habe ich denn schon groß getan? Nicht mehr, als jeder für seine Freunde tun würde.< Sie hatte getan, was getan werden musste, ebenso wie der Sturmender, ohne zu fragen oder auch nur nachzudenken - und Borgil hätte jederzeit dasselbe für sie getan. Nun ja, vermutlich hätte sie sich schön bedankt, wenn er ihr einen seiner schwieligen, knorrigen, eisenharten Lederfinger in den Hals gerammt hätte, durchlöcherte Ader hin oder her, aber er hätte alles in seiner Macht stehende unternommen, um ihr Leben zu retten, mit dem gleichen stillschweigenden Selbstverständnis, wie sie das für ihn getan hat. Azra mag es ja nicht bewusst sein, aber mit ihren - zweifellos nur gut gemeinten - Geschenken hat sie sie vermutlich alle drei in betroffene Verwirrung gestürzt. Darüber, wer wann wem wo und wie den Hintern gerettet hat, führen sie schon lange kein Buch mehr und das ist auch weder nötig, noch soll es sein. Trotzdem rührt Borgil die Arzt seiner Frau, sich für sein Leben zu ... nun ja, bedanken, zutiefst und er verträbt seine Nase noch ein wenig weiter in seinem Cofeabecher.

Raven ihm gegenüber indeß gibt sich irgendwann geschlagen, nimmt die Nadel an, drückt Azra einen Kuß auf die Wange, schickt ihm selbst einen wimpernklimpernden Blick und überspielt ihre eigene Rührung dann prompt mit einem kleinen Scherz. >Danke. Ich weiß, dass es ein wertvolles Geschenk ist, und ich werde gut drauf aufpassen. Aber dafür musst du diesen wildgewordenen Zwergen im Auge behalten und dafür sorgen, dass er nicht auf seine alten Tage noch mehr solchen Unfug anstellt...< Borgil wechselt einen kurzen Blick mit Caewlin, der gleichzeitig Bände spricht, leise Belustigung über das gefühlsduselige Weibsvolk ausdrückt und voll ist von allem, worüber sie niemals viele Worte machen würden. Dann besinnt er sich, wenn auch mit einiger Verspätung, doch noch auf seinen Ruf als polterndes Raubein. "Mmmpf!" Schnaubt er also gespielt beleidigt. "Alte Tage? Ich bin im besten Zwergenalter, ja, nur um das ein für alle Mal klarzustellen. Und seit wann ist eine zünftige Prügelei mit ein paar wildgewordenen Höllenviechern bitteschön "solcher Unfug", hä?" Raven streckt ihm die Zunge heraus, aber dann lächelt sie nur und reicht die goldene Nadel ihrem Mann. Caewlin betrachtet das Schmuckstück nachdenklich eine ganze Weile, ehe er sich vollkommen ernst und unberührt von ihrer beider Bemühungen, ihre kolossale Verlegenheit in derbe Scherze und freundschaftliche Frotzeleien zu kleiden, nach ihren übrigen Freunden erkundigt. >Habt ihr etwas von den anderen gehört? Wir haben Niniane und Cron Anfang des Nebelmonds besucht, und Nan hat sich einigermaßen erholt, aber wir wissen nicht, wie es Morgana und ihrem Spitzohr geht oder was mit Olyvar, Kizumu und Arwen ist... jedenfalls nicht genau. Die üblichen Gerüchte... kennen wir.<
"Ay, haben wir... Das heißt, bis auf Olyvar habe ich von niemandem persönlich etwas erfahren, aber... ja, ich weiß, wie es allen geht." Borgil leert seinen Cofeabecher - wie Raven und Caewlin dieses sündhaft teure Wüstengebräu nur ohne jeglichen Zucker oder Rahm hinunterschütten können, ist ihm völlig schleierhaft, aber er muss ja kein pures Steinöl trinken - und schenkt sich aus der heißen Kanne nach, die inzwischen mitten auf dem Tisch auf einem kleinen Kupferstövchen steht, dann zuckt er mit den Schultern.

"Nun, Kizumu und Olyvar haben bis auf ein paar Kratzer nichts abbekommen, aber Ieras und Kea, ihr wisst schon, Kizumus Sohn und das Schmiedemädel, die haben bei den Löschtrupps geholfen und waren wohl ein wenig mitgenommen. Morgana war auch nicht verwundet, soweit ich erfahren habe, nur zu Tode erschöpft vom Einsatz ihrer Magie, ebenso wie Arwen." Er sieht Azra an, aber sein Blick ist absolut undeutbar und dann lächelt er leicht, wenn auch melancholisch. "Ihrem Spitzohr fehlt auch nichts. Aber der Amurpriester, der auch mit von der Partie war, ist leider tot. Ich habe keine Ahnung, wer er war, außer dass gemunkelt wird, er sei ein waschechter Wasserfeenmann gewesen, der Bruder von dieser Zuckerbäckerin, deren Namen ich immer vergesse... Asari, Asira... nein, Asrai. Macht wirklich leckeres Konfekt, die Geliebte dieses unsäglichen Sehers. Der soll übrigens auch dabei gewesen sein. Mit ihr zusammen. Der Seher und Asrai, in der Gruft meine ich. Jedenfalls hat Olyvar erzählt, dass die Blaumäntel, die nach Cron in das Mausoleum gegangen sind, ihn und diese Asrai da herausgeholt hätten... ich habe allerdings keine Ahnung, wie sie da hineingekommen sind. Müssen schon drin gewesen sein, bevor Nan mit ihrem Priestergeschwader auf dem Friedhof aufgetaucht ist. Aurian, die kennt ihr ja, also der... der geht es nicht sonderlich gut, nach allem, was ich gehört habe. Hat sie wohl ziemlich übel zugerichtet, der Dämon, jedenfalls wurde sie nach TianAnmen gebracht. Ich weiß nicht genau, was sie eigentlich hat, aber die Weiße Dame wird das schon richten... wenn sie es nicht kann, kann es niemand. Und mein verloren gegangener Matador, ich meine Cleyron... war der nicht einer deiner Späher auf dem Nargenfeldzug, Caewlin?... ist auch wieder aufgetaucht. Wie es scheint, hat er allerdings einen ziemlichen Schlag auf den Kopf abbekommen, denn laut den Blaumänteln kann er sich zur Zeit nicht einmal mehr daran erinnern, dass er ein waschechter Vampir ist. Wenn es nicht so übel wäre, könnte man fast lachen... im Kielwasser dieser unsäglichen Dämonengeschichte sind schon ein paar komische Dinge geschehen. Na, immerhin haben wir jetzt einen funkelniegelnagelneuen Marktplatz, das Pflaster war ohnehin nicht mehr das beste. Die Harfe war ein bißchen angekokelt und naja... wie es in der Stadt ausgesehen hat, wißt ihr selbst, aber inzwischen ist fast alles wieder aufgebaut und hergerichtet... sogar der Knochenacker, wo eine Hundertschaft Priester die letzten Wochen damit beschäftigt war, Knochen zu sortieren. Ach apropos..." Borgil nestelt eine Geldkatze von seinem Gürtel, die rund und prall randvoll mit klingenden Münzen gefüllt ist und schiebt sie quer über den Tisch zu Raven hinüber. "Hier, das schulde ich dir noch. Besten Dank, dass du mir den Grund zurückverkauft hast, auf dem dein altes Häuschen stand... von dem war leider nichts mehr zu retten, aber das war kaum ein Gebäude in dieser Straße, also haben wir gleich alles neu aufgebaut. Jetzt stehen dort lauter kleine, gute Läden und Katen und ich verspreche mir einige Pachteinnahmen davon."  

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Azra am 08. Dez. 2005, 14:12 Uhr
"Ihr seid ja völlig übergeschnappt", kräht Raven und Azra kann ein Schmunzeln ob der heillosen Verwirrung, die sie mit ihren kleinen Geschenken zu stiften scheint, nicht unterdrücken, lässt sich von Raven zärtlich umarmen und geht schliesslich strahlend wie Shenra persönlich zu ihrem Platz zurück, die Wangen rot wie die prächtigsten Rosen. "Aber dafür musst du diesen wildgewordenen Zwergen im Auge behalten und dafür sorgen, dass er nicht auf seine alten Tage noch mehr solchen Unfug anstellt." Ein leises und überaus belustigtes Kichern entfährt Azra, als sie das hört und nachdem sie unter leisem Schnaufen und stummen Gebeten, dieser Bauch möge endlich wieder kleiner werden, wieder auf dem Stuhl Platz genommen hat, blinzelt sie Borgil verlieb an und meint sanft, jedoch mit unüberhörbarer Ironie: „Versprechen kann ich es ganz sicher nicht, so leid es mir tut, aber es ist wohl einfacher einen verrückt gewordenen Dämon zu zähmen, als Borgil davon abzuhalten, ein paar Schädel mit seiner Axt zu spalten… und er bekommt ja selten Genug eine solche Gelegenheit und ich hätte auch keinen blassen Schimmer, wie ich das bei allen Göttern, denn anstellen sollte. Ich meine, es ist schon schwer genug, ihm irgendwo zwischen Bestellung und Ausschank ein paar wenige ruhige Momente aufzudrängen, da will ich lieber nicht denken, wie sehr es ihn ärgern würde, wenn er Streitereien und einem herzhaften Kampf aus dem Wege gehen müsste.“ Scherzhaft ist es gemeint, und jeder weiss es und das sanfte Augenklimpern irgendwo zwischen Zärtlichkeit und vollkommenem Ernst, das sie Borgil zuwirft, verstärkt es auch deutlich. Sie kann sich nur zu gut an die grässlichen Todesängste erinnern, die sie ausgestanden hat, als er ihr beinahe unter den Händen verblutet wäre und würde sie es verhindern können, dass er das nächste mal wie ein vorlauter Jungspund über den Marktplatz hüpfen und Höllenkreaturen in Scheibchen schneiden würde, so würde sie ihn sofort und ohne Widerrede gelten zu lassen ans Bett fesseln, um ihn von solchen Dummheiten abzuhalten… Nun ja, wenn sie ihn bis zum Bett bekommen würde, ansonsten bliebe ihr wieder einmal nichts anderes übrig, als hinter ihm herzuhüpfen und seine Idee für übergeschnappt und selbstmörderisch zu erklären, bis er sie mit einem Grinsen darauf hinweisen würde, dass das hier doch der grösste Spass überhaupt auf Rohas weitem Rund sei. Ihn davon abhalten solchen Unfug anzustellen. Es wäre einfacher eine Mauer zu überzeugen, weich zu werden wie Schnee. Borgil bestätigt ihren Gedanken mit einem fast empört klingenden Schnauben und einem: "Alte Tage? Ich bin im besten Zwergenalter, ja, nur um das ein für alle Mal klarzustellen. Und seit wann ist eine zünftige Prügelei mit ein paar wildgewordenen Höllenviechern bitteschön "solcher Unfug", hä?" Raven streckt ihm frech die Zunge heraus und Azra gluckst vor sich hin, den Blick zwischen Raven und Borgil hin und herschweifen lassend, die sich über den Tisch hinweg anfunkeln, bis Caewlin das witzige Geplänkel schliesslich unterbricht.

Der Nordmann wiegt die goldene Haarnadel in der schwieligen Hand und fragt mit ernstem Gesicht nach dem Verbleib Ninianes, Arwens und all den Anderen, die bei dem unsäglichen und grausamen Techtelmechtel mit diesem dreimalverfluchten Dämonen dabei gewesen sind. Azra kann beim besten Willen und trotz all ihren Versprechungen nicht verhindern, dass ihre Wangen eine Spur blasser werden und sie Borgils schwarze Augen in den Wirren ihrer Gedanken sucht, um die aufkeimende Nervosität und Bitterkeit dieses Themas zu beschwichtigen und sich in der unverrückbaren Tiefe seines Blickes festzukrallen. Ihre Schultern sinken ein wenig vor und unbehaglich berührt von der Sorge des Sturmlords um die Elbin und die Anderen, rutscht sie – nun, bugsiert sie sich selbst, ist wohl angebrachter bei ihrer Leibesfülle – auf dem Stuhl umher und versucht irgendwie ein Lächeln auf ihre Züge zu zerren, dort wo eben noch das strahlende Schmunzeln gewesen ist. Voller Unbehagen lauscht sie Borgils Worten, nickt hie und da, als hätte er sie angesprochen und als er sie schliesslich anblickt – in den Tiefen seines Blickes ist soviel zu erkennen, als würde sie in einen Brunnen starren – und zu lächeln beginnt, macht ihr Herz einen solchen Satz, dass sie nach Luft schnappen muss. Es ist ein Wunder das niemand sonst das Klopfen in ihrer Brust wahrnimmt, dass sich anfühlt, als würden Zergenfäuste gegen ihre Rippen hämmern. Das Lächeln unter seinem gewaltigen Schnurrbart löst schliesslich auch noch die letzten Zweifel und eine Last, sicher so gross wie der ganze Wolkenthron löst sich von ihren Schultern und zersplittert in tausend Einzelteile. Ich werde zu ihr gehen und mich entschuldigen. Das ist alles was ich tun kann. Jawohl. Ein fahles Schmunzelns stiehlt sich auf ihre Züge, als sie sich selbst dabei ertappt, wie sie sich Mut zuspricht und ihre Finger spielen mit dem weichen Stoff ihres Kleides, derweil sie den Ausführungen ihres Mannes lauscht. Sie wundert sich schon lange nicht mehr, woher er all diese  Dinge weiss, obwohl keiner der besagten Personen jemals persönlich bei ihm vorbeigekommen ist und ihre Mundwinkel wandern noch ein wenig mehr in die Höhe, als sie daran denkt, wie er sich gestern klar darüber geworden ist, wie nah er an Sithechs Hallen vorbeigerasselt ist, wo doch seine Frau plötzlich mehr wusste, als er. Währendem sie den vierten Löffel Zucker und den dritten Schuss Milch in das schwarze Teufelsgebräu gibt - von dem man regelrecht süchtig werden kann – und die Oberfläche dabei beobachtet, wie sie von tiefschwarz zu hazelnussbraun verschwimmt, erzählt Borgil von Ieras und Kea, welche sie beide nicht kennt, von Kizumu und Ollyvar, bei dessen Erwähnung ihre Nasenspitze plötzlich aussieht, als hätte man sie in Himbeersauce getunkt, von Morgana und ihrem Spitzohr, die beide zwar reichlich angeschlagen, aber doch wieder heil wären, von einem gestorbenen Amurpriester, seiner Schwester, der Keksbäckerin Asrai und deren Geliebten, dem Seher. Azra zuckt zusammen, als hätte jemand ihr mit einer Nadel in den Hintern gestochen und nebst einem völlig unbegründeten Funken an Angst, kriecht auch eine gewisse Wut zutage, was offen in ihrem Gesicht zu lesen ist. Hmpf… Wäre er gestorb… uhh… nein, das darf ich nicht denken. Sachte schüttelt sie den Kopf und wirft Raven, sie sie fragend anschaut, einen entschuldigenden Blick zu, nur um ihre Nase dann sogleich in ihrem dampfenden Becher zu vergraben. Als Borgil jedoch Cleyron erwähnt, einen Vampir, der anscheinend nicht mehr weiss, dass er ein solcher ist, horcht sie auf und hebt verwundert eine Augenbraue, doch da ihr Gatte ohne Punkt und Komma erzählt, kommt sie erstmal nicht dazu nachzufragen und beobachtet nur schmunzelnd, wie Borgil Raven einen prall gefüllten Beutel über den Tisch schiebt, der vor lauter Münzen kaum mehr klimpern kann.

Es ist viel Geld, aber Azra weiss genauso gut, dass er diese Einnahmen in kürzester Zeit wieder in seinen eigenen Truhen haben wird, wahrscheinlich mehr als jemals zuvor, wenn ihn der Wiederaufbau auch so manches gekostet haben wird. Sie ist sich aber sicher, dass die Leute für diese gute Arbeit – wo er doch trotz Verbot das Bett zu verlassen, selber auf den Gestängen und Dächern seiner neu aufgebauten Häuser, Katen und Läden herumgeturnt war – auch gerne das Verlangte bezahlen werden und dann ist da ja auch noch die Harfe. Sie hat schon vor längerer Zeit damit aufgehört, sich darum Gedanken zu machen, wie reich Borgil in Wirklichkeit ist, es ist einfach so und es interessiert sie eigentlich auch nicht einen Deut. Beth und Dalla haben derweil für den Nachtisch gesorgt. Die beiden Damen wuseln zwischen Küche und Tisch hin und her, wie aufgescheuchte Hühner und tischen herrlich duftenden Streuselkuchen, frischen Cofea und zuckersüsse Honigfinger auf, deren Anblick genügt, um Azra das Wasser im Mund zusammen laufen zu lassen, doch mit anstrengender Diskretion hält sie sich selbst davon ab, sich mit glänzenden Augen auf die Köstlichkeiten zu stürzen und wirft dann erneut einen Blick zu Raven, bevor sie fragend sowohl Caewlin, als auch Borgil mustert: „Ein Vampir, der nicht mehr weiss, dass er ein Vampir ist?“ Ihre Augenbrauen ziehen sich nachdenklich zusammen und irgendwie will sich ihr nicht wirklich erschliessen, wie das denn funktionieren möchte: „Der Nargenfeldzug, das war doch der Krieg, oder der Kampf bei Liam Cailidh, oder? Wie kann dort ein Vampir mitgekämpft haben? Sind diese Wesen nicht an die Nacht gebunden?“ Nachdenklich neigt sie den Kopf und scheint plötzlich in weite Ferne zu starren, hinter die Schleier der Vergangenheit: „Talyra ist in mancher Weise seltsam, wenn man schon alleine seine Bewohner betrachtet. Aber… entschuldigt die Abschweifung, wie ist das eigentlich mit eu…“ Im letzten Augenblick fällt ihr Borgils reichlich verwunderte Miene auf, und kurz entschlossen verwirft sie ihre - aus ihrer Sicht sehr wohl angebrachte - Höflichkeit, hoffend das es ihr niemand übel nimmt, und spricht mit einer gewissen Neugierde in der Stimme weiter: „… mit euch gewesen? Ich meine, wie habt ihr euch alle kennen gelernt und… wie… also ich meine, ich möchte nicht… aehm… taktlos erscheinen mit meinen Fragen…  ihr müsst auch nicht darauf antworten, also beide nicht, ich bin nur interessiert und… neugierig und…?“ Als sie schliesslich nach Worten sucht, und ihr Mund dabei auf und zuklappt, wie ein Fisch, der an Land geraten ist, nehmen ihre Wangen die gleiche Farbe an, welche die Kirsche auf der puderweichen Sahne hat. „Eigentlich wollte ich einfach fragen, wie es einen Normander wie eu… dich… Caewlin“, sie spricht den Namen so kreuzfalsch aus, dass alle am Tisch ein amüsiertes Schnauben, Lachen oder Kichern nicht unterdrücken können und um diese kleine Peinlichkeit zu überspringen, spricht sie schnell weiter: „…ähm, ja, hierher verschlagen hat, ebenso wie dich Raven.“ Unentschlossen, ob diese Fragen jetzt eine sehr dumme Idee gewesen sind, oder nicht, greift sie schnell wieder nach ihrem Cofeabecher und es scheint beinahe so, als wolle sie darin versinken.

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Caewlin am 08. Dez. 2005, 22:47 Uhr
Caewlin hört sich schweigend an, was Borgil von den anderen zu berichten hat, nickt hin und wieder und wechselt schließlich einen stillen, amüsierten Blick mit Raven, als der Zwerg und Azra literweise Rahm in ihre Cofeabecher kippen und anschließend großzügig Zucker hineinschaufeln. Bevor er jedoch dazu kommt, irgendetwas zu erwidern, beschließt Borgils zierliche kleine Frau, ihre auffallende Schweigsamkeit zu beenden und sich doch noch an der Unterhaltung zu beteiligen. >Ein Vampir, der nicht mehr weiss, dass er ein Vampir ist?< Borgil zuckt nur mit den Schultern, eine ebenso vielsagende wie unverbindliche Geste, und Caewlin kann ein belustigtes Schniefen nicht unterdrücken - was für eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet Cleyron vergessen muss, was er ist. Er für seinen Teil jedenfalls kennt niemanden, der so sehr wie der Sithechjünger ständig damit beschäftigt gewesen war, die Welt auch bei jeder noch so kleinen Gelegenheit daran zu erinnern, wie untot und furchterregend er doch sei. "Hmpf. Scheint, als blieben selbst Vampire nicht von Gedächtnisverlust verschont. Muss ihn ganz schön verwirren... vor allem, wenn es ans... Essen geht." Borgil zuckt nur mit den Schultern, eine ebenso vielsagende wie ungerührte Geste und Caewlin schnaubt ein leises Lachen hervor. >Der Nargenfeldzug, das war doch der Krieg, oder der Kampf bei Liam Cailidh, oder? Wie kann dort ein Vampir mitgekämpft haben? Sind diese Wesen nicht an die Nacht gebunden?< Azras Blick schweift zwischen ihrem Mann und ihm selbst hin und her. Caewlin hat nicht vergessen, wie unbehaglich sie ihn angestarrt hat, ehe sie sich in steife Förmlichkeiten geflüchtet, und ein >Mylord, vielen Dank... dass Ihr uns empfangt,< gemurmelt hatte. Für einen halben Herzschlag hatte ihr Gesichtsausdruck ihn frappierend an den Runas erinnert, der seine Größe und seine tiefe Stimme immer Angst einjagen, ganz gleich wie ruhig und freundlich er mit ihr spricht. "Aye, die Schlacht von Liam Cailidh," erwidert er. Dann schüttelt er langsam den Kopf. "Cleyron ist ein Tagwandler - der einzige, den es gibt, soviel ich weiß. Der Lord Commander hatte ihn unter Eid genommen, und als wir nach Liam Cailidh aufbrachen, wurde er mir zugeteilt. Zusammen mit Kaney war er mein Späher auf dem Nargenfeldzug." Er zuckt mit den Schultern und schenkt sich selbst Cofea nach. "Cleyron ist ein furchtbarer Angeber, aber ein guter Fährtenleser. Und er kämpft nicht schlecht."

Azra nickt, doch sie wirkt sehr nachdenklich, als sie schließlich weiterspricht. >Talyra ist in mancher Weise seltsam, wenn man schon alleine seine Bewohner betrachtet. Aber... entschuldigt die Abschweifung, wie ist das eigentlich mit... < Sie zögert, tauscht einen Blick mit Borgil, gibt sich einen Ruck und fährt, offenbar zu neugierig geworden, um nicht zu fragen, doch fort >... mit euch gewesen? Ich meine, wie habt ihr euch alle kennen gelernt und... wie... also ich meine, ich möchte nicht... aehm... taktlos erscheinen mit meinen Fragen... ihr müsst auch nicht darauf antworten, also beide nicht, ich bin nur interessiert und... neugierig und...?< Sie verhaspelt sich ein wenig und Röte blüht auf ihren schneeweißen Wangen, ehe sie eilig weiterspricht. >Eigentlich wollte ich einfach fragen, wie es einen Normander wie eu... dich... Caewlin... ähm, ja, hierher verschlagen hat, ebenso wie dich Raven.< Caewlin tauscht einen Blick mit seiner Frau, die sich auf die Lippen beißt, um bei der Verballhornung seines Namens nicht laut loszuprusten und spürt seine eigenen Mundwinkel verdächtig zucken. Dann nimmt er Ravens schlanke Hand in seine und erklärt mit leiser Belustigung in der Stimme. "Man spricht es Kei-linn aus." Ihre Frage, was einen Normander wie ihn denn hierher gebracht hätte, lässt ihn allerdings schlagartig auf der Hut sein und im ersten Moment ist er schon versucht, mit einem Achselzucken und einem lapidaren "Hier ist es wärmer," so unverfänglich wie möglich zu antworten. Er war noch nie ein Mensch, der leicht etwas von sich preisgeben hat können, aber dann erinnert er sich, dass er auch Borgil nie erzählt hat, warum er den Norden verlassen hatte - und daran, dass er hier, in dieser vertrauten Runde, eigentlich nichts verbergen muss. Und plötzlich will er es auch gar nicht mehr... er mag Azra kaum kennen, aber sie ist Borgils Eheweib, der Zwerg vertraut ihr, und das genügt ihm. "Ich war sieben Jahre lang im Krieg," erwidert er ruhig. "Normand und Barsa, eine Insel im Kalten Ozean nicht weit von meiner Heimat, führten damals lange, blutige Kämpfe um die Vorherrschaft im Norden. Das letzte Kriegsjahr war ich in Gefangenschaft in einem Formorenkerker irgendwo in den Eingeweiden von Ys, und als ich endlich fliehen konnte, und der Krieg im Frühjahr darauf zu Ende ging, fand ich in Sturmende keine Ruhe. Ich fürchte, ich gehöre einfach nicht zu jenen Männern, die das Schwert nehmen und in den Kampf ziehen, ihre Waffen nach dem Krieg aber einfach wieder mit dem Spaten vertauschen, die Tochter des Nachbarn heiraten und damit zufrieden sein können. Die Wahrheit ist, ich war ziemlich am Ende mit mir selbst."

Ein vages Lächeln zuckt um seinen Mund, aber es erreicht seine Augen nicht und bleibt bestenfalls ein flüchtiger Eindruck. Und die Burg von Sturmende war einfach nicht groß genug für meinen Vater und mich und Caerons Schatten. Wie geht das alte Sprichwort noch? 'Man kann keine zwei Bären in einer Höhle halten'. Aye, und drei schon gar nicht. Er erinnert sich, wie ruhelos er gewesen war, wieviel Zorn in ihm gebrodelt hatte, schwarz und zerstörerisch, mahlend, brennend und doch kalt, so kalt. Er erinnert sich an das Gespräch mit Långbenet auf den Wällen der Burg an einem grauen, windigen Tag und wie bitter sein Vater geklungen hatte, als er endlich widerwillig bereit gewesen war, ihn gehen zu lassen. Dann geh und such deine Erlösung, wenn du sie hier nicht findest. Geh in eine der reichen Städte im Süden. Knüpfe ein paar Handelsbeziehungen für Sturmende, wenn du kannst. Wir haben Pelze, Bernstein und Tran und gutes Eisenerz im Überfluss. Lerne. Halte die Augen und Ohren offen. Diese Südländer sind verweichlichte Feiglinge, aber sie sind nicht dumm. Nimm alles an Wissen und Kenntnissen mit, was dir irgendwie nützlich erscheint... Von all dem schweigt er, als er fortfährt und das halbe Lächeln langsam auf sein Gesicht zurückkehrt. "Ich musste eine Weile fort aus dem Norden, also habe ich die alte Handelsstraße genommen, bin ab Torhof  immer nach Süden geritten und irgendwann hier gelandet. Die Stadt gefiel mir und so bin ich geblieben... in Borgils Harfe." Ein wölfisches Grinsen entblösst seine Zähne, als er dem Zwerg einen hintergründigen Blick zuwirft und Borgil rollt melodramatisch die schwarzen Augen - zweifellos um gleich zu erzählen, was für ein entsetzlicher Gast er war. "Ich weiß nicht mehr genau, auf wen ich damals zuerst getroffen bin, aber Raven lernte ich in einer Nacht kennen, in der es so sehr geregnet hat, dass selbst die Frösche ertrunken wären. Sie stand mitten auf dem Marktplatz, klitschnass von Kopf bis Fuß und war völlig verzweifelt, weil sie im Larisgrün ihr Pferd verloren hatte. Morholdrim war bei dir, min koerlighed, weißt du noch? Ich werde nie vergessen, was er für ein Gesicht gemacht hat, als wir den Braunen endlich diese rutschige Böschung wieder oben hatten, und er mit auf Gråuna zurück nach Talyra reiten sollte. Niniane lernte ich irgendwann in der Unterstadt kennen, wo sie mir nach einem Grubenkampf im wahrsten Sinne des Wortes verwundet vor die Füße fiel. Erinnert ihr euch noch an Darryl? Dieses... Wurmdämonenfrau-Wesen? Die so versessen auf TianShi war? Die beiden hatten ein kleines Duell dort unten und danach habe ich Nan aufgesammelt und zu Borgil gebracht und so... nahm alles mehr oder weniger seinen Anfang."

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Raven am 10. Dez. 2005, 22:50 Uhr
Wie erwartet bricht Borgil auf ihren kleinen Scherz hin sofort in Protestgeschrei und wildes Zetern aus und im Stillen lächelt Raven in sich hinein, weil sie genau das erreicht hat, was sie beabsichtigt hat, nämlich die gutgelaunte Stimmung zu retten, die Hals über Kopf in rührseliges Geschnüffel umzuschlagen droht. Dabei weiß sie nicht einmal, ob sie mit den 'alten Tagen', die sie dem Zwerg angedichtet hat, den Nagel auf den Kopf getroffen hat oder meilenweit davon entfernt ist, denn sie hat nicht den Hauch einer Ahnung, wie alt Borgil wirklich ist und wie lange er mit seinem gutmütigen Gepolter schon Talyra unsicher macht. Wahrscheinlich ist er mitsamt der Stadt aus dem Boden gewachsen. Oder er war einfach schon immer da. Selbst der durchdringende Blick, mit dem sie forschend sein Gesicht betrachtet - oder jedenfalls das Wenige, das davon überhaupt sichtbar und nicht von einem roten Bartgestrüpp überwuchert ist - bringt ihr keine neue Erkenntnis. Und einem Zwerg das Alter an seinem Äußeren ablesen zu wollen, ist etwa so erfolgversprechend, als wolle man das Gefühlsleben eines Ziegelsteins ergründen - es ist schlichtweg unmöglich. Borgil könnte genauso gut achtzig wie achthundert Jahresläufe zählen. Und es ist auch vollkommen gleichgültig, er ist hier und das ist gut so, und mehr braucht es auch gar nicht zu wissen. Als er vehement genug gegen ihre augenklimpernd hervorgebrachten Anschuldigungen protestiert und allen glaubwürdig versichert hat, dass er keineswegs alt sei und ein kleines, blutiges Gemetzel zwischendurch zur Erhaltung seiner geistigen wie körperlichen Gesundheit dringend notwendig wäre, wird er umgehend wieder ernst und berichtet auf Caewlins Frage hin, was er über das Wohlergehen all derer weiß, die an jenem verhängnisvollen Tag Anfang des Erntemonds gegen den Dämonen und seine heraufbeschworenen Kreaturen gekämpft hatten.

Die meisten haben sich inzwischen wieder von den Strapazen und ihren Verletzungen erholt, erzählt er, und es ist beruhigend zu hören, dass es Morgana, Maél, Olyvar, Arwen, Kizumu und all den anderen gut geht, auch wenn einer der Priester in diesem Kampf sein Leben lassen musste. Einige der Namen, die Borgil aufzählt, kennt Raven nicht einmal, und bald schwirrt ihr der Kopf vor Wasserfeen und Sehern, Zuckerbäckern, Blaumänteln und Vampiren. Insgeheim fragt sie sich, ob der Zwerg vielleicht irgendwie mit Dalla verwandt ist, zumindest würde es sie nicht wundern, denn er hat ebensolches Talent wie ihre oberste Magd, ohnehin schon recht undurchschaubare Verwandtschafts- und Bekanntschaftsverhältnisse noch mehr durcheinanderzubringen und so verworren zu beschreiben, dass am Schluss keiner mehr weiß, ob jetzt nun der Vampir der Geliebte des Sehers oder der Zuckerbäckerin ist und in welchem Tempel welche Priester welches Konfekt herstellen. Doch trotz Borgils gewohnt schnoddriger Erzählweise kann sich der Ernst, der hinter all dem steckt, nicht ganz verbergen, und auch wenn es keiner ausspricht, so sind sie mit ihren Gedanken alle bei jenem unfassbaren Tag, der die halbe Stadt in Schutt und Asche gelegt und in ein Leichenhaus verwandelt hat. Raven erinnert sich nur zu gut an diese Stunden, an Schmerzen, Angst und Schrecken, an den lichterloh brennenden Marktplatz, an grausige Höllenkreaturen, Verletzte und Tote, und sie kann wie so oft nur den Göttern danken, dass sie halbwegs heil davongekommen sind. Ihr Blick wandert unbemerkt von dem inzwischen glühendgeredeten Gesicht des Zwergen ihr gegenüber zu dem Mann an ihrer Seite, der gerade schmunzelnd Azras und Borgils angestrengte Versuche beobachtet, den Cofea in Zuckersirup zu verwandeln. An seinem Profil bleiben ihre Augen hängen und ruhen dort eine Weile, und irgendwo in ihrem Inneren breiten sich, wie jedes Mal, wenn sie an diesen verflixten Tag zurückdenkt, Erleichterung und tiefe Dankbarkeit aus, dass ihm nichts geschehen ist. Götter, ich würde keinen Tag meines Lebens mehr ohne ihn sein wollen... Sie schiebt ihre Rechte zwischen Caewlins Finger, lehnt sich zurück und lauscht mit halbem Ohr weiter Borgils Erzählungen, während sie zufrieden an Bethels gutem Rosinenkuchen herumknabbert und mit kleinen Schlucken von dem dampfend heißen, bitterschwarzen Gebräu in ihrem Becher nachspült.

Nachdem die Köchin und Dalla noch allerhand Zuckerzeug, Gebäck und noch einen Kuchen anschleppen, frischen Cofea dazustellen und sich versichert haben, dass auch wirklich alle versorgt sind und es ihnen an nichts fehlt, räumen sie das Feld. Dalla ist es zwar an der leuchtendroten Nasenspitze anzusehen, dass sie wer weiß was darum geben würde, weiterhin den Gesprächen zu lauschen, doch selbst sie muss einsehen, dass es an der Zeit ist, sich unsichtbar zu machen. Sie zieht sich notgedrungen in die Tiefen des Hauses zurück, wo sie irgendeiner undefinierbaren - aber sicher dringend notwendigen - Arbeit nachgeht, während Bethel draußen in der Spülküche herumklappert, so dass sie nun unter sich sind. Es ist gemütlich, nach dem reichlichen Mittagsmahl in der warmen, goldleuchtenden Küche zu sitzen und Neuigkeiten auszutauschen, und allmählich überkommt Raven eine wohlige, faule Müdigkeit. Als Borgil jedoch auf einmal in seinem Wortschwall innehält, an seinem Gürtel herumfingert und dann ein prallgefülltes Geldsäckel über die Tischplatte und in Schlangenlinien um Kuchenkrümel und geleerte Cofeabecher herum in ihre Richtung schiebt, wandern fragend ihre Brauen in die Höhe. >Hier, das schulde ich dir noch. Besten Dank, dass du mir den Grund zurückverkauft hast, auf dem dein altes Häuschen stand...< Sie nickt nur und mustert die klingelnde Geldkatze mit einem unergründlichen Blick und gefurchter Stirn, dann bugsiert sie sie schnurstracks zu Caewlin hinüber. "In den Keller damit. Das ist das Badezimmer", verkündet sie, nicht ohne einen gewissen Stolz, endlich auch etwas zum Bestreiten von Hammerhands Rechnung dazutun zu können. Caewlins spöttelnd erhobene Braue veranlasst sie jedoch zu einer geringfügigen Anpassung ihrer Vorstellungen bezüglich der Höhe dieser Rechnung. "Na gut, es ist der Fußboden des Badezimmers. Nicht? Die Drachenwanne vielleicht?" Ihre Illusionen schrumpfen immer mehr in sich zusammen. "Na, wenigstens für einen Wasserhahn wird es reichen", gibt sie dann seufzend zu und schiebt schließlich die Geldkatze beiseite, weil Azra im gleichen Augenblick auf den Feldzug gegen die Narge und den Vampir zu sprechen kommt, der vergessen hat, dass er ein Blutsauger ist.

Raven kann sich nicht erinnern, den Namen Cleyron schon jemals gehört zu haben, aber Caewlin kennt den Sithechjünger offenbar aus der Zeit des Feldzuges. >Aye, die Schlacht von Liam Cailidh. Cleyron ist ein Tagwandler - der einzige, den es gibt, soviel ich weiß. Der Lord Commander hatte ihn unter Eid genommen, und als wir nach Liam Cailidh aufbrachen, wurde er mir zugeteilt. Zusammen mit Kaney war er mein Späher auf dem Nargenfeldzug.< Eigentlich hätte sie jetzt den Kopf schütteln und sich wundern müssen, dass bei der Talyrischen Garde nun sogar schon leibhaftige Vampire ihren Dienst verrichten, aber inzwischen ist allgemein bekannt, dass der Lordcommander allerlei seltsames Volk in seine Dienste nimmt und nachdem in der Steinfaust sogar eine Nervensäge von Oger arbeitet, die sich für den begnadetsten Barden auf Rohas Rund hält, kostet sie ein Blutsauger bei der Stadtgarde nicht mehr als ein Achselzucken. Azra spricht ihr förmlich aus der Seele, als sie bemerkt: >Talyra ist in mancher Weise seltsam, wenn man schon alleine seine Bewohner betrachtet.< Borgils Frau scheint mittlerweile etwas aufgetaut zu sein und hat ihre Befangenheit ein klein wenig abgelegt, und als sie schließlich danach fragt, wie sie sich alle kennengelernt und was sie überhaupt in diese Stadt verschlagen hat, ist die Neugier in ihrer Stimme nicht mehr zu überhören, auch wenn sie dabei herumstottert, als müsse sie gerade vor einem Hohen Gericht Rede und Antwort stehen. Dabei nehmen ihre blassen Wangen die Färbung zarter Rosenblätter an und sie sieht in ihrer abgrundtiefen Verlegenheit so hübsch aus, dass Raven zu ahnen beginnt, wie es diesem zarten, schneeflockenweißen Geschöpf gelungen ist, Borgils altes Zwergenherz zu erweichen. In der Tat starrt er sie gerade so verzaubert an wie ein frischverliebter Kater und löst seinen Blick erst von ihr, als sie etwas fragen will, sich aber dann verzweifelt mit der Aussprache von Caewlins Namen herumplagt und ein kollektiver Heiterkeitsausbruch den Raum mit vergnügtem Gekicher füllt. Als sie den angefangenen Satz endlich zu Ende bringen kann, wird es jedoch schlagartig still. >Eigentlich wollte ich einfach fragen, wie es einen Normander wie eu… dich… Caewlin .... ähm, ja, hierher verschlagen hat, ebenso wie dich Raven.<

Raven spürt Caewlins plötzlich aufkeimende Unruhe im Griff seiner Finger, die ihre Hand umschließen, an der Art, wie er vernehmlich Atem holt und abzuwägen scheint, was er erwidern soll. Aber die Anspannung währt nur wenige Herzschläge, dann lockert sich der Griff und sie kann fühlen, wie er sich wieder entspannt, wenn auch eine kaum merkliche Wachsamkeit zurückbleibt. Seine Stimme klingt ganz ruhig, fast unbeteiligt, als er zu einer Antwort ansetzt, und vielleicht ist es gerade das, was ihr einen leisen Schauer über den Rücken kriechen lässt. >Ich war sieben Jahre lang im Krieg. Normand und Barsa, eine Insel im Kalten Ozean nicht weit von meiner Heimat, führten damals lange, blutige Kämpfe um die Vorherrschaft im Norden. Das letzte Kriegsjahr war ich in Gefangenschaft in einem Formorenkerker irgendwo in den Eingeweiden von Ys, und als ich endlich fliehen konnte, und der Krieg im Frühjahr darauf zu Ende ging, fand ich in Sturmende keine Ruhe.< Verwirrt runzelt Raven die Stirn und jetzt ist es sie, die von einer seltsamen Unruhe erfasst wird. Formorenkerker? Gefangenschaft?, fragen ihre Finger stumm und voller Sorge in seinen. Götter .... warum hast du mir nie davon erzählt? Dass er zusammen mit Cron lange im Krieg gegen Barsa gekämpft hat, das weiß sie, auch wenn er nur selten davon spricht, es kaum je erwähnt hat. Dass er aber ein Jahr in Gefangenschaft verbracht hat und dazu noch bei diesem räuberischen Formorenpack, davon hat er nie auch nur einen Ton gesagt. Raven weiß auch, dass es eine schlimme, bittere Zeit für ihn gewesen sein muss und dass er sich nicht gerne daran erinnert, geschweige denn gerne darüber reden würde. Aus diesem Grund hatte sie auch nie nachgebohrt oder mehr darüber zu wissen verlangt. Es ist nicht ihre Art, jemanden zu drängen und sie hatte geglaubt, dass er ihr vielleicht eines Tages, wenn er das Bedürfnis danach verspüren sollte, von selbst davon erzählen würde. Dass sie diese Dinge ausgerechnet jetzt erfährt, zwischen Borgil und Azra, zwischen Kuchenkrümeln und Cofeabechern bei einem nachmittäglichen Schwatz, versetzt ihr doch einen nadelfeinen Stich und in ihrem Inneren beginnt ein kleiner, gemeiner Zweifel zu nagen. Traut er mir nicht? Oder will er einfach nicht, dass ich all diese Dinge weiß?

Einige schmerzhafte Herzschläge lang ist Raven völlig abwesend und in Gedanken versunken, den Blick in die abgewetzte, dunkle Tischplatte verkrallt, als könne sie sich dort festhalten. >Ich musste eine Weile fort aus dem Norden<, hört sie Caewlin sagen. >Also habe ich die alte Handelsstraße genommen, bin ab Torhof  immer nach Süden geritten und irgendwann hier gelandet. Die Stadt gefiel mir und so bin ich geblieben... in Borgils Harfe.< Erst als er verstummt und sich stattdessen eine sehr viel hellere Stimme zu Wort meldet, blickt Raven auf und sieht sich Azras freudestrahlendem Gesicht gegenüber. "Dann... ist es gut, dass du nach Talyra gekommen bist", nickt der Blutelbenmischling eifrig zu Caewlins Worten und sieht erwartungsvoll von einem zum anderen, woraufhin Caewlin mit seiner Erzählung fortfährt und den Faden wieder aufnimmt. >Ich weiß nicht mehr genau, auf wen ich damals zuerst getroffen bin, aber Raven lernte ich in einer Nacht kennen, in der es so sehr geregnet hat, dass selbst die Frösche ertrunken wären. Sie stand mitten auf dem Marktplatz, klitschnass von Kopf bis Fuß und war völlig verzweifelt, weil sie im Larisgrün ihr Pferd verloren hatte. Morholdrim war bei dir, min koerlighed, weißt du noch? Ich werde nie vergessen, was er für ein Gesicht gemacht hat, als wir den Braunen endlich diese rutschige Böschung wieder oben hatten, und er mit auf Gråuna zurück nach Talyra reiten sollte....< "Sicher weiß ich das noch", erinnert sie sich mit einem zögernden Lächeln. "Wie könnte ich das jemals vergessen .... Morholdrim sah dich an, als hättest du von ihm verlangt, er solle sich ein Bein abhacken, nur weil er auf dein Pferd steigen sollte." Bei der Erinnerung an diesen Umstandskrämer von Alchimisten, der sich mit Händen und Füßen dagegen gesträubt hatte und lieber einen stundenlangen Fußmarsch in sintflutartigem Regen in Kauf genommen hätte, statt zu Caewlin auf den Rücken des Grauen zu klettern, vertieft sich ihr zaghaftes Lächeln. >Niniane lernte ich irgendwann in der Unterstadt kennen, wo sie mir nach einem Grubenkampf im wahrsten Sinne des Wortes verwundet vor die Füße fiel. Erinnert ihr euch noch an Darryl? Dieses... Wurmdämonenfrau-Wesen? Die so versessen auf TianShi war? Die beiden hatten ein kleines Duell dort unten und danach habe ich Nan aufgesammelt und zu Borgil gebracht und so... nahm alles mehr oder weniger seinen Anfang.<

"Und dann hat sie uns eines Tages angeheuert und in diese stinkenden Kanäle hinabgeschickt", spinnt Raven den Faden weiter. "Wir sollten dort etwas über diese Würmer herausfinden, die die Stadt bedrohten ... nur war die Sache ein wenig schwieriger, als wir gedacht hatten, und wir können wohl von Glück sagen, dass wir überhaupt zurückgekehrt sind." Wenn auch nicht ganz. Ihre Finger berühren in stummer Traurigkeit die Eisenschelle an Caewlins rechtem Handgelenk und irgendwo in ihrem Inneren hallt ein leises, verzweifeltes Echo seines Schreis wider, grauenvoll und angefüllt mit wildem Schmerz. Hurentod. Whytfisk. Blutaxt. Und hundert andere mehr. "Zumindest waren wir noch am Leben", versucht sie die trüben Erinnerungen beiseite zu schieben und kramt in ihrem Gedächtnis nach angenehmeren Erlebnissen. "Wir haben uns auch danach nie wirklich aus den Augen verloren. Unsere Wege haben sich immer wieder gekreuzt. Aber der erste, dem ich hier in der Stadt begegnet bin, war ... war der Spaßmacher." Scheinbar steckt sogar in angenehmen Erinnerungen immer irgendwo ein Stachel, denkt sie voller Bitterkeit. Gibt es denn nichts Schönes und Erfreuliches, das nicht gleichzeitig mit Kümmernissen verbunden ist? "Niniane kenne ich auch schon lange und dann Borgil natürlich. Schließlich hatte ich mein Häuschen von ihm gepachtet und musste jeden Mond den Zins bei ihm in der Harfe abliefern. Vorher bin ich lange umhergezogen und habe mich als fahrender Bogenbauer versucht, doch auf dem flachen Land und in kleineren Städten ist damit kaum das tägliche Brot zu verdienen, deswegen hat es mich dann hierher verschlagen, in eine größere Stadt, in der ich mich schließlich niedergelassen habe. Ich war noch ein halbes Kind, als ich Normand verlassen habe...." Über die Gründe, warum sie damals Hals über Kopf die Flucht ergriffen hatte, schweigt Raven sich jedoch aus und müht sich verzweifelt, ihrer Stimme einen festen Klang zu geben. Der Aufruhr, den die Erinnerungen an diese verhassten Zeiten in ihrem Inneren auslösen, ist ihr nicht anzumerken, das einzige, was sie vielleicht verrät, ist der Holzlöffel, mit dem sie fahrig in ihrem Cofeabecher herumrührt, obwohl es darin überhaupt nichts zu rühren gibt. "Naja, jedenfalls bin ich hier geblieben", fährt sie hastig fort. "Und ich habe es bis jetzt nur selten bereut. Die Stadt ist nicht ungefährlich und inzwischen haben wir wohl alle schon Schlimmes hier erlebt, aber es war auch oft lustig. Erinnert ihr euch noch an Kizumus und Olyvars Hochzeit? Ich hatte eine besoffene Fee in meinem Salat. Und ich musste mit Caewlin tanzen. Barfuß!" Der Gedanke an diese denkwürdige Feier bringt sie nun trotz allem zum Lächeln und einen Augenblick lang lehnt sie sich an ihn, versunken in Erinnerungen, die dunklen Augen schimmernd von sanften Gedanken. "Und seine Füße sind dabei sogar heil geblieben. Oder das Sommerfest vor einigen Jahren ... dort ist Cron zum ersten Mal in der Stadt aufgetaucht. Und ich musste ein Kleid tragen. Oder weißt du noch unser Besäufnis in der Harfe, Borgil? Als dieser merkwürdige Magier deine Gaststube unter Wasser gesetzt und mich mit Gabeln beworfen hat? Oder diese unsägliche Reise nach Liedberg? Oder die Sache in Wegesend? Oder .... oh ... leer", stellt sie dann mit einem bedauernden Blick in die bauchige Kanne fest, auf deren Grund nur noch ein trauriger Rest schwarzen Pulvers in einer Pfütze schwimmt. Sie sammelt ihre unter dem Tisch lang ausgestreckten Beine ein, erhebt sich seufzend und schlängelt sich um Tisch und Stühle, um den Wasserkessel auf dem Herd zu füllen und in den Schränken nach dem Beutel mit Cofeapulver zu kramen. "Ich werde noch einmal frischen aufbrühen."

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Borgil am 13. Dez. 2005, 13:34 Uhr
Borgil und Azra lauschen zumeist schweigend der Erzählung Caewlins, rühren geistesabwesend in ihren Tassen und vergessen dabei ganz den schmackhaften Kuchen vor lauter interessanten Dingen, die sie zu hören bekommen. Was Borgil selbst angeht hat er das meiste ja mehr oder weniger gewusst, schließlich ist er nicht umsonst der Meister der Flüsterer und Ohrenbläser - oder war selbst, wenn auch nur am Rande, Zeuge einiger Geschehnisse. Als Raven die Unterhaltung dort aufnimmt, wo Caewlin endet, und weiterspricht, wendet sie sich zwar hauptsächlich an Azra und ihn, doch ihre Finger sind fest mit denen ihres Mannes verflochten und ein Teil ihrer Aufmerksamkeit gilt dabei stets Caewlin. >Und dann hat sie uns eines Tages angeheuert und in diese stinkenden Kanäle hinabgeschickt. Wir sollten dort etwas über diese Würmer herausfinden, die die Stadt bedrohten ... nur war die Sache ein wenig schwieriger, als wir gedacht hatten, und wir können wohl von Glück sagen, dass wir überhaupt zurückgekehrt sind.< Borgil kann ein Schnauben - irgendwo zwischen Unglauben und Belustigung - nicht unterdrücken. "Etwas schwieriger?" Echot er. "Besessen von Wurmdämonen, entführt von Kanalratten, eingekerkert, verstümmelt und halb verbrannt, Blaeran tot... hm ja, etwas schwieriger. Schon klar." Borgil erinnert sich noch gut an jene Nacht, als man Caewlin aus den Badehäusern in die Harfe zurückgebracht hatte - halbtot, fiebernd und einhändig. Morgana hatte sich damals um ihn gekümmert... und natürlich Calyra, bis sie ins Seehaus gezogen waren, hatten sie beide in seinem Gasthaus gewohnt.
>Zumindest waren wir noch am Leben< verteidigt Raven ihre etwas saloppe Aussage über die latenten Schwierigkeiten ihres ersten Tunnelunternehmens und langsam schleicht sich so etwas wie ein vages Lächeln auf ihr Gesicht, das wohl irgendwelchen angenehmeren Erinnerungen gelten muss. >Wir haben uns auch danach nie wirklich aus den Augen verloren. Unsere Wege haben sich immer wieder gekreuzt. Aber der erste, dem ich hier in der Stadt begegnet bin, war ... war der Spaßmacher.<

"Eieiei, der Spaßmacher..." er schüttelt leicht den Kopf und wirft der jungen Frau ihm gegenüber einen listigen Blick zu, doch Raven scheint nicht gewillt, über Mottenfaenger mehr als ein Wort zu verlieren und auch ein vorsichtiges Blinzeln in Caewlins Richtung offenbart Borgil, dass es eindeutig besser für seine Gesundheit ist, dieses Thema möglichst schnell wieder fallen zu lassen. Raven plaudert nun ihrerseits ein wenig aus dem Nähkästchen, erzählt, wie sie eigentlich nach Talyra gekommen war, wen sie hier mit der Zeit kennengelernt hatte und dass sie ihr Leben hier nur selten bereut hat. >Die Stadt ist nicht ungefährlich und inzwischen haben wir wohl alle schon Schlimmes hier erlebt, aber es war auch oft lustig. Erinnert ihr euch noch an Kizumus und Olyvars Hochzeit? Ich hatte eine besoffene Fee in meinem Salat. Und ich musste mit Caewlin tanzen. Barfuß!< Bei diesen Worten entsteht unter Borgils gewaltigem, rotem Bart ein Grinsen, so breit wie das Meer zwischen Nachtschimmer und Fa'Sheel. "Hmph!" Macht er. "Den Anblick werde ich nie vergessen... ihr hättet einmal sehen sollen, wie ihr euch hm... ausgenommen habt." Raven wirft ihm einen ihrer berühmt-berüchtigten Noch-ein-Wort-und... - Blicke zu und Borgil schweigt gehorsam, grinst jedoch nur noch breiter.  >Und seine Füße sind dabei sogar heil geblieben.< Fährt sie indigniert fort, nur um anschließend noch ein wenig in erfreulicheren Erinnerungen zu schwelgen. >Oder das Sommerfest vor einigen Jahren ... dort ist Cron zum ersten Mal in der Stadt aufgetaucht. Und ich musste ein Kleid tragen.< "Herrje, du hast ein Kleid getragen? Du meinst eine richtige Festrobe? Potzblitz, das hätte ich zu gern gesehen. Aber an das große Turnier erinnere ich mich auch so noch gut, oh ja. Was haben diese Weyrs aus den Sonnenhügeln im Vorfeld geprahlt, sie würden den normander Ritter in alle Einzelteile zerlegen! Cron hat sie allesamt grün und blau geprügelt. Allmächtiger Himmel, ich weiß noch, was für ein Sturm der Entrüstung durch unsere guten, herzländischen Streiter gegangen ist, besiegt und beschämt von einem nordländischen Barbaren..." Borgil kichert immer noch in hilfloser Erheiterung vor sich hin, als Raven mit glänzendne Augen nickt und einwirft. >Oder weißt du noch unser Besäufnis in der Harfe, Borgil? Als dieser merkwürdige Magier deine Gaststube unter Wasser gesetzt und mich mit Gabeln beworfen hat?< Sein Kichern wächst sich zu röhrendem Gelächter aus und als er sich wieder einigermaßen beruhigt hat, greift er nach Azras Hand, drückt sacht ihre schmalen, weißen Finger und führt dann Ravens Erzählung knallrot vor Entzücken, röchelnd vor Belustigung und mit Verschwörermiene weiter.

"Wie könnte ich das je vergessen?" Feixt er. "'Madame Blutaxt', ich glaube, ich habe dich noch nie so entsetzt gesehen wie an diesem Morgen! Eines schönen Tages, ziemlich genau vor einem Zwölfmond, müsst ihr wissen," er sieht Azra und Caewlin an und fährt dann süffisant grinsend fort, "war Raven hier in meiner Harfe zu Gast und wir haben uns nett unterhalten. Wir hatten uns lange nicht gesehen, die Nacht war kalt, die Harfe gut besucht und wie es sich so ergeben hat, haben wir ein wenig geplaudert, eines führte zum anderen, mittendrin gab es auch noch einen heftigen Kampf mit zwei dämlichen Beutelschneidern und eine mittlere Magiekatastrophe, aber das wirklich interessante war, dass der kleine Floh hier," er nickt zu Raven hinüber, "doch glatt versucht hat, mich unter den Tisch zu trinken und daraufhin prompt selbst dort gelandet ist." Raven klappt entrüstet den Mund auf, doch Borgil wedelt nur mit seinem knorrigen Zeigefinger und nickt bekräftigend. "Ja-haa. Vorher hast du allerdings noch steif und fest behauptet, du würdest es jederzeit mit mir und meinem Wein aufnehmen. Ich weiß zwar bis heute nicht, was du getrieben hast, als ich mich um den Ärger in der Harfe und den dämlichen Magier kümmern musste, wahrscheinlich hast du ein ganzes Fass Feuerwein allein und auf einmal geleert, jedenfalls war sie, als ich zurück an unseren Tisch kam, gar nicht mehr da, sondern tatsächlich darunter. Ritterlich und galant wie ich bin," hier legt Borgil sich seine schwielige Zwergenpranke auf die Brust und klimpert gar herzerweichend in die Runde, "habe ich sie natürlich nicht in die eiskalte Nacht hinausgeschleppt und in der Pferdetränke ausgenüchert, sondern in mein eigenes Bett gesteckt und die Nacht heldenhaft in einem Sessel verbracht. Es war nur recht und billig," tönt er in das aufkommende Gelächter am Tisch, "dass ich mich am nächsten Morgen für die Unbequemlichkeiten ein wenig schadlos gehalten und sie nach dem Aufwachen als mein..." sein eigenes, rauhes Lachen unterbricht in kurzen Heiterkeitsausbrüchen seine Worte, "frischangetrautes... Eheweib begrüsst habe. Ihr hättet ihr Gesicht sehen sollen! Und wie hat sie es mir gedankt? Charmant wie sie so ist, hat sie mir auch sogleich einen Becher und einen Stiefel nachgeworfen und ich musste rennen wie Laurin Goldbart, um mich in Sicherheit zu bringen!"

Raven wirft ihm mörderische Blicke zu und nuschelt hochrot und mit bezaubernd glühenden Wangen Unverständliches, während Azra versucht, ihn aus Solidarität mit Caewlins Frau tadelnd anzusehen und gleichzeitig nicht an ihrem Kichern zu ersticken, und das Grinsen des Sturmenders beängstigend an einen hungrigen Hai erinnert. Borgil dagegen lacht unbekümmert in sich hinein und tut es immer noch, als Raven aufsteht, um sich noch einmal um frischen Cofea zu bemühen und geschäftig am Herd hinter ihnen herumklappert. >Ich werde noch einmal frischen aufbrühen.<
"Oh, danke, Lieblingskratzbürste, aber wenn auch diese Kanne dann leer ist... also dieses azurianische Teufelszeug hat es wirklich in sich... dann müssen wir gehen. Och, Azraschatz, sieh mich nicht so an. Ich würde auch gern noch länger bleiben, aber wir müssen diese neuen Vorhänge noch aufhängen und du sollst nicht mehr so lange auf den Beinen sein, jetzt, wo das Kind jederzeit kommen kann. Außerdem kommt der Wagen mit Einbruch der Dämmerung, um uns abzuholen und es ist schon spät geworden. Und ein wenig Zeit haben wir ja noch."

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Azra am 16. Dez. 2005, 15:53 Uhr
Cleyron ist ein Tagwandler - der einzige, den es gibt, soviel ich weiß. Der Lord Commander hatte ihn unter Eid genommen, und als wir nach Liam Cailidh aufbrachen, wurde er mir zugeteilt. Zusammen mit Kaney war er mein Späher auf dem Nargenfeldzug."“ Ein Vampir der unter Shenras Anlitz über Roha wandern kann wie es ihm beliebt. Sie weiss nicht was ihr suspekter erscheinen soll, angesichts der Tatsachen, was die Steinfaust alles zu beherbergen scheint, verschluckt sich jedoch prompt an dem noch immer heissen Getränk, als ihr ihre schändlichen Gedanken wirklich bewusst werden. Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen, oder irgendwie so... Ein Vampir in der Steinfaust, war zu Beginn sicherlich ebenso schlimm gewesen, wie ein Blutelbenmischling in der Harfe, aber an Beides hatte man sich mit der Zeit gewöhnt, oder es zumindest akzeptiert, weil es nicht zu ändern ist.  Peinlich berührt über ihre eigene Einfältigkeit, diese kleine, aber durchaus wichtige Tatsache zu vergessen, ist sie für einen Augenblick abgelenkt und bekommt nicht mit, was Caewlin noch über den Krieg erzählt. Erst als er ihr mit zuckenden Mundwinkeln die richtige Aussprache seines Namens beibringt, horcht sie auf und vergräbt prompt mit gekräuselten Lippen ihre Nase in ihrem Cofeabecher und wiederholt in Gedanken unzählige Male den Namen des Nordmannes, wobei sie sich absolut sicher ist, diesen niemals mehr zu vergessen. „Kei-linn, wiederholt sie leise flüstern und nickt fahrig, darüber sinnierend, ob alle Normander so unaussprechliche Namen besitzen. "Ich war sieben Jahre lang im Krieg." Seine Stimme zittert nicht und Azra kann nichts aus dem Ton herausfiltern, kein Gefühl, keinen zarten Unterton, nicht den Hauch einer Andeutung und doch trifft der Satz sie hart und unvorbereitet. Natürlich, sie hat von Kriegen gehört, unzählige sind schliesslich schon auf Rohas weitem Rund geführt worden, aber... Sieben Jahre... Das ist so lange. Viel zu lange. In ihrem kleinen Gesicht ist deutlich das Mitgefühl zu lesen, und ihre Hand tastet suchend und unsicher nach der Borgils. Sie lauscht und wagt es derweil nicht, nach Atem zu holen, aus Angst seine Worte damit unvorsichtig zu unterbrechen und deutlichem Entsetzen im Blick, linst sie von Caewlin zu Raven und wieder zurück. Die zierliche Bogenmacherin betrachtet ihren Mann, sieht ihn aus undurchdringlichen, harten Augen an und Azra wird es plötzlich mulmig zumute. Sie kennt keinen von den Beiden lange, abgesehen von den flüchtigen Momenten in der Harfe, auf dem Sithechacker und natürlich das Inarifest, wo sie jedoch kaum ein Wort gewechselt haben, sondern mehr damit beschäftig gewesen waren, nicht an dem immer wieder aufbrandenden Gelächter zu ersticken. Damals haben beide so unglaublich glücklich ausgesehen, die schlanke, kleine Frau mit dem langen Zopf und einem blauhaarigen Naseweiss auf den Armen neben dem starken Hünen, mit dem klaren Blick, der fehlenden Hand und dem Hang Liebesgedichte zu zitieren. Sie würde Schmunzeln, wäre ihr danach zu mute, doch als Caewlin schliesslich endet, fühlt sie nichts, ausser den törichten Wunsch, aufzustehen und ihn in die Arme zu schliessen. Zumindest seine Hüfte, oder aber sicher eines seiner Beine, für mehr würde ihre Grösse wahrscheinlich gar nicht reichen.

Das kaum merkliche Lächeln huscht wie einer der unzähligen, flackernden und an den Wänden tanzenden Kerzenscheine über seine Züge und ist fast schneller verschwunden, als dass man es erfassen kann. Azra ist bereits dabei, sich in ihrem Mund irgendwelche passenden Worte bereit zu legen, als er fortfährt und sie gleichzeitig feststellt, dass es nichts gibt, oder nichts zu geben braucht, was sie dazu sagen kann. „Ich musste eine Weile fort aus dem Norden, also habe ich die alte Handelsstraße genommen, bin ab Torhof  immer nach Süden geritten und irgendwann hier gelandet. Die Stadt gefiel mir und so bin ich geblieben... in Borgils Harfe." Ihr Kopf ruckt zu ihrem Gatten herum, der dramatisch die buschigen Augenbrauen zusammenzieht und unter dem Schnurrbart ein Grinsen versteckt, das sicherlich die Breite eines, von Talyras Tore erreicht und unwillentlich spürt sie Erleichterung in sich aufsteigen. Erleichterung darüber, dass Caewlin sich hier wohl fühlt und anscheinend etwas gefunden hat, dass ihn von seiner Vergangenheit ablenkt. „Dann... ist es gut, dass du nach Talyra gekommen bist", flüstert sie ehrlich und sieht ihn dabei mit strahlender Miene an, wobei ihre Augen für einen Herzschlag auf Raven verharren und innerlich stimmt Azra diesen Worten selbst noch einmal zu, auch wenn ihr dabei unweigerlich Calyra in den Sinn kommt. Trotzdem..., mahnt sie sich selbst, nicht wissend, warum das Schicksal der Bardin sie so tief berührt hat in jener Nacht. Phelan ist schliesslich auch fast vor ihren Augen gestorben, doch an Morganas ehemaligem Gefährten erinnert sie sich kaum. Als der Name Niniane fällt, horcht sie abrupt auf und verfolgt gespannt den Erzählungen über die halbelbische Frau mit den tiefgoldenen Augen, mit welcher sie besonderen Kontakt gehabt hat, am Inarifest. Mit anderen Begriffen kann sie hingegen weniger anfangen, so wird sie aus den Erklärungen nicht schlau, um wen es sich handelt, als die drei von Darryl sprechen, oder aber Morholdrim, der – zumindest das bekommt sie mit – aber auf jeden Fall eine grosse Abneidung gegen grosse Pferde gehegt zu haben scheint. "Und dann hat sie uns eines Tages angeheuert und in diese stinkenden Kanäle hinabgeschickt", führt Raven die Schilderungen ihres Mannes fort und sieht dabei so ernst aus, dass Azra sich langsam, aber sicher fragt, wie viel diese beiden vor ihr wirklich schon durchgemacht haben. „Grubenkämpfe, Wurmdämonen, Würmer, bei allen Göttern, was denn noch?“, murmelt sie so leise, dass es niemand mitbekommt und ein finsterer Schatten nistet sich in ihren Augenwinkeln ein, als Borgil beinahe empört brummend und mit hochgezogener Braue findet: "Etwas schwieriger? Besessen von Wurmdämonen, entführt von Kanalratten, eingekerkert, verstümmelt und halb verbrannt, Blaeran tot... hm ja, etwas schwieriger. Schon klar." Als sie jedoch mit deutlich entsetztem Gesichtsausdruck nach Luft schnappt, tätschelt er ihr sofort beruhigend die Finger und versucht zu lächeln, was sie ihm jedoch beim besten Willen nicht mehr abkauft, denn das Gesagte frischt ihr eigenes Gedächtnis wieder auf. Blaeran... Kanalratten, Götter, die Sithechnacht, nicht jetzt. Sie ist dabei gewesen, als er Arwen die ganze schreckliche Geschichte erzählt hat, damals noch im Glauben auch Raven und Caewlin unter dem Gestein für immer verloren zu haben.

Azra ist angespannt, wie eine zitternde Bogensehne kurz vor dem Schuss und als sie gerade einen erneuten Schluck von dem schwarzen Gebräu nehmen möchte, hält sie gerade noch inne, als Raven fortfährt. Die Miene der jungen Frau richtet sich mehr nach Innen, als würde sie jede Erinnerung sorgfältig untersuchen, bevor sie diese an die Öffentlichkeit preis gibt und plötzlich erscheint Azra ihre Neugierde für absolut unverschämt und unangebracht, denn sie hat nun wahrlich nicht vorgehabt, ihre Gastgeber in solche Tiefen und Höhen zu stürzen, solche Schatten aus ihrer Vergangenheit herauf zu beschwören, von denen die Beiden vielleicht gewollt hätten, nie mehr daran zu denken. “ Aber der erste, dem ich hier in der Stadt begegnet bin, war ... war der Spaßmacher." Azra bemerkt, dass ihr Becher noch inner halb auf dem Weg zu ihrem Mund verharrt und setzt ihn mit einem leisen *Klonk* wieder auf den robusten Tisch, auch die zweite Hand noch mit der ihres Gatten verschlingend. Die Frage nach dem „wer?“ liegt ihr schon auf der Zunge, als Borgil leise hüstelt, Ravens Worte kommentiert und dafür von der schlanken Frau mit einem Blick versehen wird, den sogar ein Blinder ohne Mühe verstehen würde und Azra schluckt die Frage ohne weiter zu überlegen wieder hinunter. Dafür scheint es beinahe, als recke sie ihren Kopf und spitzt neugierig ihre Ohren, als Raven davon erzählt, ebenfalls aus Normand zu stammen. Mit Ungläubigkeit gefüllter Miene starrt Azra sowohl die kleine, zierliche Raven, wie auch den grossen, kräftigen Caewlin mehre Augenblicke lang stumm an, den Mund ein Stückweit offen, bis sie endlich verdattert blinzelnd hervorbringt: „Ihr seid beide aus Normand? Herrschen dort immer so grosse... hum“, sie gibt das ungläubige Schnauben ihres Gatten, welches er so wundervoll beherrscht, beinahe perfekt wieder: „Ja, Unterschiede?“ Im Norden ist sie niemals gewesen und diesmal sogar nicht auf Grund ihrer Abstammung, sondern weil es Elben dort hoch oben allgemein schwer fällt, sich zu behaupten, wie sie in den unzähligen, und noch eine mehr, Geschichten ihres Ziehvaters erfahren hat. Raven fährt so hastig fort, als möchte sie ihre letzten Worte schnellstmöglich in den Hintergrund schieben und erzählt weiter, diesmal fröhlicher, unbeschwerter und Azra kann erneut den hell lodernden Funken an herzlicher Mitfreude fühlen, den sie für die Beiden empfindet. "Und ich habe es bis jetzt nur selten bereut. Die Stadt ist nicht ungefährlich und inzwischen haben wir wohl alle schon Schlimmes hier erlebt, aber es war auch oft lustig. Erinnert ihr euch noch an Kizumus und Olyvars Hochzeit? Ich hatte eine besoffene Fee in meinem Salat. Und ich musste mit Caewlin tanzen. Barfuß!" Azra kann ein Kichern nicht unterdrücken, ihre Lippen kräuseln sich vor Anstrengung nicht in leises Lachen auszubrechen und sie kann es in Borgils Augen listig funkeln sehen, als er sich schliesslich einen Kommentar nicht ersparen kann und Raven ihn gleich darauf betrachtet, als wäre auch nur ein weiteres Wort von ihm, drei Worte zu viel und Azra beisst sich auf die Unterlippe, heroisch ein Lachen unterdrückend, das ihre Kehle kitzelt und ihre Finger graben sich in Borgils lederartige Pranke, wobei ihr Göttergatte noch nicht einmal die Miene verzieht, sondern selbst nur grinst, als hätte er das Glück vom Fass getrunken. Raven beginnt aufzuzählen, mit Gestiken unterstrichen und spätestens als sie mit solch urplötzlicher Enttäuschung feststellt, dass der Krug leer ist, hat Azra Lachtränen in den Augen und muss nach Luft schnappen vor Lachen, derweil das Kind in ihr sich träge regt und ihr Bauch sich unter den Bewegungen des Ungeborenen hebt und senkt, wie ein prall gefüllter Ball auf dem Wasser. Ungefähr so fühlt es sich auch an und vorsichtig löst sie ihre Rechte von Borgils Hand und legt diese liebevoll auf ihren kugelrunden Bauch, derweil in ihren Augen die Freude wie glitzernde Diamanten funkeln. Wie ein Schmetterling in meinem Bauch... ein schwerer Schmetterling.

Borgil kann es nicht lassen, und gibt den Rest von Ravens denkbarer Gabelwerfmagierwassergeschichte zum Besten, nickt mit einem wölfischen Grinsen in Richtung der armen Frau Caewlins und unterbreitet dann mit grossem Vergnügen den Anwesenden die Tatsache, dass dieses schmale Küken doch wirklich versucht hätte, ihn unter den Tisch zu trinken. Azra versucht so gut wie möglich, ihrem Gesicht eine neutrale Ausdrucksweise zu geben, um Caewlins Frau nicht vollends in den Rücken zu fallen – schliesslich weiss sie genau, wie schlimm es werden kann, wenn die Männer sich zusammenschliessen und gutmütigen Spott hageln lassen -, kann jedoch ihre Mundwinkel beim besten Willen nicht stillhalten und hebt schliesslich die Hand vor ihren Mund, um das von Ohr zu Ohr reichende Grinsen zu verbergen. Im nächsten Moment ist es aus mit ihrer Beherrschung. "dass ich mich am nächsten Morgen für die Unbequemlichkeiten ein wenig schadlos gehalten und sie nach dem Aufwachen als mein... frischangetrautes... Eheweib begrüsst habe. Ihr hättet ihr Gesicht sehen sollen! Und wie hat sie es mir gedankt? Charmant wie sie so ist, hat sie mir auch sogleich einen Becher und einen Stiefel nachgeworfen und ich musste rennen wie Laurin Goldbart, um mich in Sicherheit zu bringen!" Ihre Schultern werden geschüttelt von dem Kicheranfall, der sie heimsucht, derweil sie mit aller Kraft versucht, so etwas wie aufrichtigen Tadel in ihren Augen erscheinen zu lassen, was jedoch immer wieder von den nun stetig rinnenden Lachtränen verhindert wird und als Borgil sie mit einem zufriedenen Grinsen betrachtet, selber tief polternd lachend, versetzt sie ihm einen halbherzigen Stubbs in seine Seite, was jedoch mit dem Versuch gleichkommt, einen Felsbrocken zu kitzeln. Raven reckt ihr Kinn in die Höhe, erhebt sich und wankt mit der dickbauchigen Kanne zum Herd, um neuen Cofea aufzubrühen. Geschickt klaubt sie Pulver, einen kleinen Kupferkessel und einen Löffel zusammen, um daraus dieses herrliche Getränk herzustellen, um das Azra Borgil unbedingt bitten muss, sobald sie wieder in der Goldenen Harfe sind. Er scheint nicht minder begeistert von dem *schwarzen Teufelszeug*, lehtn sich gemächlich zurück und verkündet schliesslich, dass es bald Zeit wäre für sie beide aufzubrechen. „Ohhh“, kommt es unschuldig klagend von Azra und sie sieht ihren Gatten aus herzzerreissenden, funkelnden Augen an, in der stumm die Bitte nach mehr Zeit steht, doch Borgil bleibt hart, kann sie dabei jedoch beim besten Willen nicht ansehen und weicht ihrem Blick aus, wie ein Zwerg, der genau weiss, dass er ihm nicht widerstehen könnte und diese Tatsache lässt sie sanft schmunzeln. „Nicht mehr so lange auf den Beinen sein, wie? Und das sagt mir der Herr, der meint nachdem er die Hälfte seines Blutes grosszügig gespendet hat, nach drei Tagen Bettruhe schon wieder auf den Dächern und Gestängen seiner Häuser herumturnen zu können?“ Ein “Hmpfff“, ist alles was sie bekommt, doch sie kann Raven hinter sich hantieren und gleichzeitig amüsiert glucksen hören und Azra kann es nicht lassen, Caewlins Frau noch einmal genauer zu mustern, derweil ihre Rechte Stelze gemütlich das verzollte Fell auf dem Querschädel krault.

Als Raven schliesslich mit einer dampfenden Kanne, aus der himmlischer Geruch nach frisch aufgebrühtem Cofea aufsteigt, an den Tisch zurückkommt, schielt Azra verstohlen zu Borgil hinüber, mustert ihn einen Augenblick und wendet sich dann Raven und Caewlin zu, derweil Stelze auffordernd seine kalte, feuchte Nase gegen die Innenseite ihrer Hand drückt. „Ich glaube“, beginnt sie zaghaft und ein vages Lächeln schleicht sich auf ihre Lippen: „Ich glaube das Wahre Glück, es liegt im Augenblick und nicht in der Vergangenheit oder in der Zukunft. Ich meine, natürlich, es gibt überall schöne Dinge und man sollte sich daran festhalten, an schönen Erinnerungen und an schöne Erlebnisse, aber... oh... ich meine natürlich einfach, ja, es ist schön zu sehen, wie glücklich ihr seid, hier und jetzt.“ Zumindest hoffe ich das, denkt sie verbissen und schüttelt kaum merklich den Kopf, derweil ihr Borgil ein wenig Cofea nachschenkt und sie dankbar den warmen Becher zwischen ihren Fingern dreht, dabei neugierig Akira musternd, die sich neben ihrem Herrn nieder gelassen hat. Unter den Hunden wohl so was wie der Caewlin unter Menschen und dazu noch ein wundervolles Tier, trotzdem wagt es Azra nicht, sich der Hündin auch nur ein Stück zu nähern, ohne vorher bei Caewlin um Erlaubnis geben zu haben und momentan wäre das mit ihrer Wasserkugel von Bauch sowieso ungünstig. Das Ungeborene scheint sich gerade dazu entschieden zu haben, ihre zu zeigen, wie lebendig es bereits sein kann und argwöhnisch verfolgt sie, wie ihr Bauch unter den Tritten und Knuffen von Sohlen und kleinen Fäusten bebt und sie hat das Gefühl sicherlich schon überall innerlich blau und grün zu sein. „Also wirklich, du bist ja schlimmer als dein Vater!“, murmelt sie mit zwischen Entzückung und Schalk schwankender Freude, derweil sie Raven einen scheuen und gespielt mitleidigen Blick zuwirft: „Sechster Mond, das war noch eine schöne Zeit, da kommt man sich noch nicht vor, als würde man einen tollwütigen Felsbrocken mit sich herumschleppen“, dabei fällt ihr Blick auf Caewlin und sie muss sich selbst mit intonierter Stimme und einem leisen Hüsteln verbessern: „Oder in deinem Fall vielleicht eher einen ganzen Berg.“ Allgemeines Gelächter erfüllt den Raum und jegliches beklemmendes Gefühl ist von Azra gewichen, als hätte es nie existiert. Sie fühlt sich zwischen schwarzglänzendem Cofea, einer kalten Hundeschnauze, ihrem Göttergatten, Raven und Caewlin augenscheinlich vollkommen wohl, zumindest zeigt sie keine erschreckende Ähnlichkeit mehr mit einem verschreckten Mäuschen.

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Caewlin am 21. Dez. 2005, 00:58 Uhr
Caewlin spürt Ravens Verwirrung, die auf seine Worte über Barsa, den Krieg und die Kerker von Ys folgt, spürt die stumme Frage ihrer Finger in seinen und drückt sacht ihre Hand. Er hatte ihr alles von sich erzählt, aber über den Krieg hatten sie nie ausführlich gesprochen - über fast gar nichts, was in diesen sieben Jahren geschehen war. In der Inarinacht am Smaragdstrand hatte er versucht, ihr begreiflich zu machen, wie er sich fühlt, wenn er kämpft und ihr seine Unfähigkeit, das Schlachten zu vergessen, erklärt, aber über Einzelheiten dieser Zeit hatten sie nie gesprochen, nicht wirklich. Er hat es ihr bestimmt nicht absichtlich verschwiegen, aber das ist einfach kein Thema, das er von sich aus beginnen kann. Wann hätten wir auch darüber reden sollen? Es war einfach nie Gelegenheit für... solche Gespräche... Für einen halben Herzschlag streift sein zielloser Blick Borgils Frau und das Mitleid in Azras Gesicht gibt ihm den Rest. Ich hätte meinen Mund halten oder lügen sollen. Es war garantiert nicht seine Absicht gewesen, seine Kriegsgefangenschaft und alles, was in diesem entsetzlichen Jahr geschehen war, zum Gesprächsstoff für diese Tischrunde zu machen. Hmpf. Selbst schuld. Du hättest es ja nicht erwähnen müssen. Das ist wahr, doch es zu verschweigen wäre ihm wie eine Lüge vorgekommen... und nun scheint Raven ihr Unwissen über diesen Teil seines Lebens mehr als betroffen zu machen. Götter... nicht... Caewlin holt tief und langsam Luft, doch er kann ihr nicht antworten - nicht hier, nicht jetzt. Stattdessen spricht er über seine Ankunft hier in Talyra und kann nur fest und warm Ravens Hand drücken, um ihr damit wortlos zu versichern, dass sie reden würden, sobald sie allein wären. Ihr Blick klebt eine ganze Weile entschlossen an der Tischplatte und ein paar Krümeln um ihren Tellerrand, doch selbst so kann er die verunsicherten Zweifel und die leise Besorgnis erkennen, die durch ihre dunklen Augen huschen, und er wünscht sich, er könnte ihr beides nehmen, während er mechanisch von Morholdrim und jener verregneten Nacht im Larisgrün erzählt. Raven greift sein Worte auf, wo er endet und berichtet weiter. Als der Name Spaßmacher fällt, stürzt Borgil sich zielsicher darauf und Caewlin kann nur mit Mühe ein ungehaltenes Schnauben unterdrücken... er kann sich noch so oft sagen, dass sein Verhalten was den Druiden angeht vollkommen idiotisch und irrational obendrein ist, und dass er Mottenfaenger im Grunde eigentlich dankbar dafür sein sollte, aus Talyra verschwunden zu sein, aber alles, was er fühlt, jedesmal, wenn die Rede auf den Spaßmacher kommt, ist eine verworrene Mischung aus Zorn und Eifersucht. Zorn, weil er Raven einfach verlassen und sie damit so verletzt hatte. Und Eifersucht, weil sich ihm allein beim Gedanken daran, dass sie Mottenfaengers Leben geteilt, dass ihr Lächeln und ihre Gedanken, von ihren Küssen und ihrer Liebe ganz zu schweigen, einmal dem Druiden gehört hatten, der Magen umdreht.

Erst Ravens leises >Ich war noch ein halbes Kind, als ich Normand verlassen habe....< bringt ihn aus blutrünstigen Visionen von  Ketten aus Druidenohren und -zähnen wieder zu sich. Sie mag Azra und Borgil etwas vormachen können, aber nicht ihm - sie erwähnt ihre Kindheit in Corwyness mit keinem Wort, noch erzählt sie, warum sie den Norden verlassen hat, aber er sieht genau, wie schwer es ihr schon fällt, sich diesem Teil ihrer Vergangenheit auch nur in Gedanken zu nähern. Er kann sie nicht an sich ziehen und in den Arm nehmen, wie er es gern getan hätte, denn ihm sind Armlehnen und Tischkante im Weg, aber er verschränkt seine Finger noch ein wenig fester mit ihren und fährt mit dem Daumen die Linien ihrer Handflächen nach. >Ihr seid beide aus Normand? hakt Azra ungläubig nach und blickt dann vollkommen entgeistert von Raven zu ihm. >Herrschen dort immer so grosse... hum... Ja, Unterschiede?< Caewlin lacht leise und schüttelt dann grinsend den Kopf. "Nein. Für eine Normanderin schlägt Raven ein wenig... aus der Art - aber nur, was die Größe angeht. Du solltest eine meiner Schwestern sehen, sie sind allesamt höchstens einen Kopf kleiner als ich." Azras unschuldige Frage scheint auch Raven aus dem Sog dunkler Erinnerungen zu reißen, denn sie fährt, wenn auch ein wenig eilig, doch sehr viel gelassener fort. >Naja, jedenfalls bin ich hier geblieben. Und ich habe es bis jetzt nur selten bereut. Die Stadt ist nicht ungefährlich und inzwischen haben wir wohl alle schon Schlimmes hier erlebt, aber es war auch oft lustig. Erinnert ihr euch noch an Kizumus und Olyvars Hochzeit? Ich hatte eine besoffene Fee in meinem Salat. Und ich musste mit Caewlin tanzen. Barfuß!< Sie rückt ein Stück näher und lehnt sich an ihn - viel zu kurz, wenn es nach ihm geht, aber immerhin lange genug, dass er einen Kuss auf ihr weiches, dunkles Haar drücken kann... und er muss ihr Gesicht nicht sehen, um zu wissen, wie sie jetzt lächelt. CAEWLIN! Was tust du? Halt an! Bei allen Göttern, ich kann überhaupt nicht tanzen... Siehst du? Nein, schau nicht auf deine Füße, sieh mich an, auch wenn es kein sonderlich netter Anblick ist. Es ist nicht schwer. Mitzählen und im Takt bleiben. Das ist das ganze Geheimnis... Aha. Raven Schattenhaar tanzt also gern... Azra kichert leise, Borgils Grinsen will schier das kantige Zwergengesicht spalten, als er sich daran erinnert, doch Caewlin selbst lächelt nur. >Und seine Füße sind dabei sogar heil geblieben,< fährt Raven fort. >Oder das Sommerfest vor einigen Jahren ... dort ist Cron zum ersten Mal in der Stadt aufgetaucht. Und ich musste ein Kleid tragen. Oder weißt du noch unser Besäufnis in der Harfe, Borgil? Als dieser merkwürdige Magier deine Gaststube unter Wasser gesetzt und mich mit Gabeln beworfen hat? Oder diese unsägliche Reise nach Liedberg? Oder die Sache in Wegesend? Oder .... oh ... leer...< Sie löst sich vollends von ihm, steht auf und geht zum Herd hinüber, wo sie mit Cofeapulver, Filtertuch und Wasserkessel hantiert, um noch einmal die Kanne zu füllen, während Borgil sich in Positur wirft und die Geschichte ihres gemeinsamen Saufgelages in der Harfe zum Besten gibt.

Caewlin enthält sich jeden Kommentars, aber das Grinsen, das sich bei diesen Offenbarungen auf sein Gesicht schleicht, kann man getrost als mörderisch bezeichnen. >Es war nur recht und billig,< endet der Zwerg schließlich, inzwischen selbst hochrot vor unterdrücktem Gelächter,> dass ich mich am nächsten Morgen für die Unbequemlichkeiten ein wenig schadlos gehalten und sie nach dem Aufwachen als mein... frischangetrautes... Eheweib begrüsst habe. Ihr hättet ihr Gesicht sehen sollen! Und wie hat sie es mir gedankt? Charmant wie sie so ist, hat sie mir auch sogleich einen Becher und einen Stiefel nachgeworfen und ich musste rennen wie Laurin Goldbart, um mich in Sicherheit zu bringen!< Azra erstickt fast an ihrem Lachen und wischt sich hin und wieder kichernd Tränen aus den Augenwinkeln, während Raven die Kanne frisch aufgebrühten Cofeas vernehmlich auf dem Tisch abstellt, Borgil dabei böse anfunkelt, sich mit einem indignierten kleinen Schnauben setzt und dann höchst würdevoll ihr Näschen rümpft. Borgil bemerkt bedauernd, dass Azra und er bald wieder aufbrechen müssten und Caewlin beobachtet amüsiert das unweigerlich folgende, vertraute Geplänkel zwischen dem Zwerg und seiner Frau. Stelze, dem es überhaupt nicht gefällt, Azras Aufmerksamkeit mit irgendjemandem teilen zu müssen, bringt sich nachdrücklich in Erinnerung, indem er seinen Zottelschädel auf ihren Schoß legt und seine Nase an ihre Hände drückt, so lange, bis sie ihn wieder hinter den pelzigen Ohren krault. Sie mustert erst Raven, dann ihren Mann, in dessen steinharten Zwergenhänden die Cofeakanne fast zerbrechlich aussieht, als er erst ihr, dann sich selbst einschenkt, und wirft leise in die momentane Stille am Tisch ein: >Ich glaube... Ich glaube das Wahre Glück, es liegt im Augenblick und nicht in der Vergangenheit oder in der Zukunft. Ich meine, natürlich, es gibt überall schöne Dinge und man sollte sich daran festhalten, an schönen Erinnerungen und an schöne Erlebnisse, aber... oh... ich meine natürlich einfach, ja, es ist schön zu sehen, wie glücklich ihr seid, hier und jetzt.< Caewlin hebt seinen Cofeabecher, legt den Kopf leicht schräg und prostet Borgils zierlicher Frau mit einem verzogenen, halben Lächeln zu. "Skål. Es ist auch schön euch so zu sehen." Er tauscht einen Blick mit dem Zwerg und sieht dann, wie Azra verhalten, aber neugierig, die Bluthündin mustert, die sich brummend auf den warmen Fliesen hinter seinem Stuhl räkelt und dabei die halbe Küche in Beschlag nimmt - unhündisch still und desinteressiert. "Bluthunde sind  zurückhaltend," erklärt er schulterzuckend. "Sie beachten niemanden außerhalb ihres Rudels. Akira wird zwar nichts dagegen haben, wenn du sie anfasst oder streichelst, aber sie wird nicht darauf reagieren." Die Hündin, die immer merkt, wenn von ihr die Rede ist, hebt ihren Kopf vom Boden und blinzelt ihn einen Moment lang aus gelben Augen an, ehe sie wie zum Beweis seiner Worte einmal gelangweilt mit dem Schweif wedelt und sich dann wieder der Länge nach ausstreckt. Stelze, der keinen Herzschlag lang dulden will, dass Azra noch einem anderen Gott außer ihm huldigen könnte, bohrt seine feuchte Nase energisch in ihre Seite und fährt überrascht jaulend zurück, als er prompt einen Tritt des Kindes in ihrem Bauch auf seine impertinente Schnauze erhält.

Azras hochschwangerer Leib beult sich sichtbar erst zur einen, dann zur anderen Seite aus und sie verzieht mit einem leicht gequälten Lächeln ihr Gesicht, während sie fast zärtlich mit ihrem purzelbaumschlagenden Ungeborenen schimpft. Borgil ihm gegenüber und Raven neben ihm starren so fasziniert wie er selbst auf die wellenartigen Bewegungen. Caewlin kann nicht anders als seinen Arm um Ravens Taille und seine Hand auf ihren Bauch und die deutliche, aber noch recht bescheidene Wölbung dort zu legen. Er erinnert sich an die vergangene Nacht, als er zum ersten Mal gespürt hatte, wie sein Kind sich in ihr regt, an das flatternde Klopfen unter ihrer weichen Haut, und fächert seine Finger auf in der Hoffnung, es noch einmal zu fühlen. >Sechster Mond, das war noch eine schöne Zeit, da kommt man sich noch nicht vor, als würde man einen tollwütigen Felsbrocken mit sich herumschleppen,< lässt Azra sich vernehmen, lehnt sich zurück und legt ihre schmalen, weißen Hände auf ihren wuchtigen Leib. Dann sieht sie ihn an, räuspert sich und fügt mitleidig hinzu. >Oder in deinem Fall vielleicht eher einen ganzen Berg.< Caewlin kann darüber nicht lachen, auch wenn seine Mundwinkel sich zu einem knappen Lächeln verziehen - die zweifellos scherzhaft gemeinte Bemerkung weckt zuviele alte Befürchtungen. Raven ist nicht zerbrechlich, aber sie ist klein und schmal... was, wenn das Kind wirklich nach ihm kommt, so wie Brynden? Was, wenn sie Schwierigkeiten bei der Geburt bekäme? Was, wenn nicht alles gut gehen würde? Wieviele Frauen, die noch so gesund, kräftig und robust sind, sterben im Kindbett? Zuviele... Eine kalter Hauch streift über seine Haut und er schaudert kurz. Hör auf, dich selbst verrückt zu machen! Ihr wird überhaupt nichts geschehen... Raven sieht ihn prüfend an und irgendwie gelingt es ihm, sie unbefangen anzulächeln. Dann neigt er den Kopf, küsst den Bogen ihres Ohres und flüstert. "Götter, ich will dich auch so rund und voller Leben sehen..."

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Borgil am 23. Dez. 2005, 00:27 Uhr
Borgil, pappsatt, bis zu den Ohren abgefüllt mit einem fulminanten Festmahl, literweise Cofea und köstlichem Kuchen, starrt so hingerissen und bewegt auf das wilde Auf und Ab im runden Kugelbauch seiner Frau wie alle anderen am Tisch, inklusive Stelze, der völlig verdattert über diesen Nasenstüber aus dem Nichts ein leises "Wuff!" von sich gibt und dann mißtrauisch und fasziniert die wellenförmigen Ausbeulungen unter dem gespannten Stoff von Azras Kleid beobachtet. Caewlin flüstert mit Raven und legt seine große Hand auf ihren Leib, eine gleichzeitig besitzergreifende und irgendwie zärtliche Geste, doch Borgil ist seine mehr als verhaltene Belustigung bei Azras letzten Worten und die plötzliche Sorge in den hellen, kalten Augen des Sturmenders nicht entgangen... anders als seine Frau allerdings ahnt er, in welche Richtung die Gedanken Caewlins wohl gerade gehen und seufzt mitfühlend und wissend. Ihn selbst haben in den vergangenen neun Monden oft genug ganz ähnliche Sorgen geplagt und zahllose Nächte war er deswegen wachgelegen und hatte sich unruhig von einer Seite auf die anderen gewälzt, während Azra friedlich und ahnungslos neben ihm geträumt hatte. Würde sie die Geburt gut überstehen, so zierlich und klein wie sie ist? Gut, Borgil ist weit davon entfernt, mit einem Berg verglichen zu werden und nur eine Handspanne größer als seine Frau, aber er bringt mit Leichtigkeit annähernd Caewlins Gewicht auf die Waage und ist so breit wie hoch. Aber was immer bei seinen Grübeleien über die Geburt herumgekommen war, es kommt nichts dabei heraus... sie kann schließlich nicht ewig schwanger bleiben. Sie muss das Kind zur Welt bringen und so sehr er sich auch wünscht, ihr dabei helfen zu können, er kann nichts tun, außer beten, hoffen und bei ihr bleiben. Morgana oder TianShi oder am besten alle beide werden ihr tausendmal besser helfen können, als ich, beruhigt er sich selbst und spricht dann den ersten Gedanken aus, der ihm durch den Kopf geht. "Tut das nicht weh... wenn man so äh... ausgebeult wird?" Erkundigt er sich und blickt von Azra zu Raven.

"Ich kann mir nicht vorstellen, dass das angenehm ist, wenn da jemand Purzelbäume zwischen euren Eingeweiden schlägt. Also von Außen fühlt es sich fantastisch an... wenn man seine Hand darauf legt und spürt, wie ein kleiner Ellenbogen oder ein winziges Füßchen dagegenknufft, als halte man ein gefangenes Vögelchen. Aber nach neun Monden müsst ihr Frauen doch inwendig grün und blau sein..." sinniert er weiter. "Ich kann mir nicht vorstellen, wie das ist. Ein Kind im Leib zu tragen, mein ich. Sicher, ich bin ein Mann und wahrscheinlich kann ich es mir schlicht deshalb nicht denken, weil ich ahm... ja nicht die entsprechenden Körperteile habe, aber wie sich das wohl anfühlt, das würde ich ja zu gerne mal wissen. Oh schon gut, ich weiß ich weiß," brummelt er, als er Ravens und Azras synchron ratlose Mienen bemerkt. "Ihr könnt es mir und keinem Mann Rohas erklären.... nicht so wichtig, ich war einfach nur neugierig. Du wirst sehen, Ravenschatz, das geht schneller, als man denkt. Ich weiß noch wie gestern, als Azra mir gesagt hat, sie sei schwanger... ich war so vom Donner gerührt, dass ich glatt vom Stuhl gerutscht bin... lacht nicht... Wir rätseln ja immer noch über einem Namen... wenn man nur vorher schon wüsste, was es wird, Junge oder Mädchen..." hier wirft er Azra neben sich einen listigen Blick zu, aber sein sanft spöttelndes Grinsen straft dabei die Heimtücke in seinen Augen Lügen. "Ach ja, ich vergaß - es wird ja ein tollwütiger Felsbrocken. Hmm, schon gut. Das merken wir uns, Madame Blutaxt, der tollwütige Felsbrocken und ich, nur damit du's weißt." Azra kichert leise und leert ihren Cofeabecher und Borgil tut es ihr gleich. "Ach," seufzt er beinahe bedauernd, "die Wochen und Monde einer Schwangerschaft gehen so rasend schnell vorüber, dass man als armer werdender Vater überhaupt nicht mitkommt. Am einen Tag passt das Gewand noch, am anderen nicht mehr, am einen Tag taugt das frisch eingerichtete Kinderzimmer noch, am nächsten nicht mehr, morgends hat man Hunger auf essigsaure Gurken, mittags auf Rahm mit Schweineblut, abends dann auf Sauerbraten..." er weicht geschickt der wohlplatziert angedeuteten Ohrfeige aus, die Azra ihm androht und wirft dabei zufällig einen Blick aus den beiden Oberlichtern zwei Stock über ihnen. Der trübe Winternachmittag ist längst einer frühen Dämmerung entgegengedunkelt - draußen ist es stockfinster. "Und die Zeit rast auch, wie ich merke. Caewlin, Raven... unser Wagen wird jeden Moment hier sein. So schön der Tag bei euch war, wir müssen gehen."

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Raven am 28. Dez. 2005, 17:48 Uhr
Je länger alle Anwesenden am Tisch - sie selbst eingeschlossen - Azras kugelrunden Bauch anstarren, der auf einmal in alle Richtungen heftig Beulen und Dellen produziert und dem sich arglos nähernden Stelze sogar eins auf die neugierige Nase gibt, desto mulmiger wird es Raven zumute. Die ganzen letzten Siebentage über, seitdem sie weiß, dass sie ein neues, kleines Leben in sich trägt, hatte sie sich Gedanken darüber gemacht, was in ihr vorgeht, hatte all die wundersamen Veränderungen an ihrem Körper beobachtet, sich Namen für das Kind ausgedacht und sich vorzustellen versucht, wie groß es gerade sein mag oder wie es aussieht, hatte sich über das zaghafte erste Flattern unter der Haut gefreut und über Caewlins Lächeln, als er die ersten Herzschläge wahrnehmen konnte. Sie hatte einfach den Augenblick genossen und sich auf die Gegenwart konzentriert - aber sie hatte nicht einen einzigen Gedanken an die nahe Zukunft und daran verschwendet, dass das Ende einer Schwangerschaft ziemlich beschwerlich sein könnte und es vermutlich alles andere als angenehm sein wird, ein Kind auf die Welt zu bringen. Das alles war angesichts ihres lächerlichen Bäuchleins in weite Ferne gerückt, aber nun, zwischen Kuchenkrümeln und geleerten Kaffeebechern, schießen ihr plötzlich tausend Fragen auf einmal durch den Kopf und ihr wird bewusst, wie verflixt wenig sie über all diese Dinge weiß. In ihrem Leben hatte sie ohnehin kaum je mit Frauen in anderen Umständen zu tun gehabt und war die Sprache zufälligerweise doch einmal auf dieses Thema gekommen, hatte sie eifrig weggehört, weil sie sich überhaupt nicht betroffen gefühlt hatte. Das einzige, das über all die Zeit hängengeblieben ist, sind die Geschichten der Mägde in Corwyness, wahre Schauermärchen von Blut und Schmerzen, Steißgeburten und sterbenden Müttern, mit denen sie sich die langen Winterabende vertrieben hatten. Sie hatte das für gewöhnlich als heillos übertriebenes Altweibergeschwätz und als Hirngespinste abgetan, aber mit Azras Bauch konfrontiert, der unter dem weiten Gewand ein ziemlich turbulentes Eigenleben zu führen scheint, keimt jetzt doch reichlich Unsicherheit in ihr auf, vor allem, weil sich ihr die Frage aufdrängt, wie der Inhalt dieser gewaltigen Kugel durch ein schmales Becken passen soll, das nur einen Bruchteil von dessen Umfang besitzt. Vielleicht stimmt es ja doch, was sie erzählt haben ...

Als die Blutelbin dann auch noch fröhlich etwas von Bergen und tollwütigen Felsbrocken hervorsprudelt, sinkt Raven das Herz vollends in die Hosen. Sie weiß sehr wohl, dass die arglose Bemerkung als Scherz gemeint war, aber mehr als ein gequältes Lächeln bringt sie dennoch nicht zustande und auch Borgils tiefschürfende philosophische Betrachtungen tragen nicht unbedingt zu ihrer Beruhigung bei. >Du wirst sehen, Ravenschatz, das geht schneller, als man denkt<, sinniert er mit zuckenden Bartspitzen und einem Blick auf Azras Bauch, in dem die Frucht seiner Lenden offenbar gerade ihre abendlichen Streckübungen absolviert. "Ja, genau das befürchte ich auch", entfährt es ihr mit einem Seufzer und sie hat Mühe, ihre so plötzlich in Aufruhr geratenen Gedankengänge wieder in geordnete Bahnen zu lenken. Ich sollte nicht so viel grübeln, schimpft sie sich im Stillen. Bis jetzt ist noch jedes Kind irgendwie auf die Welt gekommen und das wird dieses ebenso. Schließlich habe ich schon Schlimmeres überlebt als eine Niederkunft, und was soll schon passieren? Doch das aufdringliche Ja, aber was ist, wenn..., das ihr leuchtend und blinkend und in riesengroßen Lettern im Hinterkopf herumspukt, lässt sich trotzdem nicht ganz beiseite schieben und als sie einen Blick mit Caewlin tauscht, findet sie in seinen Augen ein leises Echo ihrer eigenen Sorgen und Gedanken. Zwar bemüht er sich, seiner Stimme einen möglichst unbefangenen Klang zu geben, aber sie kann einen kaum wahrnehmbaren Unterton zwischen seinen Worten heraushören, der eine ganz und gar andere Sprache spricht. >Götter, ich will dich auch so rund und voller Leben sehen...<, murmelt er und seine Lippen streifen sacht ihr Ohr. Sie wendet den Kopf und nutzt die Gelegenheit, um ihn zu küssen, bevor sein Mund wieder in unerreichbare Höhen verschwindet.

"Rund und voller Leben? Ich werde aussehen wie ein watschelndes Jauchefass", prophezeit sie mit einem kläglich schiefen Lächeln. "Ich werde mondelang meine Zehen nicht sehen, mich nicht bücken und meine Stiefel nicht zuschnüren können, und um mich aus dem Sessel am Kamin zu hieven, werden wir einen Flaschenzug brauchen. Ich werde in Kleidern herumlaufen müssen, die Ähnlichkeit mit den Zelten der Stadtgarde haben, meine Fußknöchel werden so dick sein wie Borgils Beine und mein Bauch überall im Weg, und ich werde dich überhaupt nicht mehr umarmen können. Du wirst mich bestimmt ganz abscheulich finden." Auch wenn es nach außen hin scherzhaft klingt - in ihrem Inneren beschleichen Raven auf einmal leise Zweifel, ob nicht vielleicht doch ein Körnchen Wahrheit in ihren letzten Worten liegt. Nicht, dass sie an seiner Liebe zweifeln würde, aber dass ein Mann seine Frau selbst dann noch schön finden kann, wenn sie aussieht, als hätte sie eine Feuermelone verschluckt und sich so anmutig bewegt wie ein gestrandetes Walross, das kann sie sich beim besten Willen nicht vorstellen. Sie lehnt sich an Caewlins Seite, legt ihre Finger über seine und lauscht mit einem Schmunzeln in den Mundwinkeln dem Geplänkel zwischen Borgil und seiner Frau, doch sie ist gar nicht richtig bei der Sache. Zu viel geht ihr im Kopf herum, ein Wirrwarr aus Zweifeln, Unsicherheit, Freude, Furcht und tausenderlei Gedanken, die wie eine losgetretene Lawine nicht mehr aufzuhalten sind und sie ist froh, in diesem Augenblick Caewlin neben sich zu spüren. Wenn er bei ihr ist, scheint die ganze Welt auf einmal klar und einfach zu werden und alle Sorgen schrumpfen zu Nichtigkeiten zusammen, ganz gleich, wie groß das Durcheinander in ihrem Inneren auch sein mag. Sein Arm, der stark und sicher um ihre Mitte liegt, und die Wärme seiner Finger, die sich über ihrem gewölbten Leib auffächern, verscheuchen allmählich die Unruhe, und als sie spürt, wie sich in ihr ein federleichtes Flattern regt und etwas sehr Kleines wie mit zarten Flügelschlägen gegen ihre Haut drängt, als wolle es sich in Caewlins hohle Hand schmiegen, entspannt sich ihr Gesicht in einem Lächeln.

Erst Borgils tiefes Bassgebrummel reißt sie wieder aus ihren Gedanken. >Caewlin, Raven... unser Wagen wird jeden Moment hier sein. So schön der Tag bei euch war, wir müssen gehen.< Mit lautstark knackenden Gelenken und einem bedauernden Seufzer stemmt der Zwerg sich in die Höhe und hilft Azra von ihrem Platz. Der Nachmittag ist tatsächlich wie im Flug vergangen und ohne dass sie es richtig gemerkt haben, ist es Abend geworden und für den vielbeschäftigten Harfenwirt und seine Frau schon längst wieder Zeit zum Aufbrechen. Eine ganze Weile stehen sie noch zusammengedrängelt wie eine kleine Herde Schafe im Windfang an der Haustür - mitsamt zweier Hunde, die es sich nicht nehmen lassen, sich mit in den engen Raum hineinzuquetschen, der mit einem turmhohen Nordmann, einem quadratischen Zwergen und zwei Schwangeren ohnehin schon die Grenzen seines Fassungsvermögens erreicht hat. Der Abschied begnügt sich natürlich nicht mit einem simplen "Lebt wohl", sondern nimmt noch einige Zeit in Anspruch und wird lebhaft und gestenreich untermalt von Dankesworten für die Geschenke, das Essen und den Besuch, Umarmungen und etlichen Beteuerungen, sich bald wiederzusehen, der Harfe einen Gegenbesuch abzustatten und sich nach dem Nachwuchs zu erkundigen, und Azra und Borgil reißen sich erst endgültig zum Gehen los, als sie draußen auf dem Pflaster schwere Wagenräder knirschen hören. Der Knecht, der auf dem Kutschbock sitzt, hat den Kragen hochgeschlagen, die Mütze tief ins Gesicht gezogen und sich seinen dicken Wollschal gegen die Kälte bis zu den Ohren hochgezogen, aber er sieht trotzdem so verfroren aus, als würde er gleich wie ein Eisblock vom Karren kippen. Der Wind kommt von Norden und ist klirrend kalt und die Pflastersteine sind von einer glitzernden Schicht Reif überzogen. Winzige Schneeflocken treiben durch die Luft und ihr Atem gefriert zu weißen Winterwolken, während sie im goldenen Lichtschein einer Laterne dem Wagen nachsehen, bis er durch das Tor verschwunden ist.

In der Küche ist es so warm gewesen, dass Raven noch immer zu glühen scheint und obwohl es bitterkalt ist, friert sie kaum. Der eisige Wind prickelt auf ihren erhitzten Wangen und treibt ihnen weiße Flockenwirbel um die Nasen, aber nach der erstickenden Wärme der Küche tut die Kälte gut und verjagt auch noch die letzten Grübeleien. Sie schlingt den Arm um Caewlins Hüften und beobachtet die beiden Hunde, die mit den Schnauzen dicht über dem Boden durch den raureifüberzogenen Garten stromern. "Wollen wir mit den beiden noch ein Stückchen an den Strand hinunter und uns die Beine vertreten?" schlägt sie vor und wischt sich ein paar verirrte Flocken aus den Wimpern. "Drinnen war es so warm, dass ich mir schon wie ein Heizkessel vorkomme. Und bis zum Abendbrot und zum Buchstabenkästchen ist bestimmt noch ein wenig Zeit." Ein Blick über ihre Schulter lässt sie Dalla erspähen, die gerade geschäftig durch die Halle in Richtung Küche rauscht. Den ganzen Nachmittag über hatten Bethel und sie sich brav zurückgehalten, sie unbehelligt und ungestört mit ihren Gästen in der Küche sitzen lassen und sich mucksmäuschenstill verhalten. Aber kaum dass sie den Raum verlassen und Borgil und Azra zur Tür gebracht hatten, hatten sie sofort mit hektischen Aktivitäten und den Vorbereitungen für das Nachtmahl begonnen, als müssten sie tagelange Fehlzeiten aufholen. Es würde also gewiss noch eine Weile dauern und außerdem ist Raven vom Mittagsmahl und der darauf folgenden Kuchenorgie ohnehin noch so pappsatt, dass sie wahrscheinlich drei Tage ohne Essen auskommen würde, ohne ein einziges Mal ihren Magen knurren zu hören. Sie zerren sich warme Stiefel über die Füße, nehmen die Umhänge von den Haken neben der Tür und schlüpfen in den Winterabend hinaus. Der Wiesenhang hinter dem Haus ist mit einer dünnen Schneeschicht überzogen und obwohl die Sonne schon lange untergegangen und die Nacht hereingebrochen ist, ist der Himmel hell von schweren Schneewolken. Caewlin pfeift die Hunde heran, als sie durch die kleine Pforte in der hohen Mauer treten und sich dem Seeufer zuwenden. Der Ildorel schäumt grau und zornig gegen den Strand, als kämpfe er gegen den schneidenden Wind, der die kahlen Baumkronen zerzaust und die Säume ihrer Umhänge zum Flattern bringt. Eine Weile stapfen sie stumm nebeneinander her, eng verschlungen und jeder in seinen eigenen Gedanken versunken, während die Hunde ihnen weit voraus durch den tiefen Sand jagen. Caewlins Worte fallen ihr wieder ein und all das, was er am Nachmittag über seine Zeit in Normand erzählt hat, und zuerst ist Raven unschlüssig, ob sie ihn überhaupt fragen soll, aber dann tut sie es schließlich doch. "Warum hast du mir nie erzählt, dass du in Gefangenschaft warst?" fragt sie leise und schon allein der Gedanke, dass jemand ihm etwas zuleide getan hat, dass jemand ihn in einen verschimmelten Kerker gesperrt und ihm Schmerzen oder Qualen zugefügt haben könnte, schnürt ihr das Herz in der Brust zusammen. "War es sehr schlimm dort?"

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Caewlin am 04. Jan. 2006, 23:37 Uhr
Sie schlendern Arm in Arm und eng nebeneinander den hochgelegenen, festgetretenen Uferweg entlang, und die Hunde irgendwo vor ihnen sind längst zwischen den Dünen verschwunden. Der Wind ist schneidend, schmeckt nach Frost und treibt feine Schneekristalle in wirbelnden Schleiern vor sich her, aber er kommt nicht von Osten, nicht aus den Gipfeln des Wyrmschwanz herab über den endlos weiten, zinngrauen Spiegel des Ildorel, sondern vom Wald und den weiten Steppen hinter dem nördlichen Larisgrün her - avangnaq, Nordwind. Der Geruch nach kalter Erde und Eis vermischt sich mit dem nach Tang und Wasser, und Caewlin atmet tief ein, während er Raven vor dem beißenden Wind abschirmt und zusätzlich mit in seinen Umhang hüllt. Er schmeckt den Winter in diesem Wind und er erinnert ihn an die Eisigen Öden, an Letztfeuer, an Unschuld und Träume. Als sie Borgil verabschiedet und dann das Haus verlassen hatten, hatte in der wärmedurchglühten Küche die Atmosphäre eines ardunischen Schwitzhauses geherrscht, und sie spüren die Kälte wohl beide gerade wie einen Segen auf ihrer erhitzten Haut. Caewlin ist das Wetter ohnehin viel zu mild und zu feucht für den Beginn des Julmonds, und er würde sich vermutlich nie an diese südländischen Matschwinter gewöhnen... auch wenn er ihnen inzwischen durchaus mit Respekt begegnet. Die erlebte Kälte hängt mehr vom Wind und der Feuchtigkeit ab, als davon, wie kalt es tatsächlich ist, und schon in Sturmende und auf der Mauer hatte er mehr gefroren als je in den Eisigen Öden - trotzdem vermisst er den Nordwinter. Er vermisst sogar die lange Dunkelheit, vier Monde, in denen die Sonne nie zu sehen ist. Dennoch ist es keine ewige Nacht, denn der Mond scheint und die Sterne, und ab und an das Nordlicht und da ist der Schnee. Sein Weiß scheint immer zu leuchten, ein endloses kühles, helles Glühen, das aus der Erde selbst aufsteigt. Zuhause liegen jetzt acht Fuß hoch Schnee, es friert, und es fällt qanik, in Flocken so groß wie Daunenfedern und genauso weich. Er fällt ganz langsam, in schwerelosen Kristallen und bedeckt die Burg, die Klippen, die Felsen, die Strände und die Erde, die Tundra und die Wälder mit einer Decke aus glitzerndem Frost...

>Warum hast du mir nie erzählt, dass du in Gefangenschaft warst?< Tönt es plötzlich aus dem weichen Pelzknäuel an seiner Seite. Nur noch Ravens Nasenspitze lugt aus dem Wolfspelzkragen ihres Umhangs und dem dunklen Bärenfell seines Mantels hervor, der zusammen mit seinem Arm um ihre Schultern liegt. Umrahmt vom Schwarz und Grau der Pelze wirkt Gesicht sehr hell und in ihrem schneefeuchten Haar spielt der Wind. Caewlin ist nicht wirklich überrascht... er hat ihre Reaktion am Tisch sehr wohl bemerkt und im Grunde hat er mit dieser Frage gerechnet, seit sie das Haus verlassen haben. Einen Moment lang schweigt er, dann zuckt er mit den Schultern, drückt sie kurz ein wenig fester an sich und küsst ihre Stirn. "Warum hast du mir noch nicht von deiner Zeit mit Schattenhaar und deinem späteren Leben als Dieb erzählt? Oder von Blaeran..." In seiner Stimme schwingt keinerlei Vorwurf mit, es ist nur einfach so, dass keiner von ihnen bisher die Gelegenheit gehabt hatte, dem anderen sein gesamtes Leben in allen Einzelheiten zu berichten. >War es sehr schlimm dort?< Wieder schweigt er, diesmal sogar eine ganze Weile. "Ja," ist schließlich schlicht alles, was er erwidert, aber dann schüttelt er sacht den Kopf. "Es ist nicht so, dass ich dir nichts darüber erzählen will, min koerlighed... oder dass ich dir irgendetwas hätte verschweigen wollen. Es ist einfach... nur leichter, wenn man danach gefragt wird, schätze ich." Er holt tief Luft. In der Dunkelheit der beginnenden Langschneenacht sind ihrer beider Gesichter nur noch blasse, helle Schemen, doch seine Augen sind so finster wie der verhangene Himmel. Er ist sicher, dass Raven die Anspannung in ihm spüren kann, den gespannten Draht, der in seinem Inneren summt, irgendwo dicht unter seiner Haut. "Es war im letzten Kriegsjahr... oder noch nicht ganz, am Ende des vorletzten. Laitance und Emrys waren gefallen, der Süden und der Osten Barsas waren in unserer Hand und besetzt von Fjarlands, Corwyness' und Vineyeards Männern, die Feste Barsa und die Stadt Ys wurden belagert. Wir wollten die Insel selbst nie erobern... wozu auch? Dort gibt es nichts außer Fels, Eis, Flechten, Rentiere, Bären und ein paar Stämme der Ersten Menschen. Was wir wollten... oder was Teja wollte, was er musste, um vor den landhungrigen Formoren länger als ein paar lausige Sommer über Ruhe zu haben, war, sie vernichtend zu schlagen.

Frag mich nicht, wieviele Kämpfe es in den sechs Jahren Krieg bis dahin schon gegeben hatte oder wie viele große Schlachten, ich weiß es nicht... zu viele," er zuckt mit den Schultern und sein Mund verzieht sich ironisch. "Zu wenige. Die Schwarzpiraten, wie man sie hier im Süden nennt, sind kein gewachsenes Volk, aber das weißt du bestimmt selbst. Sie tauchten vor ein paar Hundert Jahren im Norden auf und woher sie kamen, weiß niemand. Sie besetzten die Insel, versklavten die Stämme der Wildlinge dort und errichteten ihre Festungen und Häfen, aber sie wurden nie wirklich sesshaft. Sie blieben, was sie schon immer waren, ein raubendes Seefahrervolk... in diesem Punkt sind sie nicht anders, als es unsere Vorfahren auch waren. Aber ihre Schiffe sind schwarz und schnell, ihre Überfälle grausam... und ihre Art noch grausamer," fügt er trocken hinzu. "Was immer du an blutrünstigen Gerüchten über sie gehört hast, min koerlighed... das meiste davon trifft zu. Sie haben vier Städte mit Trutzburgen und festungsartigen Häfen auf der Insel. Laitance, Emrys, Ys und Barsa selbst. Laitance und Emrys waren im sechsten Kriegsjahr schon lange erobert, und von Laitance war auch nicht mehr viel übrig, doch in Ys und Barsa hielten sich die Formoren eisern. Die Festung Barsa liegt ganz im Westen der Insel, in der Sklavenbucht und wurde schon seit drei Jahren belagert, aber es war kein Herankommen. Der Haupteil unserer Kriegsdrachen und etwa fünfzigtausend Männer unter Waffen waren dort...Ys dagegen liegt auf einer schmalen Landzunge im Südwesten und ließ sich noch weniger einnehmen. Wir haben es dennoch versucht... von der Inselseite her, und das war unser Fehler. Im Spätherbst des sechsten Kriegsjahres ließ Teja die Belagerung Barsas in den Händen Leirs von Tronje, Långbenets und Rægenheres von Trondheim und zog mit einem kleineren Heer hinter sich selbst gegen Ys - gegen den Rat seiner Lairds, auch gegen unseren. Er wollte nichts davon hören, dass ein König nicht in der ersten Schlachtreihe zu stehen hat und allein dafür waren wir sein. Teja ist eigentlich kein Mann, der es einem einfach macht, ihm zu folgen... nicht wie Cron oder Olyvar, die geborenen Anführer, denen ihre Männer folgen, weil es so leicht ist, sie zu lieben, aber nach sechs Jahren Krieg hatte er sich den bedingungslosen Respekt sowohl der größten Lords wie der einfachsten Spießkämpfer längst verdient.

Wir ritten mit ihm -  Cron, Siggeir von Trondheim, Eirik Isvard von Stürmen, Bairne Kallhanden, ein paar kleinere Thanes verschiedener Lairds und ich. Auf der Ebene von Isletta, etwa zwei Tagesritte vor unserem Ziel, wurden wir niedergemacht. Die Nauarchin von Ys war eine Svartmagoi, eine Schwarzmagierin... was wir nicht wussten. Zahlenmäßig war Tejas Heerbann ihrem zwar überlegen, aber sie hatte einen ganzen Kader Zauberer bei sich - wir hatten zwei einfache Druiden und eine Handvoll Schamanen von verbündeten Stämmen Barsas." Caewlin hebt für einen Moment den Kopf und sieht aus schmalen Augen über den dunklen, unruhigen See hinaus. Der Wind hat nachgelassen und aus den winzigen Eiskristallen sind mittlerweile dicke, weiche Flocken geworden, die still und lautlos fallen... wie die Erinnerungen. "Du kannst dir vorstellen, was geschehen ist. Die ganze verdammte Schlacht war ein einziger Alptraum, Raven, und die Eben von Isletta nichts als ein riesiger Scheiterhaufen. Fast dreißigtausend Normander sind an diesem Tag gefallen, verbrannt, verstümmelt, in Stücke gerissen oder niedergemäht wie Korn von den Mitternachtsblitzen dieser verfluchten Hagazussa... Bairne starb in dieser Schlacht, weil er mir den Rücken gedeckt hat. Das letzte, an das ich mich erinnere, ist sein erstauntes Gesicht, als ihn ein Speer in die Brust traf, dann bekam ich einen Schlag auf den Kopf... und ab da weiß ich nichts mehr. Ich kam erst wieder zu mir, als die Sonne unterging. Cron und Siggeir haben mich unter ein paar Leichen ausgebuddelt... meine linker Arm war ausgerenkt, die Hand gebrochen und mein Schädel fühlte sich so an, als wäre er's ebenfalls, aber sonst hat mir nicht viel gefehlt. Hätten sie mich nur liegenlassen... Eirik von Stürmen hatte die Nachhut befehligt und es gelang ihm, mit etwa tausend Mann zu fliehen - er hat eingesammelt, was noch kriechen konnte, aber wir waren ringsum von Feinden eingeschlossen, für uns konnte er also nicht das Geringste tun. Zweiundsiebzig Männer waren noch auf den Beinen, als die Formoren schließlich kamen, um uns zu holen, darunter Teja, aber keiner von uns war unverletzt. Natürlich haben wir angenommen, dass sie uns auf der Stelle töten würden, also haben wir uns um den König zu einem Igel zusammengerottet, so gut es eben ging, um ihnen das Schlachten wenigstens so schwer wie möglich zu machen, aber das war überhaupt nicht ihre Absicht. Sie schlugen uns einfach nieder oder ließen ihre Magois uns betäuben, schleiften uns nach Ys, trieben uns durch die Straßen der Stadt und steckten uns dann in die Kerker.

Als wir den tagelangen Marsch über die eisigen Ebenen und den Spießrutenlauf durch Ys hinter uns hatten, waren wir nur noch vierzig Mann. Ys ist eine Felsenburg, hängt wie ein Schwalbennest an steilen Klippen und die halbe Stadt liegt unterirdisch, im Berg selbst. Es gibt nur wenige oberirdische Gebäude, und die kleben auf Felsvorsprüngen übereinandergeschachtelt wie gestapelte Seemannskisten, verbunden durch schwankende Hängebrücken und Seilwege, aber darunter gibt es tausend Tunnel, Höhlen, Stollen, Grotten und Ebenen. Die Verliese allerdings sind dort, wo sie in den meisten anderen Städten auch sind - in den Eingeweiden. Und so hat es auch gerochen. Es gab keine Fenster, kein Stroh, noch nicht einmal Eimer... und es war immer dunkel. Ich erinnere mich noch, dass ich nackten, von Salpeter und Reif überzogenen Fels und zwei Handbreit dicke Türen aus schwarzem Eisenholz gesehen habe - im Licht ihrer Fackeln, als sie uns hineintrieben, doch dann nichts mehr. Wir hätten alle ebenso gut blind sein können. Ein alter Druide... der einzige, der das Gemetzel von Isletta überlebt hat, hat unsere Wunden im Stockfinsteren versorgt so gut er konnte. Cron musste meinen Arm einrenken und mein gebrochenes Gelenk schienen und hat dabei nicht die Hand vor Augen gesehen. Die Kälte war noch grausamer... nach einem Siebentag wussten wir nicht mehr, was Wärme ist, auch wenn wir uns zusammendrängten wie junge Hunde. Am Anfang... die ersten Tage und Nächte... fragten wir uns noch, warum sie uns nicht einfach getötet hatten, ob sie vielleicht Lösegeld fordern, uns als Geiseln behalten oder versuchen würden, den Krieg auf einen Schlag zu beenden - schließlich hatten sie die Erben einiger Lairds, ein paar Thane und den König selbst gefangen. Aber nichts geschah und nach einer Weile fragten wir uns auch nichts mehr... nur noch, wann das nächste Mal ein paar Stück verfaulten Brotes oder ein wenig Wasser gebracht werden würde. Wir versuchten, die Tage zu zählen, aber es hat nicht lange gedauert, bis wir jedes Zeitgefühl verloren hatten. Die Grenzen zwischen Wachen und Schlafen verschwammen, die Grenzen zwischen Leben und Sterben auch. Nach einem Mond waren alle, die in der Schlacht schwerer verwundet worden waren und es doch bis Ys geschafft hatten, tot. Dann starben die Alten und die Schwächeren, am Hunger, am Wassermangel und an der Kälte... und der Rest von uns war überzeugt davon, dass man uns einfach dort im Dunkeln verhungern und verrotten lassen würde.

Wir waren alle krank und wir wurden immer schwächer. Viele hatten Fieber, die Ruhr hatten wir alle...  aber Teja hielt uns trotzdem irgendwie zusammen. Und aufrecht. Frag mich nicht wie, ich kann es dir nicht sagen, min koerlighed, aber er war... er war..." er bleibt stehen, im Schutz einer uralten, verkrüppelten Lebenseiche, lehnt sich an ihren Stamm, zieht Raven an sich und lässt beide Arme unter ihren Umhang gleiten. Sie sind inzwischen am Seeufer entlang  so weit nach Norden gekommen, dass sie den Rand des Smaragdhaines erreicht haben. Hinter ihnen streifen die Hunde durch das Unterholz, lautlos wie Wölfe, huschende Schatten über weißem Schnee, einer schwarz, einer grau. "... vårt kung. Unser König. Irgendwann haben sie uns dann geholt, alle, die noch übrig waren und auf die Füße kamen. Zwei oder drei konnten nicht aufstehen, also hat der Kerkermeister sie erschlagen, noch bevor irgendjemand von uns etwas tun konnte. Wir wurden in Ketten gelegt und in den Thronsaal von Ys vor die Nauarchin gebracht, und ich weiß noch, wie erstaunt ich war, als ich sie zum ersten Mal zu Gesicht bekam... ich habe vielleicht nicht unbedingt eine hässliche alte Wetterhexe erwartet, aber ganz bestimmt auch nicht das sechzehnjährige Mädchen, das sie war. Als erstes hat sie den Druiden getötet... sein Name war Játmund. Cron stand neben mir, Siggeir an meiner anderen Seite, hinter mir Teja, und um uns alle anderen, die noch am Leben waren...  Berðun Aelfmord, einer meiner Thanes, die Whyelbrüder Irminric und Penda aus Nordwacht, alle fünf Isengars aus Trondheim - Cearl, Coenred, Andhun, Hengist und Thrydwulf -, Siggeirs verschworene Waffenbrüder und einer rothaariger und sommersprossiger als der andere. Der alte Wuffa Korsvoll aus Stürmen und sein Sohn Wulfhere, Hereswið Falkwyn, die einmal so schnell war mit ihren beiden Äxten... das Magoifeuer hatte ihr in der Schlacht die Arme bis zu den Schultern hinauf verbrannt und sie hat geglüht vor Fieber. Und einfache Männer wie Kjallakr, der Schütze, der kleine Kvistr, Hallbjórn und Ottàr, Eldjárn Dreifinger, Glúmr und Briningar... Wir konnten uns alle kaum noch aufrecht halten und mussten zusehen, wie sie den Druiden vor unseren Augen verbrannt hat... einfach so." Der Schnee fällt und fällt in geisterhafter Stille rings um sie her und Caewlin merkt erst, dass er den Atem angehalten und lange Zeit geschwiegen hat, als er tief und geräuschvoll Luft holt. Raven sagt kein Wort, aber er spürt ihre Augen auf sich, wachsam wie die einer Katze.

"Wir erfuhren, dass wir schon mehr als fünf Monde in Ys gefangen waren, dass die Belagerung Barsas anhielt und dass eine weitere Schlacht geschlagen worden war, deren Ausgang uns nicht verraten wurde. Aber wir hörten immerhin soviel, dass wir uns einiges zusammenreimen konnten. Offenbar war Eirik von Stürmen nach seiner Flucht von Isletta so geistesgegenwärtig gewesen, irgend jemanden in Tejas Rüstung zu stecken und überall mit dem Bärenbanner, der Königsstandarte, herumzuwedeln, aber anscheinend war den Formoren in der Zwischenzeit doch aufgegangen, dass sie jemand Wichtiges in ihren Kerkern haben mussten. Sie wussten jedoch nicht wer oder wie wichtig er tatsächlich war... und das war unser Glück - oder eher unser Fluch. Die Nauarchin sprach kein einziges Mal selbst zu uns, das tat ihre Stimme, ein fetter Eunuch, dessen Schlangenaugen noch lebloser waren als ihre. Er versprach uns, man würde sehr bald herausfinden, wer von uns bedeutend war und wer nicht, aber die Nauarchin sei barmherzig und würde jedem, der jetzt spräche, die Gnade eines schnellen Todes schenken. Dann hat man von uns verlangt, dass wir vor ihr knien sollen." Mag Raven ihm bisher mit einer Mischung aus Trauer und Mitgefühl gelauscht haben, nun hebt sie ihren Kopf und ihre Augen suchen seine. "Aye, du kannst dir denken, was ich getan habe... 'Ich bin vom freien Volk'", zitiert er sich selbst mit einem sowohl sehr trockenen, als auch sehr melancholischen Sarkasmus in der Stimme, "'ich knie vor niemandem'. Die Männer, die einfachen Krieger, beugten ihre Knie, aber ich nicht und mit mir blieben alle Edlen stehen... dann stand auch Briningar wieder auf und nach ihm Dreifinger und der Schütze, und dann standen sie plötzlich alle. Ich hatte nicht gekniet, als ich Teja meinen Eid geleistet hatte und mit mir kein anderer junger Lairderbe, ich hatte nicht gekniet, um mir von irgendeinem Ritter ein Schwert auf die Schultern legen zu lassen und würde es auch jetzt nicht tun. Niemand sah mich an, niemand sah Teja an, keiner von uns hat ein Wort gesagt, niemand tauschte auch nur einen Blick, aber da war etwas zwischen uns, wie eine Art wortloses Versprechen, als wären wir alle plötzlich wie auf Kommando vom gleichen, wilden Trotz erfüllt... oder eher völlig lebensmüde und verrückt geworden. Jeder im Raum konnte es spüren, sogar die Nauarchin. Widerstand war etwas, dass sie offenbar nicht sehr oft vorgesetzt bekam, von einem Haufen halbverhungerter, fiebernder Wahnsinniger schon gar nicht."

Der Schatten eines ziemlich bitteren Lächelns geistert kurz über sein Gesicht. Auf Ravens Wangen schmelzen die Schneeflocken, sanft wie Küsse und Caewlin beugt sich vor, neigt den Kopf und lehnt seine Stirn für einen Moment an ihre. "Wir haben es sehr bald bitter bereut, dieser Svartmagoi die Stirn geboten zu haben. Als erstes hat sie die Leiche des Druiden in die Küche schaffen lassen und uns mitgeteilt, sie würde sein Herz zum Abendmahl essen. Offenbar hat sie geglaubt, alle seine Geheimnisse seien dann ihre. Dann hat sie Hereswið entdeckt, bemerkt, dass sie eine Frau war und ihren Männern überlassen... allen vierhundert Burgwachen. Wir sahen sie nie wieder. Uns hat man in die Kerker zurückgebracht, aber diesmal legten sie uns in Eisen, schwere Ketten für Hände und Füße... das war schlimmer als Dunkelheit, Hunger und Kälte, jedenfalls für mich. Einen halben Schritt, soweit konnte ich meine Arme und Beine bewegen, keinen Fingerbreit mehr. Ein paar Tage haben sie uns schmoren lassen, dann begannen sie, uns zu holen... einen nach dem anderen, manchmal auch mehrere, immer wieder. In den folgenden Wochen hat man fast alles mit uns getan, außer uns in Waltran zu braten, aber niemand hat Teja verraten. Cron, Kjallakr, Wulfhere und ich, wir waren die größten und kräftigsten, also haben sie uns am meisten zugesetzt... die Order der Nauarchin muss wohl ungefähr gelautet haben: Fügt ihnen Schmerzen zu, bis sie reden, aber bringt sie auf keinen Fall um, sonst wären wir jetzt alle tot. Coenred und Andhun Isengar sind unter der Folter gestorben, doch ihre Schinder sind vermutlich noch viel qualvoller verendet als sie, und Glùmr hat einer der Wachen das Schwert abgenommen und sich selbst umgebracht, bevor sie ihn noch einmal holen konnten. Der Wächter ist nie wieder aufgetaucht, und wir übrigen gaben nicht nach... und dann hörte das Foltern auf, so plötzlich wie es begonnen hatte. Sie holten uns aus den Kerkern und steckten uns in die Stollen zu einem Haufen versklavter Wildlinge, Verbrecher oder in Ungnade gefallener Formoren selbst. Wir mussten Tunnel und Gänge graben, Stein und Geröll fortschaffen, aber wir bekamen immerhin ein paar löchrige Decken voller Wanzen und Flöhe, Essen und Wasser und schliefen in einer vergitterten Zelle mit ein wenig Tageslicht... und wir arbeiteten auf der Seeseite, so dass wir das Meer sehen konnten. Wir schöpften Hoffnung, kamen langsam wieder ein wenig zu Kräften, schmiedeten tausend Fluchtpläne und mussten sie doch alle immer wieder verwerfen... " er schüttelt den Kopf. "Aber irgendetwas war im Gange, das bemerkten selbst wir. Die Formoren waren unruhig, viele flohen aus der Stadt oder wurden weggeschafft und selbst die Wächter wurden nachlässiger.

Dann kam der Winter und mit ihm kam der Krieg zurück nach Ys. Diesmal griffen sie von der Seeseite her an, und gleichzeitig kamen verbündete Wildlingsstämme über die Bergpässe - und durch die Tunnel. Wir waren gerade in einem Stollen und stützten ihn mit Balken ab, bei uns noch gut fünfzig andere Minensklaven, als wir plötzlich Eirik von Stürmen und einer Hundertschaft graubärtiger Zwerge gegenüberstanden, die uns breit angegrinst, uns unsere Ketten abgenommen und uns Waffen in die Hände gedrückt haben. Leir von Tronje, Crons Vater, hatte bei den Zwergen N'arkam Drors solange gebettelt, bis man ihm ein paar Tunnelgräber und Felssprenger geschickt hat, und selbst die hatten fast ein Jahr gebraucht, so lange wie wir in Gefangenschaft gewesen waren, um sich von der anderen Seite der Berge her bis nach Ys durchzugraben. Der ganze Angriff auf die Stadt vom Meer her war nichts als eine Finte... und sie hat funktioniert. Als wir uns durch die Stollen nach oben gekämpft hatten, brannte die Stadt und der ganze Berg schon lichterloh, die Hälfte der Magier war geflohen, die andere tot, und die Nauarchin hatte sich mit ihrer "Stimme" in ihrem Thronsaal verschanzt. Es hat ihr nicht viel genützt - Teja hat ihr die Hände abgehackt, ihr die Zunge herausgeschnitten und sie dann eigenhändig auf ihrem Thron erwürgt. Von Ys blieb nichts übrig, Raven. Als wir mit der Stadt fertig waren, stand dort kein Stein mehr auf dem anderen und die halbe Bergflanke war eingestürzt. Von den einundzwanzig Männern, die mit Teja vor der Nauarchin gestanden und ihre Knie nicht gebeugt hatten, lebten noch sieben, als die Kämpfe ein Ende fanden. Teja selbst, Cron, Berðun, Eldjárn Dreifinger, Cearl, Wulfhere und ich... Siebentausend Formoren hatten in Ys gelebt - abgesehen vom Hofstaat der Nauarchin und ihrer Kriegereinheiten. Siebentausend Männer, Frauen und Kinder... und ich glaube nicht, dass auch nur ein Ysianer am Leben geblieben ist. Als wir die Stadt zwei Tage später verließen, stand ich an Deck eines sturmender Drakkar und sah zurück. Tausende von Möwen und Krähen bedeckten jeden Fußbreit der Felsen, der Berghänge und des Tales von Ys, ein Meer von schwarzen und weißen Vogelleibern, wogend wie die See... hier und da blitzte ein Stück Eisen zwischen ihren Schwingen auf oder es ragte ein rauchendes Trümmerteil hervor, aber unter ihnen war der Boden gleichmässig nass und rot... Ihr hungriges Kreischen werde ich nie vergessen."

Caewlin löst seine Arme von Ravens Mitte und fährt sich mit der Hand über Nase und Stirn, so dass sein schneefeuchtes Haar für einen Moment in wilden Strähnen absteht, dann schüttelt er sich, kurz und schaudernd wie eine nasse Katze. Schneewolken fliegen von seinen Schultern in alle Richtungen davon und verstauben weiß und glitzernd in der Nacht. Sie lässt zu, dass er sich eine halbe Armlänge von ihr fort bewegt, aber nur für einen Moment. Ihr gegenüber hat er längst alle Masken fallen lassen, das weiß sie so gut wie er. Dann hebt sie ihre Hand an sein Gesicht und er nimmt sie, drückt ihre Finger an seine Wange und hält sie fest. Sie schmiegt sich an ihn und er braucht den Trost, den sie ihm anbietet, so sehr, dass er sie am liebsten hier auf der Stelle in das kalte Bett aus Schnee gelegt und sein Gesicht an ihrer warmen Haut geborgen hätte. Einen Moment lang hält er sie fest, drückt ihren Kopf in das weiche, weiß gesprenkelte Bärenfell seines Umhangs und spürt das warme, lebendige, tröstliche Gewicht ihres Körpers an seinem und alles, was er nach einer langen Weile sagt, ist: "Lass uns nach Hause gehen." Sie wirft ihm einen merkwürdigen Blick zu, noch immer wachsam, aber auch sanft, dann nickt sie. Sie folgen ihren eigenen, nun kaum noch zu erkennenden Fußspuren zurück, den Uferweg entlang, vorbei an den niedrigen Dünen und immer noch schneit es, unablässig, unerbittlich, weich und weiß und still. Ihre Stiefel reißen knöcheltiefe Löcher in die unberührte Schneedecke, doch sie machen keinerlei Geräusch. "Nach dem Fall von Ys, als der Winter zu Ende ging, begann der endgültige Sturm auf Barsa. Wir belagerten die Festung fünf Monde lang, dann hat Ragnarsson in Corwyness die Albatros, sein erstes Windschiff, fertig gestellt. Es war kleiner als die Windkind, aber es flog genauso und das brachte die Wende im Krieg. Oder besser gesagt - es beendete ihn sehr schnell. Wir hatten die Formoren in die Knie gezwungen, sie wussten es, wir wussten es, aber wir hätten Barsa vermutlich noch jahrelang belagern können und allein die Götter wissen, wie viele Männer uns das gekostet hätte, aber mit diesem Schiff konnten wir..." er zuckt mit den Schultern und bleibt stehen. "Wir konnten die Wälle und Mauern der Stadt überwinden, ihre Verteidigungslinien durchschlagen und hatten den Krieg gewonnen..." Sie haben längst die Flußsteinmauer und die kleine Pforte darin, die zum Seehaus führt, erreicht, aber keiner von ihnen macht Anstalten, sie zu öffnen, um endgültig nach Hause zu gehen... als wollten sie die geweckten Geister solcher Erinnerungen nicht mit über die eigene Türschwelle nehmen, solange sie nicht wieder gebannt und zur Ruhe gelegt worden wären.

"Teja... er hat es nicht als selbstverständlich angesehen, obwohl er sich dieses Recht als König durchaus hätte nehmen können. Er hat uns so nachdrücklich versichert, dass er uns allen sein Leben schulde und nie vergelten könne, was wir für ihn getan hätten, bis es uns fast unangenehm war. Wir hatten nicht für den König geblutet, oder für Normand oder den Thron oder irgendein Ideal... sondern für ihn und das wusste er auch. Er sagte trotzdem, was immer wir je von ihm fordern würden, er würde es gewähren, wenn es in seiner Macht stünde. Keiner von uns wollte etwas davon hören, nur Eldjárn hatte eine Bitte. Er kam aus Fjarland, einer von acht Brüdern von einem Hof, der schon für drei zu klein gewesen wäre, und er bat Teja um irgendeine Beschäftigung nach dem Krieg," bei dieser Erinnerung lächelt Caewlin zum ersten Mal wirklich. "Er sagte, wenn es irgendwie möglich wäre, dass der König etwas für ihn fände, falls er denn heil zurückkäme, dann könne er ja vielleicht in Kingsala den Ställen arbeiten oder bei der Wache. Er sei ganz gut mit dem Schwert, und da gäbe es ein Mädchen, zu Hause, das auf ihn hatte warten wollen, auch wenn seine Aussichten so schlecht waren. Ich habe Tejas Gesicht gesehen, als Eldjárn sprach... einen Moment lang sah er aus, als könne er sich nicht zwischen schockierter Verblüffung und vollkommener Belustigung entscheiden, aber dann war er nur noch... beschämt. Eldjárn war ein einfacher Mann, ein Bauer, ein Söldner in diesem Krieg, der wahrscheinlich überhaupt nur zur Waffe gegriffen hatte, weil er nicht gewusst hatte, wohin oder wovon sonst er leben soll. Und dann bietet ihm ein König Land, Gold, Titel... oder was immer er sich nur ausdenken kann, und alles, wonach er fragt, ist ein wenig Arbeit, damit er sein Mädel heiraten kann." Er holt tief Luft. "Heute besitzt er einen kleinen Landsitz in der Nähe von Kingsala und ist in der Königsgarde. Nach allem, was ich gehört habe, hat er wirklich geheiratet. Und wir anderen... nun, Teja bestand darauf, dass er in unserer Schuld blieb." Caewlins Blick irrt durch die verschneite Nacht... schwarze Schatten, schwarze Bäume, selbst der Ildorel ist ein Fleck noch größerer Dunkelheit in der pechschwarzen Nacht. Und in der Schwärze weiße Mauern, weiße Gebäude, weißer Schnee, weiße Dünen...unberührt. Und du weißt, was ich einfordere. Er hat geglaubt, das alles lange hinter sich gelassen zu haben, soweit davon entfernt zu sein, dass er es getrost vergessen kann. Aber das ist nicht wahr und der Gedanke, wie dicht die Erinnerungen noch immer unter der Oberfläche lauern, ist beunruhigend. Dann findet sein Blick Ravens Augen und daran hält er sich fest. Ihre Worte am Morgen nach der Inarinacht am Smaragdstrand fallen ihm ein. >Du musst mir mehr erzählen. Wenn du es erzählen willst. Auch das, was im Krieg passiert ist...< Er hatte ihr mehr erzählt... einiges, nicht alles, aber für eine Nacht entschieden genug. Dann lächelt er plötzlich. "Vermutlich gibt es keinen Menschen auf Rohas weitem Rund, der nicht erleichtert ist, wenn er gezwungen wird, die Wahrheit zu sagen... und ich bin keine Ausnahme. Ich erinnere mich nicht gern daran, Raven. Ich will mich nicht erinnern. Aber ich bin froh, dass du es weißt. Und jetzt gehen wir nach Hause."

Die folgenden Wochen verlaufen im Seehaus weit weniger ruhig, als irgendjemand dort es sich gewünscht hätte, was einerseits an den Vorbereitungen für das Julfest, andererseits jedoch vor allem daran liegt, dass Raven mit ihrem unnachahmlichen Charme Caewlin erst dann von ihrem nahenden Namenstag erzählt, als der praktisch schon vor der Tür steht. Gut, er hatte sie bisher auch nie so genau danach gefragt, alles, was er wusste, war, dass sie "irgendwann im Winter" geboren worden war. Und dem Gesicht nach zu urteilen, dass sei macht, als sie schließlich nach beharrlichem Drängen seinerseits doch mit der Sprache herausrücken muss, hätte sie ihm am liebsten überhaupt nichts davon gesagt. "In einem Siebentag?" Hatte er erschrocken echot und dann ziemlich sprachlos auf sie hinuntergestarrt. "Und das sagst du mir erst jetzt!?" Sie hatte ihn erbost angefunkelt, pikiert bemerkt, das sei schließlich überhaupt nicht wichtig und außerdem, wie hätte das denn geklungen, jetzt, so kurz davor, davon anzufangen und ihm dann beschieden, er sei... er sei einfach... einfach unmöglich. Jawohl. Dann war sie erhobenen Näschens davongerauscht und hatte so getan, als interessiere sie sich nicht im Mindesten für irgendwelche Namenstage im Allgemeinen und ihren eigenen im Besonderen, und Wünsche will sie schon gar nicht äußern, weder dafür, noch zum Julfest. Das Gesinde war in latente Panik verfallen, als Caewlin sie eingeweiht hatte, aber nachdem Dalla und Bethel zwei Stunden lang in der Küche die Köpfe zusammengesteckt, und irgendwann Runa, Pyp und Rykar zu Hilfe getrommelt hatten, war man offenbar zum Schluss gekommen, dass das bisherige Unwissen vielleicht doch nicht ganz Rohas Untergang sei und war bereit, zu improvisieren. Die verbleibenden Tage waren mit hektischen Arbeiten im hinteren Raum des Südflügels vergangen, wann immer Raven außer Haus im Larisgrün oder mit den Hunden fort oder - von Runa und Brynden entführt - auf dem Markt gewesen war. Caewlin hatte sich bei jeder Gelegenheit auf den Platz der Händler umgesehen und dort erfolgreich sämtliche Werkzeugmacher, Gold- und Silberschmiede und Pelzhändler in den Wahnsinn getrieben, während Pyp und Rykar derweil in seinem Auftrag das ganze Handwerkerviertel auf den Kopf gestellt hatten. Ravens Namenstag fällt auf den dreizehnten Langschnee und der Tag beginnt mit gelbem Winterlicht und einer Sonne, die das tiefverschneite Seehaus in eine glitzernde Frostwelt verwandelt. Als Raven nach einem langen, faulen Morgen im Bett endlich in die Küche getappt kommt, erwartet sie dort nicht nur eine ganze Kanne frischen Cofeas, sondern auch ein Ungetüm von Apfelkuchen zum Frühstück und ein kleiner Geschenkeberg des Gesindes. Brynden überreicht ihr ein selbstgemaltes Bild, auf dem man mit viel Fantasie und gutem Willen sogar eine schwangere Raven und Stelze (im Schnee) erkennen könnte. Runa schenkt ihr eine ledernen Schurz, wie Holzschnitzer ihn tragen, mit eingearbeiteten Schlaufen in verschiedenen Größen für Werkzeuge wie Messer, Kerbschnitzbeitel, Hohleisen und Feilen. Pyp überreicht ihr grinsend ein neues Halsband für Stelze, denn das alte war schon völlig abgewetzt.

Rykar schenkt ihr eine selbstgezimmerte Staffelei, deren Konstruktion er sich in einem Tempel bei einem der Freskenmaler dort abgeschaut hat, und ein dünnes Holzbrett, auf dem sie ihre Farben anmischen kann. Dalla und Bethel haben in nächtelangen Nähorgien aus Seidenbatist und Tombelainer Spitze ein paar Leibchen gefertigt, die Ravens wachsendem Bauch Platz bieten und überreichen ihre Gaben hochrot und mit tausend gestammelten Entschuldigungen, sie hätten ja erst so spät davon erfahren und man solle es ihnen nicht übel nehmen. Ravens eigentliches Geschenk jedoch kommt von ihnen allen und befindet sich im Südflügel, in dem Raum hinter Caewlins Waffenkammer, der bisher leer gestanden war. Die Spinnräder und der Webrahmen, die hier ihr einsames Dasein gefristet hatten, sind verschwunden, dafür steht unter dem großen Fenster an der Südseite nun eine neue Werkbank mit eisernem Schraubstock, und an den übrigen Wänden finden sich Regale, bestückt mit Zugmessern, Ziehhobeln und verschiedenen Raspeln und Feilen. Sie bergen Federwaagen, Schieblehren und Zollstöcke, Töpfe, Krüge und Tiegel jeder Form, Farbe und Größe mit Lacken und Ölen, mit Leder umwickelte Wurzelbürsten für die Politur der fertigen Bögen, Kisten mit alten Lumpen, Schübe und Laden mit kleinen Fächern, wo sich spätere Sehnen aufbewahren lassen, Schleifpapiere in verschiedenen Stärken und ähnliches mehr. Gegenüber der Werkbank, an der Wand neben der Tür, wurde ein Tillerbaum angebracht - im wesentlichen eine Bohle mit einem Klotz, einer Rolle, einem Seil und einem Haken, eine Konstruktion, mit der Caewlin auf den ersten Blick nichts hat anfangen können, bis ihm der alte Bogenmacher, dem er das ganze abgekauft hat, erklärt hatte, wozu es dient. Als Raven sich mit großen Augen umsieht, scheucht Caewiln das Gesinde hinaus, um einen Moment mit ihr allein zu sein. "Wir haben uns gedacht... wir richten dir eine Werkstatt ein, nachdem dein Häuschen abgebrannt ist," murmelt er und lässt seinen Blick durch den Raum schweifen. Alles riecht noch neu - die Wände nach frischem Kalk, die Regale nach frischem Holz, die Werkbank nach Seifenlauge, weil Dalla sie stundenlang geschrubbt hatte, um sie von allen Spuren ihres Vorbesitzers zu befreien. "Ich hoffe... naja, du kannst etwas damit anfangen. Das unförmige, verschnürte Ding da auf der Werkbank ist von mir..." er hebt seufzend seinen Armstumpf. "Ein Geschenk einzupacken gehört nicht mehr zu meinen Stärken, fürchte ich."  

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Raven am 08. Jan. 2006, 21:09 Uhr
Momentelang kann Raven überhaupt nichts sagen und steht nur sprachlos und mit ungläubig aufgerissenen Augen neben Caewlin in der Tür, während hinter ihnen die komplette Gesindemeute nachdrängelt und gleichzeitig mit ihnen in den Raum zu kommen versucht. Wo sich normalerweise Ravens Stimmbänder befinden, sitzt in diesem Augenblick ein dicker Knoten der Rührung, der keine Worte vorbeilässt und sie am Sprechen hindert, als sie ihren Blick durch das Zimmer wandern lässt. Es dauert geraume Zeit, bis sie sich wieder einigermaßen gefangen hat und ihre heruntergeklappte Kinnlade sich in die von der Natur vorgesehene Stellung zurückbefördern lässt, aber selbst dann ist es nicht mehr als ein perplex hervorgestammeltes "Ihr seid ja verrückt geworden", das über ihre Lippen kommt. Dass im Südflügel des Seehauses irgend etwas schrecklich Geheimnisvolles vor sich geht, war ihr nicht verborgen geblieben, obwohl alle Bewohner sich redlich Mühe gegeben hatten, es zu verstecken und mit so himmelschreiend unschuldigen Gesichtern durch das Haus geschlichen waren, als hätten sie sich über Nacht in eine Herde neugeborener Lämmer verwandelt. Selbst ein Blinder hätte bemerken müssen, dass sie etwas ausgeheckt hatten. Natürlich war Raven neugierig gewesen, was hinter der verschlossenen Tür vor sich geht, was das Klappern und Möbelrücken zu bedeuten hat und wozu Dalla Dutzende Eimer voll Seifenlauge anschleppt, aber jedesmal, wenn sie auch nur in die Nähe des Südflügels gekommen war, hatte sie eine der Mägde an den Hacken kleben gehabt, die just in diesem Augenblick im Gang vor der Tür irgend etwas ganz dringend putzen, fegen oder abstauben musste. Und auch Caewlin hatte nicht mit der Sprache herausrücken wollen und auf ihre nervtötenden Fragen hin nur amüsiert mit den Schultern gezuckt und kryptische Andeutungen von sich gegeben, aus denen sie beim besten Willen nicht schlau geworden war. Da in dem Zimmer am Ende des langen Flurs üblicherweise die Webstühle und Spinnräder untergebracht sind, hatte sie einfach angenommen, dass Dalla, Bethel oder Runa dort vielleicht eine Überraschung für das anstehende Julfest vorbereiten würden - die Götter allein wissen, was sie sich ausgedacht haben mögen, neue Tischwäsche vielleicht oder einen gewebten Teppich -, aber darauf, dass sie hinter der Tür eine komplett bestückte, neu eingerichtete Werkstatt vorfinden würde, wäre Raven im Leben nicht gekommen und bei deren Anblick vor Verblüffung beinahe rückwärts aus den Schuhen gekippt.

Mit leuchtenden Augen sieht sie sich um und dreht sich einmal um die eigene Achse, um auch wirklich alles von dieser Pracht zu erfassen und nichts zu übersehen - und es ist wahrlich eine ganze Menge, die es bewundern gibt. Feinsäuberlich aufgereiht hängen die Werkzeuge an ihren Wandleisten, geschliffen, geölt und auf Hochglanz poliert, Feilen, Hobel, Zugmesser, Schaber, Bürsten und nadelscharfe Klingen. Dalla muss tagelang nur geschrubbt und gewienert haben, denn im ganzen Zimmer ist kein einziges Staubkorn zu finden und die wuchtige Werkbank ist so blankgescheuert, dass sie beinahe glänzt wie ein Spiegel. Schon beim Frühstück war Raven sprachlos vor Freude gewesen, als sie sich völlig unerwartet einem wahren Berg von Geschenken gegenübergesehen hatte, doch jetzt werden ihr die Knie tatsächlich weich wie Butter. "Das muss ein Traum sein..." Als sie sich umwendet, blickt sie geradewegs in ein halbes Dutzend strahlender Gesichter, denen anzusehen ist, wie stolz sie auf ihre Arbeit sind und wie gespannt auf ihre Reaktion. Wie immer, wenn sie sich sehr freut, fehlen Raven jedoch einfach die passenden Worte, und so kann sie nur unter hektischem Tränenwegblinzeln ein leises "Danke" stammeln. "Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll ... es ist einfach ... es ist ... grandios." Am liebsten hätte sie alle der Reihe nach umärmelt und abgeküsst, einschließlich Bethels ausladender Leibesfülle und Rykars lachfältchenplissiertem Pferdegesicht, aber bevor sie es tun kann, scheucht Caewlin alle mit einer wedelnden Handbewegung nach draußen. Noch bevor ihre potentiellen Umarmungsopfer die Tür richtig hinter sich geschlossen haben, sprudelt die Freude auch schon aus ihr heraus wie aus einem überschäumenden Geysir und keinen Herzschlag später klebt sie an Caewlins Brust und umarmt alles, was sie über ihren mittlerweile ziemlich sperrigen Bauch hinweg von ihm erreichen kann. "Du verrückter Kerl!" Sie gibt einen undefinierbaren Laut von sich, irgend etwas zwischen gerührtem Schniefen, Freudenjauchzer und überglücklichem Quietschen, und drückt ihn an sich, als wolle sie ihm die Rippen brechen. "Hatte ich nicht gesagt, dass dieser blöde Namenstag völlig unwichtig ist? Hatte ich das nicht gesagt? Und dass du mir nichts schenken musst? Und nun stehe ich in einer niegelnagelneuen Werkstatt und sie ist ... sie ist einfach ein Traum und ganz und gar wunderbar geworden. Allein schon diese Werkbank", schnüffelt sie und löst sich aus Caewlins Arm, um alles noch einmal ganz genau betrachten zu können. "Und all die Gerätschaften, die Messer, die Klingen ...." Hingerissen wandert sie an den Wandborden und Haken entlang, nimmt hie und da ein Abziehmesser oder einen Stechbeitel in die Hand, prüft Schneiden und Klingen, und schon allein bei deren Anblick juckt es sie in den Fingern und sie hätte am liebsten sofort angefangen und sich mit den glänzenden Messern auf ein Stück Holz gestürzt. "Nicht einmal Raidri hatte so viele Werkzeuge, geschweige denn solchen Luxus wie einen Tillerbaum ..." Probeweise zieht sie das Seil ein paar Mal über die Rolle hinab und lässt es wieder emporschnellen, als Caewlins Stimme ihre Verzückung durchbricht.

>Das unförmige, verschnürte Ding da auf der Werkbank ist von mir,< hört Raven ihn murmeln. >Ein Geschenk einzupacken gehört nicht mehr zu meinen Stärken, fürchte ich.< "Dafür hast du andere", gibt sie mit einem hintergründig funkelnden Blick über ihre Schulter zurück, bevor sie sich dem geheimnisvollen Päckchen widmet. "Und die sind mir weitaus lieber, als die Fähigkeit, etwas mit tausend Knoten zu verschnüren." Genau diese versucht sie jetzt zu öffnen und nimmt zunächst die Fingernägel zu Hilfe, wobei sie zu erraten versucht, was sich wohl dahinter verbirgt und an mehreren Stellen mit dem Zeigefinger an der Verpackung herumpult, in der Hoffnung, schon einen Blick darauf werfen zu können. Allerdings ohne Erfolg, denn das weiche, schwere Bündel ist so gründlich in Linnen verpackt und zudem sitzen die Schnüre so fest, dass sie sie beim besten Willen nicht aufbekommt. Schließlich siegt ihre mühsam gezügelte Neugier über ihre Geduld und sie rupft kurzerhand eine Klinge aus dem Wandbord, um die Kordel einfach aufzusäbeln. Als sie vorsichtig den Stoff zurückschlägt, werden ihre Augen groß wie Untertassen. "Götter im Himmel!" entfährt es ihr und ihre Stimme klingt beinahe erschrocken. "Das ... das ist für mich?" Mit flatternden Fingern hebt sie aus dem Stoffberg einen glänzenden Pelz, der sich beim Ausbreiten schließlich als Wintermantel entpuppt - und in den sie sich auf der Stelle rettungslos verliebt. Er ist aus dunklem, rauchgrauem Leder, das sich ganz weich und samtig anfasst, und er ist innen mit seidigem, silbrig schimmerndem Irbisfell ausgefüttert. Auch die Ärmel, die Säume und der Kragen sind mit Pelz eingefasst und tragen an den Kanten feine Stickereien. Sprachlos starrt sie zu Caewlin hinüber, der mit vor der Brust verschränkten Armen noch immer neben der Tür steht und sich bemüht, ein möglichst unergründliches Gesicht zu machen. Aber sie kann ein halbes Lächeln in seinen Mundwinkeln aufblitzen sehen und ihm an der Nasenspitze ablesen, wie viel Vergnügen ihm das alles bereitet. "Caewlin, der muss ja ein halbes Vermögen gekostet haben!"

Sofort meldet sich bei ihr das schlechte Gewissen, denn schon für das neue Badezimmer hatte er eine stattliche Anzahl Goldstücke locker machen müssen, und nun stürzt er sich gleich darauf schon wieder in solch horrende Unkosten. Doch all ihre verlegen hervorgesprudelten Einwände, es sei doch nur ihr Namenstag und nichts Besonderes, der Mantel sei zu teuer und die Werkstatt ebenso und überhaupt, tut er nur mit einem Grinsen und einem Schulterzucken ab, und in seinen Augen steht deutlich so etwas wie Nun probier' ihn schon endlich an zu lesen. Der Mantel passt wie maßgeschneidert (was er wahrscheinlich auch ist, wo auch immer er ein Muster dafür aufgetrieben haben mag). Er reicht ihr bis zu den Knöcheln und ist so geschnitten, dass sie ihren wachsenden Bauch bequem darin unterbringen kann und unter dem Pelz zur Not auch noch zwei Mogbars Asyl geben könnte. "Danke", flüstert sie ergriffen, "er ist wunderschön." Und dann verschlägt es ihr endgültig die Sprache und sie kann nichts weiter tun, als sein Gesicht zu sich herunterzuziehen, um ihn zu küssen. Sie kann sich von dem Pelz kaum trennen und Caewlin muss all seine Überredungskünste aufbieten, um sie so weit zu bringen, dass sie den Mantel wenigstens beim Mittagsmahl auszieht. Während sie Schmorfleisch und duftende Ofenkartoffeln und anschließend noch die Überreste von Bethels Apfelkuchen verschlingen, muss Raven an die Julgaben denken, die sie für Caewlin bereithält und gut versteckt am Grund ihrer Wäschetruhe hortet. Neben den vielen - und vor allem teuren - Geschenken, die sie an diesem Tag bekommen hat, erscheinen sie ihr mit einem Mal ziemlich jämmerlich und irgendwie fühlt sie sich auch ein wenig beschämt wegen all der Gaben. Noch nie im Leben hat sie so viele Sachen geschenkt bekommen. Aber ich habe mir Mühe gegeben, und auch wenn es keine wertvollen Sachen sind, vielleicht freut er sich ja trotzdem darüber. Sie ist mit ihren jedenfalls mehr als glücklich und kann sich absolut nicht entscheiden, welches davon sie am schönsten finden soll, denn sie sind ausnahmslos alle wunderbar.

Das ganze Haus ist inzwischen für das anstehende Winterfest geschmückt und duftet unwiderstehlich nach Bethels Julgebäck, nach Bratäpfeln, Vanille und Zimt und tausenderlei anderen Köstlichkeiten. Zusammen mit Rykar und Pyp hatten Caewlin und sie aus dem tief verschneiten Larisgrün einen ganzen Berg frischer Zweige geholt, Tanne und Fichte, immergrünen Buchsbaum und Stechginster mit glänzend roten Beeren, die sie zu Kränzen und langen Girlanden geflochten und damit die Räume geschmückt hatten. Bevor das Julfest ins Haus steht, wartet allerdings nach ihrem Namenstag noch der Bryndens, den es kaum einen Siebentag nach ihrem eigenen zu feiern gilt. Sie hatten ihm dafür bei einem Schuster in der Stadt ein Paar feste, pelzgefütterte Stiefelchen machen lassen, und auch einige neue Kleidungsstücke liegen für ihn bereit, weil er im letzten Jahr so viel an Größe zugelegt hat, dass er aus den Sachen vom vergangenen Winter längst herausgewachsen ist und sie ihm beim besten Willen nicht mehr passen wollen. Raven kommt noch auf die Idee, ihm einen Schlitten zu bauen - was ganz nebenbei auch eine wunderbare Gelegenheit ist, die neue Werkstatt in Betrieb zu nehmen und den Lederschurz einzuweihen, den sie von Runa bekommen hat. Zwar hat sie einige Mühe, das feste Leder über ihren Bauch zu zerren und zuzuschnüren und als sie skeptisch an sich hinunterblickt, beschleicht sie das dumpfe Gefühl, damit einem dickwanstigen Braumeister ähnlicher zu sehen als einer Bogenbauerin, aber er passt. Herrje, allmählich sehe ich wirklich aus wie eine Watschelente, seufzt sie, woraufhin sich sofort eine tadelnde Stimme in ihrem Hinterkopf zu Wort meldet: Seit wann bist du denn so eitel, dass es dich kümmert, wie du aussiehst? Du bist im siebten Monat schwanger, Himmelgötternochmal!

"Hmpf!" Raven stößt ein unwilliges Schnauben aus und erstickt die Nörgelstimme in ihren Gedanken sofort im Keim. "Seitdem ich meinem Mann gefallen will. Und jetzt Ruhe, ich habe zu tun!" Und so vergehen die nächsten Tage, Watschelente hin oder her, mit geschäftigem Arbeiten. Während Caewlin im Larisgrün auf der Jagd nach dem obligatorischen (und unverzichtbaren) Juleber umherstreift, um ihnen ein ordentliches Festmahl zu sichern, durchstöbert Raven den Speicher, die Ställe und Schuppen auf der Jagd nach Holzresten, um die unverzichtbaren Julgeschenke zu sichern. Holz findet sich genug, und auch wenn sich nichts davon zum Bogenbauen gebrauchen lässt, so trägt sie doch eine reichliche Ausbeute zusammen, die sich prächtig zum Schnitzen und zum Schlittenbauen eignet. Ein kleinen Rodelschlitten für Brynden zusammenzuzimmern, ist auch keine allzu schwierige Aufgabe und innerhalb zweier arbeitsreicher Tage bequem zu schaffen. Aus alten Fichtenbohlen, die auf dem staubigen Dachboden des Pferdestalls ein verträumtes Dasein geführt hatten, baut Raven das Grundgerüst mit den Kufen und einer Sitzfläche, und weil noch Zeit genug ist, lässt sie es sich auch nicht nehmen, die beiden nach oben gebogenen Hörner des Schlittens mit Schnitzereien zu verzieren. Sie feilt und schnitzt und schleift so lange an den Hörnerenden herum, bis sie Form von Drachenköpfen haben, weil sie weiß, dass Brynden sie besonders gern mag. Zwischen den weit aufgerissenen Drachenmäulern bringt sie noch eine Leiste an, an der man eine Schnur befestigen kann, um den Schlitten zu ziehen, und Dalla hilft ihr, ein Kissen für die Sitzfläche zu nähen und mit Rosshaar zu stopfen.

Die Geschenke für Bryndens Namenstag sind jedoch nicht die einzigen, die sie in ihrer Werkstatt anfertigt. Es folgen noch viele weitere und den halben Langschneemond kommt sie kaum aus dem Zimmer im Südflügel heraus, bis Caewlin sich schon beschwert, dass er sie kaum noch zu Gesicht bekommt. Doch schließlich, und gerade rechtzeitig zum Julfest, ist alles fertig und die Geschenke für das Gesinde liegen bereit. Für Rykar hatte sie aus einem schön gemaserten Stück Wurzelholz eine Pfeife geschnitzt und auf dem Platz der Händler, wo inzwischen mit einiger Verspätung die Herbstkarawane eingetroffen ist, hatten sie ihm dazu einen ledernen Tabaksbeutel samt wohlriechendem Inhalt besorgt. Für Runa hatten sie einen feinzinkigen Kamm und eine verzierte Haarbürste gekauft, und für Bethel, die sich praktisch den ganzen Winter lang über ihre kalten Füße beschwert, dicke Strümpfe und eine warme Decke aus gefilzter Schafwolle. Dalla wird mit einer neuen Haube und einem Korb voller Strickwolle bedacht und Pyp mit einem schönen ledernen Gürtel und einer passenden Messerscheide. Als Julgabe für Brynden hatten sie sich eine Art Miniaturtheater ausgedacht. Vor Jahren hatte Raven auf einem Jahrmarkt in Cardossa, einer riesigen Hafenstadt weit im Osten am Meer der Ruhe, etwas Ähnliches gesehen und war völlig fasziniert davon gewesen. Puppenspieler hatten dort vor einer gemalten Kulisse geschnitzte Holzfiguren bewegt und mit ihnen kleine, lustige Geschichten erzählt, die vor allem die Kinder begeistert hatten, und genau so etwas will sie für Brynden nachbauen. Aus dünnen Holzbrettern zimmert sie eine eineinhalb Schritt hohe Stellwand, deren Seitenteile mit Metallbändern befestigt sind und sich bewegen lassen. In die Mitte schneidet sie ein Fenster, hinter dem die Figuren zu sehen sein sollen, malt die Holzteile bunt an und Dalla näht aus Stoffresten noch Vorhänge dazu, so dass sie eine richtige kleine Bühne haben.

Am meisten Spaß macht es jedoch, die Spielfiguren anzufertigen und Raven ist tage- und nächtelang damit beschäftigt, hölzerne Köpfe zu schnitzen, Löcher für die Finger hineinzubohren, Gesichter aufzumalen und breite Stoffstreifen daran zu befestigen, hinter denen die Hand des Puppenspielers verschwinden kann. Nach einigen Tagen stapeln sich in einer Holzkiste in der Werkstatt eine stattliche Anzahl der Figuren und sie hat, so gut es ihr eben gelingen wollte, die halbe Stadtprominenz verewigt. Da gibt es einen rotgesichtigen, glatzköpfigen Borgil mit einem gewaltigen Bart aus kupferroten Wollfäden, einen Lordcommander in blauer Uniform, einen riesigen Nordmann mit grimmigem Gesicht und einer getrockneten Distel als Morgenstern, einen silberhaarigen Brynden, einen Stelze, den sie aus einem alten grauen Putzhadern zusammengebastelt haben, eine häubchengekrönte Dalla mit rotlackierter Nase, eine unförmige Bethel mit einer Miniaturbrezel im Haardutt, einen Rykar, der wirklich ein bisschen pferdeähnlich geworden ist, einen Pyp und eine Runa, eine dünne, bleichgesichtige Azra (die zu Ravens Leidwesen starke Ähnlichkeit mit einem Gespenst hat), eine Niniane mit Messingknopfaugen, einen Cron, dem sie ein Büschel schwarzer Mähnenhaare ihres Braunen als Haarersatz angeklebt hat, einen Oger mit Blümchenkranz und noch etliche andere. Am Abend des Julfests, als sie nach dem Essen alle in der Küche zusammensitzen, weiß Raven auch, dass das Figurentheater wohl nicht die schlechteste Idee gewesen ist, denn Brynden kräht vor Begeisterung und ist davon kaum loszueisen. Er gibt erst Ruhe, nachdem sie ein halbes Dutzend Mal hintereinander "Borgils heroischer Kampf mit dem blutrünstigen Vampir und dem gefährlichen Flammenstier" vorgeführt haben, er die Augen kaum noch offen halten kann, die Bewohner des Seehauses inzwischen am Rande des Wahnsinns entlangbalancieren und Raven den festen Vorsatz fasst, den nächsten, der von ihr verlangt, einen zwergischen Kampfschrei oder das Röcheln eines Stiers auszustoßen, eigenhändig in die Neun Höllen zu befördern.

Als er endlich in seinem Bettchen liegt, friedlich schnarchend und mit selig geröteten Wangen, holt sie aus der Wäschetruhe im Schlafzimmer die Julgaben, die sie Caewlin schenken will. Zusammen mit Dalla hat sie schon vor längerer Zeit auf dem Platz der Händler eine reichliche Menge guten Stoffes ausgesucht, feinversponnenes und dichtgewebtes Wolltuch, so schwarz wie der Nachthimmel. Daraus hatte sie für ihn einen neuen Wappenrock genäht. Die Kanten hatte sie mit feinem Leder gesäumt und auf die Brust das Wappen Sturmendes gestickt, einen knurrenden Normander Bluthund auf einem braunen Hintergrund, der sich matt gegen das tiefe Schwarz des Tuchs abhebt. Die arme Akira hatte dafür Modell sitzen müssen, nur die Zähne im aufgerissenen Maul hatte Raven allein mit Hilfe ihrer Vorstellungskraft sticken müssen, denn der Hund war absolut nicht dazu zu bewegen gewesen, als Vorlage für ihre Fingerbrechübungen mit der Sticknadel die Zähne zu fletschen - worüber sie eigentlich auch ganz froh war. Tausend lästerliche Flüche hatten sie die Näherei und Stickerei gekostet, zerstochene Finger und manche Träne der Wut, wenn der widerspenstige Stoff nicht so gewollt hatte wie sie und sie beinahe zur Weißglut gebracht hätte. Aber letztendlich ist er doch fertig geworden und liegt nun säuberlich zusammengefaltet und glattgestrichen auf Caewlins Bett. Obendrauf hatte sie ihr zweites Geschenk gelegt, einen Ring. Bei einem Feinschmied in der Stadt hatte sie ihn anfertigen lassen - einen breiten Reif aus gehämmertem Wahrsilber, der auf der Oberseite rundum ein schmales Ornament aus verflochtenen Bändern trägt, sehr schlicht, sehr unspektakulär, und trotzdem hofft sie, dass er Caewlin gefallen wird. Für den Ring hatte sie den Rest ihres Elfenfeuers einschmelzen lassen, den Anhänger, den sie von ihrer Mutter auf deren Sterbebett erhalten hatte und dessen schimmerndes Leuchten sich nun, mit Yalaris verflochten, silbern wie gesponnenes Mondlicht in schmalen Strängen um den Ring schlängelt.

Sie hatte lange überlegt, was sie Caewlin schenken könnte. Es wäre so einfach gewesen, geradewegs in den Keller hinunterzusteigen, eine Handvoll Goldstücke aus der Schatzkammer zu nehmen und davon irgend etwas zu kaufen, aber genau das hatte sie nicht gewollt. Ein Geschenk sollte eine Bedeutung haben, so wie der Ring, den sie an ihrem Finger trägt, der ihr kostbarer Schatz und Unterpfand zugleich ist, ein Versprechen, ein Siegel, ein Symbol, das ihr ungleich viel mehr bedeutet als das bloße Material, aus dem er hergestellt ist. Und außerdem wäre es ihr irgendwie schäbig vorgekommen, ihm von seinem eigenen Geld ein Geschenk zu kaufen. Sie selbst besitzt nicht viel und das Einzige aus ihrem früheren Leben, das für sie von Wert ist, ist neben den alten Schnitzwerkzeugen, die ihr Raidri vererbt hatte, der Anhänger ihrer Mutter. Auf eine geheimnisvolle Weise, die sie bislang noch immer nicht ergründen konnte, ist das Elbenfeuer mit ihrem Dasein verknüpft und sein mattschimmerndes Licht mit ihrer Lebenskraft verbunden. Dem Tode nahe verliert er mehr und mehr sein Leuchten, so wie im letzten Winter, als sie verzweifelt in einer stinkenden Zelle tief in den Kanälen unter der Stadt gesessen war und darauf gewartet hatte, dass Whytfisk sie töten würde. Lange Zeit hatte sie den Anhänger nicht mehr in der Hand gehalten, und als sie ihn wieder hervorgeholt hatte, um ihn zu dem Silberschmied zu bringen, hatte sie mit einem Lächeln auf den Lippen festgestellt, dass er noch niemals vorher so hell geleuchtet hatte. Kein Wunder. Eigentlich müsste er strahlen wie die Sonne, denn ich bin der glücklichste Mensch der Welt. Mindestens. Und nun wird er wie ein kleiner heller Lebensfaden an Caewlins Finger schimmern, wenigstens hofft sie, dass er ihn tragen wird. Und ein Dasein an einem morgensternschwingenden Nordmannfinger sollte er eigentlich auch überleben, immerhin ist er aus Wahrsilber und müsste einiges aushalten. Sie wirft noch einen letzten Blick auf das schwarze Tuch und den Ring und überlegt, ob sie die Sachen mit hinunter nehmen soll, aber dann macht sie sich doch mit leeren Händen auf die Suche nach ihrem Mann.

Die Knechte und Mägde haben sich in ihre Kammern zurückgezogen und das Haus ist nach dem ganzen Julfesttrubel nun friedlich und still geworden. Raven steigt die Stufen in die große Halle hinab, die mittlerweile sogar halbwegs eingerichtet ist, zumindest hatte der Zimmermann inzwischen den langen Tisch, die Bänke und Stühle geliefert, die sie im Herbst bestellt hatten, so dass es in dem riesigen Raum schon nicht mehr ganz so leer und kahl aussieht. Sie findet Caewlin in seinem abgewetzten Lehnsessel vor dem Kaminfeuer. Er sieht nicht auf, als sie zu ihm tritt, sondern starrt geistesabwesend in die Flammen. Irgend etwas in seinem Gesicht und in seiner Haltung berührt sie auf merkwürdige Weise und sie fragt sich, woran er gerade mit seinen Gedanken sein mag. Ob er noch immer an den Krieg denkt und daran, was in Barsa geschehen ist? Sie selbst würde den Abend nach Borgils und Azras Besuch nicht so schnell wieder vergessen, jenen Abend, an dem sie am Seeufer entlanggewandert waren und er von seiner Gefangenschaft erzählt hatte, von räuberischen, blutrünstigen Formoren, von der Belagerung von Ys, vom Tod seiner Waffengefährten und den modrigen Kerkern voll ewiger Dunkelheit. Seine Worte hatten sie zutiefst erschüttert und bis in den Schlaf und in ihre Träume verfolgt. Es hatte sie traurig gemacht, dass sie ihm nicht mehr hatte geben können als ihren Trost. So sehr sie sich auch gewünscht hatte, irgend etwas für ihn tun oder ihm helfen zu können - sie kann keine bösen Erinnerungen auslöschen oder die Vergangenheit ungeschehen machen, niemand kann das. Und so hatte sie einfach nur annehmen können, was er ihr erzählt hatte, sie hatte mit ihm mitgefühlt und bei seinen Worten mitgelitten, hatte ihn festgehalten und zu trösten versucht.

In den letzten Siebentagen seit diesem Gespräch war sie oft nächtelang wachgelegen und hatte über das nachgedacht, was er vom Krieg berichtet hatte, über all die Qualen, die er in dem Kerker erleiden musste, über die Folter, über seine Gefährten, die einer nach dem anderen gestorben waren, bis nur noch eine Handvoll Männer übrig geblieben war. Es muss schrecklich sein, nach und nach seine Freunde zu verlieren, ohne etwas tun zu können, schrecklich, solche Martern erdulden zu müssen. Und dennoch hatten sie zu ihrem König gehalten und versucht, ihn zu schützen, allen Gefahren und allem Schmerz und Leid zum Trotz. Obwohl Caewlin es nicht direkt ausgesprochen oder betont hatte, so hatte sie aus seinen Worten doch gespürt, wie sehr er und seine Waffengefährten Teja ergeben sind und dass es mehr ist als bloße Loyalität oder Königstreue, die sie mit ihm verbindet. Kein Mensch würde Kerker und mondelange Folter ertragen, nur um einen Herrscher zu schützen, wenn er es nicht verdammt noch mal wert ist. Nun weiß sie auch, aus welchem Grund der König in Caewlins und Crons Schuld steht und ihr ist auch klargeworden, wie groß diese Schuld ist. Und sie weiß auch, dass Caewlin sie einlösen wird. Bald. Noch immer wird ihr das Herz schwer wie Blei, wenn sie auch nur daran denkt, was er durchmachen musste und manche Nacht hatte sie kaum gewagt, die Augen zu schließen und sich immer wieder vergewissern müssen, dass er da ist und dass es ihm gut geht, hatte ihn berühren und ansehen, seine Wärme spüren und seinem Atem lauschen müssen, um Gewissheit zu haben, dass er am Leben ist. Er hätte sterben können und es grenzt sicher an ein Wunder, all das zu überstehen. Seine Worte hatten sie eindringlich daran erinnert, wie kostbar und zerbrechlich ein Leben ist und wie schnell es unwiederbringlich verloren sein kann, und sie hatte im Stillen den Göttern gedankt, dass er noch lebendig ist.

Als er erzählt hatte, dass sie in Ketten gelegt worden waren, hatte sich ihr das Herz in der Brust zusammengekrampft und sie hatte sich nur mit Mühe die Tränen verbeißen können, weil sie ahnt, wie entsetzlich das für ihn gewesen sein muss. Jemandem, dem nach der Weite der Eisöden schon die Mauern von Sturmende wie ein Kerker vorkommen, müssen solche Ketten grauenvoller als jede Hölle erscheinen. Und ebenso, wenn man ihn zu zwingen versucht, vor jemandem zu knien. Dass er sein Knie nicht beugen würde, vor niemandem, das war ihr klar gewesen, noch bevor er es ausgesprochen hatte. Er würde eher zerbrechen, als sich jemandem beugen... Raven betrachtet sein Gesicht, den Goldschein des Feuers, der über sein Haar flackert und es dunkel wie polierte Kastanien leuchten lässt, die Schatten, die über seine gedankenverlorene Miene huschen, und sie fühlt sich ihm nah und fern zugleich. Viele Dinge, die er erzählt hatte, wird sie sich wohl niemals auch nur vorstellen oder wirklich verstehen können. Als der Krieg ausgebrochen war, war sie noch ein Mädchen gewesen, sehr jung, sehr naiv und vor allem sehr weit weg vom Geschehen. Natürlich hatte das ganze Land darüber gesprochen, Knechte und Mägde hatten darüber getuschelt, Reisende, die gelegentlich nach Corwyness gekommen waren, hatten ihnen Gerüchte zugetragen, doch alles war weit fort und irgendwo in der Ferne passiert, und ihr seltsam unwirklich erschienen. Die Greuel eines blutigen Krieges hatte sie nie selbst erlebt, und eine Zahl von dreißigtausend Normandern, die alle an einem einzigen Tag gefallen sind, kann sie sich nicht einmal entfernt vorstellen.

In dem Jahr, als Caewlin in die Gefangenschaft der Formoren geraten war, war sie von Normand schon weit weg und mit Raidri irgendwo in den grünen Weiten Laigins unterwegs gewesen, und der Krieg war so weit entfernt gewesen wie ein kalter Stern am Nachthimmel. Aber auch, wenn sie niemals ein Schlachtfeld aus der Nähe gesehen hat, niemals einen Feldzug oder eine Belagerung, geschweige denn eine so lange Gefangenschaft mitgemacht hat, auch wenn sie niemals nachvollziehen kann, wie es für Caewlin wirklich gewesen ist, so hatte sie doch in seinen Worten, in seiner Stimme, in seinen stillen Gesten und seiner Umarmung so deutlich fühlen können, wie sehr es sein Leben und sein ganzes Wesen erschüttert und verändert hatte. Er hatte es sehr ruhig erzählt, beinahe beiläufig, so als würde er über ein ganz alltägliches Erlebnis berichten, und doch hatte sie ein Echo lang vergangenen Schmerzes spüren können, so deutlich, als wäre es ihr eigener gewesen. Wieder hatte er ein Stückchen von sich preisgegeben, hatte sie in sein Inneres schauen lassen, und mit jedem Wort von ihm hatte sie ein bisschen mehr verstanden, was ihn zu dem Menschen gemacht hatte, der er jetzt ist. Wer sieben Jahre in so einem Krieg zubringen muss, kann entweder nur wahnsinnig werden oder sich selbst das Herz herausschneiden. Oder versuchen, zu vergessen und ein neues Leben zu finden. Das einzige jedoch, was sie ihm geben kann, ist ihre Liebe und die sichere Gewissheit, dass sie für ihn da ist und bei ihm bleiben wird, egal, was auch passiert oder was er ihr noch offenbaren wird. "Brynden schläft", bemerkt sie leise, während sie sich auf den weichen Fellen zu seinen Füßen niederlässt. "Der würde wohl nicht einmal bei einem Erdbeben aufwachen. Ich dachte, du würdest nach oben kommen .... da wartet noch etwas auf dich." Sie druckst ein wenig herum. "Ich habe noch ein Geschenk für dich." Caewlin blinzelt, als würde er gerade aus einem Traum aufwachen und sie rutscht ein Stückchen näher und legt den Kopf auf seine Knie. "So nachdenklich? Sind es gute oder schlechte Gedanken?"

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Caewlin am 30. Jan. 2006, 17:56 Uhr
Caewlin, sonst selbst in seinen eigenen vier Wänden beinahe immer wachsam, ist an diesem Abend ausnahmsweise so in Gedanken versunken, dass er Ravens leise Worte nicht einmal hört, geschweige denn ihre leichten Schritte, als sie in die Halle herab kommt - jedenfalls nicht bewusst. Sie mag vielleicht schon lange keine Diebin mehr sein, aber sie bewegt sich immer noch so lautlos wie eine Katze und so blickt er erst auf, als sie schon vor ihm kniet, dann ein Stück näher rückt und ihren Kopf auf seine Knie bettet. Nach dem lauten, bunten Durcheinander des vergangenen Tages und der Wintersonnwendfeier, hatte er gezögert, nach oben zu gehen, als das Haus sich mit der anbrechenden Nacht endlich in Stille gehüllt, und das Gesinde sich zurückgezogen hatte. Stattdessen war er in den Stall hinauf verschwunden, hatte das Kleinvieh und die Pferde getränkt und gefüttert, und war dann für eine Weile mit den Hunden ans schneeverwehte Seeufer gegangen, um dort eine Zeit lang allein zu sein... doch wenn er gehofft hat, in der Einsamkeit und Kälte der Nacht Erleichterung zu finden, dann hat er sich getäuscht. Nicht in dieser Nacht. Dann war er hierher gekommen, in die schweigende Halle seines Hauses, hatte sich ans Feuer gesetzt und in die Flammen gestarrt - er weiß nicht wie lange, aber es muss schon spät sein und an Schlaf ist immer noch nicht zu denken, vermutlich noch lange nicht. Jetzt blickt Caewlin nachdenklich auf den gesenkten Kopf seiner Frau hinunter, streicht über ihr Haar, lässt sich ein paar der weichen, dunklen Strähnen durch die Finger gleiten und gräbt dann seine ganze Hand hinein, bis er ihre glatte Haut und die zarten, runden Knochen und Wirbel ihres Nackens und Rückgrats darunter spüren kann... So fest und lebendig, ummantelt von warmem Fleisch, so hart - und doch so ungeheuer zerbrechlich. Vom Kamin her fällt heller Feuerschein auf sein Gesicht, verdunkelt sich und flammt wieder auf, als rängen Licht und Dunkel um ihn... in Ravens Haar glitzert er wie tausend kleine Kupferfunken. Caewlin hatte allein sein und sie nicht mit seiner düsteren Stimmung behelligen wollen, aber nun ist sie hier, bei ihm, und er ist froh darüber. >So nachdenklich? Hört er sie flüstern und ihre Stimme klingt fast heiser von den zahllosen derben Zwergenflüchen und dem letzten Brüllen verendender Flammenstiere, die sie heute so oft hatte nachahmen müssen. Sind es gute oder schlechte Gedanken?< Einen Moment lang hält er den Atem an. Gute oder schlechte...? Es ist Wintersonnenwende. Julnacht. Sithechnacht...

Das Feuer sinkt tiefer in sich zusammen, flackernd, knurrend, bis nur noch hier und da ein helles Leuchten zwischen rotglühenden Kohlen und heller Asche lodert. Düsteres Halbdunkel breitet sich aus und füllt die Halle. "Beides, schätze ich." Sie hebt den Kopf, und er streckt die Arme aus und zieht sie vollends auf seinen Schoß. Dann lehnt er sich zurück, so dass er in ihr Gesicht sehen kann. "Ich habe nachgedacht. An alles, was im vergangenen Jahr geschehen ist. An die guten... und die schlimmen Ereignisse." Er berührt ihre Wange und streicht eine verirrte Haarsträhne aus ihrer Stirn. "Heute jährt sich Calyras Todestag," fährt er leise fort und sieht vor seinem inneren Auge ein brennendes Boot unter einem endlosen Winterhimmel auf den schwarzen, schwarzen Ildorel hinaus treiben. "Und Whytfisk hatte dich in seinen Händen..."  Das in Feuer gehüllte Karv und der Tanz der Flammen in einer dunklen Nacht verschwinden, zerfasern und verwehen, und werden zu einer Säulenhalle voller Schatten. In ihrer Mitte erhebt sich ein grob behauener Steinsarkophag und davor steht Raven, verletzt und bleich wie der Tod in den Armen eines hageren Mannes mit fahlen Augen und fahlem Haar, und sein Messer liegt an ihrer Kehle. >Laß sie los. Du kannst uns nicht beide zur gleichen Zeit mit deinem Dolch in Schach halten. Laß sie los.< Er erinnert sich an Whytfisks vollkommen wahnsinniges Lächeln und den Ausdruck in diesen milchhellen Augen, und spürt den überwältigenden Drang sich zu schütteln wie ein nasser Hund. >Und ich bin tot. Ich glaube nicht, daß ich das tue... Denk nicht einmal daran. Sie ist tot, bevor du mich erreichst...Willst du nicht stehenbleiben? Dieses Ringelpiez ist ermüdend. Du kommst nicht in meinen Rücken. Ich weiß es, du weißt es, sogar sie weiß es... Also spielen wir. Ah... du weißt doch, was ein Spiel ist?
Ein Spiel also. Du willst ein Spiel. Gut... aber wir setzen alles. Laß sie gehen und nimm mich dafür...

Caewlins Blick schärft sich, kehrt ins Hier und Jetzt zurück und sucht ihre Augen. "Götter im Himmel, Raven, dir dieses Messer ins Bein zu jagen, war das Schwerste, was ich je in meinem Leben getan habe." Seine Hand senkt sich warm und fest auf die Stelle an ihrem Oberschenkel, wo ihr sein Dolch durchs Fleisch gedrungen war. Er kann die verblassenden Wundränder der alten Verletzung selbst durch den dichten Wollstoff ihres Kleides spüren, und auch wenn der Stich gut verheilt ist, eine Narbe würde ihr wohl immer davon bleiben. "Du warst ohnehin schon verletzt und so schwach... und die ganze Zeit, während ich mit Whytfisk im Dunkeln kämpfte, fragte ich mich, ob ich dich vielleicht umgebracht hatte."

Er drückt sacht ihr Bein und hebt seine Hand dann wieder an ihr Gesicht. "Hätte Whytfisk etwas von meiner Angst gewusst, hätte er es zweifellos für den größten Witz an der ganzen Sache gehalten..." murmelt er, folgt mit den Fingerspitzen den Linien von Kinn und Wangen, dem sanften Bogen einer dichten, schmalen Braue, und fährt schließlich sacht die Umrisse ihres Mundes nach. "Und dann..." sein Brustkorb hebt und senkt sich langsam, als er tief Luft holt und den Atem hörbar wieder ausstösst, halb ein Schnauben, halb ein Seufzen. Noch einmal hört er das irre, blutblubbernde Lachen und die leise Flüsterstimme in seinen Gedanken, riecht das Blut und schaudert in einer Mischung aus plötzlicher Kälte und noch kälterer Erinnerung. Deine Frau ist tot, Nordmann. "Ich war dem Tod schon oft nahe, Raven, aber ich wollte niemals wirklich sterben, nicht einmal in den Kerkern von Ys. Doch in der Krypta dort unten, als ich Whytfisk erschlagen hatte und wußte, dass Calyra tot ist, da wollte ich es. Aber du warst da und du hast mich nicht sterben lassen..." Er fasst unter ihr Haar und in ihren Nacken, um sie noch ein wenig näher zu ziehen. "Ich wäre so gern wütend auf dich... götterverdammt, immer wenn du bei mir bist, wünsche ich mir nichts mehr als eine zweite Hand, mit der ich dich berühren kann... ich wäre so gern wütend auf dich gewesen, aber das konnte ich gar nicht sein. Man kann jeden Menschen brechen, Raven, wenn man ihm nur genug Schmerz zufügt und ich schätze, Whytfisk hat mich gebrochen. Er hat mich in tausend Stücke gerissen... Aber dann, in Ninianes Baum... Du hast alle Scherben und Splitter meiner Selbst eingesammelt, ganz gleich, wie scharfkantig oder unhandlich sie waren, und ganz gleich, ob du dir blutige Finger dabei geholt hast oder nicht, und mich wieder zusammengeflickt - Stück für Stück. Erinnerst du dich an die Schneerutsche? Oder das Bild, das du von Cal gemalt hast? Und dann wolltest du lieber die Hunde mit ins Bett nehmen..." bei diesem Gedanken kann er gar nicht anders, als zu lächeln und er sieht, wie ihre Mundwinkel sich synchron verziehen. "Du bist so wunderschön, wenn du verlegen wirst," fährt er leise fort, und das Lächeln liegt immer noch in seiner Stimme. "Deine Ohren werden zuerst rosa, dann deine Wangen, so wie jetzt. Zuletzt leuchtet sogar deine Nasenspitz..." Er fängt ihre Hand ein, bevor sie ihm ihre kleine Faust noch einmal zwischen die Rippen bohren kann, legt sie auf sein Herz, und hält sie dort fest. "Dann war da die Nacht, in der du von Mottenfaengers Baum zurückgekehrt bist, weißt du noch?"

In dieser Nacht hatte er sie getröstet wie ein verängstigtes Kind, bis ihre Tränen versiegt waren. "Du warst so voller Kummer. Und deine Füße waren die reinsten Eisklumpen, aber es hat sich so gut angefühlt, dich zu halten. So... richtig. Irgendwann bist du an meiner Schulter eingeschlafen und ich lag die halbe Nacht wach." Caewlin spricht nicht weiter, aber er zieht sie an sich, bis sie sich an ihn schmiegen und ihren Kopf an seiner Brust legen kann. Was am nächsten Morgen geschehen war, wissen sie beide. Cron und Niniane hatten ihm von Rorge erzählt und erst der Anblick einer einfußig gelbschwarzbestrumpften Raven im Nachtgewand hatte ihn aus seinem Blutrausch wieder zur Besinnung gebracht - irgendwo auf dem äußeren Zwinger der Steinfaust, wo Hunderte von Blaumänteln sie angestarrt hatten wie ein Rudel hungriger Hunde einen saftigen Knochen. Allein der Gedanke daran bringt ein leises Echo seiner haarsträubenden Eifersucht von damals zurück - und andere Erinnerungen, weit angenehmere als die, mit denen er sich bisher herumgeschlagen hat. "Hmm... und dann der Nachhauseritt von der Steinfaust durch das Larisgrün mit diesem... hübschen, runden Hintern vor mir im Sattel. Ich glaube," fügt er mit einem hintergründigen, halben Grinsen hinzu, "spätestens da wurde mir klar, dass Sterben wollen nicht mehr wirklich zur Diskussion steht. Nicht mit einer Frau auf Rohas weitem Rund mit einem solchen Sturschädel," er küsst ihre Stirn, "einem solchen Herzen," er späht in ihren in den letzten Wochen ziemlich beeindruckend gewordenen Ausschnitt über ihrem runden Bauch, "ich weiß, es ist da irgendwo, und einem solchen," seine Hand wandert unter ihre Röcke, und als er weiterspricht, schnurrt er geradezu, "...einem solchen A... autsch! Hmpf.... war das etwa ein Versuch, mich zu beißen?" Er sieht aus schmalen Augen auf sie hinunter und sein Gesicht bleibt so unbewegt wie das einer Steinstatue. Seine verdächtig zuckenden Mundwinkel verraten ihn allerdings, und die Bosheit in seiner Stimme ist weich wie Samt. "Nur für den Fall, dass es dir entgangen ist, als du mich geheiratet hast, war in deinem Teil des Eheschwurs von gehorchen und ehren die Rede..." Noch bevor sie widersprechen, es ihm mit gleicher Münze heimzahlen, empört schnauben, ihre niedlichen kleinen Stacheln ausfahren oder sonst etwas sagen oder tun kann, neigt er den Kopf, verschließt ihren Mund mit einem Kuss und kann den schon so vertrauten und doch immer wieder vollkommen neuen Hunger nach ihr in seinem Inneren fühlen, der keinen Platz für Schmerz und Schuld mehr läßt, für keinen anderen Gedanken, als an sie.

Er hätte sie vielleicht noch weiter geneckt, doch als er sich schließlich von ihr löst und in ihre Augen sieht, gerät in seinem Inneren etwas in Bewegung, wie wenn sich in einem stillen See etwas dicht unter der Oberfläche regt, und plötzlich wird er ernst. "Aber," er holt tief Luft, "ich bin froh, dass du es trotzdem getan hast. Mich geheiratet, meine ich. Ich weiß wirklich nicht, was ich getan hätte, wenn du in diesem Tempel 'Nein' gesagt hättest..." Dann schüttelt er sich tatsächlich, ganz leicht, als wäre ihm ein kalter Schauer über den Rücken gekrochen. "Lass uns nach oben gehen, min koerlighed. Es ist verdammt spät und ich habe für heute bestimmt genug gegrübelt." Sie verlassen die Halle und steigen Arm in Arm die Treppen hinauf, während vor und hinter ihnen zwei müde Hunde tappen, die abwechselnd gähnen, sich strecken, im Weg stehen, sich schütteln, und deren Krallen laut über die Holzdielen klicken. In ihrem Schlafgemach brennt das Feuer im Kamin noch hell, vermutlich hatte Raven Holz nachgelegt, als sie Brynden ins Bett gebracht hatte, aber obwohl keine einzige Kerze brennt, sind die Flammen nicht die einzige Lichtquelle im Raum. Aus den tiefen Schatten des Bettes schimmert ihnen etwas entgegen, eine Art sanftes, milchiges Leuchten, als glühe dort auf den Kissen ein kleiner, heller Stern vor sich hin. Caewlin erstarrt misstrauisch mitten im Raum, bis er Ravens leises Lachen hinter sich hört und überrascht herumfährt. Dann murmelt sie etwas davon, das da seien ihre Julgaben für ihn. "Meine... oh. Das ist für mich?" Er kann die leise Verwunderung in seiner Stimme nicht unterdrücken, er versucht es auch gar nicht erst, und als er neugierig geworden näher herantritt, wird aus dem Stern auf seinem Kopfkissen ein breiter Ring, der rundum einen Reif aus verschlungenen Silbersträngen trägt. Zwischen dem Silber glänzt noch etwas anderes, matt und doch auch hell, wie von einer ganz sachten, inneren Glut erhellt, als scheine Mondlicht durch einen Schleier aus Feenflügeln. Caewlin hat ihr Elfenfeuer in den letzten Monden überhaupt nicht mehr an ihr gesehen, aber er weiß sofort, was in den Ring eingearbeitet ist - und was es ihr bedeuten muss. "Raven..." Im Zimmer ist es bis auf das Wispern des Feuers und das leise Ächzen der Holzbalken so still, dass sein Flüstern fast laut wirkt. Dann wendet er den Kopf, hebt den Blick und seine Augen halten ihre fest. "Du hast dein Elfenfeuer dafür eingeschmolzen." Sie lächelt nur und er nimmt den Ring so vorsichtig auf, als sei er aus hauchdünnem Rauchglas und könne jeden Augenblick in tausend Stücke zerspringen. Er ist schön, sehr schlicht und ohne jeden unnötigen Schnörkel, ohne dabei irgendwie allzu streng zu wirken - und überraschend schwer.

Wahrsilber... meine vollkommen verrückte kleine Frau hat selbst daran gedacht, dass normales Silber an meiner Hand vermutlich nicht lange halten würde und ihn aus Yalaris anfertigen lassen... Raven nimmt ihm den Silberreif aus den Fingern und er hält ihr die Linke hin, damit sie ihm den Ring anstecken kann, der sich kühl und fest um seine Haut schmiegt - er passt wie angegossen. Ihre Hand ruht noch auf seiner, schmal und klein, und er verschränkt seine Finger mit ihren, Ring an Ring, im Feuerschein glitzernder Bernstein an matt schimmerndem Elfenfeuer, dann zieht er sie an sich und hält sie so fest, wie er es wegen des Kindes in ihrem Leib wagt - fest genug, dass er ihr ganz bestimmt die Luft dabei aus den Lungen quetscht. Er hätte gern etwas gesagt, ihr gedankt, aber lange Augenblicke ist er einfach sprachlos vor Fassungslosigkeit. Ihr Geschenk ist soviel mehr als nur ein Ring, soviel mehr als nur ein Symbol, wie sein alter Glücksbringer, den er auf ihren Ehering hatte setzen lassen... ihr Elfenfeuer war das einzige, das ihr aus ihrem früheren Leben geblieben war, ein Geschenk ihrer Mutter, das einzige, das in ihrem Leben jemals für so etwas wie Geborgenheit, Wärme, Liebe und gute Erinnerungen gestanden hatte, von seiner geheimnisvollen Magie ganz zu schweigen. Jetzt trägt er es an seinem Finger und damit so unendlich viel mehr, als nur einen Ring, und er weiß es. "Er ist wunderschön, Raven. Und ich werde ihn immer tragen, solange ich lebe." Sie hält ihn mindestens so fest, wie er sie, aber nach einer Weile löst sie sich doch von ihm, zumindest soweit, dass sie nach dem dunklen Fleck dort auf dem Kissen angeln kann, der sich zuerst als ziemlich großes Stück Stoff und nach dem vorsichtigen Ausschütteln schließlich als Surcot entpuppt... ebenfalls für ihn, doch nach dem Ring hatte er auf nichts mehr anderes geachtet. Der Wappenrock ist mitternachtsschwarz, aus gutem, weich fallendem Tuch, mit dunklem Leder gesäumt und auf der Brust mit dem knurrenden Bluthund Sturmendes bestickt - so fein und sorgfältig aus rotbraunem, schwarzem und bernsteinfarbenen Seidengarn gearbeitet, dass allein die Stickerei sie tausend Stunden mühevoller Arbeit gekostet haben muss. Caewlin streicht mit den Fingern über den weichen und doch festen Stoff und die winzigen, präzisen Stiche des Wappens. "Du bist wirklich nicht mehr ganz bei Trost... habe ich dir das schon einmal gesagt?" murmelt er halblaut, hebt sie hoch und küsst sie. Dann fällt ihm etwas ein und er stellt sie auf ihre Füße zurück und dreht sie um, so dass sie vor ihm steht, und direkt in den hohen Spiegel mit seinem Rahmen aus geflochtenen Bronzesträngen blicken kann.

Er nimmt ihr den Surcot, den sie immer noch hält, aus den Händen, wirft ihn hinter sich auf das Bett und nutzt die Bewegung, um sie wieder dicht an sich zu ziehen, so dass er ihre Wärme durch sein Leinenhemd spürt. Aus seiner Gürteltasche nimmt er einen Gegenstand, den er in seiner hohlen Hand birgt, dann verschränkt er die Arme leicht um ihren gewölbten Bauch, und sucht ihren Blick im Spiegel. "Wenn wir schon beim Julgabentausch sind, ich habe auch etwas für dich. Ich habe... lange überlegt, was ich dir schenken könnte. Ich wollte nicht schon wieder ein so hm... praktisches Geschenk, wie deine Werkstatt. Aber dann, als ich deinen Umhang gekauft habe, habe ich etwas entdeckt. Und da meine Frau ja unter die Zauberinnen gegangen ist, und ich neuerdings auch ganze Heerscharen ziemlich magischer Geschöpfe beschäftige, dachte ich mir," er zuckt vage mit den Schultern, "noch ein wenig Magie mehr kann kaum schaden." Ravens Blick wird immer fragender, aber ihre Bernsteinaugen leuchten - ob vor Neugier oder leiser Belustigung oder vielleicht etwas ganz anderem kann er nicht sagen - und er kann den Puls an ihrem Hals klopfen sehen, als sie sich an ihn lehnt. Ihre Haut riecht schwach nach Mandeln und noch etwas, das er außer als 'absolut unwiderstehlich' nicht ganz einordnen kann, und in ihrem Haar hängt der Duft nach Honig. Seine Mundwinkel vertiefen sich leicht, als ihre Blicke sich treffen und eine seiner Brauen hebt sich ein winziges Stück, bevor er leise fortfährt. "Eigentlich wollte ich es dir erst später geben. Nachdem ich dich splitterfasernackt ausgezogen und ganz langsam geliebt habe... aber ich tue es lieber jetzt und liebe dich dann. Wenn du nur noch das trägst." Er öffnet seine Finger und in seiner Handfläche glänzt etwas, das aussieht wie ein Netz haarfeiner Silberfäden und Golddrähte, in das eine verschwenderische Hand scheinbar wahllos hell schimmernde Mondsteine, glänzende Flussperlen, dunkle Bernsteine und leuchtende Opale jeder Form, Farbe und Größe verstreut hat. Sie hängen zwischen den dünnen Strängen wie von Zauberhand dort festgehalten, denn das Gewebe ist bis auf die Fassungen der Steine so zart, dass sich nur hin und wieder ein Lichtstrahl darin bricht, der es aufschimmern und verblassen lässt. Außerdem scheint es ein geheimnisvolles Eigenleben zu besitzen, denn es bewegt sich träge, als woge ein glitzernder Quecksilbertropfen hin und her. "Nimm es in deine Hand." Raven tut, worum er bittet und kaum berührt sie das glänzende Gewebe, verändert es auch schon seine Form und legt sich dann ganz von selbst um ihr Handgelenk und zwei ihrer Finger.

"Man kann es nicht zerreißen, jedenfalls haben der zwergische Goldschmied und der Magier, die es für mich angefertigt haben, das ziemlich eindrucksvoll bewiesen. Und es bewegt sich. Es wird sich immer an deine Haut schmiegen, ganz gleich, wo und wie du es anlegst. Du kannst es im Haar tragen, wenn du willst, oder als Kette, als Gürtel, als Stirnreif... oder so wie jetzt, um deinem Arm. Aber zuerst..." seine Hand fährt ihren Rücken hinauf, um sanft, aber entschlossen an den Bändern ihres Kleides zu ziehen, "könntest du vielleicht all diesen Stoff los werden." Er bekommt die erste Schleife am Ende der Verschnürung zu fassen, öffnet sie und löst dann ein Band nach dem anderen. Als sie Luft holt, dehnt sich ihr Rücken und das lose gewordene Kleid rutscht über ihre Schultern, gibt atemberaubend langsam honigfarbene Haut preis, sammelt sich einen Herzschlag lang in bauschenden Falten um ihre Mitte und raschelt dann endgültig zu Boden. Aber darunter ist immer noch der weiche Seidenbatist ihrer Unterwäsche, und die Verschnürung ihres Leibchens ist vorn, so dass er sie zu sich umdreht. "Du hast immer noch zuviel an," stellt er in aller Logik fest, hebt sie hoch und stellt sie auf das Bett. So reicht sie ihm immerhin bis knapp unters Kinn und er kann sie küssen, ohne sich dabei bücken zu müssen. Ihr Mund schmeckt warm und weich nach Hingabe, während seine Finger die Bänder ihres Leibchens aufnesteln und sie sich herauswindet. Als er sie wieder freigibt, ist er seine eigenen Kleider losgeworden, ihre Lippen sind rot und leicht geschwollen, und ihre Wäsche ringelt sich um ihre niedlichen kleinen Zehen. Sie lieben sich lange, kosten jede Berührung aus, berauschen und besänftigen einander, so langsam und sanft wie der Schnee, der still und lautlos draußen zur Erde fällt. Lange Zeit später, tief in der Nacht, ist das Feuer fast vollkommen heruntergebrannt und der Raum ist schwarz wie Samt. Als sie warm und eng aneinander geschmiegt, schweigend und Gesicht an Gesicht in in der Dunkelheit ihrem Bett liegen, kann Caewlin die langsamen Räkelbewegungen des Kindes in ihrem Leib an seiner eigenen Haut spüren, als teile sie es mit ihm. Ihre Finger sind noch immer miteinander verschlungen, so wie jeder erreichbare Rest von ihnen auch, und er dreht ihre Hand um und tastet über die Haut an ihrem Gelenk, wo ihr Blut wie ein Echo seines eigenen Herzschlags pulsiert. An seinem Finger schimmert ihr Ring, der einzige Lichtfunke im Raum, dessen blasses Glühen sich im Bernstein und Silber des Reifs an ihrer Hand spiegelt. Er schiebt seine Finger zurück zwischen ihre und drückt sacht zu und dann treiben sie beide, Puls an Puls und Herzschlag an Herzschlag, ihr Kind zwischen sich, über den Rand des wachen Bewusstseins in den Schlaf davon.

Der Langschneemond vergeht so kalt und schneereich wie er begonnen hat, und das Jahr mit ihm. Der Silberweißmond, der Silvervit, bringt noch mehr Schnee und Kälte, bis es klirrende zwanzig Grad Frost hat und nicht einmal mehr Caewlin sich über südländische Matschwinter beschweren kann. Die ganze Stadt ächzt unter der für die Herzlande ungewohnt strengen Kältewelle und selbst Dalla, eingemummt in vier Schichten Kleidung und Pelze, beginnt irgendwann zu jammern, sie würde sich bei ihren Marktausflügen bestimmt bald die Füße abfrieren, wenn das so weiterginge. Caewlin dagegen blüht auf. Zum ersten Mal, seit er in Talyra lebt, ist es wirklich kalt, kein Vergleich zu den Eisöden, aber immerhin ein richtiger Winter. Der bittere Frost hält in den Nächten an, doch tagsüber schneit es immer wieder, und rings um das Seehaus schichtet sich kinirtaq, tiefer, weicher Feuchtschnee, aus dem sie Blöcke schneiden, und - sehr zur Freude Bryndens, der am liebsten dort einziehen würde -, unter den frosterstarrten Apfelbäumen ein Iglu errichten können. An einem eiskalten, aber klaren Tag gegen Ende des Silberweiß - Bethel fuhrwerkt seit dem Morgen geschäftig in der Küche herum und legt irgendwelche getrockneten Beeren und Gewürze in Unmengen von Alkohol ein, und Dalla und Runa sind mit der Wäsche beschäftigt -, sind Rykar, Pyp und Caewlin mit den Hunden oben am Stall und treiben die Schweine aus der steinhart gefrorenen Sommersuhle in ihre frischgemisteten Ställe zurück. Das Misten hatte den ganzen Vormittag gedauert, es ist bitterkalt und die Männer sind hungrig, und - bis auf Caewlin - auch vollkommen durchgefroren. Der Tag ist sonnig, voller gelben Winterlichts und glitzernden Schnees. Die Pferde dösen auf der Koppel vor sich hin und ertragen stoisch das klirrende Eis im zottigen Winterfell, bis auf Halbmond, die selbst unter den dicken Filzdecken schlottert, in die man sie gepackt hat. Sogar die Hühner haben todesmutig ihren Verschlag verlassen, um für ein paar Stunden Sonne im harschen Schnee herumzuscharren. Dann aber zerreißt ein wildes Kreischen die friedliche Winterstille, gefolgt von einem schrillen Quietschen, Krachen und Bersten, wütendem Knurren, aufgebrachtem Hundegebell und schließlich einem ohrenbetäubenden Grunz-, Blök- und Schnatterkonzert. Eine Wolke Stroh, Sägespäne und Holzsplitter quillt aus der Tür zum Schweinestall, hängt einen Moment in der gläsernen Luft und sinkt langsam zu Boden. In das verschreckte Rumoren sämtlichen Kleinviehs im Stall mischt sich leises Fluchen, klägliches Miauen und atemloses Gelächter, dann wird es wieder ruhig und der Aufruhr verstummt. Ein paar Augenblicke später erscheint ein reichlich abgerissen aussehender Caewlin am Haus unten und betritt durch den Gesindeeingang die Küche. Er sieht aus, als hätte er sich einmal ausgiebig in feuchter Erde und anschließend in Stroh gewälzt, sein Hemd ist nicht nur schmutzig und voller Blutflecken, sondern hängt an der Vorderseite auch in Fetzen und der halbe rechte Ärmel fehlt völlig, doch seine Miene ist hochzufrieden.

An seinem linken Unterarm klafft allerdings ein langer Riss, der stark blutet und eine kleine Spur roter Tropfen auf dem Boden hinterlässt. Caewlin streckt den Kopf durch die Spülküchentür, eigentlich nur, um Beth nach seiner Frau zu fragen, doch er findet Raven zu seiner Erleichterung gleich hier bei ihr, und schiebt sich vollends in den Raum. Hinter ihm drängeln sich zwei nicht minder schmutzstarrende Hunde herein, doch sein Anblick lenkt Bethel prompt von dreckigen Pfotenabdrücken ab. Sie kreischt erschrocken auf und Raven eilt alarmiert zu ihm. "Nej, mir fehlt überhaupt nichts. Ich bin schmutzig, und das Hemd ist zerrissen, das ist alles. Rykar und Pyp geht es auch gut, sie schließen oben nur noch die Gatter. Habt ihr den Tumult nicht gehört? Wir sind mit der Sau aneinandergeraten, was sonst... hier." Er streckt Raven seinen Arm hin. "Kannst du dir das mal ansehen? Ich dachte, das Miststück frisst mich." Bethel rümpft ihre Nase, gibt missbilligende Schnalzlaute von sich, scheucht die Hunde wieder hinaus und watschelt dann in den Keller, um den Kessel nachzuschüren und den großen Waschzuber für Akira und Stelze heraufzuholen, die um ein Bad wohl kaum herumkommen würden. Die große, schwarze Verder Sau ist Rykars ganzer Stolz und ihre beste Zuchtsau, robust bis in die Knochen, wirft mit schöner Regelmässigkeit ein Dutzend oder mehr dicke, gesunde Ferkel, und bringt sie allesamt auch groß. Leider besitzt dieser Ausbund schweinischer Muttertugenden einen absolut mörderischen Charakter und widerlegt jeden Tag auf's Neue das alte Sprichwort, kein Vieh beiße die Hand, die es füttert. Es gibt niemanden im Seehaus, außer Brynden, der noch nicht Bekanntschaft mit ihren Zähnen gemacht hätte oder auf den sie noch nicht losgegangen wäre, und im Normalfall nähert man sich ihr auch nur bewaffnet mit Mistgabel oder Dreschflegel und Akira bei Fuß. Caewlin schält sich aus den traurigen Überresten seines Hemdes und lässt sich auf einen Stuhl am Tisch fallen, damit Raven die Wunde an seinem Arm auswaschen kann, während Bethel empört schnaubend aus dem Keller wieder auftaucht und wissen will, was - mit Verlaub - M'lord eigentlich im Verschlag der Sau zu suchen gehabt hätte. Caewlin blickt mit Unschuldsmiene von der dicken Köchin zu seiner Frau, doch Ravens Gesichtsausdruck macht hinreichend klar, dass auch sie eine Erklärung brennend interessiert, also greift er seufzend in seine Gürteltasche und zieht mit spitzen Fingern ein kleines, rotbepelztes Bündel heraus. Es ist das rote Katerchen aus Mäuseschrecks letztem Wurf vom vergangenen Spätherbst, das einzige von zwei Jungen, das überlebt hat, und er lässt es sanft in Ravens ausgestreckte Hände plumpsen. "Da. Saß mitten in ihrem Stall in der hintersten Ecke, gerade, als wir sie hineingetrieben haben. Du kannst dir denken, was passiert ist." Wann immer sich irgendein allzu neugieriges Jungtier des übrigen Kleinviehs, ganz gleich ob Entenküken, Junghenne oder hin und wieder auch eines von Mäuseschrecks Kätzchen in den Schweinepferch verirrt hatte, war sein Ende unschön und blutig gewesen. "Ich konnte ihn da einfach nicht sitzen lassen." Er zuckt mit den Schultern. "Aber Raven, etwas anderes noch... ich brauche etwas zu essen und ein Bad, doch für heute habe ich eindeutig genug von Stallarbeit. Was hälst du davon, wenn wir Brynden nachher bei Dalla lassen und dir endlich etwas zum Anziehen kaufen gehen?"

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Raven am 02. Feb. 2006, 21:19 Uhr
Die Hemdsärmel hochgekrempelt und die Arme bis über die Ellbogen in einer Wanne mit rötlich trüber Brühe, ist Raven in der Spülküche gerade dabei, die Blaufelchen, die es zum Mittagsmahl geben soll, zu säubern und auszunehmen. Während ihre Finger mechanisch silbrig glänzende Schuppen von den Fischleibern schaben, schielt sie mit einem Auge neugierig zu Bethel hinüber, die neben ihr in stiller Inbrunst ganze Gebirge kleiner, verhutzelter Waldbeeren in eine bereitstehende Batterie von Tonkrügen schichtet. Das heißt, sie schichtet nicht, sondern sie zelebriert. Sie rührt und würzt, fügt hier noch ein Kräutlein zu und dort noch eine Prise Irgendwas, da noch einen Hauch Zucker und dort noch einen Schuss grauslig stinkenden Branntweins, schnuppert, schnüffelt, und kostet gelegentlich - was wahrscheinlich auch der Grund für ihre roten Backen und die verdächtig glänzenden Augen ist - und verschließt die Krüge sorgsam mit Korken, sobald die Mischung in deren bauchigem Inneren zu ihrer Zufriedenheit scheint. Die Spülküche riecht inzwischen wie eine Schnapsbrennerei und Raven wirft einen besorgten Blick über ihre Schulter auf Brynden, der hinter ihnen auf einem der Spülsteine hockt und selbstvergessen dramatische Scheingefechte mit zwei der Handpuppen ausficht, die er zum Sithechfest bekommen hat. Tante Nan - in Puppenform über seine linke Hand gestülpt - ist offenbar gerade dabei, den blauberockten Lordcommander in seiner Rechten zu verhexen, zumindest lassen die theatralischen Zisch-, Fauch- und  Knurrlaute, mit denen Brynden das ganze untermalt, auf verschärften Einsatz von Magie schließen. Der Handpuppenolyvar macht seiner Widersacherin mit verstellter Kinderstimme gerade energisch klar, dass es bei Strafe verboten ist, einen Lordcommander zu verzaubern. "Und wenn du nicht damit aufhörst, stecke ich dich in den Kerker", droht er der Puppen-Niniane und fügt sicherheitshalber noch die allerschlimmste Buße hinzu, die er sich denken kann: "Und du musst ohne Abendessen ins Bett!"

Die letzten Worte bleiben Brynden jedoch buchstäblich im Hals stecken, denn draußen erhebt sich mit einem Mal infernalischer Lärm. Sie hören es krachen, knirschen, brüllen, und dann das Splittern von Holz, und es klingt so beängstigend, als wäre etwas von der Größe eines Immerfroster Wollnashorns gerade dabei, die Ställe kurz und klein zu hauen. "Gütiger Himmel, was ist denn da draußen los?" Raven tauscht einen alarmierten Blick mit Bethel, lässt den Fisch, den sie in Händen hält, achtlos wieder zurück in den Zuber klatschen, und versucht, einen Blick durch das Fenster hinaus auf den Hof zu erhaschen. Die Scheiben sind jedoch vom heißen Spülwasserdampf und dem Alkoholdunst so beschlagen, dass sie wie eine undurchdringliche Nebelwand die Sicht behindern, und selbst als sie mit einem Schürzenzipfel ein Guckloch freiwienert und sich die Nase an der Scheibe plattdrückt, kann sie kaum etwas erkennen. Bethel dagegen scheint das Spektakel nicht weiter zu beeindrucken. Sie legt nur den Kopf schief, lauscht kurz nach draußen, nickt wissend, und wendet sich dann mit stoischer Ruhe und den Worten "Die Sau" wieder ihren Beeren zu, als wäre damit alles hinreichend erklärt. "Die Sau?" echot Raven verwirrt, während ihr Blick beunruhigt zwischen Beth und dem Fenster hin und her fliegt - und sie ahnt Schlimmes. Als sie im Sommer ins Seehaus gezogen waren und Brynden ihr mit stolzgeschwellter Brust all die Tiere vorgeführt hatte, die zum Anwesen gehören, hatte ihr dieses heimtückische Biest von Muttersau beinahe einen verfrühten Herztod beschert. Arglos waren sie am Schweinekoben vorbeigestiefelt, als die Alte sich auf einmal wild grunzend und mit der ganzen Wucht ihrer mehr als fünfhundert Pfund Lebendgewicht derart wutschnaubend gegen den Bretterzaun geworfen hatte, dass sie zwei Pfosten aus der Verankerung gerissen und die Latten zu Kleinholz verarbeitet hatte. Seitdem macht sie einen großen Bogen um den Schweinekoben, einen sehr großen. Selbst Brynden, der gewöhnlich mit allen Tieren auf gutem Fuß steht und sogar den giftig zischelnden Gänsen die Ärmchen um die Hälse schlingen darf, ohne dass sie ihm auch nur ein Haar krümmen würden, hat vor der Sau höllischen Respekt.

"Das ist kein Schwein, das ist ein mordlüsternes Monstrum", grollt Raven, düstere Vorahnungen in der Stimme. "Und Caewlin ist da draußen!" Schon allein bei dem Gedanken verknotet sich ihr Magen vor Angst. Dieses Berserkerschwein wäre glatt imstande, einen ausgewachsenen Nordmann über die Purpurnen Flüsse zu schicken, ohne auch nur einmal mit den Borsten zu zucken. Während sie sich hastig die nassen Hände an einem Leintuch abtrocknet, lässt Brynden seine Spielfiguren fallen und sich vom Spülstein plumpsen. Er trippelt zu ihr hinüber, versteckt sich hinter ihrem Rücken, klammert sich an ihren Hosenbeinen fest und linst mit schreckgeweiteten Augen um sie herum in Richtung Tür. Obwohl er für gewöhnlich ein furchtloser Naseweis ist, scheint ihm der ohrenbetäubende Krach dort draußen alles andere als geheuer zu sein. "Komm, Schatz, wir gehen mal nachsehen, wo dieser Lärm herkommt", beruhigt sie ihn, hebt ihn hoch und klemmt ihn sich auf die Hüfte. Er krallt sich so eisern an ihrem Zopf fest, als würde er einen Rettungsanker umklammern. Sie kommt jedoch nicht einmal dazu, die Hand nach der Klinke auszustrecken, denn im gleichen Augenblick wird die Tür aufgerissen und spuckt ihr einen Schwall eisig kalter Luft, einen Schneeflockenwirbel und ihren Mann entgegen. Einen Herzschlag lang bleibt Raven völlig entgeistert der Mund offen stehen und sie kann Caewlin nur sprachlos von oben bis unten anstarren. "Du lieber Himmel", entfährt es ihr, als sie endlich ihre Stimme wiederfindet, "wie siehst du denn aus?" Hinter ihm drängeln sich hechelnd die Hunde in die Spülküche, Stroh im Fell und Erdbrocken an den Pfoten, und alle drei sehen aus, als hätten sie ein Bad im Misthaufen genommen. Und sie riechen auch so. Bethel schlägt zeternd die Hände über dem Kopf zusammen und scheucht Akira und Stelze energisch und unter Zuhilfenahme sämtlicher ihr bekannter Drohgebärden und Schimpfwörter wieder nach draußen, während Raven eilig den schreckerstarrten Brynden zurück auf den Boden stellt und Caewlin förmlich entgegenfliegt.

"Götter, hast du dir was getan?" keucht sie beim Anblick der blutigen Tropfenspur, die er auf dem Küchenfußboden hinterlässt. "Was ist mit deinem Arm?" Er winkt nur ab, und bis auf das dreckstarrende, völlig zerfetzte Hemd und die blutende Schramme scheint er tatsächlich unversehrt zu sein. >Nej, mir fehlt überhaupt nichts<, versichert er, während er sich Richtung Küche schiebt und sich dabei die Hemdreste vom Leib pult. >Ich bin schmutzig, und das Hemd ist zerrissen, das ist alles. Rykar und Pyp geht es auch gut, sie schließen oben nur noch die Gatter. Habt ihr den Tumult nicht gehört? Wir sind mit der Sau aneinandergeraten, was sonst... hier. Kannst du dir das mal ansehen? Ich dachte, das Miststück frisst mich.< "Gehört? Natürlich haben wir das gehört, dieses Vieh macht ja mehr Lärm als eine Herde wildgewordener Waldelefanten." Raven beäugt kurz Caewlins Arm, dann beeilt sie sich, eine Schüssel mit warmem Wasser aus dem Kessel zu füllen und ruft Bethel, die sich gerade schnaufend die Kellertreppe hinabmüht, hinterher, sie solle aus der Wäschekammer Verbandsleinen mit herauf bringen. Sie stellt die Schale auf dem Tisch ab, lässt sich neben Caewlin auf einen Stuhl sinken und begutachtet stirnrunzelnd den langen Schnitt, der sich vom Handgelenk bis fast zu seinem Ellbogen hinaufzieht. Während sie vorsichtig mit Wasser und einem weichen Leintuch die lange Schramme reinigt und das Blut abwischt, lässt sie sich von Caewlin haarklein erzählen, was draußen passiert ist. Brynden, der sich inzwischen wieder hinter ihrem Rücken hervorgewagt hat, lauscht wie hypnotisiert seinem Bericht. Mit jedem Wort, das über Caewlins Lippen kommt, sperrt er Mund und Augen noch ein Stückchen mehr auf und man kann ihm an der neugierigen Nasenspitze ansehen, dass sein Vater auf seiner höchstpersönlichen Heldenskala gerade einen gewaltigen Sprung nach oben macht - denn wer sich mit dieser personifizierten, in schwarze Borsten gekleideten Boshaftigkeit anlegt, kann entweder nur lebensmüde oder ein Held sein, das weiß sogar Brynden.

Bethel, die inzwischen den großen Holzzuber und dazu ihre beträchtlichen Körpermassen wieder aus dem Keller emporgewuchtet hat, lässt einige säuberlich aufgerollte Streifen Verbandslinnen auf die Tischplatte purzeln, und stellt die Frage, die Raven die ganze Zeit schon auf der Zunge liegt, nämlich die, was Caewlin überhaupt im Verschlag der Sau gewollt habe. "Das würde mich allerdings auch brennend interessieren", unterstützt sie das Auskunftsersinnen der Köchin - und die pelzige Antwort plumpst ihr daraufhin postwendend in die Hände. >Da. Saß mitten in ihrem Stall in der hintersten Ecke, gerade, als wir sie hineingetrieben haben. Du kannst dir denken, was passiert ist. Ich konnte ihn da einfach nicht sitzen lassen.< Verblüfft starrt Raven das winzige fuchsrote Bündel an, das Caewlin aus seiner Gürteltasche gefischt hat, dann fliegt ihr Blick zu ihm zurück und einen Moment lang verschlägt es ihr prompt die Sprache. "Du hast dich mit einer menschenfressenden Muttersau angelegt, um diesen kleinen Hosenscheißer hier zu retten?" fragt sie ungläubig nach. Um seine Mundwinkel zuckt ein stilles Grinsen und seine Miene nimmt wahrhaft seharimgleiche Züge an. Raven kann nur fassungslos den Kopf schütteln und hat Mühe, das Kichern zu unterdrücken, das ihr in die Kehle steigt. Mein Mann, das herzlose Ungeheuer, jaja .... In diesem Augenblick verliebt sie sich wohl zum tausendsten Mal neu in ihn - und sie muss es Brynden gleichtun und ihre persönliche Heldenskala ein Stückchen weit nach oben korrigieren. Das jämmerlich schlotternde Pelzding in ihren Händen jedoch gibt einen ganz und gar kläglichen Maunzlaut von sich, der auf der Stelle ihr Herz erweicht und eine Mitleidswelle über sie hinweg schwappen lässt. Es ist klein und mager, kaum mehr als eine Handvoll streichholzdünner Rippen unter weichem, goldrot schimmerndem Fell, mit einer rosa Nasenspitze und flauschigen, rosa Ohren, und es zittert am ganzen Körper. Selbst seine Schnurrhaare beben bis in die Spitzen. Kein Wunder. Wenn ich gerade eine Begegnung mit dieser Sau gehabt hätte, würde ich auch schlottern. Armes Kerlchen.

Bethel, die gerade mit einem Kessel heißen Wassers an ihr vorüber und Richtung Tür rauscht, hält einen Moment inne, wirft einen Blick über Ravens Schulter auf das zitternde Häufchen Katzenelend - und auf der Stelle sind sämtliche dreckstarrenden Hunde, die draußen vor der Spülküche auf ihr Bad warten, vergessen. Sie stößt einen durch und durch mütterlichen Quietschlaut aus, der bei näherem Hinhören ungefähr so klingt wie "Oooch, was bist du nur für ein mageres Bürschchen, du hast ja nicht einmal Fleisch auf den Rippen. Komm her, du armes Dingelchen, dich muss man nur anständig füttern..." und besiegelt somit das Schicksal des kleinen Katerchens - der unter Bethels kulinarischer Fürsorge garantiert nicht lange ein kleines Katerchen bleiben, sondern sich zu einem riesenhaften, gutgenährten Katzenkoloss auswachsen wird. "Der braucht erst einmal eine ordentliche Schale voll warmer Milch", diagnostiziert sie und streckt die Arme aus, um Raven das magere Sorgenkind abzunehmen - die jedoch drückt den kleinen Kater schützend an ihr Herz, nicht bereit, ihn an irgend jemanden abzutreten. Meiner! funkelt es warnend in Richtung Bethel. "Das mache ich schon selbst", bescheidet sie der Köchin, nickt mit dem Kinn Richtung Zuber und Wasserkessel, und setzt ein allerliebstes Lächeln auf. "Wolltest du nicht gerade die Hunde baden?" Kaum dass sie dem kleinen Kater etwas lauwarmen Haferbrei, der vom Frühstück übrig geblieben ist, in ein Schälchen gefüllt hat und Beth durch die Tür in die Spülküche hinaus verschwunden ist, kommt von der Halle her ächzend und schnaufend Dalla hereingewatschelt, beladen mit einem schweren Weidenkorb voll schmutziger Wäsche, den sie bei Caewlins Anblick - der noch immer halbnackt und mit blutendem Arm am Küchentisch sitzt - prompt fallen lässt. "Ohjeohjeohje, M'lord, was ist denn geschehen?" Die kleine Mogbar reißt die Augen auf, lässt die Wäsche Wäsche sein und hastet im Eiltempo auf ihn zu, um ihn besorgt in Augenschein zu nehmen und mit einer Flut hervorgesprudelter Worte zu überschütten. Sie gibt sich erst zufrieden, als sie in Kurzfassung erfährt, was passiert ist, und sich versichert hat, dass der Schnitt an Caewlins Arm wirklich und wahrhaftig keine lebensbedrohliche Wunde ist.

Kaum ist sie einigermaßen beruhigt, macht sie sich daran, die verstreute Wäsche wieder aufzusammeln, die Blutspur aufzuwischen, die Caewlin auf dem Fußboden hinterlassen hat, die Überreste seines Hemdes zu entsorgen, die restlichen Fische für das Mittagsmahl abzuschuppen, das Herdfeuer nachzuschüren, den Dreck der Hunde hinauszufegen, Cofea aufzubrühen, Kartoffeln zu kochen, den Kater bis an die kleinen, rosa Ohren mit Haferbreinachschlag abzufüllen, Brynden zu beschäftigen und ihnen dabei von mindestens einem halben Dutzend verschiedener Verwandten dritten bis werweißwievielten Grades zu erzählen, die ähnlich verbrecherische Schweine ihr eigen nennen - und das alles gleichzeitig und ohne auch nur einmal ihren prasselnden Redeschwall zu unterbrechen, um Luft zu holen. Sie lassen Dallas Tiraden augenrollend über sich ergehen, während Raven sich um die Wunde an Caewlins Arm kümmert und vorsichtig Salbe darauf streicht. Er macht ein Gesicht, als würde er gerade angestrengt über etwas nachdenken, und gleich darauf rückt er auch schon mit der Sprache heraus: >Aber Raven, etwas anderes noch... ich brauche etwas zu essen und ein Bad, doch für heute habe ich eindeutig genug von Stallarbeit. Was hälst du davon, wenn wir Brynden nachher bei Dalla lassen und dir endlich etwas zum Anziehen kaufen gehen?< Sie schiebt die Schüssel mit dem blutigroten Wasser beiseite und verschließt den Salbentiegel, während ein verborgenes Grinsen ihre Mundwinkel kräuselt. "Du meinst, ein .... Kleid?" flötet sie mit treuherzigem Augenaufschlag. "Ein Kleid mit fürchterlich vielen Unterröcken?" Die Aussicht, einen Nachmittag mit ihrem Mann allein verbringen zu können, ohne Arbeit, schnatternde Mägde und einem unterhaltungsbedürftigen Kleinkind, wandelt das Schmunzeln in ein Lächeln der Vorfreude. "Das würde ich gern", seufzt sie und legt die Arme um seinen Hals. "Wir könnten nach dem Mittagsmahl den Wagen anspannen und in die Stadt fahren, oder hinunter auf den Platz der Händler. Sobald du ein Bad genommen hast. Du riechst etwas ... ", kichernd kramt sie nach einem möglichst unverfänglichen Wort, seinen derzeitigen Geruchszustand, der verdächtig an die vormittägliche Beschäftigung im Schweinekoben erinnert, zu umschreiben, "... streng." Caewlins aktuelle Duftnote hindert sie jedoch nicht daran, ihn ausgiebig zu küssen, und sie tut es so lange und so gründlich, bis Dallas dezentes Räuspern hinter ihnen zu einem ausgewachsenen Hustenanfall wird und sie daran erinnert, dass sie nicht allein auf der Welt sind.

"Deinen Arm werde ich mir nachher noch einmal ansehen und verbinden, wenn es nötig ist. Das hat jetzt vor dem Bad wenig Sinn. Ich bringe dir frische Sachen mit herunter, ich muss mich ohnehin noch umziehen. Dann können wir nach dem Essen gleich aufbrechen." Mit einem bedauernden Seufzer löst sie sich von ihm, und während Caewlin in Richtung Badezimmer verschwindet, macht Raven sich selbst auf den Weg hinauf ins Schlafgemach. Sie schält sich aus ihrem Hemd und den alten Leinenhosen, die sie in der Küche getragen hat - unter dem Bauch mit einem Stück Strick gegürtet, weil sie den Hosenbund unmöglich mehr über über den Bauch bekommt - und schlüpft in das rostrote Kleid, das Dalla und Bethel ihr genäht haben, das einzige, das überhaupt noch passt. Und mehr oder weniger auch das einzige, das sie besitzt. Aus dem Schrank nimmt sie für Caewlin saubere Kleidung, und aus einer der wuchtigen Kommoden, die die Tür zu Bryndens Zimmer flankieren, auch noch frische Leibwäsche. Als sie die Lade wieder schließt, bleibt ihr Blick jedoch an einer kleinen, hölzernen Schatulle hängen, die auf der Kommode steht, und sie hält einen Augenblick inne, um deren geschnitzten Deckel zu öffnen. Darin liegt, sorgsam auf weichen Samt gebettet, das Schmuckstück, das Caewlin ihr zum Sithechfest geschenkt hat. Sie betrachtet es lächelnd und streicht über das haarfeine, gold- und silberschillernde Netz und die funkelnden Steine, über polierten Bernstein, über Flussperlen, Mondsteine und milchig schimmernde Opale. Kaum dass ihre Finger das magiedurchwobene Geschmeide berühren, bewegt es sich sacht, als wolle es sich über ihre Hände legen, und sie kann darüber, wie jedes Mal, wenn sie es betrachtet, nur staunen. Es ist das wunderlichste Schmuckstück, das sie je gesehen hat, und es gibt kaum ein Körperteil, an dem sie es nicht schon getragen hat. Gleichgültig, ob sie sich das Netz um den Arm schlingt, sich über das Haar legt oder um den Hals drapiert, es passt sich jedes Mal mit einem kaum merklichen, quecksilbrigen Zittern so nahtlos an ihre Haut, als sei es geradewegs für diese eine Stelle gemacht. Dabei verheddert und verknotet es sich zudem auch nie, egal, wie sehr sie damit auch herumfuhrwerkt - das Netz aus leuchtenden Steinen und schimmernden Fäden scheint sich ständig selbst wieder in die richtige Form zu bringen, als würde ihm tatsächlich eine Art eigentümliches Leben innewohnen.

Sie erinnert sich genau an den Abend, als sie ihre Julgaben getauscht hatten, obwohl seitdem schon wieder einige Siebentage vergangen sind. Und sie erinnert sich an die melancholische Stimmung, in der sie Caewlin am Kaminfeuer sitzend vorgefunden hatte. Sie hatte sich zu ihm gesetzt und sich gefragt, wo er mit seinen Gedanken wohl sei, doch als er aufgesehen und sie angeschaut hatte, war ihr schlagartig klar geworden, woran er hatte denken müssen. Sithechnacht. Calyras Todesnacht. Einen Augenblick war Raven unsicher gewesen, unsicher, ob sie etwas sagen soll, ob sie ihn darauf ansprechen soll, aber schließlich hatte sie sich nur an ihn gelehnt und darauf vertraut, dass er von allein reden würde, wenn er das Bedürfnis danach verspüren sollte. Und das hatte er getan, er hatte seine Gedanken mit ihr geteilt und sie auf eine Reise durch die Zeit mitgenommen. Sie hatten um Cal getrauert und an sie gedacht, an ihr Lachen und ihre glockenhelle Stimme, und Caewlin sicher auch noch an ganz andere Dinge; sie hatten noch einmal die Hölle durchlebt, dort unten in der Krypta und in den stinkenden Kanalisationstunneln; sie hatten sich an Whytfisks unschönen Tod erinnert, an die schreiend machende Hoffnungslosigkeit düsterer, staubbedeckter Gewölbe, an ihre Erlebnisse dort unten, haltlos balancierend auf einem schmalen Drahtseil zwischen Leben und Tod, an bange Stunden, in denen sie mehr voneinander erfahren und begriffen hatten, als in all den Jahren zuvor. >Ich war dem Tod schon oft nahe, Raven, aber ich wollte niemals wirklich sterben, nicht einmal in den Kerkern von Ys. Doch in der Krypta dort unten, als ich Whytfisk erschlagen hatte und wußte, dass Calyra tot ist, da wollte ich es. Aber du warst da und du hast mich nicht sterben lassen<, hatte sie Caewlin sagen hören und dabei den leisen Schauder spüren können, der ihn durchrieselt hatte. "Wie hätte ich sterben lassen können, was ich am meisten liebe?" hatte sie geantwortet und ihr Gesicht an seinen warmen Hals geschmiegt, wo dicht unter der Haut das Blut durch seine Adern pulsiert, stark und gleichmäßig und voller Leben.

Seine Stimme hatte weiter in ihr Haar geflüstert, hatte mit einem leisen Lächeln von der Zeit im Baum der Waldläuferin erzählt, von Erinnerungen, süß und bitter zugleich, und allmählich war der Ernst aus ihrem Inneren gewichen. >Erinnerst du dich an die Schneerutsche? Oder das Bild, das du von Cal gemalt hast? Und dann wolltest du lieber die Hunde mit ins Bett nehmen...< Allein bei dem Gedanken an jenen unsäglichen Abend hatte sie sich ein Kichern verbeißen müssen und war im Nachhinein noch rot geworden, so als hätten ihre verräterischen Wangen nichts Besseres zu tun gehabt, als auch noch seine Worte und seine sanft wandernden Finger zu unterstreichen. >Deine Ohren werden zuerst rosa, dann deine Wangen, so wie jetzt. Zuletzt leuchtet sogar deine Nasenspitz...< Sie hatten noch eine ganze Weile in Erinnerungen herumgekramt, gekichert, gelacht und herumgealbert, doch dann war Caewlin mit einem Mal wieder ernst geworden. >Ich bin froh, dass du es trotzdem getan hast. Mich geheiratet, meine ich. Ich weiß wirklich nicht, was ich getan hätte, wenn du in diesem Tempel 'Nein' gesagt hättest...< Raven hatte nur gelächelt. "Was du getan hättest? Na, du hättest dir vielleicht eine vernünftige Frau gesucht. Eine, die tanzen kann, die Kleider trägt, die Feuer mit Zunder entfacht anstatt mit Magie, die grüne Grashüpfer nicht mit mörderischen Monstern verwechselt und Socken anstandshalber nur paarweise trägt. Ich weiß nicht, was du getan hättest, wenn ich nein gesagt hätte. Aber ich weiß, was du jetzt tust. Du machst mich glücklich. Du machst mich ganz. Du machst, dass dieses kleine Hasenfußherz jedes Mal wie verrückt klopft, wenn ich dich nur ansehe. Du machst, dass ich mir nichts Schöneres auf der Welt vorstellen kann, als hier bei dir zu sein. Nicht einen Herzschlag lang würde ich dich mehr missen wollen." An jenem Abend hatte sie ihm den Ring gegeben, und er ihr das schimmernde Schmuckstück, auf das sie gerade den Blick heftet, und sie hatten sich geliebt, langsam und atemlos und voller Hingabe, bis sie, ihr ungeborenes Kind zwischen sich, in einen verschneiten Morgen geschlafen hatten. Die Erinnerung daran ist fest in ihrem Herzen verankert und schimmert in ihren Augen, als sie versonnen über die feinen Silberdrähte und goldenen Fäden streicht, die über den dunklen Samt gebreitet liegen. Es ist wirklich wunderschön. Aber kein Schmuckstück der Welt, nicht tausend prunkvolle Geschmeide, nichts könnte mir kostbarer sein als er selbst. Raven wirft noch einen letzten Blick auf dieses märchenhafte Wunderwerk aus Magie und zwergischer Schmiedekunst, dann schließt sie den Deckel der Schatulle und verlässt lächelnd das Zimmer.

Wenig später sitzen sie alle in der Küche beim Mittagsmahl, das aus goldbraun gebratenen Ildorel-Felchen und mit heißer Butter übergossenen Kartoffeln besteht. Gedankenverloren kaut Raven vor sich hin und überlegt dabei, wo in der Stadt sie denn am besten Kleidung kaufen oder anfertigen lassen könnten. Und wer könnte das besser wissen, als zwei neugierige, leidenschaftlich gern tratschende Mägde. "Gibt es die Schneiderei Seidenglanz noch?" fragt sie Dalla zwischen zwei Bissen Fisch. "Und diesen Schneider.... wie hieß der noch gleich? Niebier oder so ähnlich, mir fällt sein Name nicht mehr ein." Die Mogbar schüttelt so heftig den Kopf, dass ihre Haube beinahe von der schwarzen Lockenpracht herunterrutscht, und verkündet, dass die Schneiderei schon lange geschlossen wäre, weil der Maester zurück auf die Sommerinseln gereist sei. "Das macht nichts", erwidert Raven schulterzuckend, "dann gehen wir eben zu Meister Dornenbeutel." Allerdings beschert ihr diese Ankündigung gleich zweifachen Widerspruch, denn neben Dalla mischt sich nun auch noch die Köchin ein. "Dornenbeutel?" schnaubt Bethel entrüstet in einem Tonfall, der sonst nur so widerwärtigen Dingen wie Kakerlaken oder Rattenplagen vorbehalten ist. "Niemand, der seine fünf Sinne beisammen hat, geht noch zu Meister Dornenbeutel. Früher, ja, früher war das ein ganz ausgezeichneter Schneider, der Beste, den die Stadt je gesehen hat, aber inzwischen ist der Gute so vergreist und tattrig, dass er kaum noch eine Nadel halten kann. Er sieht kaum noch etwas und Gicht hat er in den Fingern, dass es einen jammern könnte. Er wird seinen Laden wohl bald schließen müssen, wenn es so weitergeht mit ihm. Er hat auch schon gar keine Kundschaft mehr. Nein, M'lady, wer ordentliche Kleidung will, der geht jetzt zu Madame Pileh in die alte Schneiderei, ganz im Süden der Stadt, drunten beim Haus der Bücher." Dazu nickt sie bestätigend und so vehement, dass ihre sämtlichen Doppelkinne heftig in Bewegung geraten. Raven wirft Caewlin einen fragenden Blick zu. "Was meinst du, wollen wir es bei dieser Madame Pileh versuchen? Und wenn das ohnehin schon im Süden der Stadt ist und nicht allzu lange dauert, können wir vielleicht auch noch auf den Platz der Händler." Als er nickt, wendet sie sich dem Knecht zu. "Rykar, sei so gut und spanne uns nach dem Essen den Braunen an."

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Caewlin am 05. Feb. 2006, 17:22 Uhr
Raven kommt zu ihm an den Tisch und wäscht die Wunde aus, während Brynden neben ihn auf die lange Bank klettert und sich - naserümpfend über den Stallgeruch, der an Caewlin klebt -, an seinen unverletzten Arm kuschelt. Wie erwartet muss er in allen Einzelheiten berichten, was genau sich eigentlich zugetragen hat, doch als er schließlich den kleinen roten Kater hervorholt, der wie ein felliges Beutelchen zwischen seinen Fingern baumelt, und in Ravens wartende Hände legt, erntet er ein vollkommen ungläubiges: >Du hast dich mit einer menschenfressenden Muttersau angelegt, um diesen kleinen Hosenscheißer hier zu retten? Caewlin zuckt mit den Schultern und grinst nur, aber ihr Lächeln und das Leuchten in ihrem Blick sprechen Bände. Sie erfüllen ihn von der Nasenspitze bis zu den Zehen mit glühender Wärme und geradezu alberner Selbstzufriedenheit, und er weiß, er hätte sich auf der Stelle auch mit einem feuerspeienden Drachen angelegt, nur um diesen Ausdruck in ihren Augen festzuhalten. Raven drückt das Katerchen an sich, das prompt mit kleinen, hilflosen Maunzlauten versucht, an ihr hochzuklettern und unter ihr Haar zu kriechen, und verteidigt es sogar gegen Bethels mütterlich-begeisterten Übernahmeversuch, der bereits seine klebrigen Fangarme nach dem verlorenen Sohn ausstreckt. >Das mache ich schon selbst,< wird der dicken Köchin beschieden, gefolgt von einem ganz und gar unschuldigen: >Wolltest du nicht gerade die Hunde baden?< Caewlin beißt sich auf die Zunge, um nicht laut zu lachen. Bethels Gluckenader jedoch scheint nicht gekränkt, denn sie schlägt sich mit der fleischigen Hand an die Stirn, nuschelt etwas von "Herrje, die Hunde..." und rumort mit dem sperrigen Zuber hinaus in die Spülküche. Dafür rumort gleich darauf Dalla mit einem nicht minder sperrigen Wäschekorb herein, sieht ihn, befindet seinen Anblick offenbar für höchst alarmierend, verstreut ihre Ladung in der halben Küche und fällt dann über ihn her. Caewlin setzt bestimmt ein halbes Dutzend Mal dazu an, seiner Obersten Magd zu versichern, das sei nur ein Kratzer und obendrein von Raven schon versorgt, doch er kommt überhaupt nicht zu Wort. Brynden kichert neben ihm, vermutlich, weil sein Sohn genau weiß, wie es ist, von besorgter weiblicher Konfusion umgeben zu sein, er schlägt sich schließlich oft genug die Knie auf oder holt sich beim Spielen eine Schramme, und Caewlin tauscht einen schicksalsergebenen Blick mit ihm.

Nachdem Dalla endgültig davon überzeugt ist, dass keine Gefahr besteht, er könne augenblicklich in ihrer Küche verbluten, beginnt sie geschäftig im Hintergrund herumzuklappern und überlässt den Platz an seiner Seite, sehr zu Caewlins Erleichterung, wieder Raven. Ihr rotpelziger kleiner Schützling sitzt inzwischen mitten auf dem Tisch, steckt bis zum Hals in einer Schüssel mit Haferbrei und schlürft darin, als gelte es das liebe Leben. Raven streicht vorsichtig irgendeine Paste auf die Wunde, ehe sie die Schüssel mit dem schmutzigen Wasser und dem blutgetränkten Lappen schließlich fortschiebt. Das Zeug brennt im ersten Augenblick höllisch, aber Caewlin beißt die Zähne aufeinander, und nach einer Weile wirkt es kühl und  lindernd... vielleicht liegt das aber auch nur an der Berührung von ihren sanften, geschickten Finger. Auf seinen Vorschlag hin, heute Nachmittag endlich die lange schon geplanten Einkäufe zu erledigen, klimpert sie ihn mit großen Augen an und schnurrt mit honigsüßer Stimme >Du meinst, ein .... Kleid? Ein Kleid mit fürchterlich vielen Unterröcken?< Die Erinnerung an jenen denkwürdigen Moment, als sie den Wunsch nach einem Kleid geäußert hatte, lässt ihn innerlich grinsen - äußerlich verzieht er keine Miene, aber seine Augen lachen. "Nein. Ganz viele Kleider, für jeden Anlass, mit und ohne Unterröcke." Sein Blick schweift über das abgetragene, weite Hemd, die fadenscheinigen Leinenhosen und den Strick, den sie als Gürtel trägt. Schlagartig wird er ernst und sieht plötzlich ganz zerknirscht aus. Sieh sie dir nur an, deine Frau läuft herum wie eine Gänsemagd und begnügt sich seit Wochen mit nur einem einzigen Kleid, nur weil du ständig irgendetwas anderes zu tun hattest... "Meinetwegen auch Hemden und Hosen, wenn du welche findest, in die ihr beide hineinpasst." Er legt seine Hand auf die runde Kugel ihres Bauches und wird prompt mit der räkelnden Bewegung eines Füßchens oder einer kleinen Faust belohnt. "Du brauchst unbedingt etwas zum Anziehen, min koerlighed, du hättest es längst gebraucht, aber wir kamen nie dazu und..." Als wir einkaufen hätten gehen können, lag die halbe Stadt in Schutt und Asche und alle Märkte und Geschäfte waren geschlossen. "Es tut mir leid, dass du solange darauf warten musstest." Im Hintergrund schnaubt Dalla triumphierend, gepriesen seien alle Götter, das würde ja auch Zeit, und Caewlin schickt der voluminösen Haube einen erbosten Blick. Raven dagegen zuckt nur mit den Schultern über ihren lausigen Ehemann und schlingt die Arme um seinen Nacken.

>Das würde ich gern. Wir könnten nach dem Mittagsmahl den Wagen anspannen und in die Stadt fahren, oder hinunter auf den Platz der Händler. Sobald du ein Bad genommen hast. Du riechst etwas ...streng.< Caewlin schnuppert und rümpft selbst angewidert die Nase. "Ah, djävla... ich stinke wie die Pest nach Schweinemist, Schweiß und Blut, wie kannst du mich nur umarmen?" Doch sie lässt nicht zu, dass er von ihr abrückt, zieht lachend seinen Kopf zu sich herunter und küsst ihn, bis Dalla sich hinter ihnen hochrot fast die Kehle aus dem Hals gurgelt und er selbst jeden Gedanken an große Schweine, kleine Kätzchen, neue Kleider, neugierige Mägde - und noch viel neugierigere Kleinkinder - im Raum vollkommen vergessen hat. >Deinen Arm werde ich mir nachher noch einmal ansehen und verbinden, wenn es nötig ist. Das hat jetzt vor dem Bad wenig Sinn. Ich bringe dir frische Sachen mit herunter, ich muss mich ohnehin noch umziehen. Dann können wir nach dem Essen gleich aufbrechen.< "Hmm... welcher Arm?" Schnurrt er, und weiß, dass sie, wenn sie ihn weiterhin so ansähe, gleich ganz bestimmt ganz andere Dinge tun würden, als ein Bad zu nehmen und sich umzukleiden. Aber dann gibt er sie doch seufzend frei, steht folgsam auf und deutet eine spöttische, kleine Verbeugung an. "Wie Ihr wünscht, Mylady." Eine Stunde später hat er ein langes, heißes Bad genommen, sich Dreck und Blutspritzer von der Haut geschrubbt, sich das Haar ausgewaschen und rasiert, und das Mittagsmahl - gebratener Fisch und Butterkartoffeln - ist fertig. Sie versammeln sich wie immer mit dem Gesinde in der Küche - die lange Tafel für die Große Halle steht zwar längst an ihrem Platz, doch der riesige Küchentisch ist leicht groß genug für sie alle, und sie haben sich so daran gewöhnt, mit Dalla, Pyp, Rykar und den anderen gemeinsam zu essen, dass sie es auch weiterhin so halten. Caewlin ist sauber und umgezogen, ebenso wie Raven, auch wenn das hübsche, rostrote Kleid, das Dalla ihr genäht hatte, keine zwei Wochen mehr passen würde, so wie ihr Bauch wächst. Sie fachsimpelt mit der Mogbarmagd und Bethel gerade über die besten Schneider der Stadt, während Brynden sich, pappsatt und müde, an sie kuschelt und mit dem kleinen roten Katerchen träge und freundschaftlich um den - ohnehin knapp bemessenen - Platz auf ihrem Schoß rangelt, und Caewlin lauscht ihr mit halbem Ohr.

Runa beginnt abzuräumen, die Hunde dösen auf Hochglanz poliert am Kamin und trocknen ihr noch feuchtes Fell, und Pyp gibt derweil am anderen Ende des Tisches die Geschichte vom Kampf seines Herrn mit der Bestie so oft und so übertrieben zum Besten, dass Caewlin ihm irgendwann trocken verspricht, wenn er jetzt nicht augenblicklich still wäre, würde er ihn höchstpersönlich an die Sau verfüttern. Raven reicht Brynden, der schon halb schläft, an Runa weiter, die ihn ins Bett hinaufbringt und wendet sich dann leise an ihn. >Was meinst du, wollen wir es bei dieser Madame Pileh versuchen? Und wenn das ohnehin schon im Süden der Stadt ist und nicht allzu lange dauert, können wir vielleicht auch noch auf den Platz der Händler.< "Sicher," nickt er und schiebt seinen leeren Teller von sich. "Bei der Gelegenheit könnte ich mich auch gleich noch nach ein paar anderen Sachen umsehen." Raven schickt Rykar, um den Wagen und heißt ihn, den Braunen anzuspannen, während Caewlin geht, um zwei Geldkatzen zu füllen und seinen Waffengurt anzulegen. Nach einem Moment entscheidet er sich jedoch nur für die Dolche und ein Kurzschwert, schließlich will er zu einem Schneider, nicht in den Krieg, und er rechnet eigentlich auch nicht mit ernsthaften Schwierigkeiten. Ganz ohne irgendwelche Waffen aus dem Haus zu gehen, wäre ihm trotzdem nicht einmal im Traum eingefallen, vollkommen gleich wie friedlich Talyra auch für gewöhnlich sein mag. Eine halbe Stunde später sind sie fertig, haben ihre Winterumhänge und Stiefel an und Rykar bringt den Wagen vors Haus. Ravens Brauner ist gestriegelt worden, bis selbst sein dichtes Winterfell glänzt wie polierte Kastanien und der Kutschbock ist mit weichen Lammfellen und Kissen ausgelegt. Dalla schwirrt wie ein Kolibri um Raven herum, drückt ihr hier noch einen Weidenkorb in die Hand und da noch eine Liste mit kostbaren Gewürzen, die sie mitbringen solle, falls sich die Gelegenheit ergäbe, und die Hunde sitzen beide unverrückbar und mit erwartungsvollen Gesichtern auf der Ladefläche. Caewlin hat nichts dagegen, sie mitzunehmen, im Gegenteil... mit einem arduner Wolfshund und einer Bluthündin könnte man den Wagen vermutlich auch mit einer Ladung Goldbarren irgendwo stehen lassen, ohne dass man sich Sorgen machen darum machen müsste.

-> Straßen der Stadt.

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Caewlin am 11. März 2006, 10:15 Uhr
->Platz der Händler

Ihr Heimweg führt sie durchs Händlertor, wo sich kleine Gruppen von Blaumänteln mit wachsamen Mienen um lodernde Feuerkörbe drängen, und dann durch tiefverschneite Straßen in Richtung Marktplatz und Seeviertel hinauf nach Norden, zurück zum anderen Ende der Stadt. Die blasse Winterdämmerung ist längst einer pechschwarzen, klirrend kalten Nacht gewichen, und der Schnee fällt noch immer, still, weiß und weich wie Daunenfedern. Die Straßen sind jetzt fast menschenleer, nur vereinzelt huschen noch gegen die Kälte dick vermummte Talyrer um Häuserecken oder stapft eine verfrorene Patrouille an ihrem Wagen vorbei. Raven lehnt sich erschöpft an ihn und Caewlin, der die Leinen ohnehin nur in einer Hand halten kann, legt den freien Arm um ihre Schultern und hält sie fest. "Alles in Ordnung?" Sie nickt, auch wenn sie zugibt, erledigt zu sein, streckt die vermutlich ziemlich gefühllos gewordenen Füße aus und bettet ihren Kopf an seine Brust. >Es war ein wunderbarer Tag.< Caewlin wirft einen vielsagenden Blick über die Schulter auf all ihre Beute auf der Ladefläche, zwischen die sich mit Mühe und Not noch die beiden Hunde quetschen konnten, und in seinen Augen schimmert es amüsiert. "Aye." Gedämpft durch das dicke Bärenfell seines Umhangs hört er Raven murmeln: >Das mit der höllischen Freude kann ich nur zurückgeben,< und will schon etwas darauf erwidern, als sie noch leiser hinzufügt: >Und wenn du glaubst, du könntest mir die Welt nicht zu Füßen legen ... du tust es doch schon jeden Tag. Und viel mehr als das.< Er klappt den Mund wieder zu, sieht auf sie hinunter und spürt eine Woge brennender Zärtlichkeit durch sich hindurchrollen. Er weiß genau, dass sie nicht die Einkäufe damit gemeint hat, und es erstaunt ihn immer wieder, wie leicht es ist, ihr eine Freude zu machen... so leicht, wie sie zu lieben. Caewlin lächelt leise, aber diesmal weder halb, noch verzogen, noch spöttelnd und drückt einen Kuss auf ihr schweres, dunkles Haar. "So wie du es tust."

Sie überqueren den Marktplatz, knirschen über glatten, festgefahrenen Schnee an der hell erleuchteten Harfe vorbei in Richtung Ildorel und passieren schließlich die frosterstarrten Ulmen am Tor von Vinyamar. Von hier aus ist es nicht mehr weit auf der großen, breiten Straße, die an einer langen Reihe alter Anwesen mit ihren parkähnlichen Gärten und den kunstvoll geschmiedeten oder beschlagenen Toren in den hohen Mauern entlang führt, bis zu ihrem eigenen Haus ganz im Norden des Seeviertels. Da es längst stockfinstere Nacht ist, sie eine äußerst gewissenhafte oberste Magd ihr Eigen nennen und zudem die Hunde bei sich hatten, ist das wuchtige Eisenholztor mit seiner Mannpforte fest verschlossen, als sie dort ankommen. "Hmpf. Dalla hat wieder Angst, dass sie gestohlen wird..." Raven kramt grinsend ihren Schlüsselbund hervor, und Caewlin tauscht seufzend die Leinen gegen die Torschlüssel, steigt ab und öffnet das elend schwere Ding, während sie den Wagen hindurchlenkt und dann am Anfang des Kastanien gesäumten Kopfsteinpflasterweges auf ihn wartet, bis er es mit einem leisen Knarren auch wieder geschlossen hat. Die Hunde, denen das alles - so nahe an Futter, Wärme und heimlich zugesteckten Schinkenstreifen - viel zu lange dauert, nutzen die Gelegenheit, um sich von der Ladefläche zu drängeln und sich durch das dichte Schneetreiben einstweilen schon in Richtung Haus davonzumachen. Einen Augenblick später sitzt Caewlin wieder neben Raven, und nach einem aufmunternden Zungenschnalzen setzt der Braune sich schnaubend in Bewegung. Auf dem gewundenen Weg unter den von glitzerndem Reif überzogenen alten Kastanien schimmert ihnen irgendwann warmer Lichtschein entgegen, ein fernes, bernsteingelbes Glühen vor ihnen in der schneeverwehten Dunkelheit, und Caewlin beobachtet Ravens Gesicht. Er erinnert sich noch gut an jenen Tag im vergangenen Sommer, als sie zum ersten Mal als seine Frau hierher gekommen war und an den wachsamen, fast ein wenig zweifelnden Blick, mit dem sie damals das ganze Haus gemustert hatte, den dunklen Laubengang, die holzgeschnitzten Erker, die breiten, mächtigen Giebel, überwuchert von gelben Kletterrosen und Blauregen, und das dunkle, hohe Schieferdach...

Jetzt im Winter trägt das Haus zwar keinen blühenden Mantel, sondern träumt unter einer dicken Schicht Schnee und langen Bärten aus schimmernden Eiszapfen an den Dachraufen seinen winterlichen Zauberschlaf, aber sein Anblick ist nicht weniger heimelig - und sie lächeln beide, als der Wagen schließlich knirschend vor dem Eingang zum Stehen kommt. Caewlin steigt ab und hebt dann Raven vom Kutschbock. Sie sieht müde aus und wirkt ein wenig blass um die Nase, und ist wahrscheinlich genauso froh wie er selbst, wieder zu Hause zu sein - so schön der Tag gewesen war, sie ist im achten Mond schwanger und war seit dem Morgen ununterbrochen auf den Beinen. Einen Moment lang hält er sie fest, länger als es nötig gewesen wäre. Die Kapuze ihres Umhangs ist ihr in den Nacken gerutscht und und sie trägt schmelzende Schneeflocken wie glitzernde Juwelen im Haar. "Wirklich alles in Ordnung? Du sagst es mir, wenn du Schmerzen hast, aye?" Sie nickt nur und er setzt sie ab. "Du brauchst ein heißes Bad, einen Becher Cofea, etwas zu essen und ein Bett, min koerlighed," stellt er leise fest. "Und dann will ich dich in diesen..." Caewlin wird mitleidlos unterbrochen, denn hinter ihnen fliegt die Tür auf und Brynden flitzt heraus - im Schlafkittelchen, ohne Schuhe, Strümpfe oder einen Überwurf. Im nächsten Moment klebt er an ihnen, dicht gefolgt von einer erbost dreinblickenden Runa, der er offensichtlich gerade auf dem Weg ins Bett entwischt war. Pyp, Rykar und Dalla folgen der jungen Magd dicht auf den Fersen, und innerhalb eines Herzschlags sind sie von schnatterndem Tumult und allgemeinem Durcheinander umgeben. Caewlin fischt seinen barfüßigen Sohn aus dem Schnee und hüllt ihn in die Wärme seines Umhangs, in der er sich kichernd vergräbt, während Runa aus sicherer Entfernung mit ihm schimpft, Pyp und Rykar beginnen, den Wagen abzuladen und Dalla zwischen ihnen allen und den Schneewehen umherhüpft wie eine Springwachtel. "Kannst du mir verraten, was du halbnackt mitten in der Nacht hier draußen tust, min skrollan?" Caewlin schüttelt seinen Sohn leicht, der quietschend mit den Beinen strampelt und lässt ihn einen Moment kopfüber baumeln, was zwar den größten Teil von Brynden der kalten Nachtluft und dem rieselnden Schnee aussetzt, dem Kleinen aber nur ein wildes Kichern entlockt. "Du solltest längst im Bett sein, kleiner Naseweis. Und jetzt ab mit dir zurück ins Warme!"

Caewlin reicht seinen Sohn, sehr zu Bryndens Missfallen, wieder Runa, die ihn - unter lautem Protestgeschrei - ins Haus und dort ins Bett bringt, und geht dann Rykar mit den sperrigen Möbel zur Hand. Eine halbe Stunde später ist der Wagen abgeladen, die Kommoden, die Truhe und der Schrank sind nach oben verfrachtet worden, Pyp bringt den Braunen in den Stall hinauf, in der Küche türmt sich auf dem langen Tisch ein kleiner Berg aus Säcken, Kisten, Körben, Leinentaschen aus der Schneiderei, verpackten Mitbringseln und anderem Kleinkram, den sie hier und dort auf dem Platz der Händler noch erstanden hatten, und Brynden schläft - allerdings erst, nachdem Raven und er noch einmal bei ihm gewesen sind. Zurück in der Küche bekommen sie etwas zu Essen und frisch aufgebrühten Cofea in den Magen, was zumindest Caewlin schon wieder halbwegs mit der Welt versöhnt. Raven, die wegen ihres Bauches quer am Tisch sitzt und die schmerzenden Füße hochgelegt hat, krault den kleinen roten Kater hinter den Ohren, der sich auf ihrem Schoß zusammengerollt hat, und händigt Dalla mit einem deutlichen "Darüber reden wir noch!"- Blick die so hart erfeilschten Gewürze aus. Ihre oberste Magd wird unter ihrer bauschigen Haube so rot wie eine ihrer schönsten Tomaten und wendet sich dann hastig ab, die kostbare Fracht in den Schränken und Vorratskammern zu verstauen, während sie die übrigen Sachen verteilen - Runa bekommt ihre Haarbänder, Rykar ein Beutelchen frischen Tabak und Bethel nimmt mit einem quietschenden Freudenschrei die Cofeamühle entgegen. Alles redet wild durcheinander, erzählt von den Arbeiten des Nachmittags, von Bryndens neuestem Unsinn, dem gesunden Hunger des jüngsten Haushaltsmitgliedes, das inzwischen mit sonorem Schnurren wie ein kleiner roter Fellklecks auf Ravens rundem Bauch vibriert, oder fragt nach den neuesten Gerüchten, den Waren auf dem Platz der Händler, was für Menschen und welche seltsamen Tiere sie gesehen hätten. Sie können leider weder mit Erzählungen über Elefanten, noch Kamele Eindruck schinden... dafür muss Raven ihre Begegnung mit dem azurianischen Pfeffersack zum Besten geben, was das Gesinde voller Ehrfurcht und mit großen Augen an ihren Lippen hängen lässt - nur Dalla wendet sich ab und klappert auffallend heftig mit Töpfen und Tellern im Schrank.

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Raven am 13. März 2006, 13:13 Uhr
Während Raven das schnurrende Fellbündel krault, das sich auf ihrem Bauch zusammengeringelt hat, und dabei kichernd von den Erlebnissen im Zelt des Gewürzhändlers erzählt, schweift ihr Blick immer wieder zu Dalla hinüber, die eine geradezu auffällige Unauffälligkeit an den Tag legt. Geschäftig fuhrwerkt die Magd mit dem Geschirr und an den Schränken herum, und es ist erstaunlich, wie viele Schmutzflecken, Staubkörnchen und unerledigte Arbeiten sie in einer makellos sauberen Küche plötzlich noch findet. Zwar hat sie den Kopf zwischen die Schultern gezogen, das knubbelnasige Gesicht schuldbewusst unter der riesigen Haube verborgen, und tut außerdem so, als würde sie die Erzählung ganz und gar nicht interessieren, aber Raven kann förmlich sehen, wie sie die Ohren spitzt, um nur ja nichts davon zu verpassen. Schau an, das personifizierte schlechte Gewissen, stellt sie mit grimmiger Befriedigung fest, aber sie denkt gar nicht daran, der Mogbar Absolution zu erteilen. Sie überlegt zwar kurz, ob sie sie gleich auf den Einkaufszettel ansprechen soll, aber dann entscheidet sie, das lieber unter vier Augen zu tun und nicht vor versammelter Meute. Selbst ihrem Gesinde gegenüber würde ihr das unfair vorkommen, und sie will Dalla, die im Grunde wirklich eine gute Seele ist, weder verletzen noch demütigen, sondern ihr lediglich klar machen, dass sie im Keller keinen Goldesel stehen haben, der in rauen Mengen Münzen absondert. Außerdem kann Dalla ruhig noch bis morgen schmoren. Geschieht ihr recht. Vielleicht kann sie dann auch erklären, wozu sie, ansonsten die Sparsamkeit in Person, so teuere Gewürze anfordert. Ein überraschender Gedanke schleicht sich in ihre Überlegungen. Hm.... kann es sein, dass sie vielleicht gar nicht weiß, was solche Gewürze wirklich kosten? Ich werde in den nächsten Tagen mit ihr reden, dann wird sich das schon herausstellen.

Als Raven sich vorbeugt, um nach dem dampfenden Becher mit Cofea zu angeln, beginnt es in ihrem Bauch träge zu rumoren, als würde das winzige Nordmannkind darin sich über die plötzliche Störung beschweren wollen, die es aus seinem Dämmerschlaf gerissen hat. Prompt tut es seinem Unmut mit einem festen Knuff kund, der das kleine rote Fellbündel beinahe von ihrem Bauch schubst. Das Katerchen schaut sich verdutzt um, klettert aber sofort wieder auf seinen Platz zurück, wo es sich genüsslich und mit lautem Schnurren auf den Rücken rollt, um alle Viere von sich zu strecken und sich das Bäuchlein kraulen zu lassen. Er liegt auf dem Rücken wie ein toter Käfer, und bei seinem Anblick muss Raven sich das Lachen verbeißen, weil er einfach zu niedlich aussieht. Das Fell auf seiner Unterseite ist noch flaumig und ganz dünn, so dass die ferkelrosa Haut und die dunklere Tigerzeichnung durchschimmert, die seinen ganzen Bauch mit lustigen Streifen und Sprenkeln überzieht. Sein schmaler Brustkorb mit den dünnen Rippen ist erschreckend mager, aber darunter wölbt sich ein kugelrundes Fressbäuchlein, das verdächtig nach einer doppelten Portion von Bethels Haferbrei aussieht. Schmunzelnd mustert Raven den kleinen Kugelbauch, und dann mit hochgezogenen Brauen ihren eigenen. Die Ähnlichkeit in der Form ist verblüffend. "Wenn ich nicht wüsste, dass du ein Kater bist, würde ich sagen, du bist schwanger", kichert sie. Dem kleinen Fellbündel scheint es jedoch völlig egal zu sein, wofür sie ihn hält. Er schnurrt so laut, dass er von den Spitzen seiner Barthaare bis zu den winzigen pelzigen Zehen vibriert, und hat einen so rundum zufriedenen und glückseligen Ausdruck auf dem Gesicht, wie ihn wahrhaft nur Katzen haben können.

Raven wirft Caewlin einen amüsierten Seitenblick zu. "Vielleicht sollten wir ihn Schnurrer nennen. Jedenfalls scheint er sich hier ganz wohl zu fühlen. Aber in den Badezuber werde ich ihn trotzdem nicht mitnehmen." Vorsichtig pflückt sie den kleinen Kater von ihrem Bauch und setzt ihn unter den Tisch, wo er sich einmal ausgiebig streckt, ein herzhaftes Gähnen von sich gibt, und sich dann zwischen Stelzes Vorderpfoten zu einer pelzigen kleinen Schnecke zusammenrollt. Der Wolfshund gibt nur einen tiefen, schicksalsergebenen Seufzer von sich, aber Akira neben ihm öffnet ein gelbes Auge und mustert den kleinen Kater so eingehend, als würde sie darüber nachgrübeln, ob dieses mickrige Katzengerippe sich als Nachtisch eignen würde. Offenbar kommt sie zu dem Schluss, dass es sich nicht lohnt, klappt das Auge unverrichteter Dinge wieder zu und bettet ihren riesigen Schädel auf ihre Pfoten. Während Raven sich mühsam von der Bank hievt und aus dem Wust von Paketen und Stoffbündeln, mit denen der Tisch bedeckt ist, diejenigen heraussucht, die sie aus der Schneiderei mitgebracht haben, beratschlagt Caewlin sich mit Rykar gerade über die Arbeiten, die noch am künftigen Kinderzimmer zu erledigen sind. Das letzte, was sie davon mitbekommt, bevor sie ihren Cofea austrinkt und ihre Eisklumpen von Füßen Richtung Badezimmer bewegt, ist Rykars Versicherung, er werde in den nächsten Tagen im Handwerkerviertel Kalkfarbe besorgen, damit sie eines der leeren Zimmer im Obergeschoss streichen könnten. Keine halbe Stunde später liegt sie bis zur Nasenspitze in duftendem Seifenschaum und wohliger Wärme vergraben, und gratuliert Caewlin und sich selbst in Gedanken nicht zum ersten Mal zu diesem grandiosen Badetempel, den sie nun ihr Eigen nennen können. Sie muss sich noch nicht einmal wirklich bewegen, um heißes Wasser nachfüllen zu können, denn wenn sie sich ein wenig streckt, reicht sie gerade mit den Zehen an die Hebel unterhalb des Drachenkopfes.

Während sie aus einem kleinen Fläschchen, das wunderbar nach Rosenblättern duftet, noch ein wenig Badeöl ins Wasser gießt und dann ihr Haar einseift, grübelt sie noch immer über Dallas Einkaufsliste nach, und darüber geraten ihre Gehirnzellen in einen erbitterten Streit. Die Gutmütigen darunter flüstern ihr zu, dass die Magd bestimmt nach bestem Gewissen gehandelt und sich sicher nichts Böses dabei gedacht hat, die teuren Gewürze aufzuschreiben, während die Gegenpartei, die sich hauptsächlich aus Knauserern und Geizkrägen zusammensetzt, vehement gegen solche Verschwendung protestiert. Zu guter Letzt mischt sich fröhlich noch eine dritte Fraktion ein: Du willst also die arme Dalla vierteilen, nur weil sie ein Viertelpfund Vanilleschoten bestellt hat, während du Luxusgeschöpf dich in einem Badezimmer suhlst, das deinem Mann ein halbes Vermögen gekostet hat? "Hmpf." Unwillig runzelt sie die Stirn und kneift die Augen zusammen, während sie untertaucht und sich den Seifenschaum aus dem Haar spült. Ja. Genau. Und es macht auch noch Spaß. Und gleich werde ich auch noch die passende Luxusunterwäsche anziehen.
Bis sie besagte Unterwäsche erreicht, die sie auf den Frisiertisch zwischen den beiden hohen Fenstern drapiert hat, dauert es jedoch noch eine Weile, die sie mit allerlei Verrenkungen beim Schrubben ihrer Zehen und dem kräftezehrenden Versuch zubringt, sich und ihren Bauch wieder aus der rutschigen Wanne zu schaffen. Das Unterteil der Wäsche passt zwar, bei dem vergeblichen Versuch, das Leibchen zu schließen, muss sie allerdings einsehen, dass die seidene Wäsche tatsächlich nicht unbedingt für Schwangere gemacht ist. Mehr als die obersten Bänder kann sie beim besten Willen nicht zuschnüren, so dass sie bei den weiteren schließlich enttäuscht aufgeben muss. Das Bild, das ihr dabei aus dem dampfbeschlagenen Spiegel über dem Frisiertisch entgegenblickt, trägt auch nicht unbedingt zu ihrer Erbauung bei und entlockt ihr ein kritisches Naserümpfen. Ich sehe aus, als hätte ich eine azurianische Feuermelone gefrühstückt. Eine Riesenfeuermelone. Seufzend zupft sie an den Bändern herum. Ich hätte gute Chancen auf der ersten Rang bei der diesjährigen Wahl zur Kürbiskönigin ... ich bin eine wandelnde Tonne ... ein Pottwal! Wo zum Henker sind meine verdammten Füße? Ich weiß genau, dass ich welche hatte. Sie wickelt ein Leintuch um sich herum, streckt ihrem Spiegelbild die Zunge heraus und tappt auf nassen Sohlen und eine Spur aus Wasserpfützen hinterlassend Richtung Schlafgemach, in der Hoffnung, dass Caewlin notfalls auch ein mit Seidenwäsche behängtes Butterfass noch attraktiv finden könnte.

Die Kleidungsstücke, die zwei Tage später von einem Botenmädchen aus der Schneiderei geliefert werden, passen dagegen schon besser. An einem klirrend kalten Winternachmittag, als die letzten Strahlen der Sonne die hohen Schneehauben auf den Dächern mit einem glühenden Hauch überziehen, klopft die Botin, beladen mit verschnürten und in Leintuch eingeschlagenen Bündeln, an die Tür der Spülküche. Während Raven eilig die beiden mitgebrachten Hosen anprobiert und schließlich für gut befindet, versorgt Bethel unterdessen die junge Frau aus der Schneiderei, bietet ihr einen Platz am Küchenfeuer zum Aufwärmen an und nötigt ihr frisch gebrühten Tee und Kekse auf, bevor sie sie, ausgestattet mit besten Grüßen, Dank, einem kleinen Beutel mit Silberlingen für Madam Pilehs Arbeit und einem angemessenen Botenlohn wieder in die Winterkälte entlassen. Wenige Tage später trudelt auch der Rest der bestellten Kleidung ein, die bernsteinfarbene, lederne Hose, zwei helle Leinenhemden und ein Winterkleid aus weichem Wollstoff, mit dem Raven mehr als zufrieden ist. Die Gelegenheit, die neuen Kleider auszuführen, lässt auch nicht lange auf sich warten, denn an einem verschneiten Morgen gegen Ende des Eisfrostmonds brechen sie zu einem Besuch im Baum der Waldläuferin auf. Die an sich kurze Strecke zum Smaragdstrand hinaus, die sonst über das Seeufer in weniger als einer halben Stunde zu bewältigen ist, erweist sich jedoch als nahezu unpassierbar und ihr kurzer Ausflug erinnert fast an eine Polarexpedition. Einen so strengen, harten Winter hatten die Herzlande seit vielen Jahren nicht mehr erlebt, und der Silberweiß und der Eisfrost hatten die Stadt und ihre Umgebung unter wahren Schneemassen begraben. Eine dichte weiße Decke verhüllt das Land, und Dächer, Turmspitzen, Bäume und Zaunpfosten tragen hohe, glitzernde Hauben. Der Hang hinter dem Seehaus ist bis zum Ildorel hinab so tief verschneit, dass die Mauer kaum noch zu sehen ist und die alten Obstbäume knarren unter der Last des Schnees. Wenigstens hatten sie es geschafft, den gepflasterten Weg vom Tor zum Haus, den Platz vor den Pferdeställen und der Scheune, sowie den Trampelpfad zum Hühner- und zum Schweinestall begehbar zu halten, auch wenn es stundenlanges Schaufeln bedeutet hatte und Caewlin und der Knecht oft völlig durchgefroren und erledigt zum Nachtmahl erschienen waren.

Den offenen Wagen zu benutzen, hat bei diesem Wetter wenig Sinn und damit wären sie wohl allerhöchstens bis zum Stadttor gekommen, bevor die Räder im Schnee steckengeblieben wären, aber Caewlin erinnert sich daran, dass irgendwo in den dämmrigen, verstaubten Tiefen der Scheune noch ein lange nicht mehr benutzter Pferdeschlitten sein Dasein fristen muss, den sie schließlich auch zwischen Heuballen und aufgestapelten Balken hervorgraben. Er ist noch gut in Schuss und nachdem sie ihn gesäubert und Rykar die Kufen wieder lauffähig gemacht hat, spannen sie den Braunen davor. Für Halbmond, die zierliche kleine Stute, ist der Schlitten zu schwer, und Caewlins riesiger Grauer mag zwar ein imposantes Schlachtross sein, ihn vor einen Schlitten oder Wagen zu spannen, wäre jedoch ein reichlich selbstmörderisches Unterfangen - oder zumindest der Gesundheit nicht gerade förderlich. Bei seinem Temperament würde er sie vermutlich an der nächstbesten Hausmauer zerquetschen und anschließend den Schlitten zu zahnstochergroßen Spreißeln verarbeiten. Der Braune dagegen hat das Gemüt eines Faultiers und ist gelegentliche Einlagen als Zugpferd gewöhnt. Jahrelang hatte er Raidris klapprigen Planwagen durch Normand, durch Laigin und die Ostlande geschaukelt, und mit einem Brustkorb, so breit wie der eines ausgewachsenen Zuchtbullens, macht er sich auch gut als Schneepflug. Er stapft vor dem Schlitten her und zieht ihn mühelos durch die verschneiten Straßen, als hätte er sein Lebtag nichts anderes getan, während Caewlin, Brynden und Raven, bis an die Ohren in dicke Felle gepackt, auf dem Kutschbock schlottern. Bis kurz hinter dem Nordtor sind die Straßen noch einigermaßen passierbar, doch die Fahrt durch den Wald bis hinunter zum Baum der Waldläuferin scheint eine halbe Ewigkeit zu dauern. Immer wieder müssen sie sich durch schritthoch liegende Schneewehen kämpfen und umgestürzte Bäume umfahren, die unter der weißen Last zusammengebrochen sind wie dünne Kienspäne.

Der herzliche Empfang entschädigt sie jedoch für die Strapazen und sie verbringen den ganzen Tag im Baum. Brynden stürzt sich sofort mit heller Begeisterung auf Shaerela, seine lange vermisste Spielgefährtin, während sie zuerst Ninianes und Crons Nachwuchs gebührend bewundern: Leir, einen pummeligen, kleinen Winzling mit schwarzem Haarflaum und unglaublich langen Wimpern, der friedlich in einem Weidenkörbchen vor sich hin döst. Als er erwacht, blinzelt er wie ein verschlafenes Kätzchen durch die Gegend. Er hat wie Shaerela die Augen seiner Mutter, kleine, goldschimmernde Seen, in denen sich das funkelnde Bernsteinlicht der Laternen spiegelt - und er hat eine Stimme, die Tote aufwecken könnte. Kaum dass er die Augen aufgeschlagen hat, gibt er einen leises Quäken von sich, das übergangslos in ohrenbetäubendes Hungergebrüll umschlägt. Schmunzelnd nimmt Niniane ihren Sohn aus dem Korb, und während Caewlin und Cron sich, in eine lebhafte Unterhaltung verstrickt, im Esszimmer niederlassen, folgt Raven der Waldläuferin ins Kaminzimmer. Aufmerksam schaut sie beim Stillen zu, lässt sich genau erklären, worauf sie achten muss, und erhält gleichzeitig noch eine Lehrstunde in Geburtsvorbereitung und Säuglingspflege. Einerseits ist es ziemlich beruhigend, über das Bescheid zu wissen, was auf sie zukommen wird, andererseits fühlt sie sich von all dem ziemlich erschlagen, und obwohl Ninianes Tonfall meist scherzhaft ist, verspürt Raven in ihrem Inneren eine nagende Unsicherheit. Ich werde bestimmt alles falsch machen, was man nur falsch machen kann, befürchtet sie insgeheim, aber dann werden die unguten Gedanken erst einmal beiseite geschoben und sie widmen sich stattdessen einem ausgiebigen Mittagsmahl, frisch gebrühtem Cofea und den unzähligen Neuigkeiten, die es seit dem letzten Treffen zu berichten gibt. Als sie schließlich, lange nach Einbruch der Dunkelheit, den Rückweg durch das frostige, tiefverschneite Larisgrün antreten, sind sie alle bis oben hin abgefüllt mit allerlei Köstlichkeiten, den neuesten Gerüchten und der Erinnerung an einen fröhlichen und gemütlichen Tag mit Freunden. Der Heimweg ist etwas weniger mühselig als die Hinfahrt am Morgen, denn sie können die Spur benützen, die der Braune in den Schnee gegraben hat und kommen recht gut voran. "Leir ist wirklich ein prachtvoller kleiner Kerl", sinniert Raven und wickelt Brynden, der mit roten Backen völlig erledigt an ihrer Schulter schläft, fester in seine Pelze. "Und es ist ein hübscher Name. Ich habe noch ein wenig herumüberlegt und ... was hältst du von Keiran, falls es ein Junge wird? Oder von Finn? Oder Aidan? Oder vielleicht Conlan oder Caerwyn?"

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Caewlin am 18. März 2006, 01:06 Uhr
Als Caewlin das Seehaus damals gekauft, und in der Scheune den zwar völlig verstaubten, aber ansonsten gut Instand gehaltenen Schlitten entdeckt hatte, hatte er sich ernsthaft gefragt, was bei allen Neun Höllen ein bettlägriger ostländischer Ritter hier in den üblichen Matschwintern der Herzlande mit einem Pferdeschlitten gewollt hat - dieser Winter hat ihn eines Besseren belehrt und die Frage von damals beantwortet. Es scheint zwar nicht häufig vorzukommen, dass Talyra wochenlang im Schnee versinkt, aber immerhin doch oft genug, dass sich eine solche Anschaffung gelohnt haben muss. Und nachdem zuerst Dalla mit Scheuerbürsten und Seifenlauge, und anschließend Pyp und Rykar  mit Schmierfett und Holzwachs über das alte Gefährt hergefallen waren, die kunstvollen Laternen an den Seiten geputzt und mit frischen Kerzen bestückt hatten, das Innere mit wärmenden Schafspelzen und Wolfsfellen behaglich ausgelegt, und zu guter Letzt noch das Geschirr mit seinen schweren Beschlägen und kleinen Glöckchen auf Hochglanz poliert worden war, macht ihr Fuhrwerk sogar einiges her. Die Nacht ist samtschwarz und sternenklar, als sie vom Baum am Smaragdstrand aufbrechen und mit einem todmüden Brynden, dem die Augen zufallen, kaum dass sie die Lichtung hinter sich gelassen haben, den Heimweg antreten. Der breite Schlitten liegt fest und sicher auf dem Weg, nur das leise Klingeln der Schellen am Geschirr, das Schnauben des Braunen und das Knirschen des Schnees unter den Kufen ist zu hören - und Caewlin ist in Gedanken bei den vergangenen Stunden. Sie waren lange nicht mehr hier gewesen, hatten die Waldläuferin und den Tronjer lange nicht gesehen, doch kaum dass sie am Morgen bei Cron und Niniane über die Türschwelle getreten waren, war es, als seien sie nie fortgewesen. Caewlin erinnert sich an die lange Zeit nach ihrer Rückkehr aus den Tunneln der Kanalratten, als dieser Baum ihnen beiden Zuflucht und Zuhause gewesen war, an sein Leid und an seine langsame Heilung und Rückkehr ins Leben, an eine Schneerutsche zwischen Wurzelsträngen und einen Nachmittag voller Kinderlachen, an Ravens denkwürdige Kochversuche, an ihr Bad samt splitterfasernacktem Wutanfall und Beinahe-Liebesgeständnis, und die Wochen danach, in denen sie sich so sorgsam gemieden und doch in Wahrheit nur nacheinander krank gesehnt hatten.

Mit diesem Ort sind so viele Erinnerungen verbunden, bittere wie schöne: hier war Brynden geboren worden. Hier hatte er Calyra bestattet und verbrannt. Hier waren Raven und er schließlich zusammengekommen, wenn auch auf etwas ungewöhnliche Weise, hier hatten sie ihre Hochzeitsnacht verbracht, ihr Kind gezeugt und bis in den Sommer hinein gelebt... >Leir ist wirklich ein prachtvoller kleiner Kerl,< tönt es neben ihm aus drei Lagen Pelzwerk und Fellen und gleich darauf steckt Raven ihr gerötetes Näschen aus dem Kragen ihres Umhangs. >Und es ist ein hübscher Name.< "Aye, das ist er," erwidert er und lächelt weich. Vermutlich trägt sein sonst so undurchdringliches Gesicht gerade denselben Ausdruck sanfter Zuneigung, den es auch hatte, als Cron ihm seinen Sohn in die Arme gelegt und ihn den Kleinen eine Weile hatte halten lassen, und er schnaubt leise voller Selbstironie. "Was haben diese Babies nur an sich, dass man sich bei ihrem Anblick immer wie ein Stück Butter in der Sonne vorkommt?" Raven gluckst vernehmlich und steckt sorgsam die Pelzdecken um Brynden fest, der selig in ihren Armen schläft. "Leir ist noch so ungeheuer klein," fährt Caewlin nachdenklich fort. "Sein Köpfchen hat in meine hohle Hand gepasst - dabei ist er eigentlich gar nicht einmal klein für ein Baby... glaube ich." Sein Lächeln wird zu einem vagen Grinsen. "Ich vergesse immer, dass Brynden auch nicht größer war, als er zur Welt kam." Er sieht auf seinen schlafenden Sohn hinunter. "Sie wachsen so schnell." Raven wirft einen abschätzenden Blick auf ihren hochschwangeren Kugelbauch, der sich selbst unter ihrem pelzgefütterten Umhang und den dicken Fellen deutlich abzeichnet, und pflichtet ihm mit einem tiefen Seufzen bei. >Ich habe noch ein wenig herumüberlegt und ... was hältst du von Keiran, falls es ein Junge wird?<
"Keiran..." wiederholt er leise und runzelt die Stirn, während er Klang und Aussprache versucht. Er will schon nicken und ihr sagen, dass das ein wirklich guter Name sei, doch sie spricht bereits weiter. >Oder von Finn? Oder Aidan? Oder vielleicht Conlan oder Caerwyn?<
Caewlin hebt fragend eine Braue und sieht sie eine Weile von der Seite an, ehe er antwortet. "Finn? Wie Finn von Lindisfarne? Der laiginische Heilige, der für die äh... Gichtkranken und Fusslahmen zuständig war? Ach nein, das war Gerebern. Finn war... oh!"

Als ihm einfällt, wessen Schutzpatron der Heilige Finn gewesen war, muss er ein prustendes Lachen unterdrücken und seine Augen glitzern diabolisch. "Nein, das geht auf gar keinen Fall! Finn war ein berühmter Inaritempler, Raven, und man ruft ihn... äh... für anhaltende Manneskraft an, aye? Aidan ist auch nicht wirklich mein Geschmack, ich würde immer an die Eiderenten denken. Aber Conlan klingt gut und Caerwyn ebenso - aber Caerwyn hört sich verdammt ähnlich wie Caewlin an." Das belustigte Grinsen liegt immer noch auf seinem Gesicht, aber jetzt bekommt es etwas Hintergründiges. "Du wirst höllisch aufpassen müssen, mich nicht zu verleumden, wenn du ihn irgendwann ausschimpfst, weil er etwas ausgefressen hat..." Sie sieht aus, als wäre sie drauf und dran, ihm die Zunge herauszustrecken oder etwas ähnlich Albernes zu tun und er lacht leise. "Keiran gefällt mir am Besten. Conlan wäre meine zweite Wahl, aber das können wir immer noch entscheiden, wenn das Kind auf der Welt ist, was meinst du? Und wer weiß, vielleicht sollten wir uns die anderen Namen auch merken. Nur für den Fall. Es könnte ja sein, dass wir uns als talentiert erweisen, was Kinder angeht, min koerlighed. Dann stellen wir sie im Dutzend her und..." weiter kommt er nicht mehr, denn Raven hat im Vorbeifahren eine Handvoll Schnee von einem der tief in den Hohlweg hängenden Äste gestreift, formt einen Ball daraus, wiegt ihn drohend in der Hand und mustert ihn aus schmalen Augen. "Oh nein, das wagst du nicht..." Natürlich wagt sie es, und noch ehe er auch nur "Nej!" sagen kann, hat sie ihm ihre kalte Replik auch schon über den unbekümmert weiterschnarchenden Brynden hinweg in den Nacken gestopft. "Hmmmpf!" Caewlin schüttelt sich, als ihm eisige Kälte in den Kragen seines Umhangs rutscht und prompt den Weg unter Pelze und Hemd findet. "Ah!" Einen Moment später hat er den Schlitten zum Halten gebracht, wirft ihr einen lauernden Blick zu und der Ausdruck in seinen Augen sagt deutlich, dass mehr als nur eine Schneeballschlacht im Anzug ist. Sie sieht ihn an, schüttelt wild den Kopf, wedelt abwehrend mit den Händen und versucht dann kichernd, sich hektisch aus den schweren Pelzen zu arbeiten, ehe er abspringen und den Schlitten samt dem geduldig schnaubenden Braunen umrunden kann, um auf ihre Seite zu gelangen. Die hohen Schneeverwehungen links und rechts des Weges behindern sie beide, doch hochschwanger wie sie ist, erwischt er sie noch an den Schultern, gerade als sie ihre Röcke raffen und quietschend  vor ihm flüchten will. "Hiergeblieben!"

Er dreht sie zu sich um, eigentlich um grausam Rache zu nehmen und ihr genüsslich eine Handvoll Schnee ins Gesicht zu reiben, aber ihr Anblick trifft ihn direkt ins Herz und er hält mitten in der Bewegung inne. Sie stehen in einem tiefverschneiten Hag voller stiller, dunkler Tannen, starren sich an und nur die Laternen am Schlitten werfen warmen, bernsteinfarbenen Schein in die dunklen, blauen Schatten ringsum und lassen den Schnee glitzern. Das Licht fängt sich auch in ihrem Haar, zaubert Kupfer und Bronze in die langen, dunklen Flechten, lässt ihre Haut schimmern und die Goldsprenkel in ihren Augen glühen. Sie sieht zu ihm hoch, die Wangen zart gerötet vor Kälte und Ausgelassenheit, der Mund noch leicht bebend im Nachhall ihres Lachens von eben, ehe er sich halb zu einem fast fragenden Lächeln schließt, und ihm kommt der Gedanke, was für ein Narr er doch gewesen war, jemals zu glauben, er hätte über sein Herz bestimmen können. Caewlin blickt auf sie hinunter, in ihr Gesicht, das ihm so vertraut ist wie sein eigenes, das er so gut kennt, dass er jede Linie, jede weiche Rundung, jedes Lächeln und jedes Naserümpfen blind aus dem Gedächtnis zeichnen könnte, und doch... in Augenblicken wie diesen, wenn sie so schön ist, dass es beinahe schmerzt sie anzusehen, ist es, als entdecke er das alles zum ersten Mal. Den Schwung ihrer feingezeichneten, schwarzen Brauen, den weichen, vollen Mund, die schmale, hauchzart gebogene Nase und ihre Augen - das Weiß wie durchscheinendes Porzellan, mit geheimnisvollen Schatten unter den langen, dunklen Wimpern und aus den Schatten heraus samtbraune, goldgesprenkelte Tiefen... und der Ausdruck darin. Caewlin spürt sein Herz langsam und schmerzhaft schlagen, und fühlt sich von dem, was er sieht, so hilflos gefangen, als hätte ihn die Strömung zwischen den Klippen der Seehundsbucht erwischt. Ein Gefühl, das ihm im Grunde ganz und gar nicht gefallen sollte, nur kann er nicht das Geringste dagegen tun und außerdem macht es ihn auch zutiefst glücklich - abgesehen davon klebt seine Zunge ohnehin gerade am Gaumen fest, und sein Mund ist so trocken wie Haferstroh. Seine Wachsamkeit ist fort, seine physische Stärke verschwunden, selbst sein allzeit hilfsbereiter Pragmatismus schweigt sich in diesem Moment beharrlich aus, von seiner Absicht, sie gründlich einzuseifen, ganz zu schweigen - er ist vollkommen in ihren Anblick versunken und was er fühlt, hält ihn fest. Seine Augen tasten über ihr Gesicht, finden ihren Blick so rückhaltlos und offen wie seinen, und noch ehe er weiß, was er tut, hat er sie hochgehoben und küsst sie, fordernd, voller Gier und hungrig - so hungrig, dass sie von Glück sagen kann, nicht augenblicklich in einem Bett aus kaltem Schnee zu landen.

Er weiß nicht, wie lange sie sich küssen, er weiß nicht, wann und wie es ihm dann gelingt, aufzuhören, sich von ihr loszureißen und sie ein wenig von sich zu schieben, aber in diesem Augenblick wird ihm etwas bewusst - dass es auch im größten Sinnesrausch, im heftigsten Begehren und der bedingungslosesten Hingabe einen Bereich tiefster Hungersnot gibt, dass es ihn geben muss - weil man sich an einer solchen Sehnsucht nie satt essen kann. "Weißt du noch, was ich dir am Morgen nach unserer Hochzeit gesagt habe? Ich kann nicht bei dir sein, ohne dich haben zu wollen, und ich kann dich nicht haben, ohne dich wieder haben zu wollen. Es ist immer noch so," er holt tief und hörbar Luft. "Es ist immer so." Er zieht sie wieder an sich und küsst sie noch einmal, sehr viel langsamer, aber ausgesprochen gründlich. In diesem Augenblick werden sie allerdings mitleidlos unterbrochen, den Bryndens verschlafenes Gesichtchen taucht blinzelnd aus den Pelzen auf und kommentiert das Tun seiner Eltern prompt mit großen Augen und einem abfälligen "Wääh!" Caewlin, hin und hergerissen zwischen einem Lachen über die Grimassen seines Sohnes und dem heftigen Verlangen, Raven auf der Stelle irgendwo hin in den Wald zu schleppen, wo sie ungestört wären, schüttelt sich wie ein nasser Hund und hebt sie dann mit einem abgrundtief gequälten Seufzen auf den Schlitten zurück. "Nach Hause. Und zwar sofort." Es ist mindestens dreizehn Stunden her, dass sie sich geliebt haben. Viel zu lange. Eine halbe Ewigkeit. Äonen, um genau zu sein. Wenigstens der Braune hat ein Einsehen mit ihm - oder vielleicht auch nur die verfressene Ramsnase voll vom seltsamen Treiben dieser verrückten Zweibeiner, die hier mitten in der Nacht im eiskalten Winterwald herumtrödeln, wo er längst im warmen Stall vor einer gut gefüllten Futterkrippe stehen könnte, denn er macht einen Satz und trabt dann, dass die Schellen wild klingeln und der Schlitten, breit und zuverlässig, fast auf dem Schnee zu schweben scheint. Caewlin unterdrückt ein Grinsen, gibt dem Braunen den Kopf frei und es geht in rascher Fahrt aus dem Wald heraus ins offene Land um die alte Nordstraße. Hier ist der Wind Herr über die Weiden und Felder rund um Talyra und schneidet ihnen beißend kalt ins Gesicht. Das Schellengeläut murmelt wie ein Winterbach, die Kufen schaukeln und knirschen im harschgefrorenen Weiß, und als das Nordtor endlich in Sicht kommt, fragt Caewlin sich in Gedanken ernsthaft, ob man an ungestilltem Verlangen möglicherweise sterben oder zumindest ernsthafte körperliche Schäden davontragen kann - anhaltender Blutmangel im Gehirn kann nicht gesund sein -, und welcher verfluchte Heilige eigentlich als Nothelfer dafür zuständig ist... der heilige Finn kann es jedenfalls nicht sein.

Sie erreichen das Seehaus durch tief verschneite Gassen und Straßen, passieren das wuchtige Tor - das diesmal in weiser Voraussicht noch weit offen steht -, die Kastanien, die mit glitzerndem Frost und Schnee überzogen sind, und fahren zum Haus hinauf, wo ihnen Rykar und Pyp in Lammfellstiefeln und warmer Wolle Pferd und Schlitten abnehmen - und, allen Göttern sei Dank, Runa ihnen den inzwischen wieder friedlich schlafenden Brynden aus den Armen pflückt. Eine halbe Stunde später hat Caewlin seine Frau endlich, wo er sie haben will, nackt und warm in ihrem Bett - und sie kommen wirklich sehr, sehr spät zum Abendessen.
Der restliche Eisfrost und die ersten beiden Taumondwochen nach ihrem Besuch am Smaragdstrand vergehen im gleichmässigen, ruhigen Fluss des Alltags und sind auf einem so großen Anwesen wie ihrem mit ständiger Arbeit angefüllt - die Vorratskeller werden ausgeräumt, das übrige Wurzelgemüse verbraucht, eingelegt oder an die Schweine verfüttert. Bethel und Runa kümmern sich um das Spinnen der Wolle für den einfachen Hausgebrauch, Caewlin und Rykar erneuern Zäune oder tauschen Pfähle aus, spalten Dachschindeln für Ausbesserungsarbeiten und sind außerdem praktisch dauernd am Schneeschaufeln. Dalla und Raven suchen auf dem Speicher nach der alten Babykleidung von Brynden, werden fündig und sind tagelang nur mit Sortieren und Waschen winziger Hemdchen, kleiner, samtweicher Wolldecken, Windeltücher und Lammfelle beschäftigt - wenn Raven nicht gerade damit zugange ist, sich von Gehilfinnen Madame Pilehs ihre eigenen neuen Gewänder liefern zu lassen. Bethel und Dalla sind zudem für das Ansetzen der ersten Sämereien verantwortlich, obwohl das Wetter selbst zu Beginn des Taumonds noch frostig bleibt und der Schnee auch keine Anstalten macht, zu verschwinden, und pflastern sämtliche Fensterbänke des Hauses, auf denen sie ein freies Fleckchen finden, mit flachen Saatschalen. Die übrigen Tage vergehen damit, dass sie gemeinsam das zukünftige Kinderzimmer gegenüber von ihrem Schlafgemach herrichten, und Caewlin außerdem alle Hände - oder besser alle Finger voll, denn er hat ja nur noch eine -, damit zu tun hat, seine Frau von Arbeiten abzuhalten, die beim besten Willen nichts mehr für sie sind... schwere Wäschekörbe auf den Speicher zu schleppen beispielsweise. Sie grundieren das zweite Kinderzimmer in einem satten, warmen Gelbton, ein wenig dunkler als die Farbe in Bryndens Raum, und Raven bringt anschließend einen Siebentag damit zu, die Wände dort mit Bildern in zarten Farben zu versehen. Die mit magischen Wesen, Kobolden und Feen bemalte Stollentruhe erhält ihren Ehrenplatz an der linken Längswand, flankiert von den beiden schmäleren Kommoden, der halbhohe Schrank bezieht die Ecke links neben der Tür.

Neben dem Fenster steht ein breiter Lehnstuhl aus Korbgeflecht, ausgelegt mit weichen Lammfellen, und an der rechten Wand ist Platz für die Wiege, sobald das Kind nicht mehr bei ihnen schlafen würde, oder später für ein Bett. Raven hat die Einrichtung und ihre Anordnung in ihre Wandmalereien miteinbezogen - die Greifen und Einhörner auf der Stollentruhe setzen sich dort, wo sie am Möbelstück enden, an der Wand fort, hier und da lugt ein lustiger Kobold, ein seltenes Tier, ein Fabelwesen oder eine buntschillernde Fee hinter dem Schrank oder einer Kommodenseite hervor, und in einer breiten Bordüre, die auf der Höhe des Türsturzes um den ganzen Raum läuft, tummeln sich Drachen mit grinsenden Gesichtern, jagen Wolken, fangen Sterne oder verstecken sich hinter roten Sonnen. Eine kleinere, alte Korbtruhe, die sie auf dem Speicher gefunden und die Dalla tagelang geschrubbt hatte, um sie von allem Staub zu befreien, vanilleweiße Gazeschleier vor dem Fenster und bunte Flickenteppiche auf den glänzenden Dielen vervollständigen den Raum - und Brynden spendet in einem Anfall von brüderlicher Zuneigung seine heißgeliebte Laterne von zwergischer Machart. Ihr Gehäuse ist aus kunstvoll verziertem, von Monden und Sternen durchbrochenem Metall, und stellt man eine Kerze in ihr Inneres, dreht sie sich. Er erklärt großmütig, das alte Nachtlicht jetzt nicht mehr zu brauchen und stellt es höchstpersönlich für das Baby auf einer der Kommoden ab. Raven bestückt den Schrank und die Kommoden mit all der Kinderwäsche, die sie vom Speicher geholt und hergerichtet hatte oder mit dem, was Madame Pileh ihnen inzwischen geliefert hat, mit weichen Lammfellen, Decken und einem Vorrat an Windeln, der für zehn Kinder ausgereicht hätte. Bethel stellt feinsten, weichen Talg und Unmengen von Ringelblumensalbe her, und Dalla treibt mit Anfällen allgemeiner Putzwut das gesamte Haus erfolgreich in den Wahnsinn - als ob das Kind, kaum dass es geboren ist, als allererstes den Zustand der Fenster begutachten würde. Als die Mitte des Taumonds näher rückt, der Schnee sich irgendwann doch entschließt, zu tauen und das erste Grün, noch matschig braun und alles andere als frühlingshaft, im Küchengarten zu sehen ist, ist das Kinderzimmer dann endgültig fertig, und die Wiege von Sturmende mit ihrem schweren Schnitzwerk steht ausgepolstert und hergerichtet neben dem Bett im Schlafgemach. Das ganze Haus füllt sich vom Keller bis zum Speicher mit gedämpfter, erwartungsvoller Vorfreude - nur Caewlin gibt, wenn auch mit Galgenhumor, unumwunden zu, dass das Warten ihn bis zum Sturmwind vermutlich in den Wahnsinn treiben wird.

Sie sitzen zusammen beim Morgenmahl in der Küche und Brynden schaufelt inzwischen die dritte Schale Haferbrei mit Honig in sich hinein, während Dalla und Bethel gleichzeitig Wurst schneiden, Eier braten, Zwiebeln vierteln, einen Apfelkuchen backen, Brotteig ansetzen und die Hunde füttern, die mit erwartungsvollen Blicken in der Spülküche ausharren - und Dalla ihnen ganz nebenbei von Borgils Nachwuchs erzählt. Eine angeheiratete Schwägerin der Tochter des Mannes ihrer Base dritten Grades - oder so ähnlich jedenfalls -, sei eine von Borgils Schankmaiden, und nur deswegen habe sie überhaupt davon gehört, gestern, als sie ihre eigene Älteste im Mogbarviertel bei diesem Tunichtgut von Töpferehemann besucht habe, und besagte Harfenmagd zufällig auch da gewesen wäre. Wie auch immer, jedenfalls stehe fest, Meister Borgil, der Harfenwirt, habe einen gesunden Sohn - schon seit dem Langschnee, aber der Zwerg wisse natürlich seine eigenen Geheimnisse zu wahren, wenn er auch immer bestens über die sonstigen Vorgänge in Talyra informiert sei. Caewlin sieht grinsend in seinen Cofeabecher, während Raven sich bemüht, Dalla Einzelheiten zu entlocken - was nur geht, wenn man die ständig schnatternde Magd im Eifer des Gefechts immer wieder rücksichtslos unterbricht, weil man sonst nämlich nie zu Wort kommt. Raven hat allerdings längst herausgefunden, wie mit Dalla umzugehen ist, und so erfahren sie immerhin den Namen des Jungen, dass er angeblich rotes Haar hat und ein ausgesprochen hübsches Kind sein muss, dass Mutter und Kind wohlauf und bei bester Gesundheit sind, und dass der Kleine wächst und gedeiht. "Ein gesunder Sohn... Borgil muss stolz sein wie ein Azurianer," murmelt Caelwin leise und sieht Raven an, die seufzend auf ihren eigenen, hochschwangeren Bauch blickt. Bis zur Geburt sind es noch mindestens zwei endlose Siebentage und er weiß nicht, wie er das Warten überstehen soll, trotzdem hört er sich selbst, und es klingt sogar einigermaßen aufmunternd, sagen: "Nicht mehr lange min koerlighed, und du hast es geschafft. Noch zwei Wochen."

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Raven am 21. März 2006, 21:06 Uhr
Dallas Mitteilung, dass in der Goldenen Harfe endlich Nachwuchs angekommen sei, löst in der Küche, wo sich sämtliche Seehausbewohner zum Morgenmahl eingefunden haben, eine Welle freudigen Geplappers aus. Den Harfenwirt und seine Frau kennen hier natürlich alle, spätestens seitdem die beiden ihnen im letzten Herbst einen Besuch abgestattet hatten, und obendrein ist die Geburt eines Kindes sowieso immer ein Grund zur Freude. Dalla genießt es auch sichtlich, die Überbringerin der frohen Nachricht zu sein und sonnt sich in der allgemeinen Aufmerksamkeit, die ihr zuteil wird. Die Gelegenheit, von neugierig gespitzten Ohren und erwartungsvollen Gesichtern umringt zu sein, lässt sie sich natürlich nicht entgehen und packt sie skrupellos beim Schopf, um die neuesten Dramen aus ihrer weitläufigen und über die ganzen Herzlande verstreuten Familie zum Besten zu geben, sich über ihren Taugenichts von Schwiegersohn auszulassen, und sie mit einer verwirrenden Fülle von Namen zu erschlagen, die sich außer Bethel ohnehin kaum jemand merken kann. Als ob das jetzt irgend jemanden interessieren würde, stöhnt Raven im Stillen und hätte die kleine Mogbarmagd am liebsten gepackt, auf den Kopf gestellt und die Neuigkeiten aus ihr herausgeschüttelt. Hmpf. Jedes Wort lässt sie sich einzeln aus der Nase ziehen. Es dauert eine ganze Weile, bis ihnen in dem schnatternden Durcheinander am Küchentisch zumindest der Name von Borgils und Azras Sohn an die Ohren dringt, und bis sie dann schließlich die restlichen Details erfahren haben, sind sie bei der dritten Kanne Cofea angelangt und über Dallas komplizierte Familienverhältnisse mehr oder weniger zwangsläufig auch wieder auf dem neuesten Stand. >Ein gesunder Sohn... Borgil muss stolz sein wie ein Azurianer<, stellt Caewlin fest und fängt Ravens Blick auf, der gerade zwischen ihrem Bauch, ihrem Cofeabecher und der eifrig plappernden Dalla hin und her pendelt.

"Er wird platzen vor Stolz", pflichtet sie ihm kichernd bei. "Und er wird angeben wie zehn nackte Nordmänner. Bestimmt trägt er jetzt seinen Zwergenzinken so hoch in der Luft, dass man seine Nasenhaare einzeln zählen kann. Für einen Zwergen ist es aber wirklich etwas ganz Besonderes", fügt sie lächelnd hinzu. "Er hat allen Grund, stolz zu sein, und Azra ebenso. Ein eigenes Kind muss ihm ja noch mehr als jedem anderen wie ein Wunder erscheinen." Die Zwerge der Immerlande werden aus Stein geboren und nach ihrem Tod werden sie auch wieder zu Stein, und da es ihnen untereinander nicht gegeben ist, Kinder zu zeugen, ist die Geburt eines solchen natürlich eine kleine Sensation, auch wenn es eigentlich nur zur Hälfte ein Zwerg ist. "Ein Elternteil ein Zwerg, das andere ein Blutelbenmischling, ein Halbelb ... wie nennt man so etwas dann überhaupt? Zwergelf? Blutzwerg? Halb-Zwelf?" Raven hat keine Ahnung, wie man so eine Mischung bezeichnen könnte, aber vielleicht ist das auch ganz egal. Wichtig ist nur, dass das Kind wohlauf und gesund ist - selbst wenn es mit rotem Haar gestraft ist -, und sie nimmt sich vor, es in jedem Fall als gutes Omen zu werten, dass nun auch das zweite Baby dieses Winters wohlbehalten das Licht der Welt erblickt hat. Und das Dritte wird es ebenso schaffen. Ihr Blick löst sich widerstrebend von Caewlins Augen und wandert ein Stückchen abwärts, bis er schließlich an ihrem Bauch hängen bleibt, der in den letzten Wochen so gewaltige Ausmaße angenommen hat, dass sie inzwischen bequem einen Cofeabecher nebst Kuchenteller darauf abstellen könnte.

Mit angehaltenem Atem lauscht sie in sich hinein. Auch das Dritte wird bestimmt ein starkes und gesundes Kind werden. Oder? Das wirst du doch? Hätte sie die Frage laut ausgesprochen, hätte sie zweifellos etwas Flehendes gehabt, so jedoch wird sie nur zu einem wortlosen, leisen Seufzen, in dem ihre ganze Anspannung, ihre Unsicherheit, ihre Ängste und Zweifel und schreckliche Ungeduld zum Ausdruck kommen. Caewlin scheint zu spüren, was in ihr vorgeht, auch ohne dass sie groß Worte darum machen muss, und als sie ihn ansieht, findet sie in seinen Augen ein Spiegelbild ihrer eigenen Gedanken und Gefühle. Sie ahnt, dass es ihm ähnlich gehen muss und seine Geduld auf eine harte Probe gestellt wird, auch wenn er sich tapfer hält und sich redlich darum bemüht, nicht die Ruhe und die Nerven zu verlieren und ihr dabei auch noch Mut zuzusprechen. >Nicht mehr lange min koerlighed, und du hast es geschafft. Noch zwei Wochen.< Raven kann kaum glauben, wie schnell die Zeit seit dem letzten Sommer verflogen ist. Götter, nur noch zwei Siebentage... Sie erinnert sich noch ganz genau an den Augenblick, als die Ahnung zur Gewissheit wurde, als sie atemlos, zitternd, keuchend und mit rußverschmierten Gesichtern in einer brennenden, verqualmten Gasse hinter dem Marktplatz gekauert und sich aneinander festgeklammert hatten wie zwei Ertrinkende, umgeben von prasselnden Flammen und herabregnender Asche. Inmitten einer wahnsinnig gewordenen Stadt, einer infernalischen Hölle aus Glut und Finsternis, umgeben von Tod und Sterben hatten sie begriffen, dass ein kleines, unschuldiges Leben in ihr heranwachsen würde. Es kommt ihr vor, als wäre das erst gestern gewesen und sie schüttelt ungläubig den Kopf. Wie kann das schon wieder so lange Zeit her sein? Wenn sie an das bevorstehende Ende der Schwangerschaft denkt, das erst so unendlich weit weg gewesen war und nun gnadenlos und unaufhaltsam näher rückt, wird ihr wirklich ein bisschen bange und sie fühlt sich hin und her gerissen zwischen kindischer Vorfreude und mulmiger Aufregung. "Ja, zwei Siebentage nur noch", seufzt sie, lehnt sich an Caewlin und tastet nach seiner Hand, um ihre Finger mit seinen zu verschränken und etwas von seinem Mut und seiner Zuversicht in sich aufzunehmen. Sie ist ihm mehr als dankbar für seine aufmunternden Worte, ohne die sie inzwischen vermutlich längst zu einem herumzappelnden Nervenbündel mutiert wäre.

"Eigentlich würde ich das gerne noch ein wenig vor mir herschieben", gibt sie kläglich zu. "So zehn bis zwanzig Monde ungefähr." Aber dann fällt ihr auf, dass diese Argumentation zwar eindeutig etwas für sich hat, aber auch den entscheidenden Haken, dass sie dann genauso lange mit dieser sperrigen Kugel an ihrem vorderen Ende herumlaufen müsste, und im Gegensatz zu diesen Aussichten erscheint ihr eine Geburt, und sei sie noch so schwer, eindeutig als das kleinere Übel. So wohl sie sich die ganze Zeit über fühlt - die letzten Siebentage sind trotzdem ziemlich anstrengend geworden. Tag für Tag scheint der Bauch noch ein Stückchen mehr zu wachsen und die Haut darüber spannt wie das straffgezogene Fell einer Trommel. Das Kind in ihrem Leib ist schwer geworden und die Zeit seiner wilden Purzelbäume und Knüffe hat sich längst dem Ende zugeneigt, weil ihm der Raum dafür gar nicht mehr ausreicht. Es regt sich viel und oft, aber aus den lebhaften Gelenkigkeitsübungen sind träge Bewegungen und sanftes Räkeln geworden, weil ihm seine Hülle allmählich zu eng wird und es mehr und mehr Platz beansprucht. Manchmal hat Raven das Gefühl, dass es sämtliche Organe in ihrem Inneren durcheinanderbringt und durch die Gegend zu schieben scheint. Einmal drückt es auf den Magen, ein andermal liegt es ihr auf der Blase, so dass sie vermutlich bald zu schielen beginnt, weil sie mit einem Auge praktisch immerfort Richtung Abtritt linsen muss, dann wieder presst es ihr die Lungen zusammen, dass sie fast glaubt, keine Luft mehr zu bekommen. Das Atmen fällt ihr manchmal wirklich schwer und zudem fühlt sie sich inzwischen so plump und unbeweglich wie eine Seekuh, ganz zu schweigen davon, dass sie oft keinen einzigen Bissen hinunterbringt. Neidisch beobachtet sie Brynden, der mit dem gesegneten Appetit eines heranwachsenden Nordmanns gerade ungerührt seine dritte Schale süßen Haferbrei niedermetzelt, während sie ihre erste schon nach drei Löffeln beiseite geschoben hatte. Ihr Hunger wird gemeinerweise zwar immer größer, die Aufnahmefähigkeit für Nahrungsmittel wegen dem wachsenden Kind in ihrem Leib allerdings immer kleiner, so dass sie praktisch ständig von Heißhungeranfällen geplagt wird, ohne sie wirklich stillen zu können.

Nach dem Frühstück geht jeder seiner gewohnten Arbeit nach und während Bethel den Tisch abräumt und sich dann an die Vorbereitungen für das Mittagsmahl macht, verschwinden Pyp und Rykar Richtung Stall, Runa widmet sich den allgegenwärtigen Wäschebergen im Keller und Dalla mumifiziert sich bis zur rotleuchtenden Nasenspitze mit Mantel, Schal und einer warmen Mütze zu einem kugelrunden, kleinen Kokon aus Filz und Wolle, um mit schlenkerndem Einkaufskorb zum Marktplatz zu watscheln. Caewlin und sie selbst bleiben mit Brynden noch einen Moment plaudernd am Tisch sitzen, bis sie ihre Cofeabecher geleert haben und Caewlin sich schließlich mit einem götterergeben Seufzen erhebt. Das Wetter, das an diesem Tag tatsächlich einen ersten Hauch Frühling in sich birgt und die Herzlande mit Licht und Sonne überflutet, will genutzt sein, und so wollen er und Rykar das Scheunendach ausbessern, das unter dem strengen Winter arg gelitten hat, und die maroden Dachschindeln gegen die neuen austauschen, die sie in den letzten Siebentagen geschnitten hatten. Ein langer Kuss und dann ist auch er verschwunden. Raven kann nichts weiter tun, als ihm sehnsüchtig nachzusehen und sie vermisst ihn schon, als er noch nicht einmal richtig zur Tür hinaus ist. Sie würde ja zu gern mit ihm und Rykar hinauf aufs Dach, zudem sie so flink und sicher klettern kann wie eine Katze - manchmal hat eine diebische Vergangenheit auch eindeutig praktische Vorteile -, doch mit ihrem Kugelbauch ist dies schlecht möglich. Außerdem hegt sie den leisen Verdacht, dass Caewlin es vermutlich ohne mit der Wimper zu zucken fertig bringen würde, sie im Keller anzuketten, falls sie auf die glorreiche Idee käme, ihren schwangeren Bauch hinauf aufs Scheunendach zu hieven. Die letzten Tage über kommt sie sich wirklich ziemlich unnütz vor und ist im Haus mehr Last als Hilfe. "Und was machen wir zwei beide jetzt?" fragt sie Brynden, der sie erwartungsvoll anschaut, offenbar in der Hoffnung, dass sie gleich irgendein spannendes, lustiges und aufregendes Abenteuer vorschlagen wird. "Wir werden wohl oder übel die Kommoden im Kinderzimmer noch zu Ende einräumen. Komm mit, mein Schatz." Brynden rollt mit den Augen und gibt einen leidenden Seufzer von sich, denn Kinderzimmeraufräumen liegt eindeutig unter seiner Würde und weit unter dem, was er für einen kleinen Nordmann gerade noch als zumutbar gelten lässt, doch er lässt sich breitschlagen und trottet ergeben hinter ihr her, als sie sich die Treppe in das Obergeschoss hinaufmüht.

Als sie das Zimmer betreten, bessert sich Ravens Unmut allerdings schlagartig, denn es ist wirklich märchenhaft schön geworden. Caewlin hatte gerackert wie ein Pferd, Wände gestrichen, Möbel geschleppt und den gesamten Speicher auf den Kopf gestellt auf der Suche nach der wuchtigen geschnitzten Wiege, Dalla hatte geschrubbt und gewienert, und alle hatten sich mit Begeisterung daran gemacht, dem zu erwartenden Neuankömmling eine kleine, fröhlich bunte Welt zu schaffen. Das warme Goldgelb der Wände wirkt, als wäre der Raum bis obenhin mit Sonnenlicht angefüllt, und alles sieht so hell und freundlich aus, dass Ravens schlechte Laune im Nu wie weggeblasen ist. Selbst die krakeligen, windschiefen Drachen und Zauberwesen, mit denen sie die Wände bemalt hat, sehen vergnügt aus, und sie muss im Nachhinein noch grinsen, wenn sie daran denkt, dass sie Bethel und Dalla mit ihrer Farbenpanscherei nahezu in den Wahnsinn getrieben hatte. So halbwegs und ungefähr hatte sie bereits gewusst, wie man Wandfarben herstellen kann, und auch das Auftreiben der Pigmente war nicht allzu schwierig gewesen, das meiste davon hatte sie bei einem neuerlichen Kurzbesuch auf dem Platz der Händler besorgen können - Grünerde, goldgelber Ocker, gebrannter Umbra und rote Erde, geraspeltes Blauholz, Färberwaid, Krappwurzel und gemahlenen Zinnober. Der Kaufmann hatte ihr auf ihre Frage hin auch wortreich erklärt, wie sie die Farben anmischen muss und dass man dazu entweder Leinöl, mageren Quark oder Eigelb benutzen müsse. Raven hatte ihn zweifelnd angeschaut und zuerst geglaubt, er wolle ihr einen Bären aufbinden, aber er hatte Stein und Bein und bei sämtlichen Vorfahren - und seine Abstammung hatte sich praktisch bis zur Zeit der Großen Elbenkriege zurückverfolgen lassen - geschworen, dass er es ernst meinen würde. Also war sie mit dem Braunen vor dem Karren wieder nach Hause gezockelt und hatte seine Vorschläge sofort in die Tat umgesetzt, mit dem Ergebnis, dass sie ein fürchterliches Geschmaddere angerichtet, dabei sämtliche Quarkvorräte aufgebraucht hatte, und sie zudem einen halben Siebentag lang jeden Mittag Rühreier hatten essen müssen, um die verunglückten Überreste ihrer Panscherei zu entsorgen. Aber es hat sich gelohnt, das Zimmer ist wirklich hübsch geworden.

Sie versucht sich daran zu erinnern, wie das Haus ausgesehen hatte, als sie im Sommer mit Caewlin hierher gekommen war. Schön war es schon immer gewesen, groß und behäbig und so ehrwürdig wie ein altgedienter Kämpe, eine Mischung aus Trutzburg und gemütlichem Zuhause - aber es war leer gewesen und seltsam kalt, so als hätte es seine Seele verloren. Doch die Seele war zurückgekehrt, unmerklich und ohne, dass sie es wirklich wahrgenommen hätten, und Zimmer für Zimmer hatte sich wieder mit Farbe und Leben gefüllt. Die Halle, anfangs erschreckend groß und erschreckend kahl, ist ein inzwischen ein einladender, behaglicher Raum geworden, ein wirkliches Schmuckstück mit einem wuchtigen, schön geschnitzten Esstisch, mit Stühlen und Bänken, weichen Fellen vor dem gewaltigen Kamin mit seinem Drachensims, mit bequemen Lehnsesseln, farbenfrohen Wandbehängen, die die dicken Mauern zieren, mit gewebten Teppichen, Kerzen und bronzenen Laternen. Der Halle war ihrer beider Schlafgemach gefolgt, ein Betthaupt mit Drachen beim Hochzeitsflug, das Schreibzimmer, das sie mit ihren Bildern und Malsachen und dem heißgeliebten Buchstabenkästchen belagert hatte, das prächtige Badezimmer mit seinen glänzenden Kacheln und dem wasserspuckenden Drachenmaul, die Werkstatt, und nun schließlich das sonnendurchflutete Kinderzimmer, jeder Raum so einzigartig und so besonders auf seine Art, dass Raven unwillkürlich lächeln muss und ein warmes Gefühl sie vom Scheitel bis in die Zehenspitzen durchrieselt, das sich nur mit einem Wort beschreiben lässt: Zuhause.

Sie hätte nie geglaubt, dass ein Haus mit steinernen Mauern, die ihr früher eher wie ein Gefängnis erschienen wären, sie so glücklich machen könnte. Ich hätte auch nicht geglaubt, dass ich jemals Kinder haben würde, und nun sind es bald zwei. Ich hätte auch nicht geglaubt, dass ich jemals einen Mann so lieben würde, dass ich mein Leben bis zum allerletzten Atemzug mit ihm verbringen möchte, und doch ist es so. Sie ist gerade dabei, sich in sehnsüchtigen Tagträumen zu verlieren, die sich haupstächlich um türkisgrüne Augen, ein halbes Lächeln und den dazugehörigen Mann drehen, als sie ein energisches Zupfen an ihrem Ärmel spürt, das sie unsanft aus ihrer Gedankenverlorenheit reißt. Brynden schaut mit fragend gerunzelter Stirn zu ihr empor und sein rundes Kindergesicht trägt so deutlich einen Ausdruck von "Erst schleppst du mich hier hoch, damit ich dir beim Aufräumen helfe, und dann stehst du nur dumm in der Gegend herum", dass sie lachen muss. "Du hast recht, fangen wir endlich an." Gemeinsam sortieren sie den Inhalt des letzten Korbes, den Dalla ins Zimmer gestellt hat, in die Fächer der Kommoden: winzige Hemdchen und Kittelchen und noch winzigere, flauschige Söckchen, und sie muss an Caewlins Worte denken, mit denen er sich auf der Heimfahrt vom Besuch bei Niniane, Cron und ihrem neugeborenen Sohn über sich selbst amüsiert hatte. >Was haben diese Babies nur an sich, dass man sich bei ihrem Anblick immer wie ein Stück Butter in der Sonne vorkommt?< Kichernd stapelt sie die Miniaturwäscheteile in eine Schublade. Dazu brauche ich ja noch nicht einmal Babys, ich schmelze allein schon bei diesen Socken wie Butter in der Sonne.

Nachdem auch das letzte Wäschestück seinen Platz gefunden hat, lässt Raven sich auf dem Korbstuhl am Fenster nieder und blickt sich zufrieden im Zimmer um. Brynden drängelt sich auf ihren Schoß, auf dem eigentlich schon gar kein Platz mehr ist, aber er ist so gelenkig und biegsam - manchmal könnte man wirklich glauben, er hätte nicht einen Knochen im Leib -, dass er natürlich trotzdem einen findet. Er breitet hingebungsvoll die Wurstärmchen aus und schlingt sie um Ravens Bauch, obwohl er nicht einmal annähernd herum reicht, dann legt er sein Ohr daran und lauscht angestrengt.
"Kannst du etwas hören?" erkundigt sie sich neugierig.
"Es gluckert", konstatiert er fachmännisch. "Was macht es denn gerade?"
"Vielleicht schläft es", vermutet Raven. "Oder vielleicht lutscht es gerade am Daumen. Oder es pult an seinen Zehen herum."
Brynden schaut sie mit großen Augen an, als hätte er leise Zweifel daran, dass etwas, das er nicht sehen kann, mit Dingen wie Zehen und Daumen bestückt ist. Dann hakt er mit seinem derzeitigen Lieblingswort nach: "Warum?"
Aha. Wir haben Fragestunde. Raven rollt im Geiste kichernd mit den Augen und ahnt, dass das Ganze durchaus eine längere Angelegenheit werden kann - und eine schweißtreibende dazu, denn nichts ist so anstrengend wie die Neugier eines wissbegierigen Dreijährigen.
"Vielleicht ist ihm gerade langweilig", erklärt sie.
"Es hat auch gar keine Spielsachen", nickt Brynden verständnisvoll. "Kannst du nicht welche verschlucken, wenn ihm so langweilig ist?" Wieder drückt er sein Ohr auf ihren Bauch. "Kann es uns hören?"
Raven muss sich auf die Zunge beißen. "Bestimmt." Und wahrscheinlich lacht es sich gerade kringelig.

Brynden runzelt die Stirn, zieht die Stupsnase kraus und scheint angestrengt über etwas nachzudenken. Offenbar sinnt er gerade nach einer Möglichkeit, wie er sein unsichtbares Geschwisterchen unterhalten könnte. "Wollen wir ihm etwas vorsingen?"
"Wenn du magst", erwidert Raven lächelnd und ist ganz gerührt über seine brüderliche Fürsorge. Naja, warum nicht ... ich kann zwar nicht besonders gut singen, aber es wird schon nicht gleich bleibende Schäden davontragen.
"Was willst du denn singen?"
Sie kramt in ihrem Gedächtnis nach Bruchstücken lange vergessener Wiegenlieder, und ihr schwebt undeutlich etwas mit vielen Sternchen, Engelchen und niedlichen Feenkindern vor, begleitet von hellem Glöckchengebimmel und einem Chor kastrierter Elfen, aber Brynden Naseweis kommt ihr natürlich zuvor.
"Räuber saufen Blut", schlägt er allen Ernstes vor. Das Glöckchengebimmel in ihren Gedanken wird plötzlich zu Alarmgeläut, während die Engelchen sich erschrocken verflüchtigen.
"Was? Räuber saufen ... wie bitte?" Raven glaubt im ersten Moment, sich verhört zu haben und kann Brynden nur in sprachloser Verblüffung anstarren.
"Blut, Blut, Räuber saufen Blut", wiederholt er, wobei er jede Silbe einzeln betont und ein Gesicht macht, als müsse er mit seiner stocktauben Urgroßmutter reden oder als sei sie einfach bisschen schwer von Begriff. "Das geht auch noch weiter", frohlockt er blutrünstig: "Raub und Mord und Überfall sind gut. Hoch vom Galgen klingt es, hoch... "
"Brynden!" schnappt sie erschrocken und legt ihm hastig die Hand über den Mund. "Wer um Himmels Willen hat dir das denn beigebracht?"
"Pyp", strahlt er stolz. "Gefällt es dir nicht?"
"Äh .... NEIN! Das ist vielleicht nicht ganz das Richtige für so ein kleines Baby... und für dich im übrigen auch nicht." Pyp zieh' ich das Fell über die Ohren, was fällt dem ein, Brynden solche Lieder beizubringen! Na warte..., schnaubt sie in Gedanken. "Lassen wir das Singen, vielleicht will es doch lieber schlafen." Das Baby zwar schon, Brynden dagegen aber nicht, und die Fragestunde ist lange noch nicht beendet.

Nachdem er eine Weile auf ihrem Bauch herumgetatscht und wieder ausgeschmollt hat, folgt die obligatorische Frage, mit der er den ganzen Haushalt mindestens drei Dutzend mal täglich löchert und in den Wahnsinn zu treiben versucht: "Wann kommt es denn endlich? Dauert das noch lange?"
"Nein, Schatz, es dauert nicht mehr lange."
"Wie lange ist nicht mehr lange?"
"Ich weiß nicht genau .... es ist bestimmt bald da."
"Wie bald ist bald?"
"Zwei Siebentage vielleicht noch."
"Wie lange dauern denn zwei Siebentage?"
Und wie lange dauert es, bis man von Kinderfragen irrsinnig wird?
"Noch vierzehn mal schlafen. Ungefähr. Das geht ganz schnell vorbei."
"Und dann kommt es raus?
"Ja, dann kommt es raus, ich versprech's."
Brynden legt eine kurze Denkpause ein, dann:
"Wie ist denn da reingekommen?"
Äh .... Bienchen und Blümchen? Der Klapperstorch? Die gute Babyfee hat es gebracht?
Ravens Nase beginnt sich allmählich zu röten und steuert zielstrebig in Richtung eines höchstverlegenen Geranienrosas, während sie ihr Gehirn hektisch nach einer möglichst unverfänglichen Erklärung durchforstet.
Heilige Götter .... erstmal alles abstreiten.
"Ähm. Das hat dein Papa da reingetan."
Das bringt Brynden zu einer angestrengten Grübelpause. Sie kann es fast hinter seiner Stirn rattern hören. Vielleicht reicht ihm das als Antwort und er fragt gar nicht erst weiter...
"Und wie hat er das gemacht?"
Wie hatte sie allen Ernstes auch nur eine Sekunde lang annehmen können, dass er nicht fragt?
"Äh. Also." Argh! Wie erklärt man so etwas einem Dreijährigen?

"Ähm, dein Papa und ich haben uns ganz doll lieb, und weil wir ein Baby haben wollten, haben wir uns ganz fest in die Arme genommen und geküsst und so eng aneinandergekuschelt, als wären wir zusammengewachsen. Dabei hat dein Papa etwas an mich weitergegeben, damit bei mir im Bauch das Baby wachsen kann." Himmel hilf... wie dämlich klingt das denn! "Das ist zuerst ganz klein, aber im Bauch wächst es dann, bis es ganz groß ist und keinen Platz mehr hat, und dann kommt es auf die Welt." Heilige Götter, Faeyris und Anukis und Amitari ... oder Inari .... oder wer eben gerade zuhört, völlig egal, bitte macht, dass ich nicht auch noch Einzelheiten ausbreiten muss... hmpf, warum hat Caewlin nicht auch noch einen Nothelfer für peinliche Kinderfragen aufgezählt? Vielleicht werden ihre flehentlichen Gebete tatsächlich erhört, vielleicht hat Brynden aber auch nur einen guten Tag erwischt, jedenfalls verschont er sie mit weiteren Detailfragen und lässt sich von ihrem Schoß rutschen. "Achso", sagt er nur wissend. Es klingt wie dann-ist-ja-alles-geklärt und er sieht dabei aus wie das-weiß-ich-doch-schon-längst. Wie jetzt? Keine Fragen mehr? "Hab' ich schon gesehen", meint er schulterzuckend, als wäre das alles ein alter Hut für ihn. "Das ist, wenn ihr im Bett miteinander kämpft und komische Geräusche macht." Raven bleibt einfach die Spucke weg und sie kann nur in hilfloser Verwirrung nach Luft schnappen, während das zarte Geranienrosa auf ihren Wangen allmählich in einen tomatenähnlichen Farbton überwechselt. Ich muss mit Caewlin unbedingt über diese Tür zwischen Schlaf- und Kinderzimmer sprechen ...

Als sie es ihm später erzählt, während sie im samtigen Dunkel ihres Schlafgemachs und in besagtem Kampfring liegen, zutiefst zufrieden, zutiefst erschöpft und miteinander verschlungen wie ein endloser Knoten, lacht er, dass ihm der Brustkorb bebt. "Pöh! Du hast gut lachen", schnaubt Raven in gespielter Empörung, während sie sich eine seiner langen, kastanienbraunen Haarsträhnen um den Finger zwirbelt, sie dann wieder auseinanderzwirbelt und dann ihre Hand in seinen Nacken wandern lässt, um alle fünf Finger gleichzeitig in seinem weichen Haar vergraben zu können. Keinen Herzschlag lang würde sie es schaffen, ihre Hände von ihm zu lassen, noch nicht einmal mit allergrößter Willensanstrengung und schon gleich gar nicht, wenn er so warm und verlockend dicht bei ihr liegt. "Du hast dir ja auch keine Antworten überlegen müssen. Ich hätte mir fast die Zunge abgebissen, weil ich nicht wusste, wie ich das erklären soll. Und dann noch das Lied, das Pyp ihm beigebracht hat!" Sie versucht angestrengt, die Fassung zu wahren und wegen Dallas verdorbenem Früchtchen von Sohn böse dreinzugucken, aber schließlich muss sie doch loskichern. "Brynden allein ist schon schlimm genug, wie sollen wir nur zwei von dieser Sorte überstehen?"
Sie schiebt sich ein Stückchen höher, bis sie ihr Gesicht bequem in Caewlins Halsbeuge betten und sich an seinem Geruch berauschen kann, der sie völlig um den Verstand zu bringen droht. Er riecht gut, nach Mann und Wärme und dem Verlangen nach mehr. Ihre Finger lösen sich aus seinem Haar und wandern abwärts, über seinen Hals, die Wölbung seines Brustkorbes und sanft geschwungene Rippenbögen, bis sie der feinen Spur aus schimmernden Härchen folgen, die sich von seinem Nabel aus abwärts zieht. "Wobei .... das mit dem miteinander kämpfen klingt gar nicht mal schlecht .... und das mit den komischen Geräuschen auch nicht ...." Sie küsst sich über seinen warmen Hals aufwärts, küsst seine Kehle, sein Kinn, seine vernarbte Wange, seine Augenlider, den Nasenrücken und findet schließlich seinen Mund, der so gut schmeckt wie nichts sonst auf der Welt. Die einzigen Geräusche, die in der darauffolgenden Stunde das Schlafgemach erfüllen, sind das Rascheln von Laken, zärtlich geflüsterte Worte, leises Seufzen und ihrer beider schwerer Atem, und sie schluckt jeden seiner Laute, als wären sie die Luft, die sie zum Leben braucht, sie trinkt seine Küsse, trinkt von seinem Atem, von seinem hungrigen Mund, bis sie verschmelzen und sich völlig aufzulösen scheinen und nichts weiter zurückbleibt, als süßer, erfüllter Friede.

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Raven am 21. März 2006, 21:21 Uhr
Pfannkuchen! Raven hat keine Ahnung, wie lange sie geschlafen hat, wovon sie gerade geträumt hat oder warum sie überhaupt aufgewacht ist, und zu einem klaren Gedanken ist sie schon gleich gar nicht fähig, nicht mitten in der Nacht und gerade aus wohligem Schlummer gerissen - nur dieses eine Wort spukt ihr impertinent und aufdringlich in ihrem schlafumnebelten Geist herum, als ginge es um Leben und Tod. Ihr Magen knurrt, als würde er eine Horde reißender Bestien beherbergen und signalisiert deutlich: Hunger! Heißhunger! Pfannkuchen! Sofort! Schlaftrunken und mit einem entnervten Seufzer wälzt sie sich in Caewlins Arm herum und vergräbt die Nase an seiner Brust. Och nein. Keine Pfannkuchen. Wer kommt denn mitten in der Nacht auf so einen Unfug? Ich müsste aufstehen. Igitt. Mich aus diesem herrlich warmen Bett quälen. Wuäh. Ganz zu schweigen davon, dass ich mich von diesem noch viel herrlicheren Mann trennen müsste, und das ist a-b-s-o-l-u-t unzumutbar! Nein, keine Pfannkuchen. Nicht jetzt. Schlaf einfach weiter. Krampfhaft versucht sie, an etwas anderes zu denken, aber ihre Gehirnzellen wollen nicht, sie igeln sich ein und weigern sich, das Thema Pfannkuchen so einfach fallen zu lassen, verbünden sich gar mit ihrem Magen und malträtieren sie mit Bildern von leckeren, goldgelb gebackenen Pfannkuchen, Pfannkuchen mit süßer Marmelade, mit Ahornsirup, mit Honig, mit Apfelkompott, mit Himbeeren .... Aaah. Aufhören! Ich werde nicht aufstehen. Ich werde mich jetzt nicht in die Küche hinunterschleppen. Nein. Nein. Nein. Bethel wird mich köpfen, wenn ich mitten in der Nacht anfange, in ihrem Heiligtum herumzuwerkeln. Und das Feuer ist bestimmt schon aus. Und ich müsste erst eine Pfanne suchen. Ich weiß gar nicht, wo das Himbeerkompott im Keller steht. Ich werde kalte Füße bekommen und mir den Hintern abfrieren. Ich müsste mich bewegen. Ich. Will. Nicht. Aufstehen!

Doch die Heißhungerzentrale in ihrem Inneren lässt nicht locker. Ein halbes Dutzend Atemzüge hält sie es noch aus und schafft es, standhaft zu bleiben, aber bevor sie ernsthaft anfängt zu geifern und zu sabbern oder irgend etwas Unverdauliches in ihrer Reichweite anzunagen beginnt, gibt sie sich schließlich geschlagen. Schon gut, schon gut, ich geh ja schon. Lautlos schlüpft sie aus Caewlins Arm und rollt sich aus dem Bett, sucht nach ihrem Hemd, findet es nicht, flucht leise vor sich hin, stößt sich den Zeh, findet es schließlich doch, irgendwo am Fußende zwischen verknüllten Laken, streift es sich über den Kopf, stellt dann fest, dass sie es verkehrt herum angezogen hat, arbeitet sich wieder heraus und richtig herum hinein, findet dafür keine Socken, und tappt schließlich barfuß und auf leisen Sohlen durch das Zimmer. Als sie die Tür vorsichtig aufzieht, hebt Stelze, der neben Akira vor dem Kamin döst, irritiert den kantigen Schädel und gibt ein verschlafenes Wuffen von sich, aber Raven schüttelt wild den Kopf, legt den Finger an die Lippen und bedeutet ihm, still zu sein. Leise schlüpft sie auf den Gang hinaus. Die Tür lässt sie einen Spaltbreit offen, aus Angst, das Klacken des Schlosses könnte Caewlin wecken, dann tappt sie im Finstern die Treppe hinab in die Halle. Der riesige Raum ist dunkel und kaum ein Lichtschein dringt durch die Terrassentür und die großen Bogenfenster in den beiden Alkoven. Im Kamin funkelt nur noch schwach ein Rest rötlicher Glut. Auf Zehenspitzen schleicht sie Richtung Küche, bemüht, kein Geräusch zu machen, als sie mit dem Fuß gegen etwas stößt, das daraufhin über den Boden schliddert und ein ohrenbetäubendes Klappern von sich gibt. Raven bleibt fast das Herz stehen, sie stolpert, rutscht aus, und bricht sich beinahe den Hals bei dem Versuch, nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Misstrauisch beäugt sie dieses längliche, krachmachende Wasauchimmer, das in einiger Entfernung zum Stillstand gekommen ist, und erst nach dreimaligem Hinsehen erkennt sie in der Dunkelheit, dass es Bryndens verflixte, ratternde Holzraupe ist, die sie so erschreckt hat. Himmelgötternochmal ... Der Hunger treibt sie weiter, und zumindest erreicht sie die Küche ohne weitere Zwischenfälle und ohne von achtlos liegengelassenen Spielzeugraupen angefallen zu werden.

In der Küche ist es still, nur aus dem Gesindetrakt, der sich auf der Ostseite anschließt, dringt, durch die geschlossene Tür gedämpft, ein Sägen und Röcheln und Schnorcheln, dass es die Götter erbarmen und man glauben könnte, jemand würde dort draußen das halbe Larisgrün zu Kleinholz verarbeiten. Als sie dieses trommelfellmordende Geräusch zum ersten Mal gehört hatte, kurz nachdem sie ins Seehaus gezogen waren, hatte sie geglaubt, dass vielleicht Rykar der Urheber wäre, aber weit gefehlt - es ist Bethel, die so ohrenbetäubend schnarcht. Einen Moment lauscht sie mit angehaltenem Atem in die Schatten um sich herum, doch bis auf die regelmäßigen Sägegeräusche herrscht friedliche Stille. Plötzlich jedoch berührt etwas wie aus dem Nichts ihre nackten Beine. Raven gibt einen erschrockenen Quietschlaut von sich und fährt zurück, als wäre sie auf eine Klapperschlange getreten. Ihr Gegenüber scheint jedoch mindestens genauso überrascht zu sein, denn als sie Blick auf den Boden richtet, sieht sie sich dem kleinen roten Katerchen gegenüber, das sie fauchend und aus riesigen, grüngelben Augen anstarrt. Sein Fell steht vor Schreck kerzengerade zu Berge, so dass er aussieht wie eine rotgetigerte Schuhbürste. Als er sie erkennt, beruhigt er sich jedoch gleich wieder und reibt schnurrend seinen Kopf an ihren Beinen. "Uff, du kannst einen vielleicht erschrecken", schimpft sie ihn in liebevollem Flüsterton. "Was machst du denn hier in der Küche? Komm, ich mache dir ein bisschen Milch warm. Und du kannst mir gleich beim Pfannkuchenbacken Gesellschaft leisten." Sie räumt im Herd die Asche beiseite und entfacht die niedergebrannte Glut, legt einige Holzscheite nach, setzt den Wasserkessel auf und schleicht sich dann, gefolgt von dem Kater, der wie eine Klette an ihren Fersen klebt, in den Vorratskeller hinunter. Bis unters Kinn beladen mit einem Krug Milch, einem Korb voll Eiern, Butter und einem Scheffel Mehl balanciert sie die Stiege wieder nach oben, deponiert alles auf dem langen Küchentisch und sucht dann nach einer Schüssel und der großen, gusseisernen Bratpfanne.

Dem Kater verdünnt sie ein wenig Milch mit warmem Wasser und stellt ihm das Schälchen auf den Fußboden, doch bis sie ihre Utensilien zusammen hat, ist er schon längst wieder fertig und hat sich erwartungsvoll auf dem Küchentisch niedergelassen. Interessiert schaut er zu, wie Raven den Teig zusammenrührt, vor allem, als sie die Eier aufschlägt und aus dem Krug Milch dazugießt. Sein Hals wird lang und länger, und unmerklich schiebt er sich Fingerbreit um Fingerbreit näher, zuerst die eine Vorderpfote, dann die andere, dann rutscht das Hinterteil ein Stückchen nach, und so arbeitet er sich unauffällig voran, bis er praktisch fast in der Schüssel sitzt. "Nichts da", schnaubt Raven entrüstet und bringt den Teig in Sicherheit. "Das werden meine Pfannkuchen. Schleich' dich!" Sie setzt ihn auf den Boden und wendet sich dem Herdfeuer zu, um Butter in der riesigen Pfanne zu zerlassen. Die Teigschüssel nimmt sie sicherheitshalber mit, bevor dieser gierige kleine Milchbart noch auf die Idee kommt, seine neugierige Nase hineinzustecken. Als sie sich wieder umdreht, schleckt er gerade genüsslich die Eierschalen leer und verteilt sie dabei in der ganzen Küche, eine klebrige Eiweißspur hinter sich her ziehend. "Bist du verrückt geworden?" zischt Raven. "Bethel wird uns beide filetieren und morgen zum Mittagsmahl servieren, wenn wir ihre geheiligte Küche versauen!" Leise fluchend scheucht sie den Kater beiseite und macht sich daran, die Eierschalen aufzusammeln und das Chaos zu beseitigen, das er hinterlassen hat. Hinter ihr beginnt es unterdessen etwas seltsam zu riechen und als sie sich umwendet, sieht sie die zerlassene Butter in der Pfanne fröhlich vor sich hin qualmen. "Ach herrje..." Sie lässt die Eierschalen Eierschalen sein und stürzt zum Herd, um den Teig in die Pfanne zu kippen, bevor die Butter vollends schwarz geworden ist. Dann hechelt sie in die Spülküche hinaus, um einen Putzhadern zu holen, mit dem sie die Eierreste vom Boden wischen kann. Als sie wiederkommt, kann sie gerade noch die vordere Hälfte des Katers bis zum Bauchnabel im Milchkrug verschwinden sehen, aber bis sie ihren eigenen Bauch endlich zum Tisch verfrachtet hat, scheint das Kerlchen bereits festzustecken, so dass es weder vor noch zurück kann. "Herrjemine, was tust du denn da? Komm sofort da heraus!" Ein klägliches Maunzen ertönt aus dem Milchkrug und offenbar hat der Kater, das Köpfchen in vollkommener Finsternis, nun gänzlich die Orientierung verloren, denn er fängt an, wild miauend und völlig planlos rückwärts zu laufen, als könne er so dem Krug entkommen.

"Hmpf! Das kommt davon, wenn man seine Nase überall reinstecken muss!" Hektisch befreit Raven den um sich tretenden und kratzenden Kater aus seinem Gefängnis, und kaum dass sie seinen Kopf aus dem Krug gezerrt hat, schießt er auch schon mit einem so wilden Satz davon, als wäre ihm ein leibhaftiger Dämon auf den Fersen. Der Krug rutscht Raven aus den Händen und zerscheppert klirrend auf den Fliesen, und während sich ein kleiner Milchsee auf dem Fußboden ausbreitet, plinker-plonkern die Scherben fröhlich durch die ganze Küche. Das ist genau der Augenblick, in dem sich der schwarzverkohlte Pfannkuchen hinter ihr auf dem Herd dazu entschließt, Feuer zu fangen. "Argh!" Raven wirbelt herum, ist mit einem langen Satz beim Herd und drischt mit dem Putzhadern wie wild auf den rauchenden Pfannkuchen ein. Retten kann sie ihn allerdings nicht mehr, und nachdem die Flammen gelöscht sind, sind es lediglich ein paar schwarzverkohlte Bröckchen, die sie aus der Pfanne fischt. Dabei wollte ich doch nur Pfannkuchen..... schöne, goldgelbe, leckere Pfannkuchen .... von Kohle hat niemand etwas gesagt! Ich hab' Hunger, verdammt noch mal! Aber ich kriege das schon hin, wäre ja gelacht..... Also unternimmt sie einen neuerlichen Anlauf, wischt die Pfanne aus, zerlässt ein weiteres Stück Butter, schöpft Teig hinein, zieht die Pfanne auf kleineres Feuer und lässt alles keinen Herzschlag lang aus den Augen. Sie wirft nur einen kurzen, misstrauischen Blick über die Schulter nach hinten, wo ein tropfnasses, bis an die Schnurrhaare bebendes und zutiefst mit seinem Schicksal haderndes Katerkind sich unter dem Tisch zusammengekauert hat und eifrig dabei ist, sich das milchdurchweichte Fell zu putzen. Wenigstens ist der kleine Kater erst einmal mit sich selbst beschäftigt, so dass er eine Zeitlang nicht auf noch mehr dumme Gedanken kommt. Doch das Schicksal meint es in dieser Nacht nicht gut mit ihr.

Als der Eierkuchen in der Pfanne aussieht, als wäre genau jetzt der Zeitpunkt, ihn zu wenden, findet sich natürlich in Bethels sonst so perfekt ausgestatteter Küche prompt kein einziger Pfannenwender. Auch kein Kochlöffel, kein Brotschieber, nichts, was sich auch nur halbwegs dafür eignen würde, den Pfannkuchen umzudrehen.
Halt. Moment mal. Bethel macht das doch auch immer so .... so ... was soll's, ich versuche es einfach. Beherzt packt sie den schweren Pfannenstiel und mit elegantem Handgelenksschwung befördert sie den Eierkuchen ins dämmrige Nirgendwo hoch über ihr. "Ups." Angestrengt späht sie in das Halbdunkel. Dummerweise hat sie nicht bedacht, dass die Küche ja keine Decke hat, sondern nur ein Paar Oberlichter zwei Stockwerke über ihr. Sie späht und späht, aber der verdammte Pfannkuchen kommt nicht wieder zurück.
"Der kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben?" Verwirrt kratzt sie sich den Kopf und blickt zweifelnd auf ihre Füße hinunter - oder zumindest dahin, wo sie sie vermutet. Hm. Die Schwerkraft funktioniert noch. Wo. Ist. Dieser. Verdammte. Pfannkuchen?
Irgendwie dämmert ihr gerade, dass etwas gewaltig schiefgelaufen zu sein scheint. "Oh, verfluchter Mist..." Sie knallt die heiße Pfanne zurück auf den Herd, rafft das Nachtgewand zusammen und stürzt aus der Küche in Richtung Treppe und Obergeschoss. "Dalla wird mich umbringen, wenn sie morgen feststellt, das ihre sauber geputzten Oberlichter mit halbrohen Omeletts verziert sind." Keuchend hetzt sie die Stufen hinauf, stranguliert sich fast mit ihrem Nachthemd, weil sie in ihrer Hektik auf den Saum tritt, und hat gerade das obere Ende der Treppe erreicht, als ein ohrenbetäubendes Scheppern aus der Küche dringt. Es klingt nicht so, als hätte sie jetzt die Zeit, nach dem verlorengegangenen Pfannkuchen zu suchen, sondern genau so, als sei ihre Anwesenheit in der Küche gerade dringend erforderlich - das heißt, eigentlich klingt es eher so, als hätte sie die Küche besser gar nicht erst verlassen sollen. Sie vollführt einen halsbrecherischen Linksschwenk und galoppiert Bauch voraus mit wehendem Haar und flatternden Hemdschößen die Treppe wieder hinunter, um zu retten, was noch zu retten ist.

Das Bild, das sich ihr in der Küche dann bietet, erinnert sie verdächtig an ein Schlachtfeld. Bethels geheiligtes Refugium hat sich in einen Alptraum aus Scherben, verschütteter Milch, verstreuten Eierschalen, einer rauchenden Pfanne und einem Kater verwandelt, der aussieht wie frisch paniert. Mehlstaub hängt ihm im Fell, im Schnurrbart, an den Pfoten, auf Tisch und Stühlen, in der Luft, auf dem Fußboden und großflächig verteilt überall da, wo Mehl garantiert nichts zu suchen hat. Argh! Argh! Argh! Bebend vor Empörung pflückt sie den Delinquenten am Nackenfell aus dem angerichteten Schlamassel und verfrachtet ihn kurzerhand in die Spülküche hinaus. Den Göttern sei Dank scheint wenigstens das Gesinde einen gesegneten Schlaf zu haben und bis auf eine kurze Rhythmusstörung in Bethels Schnarchgeräuschen herrscht weiterhin schläfriger Friede hinter der Tür zu den Gesindekammern. Und so schnell will Raven auch nicht aufgeben und von dem bisschen Chaos lassen sich weder ihre wilde Entschlossenheit, noch ihr Heißhunger bremsen. Bei Bethel sieht das aus wie ein Kinderspiel, also sollte ich doch in der Lage sein, das wenigstens halbwegs hinzukriegen... Eine gute Viertelstunde später hat sie das Durcheinander wieder einigermaßen beseitigt, die Eierschalen und den zerdepperten Milchkrug entsorgt, und startet einen neuerlichen Versuch. Doch auch der zweite Pfannkuchen verschwindet auf Nimmerwiedersehen irgendwo in den dämmrigen Schatten hoch über ihrem Kopf und kommt nicht wieder, ebenso der dritte und der vierte. Völlig verwirrt starrt sie in die Höhe und beginnt allmählich ernsthaft an ihrem Verstand zu zweifeln. "Das gibt es doch nicht. Irgendwo müssen diese verdammten Omelettes doch abgeblieben sein!"

Zum zweiten Mal binnen kurzer Zeit macht sie sich auf den Weg durch die Halle, stapft mit grimmigem Gesicht die Treppe hinauf und den langen Flur entlang, der an der Galerie oberhalb der Küche endet. Von hier aus müsste sie sogar im dämmrigen Zwielicht die Decke und die Oberlichter erkennen können, und genau so ist es auch, als sie sich über das Geländer beugt, so weit es ihr Bauch zulässt, und ihre Augen im Zickzackkurs Decke, Wände und Oberlichter absuchen. Nur von den Pfannkuchen fehlt jede Spur. Sie sucht jeden Winkel ab, das Geländer, den Fußboden, den Flur - die Pfannkuchen bleiben verschwunden, als hätten sie sich in Luft aufgelöst. Wutentbrannt und der Verzweiflung nahe macht sie sich wieder auf den Rückweg nach unten, inzwischen schon vollkommen außer Atem von dem ganzen Gerenne, aber umso wilder entschlossen, wenigstens einen essbaren und körperlich anwesenden Eierkuchen zu fabrizieren, der jetzt verdammt noch mal endlich ihren Heißhunger besänftigen würde, und dabei auch noch das Rätsel ihres Verschwindens zu lösen. Allmählich geht auch schon der angerührte Teig zu Ende, gar nicht zu reden von ihrer Geduld oder dem halben Pfund Butter, das sie inzwischen schon ohne nennenswertes Ergebnis verbraten hat. Das Teigeinfüllen in die heiße Pfanne klappt nach all den Versuchen mittlerweile auch schon wunderbar, ihr Handgelenksschwung ist nahezu perfekt, nur mit den Flugeigenschaften der Omelettes scheint irgend etwas ganz und gar nicht zu stimmen, denn auch Pfannkuchen Nummer fünf segelt in die Dunkelheit davon und taucht nicht wieder auf. Kopfschüttelnd lässt sie sich auf die Küchenbank sinken und starrt auf den winzigen Teigrest, der in der Schüssel verblieben ist und nicht mal mehr für einen Kinderpfannkuchen reichen würde. Sie ahnt, dass sie heute wohl keine Omelettes mehr essen wird und als Köchin darüber hinaus noch kläglich versagt hat, und der abgrundtiefe Seufzer, den sie ausstößt, klingt wirklich ziemlich resigniert. Wovon sie dagegen nichts ahnt, ist, dass sich eine zottelige, graue Hundeschnauze ein Stockwerk über ihr erwartungsvoll durch das Geländer der Galerie bohrt und auf den sechsten Pfannkuchen wartet. Eine ganze Weile hockt Stelze noch wie gebannt vor dem Geländer, darauf wartend, dass vielleicht noch mehr von diesen komischen, flachen Dingern durch die Luft gesegelt kommen, aber dann trollt er sich und gibt sich auch mit fünf zufrieden. Pflichtbewusst wie er als guterzogener, treuer Wolfshund nun einmal ist, hatte er brav alles eingesammelt, was sein dummes Frauchen so unachtsam verloren hatte, und hatte gewissenhaft alles zu seinem Herrchen gebracht. Leise schlüpft er durch die Tür zurück ins Schlafgemach und lässt sich mit einem zufrieden Grunzen neben Caewlins Bett nieder, wo feinsäuberlich auf dem Dielenboden ausgebreitet fünf wunderbar goldgelbe Eierkuchen darauf warten, dass Frauchen sie endlich holen kommt.

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Caewlin am 27. März 2006, 14:18 Uhr
"Das ist, wenn ihr im Bett miteinander kämpft und komische Geräusche macht?!" Echot er atemlos, als Raven ihm von Bryndens nachmittäglicher Fragestunde berichtet, und spürt wilde Erheiterung in sich aufsteigen. Einen Moment später lacht er schon so sehr, dass ihm das Wasser in den Augen steht und ihre ganze Bettstatt unter den leisen Erschütterungen bebt. "Götter im Himmel, ich kann nicht mehr..."
>Pöh! Du hast gut lachen! Du hast dir ja auch keine Antworten überlegen müssen. Ich hätte mir fast die Zunge abgebissen, weil ich nicht wusste, wie ich das erklären soll. Und dann noch das Lied, das Pyp ihm beigebracht hat!< Ihre rechtschaffene Empörung lässt ihn nur noch mehr lachen und er prustet immer noch ein wenig, als es ihm irgendwann gelingt in ziemlich ungerührter Logik einzuwerfen: "Nun, irgendwann muss er es sowieso lernen, nicht wahr?" Raven bemüht sich sehr, die Reste ihrer entrüsteten Würde zusammenzuhalten, doch irgendwann gibt sie auf und kichert genauso hilflos wie er. >Brynden allein ist schon schlimm genug, wie sollen wir nur zwei von dieser Sorte überstehen?<  
"Vielleicht haben wir Glück und es wird ein Mädchen..." er streicht eine ihrer lange Haarsträhne aus ihrem Gesicht, legt sie hinter ihr Ohr und sieht sie an. Das Feuer im Kamin ist für die Nacht abgedeckt, doch die dicke Stundenkerze neben dem Bett brennt noch. Ihr Licht lässt ihre langen Wimpern Schatten werfen, spielt über die feinen Knochen von Gesicht und Schultern, tanzt in ihren Augen und glüht in ihrem Haar. "Obwohl ich mir habe sagen lassen, die wären noch neugieriger." Sie lächelt nur und einen Herzschlag später spürt er ihre Hände auf seiner Haut, ihren Mund auf seinem Hals, seinem Gesicht, das sie mit einem Dutzend sanfter Küsse nachzeichnet. >Wobei .... das mit dem miteinander kämpfen klingt gar nicht mal schlecht,< hört er sie atemlos murmeln und kann ihr in Gedanken nur beipflichten - sein Mund ist gerade anderweitig beschäftigt, von seinen Fingern ganz zu schweigen. >Und das mit den komischen Geräuschen auch nicht ...<
"Aye. En garde."

Caewlin erwacht mitten in der Nacht aus einem chaotischen Traum, der im Wesentlichen aus wild durcheinandergewirbelten Eindrücken und Gefühlen besteht, und weiß im ersten Moment nicht, was ihn eigentlich geweckt hat. Er hat allerdings auch nicht die geringste Lust, es überhaupt herauszufinden, sondern dreht sich um, klopft das Kissen wieder unter seinem Kopf zurecht, und zieht sich die Bettdecke über die Schultern. Dann tastet er mit der Hand neben sich über glatte Kammgarnlaken auf der Suche nach Ravens warmer Haut, doch er findet nur Leere, kühl und verlassen. Noch benommen vom Schlaf und den wirren Echos seiner konfusen Traumbilder, dauert es einen Moment, bis er begreift, dass irgendetwas nicht stimmt. Als erstes stellt sich das leise, aber penetrante Gefühl ein, dass Raven nicht mehr neben ihm liegt, dann realisiert er den bitteren, rauchigen Geruch in der Luft - als ob Bethel etwas auf dem Herd hätte anbrennen lassen. Anbrennen? Mitten in der Nacht? Vewirrt hebt er den Kopf und blinzelt müde um sich. Die Nacht draußen ist wolkenverhangen, verregnet und pechschwarz, kein Mondstrahl und kein Sternenlicht dringt durch die Fenster, und so herrscht im Schlafgemach fast vollkommene Finsternis. Im Kamin glimmt es noch schwach und rot, doch mehr als die Feuerstelle und ihre gemauerte Einfassung, und die Umrisse von Akiras pelzigen Ohren davor, beleuchtet der dämmrige Schein nicht. Es dauert eine Weile, ehe seine Augen sich an das düstere Halbdunkel gewöhnt haben, aber was er sieht, macht ihn auch nicht schlauer. Das Haus scheint vollkommen still und friedlich, nur der Regen trommelt leise auf das Dach und murmelt beruhigend gegen die Fensterscheiben. Dass Raven, hochschwanger wie sie ist, öfter als ihr lieb ist nachts auf den Abtritt eilen muss oder geweckt wird, weil das Kind in ihrem Leib sie mit wilden Tritten nicht zur Ruhe kommen lässt, ist nichts Neues, also sollte er sich bei ihrem Fehlen eigentlich gar nichts denken, dennoch... von einer Unruhe erfüllt, die er beim besten Willen nicht deuten kann, angelt er nach der Zunderschachtel auf dem Nachttisch und einen Moment später erfüllt warmes Kerzenlicht den Raum. Akira döst am Kamin, Stelze sitzt wach, jedoch keineswegs wachsam, vor dem Bett und mustert ihn erwartungsvoll aus gutmütigen braunen Augen, alle Möbelstücke befinden sich an ihrem Platz, aus Bryndens Zimmer dringt kein Laut und die Tür zum Gang steht halb offen, vermutlich weil Raven hindurchgeschlüpft war... bis auf die eklatant leere Betthälfte neben ihm ist eigentlich alles, wie es sein sollte.

Plötzlich erinnert er sich, dass er in dieser Nacht vor einer Weile schon einmal wach gewesen ist, weil Raven sich auf einmal in seinen Armen herumgewunden hatte, als hätte sie eine Ladung Kröten unter dem Hemd, dann aber wieder eingeschlafen war. Götter im Himmel... Raven, das Kind... ah djävla! Butrünstige, alptraumhafte Schreckensvisionen von seiner Frau schießen ihm durch den Kopf, die vielleicht gerade in diesem Moment irgendwo hilflos liegt und sich vor Schmerzen windet, und sein Mageninhalt verwandelt sich augenblicklich in Säure. Caewlin setzt sich auf und wirft sich aus dem Bett, nur um mit den Zehen prompt in etwas zu landen, das die leicht schwammige Beschaffenheit eines halbgetrockneten Kuhfladens aufweist, und dazu die Konsistenz und Glätte von Schmierseife besitzt. "Was...?" Um ein Haar wäre er darauf ausgerutscht, aber da er unmittelbar am Bettrand steht, plumpst er nur mit den Armen rudernd zurück auf die Matratze, die unter seinem Gewicht protestierend ächzt, und starrt dann sprachlos auf das Ding, das da unter seinem rechten Fuß klebt. Es sieht irgendwie aus wie ein halbgarer Pfannkuchen, es fühlt sich auch an wie ein halbgarer Pfannkuchen, und es hat obendrein auch noch vier Brüder und Schwestern mitgebracht, die ebenfalls alle aussehen wie halbgare Pfannkuchen - und die irgendjemand ordentlich wie Fußangeln vor seiner Bettseite ausgelegt hat. "Was...?" Wiederholt er perplex und blinzelt vollkommen verwirrt auf das Tretminenfeld aus Eierkuchen auf dem Boden.
Wuff!
"Was?!"
Stelze hechelt selig, öffnet die grauborstige Schnauze zu einem zufriedenen Hundegrinsen und fegt eifrig mit dem pelzigen Schweif über die Dielen. "Kannst du mir vielleicht sagen, wie bei allen Neun Höllen diese Pfannkuchen hierher kommen?" Hat Bethel am Abend noch gebacken? Er kann sich nicht erinnern. Unwahrscheinlich. Selbst wenn Bethel Eierkuchen gemacht hätte, sie hätte sie garantiert auch fertig gebacken. Außerdem hatten die Hunde noch nie, noch kein einziges Mal, irgendetwas Fressbares aus der Küche gestohlen, von einem Tisch oder der Anrichte ganz zu schweigen... und sie hätten die Omeletts zudem wohl kaum erst mitgehen lassen und sie dann doch nicht gefressen.

Wuff! Noch mehr Gewedel. Und Stelze sieht obendrein aus, wie nur ein Hund aussieht, der gerade eine Meisterleistung vollbracht hat und das auch genau weiß. "Pelzgesicht," warnt Caewlin und pult sich dabei Teigreste vom Fuß, "das ist nicht komisch. Wenn du diese Pfannkuchen aus Bethels Küche geräubert hast, bist du damit für den Rest deines Lebens in Ungnade gefallen, das ist dir hoffentlich klar. Ein Hund ohne jedes Ansehen. Ein Köter. Nie wieder Schinkenstreifen. Nie wieder Markknochen oder Bratenreste. Maulkorb. Kette. Hundehütte."
Noch ein Wuuuff! folgt, begleitet von einem eindeutig entrüsteten Schnauben, dann schiebt Stelze das nächstliegende Omelett auffordernd mit der Schnauze näher. "Was? Was soll ich denn damit? Ich spiele nicht Eierkuchenweitwurf mit dir, hier drinnen schon gar nicht..."
Wäre Stelze in der Lage gewesen über soviel menschliche Begriffsstutzigkeit entnervt die Augen zu verdrehen, er hätte es vermutlich getan. So allerdings blinzelt er nur schicksalsergeben durch silbergraue Stirnfransen, packt einen Pfannkuchen vorsichtig und fast geziert  mit den Zähnen am Rand und legt ihn Caewlin dann feierlich wie ein Geschenk auf die Knie. "Hmpf, danke, aber..." Eierkuchen Nummer zwei folgt, dann der dritte und so fort, bis Stelze sie tatsächlich alle aufgesammelt und ihm höchstpersönlich überreicht hat. "Ja, schön. Guter Hund. Guter Hund. Ich habe zwar immer noch keine... Himmel, Raven!" Von den Pfannkuchenfallen auf dem Boden kurzzeitig völlig abgelenkt, kehrt die nagende Sorge um seine verschwundene Frau nun mit aller Macht zurück, und Caewlin beeilt sich, aufzustehen, in eine Hose zu schlüpfen, einbeinig herumhumpelnd und wild fluchend die restlichen Teigkrümel von seinem Fuß zu kratzen, in keine weiteren Omeletts mehr zu treten und sich bei all dem auch möglichst nicht den Hals zu brechen - bis sein Blick auf Stelze fällt, der hochzufrieden mit sich und der Welt noch immer den hastig beiseite gelegten Pfannkuchenstapel bewacht. Moment mal... Der Hund würde niemals hier so seelenruhig sitzen und freundlich herumwedeln, wenn sein geliebtes Frauchen irgendwo in Schwierigkeiten oder sogar ernsthaft in Gefahr wäre. Caewlin hält den Atem an, mustert Stelze noch einen Augenblick, atmet dann erleichtert auf und entspannt sich ein wenig. Wo immer Raven auch ist, sie scheint zwar schlaflos, aber auch ganz bestimmt wohlauf und unversehrt.

Er wirft dem Wolfshund einen langen, strengen Blick zu, ob er nicht vielleicht doch wenigstens den Ansatz schlechten Gewissens zeigen würde, doch Stelze scheint die personifzierte Unschuld - und Akira ist so desinteressiert an allem, was um sie her vorgeht, dass sie als Übeltäterin wohl auch nicht in Frage kommt. Mäuseschreck vielleicht? Caewlin sieht sich um, doch von der Katze ist im ganzen Schlafgemach kein getigertes Haar zu entdecken. Von Ravens kleinem roten Katerchen auch nicht, aber der wäre, so winzig wie er noch ist, gar nicht in der Lage gewesen, auch nur einen Pfannkuchen durchs ganze Haus zu schleppen, von fünf ganz zu schweigen. Brynden? Nein, der hätte sie alle verschlungen und nicht ein Krümelchen übrig gelasen. Und das erklärt ohnehin alles nicht ihren halbrohen Zustand... Nachdenklich hebt Caewlin mit spitzen Fingern den obersten Eierkuchen hoch und betrachtet ihn im Kerzenschein genauer. Eine Seite ist wunderbar goldgelb gebacken, die andere käsigfeucht ohne auch nur einen Hauch von Farbe, wenn auch inzwischen schon leicht angetrocknet. Hundehaare kleben mittlerweile allerdings an allen, in einem der dünnen Teigfladen ist ein wundervoller Fußabdruck, und an den Rändern weisen die Omeletts, wenn auch äußerst dezent, Perforierungen von Stelzes Zähnen auf. Caewlin mag ja nicht viel Ahnung vom Kochen haben, aber selbst er weiß, dass man Pfannkuchen normalerweise auf beiden Seiten bäckt. Dass Stelze die Dinger irgendwoher angeschleppt hat, steht außer Frage angesichts des Eifers, mit dem er sie ihm aufgedrängt hatte und der Hingabe, mit der er sie nun bewacht... bloß woher beim Dunklen mag er sie haben? Wären sie alle durch, hätte Caewlin einfach angenommen, Stelze hätte vorübergehend seine gute Erziehung und sich selbst vergessen und sie, warum auch immer, aus der Küche stibitzt - doch wer stellt schon unfertige Pfannkuchen irgendwo ab, damit ein Hund sie stehlen kann? Wandelt Bethel womöglich neuerdings Schlaf und fängt mitten in der Nacht das Kochen an? Hat Raven sie dabei vielleicht aufgestört und bringt sie nun nicht zurück ins Bett? Und wieso verdammt nochmal riecht es hier angebrannt, wenn diese Pfannkuchen noch nicht einmal gar sind? Diese und ähnliche Gedanken gehen Caewlin im Dutzend durch den Kopf, doch alle möglichen Antworten werfen entweder nur noch mehr Fragen auf oder sind völlig absurd. Stelze, offenbar der Meinung, seine Schuldigkeit als Eierkuchenwächter und Apporteur nun getan zu haben, will sich schon wieder neben Akira vor dem Kamin zusammenrollen, doch Caewlin lässt ihn nicht. "Oh nein, Pelzgesicht, du kommst jetzt schön mit mir. Wir gehen auf Spurensuche. Und hoffentlich finden wir ganz nebenbei auch meine verloren gegangene Frau wieder..."

Gesagt, getan - bewaffnet mit fünf Pfannkuchen, tappen sie also Seite an Seite aus dem Schlafgemach über den Flur zur Treppe nach unten, und Caewlin bemerkt den schwachen Lichtschein, der durch die Galerie am anderen Ende des Ganges heraufdringt - immerhin die ominösen Eierkuchen scheinen zumindest in ihrer Küche entstanden und nicht etwa vom Himmel gefallen zu sein. Das ganze übrige Haus ist schläfrig und dunkel, als sie die Halle in Richtung Küche durchqueren, und sie haben die Tür noch nicht einmal geöffnet, als ihnen gedämpft auch schon das sonore Schnarchkonzert aus dem Gesindetrakt entgegengrunzt. In der Küche selbst herrschen Festtagsbeleuchtung und prasselndes Herdfeuer, und Raven sitzt im Nachtgewand mutterseelenallein am Tisch, eine ausladende Teigschüssel vor der Nase, seufzt aus tiefster Seele und späht dann mit zweifelnd umwölkter Stirn in das dämmrige Halbdunkel über ihr. Von einer schlafwandelnden Bethel oder anderen Gesindemitgliedern keine Spur. Caewlin sieht seine Frau, sieht die Pfanne auf dem Herd, den kläglichen Teigrest in der Schüssel, die Mehlstaubspuren überall und die Zutaten auf dem Küchentisch, ihren gleichzeitig verwirrten und verärgerten Blick hinauf zu Galerie und Oberlichtern, deren Umrisse sich irgendwo in der Dunkelheit verlieren, und langsam dämmert ihm, was geschehen sein muss... wenigstens so ungefähr. Oh! Blitzartig schießt ihm das Bild einer Eierkuchen backenden Bethel durch den Kopf, die summend am Herd steht und Omeletts für Gewöhnlich mit einem raschen, knapp bemessenen Schwung nicht nur einfach wendet, sondern sie für Brynden und Runa - die solche Darbietungen höherer Kochkunst immer mit Begeisterung verfolgen, - erst hochwirbeln und dann mit perfektem Dreifachsalto wieder in die Pfanne gleiten lässt. Er selbst hat diesen Vorführungen hin und wieder genauso ehrfürchtig zugesehen, denn Caewlin hat vom Kochen ungefähr soviel Ahnung wie ein Mammut der Eisigen Öden von der azurianischen Wüstensonne, nämlich gar keine. Sicher, er kann erlegtes Wild häuten, ausweiden und auf einen Stock gespießt über einem Feuer zu einem zähen Klumpen, der außen schwarz und innen roh ist, rösten, aber das als Essen zu bezeichnen wäre vermessen, und es auch noch schmackhaft zu nennen geradezu größenwahnsinnig. Wie oft hat Rykar Beth schon damit aufgezogen, irgendwann würde sie einen Pfannkuchen noch über die Galerie oder gar durch ein Oberlicht werfen? Er hat keine Ahnung, ob es Bethel schon passiert ist, aber Raven scheint es gleich fünfmal hintereinander gelungen zu sein - und oben an der Galerie muss Stelze, hilfsbereit wie immer, dann alles aufgelesen und ihm gebracht haben. Ja... und wenn sie dort war, um nach den verschwundenen Eierkuchen zu sehen, hat sie logischerweise keinen einzigen mehr entdeckt, weil sie alle längst vor meinem Bett lagen.

Stelze, überglücklich sein Frauchen wiederzuhaben, hechelt zum Tisch und legt ihr mit seelenvollem Schnauben den Kopf auf die Knie, so dass sie verwirrt aufblickt. Caewlin, barfuß und nur in Hosen, kann gerade noch die Pfannkuchen hinter seinem Rücken verstecken. Dann bückt er sich unter dem Türsturz hindurch und tritt zu ihr an den Tisch - sorgsam darauf bedacht, kein verräterisches Grinsen oder auch nur den allerkleinsten Omelettkrümel sehen zu lassen. Raven krault Stelze geistesabwesend hinter den Ohren, murmelt mit verdächtig rosanen Wangen etwas von "wollte niemanden Wecken" und fügt sich dann seufzend in ihr Schicksal als ertappte Mitternachtsköchin. Sie steht auf, beginnt entschlossen ihre Sachen auf dem Tisch einzusammeln und nuschelt dabei erbost etwas von "Heißhunger", "Pfannkuchen" und "blöden Teigdingern, einfach weg. Weg, verschwunden, in Luft aufgelöst oder so..."
Er hätte sie gern noch ein wenig länger hingehalten, aber er kann einfach nicht widerstehen, holt grinsend die Eierkuchen hinter seinem Rücken hervor und lässt sie zwischen Daumen und Zeigefinger baumeln. "Ah ja? Wie wär's mit denen?"
Raven stutzt, starrt abwechselnd mit geweiteten Augen ihn selbst und die Omeletts in seiner Hand an, und schnappt ihm dann alle fünf auf einmal mit einem entrüsteten "wie-kannst-du-nur-Blick" aus den Fingern.
"Oh nein," beeilt er sich zu versichern und deutet auf Stelze. "Da sitzt dein Pfannkuchendieb. Ich habe damit überhaupt nichts zu tun. Ich bin aufgewacht, weil ich wirr geträumt hatte. Du warst nicht da, und als ich aufstehen wollte, um nach dir zu sehen, bin ich auf einen getreten." Er deutet auf seinen Fuß, wackelt demonstrativ mit den Zehen und ihre Empörung und ihr Bedauern scheinen sich spontan in Neugier zu verwandeln. "Sie lagen alle fünf vor meinem Bett, bewacht von diesem Eierkuchengardisten, der das alles wahrscheinlich für ein wunderbares neues Spiel gehalten hat." Caewlin wirft erst dem Wolfshund einen Blick zu, dann sieht er zur Galerie empor und schätzt die Entfernung mit den Augen ab. "Deine Vorhand ist ein Prachtstück... bis da oben ist es ganz schön weit für einen fliegenden Eierkuchen. Ich glaube nur nicht, dass man sie noch essen kann. In einem ist mein Fußabdruck. Und Stelze hatte alle im Maul." Er sieht sie an und aus seinem Grinsen wird ein Lächeln. "Wenn du immer noch Hunger auf Pfannkuchen hast, müssen wir noch einmal welche backen min koerlighed." Er beugt sich zu ihr und küsst ein wenig Mehlstaub von ihrer Nasenspitze. Raven blickt zwar immer noch misstrauisch, aber auch schon ein bißchen versöhnlicher drein. Vielleicht tröstet es sie ja ein wenig, dass er die selben Prioritäten wie sie an den Tag - oder eher an die Nacht - legt. "Ich kann dir ja helfen."

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Raven am 29. März 2006, 21:51 Uhr
Eine struppige, graue Hundeschnauze schiebt sich über Ravens Knie und unterbricht ihre trüben Gedanken, die sich gerade um einen schrecklich knurrenden Magen, verschwundene Pfannkuchen und vor allem um die Beseitigung des Küchenchaos drehen, in dem sie gerade sitzt. Verwirrt tätschelt sie den Wolfshund, der sie mit steinerweichendem Ich-bin-klein-mein-Herz-ist-rein-Blick unter zotteligen Stirnfransen hervor anblinzelt und so heftig wedelt, dass hinter ihm eine Wolke Mehlstaub vom Fußboden aufsteigt, aber bevor sie sich darüber wundern kann, was er hier in der Küche zu suchen hat, sieht sie hinter ihm auch schon Caewlin in der Tür auftauchen - ohne Hemd und ohne Socken und mit schlafzerzauster Haarmähne. Seine Miene ist so unergründlich wie eine Ziegelmauer und kann alles mögliche heißen, von "Bist du närrisch geworden, Weib?" bis "Komm wieder mit ins Bett", also lässt sie ihn sicherheitshalber gar nicht erst zu Wort kommen, sondern fängt ohne Umschweife und wild gestikulierend damit an, alle möglichen Erklärungen hervorzusprudeln und hektisch ihre in der ganzen Küche verstreuten Siebensachen einzusammeln. Aus ihrer verworrenen Erzählung über fliegende Eierkuchen und in Milchtöpfen badende Katzen würde vermutlich nicht einmal ein hellseherisch veranlagter Gelehrter schlau werden, und sie muss insgeheim zugeben, dass die Geschichte wirklich ziemlich haarsträubend klingt. "Jedenfalls sind sie weg", schließt sie kläglich und lässt sich erschöpft wieder auf die Bank sinken. "Weg, fort, verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt. In Luft aufgelöst. Und ich habe immer noch Hunger und außerdem ...." >Ah ja?<, unterbricht Caewlin grinsend ihren Wortschwall. >Wie wär's mit denen?<

Als Raven verwirrt den Blick hebt, bleibt ihr vor Verblüffung tatsächlich erst einmal das Wort im Hals stecken und der Mund offen stehen, und sie starrt sprachlos auf die halbrohen Teiglappen, die zwischen seinen Fingern baumeln.
"Wiewiewie..." Jetzt versteht sie wahrhaftig die Welt nicht mehr und ihr Blick irrt ratlos zwischen Caewlins Gesicht und den Omeletts hin und her. Sabotage? Zauberei? Gespenster? Ja, spinne ich denn?
"Wie bei allen Göttern kommst du an diese Pfannkuchen??"
Mit einem empörten kleinen Schnauben rupft sie ihm besagte Corpora delicti aus den Händen. Eine besorgte Inspektion der zerfledderten Eierkuchen ergibt jedoch, dass sie - verziert mit Hundehaaren, Sabberspuren, Stelzes Gebissabdrücken und einer prächtigen Nordmannfußsohle - bestenfalls noch als Hundefutter taugen. Mit gerunzelter Stirn begutachtet sie die löchrigen Ränder. "Hast du die mit deinem Morgenstern bearbeitet?"  
>Oh nein<, weist Caewlin, auf ihren Blick aus schmalen Augen hin, jegliche Schuld energisch von sich. >Da sitzt dein Pfannkuchendieb. Ich habe damit überhaupt nichts zu tun. Ich bin aufgewacht, weil ich wirr geträumt hatte. Du warst nicht da, und als ich aufstehen wollte, um nach dir zu sehen, bin ich auf einen getreten. Sie lagen alle fünf vor meinem Bett, bewacht von diesem Eierkuchengardisten, der das alles wahrscheinlich für ein wunderbares neues Spiel gehalten hat.< Stelze unterstützt die Aussage und Caewlins demonstratives Zehengewackel mit einem nachdrücklichen Wuff!, einer Menge erfreuten Gewedels und einem Blick aus seelenvollen dunklen Augen, der einen Felsbrocken zum Schmelzen bringen würde und eindeutig die erwartungsvolle Frage beinhaltet: Na, bin ich nicht ein braver Hund? Na? Na?

Erbost starrt sie ihn an und hält ihm vorwurfsvoll ihren anklagend erhobenen Zeigefinger und die zerkauten Pfannkuchen unter die Nase, aber der Versuch, wütend auf ihn zu sein, schlägt vollends fehl und in ein belustigtes Kichern um.
"Hund, du hast so viel Stroh in deinem Schädel, dass man eine Herde Ochsen davon ernähren könnte", seufzt sie resigniert und zaust ihm die pelzigen Ohren, dann wandert ihr Blick, wieder einigermaßen mit dem Schicksal versöhnt, zu Caewlin zurück. >Wenn du immer noch Hunger auf Pfannkuchen hast, müssen wir noch einmal welche backen, min koerlighed.< Raven nickt wild, in der festen Überzeugung, dass sie auf der Stelle Hungers sterben wird, wenn sie nicht sofort etwas zu Beißen zwischen die Zähne bekommt. Zuerst bekommt sie jedoch einen Kuss auf die mehlbestäubte Nase gedrückt und das großzügige Angebot: >Ich kann dir ja helfen.<
"Ja, bitte! Vielleicht findest du in dieser perfekt organisierten Küche so etwas wie einen Pfannenwender - ansonsten werden wir eine Streitaxt zum Umdrehen der Omeletts nehmen müssen. Und wenn wir schon gerade bei Schuldzuweisungen sind...." Sie müht sich von der Küchenbank hoch und tappt, mehlige Fußspuren auf den Kacheln hinterlassend, Richtung Spülküche.
"... es war zwar meine Vorhand, aber für diese Schweinerei hier kann ich überhaupt nichts. Das war der hier." Kaum dass sie die Tür zur Spülküche einen Spalt geöffnet hat, saust auch schon ein kleiner, pelziger, rotgetigerter Kugelblitz heraus und ihnen durch die Beine. Raven würdigt er keines Blickes, sondern schmollt beleidigt und hoch erhobenen Hauptes an ihr vorbei, läuft ein paar Orientierungsrunden um Stelzes Pfoten und schnurrt dann begeistert Caewlins nackte Füße an, über die er sich sogleich hermacht, um sie von angetrocknetem Pfannkuchenteig zu befreien.
"Ich hole noch Milch aus dem Keller", verkündet Raven und wendet sich der Stiege zu. "Und Apfelmus und Marmelade." Caewlins Miene nimmt bei dieser Ankündigung so begeisterte Züge an, als hätte sie mit Schwarzer Pest und Pocken gedroht, so dass sie grinsend hinzufügt: "Ich bringe auch Räucherschinken, Speck und Zwiebeln mit, keine Sorge."

Als sie vollbeladen aus der Kellerluke wieder auftaucht, hat Caewlin inzwischen seine Zehen von hungrigen Katzen befreit und zudem noch zwei breite Holzspatel ausfindig gemacht, mit denen sie die Eierkuchen wenden können, ohne dabei Gefahr zu laufen, sie vor dem Essen erst lange suchen zu müssen. Raven kann ihr Glück kaum fassen, als letztendlich wirklich und wahrhaftig ein ganzes, von Hundezähnen und Nordmannfüßen völlig unbehelligtes, appetitlich goldgelb gebackenes Omelett vor ihr auf dem Teller liegt. Sie löffelt Erdbeermarmelade aus einem kleinen Tonkrug und verteilt sie großzügig und mehr als fingerdick auf ihrem Pfannkuchen, als sie plötzlich innehält und die Stirn runzelt. Verwirrung keimt in ihrem Blick auf und der Löffel bleibt marmeladetropfend mitten in der Luft hängen, als sie auf ihren Bauch hinunterstarrt, der plötzlich hart wie Stein geworden ist. Sie fühlt einen seltsamen Druck im Rücken, nicht besonders schmerzhaft, aber fremd und ein wenig unangenehm, und sie kann spüren, wie die Muskeln in ihrem Leib sich anspannen und das kleine Gewicht in ihrem Inneren ein Stück nach unten schieben. Schon am Abend zuvor und auch beim Einschlafen hatte sie es spüren können, nur leichter und noch nicht so deutlich, und sie hatte es einfach darauf geschoben, dass ihr Kreuz vom vielen Hin- und Herlaufen und dem Gewicht des Kindes schmerzt, doch nun ahnt sie, dass es vielleicht doch etwas anderes ist. Auf Caewlins fragenden Blick hin kann sie nur hilflos die Schultern zucken und ihn mit großen Augen ansehen.
"Ich weiß nicht....", gesteht sie mit einem schiefen Lächeln und versucht, wie die Ruhe selbst auszusehen, während hinter ihrer Stirn tausend Fragen durcheinander purzeln und ihr Herz vor Unsicherheit und Aufregung auf einmal ganz stolprig klopft. "Es tut nicht sehr weh, es fühlt sich nur komisch an ... als ob das Kind nach unten rutschen würde. Als wir bei Cron und Niniane im Baum waren, erzählte sie etwas von Senkwehen und dass man es spüren kann, wenn das Baby ins Becken rutscht und sich allmählich bereit für den Aufbruch macht. Vielleicht tut es das gerade..."

Noch ein halbes Dutzend Herzschläge, dann ist das sonderbare Gefühl und das Ziehen in ihrem Leib wieder vorbei und sie merkt, dass sie viel leichter Atem holen kann und der Druck, der seit einigen Siebentagen auf ihrem Magen lastet, fast verschwunden ist. Prompt meldet jener sich mit einem hungrigen Knurren und bringt sie dazu, sich wieder ihrem Pfannkuchen zu widmen. Aber die Unsicherheit bleibt und noch etwas drängelt sich nach vorne, das ihr auf dem Herzen liegt und über das sie sich seit Tagen den Kopf zerbricht. Angestrengt arbeitet sie an ihrem Omelett herum und schmiert Marmelade mal hierhin, mal dorthin, wo es eigentlich schon längst nichts mehr zu schmieren gibt, rollt es zusammen und wieder auseinander, schnippelt daran herum, schmiert und rollt und stochert und schiebt es ganz und gar sinnlos auf ihrem Teller hin und her, während sie nach den richtigen Worten sucht. So lose und vorlaut ihr Mundwerk auch manchmal sein kann, so gibt es doch Dinge, die sie nicht richtig in Sätze kleiden kann und bei denen ihr das Reden sichtlich schwer fällt. Eine Weile foltert sie noch ihren Pfannkuchen und druckst ein wenig betreten herum, aber schließlich fasst sie sich doch ein Herz.
"Ich wollte dir noch etwas sagen", beginnt sie zaghaft und sucht Caewlins Blick. "Oder ... hm, dich etwas fragen. Weil ... also .... wegen dem Baby..." Wie sage ich das nur?
"Ich habe noch nie ein Kind geboren und weiß nicht viel von solchen Dingen, aber Niniane hat mir einiges erzählt und ich habe natürlich auch alle möglichen Geschichten darüber gehört ... manchmal recht blutrünstige ...", von denen ich mir jetzt wünschen würde, ich würde sie besser nicht kennen, "...und ... naja, es ist sicher nicht unbedingt eine schöne oder appetitliche Sache, ein Kind auf die Welt zu bringen, und ich ... also ich habe gehört, dass Männer das oft .... hm, abschreckend finden, du weißt schon, Blut und Schmerz und das alles ... und dass sie, ähm ... dass sie deswegen hinterher auch ihre Frauen abschreckend finden, und sie nicht mehr ... dass sie dann nicht mehr...." Herrje, was rede ich denn nur für einen Unsinn zusammen!
In ihrer Not verhaspelt sie sich immer mehr und bringt doch nicht heraus, was sie eigentlich sagen will, und am liebsten würde sie sich in einem Mauseloch verkriechen oder einfach losheulen, weil es ihr schlicht nicht gelingen will. "Was ich sagen will, ist ... " Verlegen starrt sie auf ihren marmeladeertränkten Pfannkuchen und versucht dabei angestrengt, in ihrem Nachthemd zu versinken. "Ich würde mir so sehr wünschen, dass du bei mir wärst, aber du ... du musst dich dazu nicht verpflichtet fühlen, du musst das nicht, wenn du das nicht willst. Ich möchte nur, dass du das weißt."

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Caewlin am 02. Apr. 2006, 11:58 Uhr
"Pfannenwender? Moment... Pyp und Ieras haben sich immer gegenseitig damit verdroschen, als Kizumus Sohn noch... hm, kleiner und eine Weile bei uns war." Während Caewlin sich in den Eingeweiden der Kassettenschränke auf die Suche nach Kochgeschirr macht, tappt Raven zur Spülküche, um den wahren Schuldigen des mitternächtlichen Küchenchaos in die Freiheit zu entlassen. >...es war zwar meine Vorhand, aber für diese Schweinerei hier kann ich überhaupt nichts. Das war der hier.< Der kleine rote Kater hat allerdings nichts besseres zu tun, als ihm dauernd zwischen den nackten Füßen herumzuscharwenzeln, bis Caewlin, zwischen Kochlöffeln und Schöpfkellen wühlend, fast auf ihn tritt. Er kann ihn - in der Hocke vor weit geöffneten Schranktüren kauernd -, so oft beiseite schieben, wie er will, Klein-Rothaar hat es offenbar auf den Pfannkuchenduft an seinem rechten Fuß abgesehen und umschnurrt den auch mit wachsender Begeisterung. Hmpf. Nun, immerhin stinken sie nicht nach Käse, auch etwas wert... "Lass es dir ja nicht... agh!" Das Katerchen schabt prompt mit seiner winzigen, rosa Zunge eifrig über Caewlins Ferse und faucht auch noch rechtschaffen empört, als er ihn fortscheucht. "Hörst du wohl auf damit? Wo hat Beth nur die verdammten Pfannenmesser hinge...ah, hier!" Kaum ist er endlich fündig geworden, hat er das maunzende Fellknäuel praktisch auf dem Fuß sitzen, und bekommt neben einer rauhen Zunge auch noch eine Kostprobe scharfer Krallen und spitzer Katzenzähnchen in die Zehen, was sich ungefähr so anfühlt, als ramme ihm Dalla alle ihre Stopfnadeln bis zum Anschlag ins nackte Fleisch. "Ah Djävla!" Caewlin kann sich gerade noch davon abhalten, dem kleinen Rotzlöffel mit dem Holzspatel eins überzubraten. Da er das impertinente Katzenkind aber nicht unbedingt gleich umbringen, und ihm auch keine Knochen brechen will, pflückt er es sich nur leise fluchend vom Fuß und schüttelt es leicht. "In Menschenfüße wird nicht gebissen. Wenn du so verfressen bist, dass du selbst bei Bethel noch hungerst, dann lern' Mäuse zu fangen! Und jetzt kusch." Er setzt das Katerchen unsanft auf den Boden, wo es sich kurz schüttelt, ihn beleidigt aus grünen Augen anfunkelt, umdreht und sich sogleich Stelzes schönen grauen Schweif als neue Beute aussucht, der immer noch auf die Fliesen klopft.

Raven hält Wort und bringt neben Marmelade, Milch und Kompott auch noch ein paar pikantere Zutaten für Eierkuchen aus dem Keller mit. Eine halbe Stunde später ist die Küche wieder sauber, und sie sitzen gemeinsam am Tisch, sicher vor blutrünstigen Katzenkindern und arbeitseifrigen Hunden, essen Pfannkuchen und unterhalten sich leise. Caewlin hat ein wundervolles Omelett mit salzigen Speckstücken, getrockneten Pilzen und scharfen Frühlingszwiebeln vor sich, das außerdem noch großzügig mit Käse belegt ist, Raven kleckst verschwenderisch Erdbeermarmelade auf ihres und sieht dabei so hingerissen aus wie eine Katze, die gerade den Sahnetopf erspäht hat. Bevor sie jedoch auch nur einen Bissen von ihren heißersehnten Pfannkuchen essen kann, hält sie plötzlich inne und blinzelt entgeistert auf ihren kugelrunden Neunmonatsbauch. Caewlin hat gerade ein Stück Pilzomelett im Mund und erstarrt alarmiert - ebenso wie sie -, für einen Moment zur Salzsäule. "Was...? Hast du Schmerzen? Wehen? Geht es los? Raven?"
Sie schüttelt nur den Kopf, zieht gleich darauf die Stirn in Falten, lauscht in ihr Inneres und zuckt schließlich ratlos mit den Schultern.  >Ich weiß nicht...<, sie riskiert ein Lächeln, das wohl beruhigend wirken soll, aber in ihren Mundwinkeln zittert es und ihre Augen sind riesengroß, als sie den Blick hebt und ihn ansieht. Sein eigenes Herz schlägt einen hastigen Takt schneller, beruhigt sich aber halb enttäuscht, halb erleichtert wieder, als sie erklärt: > Es tut nicht sehr weh, es fühlt sich nur komisch an ... als ob das Kind nach unten rutschen würde. Als wir bei Cron und Niniane im Baum waren, erzählte sie etwas von Senkwehen und dass man es spüren kann, wenn das Baby ins Becken rutscht und sich allmählich bereit für den Aufbruch macht. Vielleicht tut es das gerade... <  
"Aye," erwidert er leise, kaut wieder weiter und beobachtet dabei fasziniert das Spiel der feinen Muskeln unter dem dünnen Batiststoff ihres Nachtgewandes. "Man kann es sogar sehen... er senkt sich wirklich. Morgen früh kannst du deinen Cofeabecher darauf abstellen, min koerlighed." Er lächelt, aber in seinem Inneren spürt er bei aller Vorfreude auch leise Beklommenheit - wie immer beim Gedanken daran, dass sein Kind bald geboren werden soll. Sicher, Raven war es in der ganzen Schwangerschaft ausgesprochen gut gegangen, sie hat bisher leicht an ihrem Kind getragen, sie ist gesund, stark und wenn es darauf ankommt auch so zäh wie altes Juchtenleder. Es gibt nicht die leisesten Anzeichen für irgendwelche Schwierigkeiten, aber dennoch... hör sofort auf!

Daran, dass ihr irgendetwas geschehen könnte, dass mit dem Baby irgendetwas nicht in Ordnung sein könnte, dass bei der Geburt etwas schief gehen könnte... dass er sie vielleicht verlieren könnte, wagt er noch nicht einmal zu denken. In der Küche ist es warm, doch sein Nacken, seine Schultern und Arme überziehen sich unversehens mit Gänsehaut und er kann nur mit Mühe ein Schaudern unterdrücken. Jetzt ist es an ihr, ihn fragend anzusehen, bevor sie sich wieder ihrem Pfannkuchen widmet, doch er schüttelt  den Kopf. Er will sie nicht mit seinen Ängsten belästigen, aber für sich behalten kann er sie auch nicht. "Es ist nur... ich kann dir dabei überhaupt nicht helfen. Ich meine, du trägst mein Kind aus und ich kann nichts weiter tun, als warten und dir..." Er  zuckt mit  den Schultern und stochert resigniert in seinem Omelett herum. "Pfannenwender suchen. Du wirst es zur Welt bringen, Raven, und wenn es soweit ist, kann ich dir weder die Schmerzen abnehmen, noch sonst irgendetwas wirklich Nützliches tun." Er glaubt nicht, dass sie Dalla oder Bethel bei der Geburt dabei haben will, die sie mit ihrer Zuwendung, Fürsorge und Aufregung einfach niederwalzen würden, und Runa, die beim Anblick des allerkleinsten Blutstropfens schon in Ohnmacht fällt, wäre wohl auch keine große Hilfe, ganz abgesehen davon, dass sie von Geburten nicht viel weiß. Er will sie gerade fragen, wen er als Hebamme holen soll, Niniane oder vielleicht Morgana, die Heilfrowe, doch Ravens Gesichtsausdruck lässt ihn innehalten. Hatte er etwas falsches gesagt? Sie starrt mit gerunzelter Stirn auf ihren Teller, schiebt die inzwischen längst kalten, pappsüss und rot verkleisterten Pfannkuchenstückchen von einer Seite zur anderen, und er kann sehen, wie es in ihr arbeitet. "Raus damit, min koerlighed. Was hast du auf dem Herzen?"
>Ich wollte dir noch etwas sagen. Oder ... hm, dich etwas fragen. Weil ... also .... wegen dem Baby...<
"Aye?"
>Ich habe noch nie ein Kind geboren und weiß nicht viel von solchen Dingen, aber Niniane hat mir einiges erzählt und ich habe natürlich auch alle möglichen Geschichten darüber gehört ... manchmal recht blutrünstige ... und ... < Caewlin sieht sie aufmunternd an, nimmt ihr das Messer aus der Hand und verschränkt seine Finger mit ihren.

Nach dieser Eröffnung glaubt er zuerst, sie wolle ihm vielleicht ihre Ängste beichten. Sie hat bisher immer die Tapfere gespielt, aber er weiß, dass sie sich ab und an ebenso Sorgen macht, wie er - etwas, das vermutlich allen werdenden Eltern hin und wieder so geht. Eine Geburt mag ja das natürlichste der Welt sein, aber es kann immer auch etwas Unvorhergesehenes geschehen. Als sie dann jedoch unsicher nach Worten suchend fortfährt, merkt er, dass er sich geirrt hat. Es geht ihr überhaupt nicht um Angst... jedenfalls nicht um solche Ängste. >Naja, es ist sicher nicht unbedingt eine schöne oder appetitliche Sache, ein Kind auf die Welt zu bringen, und ich ... also ich habe gehört, dass Männer das oft .... hm, abschreckend finden, du weißt schon, Blut und Schmerz und das alles ... und dass sie, ähm ... dass sie deswegen hinterher auch ihre Frauen abschreckend finden, und sie nicht mehr ... dass sie dann nicht mehr....<
Seine Augen weiten sich erst überrascht, doch als er begreift, woher der Wind weht, ziehen sich seine Brauen fragend zusammen. Er versucht, nicht zu grinsen, was ihm sogar halbwegs gelingt, aber eine gewisse gerührte Belustigung in seiner Stimme kann er nicht ganz unterdrücken. "Raven..."
Sie wedelt in höchster Verlegenheit mit der Linken vor ihren inzwischen knallroten Wangen herum und sieht aus, als würde sie am liebsten im Erdboden versinken. >Was ich sagen will, ist ... Ich würde mir so sehr wünschen, dass du bei mir wärst, aber du ... du musst dich dazu nicht verpflichtet fühlen, du musst das nicht, wenn du das nicht willst. Ich möchte nur, dass du das weißt.<
Er drückt sacht ihre Finger und fährt mit dem Daumen die Linien ihrer Handfläche nach. "Was du sagen willst, ist, du hast Angst ich könnte dich nicht mehr wollen, wenn ich sehe, wie du unser Kind zur Welt bringst? Ist es das?" Sie nickt kläglich. "Du vergisst, dass ich dabei war, als Brynden geboren wurde. Raven... ich würde eine Geburt vielleicht auch nicht unbedingt als appetitlich bezeichnen, aber... bis auf dein Gesicht, wenn du mich anlächelst, war es das schönste, das ich je gesehen habe. Es ist nicht... widerlich oder schmutzig und abschreckend schon gar nicht." Ein schiefes Lächeln zuckt in seinen Mundwinkeln. "Vielleicht denken einige Männer ja wirklich so, aber viele können es nicht sein, wenn du mich fragst. Wenn es so wäre, wäre die Menschheit vermutlich schon ausgestorben, meinst du nicht? Ebenso, wenn all diese Geburten tatsächlich jedesmal so blutrünstige Angelegenheiten auf Leben und Tod wären. Welche Frau bei gesundem Verstand würde sich das mehr als einmal antun? Natürlich bleibe ich bei dir, min koerlighed. Und Gnaden die Götter Niniane - falls du sie als Hebamme willst -, wenn sie versuchen sollte, mich hinauszuwerfen."

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Raven am 05. Apr. 2006, 16:59 Uhr
Caewlins Hand, die sich quer über den Tisch schiebt, ihr das Messer entwindet und sich schließlich um ihre Finger schlingt, lässt Raven den nagenden Hunger und die Pfannkuchen mitsamt dem süßen Marmeladenbelag zunächst einmal vergessen - eine große Hand, eine starke Hand mit schlanken, kräftigen Fingern, die die schmalen Knochen unter ihrer Haut mit einem einzigen Zudrücken vermutlich zu einem Haufen kleiner Brösel zerquetschen oder ihr mit einem Ruck mühelos das Genick brechen könnte. Sie tut weder das eine, noch das andere, sondern hält ihre nur mit sanftem Druck fest und fährt mit dem Daumen die Linien ihrer Handfläche nach. Eine kleine, beinahe nebensächliche Geste, aber eine Geste, die ihr das Herz ganz leicht macht und ihren Kummer davonstreichelt, die sie tröstet und ihr Kraft gibt und sie glücklich macht. Glücklich, ihn zu haben und ihn bei sich zu wissen, glücklich, jetzt und hier an diesem Ort und bei ihm zu sein, und fast schämt sie sich ihrer Unsicherheit, ihrer Angst und der tausend wirren Fragen, die in ihrem Kopf umherspuken. Und Caewlin schafft es auch, all das, was sie so aufwühlt und in ihrem Inneren herumbrodelt, all das, was sie auf dem Herzen hat und mit wirrem Drumherumgerede doch nicht in verständliche Sätze zu kleiden vermag, in schlichten Worten treffsicher auf den Punkt zu bringen: >Was du sagen willst, ist, du hast Angst ich könnte dich nicht mehr wollen, wenn ich sehe, wie du unser Kind zur Welt bringst? Ist es das?< Genau das ist es, was sie seit einigen Tagen beschäftigt, und sie lässt betreten den Kopf hängen und nickt nur. Unter seinem Blick, der in ihren Gedanken zu lesen scheint wie in einem aufgeschlagenen Buch, wird sie befangen und ihre Wangen überziehen sich mit einem Hauch verlegener Röte.

Der Unterton, den sie aus Caewlins Stimme heraushören kann, ein leises Vibrieren, als könne er nur mit Mühe ein Grinsen unterdrücken, verwirrt sie jedoch zusehends und lässt sie wieder aufblicken. Um seine Mundwinkel herum zuckt es verräterisch und in seinem Blick tanzt ein belustigter Funke. Argwöhnisch legt Raven die Stirn in Falten und ihre Augen werden schmal, während sie in seinem Gesicht zu lesen versucht. "Kann es sein, dass du dich über mich lustig machst?" fragt sie misstrauisch und ihrer Stimme wachsen hörbar kleine, widerborstige Igelstacheln, während sie ihn aus Bernsteinaugen empört anfunkelt. "Hmpf! Das ist nicht komisch!" Mit einem indignierten Schnauben holt sie aus und versucht, ihn unter dem Tisch gegen das Schienbein zu treten. Doch der wuchtige Holztisch ist breit, ihr Bauchumfang mehr als sperrig und ihre Beine sind einfach nicht lang genug, um Caewlin überhaupt zu erreichen, so dass ihre Wut ins Leere tritt und sie bei dieser halsbrecherischen Aktion fast von der Küchenbank kullert und ihr bei den Verrenkungen auch noch ein hinterhältiges Stechen ins Kreuz schießt. "Autsch", entfährt es ihr, und sie reibt sich mit schmerzhaft verzogener Miene den Rücken und gibt es auf, weit entfernte Nordmannschienbeine wutschnaubend mit ihren nackten Zehen traktieren zu wollen - ganz abgesehen davon, dass es ungefähr so effektiv ist, als würde ein zorniger Schmetterling gegen einen Riesen anfliegen. "Da siehst du mal", seufzt sie kläglich. "Nicht einmal mehr treten kann ich dich. Nichts kann ich mehr. Dauernd ist dieser verflixte Bauch im Weg."

Ihre Empörung verfliegt zwar sogleich wieder, auch wenn Caewlin sich jetzt trotz aller Mühe das Grinsen nicht mehr verkneifen kann, aber das gemeine Ziehen in ihrem Rücken will trotz ihres energischen Daranherumreibens nicht wieder verschwinden, sondern scheint eher noch schlimmer zu werden und breitet sich auch noch in Beine und Bauch aus. Wieder kann sie spüren, wie in ihrem kugelrunden Leib die Muskeln angestrengt zu arbeiten beginnen und es ist ein Gefühl, als würde sich mitten in ihren Eingeweiden eine riesige Faust zusammenballen. Unbehaglich rutscht sie auf der Küchenbank hin und her, denn diesmal ist es nicht bloß unangenehm, sondern eindeutig schmerzhaft. Also für Senkwehen ist das jetzt aber ganz schön heftig. Niniane sagte doch, die tun nicht weh... Verwirrt schieben sich ihre Brauen zusammen, während sie nach drinnen lauscht, und sie hält einen Moment reglos inne, bis sich das krampfartige Wüten in ihrem Leib wieder beruhigt. Nein, das können unmöglich Senkwehen sein. Nie im Leben. Aber was sonst?  In ihrem Hinterkopf bimmelt leise ein kleines Alarmglöckchen, aber sie beschließt, es sicherheitshalber einfach zu ignorieren. Bestimmt kommt das von dem ganzen Hin- und Hergerenne vorhin, bücken, laufen, aufwischen, Pfannkuchen suchen, Treppe rauf, Treppe runter - kein Wunder, wenn das einen Muskelkater gibt. Ihr Blick richtet sich wieder auf Caewlin, der sie aufmerksam mustert, und die Wärme, die in seinen hellen Augen aufschimmert, lässt ihre Sorgen wenigstens für einen Moment dahinschmelzen wie Schnee in der Frühlingssonne. Auf einmal erscheinen Raven ihre Bedenken mehr als albern. Was sind das auch wieder für dämliche Fragen, die mir im Kopf herumspuken. Wieso sollte er mich nicht mehr wollen, nur weil er sieht, wie ich sein Kind auf die Welt bringe? Ich bin eine dumme Gans und er hat ganz Recht, wenn er mich auslacht. Während der entnervenden Warterei der letzten Siebentagen scheinen ihre Vernunft und ihr gesunder Menschenverstand wirklich ihr Bündel gepackt zu haben und auf Reisen gegangen zu sein, und Raven fragt sich, ob eine Schwangerschaft vielleicht den Teil des Gehirns schrumpfen lässt, der sich mit Logik und klarem Denken beschäftigt. Wundern würde es sie jedenfalls nicht.

Wenigstens bei Caewlin scheint dies alles noch tadellos zu funktionieren, und seine Stimme klingt warm und besänftigt ein wenig den wildgewordenen Springteufel in ihrem Inneren, der sie fortwährend mit gemeinen Zweifeln und Fragen piesackt. >Du vergisst, dass ich dabei war, als Brynden geboren wurde<, erinnert er sie. >Ich würde eine Geburt vielleicht auch nicht unbedingt als appetitlich bezeichnen, aber... bis auf dein Gesicht, wenn du mich anlächelst, war es das schönste, das ich je gesehen habe. Es ist nicht... widerlich oder schmutzig und abschreckend schon gar nicht.< Raven sieht ihn an, seine klaren, scharfgeschnittenen Gesichtszüge, seine Augen, die schimmern wie helles Gletschereis, das kastanienbraune Haar, das ihm offen über die breiten Schultern fällt, die Narbe auf seiner Wange. Sein Lächeln. Es gibt kein Gesicht auf der Welt, das sie mehr liebt. Und sie weiß, dass es wahr ist, was er sagt. Sie kann es in seiner Stimme klingen hören und in seinen Augen schimmern sehen, als sich ihre Blicke über Küchentisch und achtlos beiseite geschobene Pfannkuchenberge hinweg begegnen. >Vielleicht denken einige Männer ja wirklich so, aber viele können es nicht sein, wenn du mich fragst<, gibt er mit einem schiefen Grinsen zu bedenken. >Wenn es so wäre, wäre die Menschheit vermutlich schon ausgestorben, meinst du nicht? Ebenso, wenn all diese Geburten tatsächlich jedesmal so blutrünstige Angelegenheiten auf Leben und Tod wären. Welche Frau bei gesundem Verstand würde sich das mehr als einmal antun?< Das Argument hat eindeutig etwas für sich, das sieht sie sogar in ihrem heillosen Durcheinander aus zappliger Aufregung, Furcht und Verwirrung. >Natürlich bleibe ich bei dir, min koerlighed. Und Gnaden die Götter Niniane - falls du sie als Hebamme willst -, wenn sie versuchen sollte, mich hinauszuwerfen.<
"Hinauswerfen?" echot sie und kraust empört die Nase. "Nur über meine Leiche. Wenn sie das versucht, dann bekommt sie es mit mir zu tun, Götterkind hin oder her. Rauswerfen ... pöh, das wäre ja noch schöner .... dann muss sie mich aber genauso hinauswerfen, denn ich werde das nicht ohne dich tun, und wenn sie sich auf den Kopf stellt."

Sie blickt auf ihre ineinander verwobenen Hände hinab und das Flattern in ihrer leisen Stimme lässt sich nicht mehr verbergen. "Ich brauche dich doch. Und auch wenn du vielleicht nicht wirklich viel tun kannst ... es reicht, wenn du einfach nur da bist. Das ist alles, was ich mir wünsche." Sie hält sich an Caewlins Hand fest, als wäre es ihr einziger Rettungsanker. "Du hast so etwas wenigstens schon einmal miterlebt", seufzt sie leise. "Aber ich nicht, ich habe keine Ahnung davon und weiß nicht einmal wirklich, was da auf mich zukommt. Vielleicht habe ich einfach eine völlig falsche Vorstellung von all diesen Dingen, und vielleicht ist es das, was mich so durcheinanderbringt." Auf einmal verspürt sie ein überwältigendes Bedürfnis, ihm nahe zu sein und ihn zu berühren, die Arme um ihn zu legen, ihn festzuhalten, seinen beruhigenden Herzschlag  zu spüren, jetzt, sofort und auf der Stelle, als könnten allein seine Nähe und Wärme dieses heillose Gedankenwirrwarr in ihrem Inneren noch beruhigen. Sie löst ihre Finger aus seiner Hand und stemmt sich von der Bank hoch, um den Tisch zu umrunden, als eine neuerliche Schmerzwelle sie überrollt. Es fühlt sich an, als würde jemand mit einem glühenden Schürhaken in ihren Eingeweiden herumstochern und alle Muskeln in ihrem Leib scheinen sich zu verkrampfen. Was soll das denn jetzt? Das ist nun schon das dritte Mal innerhalb weniger Minuten. Und jedes Mal schlimmer. In ihr drin kribbelt es auf einmal vor Aufregung und ihre Knie fangen an zu zittern, während sie auf Puddingbeinen ihren Bauch um den Tisch herumwuchtet und zu Caewlin hinüberbibbert. Aber sie ist gerade viel zu wirr im Kopf und viel zu zappelig und hat auch überhaupt keine Zeit, um auf solche Nebensächlichkeiten wie Schmerzen zu achten. Sie setzt sich auf seinen Schoß und schlingt die Arme um seine Schultern, und allmählich ebbt auch das krampfartige Ziehen wieder ab, das ihren Körper schüttelt.

"Ich weiß, ich sollte gar nicht erst über all solchen Unsinn nachdenken", seufzt sie. "Und nicht ständig an allem herumzweifeln. Aber ich kann nichts für das, was ich fühle oder was mir Angst macht. Ich weiß auch nicht, wo all diese blöden Sorgen herkommen, sie sind einfach da und ich kann gar nichts dagegen tun. Ich habe einfach Angst, etwas falsch zu machen." Raven geht sich allmählich schon selbst auf die Nerven mit dieser Unkerei und versucht, all diese Sorgen und bohrenden Fragen aus ihrem Bewusstsein zu verbannen, doch sie lassen sich nicht so einfach vertreiben. Auf einmal sprudeln all diese Was-wäre-wenn's, die sie die letzten Nächte über wach gehalten haben und sich in ihren Gedanken mittlerweile derart drängeln, dass es nur noch Stehplätze gibt, aus ihr hervor wie ein aufgestauter Wasserfall: "Was, wenn ich alles verkehrt mache? Wenn ich mich zu dämlich anstelle oder im entscheidenden Moment einfach versage? Was, wenn mit dem Kind etwas nicht in Ordnung ist? Was, wenn es nicht gesund ist? Taub? Blind? Verkrüppelt? An jeder Hand ein Dutzend Finger hat?" Ihre aufgeregte Stimme nimmt einen ganz zittrigen Unterton an. "Was, wenn es bei der Geburt stirbt? Oder ich sterbe und dich allein lassen muss? Oder wenn es steckenbleibt? Oder die Schmerzen nicht auszuhalten sind? Wenn es gar nicht raus will? Oder wenn es gesund auf die Welt kommt und ich eine schlechte Mutter bin? Wenn ich es nicht lieben kann? Und was wäre, wenn ich es lieber hätte als Brynden? Oder wenn es mich gar nicht leiden kann? Oder ich es fallen lasse? Aus Versehen mit seinem Kissen ersticke? Die Hunde es beißen? Was, wenn es ein schwieriges Kind ist? Wenn es Tag und Nacht nur schreit? Oder wenn es mehr als eines wird?" erschüttert sie ein plötzlicher Gedanke und sie sieht in einer Horrorvision völlig unerwartete Fünflinge vor sich, die wie Vogelküken alle gleichzeitig quäksend die Schnäbel aufsperren.

"Heilige Götter..." Raven redet in ihrer Panik ohne Punkt und Komma, und so schnell, dass die Worte miteinander zu verschmelzen scheinen, ohne dabei auch nur einmal den Blick von Caewlins Augen zu nehmen. Doch dann hält sie abrupt inne und schnappt hörbar nach Luft. Sie spürt, wie ihr ganzer Körper sich unter einem furchtbaren, krampfartigen Schmerz zusammenzieht. Das leise bimmelnde Alarmglöckchen, das sie vor wenigen Augenblicken noch erfolgreich ignoriert hatte, dröhnt jetzt so laut wie eine riesige Tempelglocke und ist beim besten Willen nicht mehr zu überhören. Ungläubige  Verwirrung breitet sich in ihr aus, aber noch weigert sie sich, es als das zu erkennen, was es ist. Neineinein, das kann unmöglich sein .... das kann nicht das Kind sein, es ist doch noch zu früh. Himmelgötternochmal.... Ihre weit aufgerissenen Augen spiegeln ihre Verblüffung wider, als eine gewaltige Faust ihre Eingeweide packt, sie durcheinanderschüttelt und sie nicht mehr loslassen will. "Umpff", schnaubt sie und greift angstvoll nach Caewlins Hand, die sie in ihrer Aufregung beinahe zerquetscht. Es ist ganz bestimmt nicht das Kind ... es ist viel zu früh, es soll doch jetzt noch gar nicht kommen, herrje... Wieder krümmt sich ihr Körper unter den stärker werdenden, wellenartigen Schmerzen zusammen, und dann begreift sie endlich. In diesem Moment weiß sie es, weiß es ohne den leisesten Hauch eines Zweifels, weiß es mit absoluter, untrüglicher Sicherheit: Es sind keine Senkwehen. Es ist auch kein Muskelkater. Es sind Geburtswehen. Das Kind will auf die Welt. Jetzt. Die durch den Kopf wirbelnden Gedanken brechen schlagartig ab, und es ist, als würde ein uralter Instinkt die Herrschaft über ihren Körper übernehmen, ein Instinkt, der so alt ist wie die Menschheit, ein Instinkt, der jeder Frau von Anfang an in die Wiege gelegt wird und dafür sorgt, dass ihre Angst sich in diesem Moment in Nichts auflöst. All die wirren Gedanken, die Sorgen und die tausend Fragen sind mit einem Mal völlig unwichtig. Sie schaut Caewlin an und auf einmal wird alles einfach und klar. "Ich glaube nicht, dass ich morgen früh noch einen Cofeabecher auf diesem Bauch abstellen kann", sagt sie mit einem schiefen Lächeln und atmet einmal tief durch. "Und es wäre vielleicht auch nicht die schlechteste Idee, eine Hebamme zu holen. Jetzt."

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Caewlin am 06. Apr. 2006, 00:23 Uhr
Raven ist so unruhig wie eine Handvoll Mais in einer heißen Pfanne und ihre Stimmung wechselt von einem Herzschlag zum anderen... so unberechenbar, dass selbst Caewlin Mühe hat, damit noch Schritt zu halten. Kaum ist es ihm gelungen, sie halbwegs zu besänftigen und ihr obendrein ein absolut hinreißendes Wangenröten zu entlocken, funkelt sie ihn auch schon wieder erbost an: >Kann es sein, dass du dich über mich lustig machst?<
"Lustig? Niemals, min..."
>Hmpf! Das ist nicht komisch!<
"Raven," versucht er es noch einmal im vorsichtigen Tonfall eines Mannes, der sich mit einem brennenden Krug Loas Öl unterhält, "ich habe mich nicht..."
Sie hört ihm überhaupt nicht zu, dafür versucht sie hektisch, ihm mit wildem Gestrampel ordentlich vor die Schienbeine zu treten - und gleich darauf mit noch wilderer Bankakrobatik, nicht selbst höchst unwürdig das Gleichgewicht zu verlieren. Götterlob ist der Tisch breit, die Bank hoch und ihr Bauch zu dick, so dass sie ihn weder erreichen, noch rutschen oder fallen kann, und schließlich aufgeben muss. >Autsch!< Nach wie vor erbost und immer noch prustend, aber immerhin nicht mehr auf Schlägereien aus, reibt sie sich den Rücken, lässt alle Angriffslustigkeit wieder fallen und verkündet anklagend: >Da siehst du mal. Nicht einmal mehr treten kann ich dich. Nichts kann ich mehr. Dauernd ist dieser verflixte Bauch im Weg.< "Bald bist du ihn los, min koerlighed." Sie hält immer noch seine Hand, hat sie die ganze Zeit über nicht losgelassen und hört ihm sogar zu, und dass obwohl in seinen Augen jetzt unverhüllte Belustigung steht - zumindest bis er wieder ernst wird und ihr mit seinen Worten vielleicht wenigstens einige ihrer Ängste nehmen kann. Seinen zugegebenermaßen etwas windschiefen Scherz, Niniane könne ja versuchen, ihn hinauszuwerfen, scheint sie allerdings nicht sonderlich komisch zu finden, sondern eher für bare Münze zu nehmen. >Hinauswerfen?< Empört sie sich. >Nur über meine Leiche.<
"Nej, Raven, ich glaube nicht, dass..." sie das versuchen würde.
>Wenn sie das versucht, dann bekommt sie es mit mir zu tun, Götterkind hin oder her.<
Autsch. "Min koerlighed, sie wird mich schon nicht..." hinauswerfen wollen. Oder doch?
>Rauswerfen ... pöh, das wäre ja noch schöner .... <
Allerdings. "Das wird sie bestimmt nicht..."
>Dann muss sie mich aber genauso hinauswerfen, denn ich werde das nicht ohne dich tun, und wenn sie sich auf den Kopf stellt.<
Das will ich sehen... "Aye, wir beide stehen das gemeinsam durch. Es war ein Scherz, Raven, ich glaube nicht, dass Niniane wirklich..."

>Ich brauche dich doch. Und auch wenn du vielleicht nicht wirklich viel tun kannst ... es reicht, wenn du einfach nur da bist. Das ist alles, was ich mir wünsche. Du hast so etwas wenigstens schon einmal miterlebt. Aber ich nicht, ich habe keine Ahnung davon und weiß nicht einmal wirklich, was da auf mich zukommt. Vielleicht habe ich einfach eine völlig falsche Vorstellung von all diesen Dingen, und vielleicht ist es das, was mich so durcheinanderbringt...<
"Raven, es ist ganz natürlich, dass du Angst hast, aber du brauchst dir wirklich keine..." Sorgen machen, will er eigentlich sagen. Und auch, dass er sich wünschte, mehr für sie tun zu können, als einfach nur da zu sein, aber dass das wohl genügen müsse, doch er kommt gar nicht mehr dazu, denn plötzlich entzieht sie ihm ihre Hand, kämpft sich von der Bank hoch und krabbelt hektisch auf die Füße. Kaum steht sie, zuckt sie kurz zusammen, presst die Hände in den Rücken, runzelt die Stirn, schüttelt den Kopf und marschiert dann - Bauch voran - so rasch sie nur kann um den Tisch herum. Caewlin kann sich gerade noch auf seinem Stuhl zur Seite drehen und die Arme ausbreiten, als sie auch schon auf seinen Schoß klettert und sich dort zusammenrollt wie ein frierendes Kätzchen. >Ich weiß, ich sollte gar nicht erst über all solchen Unsinn nachdenken,< tönt es ziemlich resigniert unter seinem Kinn. >Und nicht ständig an allem herumzweifeln. Aber ich kann nichts für das, was ich fühle oder was mir Angst macht. Ich weiß auch nicht, wo all diese blöden Sorgen herkommen, sie sind einfach da und ich kann gar nichts dagegen tun. Ich habe einfach Angst, etwas falsch zu machen.<
"Schsch... min koerlighed," Caewlin streicht über ihr Haar, seidenweich und schwer unter seinen Fingern, sucht die warme Haut ihres Nackens und die zarten Muschelbögen ihrer Ohren, drückt ihren Kopf an seine Brust und wiegt sie sacht und tröstend wie ein verängstigtes Kind. Täuscht er sich, oder zittert sie wirklich? Nein, sie atmet tief und langsam aus, er muss sich geirrt haben. "Es ist nicht schlimm, vor etwas Unbekanntem Angst zu haben, das geht uns allen hin und wieder so. Man darf sich davon nur nicht verrückt machen lassen. Du musst dir keine Sorgen machen, Raven. Du bist jung und gesund und stark, du wirst das wunderbar..." Ausreden scheint heute keines seiner Privilegien zu sein, nicht einmal, wenn er gerade zu einer wunderbar beruhigenden Erklärung ansetzt.
>Was, wenn ich alles verkehrt mache? Wenn ich mich zu dämlich anstelle oder im entscheidenden Moment einfach versage?
"Du wirst alles richtig machen und nicht versagen, Raven."
>Was, wenn mit dem Kind etwas nicht in Ordnung ist? Was, wenn es nicht gesund ist? Taub? Blind? Verkrüppelt? An jeder Hand ein Dutzend Finger hat?<
"Pssst. Unser Kind wird vollkommen in Ordnung und ganz gesund sein, mit zehn Fingern und zehn Zehen an den richtigen..."

>Was, wenn es bei der Geburt stirbt? Oder ich sterbe und dich allein lassen muss?<
Das sitzt. Einen Moment muss er schlucken, dann schüttelt er entschlossen den Kopf. "Nej. Es wird nicht sterben. Du wirst auf gar keinen Fall sterben, hörst du mich? Wag es ja nicht, mich allein zu lassen."
Sie scheint nicht einmal zu hören, was er sagt, sondern sprudelt händeringend weiter. >Oder wenn es steckenbleibt? Oder die Schmerzen nicht auszuhalten sind? Wenn es gar nicht raus will?<
"Steckenbleibt? Götter, Raven..."
>Oder wenn es gesund auf die Welt kommt und ich eine schlechte Mutter bin? Wenn ich es nicht lieben kann?<
"Du bist eine wundervolle Mutter. Warum solltest du..."
>Und was wäre, wenn ich es lieber hätte als Brynden? Oder wenn es mich gar nicht leiden kann? Oder ich es fallen lasse? Aus Versehen mit seinem Kissen ersticke? Die Hunde es beißen? Was, wenn es ein schwieriges Kind ist? Wenn es Tag und Nacht nur schreit? Oder wenn es mehr als eines wird?<
Weil ihm absolut nichts anderes einfällt, um diesen wild auf ihn einprasselnden Wortschwall zu stoppen und sie in ihrer soliden Panik zu beruhigen, legt er die Hand an ihr Gesicht, zwingt ihr Kinn mit sanftem Druck nach oben und bringt sie mit einem Kuss zum Schweigen. Er küsst sie so lange, so sanft und so beharrlich, bis er spüren kann, wie die Anspannung in ihrem Nacken und ihren Schultern sich langsam löst, bis ihr Körper weich und schwer in seinen Armen wird, und sie schließlich mit geschlossenen Augen nickt, ganz sacht. "Besser?"
Er streicht eine Haarsträhne aus ihrer Stirn und fährt mit dem Daumen über ihre Wange. "Wirklich?" Sie nickt noch einmal, aber noch bevor er Zeit hat, sich eine Antwort auf ihre wirren Fragen von eben zu überlegen, richtet sie sich plötzlich kerzengerade auf. Dann gibt sie ein etwas atemloses, fast überraschtes >Heilige Götter... < von sich, und holt ebenso laut wie abrupt Luft. Ein ahnungsvoller Hauch streift ihn im Nacken, kühl, aber nicht einmal unangenehm. "Raven?" Sie antwortet nicht, aber das ist auch nicht nötig - er kann am eigenen Leib spüren, wie ihre Muskeln sich zusammenziehen und legt eine Hand auf ihren Bauch, während ihre Augen sich ungläubig weiten. Ihre straff gespannte Haut wird für einen endlosen Augenblick lang hart wie Stein - und unter dieser Härte arbeitet es gewaltig. "Oh nein!" Raven klammert sich an seine Hand und gräbt ihre Fingernägel tief in seine Haut, aber das spürt er nicht einmal. Er weiß, wie sich Wehen anfühlen, zumindest von außen. Natürlich hat er vom Schmerz selbst keine Ahnung, aber an das wenige, was werdende Väter davon mitbekommen, kann er sich noch bestens erinnern, und das hier ist eindeutig. "Götter im Himmel!"

Er weiß es, aber zwischen Wissen und Begreifen können Welten liegen, und noch während er damit beschäftigt ist, bei der handfesten Tatsache anzukommen, dass sein Kind nicht bald, nicht in einer Woche oder in ein paar Tagen, sondern jetzt, in den nächsten Stunden, geboren werden soll, wird Raven von einem Augenblick auf den anderen vollkommen ruhig. Welcher geheimnisvolle Instinkt auch immer es sein mag, der aus diesen Hochschwangerschaftsnervenbündeln, sobald es dann tatsächlich soweit ist, plötzlich wieder die souveränsten Frauen macht, die allem, was auch vor ihnen liegen mag, gelassen ins Auge sehen - bei werdenden Vätern funktioniert er genau umgekehrt. Waren sie wochenlang die Ruhe in Person, kaum dass die Geburt beginnt, stellt sich zur herzklopfenden Vorfreude unweigerlich auch das anheimelnde Gefühl ein, splitterfasernackt in einer Schlangengrube festzusitzen. "Raven... min koerlighed... hör auf damit. Es ist noch nicht Zeit... es ist zu früh..."
Sie lächelt nur. >Ich glaube nicht, dass ich morgen früh noch einen Cofeabecher auf diesem Bauch abstellen kann.< Caewlins Herz hat sich schon in Richtung Kehle aufgemacht und richtet sich dort gerade häuslich ein, so dass er einen blinzelnden Moment lang braucht, um zu begreifen, dass sie tatsächlich scherzt. Dann schluckt er hörbar. "Was?"
>Und es wäre vielleicht auch nicht die schlechteste Idee, eine Hebamme zu holen. Jetzt.<
Er steht mitsamt seiner Frau in den Armen auf, so plötzlich, dass der Stuhl hinter ihm bedenklich knirscht, aber er bleibt stehen. Einen Herzschlag lang irrt sein Blick hilfesuchend durch die ganze Küche, als erwarte er von irgendwo her Beistand, aber dann strafft er sich. "Aye. Hebamme. Holen. Jetzt. Das kann ich." Er setzt Raven behutsam auf den kissengepolsterten Platz, den er gerade geräumt hat und erstarrt dann. "Nein, kann ich nicht, ich kann dich nicht allein lassen... ich schicke Pyp. Er soll sich Halbmond nehmen und zu Nan hinaufreiten. Ich gehe ihn nur schnell wecken, min koerlighed. Hälst du es so lange hier aus? Ich bin gleich zurück." Er wartet ihre Antwort gar nicht erst ab, wartet nur auf ihr Nicken, und durchquert die Küche dann mit drei großen Schritten, zwängt sich durch die niedrige Tür in den Gesindetrakt, und bahnt sich dort im Stockfinsteren den Weg zu Dallas und Pyps Kammern. In den Räumen, die seine Oberste Magd mit ihrem naseweisen Bengel bewohnt, riecht es nach Bohnerwachs, Lavendel und schwach nach Verbenen, und um ein Haar wäre er im Dunkeln auf dem spiegelglatt gewienerten Boden über einen der bunten Flickenteppiche gestolpert. Dallas voluminöse Haube leuchtet fahl und weiß im spärlichen Licht, das durch die Fenster dringt und weist ihm den Weg. Da er nicht riskieren will, das gesamte Gesinde und womöglich auch noch Brynden zu wecken, legt er ihr, statt sie an der Schulter wachzurütteln, fest die Hand über den Mund, um jeden erschrockenen Quietscher und alle freudigen Ausrufe gleich im Keim zu ersticken. Auf den Gedanken, dass er Dalla damit zu Tode erschreckt, kommt er in diesem Moment allerdings nicht - alle seine Gedanken sind bei Raven. Und auf die logische Schlussfolgerung, dass seine oberste Magd sich heftig gegen einen fremden, nächtlichen Eindringling in ihrem Schlafgemach wehren könnte, kommt Caewlin erst recht nicht. Dalla hat da jedoch ganz andere Ansichten und beißt ihm als allererstes kräftig in die Finger, dann tritt und schlägt sie grunzend vor Anstrengung so wild um sich, dass Caewlin sich im nächsten Moment zu einem Ringkampf mit einer drallen Mogbarsfrau genötigt sieht.

"Verdammt! Götter im Himmel, Dalla, ich bin es, hör auf damit!" Sie erstarrt und als er seine schmerzende Hand fortnimmt, kiekst sie nur reichlich atemlos ein vollkommen verdattertes: "M'lord?" hervor.
"Schscht! Bei allen Göttern, sei still! Ich brauche Pyp. Geh und weck ihn auf. Er soll Halbmond satteln, zum Smaragdstrand hinaufreiten und Lady Niniane herholen. Jetzt sofort. Dann gehst du in die Küche und setzt Wasser auf, das Feuer brennt schon... und bereite am besten alles vor, was sonst noch bei einer Geburt gebraucht werden könnte. Und Dalla... weck niemanden sonst, aye?"
Die weiße Haube nickt hastig und beginnt, sich aus den Decken zu wühlen, und Caewlin, der weiß, dass er sich auf seine Magd verlassen kann, kehrt zu Raven in die Küche zurück. Sie sitzt am Tisch, wo er sie gelassen hat, lauscht in sich hinein, streicht über ihren Kugelbauch, der sich schon wieder sichtbar zusammenzieht, lächelt selbstvergessen auf ihn hinab und schneidet ihm gleich darauf eine schmerzerfüllte Grimasse. "Das war die dritte Wehe in noch nicht einmal einer Viertelstunde, Raven, Pyp wird sich beeilen müssen. Und Niniane erst recht, sonst ist das Kind da, bevor sie hier ist... Komm. Ich bringe dich nach oben. Dalla wird gleich hier sein und sich um heißes Wasser, saubere Tücher und all das kümmern, und ich weiß nicht, ob ich sie noch von dir wegbekomme, wenn sie dich erst einmal sieht. Willst du laufen oder soll ich dich tragen?" Sie schüttelt den Kopf, aber sie hält sich an ihm fest und lässt sich in den Arm nehmen, während sie langsam nebeneinander aus der Küche, durch die Halle und dann über die Treppen nach oben gehen. Auf den Stufen angekommen, hören sie dumpf die Tür der Spülküche ins Schloss fallen, als Pyp das Haus verlässt und zum Stall hinaufeilt - so wie Caewlin Dalla kennt, hat sie ihrem Sprössling derart Beine gemacht, dass er nun rennt, als wäre der Leibhaftige hinter ihm her, und gleich darauf erhebt sich auch in der Küche - betont leise und sehr verhalten - Geschirrgeklapper. In ihrem Schlafgemach angekommen, werden sie von einer müde blinzelnden Akira begrüsst, die der ganzen unterschwelligen Aufregung um sie her jedoch nur ein mattes Wedeln schenkt und prompt weiterdöst. Stelze ist in der Küche geblieben - dort ist schließlich Dalla, was gleichbedeutend ist mit Schinkenstreifen und Markknochen, und auch ein Wolfshund weiß Prioritäten zu setzen. Caewlin sucht Raven ein paar warme Socken heraus und reicht ihr dann eines seiner alten, verwaschenen Hemden statt ihres neuen Nachtgewandes. "Hier, zieh vielleicht lieber das an, min koerlighed, es ist warm und überlebt ein wenig Blut und Fruchtwasser eher." Er schürt das Feuer im Kamin neu, so dass die Flammen hell und warm auflodern und ihr rotgelber Schein auf den alten Möbeln ringsum glänzt, und entzündet ein paar schlanke Bienenwachskerzen in einem Halter auf der Kommode zustätzlich zur ohnehin noch brennenden Stundenkerze. Dann heißt es warten - allerdings nicht lange, denn die nächste Wehe meldet sich dienstbeflissen gleich zur Stelle und überrascht Raven dabei, wie sie gerade über ihren Bauch hinweg mit dem zweiten Strumpf nach ihren Zehen angelt. Caewlin ist sofort bei ihr, viel tun außer ihr den Socken anziehen kann er jedoch nicht. "Geht es wieder? Willst du vielleicht ein Stück laufen, Raven? Ich kenne da eine hübsche Stelle im Gang mit wunderbarer Aussicht. Wir könnten Dalla ein wenig ärgern und ihr von oben zusehen, wie sie in der Küche herumhüpft, sich alle zwei Schritt dramatisch an die Kehle fasst und schnauft: 'Du liebe Zeit, mein Herz bleibt stehen!'"

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Raven am 06. Apr. 2006, 20:21 Uhr
Sie sieht Caewlin nach, wie er mit wenigen langen Schritten hastig die Küche durchquert und seine riesige Gestalt geduckt durch die schmale Tür zu den Gesindekammern verschwindet. In Ravens Augen schimmert noch immer ein Funke fassungslosen Unglaubens, als könne sie noch gar nicht richtig begreifen, was ihr Körper ihr gerade so nachdrücklich signalisiert. Zweifellos haben die Wehen viel zu früh begonnen, mehr als einen Siebentag zu früh, und weder Caewlin noch sie selbst hatten zu diesem Zeitpunkt schon damit gerechnet, geschweige denn, dass sie irgendwie darauf vorbereitet wären. Die Erkenntnis, dass das lange, nervenzehrende Warten nun ein Ende hat und das Kind in den nächsten Stunden - zumindest hofft Raven inbrünstig, dass es tatsächlich nur Stunden sein werden - auf die Welt kommen wird, trifft sie vollkommen unerwartet und ist derart überwältigend, dass sie sich einen Moment lang ganz benommen fühlt und auf dem Stuhl zusammensinkt, als hätte ihr gerade jemand einen Knüppel über den Schädel gebraten. Aber es geht ihr tatsächlich besser als noch vor wenigen Augenblicken, viel besser sogar, und die luftabschnürende, schlottrige Panik, die sie gerade noch in ihren Klauen hatte, ist einer leisen, kribbligen Aufregung gewichen, als würde sie auf einmal einen ganzen Ameisenhaufen in ihrem Inneren beherbergen. Doch die blanke, nackte Angst, die sie durchgeschüttelt hatte, ist verschwunden, ebenso wie die Furcht, alles durch und durch falsch zu machen. Jetzt gibt es kein Zurück mehr und sie kann nichts weiter tun, als tapfer dem Unausweichlichen entgegenzublicken, entschlossen die Zähne zusammenzubeißen und zu versuchen, dieses Kind heil und gesund auf die Welt zu bringen.

Irgend etwas in ihrem Herzen, vielleicht dieser uralte Instinkt, der seit Menschengedenken dafür sorgt, dass eine werdende Mutter in dieser Situation gar nicht versagen kann, vielleicht auch nur eine Ahnung oder ein vages, rätselhaftes Wissen - irgend etwas flößt ihr die untrügliche Sicherheit ein, dass ihr Körper genau weiß, was er zu tun hat, und dass sie auf ihn vertrauen kann. Und auf ihren Mann. Caewlins Nähe und seine besänftigenden Worte hatten ihre Wirkung nicht verfehlt, und er hatte die Behauptung, Männer würden bei einer Geburt nichts tun können, eindeutig Lügen gestraft - denn wer hyperaktive Schwangere mit latentem Hang zur Panik, der nervtötenden Fähigkeit, ohne Punkt und Komma oder auch nur einmal Luft zu holen Wortgebilde in der Größenordnung eines imperialen Völkerbündnisvertrages samt Zusätzen und Anhängen in weniger als drei Herzschlägen auf einen niederzuschwallern, der angeborenen Neigung, zielstrebig jedes Fettnäpfchen im Umkreis mehrerer Tausendschritt anzusteuern und nächtlichen Heißhungerattacken zum Opfer zu fallen, klaglos und mit einem Lächeln hinnimmt, der tut eigentlich schon mehr, als ein werdender Vater überhaupt zu tun in der Lage ist. Geduldig hatte er den auf ihn niederprasselnden Hochgeschwindigkeitswortschwall ertragen, ihre flatterige Panik weggeflüstert und ihre ganze Angst einfach weggeküsst. Und bei der Gelegenheit hatte sie festgestellt, dass sein Lächeln ihr nach wie vor den Verstand raubt, vor allem dieses eine unnachahmliche Caewlin-Lächeln, das hinterrücks ihr Sprachzentrum lahmlegt und sie mitten im Satz spontan vergessen lässt, was sie eigentlich sagen wollte, gar nicht erst zu reden von seinen Küssen, die ihr die Knie weich werden und sie jedes Mal zu einem glückseligen Pfützchen zusammenschmelzen lassen.

Bei dem Gedanken daran lächelt sie trotz der ziehenden Schmerzen in ihrem Leib blödsinnig froh auf ihren Bauch hinab, doch bevor ihre Fantasie endgültig mit ihr abdriftet und sich auf rosa Wölkchen davonmachen kann, holt die nächste Wehe sie abrupt in die mehlstaubbepuderte Küchenwirklichkeit zurück und erinnert sie erbarmungslos daran, dass sie erst noch ein gewaltiges Stück Schwerstarbeit vor sich hat, bevor sie sich auf irgendwelchen Wolken ausruhen kann. Umpf. Auaaaah .... Götter im Himmel, geht das nicht etwas weniger schmerzhaft! Zeitgleich mit der anrückenden Wehe kommt auch Caewlin wieder in die Küche zurück und mustert mit Sorge im Blick ihren Kugelbauch, der sich gerade wieder deutlich sichtbar in einem Krampf zusammenzieht. >Das war die dritte Wehe in noch nicht einmal einer Viertelstunde, Raven, Pyp wird sich beeilen müssen<, sprudelt es alarmiert aus ihm hervor. >Und Niniane erst recht, sonst ist das Kind da, bevor sie hier ist... Komm. Ich bringe dich nach oben. Dalla wird gleich hier sein und sich um heißes Wasser, saubere Tücher und all das kümmern, und ich weiß nicht, ob ich sie noch von dir wegbekomme, wenn sie dich erst einmal sieht. Willst du laufen oder soll ich dich tragen?< Offenbar gibt es geheimnisvolle Zusammenhänge zwischen den Stimmungsschwankungen werdender Mütter und Väter, von denen sie bis jetzt noch nichts weiß, vermutet Raven angesichts seiner Miene, denn je ruhiger sie selbst wird, desto mehr scheint Caewlin zum Nervenbündel zu mutieren. "Laufen. Noch kann ich ja auf eigenen Beinen stehen", beruhigt sie ihn lächelnd, obwohl sie inzwischen ein wenig blass um die Nase ist. "Auch wenn meine Knie sich gerade ein bisschen anfühlen wie der Haferbrei von heute morgen."

Dicht neben ihm, seinen Arm um ihren schmerzenden Leib gelegt, wanken sie zur Küche hinaus und durch die dämmrige Halle zur Treppe hinüber, als ihr Blick auf seine Hand fällt. Verwundert ziehen sich ihre Brauen zusammen. In der Halle ist es fast dunkel und sie kann kaum etwas erkennen, aber das, was sie auf seinem Handrücken und an seinen Fingern entdeckt, sieht eindeutig aus wie ... Zähne? Häh?? "Ist es das, wofür ich es halte?" fragt sie ungläubig, nimmt seine Hand in ihre und betrachtet sie genauer. "Tatsache", entfährt es ihr verblüfft. "Das sind Bissspuren. Wo hast du die denn her?" Als er augenrollend etwas von Dalla und Pyp und Wecken murmelt, steigt ihr ein Lachen in die Kehle und gleichzeitig ist sie ganz gerührt und drückt ihn fest an sich. "Mein armer Mann. Hattest du nicht gesagt, du könntest nichts tun? Und jetzt musst du dich sogar mit beißwütigen Mogbars herumschlagen. Hoffentlich hat sie sich an dir wenigstens die Zähne ausgebissen."
Begleitet von leisem Klirren und Töpfeklappern aus der Küche unter ihnen - Dalla hat offenbar schon hektisch die Arbeit aufgenommen - , schaffen sie es schließlich auch über die Treppe nach oben in ihr Schlafgemach. Mit wackligen Knien lässt Raven sich auf die Bettkante sinken und nimmt dankbar das Hemd entgegen, das Caewlin aus dem Schrank hervorgräbt und ihr reicht. Es ist eines von denen, die er oft beim Arbeiten trägt, alt, ausgebleicht vom vielen Waschen und schon ein wenig fadenscheinig, und es reicht ihr bis zu den Knien, aber es ist wie ein vertrautes Stückchen Zuhause und sie fühlt sich darin wie in einem magischen Schutzmantel, so als hätte sie sich damit ein Stück von seiner Stärke und seiner unerschütterlichen Kraft um die Schultern gelegt. Sie schnürt es notdürftig zu und krempelt die viel zu langen Ärmel hoch, zerrt sich unter Verrenkungen eine Socke über den Fuß, doch bevor sie es schafft, den zweiten Strumpf überhaupt in die Nähe ihrer Zehen zu bringen, rollt schon die nächste Wehe über sie hinweg - ohne Vorwarnung und so brutal, dass sie die Augen aufreißt, die Nasenflügel bläht und ganz weiß im Gesicht wird.

Bis jetzt hatte sie sich immer eingebildet, dass sie Schmerzen ganz gut ertragen kann, doch gerade wird sie eines besseren belehrt - diese hier sind eindeutig mit das Schlimmste, was sie jemals erlebt hat, gebrochene Knochen und Schlüsselbeine eingeschlossen. Die tun wenigstens nur richtig weh, wenn man sich bewegt, dagegen muss sie hier nicht einen Finger rühren, denn der Schmerz kommt von ganz allein irgendwo aus ihrem Inneren und umfängt mit Stahlklammern ihren Leib. "Umpf!" Ein Keuchen drängt aus ihren Lungen und steigt ihr in die Kehle, und sie lässt vor Schreck die Socke fallen, als sich ihr Körper zusammenkrümmt und etwas an ihren Eingeweiden reißt. Caewlin ist im gleichen Moment schon bei ihr, hält ihre zitternden Knie fest und streift ihr die Socken ordentlich über die Füße, während sie sich haltsuchend an seinen Arm klammert, bis der Schmerz allmählich wieder abflaut.
"Götter im Himmel, ich wusste nicht einmal, dass ich so viele Muskeln im Bauch habe, die weh tun können", quetscht sie mühsam zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und versucht, wieder zu Atem zu kommen. >Geht es wieder? Willst du vielleicht ein Stück laufen, Raven?< schlägt er vor und sie nickt. "Laufen klingt gut. Das klingt sogar sehr gut. Ich glaube, alles ist besser, als nur herumzusitzen und darauf zu warten, dass einen die nächste Wehe überfällt. Und Sitzen fühlt sich im Moment auch ziemlich unangenehm an." Reglos auf der Bettkante zu hocken und angestrengt in sich hineinzulauschen, macht alles nur schlimmer und lässt sie die Schmerzen vermutlich doppelt so stark empfinden, als sie ohnehin schon sind, und so müht sie sich mit Caewlins Hilfe wieder auf die Füße.

>Ich kenne da eine hübsche Stelle im Gang mit wunderbarer Aussicht<, bietet er an. >Wir könnten Dalla ein wenig ärgern und ihr von oben zusehen, wie sie in der Küche herumhüpft, sich alle zwei Schritt dramatisch an die Kehle fasst und schnauft: 'Du liebe Zeit, mein Herz bleibt stehen!'"< Er greift sich theatralisch an die Brust, grunzt wie ein ertrinkender Wasserbüffel und ahmt Dalla so lebensecht nach, dass Raven hell auflachen muss. "Autsch. Mein Bauch. Bring mich doch nicht auch noch zum Lachen." Aber das Lachen tut gut, es befreit und es macht die Schmerzen einen Moment lang erträglich. Kichernd schlüpft sie hinter ihm aus dem Zimmer und wickelt sich in das viel zu große Hemd, als sie dicht nebeneinander ihre Wanderung durch den langen Flur aufnehmen: zur Galerie über der Küche, einmal rundherum, dann den Flur entlang wieder zurück bis zum Gästezimmer, kehrt marsch, und dann alles wieder von vorne. Beim ersten Mal sehen sie Dalla, in Nachtgewand und Schlafhaube, unten in der Küche wild mit einem halben Dutzend Wasserkesseln hantieren; beim zweiten Mal feuert sie den riesigen Küchenherd nach, dass die Funken beinahe bis in das Obergeschoss hinaufschlagen; als sie die Galerie zum dritten Mal passieren, kommt sie gerade die Kellertreppe hochgekeucht, den Arm voller Leintücher, Wäsche und Bettlaken; und beim vierten Mal sehen sie schon nicht mehr hin. Jede Wehe dauert nur ein oder zwei Minuten, doch jede kommt Raven schmerzhafter vor als diejenige zuvor, und die Abstände dazwischen werden immer kürzer, bis sie praktisch an jedem Flurende eine längere Pause einlegen müssen, in denen sie sich keuchend vor Schmerzen krümmt und an ihren Mann klammert. Caewlins Arme müssen inzwischen schon von blauen Flecken übersät sein, doch er trägt es mit bewundernswerter Fassung, er hält sie, er hilft, er redet auf sie ein, muntert auf und beruhigt, obwohl er bestimmt nicht weniger nervös ist als sie, seine Füße inzwischen völlig plattgelaufen sein müssen und sie mittlerweile mit jeder blankgebohnerten Bodendiele im Flur auf Du und Du sind.

Einmal rauscht geschäftig Dalla an ihnen vorbei und balanciert einen Stapel frischgewaschener, sauberer Laken und Leintücher in das Schlafgemach, dazu einen Krug frischen Wassers und eine große, weiche Lederhaut, die sie über das Bett breitet. Auf dem Rückweg lässt sie es sich nicht nehmen, aufgeplustert wie eine Mutterhenne um Raven herumzuglucken und aufgeregt hinter ihnen herzuwatscheln, wobei sie einen ganzen Schwall besorgter Schnalzlaute von sich gibt und versichert, dass alles, aber auch wirklich alles, bereit stehe, und dass das Kind nun ruhig kommen könne, dass sie Pyp natürlich pflichtschuldigst schon gleich nachdem M'Lord es befohlen habe, auf den Weg geschickt hätte, und dieser Nichtsnutz von Lausebengel eigentlich - stirnrunzelnder Blick in die Halle hinunter - schon längst wieder da sein müsse, es sei denn, irgend etwas hätte ihn aufgehalten, was sie ihm aber nicht raten würde, wenn ihm sein Leben lieb wäre, und er dies auf jeden Fall bitter bereuen würde .... als sie jedoch anfängt, irgendwelche blutrünstigen Geburtsgeschichten aus der Wundertüte ihrer weitverzweigten Verwandtschaftsbeziehungen hervorzukramen und ihr eifriger Gesichtsausdruck unübersehbar darauf hindeutet, dass sie sich gerade auf ein nächtliches Plauderstündchen einrichtet, schleudert Caewlin ihr einen drohenden Blick zu und scheucht sie in die Küche hinunter, um Cofea zu kochen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht klammert Raven sich an das Geländer der Galerie und kommt zu dem Schluss, dass ein Becher frisch gebrühten Cofeas gar nicht mal so übel wäre. Sie hat zwar keine Ahnung, ob es irgend etwas schaden könnte, wenn sie jetzt während der Wehen welchen trinkt, aber sie hat auch die ganze Schwangerschaft über welchen getrunken, also wird sie ein Becher von dem Gebräu schon nicht gleich umbringen.

"Meinst du, ich kann mir auch einen genehmigen?" fragt sie erschöpft und lehnt sich mit schmerzendem Rücken gegen Caewlin. "Es wird schon nichts schaden, und ich glaube, wir könnten jetzt wohl beide einen vertragen." Sie legt den Kopf in den Nacken und schaut zu ihm empor. Sein Gesicht sieht müde aus und beginnende Bartschatten schimmern auf Kinn und Wangen. "Lass uns eine Pause machen. Bitte. Ich kann kaum noch laufen und wenn ich noch einmal an diesem knarzenden Dielenbrett da vorne vorbei muss, werde ich vermutlich einen hysterischen Anfall bekommen." Ihr Blick wandert zu den Oberlichtern der Küche hinüber, doch dahinter tut sich nur schwarzer, wolkenverhangener Nachthimmel auf und sie kann beim besten Willen nicht schätzen, wie spät es sein mag. Jegliches Zeitgefühl scheint ihr abhanden gekommen zu sein, und das einzige, was sie noch weiß, ist, dass es irgendwann zwischen Mitternacht und erstem Vogelgezwitscher sein muss. Sie ist müde, ihre Füße schmerzen, ihr Rücken schmerzt und sie sehnt sich nur noch nach Schlaf und einem weichen Bett. Prompt schließt sich die eiserne Faust der nächsten Wehe um ihren Leib und lässt sie keuchend in die Knie gehen, wie als Erinnerung daran, dass sie hier noch lange nicht fertig sind und der Schlaf noch eine Weile warten muss. Tränen schießen ihr in die Augen und über ihre Lippen flattert ein kaum hörbarer, wimmernder Laut. Zwei Dutzend Herzschläge lang sind die Schmerzen so schlimm, dass sie kaum atmen kann und sich vor Qual zu einem Häuflein Elend zusammenkrümmt, während ihre Finger sich um Caewlins Arm krallen und sie spüren kann, wie das kleine Gewicht des Kindes in ihrem Leib immer weiter hinab ins Becken rutscht. Keuchend schnappt sie nach Luft und als sie wieder zu Atem kommt, ist auch noch das letzte Restchen Farbe aus ihrem Gesicht gewichen. "Vielleicht hilft ein heißes Bad", schnauft sie und unterdrückt einen weiteren Schmerzenslaut. "Und falls nicht, kann ich mich wenigstens in der Wanne ersäufen. Vielleicht sollte ich mich wirklich noch eine Weile ins Wasser legen, dann kannst du dich auch ausruhen und in Ruhe Cofea trinken."

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Caewlin am 07. Apr. 2006, 23:24 Uhr
Raven ist mehr als einverstanden mit einem kleinen Nachtspaziergang und scheint von sich aus das Bedürfnis zu haben, sich zu bewegen, also schlüpft er ebenfalls in ein Hemd und sie machen sich auf, im Obergeschoss ihre Runden zu drehen, bis Pyp mit Niniane zurück wäre. Caewlin hat keine Ahnung, ob Laufen in ihrem Zustand gut oder schlecht ist, aber er erinnert sich daran, dass Morgana auch Cal herumgescheucht und ihr lange nicht erlaubt hatte, sich hinzulegen, und hofft einfach darauf, das Richtige zu tun. Was bei Bryndens Geburt allerdings dreizehn lange Stunden gedauert hatte, scheint Raven in sehr viel weniger Zeit erledigen zu wollen, denn die Wehen kommen schon von Anfang an so regelmäßig, dass man eine Sanduhr danach hätte umdrehen können, und werden von Mal zu Mal stärker. Dalla hat Wort gehalten und niemanden sonst geweckt - ihre geschäftigen Vorbereitungen dringen zwar als leises Klappern und verlässliches Prasseln von Herdfeuer bis zu ihnen, doch der Rest des Hauses träumt friedlich weiter, unbehelligt von den nächtlichen Geschehnissen. Im langen Gang quer durch den ersten Stock des Hauses herrscht angenehmes Halbdunkel, nur erhellt vom sanften Kerzen- und Feuerschein aus ihrem Schlafgemach, dessen Tür halb offen steht, und dem Licht, das durch die Galerie aus der Küche heraufdringt - und bis auf das eine Mal, als Dalla sie erwischt und sich prompt an Ravens Fersen heften will, bleiben sie auch vollkommen ungestört. Während sie nebeneinander vom einen Ende des Flurs zum anderen tappen, unterhalten sie sich leise, sofern nicht gerade eine Wehe Raven dazu zwingt, sich haltsuchend an ihn zu klammern, zu prusten wie ein Orca oder wie eine erboste Katze fauchende Zischlaute von sich zu geben.

Caewlin kann nichts weiter tun, als sie festzuhalten, sie an sich zu drücken und leise, nordische Koseworte in ihr weiches Haar zu flüstern, bis die Kontraktionen vorbei sind und sie wieder atmen kann. Wenn sie sich an ihn lehnt, kann er das Anspannen und Zusammenziehen ihrer Muskeln am eigenen Körper spüren, jene seltsamen, geheimnisvollen Kräfte, die dort am Werk sind wie verborgene Strömungen tief unter der Oberfläche - und obwohl ihn das Gefühl jedesmal mit fassungsloser Ehrfurcht erfüllt, verwandelt es gleichzeitig auch das Omelett in seinem Magen in einen kalten Klumpen Eisenerz. Das Kind darunter ist ganz ruhig... deutlich zu spüren unter der dünnen, straff gespannten Haut, verharrt es vollkommen reglos und scheint nur zu warten. Wenn er sieht, wie Ravens Gesicht jede Farbe verliert, sie sich vor Schmerzen krümmt und sich so bemüht, tapfer zu sein, würde er sie am liebsten überhaupt nicht mehr loslassen und diesen Schmerz irgendwie vertreiben, aber er kann ihr das nicht abnehmen, so sehr er es sich wünscht. Und selbst wenn er es könnte, er dürfte es nicht, und tief in seinem Inneren weiß er es auch. Das hier ist ihre Sache, ihre Stunde, ihr Kampf, wenn man so will. Andererseits staunt er auch über die unkomplizierte Schnelligkeit und schlichte Klarheit, mit der das alles zu geschehen scheint... sie laufen, die Wehen kommen und gehen, und im Gegensatz zu Raven, der es bestimmt wie eine halbe Ewigkeit vorkommen muss, weiß er, dass höchstens eine, vielleicht eineinhalb Stunden vergangen sein können, seit sie nach oben gegangen sind -  kein Vergleich also zu jener quälend langsamen, vollkommen erschöpfenden Tortur, mit der Brynden zur Welt gekommen war. "Aye" murmelt er leise in das warme Halbdunkel ringsum, während sie Arm in Arm an der Galerie entlangwandern, "den Göttern sei Dank." Eine alte und abgenutzte Phrase, aber in diesem Moment klingt sie tatsächlich wie ein Dankgebet.

Aus der Küche dringt der Geruch von frischem Cofea in ihre Nasen, den zu kochen er Dalla vorhin aufgetragen hatte, um die in ihrer schnatternden Konfusion ganz aufdringliche Mogbarmagd möglichst rasch wieder loszuwerden, und Raven lehnt sich schwer atmend an ihn. >Meinst du, ich kann mir auch einen genehmigen?< Ihre Stimme klingt ein wenig belegt, aber der inbrünstige Unterton in ihrer Frage lässt ihn leise lachen. Caewlin hält sie mit dem rechten Arm fest und fährt ihr mit den Fingerknöcheln der Linken vom Nacken bis zu ihrem kleinen, runden Hintern fest an der Wirbelsäule entlang, was sie mit einem seufzenden Schnurrlaut quittiert. >Es wird schon nichts schaden, und ich glaube, wir könnten jetzt wohl beide einen vertragen.< "Ich kann mir nicht vorstellen, dass es irgendwie schlecht für dich oder das Baby wäre, solange du nicht gleich die ganze Kanne trinkst, min koerlighed." Sie dreht den Kopf ein wenig und sieht zu ihm hoch, und er ist sehr versucht, ihre Nasenspitze zu küssen, aber ihre leise Stimme kommt ihm zuvor. >Lass uns eine Pause machen. Bitte. Ich kann kaum noch laufen und wenn ich noch einmal an diesem knarzenden Dielenbrett da vorne vorbei muss, werde ich vermutlich einen hysterischen Anfall bekommen.< Er kann sie gut verstehen - inzwischen haben sie jedem einzelnen Dielenbrett alberne Namen gegeben, kennen die Schnitzereien auf allen Truhen auswendig und wissen wieviele Sprossen das Geländer um die Galerie hat -  viele Sehenswürdigkeiten, außer Dallas Anblick von oben, die im Nachtgewand mit der Haube auf dem Kopf verdächtig nach einem herumschwebenden weißen Stopfei aussieht, hat der Gang als Ablenkung nicht zu bieten. "Natürlich. Willst du dich hinlegen? Soll ich dich ins Bett bringen? Niniane muss jeden Augenblick hier sein und Dalla kann uns zwei Becher Cofea nach oben bringen, wenn..."

Weiter kommt er nicht mehr, denn die nächste Wehe überrollt Raven mit unvermittelter Wucht und ohne jede Vorwarnung. Er kann sie gerade noch auffangen, als sie mit einem fast überraschten Jammerlaut in die Knie geht und der Erzklumpen in seinem Magen, schon halb in Vergessenheit geraten, meldet sich mit kalter Gründlichkeit zurück. Ihre Hände klammern sich an seinen Unterarm wie Schraubstöcke und ihr ganzer Körper verkrampft sich, während die Wehe sie erbarmungslos durchschüttelt - ihm bleibt währenddessen nur, ihr beruhigend über den Rücken zu streichen und sie auf den Beinen zu halten. Raven erträgt es irgendwie, japsend und wimmernd, und selbst als der Schmerz langsam abflaut und sie sich vorsichtig wieder aufrichtet, ist sie noch wachsweiß im Gesicht. >Vielleicht hilft ein heißes Bad. Und falls nicht, kann ich mich wenigstens in der Wanne ersäufen.<
"Hmpf." Er sieht sie streng von oben an und dieses Hmpf klingt sehr eindeutig und unverwechselbar nach: Wag es ja nicht, daran auch nur zu denken und hör auf, solchen Unsinn zu reden. >Vielleicht sollte ich mich wirklich noch eine Weile ins Wasser legen, dann kannst du dich auch ausruhen und in Ruhe Cofea trinken.<
"Ein Bad zu nehmen ist vermutlich gar kein schlechter Gedanke." Er legt den Kopf leicht schräg und lächelt ein verzogenes, halbes Lächeln. "Warmes Wasser lindert den Schmerz bestimmt ein wenig, und es entspannt." Sie drehen kurzentschlossen um und steuern auf die Treppe zu, doch die Stufen hinunter in die Halle trägt er sie zur Sicherheit lieber - den Göttern sei Dank bleibt Raven bis zum Nordflügel von weiteren Wehen verschont, aber direkt vor dem Bad erwischt sie die nächste, und sie muss schweratmend und keuchend vor Schmerz im Türrahmen stehenbleiben.

Caewlin hält sie auch diesmal bis es vorbei ist, und lässt sie dann langsam und vorsichtig auf einen Schemel nieder, während er die durchbrochenen Öllampen und Laternen an den Wänden entzündet, ihr dann heißes Wasser einlässt und zuletzt noch bernsteinfarbenes Öl aus einem ihrer zahlreichen Flakons und Tiegelchen dazugibt. Der Geruch von Honig und Mandelblüten breitet sich mit duftenden Schaumbergen über dem Wasser aus und er hilft ihr aus dem Hemd. Da er nicht riskieren will, dass sie auf den glatten Fliesen ausrutscht, hebt er sie kurzerhand einfach in die Wanne, und Raven verkriecht sich gleich darauf bis zum Kinn im warmen Wasser wie unter einer schützenden Decke, legt den Nacken auf den Rand und schließt die Augen. "Besser?" Er setzt sich zu ihr und einen Moment lang blinzelt sie ihn an, als wolle sie gleich fragen, was er denn immer noch hier täte. Die Nacht vor den hohen Sprossenfenstern draußen ist pechschwarz und der Regen klatscht inzwischen in schweren Tropfen an die Scheiben, wo er silberne Wasserschlieren hinterlässt. "Ich lasse dich nicht allein. Ich hole uns gleich Cofea min koerlighed, wenn du welchen möchtest, aber ansonsten gehe ich hier nicht weg. Ich muss mich nicht ausruhen - du bist es doch, die hier die Schwerstarbeit macht." Er streckt die Hand aus, streicht eine wirre, nasse Haarsträhne von ihrer Wange und spürt sein Herz plötzlich heftig schlagen. Am liebsten hätte er ihre aufgesprungenen Lippen blutig geküsst und sie so festgehalten, dass niemand, auch das schrecklichste Schicksal nicht, sie ihm dann noch nehmen könnte. Der Gedanke ist irrational und vollkommen grundlos, und doch überfällt er ihn aus dem Nichts und irgendwo in seinem Inneren flüstert eine leise, kalte Stimme, dass es noch nicht vorbei ist, dass immer noch etwas Schlimmes geschehen kann, dass das Schicksal grausam ist und die Götter rachsüchtig sind. Er verbannt den Gedanken so tief nach unten wie möglich und irgendwie gelingt es ihm sogar, sie unbekümmert anzulächeln.

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Niniane am 08. Apr. 2006, 10:44 Uhr
In der großen, gemütlichen Küche des Seehauses, dem einzigen Raum im Haus, in dem sich etwas regt, beginnt die Luft auf einmal zu flirren, als wabere Hitze über dem Horizont. Zu dem Flirren gesellt sich ein leiser Summton, der jedoch im Blubbern von drei gewaltigen Wassertöpfen auf dem Herd vollkommen untergeht, und schließlich eine Art goldener Staub in der Luft, der aber außer einem interessiert dreinblickenden roten Katzenkind auf einem Stuhl und einem eher neugierig als drohend schnüffelnden Arduner Wolfshund darunter gerade niemanden interessiert. Dann ertönt ein leises "Plopp", gefolgt von einem synchronen Fauchen und einem erfreuten Wuff!, die ebenso ungehört verhallen, und eine an sich schlanke, durch gewisse Gepäckstücke und einen Umhang momentan aber eher unförmige Gestalt erscheint mitten im Golddunst. Huch! Niniane, sonst zielsicherer, landet mitten auf dem ausladenden Esstisch in einer vor unterdrückter Erregung und geschäftiger Betriebsamkeit geradezu glühenden Küche, und balanciert mitsamt ihrer Tasche über dem Arm und ihrem Baby in seinem Weidenkörbchen auf der anderen Hüfte erschrocken auf einem Bein zwischen zwei Tellern herum, um nicht aus Versehen auf einen mit Erdbeermarmelade verschmierten Pfannkuchen zu treten. Mist, um einen ganzen Schritt verschätzt, du warst auch schon einmal besser im Teleportieren! Sie hatte die Küche angepeilt, weil dort ihrer Meinung nach momentan wohl am Wenigsten mit Caewlins Anwesenheit zu rechnen ist, und sie absolut nicht sagen kann, wie er auf derlei Zauberkunststückchen reagieren würde, und sich dabei glatt mit der Anordnung der Möbel vertan.

Obwohl der ganze Raum vor Gefühlen summt, ist im Augenblick nur Ravens und Caewlins kleine Oberste Magd darin zu sehen, die Mutter Pypars, des Bengels, der Cron und sie selbst vor einer guten halben Stunde aus dem Schlaf gehämmert hatte, dass man hätte meinen können, halb Talyra brenne ab. Vor lauter Aufregung und Atemlosigkeit, hatte er eine geschlagene Viertelstunde gebraucht, um überhaupt ein klares Wort herauszubekommen, und sie war, nachdem sie ihr Baby und ihre Tasche gepackt hatte, sofort hierher aufgebrochen - auf ihren Wegen, da sie mit Leir kaum Anarvendis nehmen und durch eine verregnete Nacht reiten kann. Der Mogbarjunge hatte sich wieder auf's Pferd geschwungen, kaum dass er die Nachricht überbracht hatte, aber er würde am Strand entlang noch ein Weilchen brauchen, bei diesem stürmischen Wetter allemal. Mein Weg ist nicht nur schneller, er ist auch trockener, stellt sie nicht ohne Genugtuung fest, nur um sich gleich darauf selbst auszuschimpfen. Ach Papperlapapp, du Königin des Teleportierens! Sieh dich doch an - du stehst mitten auf dem Küchentisch. Mach endlich, dass du hier herunterkommst, bevor Dalla dich so sieht und das ganze Haus zusammenschreit! Sie hüpft mit einem eleganten kleinen Hopser vom Tisch und landet weich und lautlos neben Stelze, der ihr wiedersehensfreudig um die Beine streicht, seine großen grauen Pfoten gegen ihre Hüften stemmt, den Schädel gehen ihren Bauch rammt und hechelnd ihren Umhang vollsabbert, während er gleichzeitig versucht, das Weidenkörbchen des Babys abzuschnüffeln und ihr die Hände zu lecken. "Argh, Stelze, geh von mir runter, bitte!"

Die Mogbarmagd, im Nachtgewand und mit Schlafhaube, die gerade noch ahnungslos mit dem Rücken zu ihr stand und geschäftig in vier Töpfen herumgerührt hatte, fährt mit einem erschrockenen Kiekser herum und stottert dann verdattert, dass das aber schnell gegangen wäre, merkwürdig, merkwürdig und sie habe M'lady gar nicht kommen hören. Niniane, mit Hebammentasche, Leir, Weidenkorb, Umhang und Stelze eindeutig überfordert, hat keine Zeit für lange Erklärungen und murmelt nur: "Ja, Pyp kommt gleich nach, ich war nur hm, ein wenig... schneller." Dann drückt sie der verwirrten Dalla kurzerhand das Weidenkörbchen samt Baby und die zugehörige Tasche mit Windeln, Puder, Spucktuch und Ersatzkleidern in die Hand. "Hier, bitte. Nimm den Kleinen, er schläft. Ich habe ihn vor einer halben Stunde erst gefüttert, vor dem Morgengrauen sollte er eigentlich nicht aufwachen. Wo finde ich Raven, Caewlin oder beide?" Dalla nimmt Leirs Körbchen in Empfang und ihre kleinen, runden Augen glänzend spekulativ beim Anblick des Babies, doch dann besinnt sie sich auf die Frage und rattert in atemberaubender Geschwindigkeit hervor, M'lord und M'lady seien im Bad. Ihr Gesichtsausdruck macht dabei deutlich, dass sie das in M'ladies Zustand nicht nur für die reinste Zeitverschwendung, sondern für geradezu lebensgefährlich hält, doch Niniane lächelt nur. Ein Bad ist manchmal genau das Richtige, um die Wehen zu fördern und den Schmerz dabei zu lindern, doch hatte sie in ihrem bisherigen Hebammendasein selten genug Gelegenheit, die werdenden Mütter in eine heiße Wanne zu verfrachten, schließlich besitzen die wenigsten den Luxus eines eigenen Badezimmers... und von diesem Badezimmer hat sie schon soviel vorgeschwärmt bekommen, dass sie es kaum erwarten kann, es endlich mit eigenen Augen zu sehen.

"Ich wollte ihnen gerade eine Kanne Cofea bringen, seht Ihr, hier steht alles schon bereit, aber dann hat das Wasser auf dem Herd angefangen zu kochen und hier war noch dies und jenes zu tun und ich... und dann die Eier... und oh, die Hafergrütze für das Morgenmahl und..."
"Schon gut. Ich nehme den Cofea gleich mit," sie stibitzt sich eine dritte Tasse aus dem Schrank, bittet um ein wenig Rahm und Zucker, bekommt auch beides, lächelt Dalla entzückt an, vergewissert sich mit einem raschen Blick, dass Leir immer noch tief und fest schläft, und entschwindet dann samt Tablett, Kanne, Schälchen, Rahm und Bechern darauf durch die Tür in die Halle und von dort in den Nordflügel. Das Haus ist außerhalb der Küche dunkel und still, und für einen Moment überkommt sie das heimliche, fast ein wenig verruchte Gefühl, ungesehen, ungehört und unbemerkt durch eine fremde Welt zu schleichen. Niniane, jetzt wirst du albern. Sie erreicht die letzte Tür im Nordflügel und der leichte Duft von heißem Wasser und Badeöl steigt ihr in die Nase, außerdem hört sie sachtes Plätschern und leise Stimmen. Sie hat keine Hand frei, um anzuklopfen, also räuspert sie sich und drückt die Klinke dann behutsam mit dem Ellenbogen herunter, so dass die zugehörige Tür leise nach innen aufschwingt. Als erstes sieht sie Caewlins breiten Rücken, der am Rand einer einzigartigen und umwerfend schönen Drachenbadewanne sitzt, und in der Wanne zwischen Seifenschaum und waberndem Dampf erkennt sie Ravens blasses Gesicht. Sie nickt den beiden lächelnd zu und tritt ein, doch auch wenn sie ja schon viel von diesem Bad gehört hat, der Anblick verschlägt ihr doch im ersten Moment die Sprache.

Als sie sie endlich wiederfindet, kann sie auch nur ein vollkommen verblüfftes: "Heilige Götter... das ist ja... ach du Schei... Schande, Schande. Ich meinte Schande," von sich geben. Ihr Blick irrt eine Zeitlang wild durch den Raum, von einer Ecke zur anderen, huscht über Spiegel, Laternen, Waschtische und Fliesen und sucht dann den Ravens. "Es ist wirklich so schön wie du gesagt hast." Sie geht zu den beiden hinüber, stellt das Cofeatablett kurzerhand auf einem niedrigen Schemel ab und begrüsst zuerst Raven - in Ermangelung irgendeines trockenen Körperteils, den sie umarmen könnte, küsst sie ihrer Freundin nur die Wange -, und dann Caewlin. "Ich habe meinen Sohn bei Dalla gegen den Cofea eingetauscht, der ist wohl für euch gedacht - ich war so frei, mir auch einen Becher mitzubringen." Schon Ravens elendes, angestrengtes Gesichts verrät ihr, dass die Wehen schon seit einiger Zeit andauern, und wohl auch nicht mehr nur aus unangenehmem Ziehen, sondern bereits aus handfestem Schmerz bestehen. "Caewlin," bittet sie, "rück ein Stück zur Seite, damit ich sie mir ansehen kann, ja?" Der Sturmender wirft ihr einen unergründlichen Blick aus Augen zu, die aussehen, als hätten sie den größten Teil ihres Lebens damit zugebracht, auf eisige Gletscher niederzustarren (was sie höchstwahrscheinlich auch haben), rutscht dann aber doch - gerade weit genug, dass sie sich selbst an den Wannenrand quetschen kann. Nordmänner... Sie tauscht einen Blick mit Raven, in dem leise Belustigung aufschimmert, und tastet dann mit sanften, kräftigen Fingern ihren runden Bauch ab, der vorwitzig aus dem Seifenschaum ragt. Das Kind ist groß, soviel kann sie spüren und hält sich sehr ruhig, doch das tun die meisten kurz vor der Geburt - und es hat sich schon perfekt ausgerichtet, ganz tief im Becken, bereit in den nächsten Stunden geboren zu werden. "Es liegt genau richtig, min Ija. Lass mich dich noch ein wenig genauer untersuchen, es dauert nicht lange. Nicht erschrecken." Ihre Hand verschwindet unter Seifenschaum und warmem Wasser und in ihrem Rücken spürt sie die ganze Zeit über Caewlins taxierenden Blick.

Ihre eigenen Augen ruhen unverwandt in denen ihrer Freundin, bernsteinbraun und weit geöffnet, zugleich im Hier und Jetzt und doch auch nach Innen gerichtet. Sie kennt diesen abwesenden Blick, als versänken die Frauen unter der Geburt, ganz auf sich konzentriert,  vollkommen in den Vorgängen im Inneren ihres Körpers und hätten einfach nicht mehr genug Aufmerksamkeit für irgendetwas außerhalb ihres Bauches übrig. Der Muttermund ist weich und bereits ein gutes Stück geöffnet, wie sie zu ihrer Erleichterung feststellt. "Das sind mindestens fünf Sekhel, die Hälfte hast du schon geschafft," verkündet sie mit unverhohlenem Stolz auf Ravens bisherige Leistungen. Dann angelt sie in ihrer Tasche nach dem Hörrohr, setzt den dünnwandigen, glockenförmigen Trichter  vorsichtig an Ravens Bauch und ihr Ohr an das abgeflachte Ende des dünnen Holhstabes und lauscht. Es dauert nicht lange, bis sie die Herztöne des Kindes gefunden hat, ein rasches, energisches Klopfen ohne jede Auffälligkeit, untermalt mit dem leisen Rauschen von Blut und dem sanften Blubbern von Fruchtwasser. Ihre Nase kräuselt sich leicht unter konzentriert geschlossenen Augen. "Schön kräftig, genau wie er sein soll." Sie sieht Raven an, deren Gesichtsausdruck irgendwo zwischen verhaltener Vorfreude, beklommener Unsicherheit, Hoffnung und dem Nachhall der bisherigen Wehen herumschwankt und lächelt. "Hier, möchtest du selbst hören?" Sie drückt der jungen Frau das Hörrohr in die Hand und zeigt ihr, wo auf diesem seifenschaumumschleierten Bauch der Herzschlag zu finden wäre. Dann räumt sie den Platz an ihrer Seite, trocknet sich die Hände ab und schenkt ihnen allen Cofea ein.

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Raven am 09. Apr. 2006, 15:09 Uhr
So mühelos, als würde er ein Kind in einen Badezuber verfrachten, hebt Caewlin sie hoch, balanciert sie über den Wannenrand und setzt sie dann vorsichtig in den dampfenden Seifenschaumbergen ab. Das heiße Wasser ist eine Wohltat, und fast augenblicklich kann Raven spüren, wie sich ihre schmerzenden Glieder und die steinhart verkrampfte Bauchdecke ein wenig entspannen. Mit einem erleichterten Seufzer schließt sie die Augen, streckt alle Viere von sich und lässt sich tiefer in die Wanne sinken, so dass sie bequem ihren Kopf auf die Umrandung betten kann. Einen langen, langen Moment liegt sie einfach nur reglos da und lässt Wasser und Hitze ihre lindernde Wirkung tun, ganz darauf konzentriert, ruhig und gleichmäßig zu atmen und den Gedanken an die nächste anrollende Wehe ganz weit weg zu verbannen, am besten gleich in ein weit entferntes Universum. >Besser?< hört sie Caewlins Stimme leise durch die duftenden Dampfschwaden fragen, und sie nickt. "Viel besser. Das Wasser tut wirklich gut." Am liebsten hätte sie sich wie ein kleiner Igel in einem Kokon schützender Stacheln zusammengerollt und sich der trügerischen Illusion hingegeben, sie würde nur ein gemächliches, nächtliches Bad nehmen, um anschließend quietschfidel, rundum wieder beweglich und ohne auch nur den leisesten Hauch von Schmerzen aus der Wanne hüpfen zu können. Doch sie braucht nur die Augen einen Spalt zu öffnen und in Richtung ihrer Füße zu blinzeln, und die Illusion fällt in sich zusammen wie ein Hefekuchen, den man zu früh aus dem Backrohr zieht. Der freien Sicht auf ihre aus dem Wasser lugenden Zehen ist nämlich nach wie vor ihr gewaltiger Bauch im Weg, der nassglänzend und kugelrund aus den Schaumgebirgen ragt wie eine Insel aus der Meer. Vorsichtig tastet sie darauf herum und versucht herauszufinden, ob das Kind richtig herum und Kopf nach unten liegt. Sie kann auch jede Menge kleiner Körperteile fühlen, aber ob sie unter ihren Fingern gerade einen kleinen Ellbogen, ein Füßchen oder ein Knie, den Kopf oder das Hinterteil spürt, kann sie beim besten Willen nicht sagen.

Caewlin hat sich noch keinen Fingerbreit von ihrer Seite wegbewegt und scheint auch nicht die Absicht zu haben, irgendwo außerhalb des Badezimmers eine Pause einzulegen, und als sie fragend den Blick auf ihn richtet, erklärt er: >Ich lasse dich nicht allein. Ich hole uns gleich Cofea min koerlighed, wenn du welchen möchtest, aber ansonsten gehe ich hier nicht weg. Ich muss mich nicht ausruhen - du bist es doch, die hier die Schwerstarbeit macht.< Er lächelt sie aufmunternd an und streicht ihr eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht, doch obwohl seine Miene nach außen hin völlig unbekümmert scheint, kennt Raven ihn zu gut, um sich davon täuschen zu lassen. In seinen hellen Augen schimmert etwas auf, wie ein Schatten, der vom Grunde eines tiefen, stillen Sees an dessen Oberfläche steigt, ein Funke leise nagender Ungewissheit, und sie weiß, dass er in ihren eigenen Augen ein Spiegelbild all dessen erblicken kann. Alles um sie herum strahlt Zuversicht aus, alles ist vorbereitet, alles ist bisher gutgegangen, und doch schleicht sich in ihrem Inneren eine kribblige, bange Unruhe ein, als würde die Angst mit gespenstisch dünnen Fingerknöcheln an ihrem Herzen pochen und Einlass begehren. Entschlossen versucht sie, dieses Gefühl gleich im Keim zu ersticken. "Mir geht es gut", versichert sie Caewlin lächelnd und ein wenig zittrig, weil sie schon deutlich spüren kann, wie sich die nächste Wehe ankündigt, und fängt seine Hand ein, die ruhelos über die Drachenschuppen des Wannenrandes wandert. Sie schließt ihre Finger um seine, zieht sie an ihre Lippen und küsst sie sacht, um daraufhin ihre Wange in seine Handfläche zu schmiegen. "Wirklich. Mach dir keine Sorgen, bestimmt wird alles klappen und wir werden bald das wunderbarste Kind der Welt haben. Nein, natürlich die zwei wunderbarsten Kinder der Welt", korrigiert sie, die Gedanken bei Brynden, der ein Stockwerk über ihnen friedlich in seinem Bettchen schnarcht und keine Ahnung von den Ereignissen hat, die sich gerade abspielen. "Und du bist doch bei mir. Bei uns. Es kann gar nichts schief gehen."

Wie eine Welle rollt die Wehe von ihrem Rücken aus an, breitet sich in den Bauch aus, in den Unterleib, in sämtliche Muskeln und Knochen, und krümmt ihren Leib zusammen, dass sie knirschend die Zähne zusammenbeißen muss, um nicht aufzuschreien. Unter der zum Zerreißen angespannten Haut wüten gewaltige Kräfte, krampfen sich Muskeln zusammen und schieben das Kind tiefer ins Becken hinab, so schmerzhaft, dass Raven glaubt, davon zerspringen zu müssen. Und ihre aufgesetzte Tapferkeit zerspringt gleich mit und hinterlässt nach dem Abflauen der Wehe ein zitterndes, nach Luft japsendes Bündel Elend. Es kostet enorme Kraft, diese barbarischen Schmerzen auszuhalten und sie spürt, wie die ganze Sache allmählich beginnt, an ihrer Substanz zu zerren. Götter, wie lange kann das denn noch dauern? Sie schließt die Augen und versucht, tief und langsam zu atmen, um ihr rasendes Herz zu beruhigen und wieder Luft in ihre Lungen zu bekommen. Als sie die Augen wieder öffnet und den Kopf ein wenig zur Seite wendet, um Caewlins Blick zu suchen, erspäht sie hinter seinem Rücken und einem wallenden Dunstschleier Niniane - beladen wie ein azurianischer Packesel mit ihrer schweren, ausgebeulten Ledertasche und einem Tablett voller Geschirr nebst dampfender Kanne, Bechern, Rahmkrug und einer Schale Zucker -, die sich mit verblüfft aufgerissenen Augen im Badezimmer umsieht und den Mund offen stehen hat wie ein steinerner Wasserspeier. Bei ihrem Auftauchen fühlt Raven sich gleich ein wenig sicherer, so als wäre die Anwesenheit einer Hebamme - und nur die Götter allein wissen wohl, wie vielen Kindern die Waldläuferin in ihrem langen Leben schon auf die Welt geholfen hat - eine Garantie dafür, dass nun wirklich alles gutgehen müsste.

Als Niniane mit ihrer Badezimmerbesichtigung fertig ist und sich von ihrer Überraschung wieder einigermaßen erholt hat, setzt sie kurzerhand das Tablett und ihre Tasche ab, und begrüßt sie beide so fröhlich und ausgeschlafen, dass Raven mutmasst, sie müsse über einen geheimen Wachzauber verfügen, der sie trotz der nächtlichen Stunde so putzmunter wirken lässt, als hätte sie gerade zwei Dutzend Stunden erholsamen Schlaf und ein fürstliches Frühstück hinter sich. Sie berichtet, dass sie gerade bei Dalla ihr Kind gegen eine Kanne Cofea eingetauscht hat, und hält sich ansonsten gar nicht erst lange mit Höflichkeitsfloskeln oder überflüssiger Konversation auf, sondern beordert Caewlin energisch zur Seite und kniet sich neben den Rand der Wanne. Ihre schlanken Hände huschen wissend über Ravens Bauch, tasten hier und fühlen dort, drücken, halten inne, wie um zu lauschen, und bewegen sich dann sachte wieder weiter. Während der ganzen Prozedur spricht Niniane kein einziges Wort, sondern legt nur konzentriert den Kopf schief und runzelt die Stirn, als wolle sie mit irgendwelchen geheimnisvollen Elbensinnen, die nur sie allein kennt, auskundschaften, was unter der straff gespannten Haut vor sich geht. Sie schweigt so lange, bis Raven einen nervösen Blick mit Caewlin tauscht und allmählich schon anfängt, sich Sorgen zu machen, ob vielleicht mit dem Kind etwas nicht stimmt, als die Waldläuferin schließlich lächelnd Entwarnung gibt: >Es liegt genau richtig, min Ija. Lass mich dich noch ein wenig genauer untersuchen, es dauert nicht lange. Nicht erschrecken.< Die Warnung kommt gerade noch rechtzeitig, um zu verhindern, dass Raven tatsächlich vor Schreck an der Decke klebt, aber dann hält sie geduldig still, während Niniane an Stellen herumtastet, an denen von Rechts wegen eigentlich nur der Hüne von Mann neben ihr etwas zu suchen hätte.

>Das sind mindestens fünf Sekhel, die Hälfte hast du schon geschafft<, meldet sich Niniane zu Wort, als sie aus dem Seifenschaum wieder auftaucht, und es klingt fast triumphierend, wogegen Raven die Kinnlade nach unten sackt. "Das war jetzt erst die Hälfte?" Ihr Mut und ihre Zuversicht schrumpfen augenblicklich zu einem kleinen Klumpen unsicherer Beklommenheit zusammen. Herrje, das überlebe ich nicht. "Wie .... wie schlimm werden die Schmerzen denn noch werden?" Die Waldläuferin erspart ihr eine Antwort und beginnt stattdessen, in der geräumigen Tasche herumzukramen, die sie in Reichweite abgestellt hat. Aus deren bauchigen Tiefen fördert sie ein merkwürdiges, längliches Instrument zu Tage, das Raven auf den ersten Blick eher an ein Foltergerät denken lässt, als an das Hilfsmittel einer Hebamme. Sichtlich beunruhigt schaut sie zu, wie Niniane damit herumhantiert und ihr das Ding an den gewölbten Bauch presst, dann zufrieden nickt und ihr mit einem aufmunternden Lächeln das Hörrohr reicht. >Hier, möchtest du selbst hören?< Es kostet Raven einige Verrenkungen und sie muss sich erst mühsam aufsetzen und in die Senkrechte hieven, bevor es ihr gelingt, das starre Rohr mit dem kleinen Trichter an die Unterseite ihres Bauchs zu pressen und gleichzeitig ihr Ohr an dessen anderem Ende zu platzieren. Zuerst hört sie überhaupt nichts außer wildem Geglucker und einem seltsamen Rauschen, doch dann weiten sich ihre Augen in ungläubigem Staunen, als ein lautes, energisches to-tock-to-tock-to-tock an ihr Ohr dringt. "Das ist sein Herz", flüstert sie völlig überwältigt und lauscht hingerissen dem wilden Pochen, "Götter im Himmel, sein kleines Herz ... so schnell .... hör doch nur!"

Ihr Blick fliegt zu Caewlin, der in einer Mischung aus Neugier und Misstrauen ihr Treiben beobachtet. "Hör dir das an", haucht sie ergriffen und reicht ihm das Hörrohr, während eine Welle heißer Zärtlichkeit für dieses hilflose und doch schon so starke kleine Wesen in ihrem Bauch über sie hinwegbraust. Seinen Herzschlag zu hören gibt ihr wieder Auftrieb und sie weiß, dass es im Moment auf Gedeih und Verderb allein auf sie angewiesen ist, und es nun ihre Aufgabe ist, es wohlbehalten auf die Welt zu bringen. Und das werde ich auch tun, und wenn es mich das Letzte kosten wird, mach dir keine Sorgen, Baby. Die guten Vorsätze halten allerdings gerade mal bis zur nächsten Wehe, die sich weder um Versprechungen noch um Gefühlsduseleien schert, sondern mit unaufhaltsamer Macht heranrollt und sie wimmernd und keuchend in die Knie zwingt. Raven hängt mit bleichem Gesicht am Wannenrand, wie ein Schiffbrüchiger, der sich an die letzte Planke klammert, bis der Schmerz seine reißenden Klauen von ihr löst und allmählich wieder abflaut. "Götter..." keuch "...ist das immer so schlimm?" keuch "Ist das bei jeder Geburt so, min Ija?" Während sie sich erschöpft ins Wasser zurückgleiten lässt, erzählt Niniane von der Geburt ihrer eigenen Kinder und der von Borgils Sohn, bei der sie ebenfalls als Hebamme fungiert hatte. Dankbar nimmt Raven Caewlin den Cofeabecher ab, den er ihr reicht, und umklammert ihn mit flatternden Fingern. Schweißperlen rinnen ihr über Stirn und Schläfen und versickern in ihrem Haar und sie fühlt sich allmählich, als hätte sie jemand durch einen Fleischwolf gedreht. In kleinen Schlucken trinkt sie das heiße, bittere Gebräu, lauscht dabei den Worten der Waldläuferin, und schafft es gerade noch, den Becher zu leeren, bevor die nächste Wehe sie erfasst.

Sie ist erschöpft und müde, unsäglich müde, und ein blinzelnder Blick aus den hohen Bogenfenstern lässt sie die ersten zaghaften Streifen von morgendlichen Grau am wolkenverhangenen Himmel erkennen. Erste verschlafene Vogelstimmen regen sich in den Bäumen im Garten, und es kann nicht mehr lange dauern, bis die Sonne aufgehen wird und ein neuer Tag anbricht. Bald werden die restlichen Bewohner des Hauses erwachen, zumindest Bethel, die jeden Morgen mit den Hühnern aufsteht, und auch Brynden wird aus seinem Bettchen krabbeln und lautstark Frühstück verlangen. Und noch immer ist kein Ende all dieser Schmerzen und Qualen in Sicht. Inzwischen ist Raven schon für die wenigen Minuten Ruhe dankbar, die ihr zwischen zwei Wehen gegönnt sind, doch die Pausen werden kürzer und kürzer und reichen kaum noch aus, um wieder zu Atem zu kommen und genügend Kraft zu sammeln, um die nächste Schmerzwelle durchzustehen. Einen weiteren Becher Cofea und drei gewaltige Wehen später kann sie spüren, dass die Fruchtblase reißt und ein Schwall klarer, blassgoldener Flüssigkeit ins Wasser strömt. Erschrocken reißt sie die Augen auf und klammert sich an den Wannenrand, in dem mühsamen Versuch, irgendwie auf die Füße zu kommen. "Vielleicht sollte ich jetzt doch besser aus der Wanne heraus", ächzt sie und entwickelt auf einmal ziemlich hektische Aktivitäten, als hätte sie plötzlich Angst, das Kind könnte kommen, während sie noch in der Wanne liegt. Sie schafft es jedoch beim besten Willen nicht weiter als bis auf die Knie, dann müssen Caewlins starke Arme helfen. Sie trocknet sich notdürftig ab, wringt ihr triefendes Haar aus und wickelt sich in Caewlins Hemd, in der Hoffnung, dass sie das Schlafgemach erreichen würden, bevor die nächste Wehe sie erwischt.

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Niniane am 11. Apr. 2006, 22:57 Uhr
Niniane verteilt den Cofea für Raven, Caewlin und sich selbst in drei Becher, gibt in ihren außerdem noch großzügig Rahm und Zucker und stellt das ganze Tablett dann samt Schemel in Reichweite näher an den Wannenrand, so dass die beiden sich bedienen können. Sie beobachtet mit liebevoll amüsiert gekräuselten Lippen, wie Raven begeistert mit dem Hörrohr auf ihrem voluminösen Bauch herumtastet und in ihrem blassen Gesicht schließlich die Sonne aufgeht, als sie den Herzschlag ihres Kindes findet. >Das ist sein Herz,< stellt sie begeistert fest und drängt prompt Caewlin den dünnen, hohlen Stab mit dem trichterförmigen Ende in die Hand. >Götter im Himmel, sein kleines Herz ... so schnell .... hör doch nur!< Niniane vergräbt lächelnd ihre Nase im Cofeabecher, während Caewlin den Herztönen seines Kindes lauscht - ein Geräusch, das ihm zweifellos schon seit Monden bestens bekannt sein dürfte, dennoch hört er Ravens Bauch ab. Der Gesichtsausdruck des Sturmenders bleibt auch dabei so unergründlich wie immer, doch Niniane kennt ihn inzwischen gut genug, um zu wissen, dass es in seinem Inneren bestimmt nicht so gelassen aussieht, wie seine stoische äußere Ruhe vermuten lässt - und das vage Lächeln, das in seinen Mundwinkeln aufschimmert, ist sehr sanft. Dann setzt sie sich auf Ravens freie Seite neben den Drachenkopf und antwortet auf deren entsetzte Frage von vorhin, wie schlimm die Schmerzen denn noch werden würden. "Ein bißchen schlimmer vielleicht noch, aber nicht viel, du bist schon ziemlich weit, weißt du. Gegen Ende wird es noch einmal gemein, aber das geht rasch vorbei, du wirst sehen. Wenn die eigentliche Geburt beginnt, ist alles nur noch halb so schlimm. Du machst das großartig, Ravenschatz, du musst dir wirklich keine Sorgen machen. Deinem Baby geht es prächtig und wenn du in dieser Geschwindigkeit weitermachst, dauert es nicht mehr lange." Ihre gelassenen Worte sollen natürlich vor allem Raven Mut machen, aber sie sind durchaus ernst gemeint und noch während spricht, merkt Niniane, wie sowohl Caewlin aufatmet, als es auch sie selbst beruhigt, das laut zu hören. Wenn sie ehrlich zu sich selbst ist, rumort unterschwellige Unruhe in ihr schon seit Pyp mitten in der Nacht bei ihnen im Baum erschienen war.

Als sie hergekommen war, hatte sie sich mehr Sorgen gemacht, als es Anlass dazu gab, ohne genau sagen zu können, warum eigentlich, vor allem Angesichts der Tatsache, dass es Raven und dem Baby ganz offensichtlich bestens geht und diese Geburt rasch und vollkommen natürlich verläuft. Sicher waren da vor allem Gedanken an Ravens Zierlichkeit, Caewlins Größe, die daraus resultierenden möglichen Schwierigkeiten und die noch frischen Erinnerungen an Brenainns so schwierige Geburt gewesen, aber alle ihre Untersuchungen hatten ergeben, dass es nichts, absolut nichts zu befürchten gibt. Der Muttermund ist weich und öffnet sich, das Kind ist zwar groß, aber nicht zu groß, seine Herztöne könnten nicht besser sein und die Wehen scheinen zwar ziemlich schmerzhafte Exemplare für diesen Zeitpunkt der Geburt, aber sie leisten, vielleicht gerade deswegen, auch hervorragende Arbeit. Es gibt keinerlei Anzeichen für plötzliche Blutungen, und Raven sieht zwar mitgenommen aus, aber ihre Augen sind klar und sie ist stark. Es gibt also nicht den leisesten Grund zur Besorgnis. Als Niniane jetzt auf das angestrengte Gesicht ihrer Freundin hinunterblickt, wird ihr klar, was sich unter ihrer summenden Unruhe noch verborgen hatte - es ist Raven selbst. Sie steht mir zu nahe, das ist es. Sie steht mir zu nahe, als dass ich es gelassen auf Abstand halten könnte...  
Die nächste Wehe reißt sie aus ihren Gedanken, vertreibt Caewlin mit dem Hörrohr von Ravens Bauch und lässt die junge Frau mit schmerzverzerrtem Gesicht und einem angestrengten Knurrlaut heftig durch die Nase atmen. Niniane beobachtet die Kontraktion genau, während Caewlin ihr das hölzerne Instrument reicht und dann schweigend Ravens haltsuchende Hände fest in seine nimmt - und sich brav und klaglos die Finger quetschen lässt. Die Wehen sind scheinbar tatsächlich schon ziemlich heftig und sie dauern lange an, aber dafür bringt jede dieser Torturen Raven auch ein gutes Stück weiter - ganz anders als bei langsamen, langwierigen Geburten, die vielleicht weniger schmerzhaft sein mögen, bei denen aber dafür auch nichts so recht vorwärts zu gehen scheint. Ravens Gedanken scheinen in gleiche Bahnen zu driften, denn als die Wehe abflaut, sie sich seufzend ins heiße Wasser zurücksinken lässt und von Caewlin ihren Cofeabecher in Empfang nimmt, keucht sie zwischen hektischen Atemzügen: >Götter... ist das immer so schlimm? Ist das bei jeder Geburt so, min Ija?<

"Natürlich sind es im Prinzip immer die gleichen Vorgänge, aber... nein," Niniane zuckt sacht mit den Schultern. "Jede Geburt ist ein wenig anders, von Frau zu Frau unterschiedlich." Sie berichtet Raven mit leiser Stimme und ohne alle blutrünstigen Details, dafür mit einer gehörigen Portion Humor von den Geburten ihrer eigenen Kinder, und anschließend vom schwierigen Kampf Brenainn auf die Welt zu holen. "Ich habe Azra stundenlang von Borgil herumführen lassen wie ein Pferd mit einer Kolik, und ihr einen wehenfördernden Trank nach dem anderen verabreicht, und trotzdem hatte sie lange Zeit nur Schmerzen und dabei nichts, das irgendetwas bewirkt hätte. Bei dir dagegen läuft es wunderbar, min Ija, du musst dir wirklich keine Gedanken machen. Du hast schöne, handfeste Wehen und es geht schnell voran." Raven schneidet prompt eine vielsagende Grimasse und nickt grimmig, während sie sich schon wieder unter Schmerzen zusammenkrümmt, nur um danach japsend und prustend aus ihren duftenden Schaumwölkchen heraus zu verkünden, handfest wäre die Untertreibung des Tages. Niniane lächelt nur ihr Katzengrinsen. "Ja, ich weiß, es tut weh, aber sieh mal, so hast du es in ein, zwei Stunden hinter dir. Deine Wehen sind massiv, aber sie leisten auch gute Arbeit, weißt du? Die arme Azra dagegen hat sich eine halbe Nacht und den ganzen folgenden Tag lang herumgequält." Bei diesen Aussichten schluckt Raven vernehmlich, doch dann reckt sie wild entschlossen ihr Näschen aus dem Seifenschaum und macht auch ohne jedes Wort deutlich: Nicht mit mir! "Na also," verkündet Niniane erleichtert und tätschelt ihrer Freundin die nackte Schulter, die auf ihren Bauch hinunterblickt, als würde sie ihrem Kind in Gedanken Beine machen wollen. Caewlin dagegen macht immer noch ein Gesicht, als hätte er sich gerade verhört und Niniane lacht leise. "Keine Sorge," versichert sie rasch und im Tonfall absoluter Überzeugung. "So lange wird es auf gar keinen Fall dauern, nicht bei einer Geburt, die so reibungslos und schnell verläuft. Nein, im Ernst," sie sieht abwechselnd von Caewlin zu Raven und wieder zurück, ehe sich ihr Blick endgültig auf ihre Freundin heftet. "Alles ist gut, min Ija. Ich weiß, du hast Angst und das alles ist neu und fremd für dich. Aber das geht jeder Frau so, die ihr erstes Kind zur Welt bringen soll, glaub mir und was immer dich erwartet, du kannst es. Du hast deine Sache bisher gut gemacht und du wirst auch den ganzen Rest wunderbar erledigen - und jetzt bleib ruhig noch eine Weile im Wasser, wenn es dich entspannt."

Die nächsten beiden Stunden verstreichen ohne irgendwelche Zwischenfälle, dafür mit wunderbar regelmässigen und auch stetig stärker werdenden Wehen, von denen jedoch keine auch nur ansatzweise schreckliche Ereignisse nach sich zieht, was Niniane sehr beruhigt. Wann immer der Schmerz sie heimsucht, krümmt Raven sich leicht im warmen Wasser, hält Caewlins Hand, atmet zischend aus und ein, und entspannt sich dann wieder, als wäre sie mit einem Mal so knochenlos wie eine Qualle. Sie können nur warten, trinken Cofea, und unterhalten sich zwischen den Wehen leise über all die Neuigkeiten des vergangenen Winters. Niniane lässt die anheimelnde Atmosphäre dieses marmornen Farbenrausches in Burgunder, Bernstein, Elfenbein und Gold auf sich wirken, die im warmen Kerzenschein und erfüllt von mandelduftenden Dampfschwaden leuchtet, und lauscht Ravens und Caewlins Erzählung über ihren Besuch in der Schneiderei und auf dem Platz der Händler, lacht über Ravens wilde Feilschereien, und berichtet ihrerseits dann von den letzten Wochen im Baum mit einem rastlosen Nordmann und seiner noch rastloseren Tochter. Sie erzählt von den winzigen Schneeschuhen, die Cron für Shaerele gemacht hat, vom kürzlichen Besuch ihres alten Bekannten Grymauch Einaug, der - ausgehungert vom langen Winterschlaf und verdutzt in einer immer noch weißen Welt erwacht -, sich sehr für eine gut abgehangene Hirschhälfte in ihren Vorratskammern interessiert hatte, die Cron ihm angesichts der Umstände auch großzügig überlassen hatte.. und von ihrem Sohn - bis auf die goldenen Augen das absolute Ebenbild seines Vaters und inzwischen vier Monde alt. "Leir sieht wirklich aus wie er, noch viel mehr, als es Shaerela schon tut. Sie ist ihm zwar ebenfalls wie aus dem Gesicht geschnitten, aber natürlich auf eine mädchenhaftere Art. Sie sind ihm allerdings beide so ähnlich, dass es mich immer wieder erstaunt, wenn ich an den Kindern doch einmal etwas entdecke, das sie von mir haben..." Ravens nächste Wehe unterbricht sie, wie auch schon deren Vorgänger - ihre ganzen Gespräche der letzten zwei Stunden hatten sich, was sie alle drei mit gewisser Belustigung erfüllt hat, immer von Wehenpause zu Wehenpause gehangelt, weil Raven zwischen zusammengebissenen Zähnen fauchend und schnaubend der Unterhaltung nicht hätte folgen können und sowohl ihre, als auch Caewlins Aufmerksamkeit dann ebenfalls vollkommen abgelenkt war. Und so hatten sie dauernd den Faden verloren, mitten in einem Satz abgebrochen, neu angefangen oder sich gegenseitig mit der Frage Wo waren wir stehengeblieben? aufgezogen.

Irgendwann allerdings nehmen sie ihre Plaudereien nicht wieder auf, als würden sie alle zugleich spüren, dass ihr Warten gleich ein Ende hat. Am östlichen Himmel kriecht fahl und grau eine windverwehte Dämmerung über den Rand des Firmaments und die Abstände zwischen den einzelnen Kontraktionen sind mittlerweile so kurz geworden, dass Niniane Raven schon bitten will, doch lieber aus dem Wasser zu kommen - gerade als deren Augen sich in verblüfftem Schrecken weiten und sie wild zu strampeln beginnt. >Vielleicht sollte ich jetzt doch besser aus der Wanne heraus...< Sie muss nicht sagen, dass ihre Fruchtblase geplatzt ist, denn zu den Düften von Badeölen und Kerzenwachs gesellt sich beinahe augenblicklich der kräftige, durchdringende Geruch von Fruchtwasser - pfirsichartig und salzig-kupfrig, zu gleichen Teilen Süße, Blut und Seewasser. Darauf und ebenso auf Ravens plötzliche Unruhe, meist ein untrügliches Zeichen für den Beginn der eigentlichen Geburt, hat Niniane gewartet und nickt zufrieden. "Schön. Also dann..." Caewlin hebt seine Frau aus der Wanne, hüllt sie in ein weiches Handtuch und hilft ihr, sich ein wenig abzutrocknen, während sie selbst ihre Tasche einsammelt. Kaum steckt Raven wieder in ihrem fadenscheinigen, weiten alten Hemd, hebt er sie kurzentschlossen hoch und Niniane beeilt sich, ihnen die Tür zu öffnen. "Trag sie nach oben und leg sie auf das Bett. Dalla hat sicher alles vorbereitet, nehme ich an." Sie folgt den beiden auf dem Fuß und trifft in der Halle die Mogbarmagd, die dort wohl händeringend auf irgendwelche verräterischen Geräusche aus dem Nordflügel gewartet hat, und bei ihren Worten heftig nickt. Dann schnattert sie im Vorbeigehen aufgeregt: "Alles bestens, Lady Niniane, alles bestens. Es ist alles bereit. Saubere Laken, weiche Tücher, Waschschüsseln, ein wenig Öl, genug Kerzen..." Niniane nickt nur knapp und muss dann fast rennen, um Caewlin mit seiner sich krümmenden, keuchenden Last einzuholen. Im Schlafgemach der beiden angekommen, stellt sie fest, dass tatsächlich alles bereit ist, angefangen vom abgezogenen Bett mit den aufgeschüttelten Kissenbergen am Kopfende über das hell lodernde Feuer im Kamin bis hin zur Wiege in der Ecke neben dem Fenster und der Tür zur Laube hinaus. "Leg sie aufs Bett und setz dich hinter sie, so dass sie sich an dich lehnen und abstützen kann." Er tut wie geheißen und Raven gibt einen knurrigen, zischenden und sehr tiefen Laut von sich. Niniane kann sehen, wie Caewlin kurz die Zähne zusammenbeißt - sein Gesicht hat nichts von seiner gespenstischen Unbewegtheit verloren, aber bei jeder ihrer Wehen war er ein wenig blasser geworden, hatte sich die Haut über seinen Wangenknochen ein wenig mehr gespannt und seine Augen sich ein wenig mehr verdunkelt. "Nicht mehr lange," murmelt sie, während Raven sie ansieht, abwechselnd kalkweiß oder rot im Gesicht, und ihren schmalen Rücken fest gegen die Brust ihres Mannes stemmt, doch ihr Blick geht direkt durch sie hindurch. "Nicht mehr lange jetzt."  

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Caewlin am 13. Apr. 2006, 11:48 Uhr
Es hat aufgehört zu regnen. Kühles, graues Morgenlicht strömt durch das Fenster und die Laubentür in ihr Schlafgemach, vermischt sich mit dem warmen Schein von Kerzen und Kaminfeuer, und füllt den Raum mit einem weichen, graugoldenen Leuchten. Caewlin scheucht die Hunde, die inzwischen wieder beide vor dem Kamin auf ihrem abgewetzten Schaffell liegen, mit einem knappen Wort hinaus und bettet Raven dann vorsichtig auf die Geburtslaken, die Dalla zum Schutz über die Matratze gebreitet hat. >Leg sie aufs Bett und setz dich hinter sie... < Er kann Niniane nicht antworten, nur nicken. Bis jetzt hatten sie Glück - keine Wehen auf dem Weg nach oben, aber die nächste scheint schon im Anmarsch. Er muss Raven kurz loslassen, nur für den Moment, den er braucht, um sich hinter sie zu setzen, doch selbst diese wenigen Sekunden erscheinen ihm schon zu lang. Er muss sie berühren, muss wissen, dass sie atmet, dass ihre Haut warm und lebendig ist, dass ihre Muskeln sich bewegen, ihr Herz schlägt und ihre Lungen funktionieren. Er lehnt sich an das geschnitzte Betthaupt und den Kissenberg, den Dalla in weiser Voraussicht davor aufgestapelt hat, doch Ravens Bedürfnis, die Verbindung zu ihm zu halten, scheint genauso stark, denn kaum hat er die Arme nach ihr ausgestreckt, als sie sich auch schon auf die Hände stützt und hastig rückwärts krabbelt. "Komm her, min koerlighed, es ist alles gut. Ich bin hier. Schsch... Alles ist gut, alles ist..." Aus ihrer Kehle dringt ein unartikuliertes Schnauben, das wortlose Äquivalent von Erzähl. Mir. Keinen. Blödsinn!, doch sie drängt sich trotzdem an ihn, als könne sie so dem Schmerz entkommen, als wäre sie bei ihm sicher. Er wünschte sie wäre es wirklich, er wünschte, er könnte ihre Schmerzen irgendwie vertreiben, aber er kann nicht. Ihre Schultern stemmen sich gegen ihn und dann kracht ihr Hinterkopf auch schon mit der Wucht eines soliden Felsbrockens an seine Brust, während die nächste Wehe, offenbar schmerzhafter als alle ihre Vorgänger, über sie hinwegrollt. Ihre Fingernägel senken sich links in seinen Arm und kratzen rechts über blankes Eisen, ihre nackten Fersen bohren sich in die Matratze, und ihr ganzer zierlicher Körper bäumt sich so sehr auf, dass er erstaunlich viel Kraft braucht, um sie zu halten.

Sein eigenes Herz schlägt mindestens so hart und schwer wie ihres, und trotz aller zuversichtlichen Worte Ninianes kriecht ihm die Angst, irgendetwas könne doch noch böse danebengehen wie eine lauernde Schlange um den Leib. Dennoch gelingt es ihm irgendwie ruhig zu bleiben, Raven im weichen, nordischen Timbre ihrer beider Muttersprache Lächerlichkeiten und Koseworte, Bruchstücke alter Geschichten oder alberner Kinderreime, Fragmente seiner durcheinanderwirbelnden Gedanken... irgendetwas, zuzuflüstern. Er weiß, dass es keine große Rolle spielt, was er sagt, dass sie ihn vermutlich nicht einmal hört, doch das ist ganz gleich... er ist froh, wenigstens etwas tun zu können - und wenn es nur das ist. Das, und sie festzuhalten, sonst würde er am Gefühl der absoluten Hilflosigkeit noch ersticken. Raven dagegen scheint inzwischen alle Ängste abgelegt zu haben - oder vielleicht hat sie schlicht auch nur den Punkt erreicht, an dem alles, ganz gleich was möglicherweise noch kommen würde, besser wäre, als diese Schinderei. "Mach. Das. Es. Aufhört!" Faucht sie wiederholt, als der schier endlos andauernde Wehenkrampf irgendwann ein wenig nachlässt - allerdings nur, um einen Herzschlag später von Neuem zu beginnen und sich prompt zu einem Dauerschmerz auszuwachsen, der sie in ein zuckendes, keuchendes, schweißnasses Bündel verwandelt, das vor Anspannung von Kopf bis Fuß so haltlos wie Espenlaub zittert - und in eine wutschnaubende Furie obendrein. "Raus, raus, raus. Ich... kann... nicht... mehr... das reicht!" Ein Schwall so haarsträubend derber normandischer Flüche und Verwünschungen schließt sich dieser Feststellung an, dass selbst Caewlin schockiert den Blick hebt. Niniane jedoch grinst nur, tätschelt Raven das Knie und versichert, alles sei in Ordnung, an diesem Punkt einer Geburt glaube die eine Hälfte der werdenden Mütter immer, jetzt gleich sterben zu müssen, und die andere Hälfte würde stocksauer. "Oh. Aye..." erwidert er schwach und braucht nicht weiter zu fragen. Zu welcher Hälfte seine Frau gehört, kann er hören, denn sie schimpft mittlerweile wie ein Rohrspatz. Götter im Himmel... Am liebsten hätte er gelacht, tut es aber nicht - doch Ravens Anblick, außer sich vor Rage und im Begriff, ein Kind zu gebären, erschreckend erotisch und so furchtbar verletzlich zugleich, würde er ganz sicher als kostbare Erinnerung in seinem Herzen bewahren.

Woher sie noch die Kraft dazu nimmt, derart zu wüten kann er allerdings beim besten Willen nicht sagen, und ihr zornsprühendes Fluchen lässt ihn nun doch ganz wider Willen grinsen, obwohl er innerlich vor Angst fast vergeht und seine Eingeweide nur noch aus scharfkantigen Eissplitter bestehen. Er ist mit Sicherheit nicht das, was man zartbesaitet nennen könnte, und er weiß, dass er selbst durchaus Schmerz ertragen - und normalerweise auch anderen ungerührt dabei zusehen -, kann. Aber Raven so zu sehen, ihren Schmerz zu erleben, und zu wissen, dass dies alles nur seine Schuld ist, ist etwas ganz anderes - mit jedem ihrer leisen, gequälten Laute fühlt es sich an, als würde ihm jemand genüsslich einen glühenden Dolch ins Herz rammen. "Tapferes Mädchen." Er küsst Ravens Schläfe und streicht ihr ein paar Strähnen nassen Haares aus dem Gesicht, während sie ihm knirschend vor Zorn ziemlich glaubhaft versichert, ihn ganz bestimmt nie, nie, nie wieder sehen zu wollen, und dann zischend wie ein Dampfkessel kurz vor dem Überkochen ihre Qualen erträgt. "Lügnerin," murmelt er, seine Stimme rauh und schwer vor Zärtlichkeit, doch falls sie eine Antwort oder möglicherweise auch noch mehr wüste Beschimpfungen im Sinn hat, kommt sie nicht mehr dazu. Stattdessen schnappt sie plötzlich so vernehmlich und heftig nach Luft, dass es sich anhört, als reiße ein Stück Segeltuch, richtet sich unvermittelt auf, und beginnt mit einem eher verblüfften als schmerzerfüllten Stöhnen zu pressen. Er hört Niniane erleichtert murmeln, das werde ja auch Zeit, dann schiebt die Waldläuferin behutsam ihre Hände unter Ravens Hemd und gibt leise, aber bestimmte Anweisungen, wann, wie lange - und vor allem wie stark -, sie pressen solle. "Gut so. Nicht so fest. Langsam, weiter. Weiter. Noch ein Stück. Du kannst noch mehr, nur noch ein wenig mehr. Sehr schön. Geschafft. Und jetzt atmen. Entspannen und atmen, ganz flach. Und noch einmal. Streng dich an..." Ravens ganzer Körper spannt sich wie eine durchgezogene Bogensehne und verharrt, sobald ihr eine kurze Verschnaufpause gegönnt wird, vollkommen reglos, als sei sie mitten in der Bewegung erstarrt, ihre Haut so blass wie das Innere einer Muschel. Dann stemmt sie sich wieder gegen ihn, krallt sich an seinen Armen fest, schält ihm japsend und quietschend das Fleisch von den Knochen, flucht und schreit und kämpft, und ist wunderschön.

Niniane tut lächelnd, was immer getan werden muss und flüstert leise, beruhigende Worte - Caewlin kann nicht einmal hören, was sie sagt. Ravens abgehackter Atem und ihr zorniges Prusten, das Wispern des Feuers, das Schlagen seines eigenen Herzens und das Donnern des Blutes, das ihm in den Ohren rauscht, füllen das ganze Schlafgemach mit einem dumpfen Summton. Erst die erlösenden Worte der Waldläuferin, es sei fast geschafft und das Köpfchen sei schon zu sehen, dringen schlagartig zu ihm durch. Er sieht Ninianes breites Lächeln, sieht sie energisch auf Raven einreden, spürt wie seine Frau sich ein weiteres Mal anspannt im elenden Kampf, irgendwie sein Kind auf die Welt zu bringen, spürt die unmittelbare Veränderung in ihr, das krampfartige Zusammenziehen ihrer Muskeln unter seinen Fingern, sieht, wie sie mit dem Schmerz ringt und kann nichts tun. "Einmal noch, min koerlighed," hört er sich selbst heiser flüstern. "Nur noch einmal." Ihr noch leicht feuchtes Haar ringelt sich über seinen rechten Arm, weich und fließend schwer, kühl wie Seide, ein glänzender Vorhang polierten Rotholzes, dunkler Kastanien, schwarzen Samtes, goldene und bronzefarbene Schatten dazwischen, wo einzelne Strähnen bereits getrocknet sind, das Hemd klebt ihr feucht am Körper, und ihr schweißgebadeter Brustkorb hebt und senkt sich unter ihren gierigen Atemzügen. Er weiß nicht, woher Raven noch die Kraft nimmt, zu reagieren, ob auf seine leisen Worte oder Ninianes strenge Anweisungen, aber sie tut es - und mit der nächsten, schier endlosen Wehe wird ihr Kind geboren, ein winziges, rundes Köpfchen mit dunklem Haarflaum zuerst. Caewlin hält den Atem an, doch alles geht gut. Raven gibt ein Geräusch von sich, das fast wie ein erleichtertes Lachen beginnt, dann aber noch einmal in ein ächzendes, dunkles Knurren umschlägt, als sich ein letztes Mal ihr ganzer Körper zusammenballt - und der Rest ihres Babys gleitet nass und zappelnd in Ninianes wartende Hände.






Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Raven am 15. Apr. 2006, 16:23 Uhr
Habe ich nicht vor ein paar Stunden noch gedacht, das wären die schlimmsten Schmerzen, die ich je erlebt habe? Götter, wie kann man nur so naiv sein .... aaaauah.... Raven hatte tatsächlich geglaubt, es könne nicht mehr viel schlimmer werden, als die ersten wirklich intensiven Wehen sie überrollt hatten. Dass es einen Schmerz geben könnte, der dies bei weitem noch übertrifft, hätte sie sich nicht einmal vorstellen können, geschweige denn, sich vorstellen wollen, doch nun weiß sie es besser. Es geht noch sehr viel schlimmer. Wie soll ein Mensch nur so etwas aushalten? Kind, du wirst mich zerreißen... Bei jeder Wehe - und mittlerweile ist ihr auch klar, warum sie diesen Namen tragen - wirken in ihrem Körper so gewaltige Kräfte, dass sie jedes Mal das Gefühl hat, hilflos auf offenem Meer in einem Sturm zu treiben und von einer wildschäumenden Strömung hin und her geschleudert zu werden, ohne dass sie auch nur den geringsten Einfluss auf das hätte, was da gerade mit ihr geschieht. Der Schmerz kommt tief aus ihrem Inneren und schlägt sich wie mit scharfen Klingen in ihre Eingeweide, und das Einzige, was sie ihm entgegenzusetzen hat, sind ihre Willenskraft und die flehentliche Hoffnung, dass es bald vorüber sein würde. >Ja, ich weiß, es tut weh<, hatte Niniane mitfühlend erklärt, >aber sieh mal, so hast du es in ein, zwei Stunden hinter dir. Deine Wehen sind massiv, aber sie leisten auch gute Arbeit, weißt du? Die arme Azra dagegen hat sich eine halbe Nacht und den ganzen folgenden Tag lang herumgequält.< Sich vorzustellen, welche Hölle andere durchleben müssen, mindert die Qualen ihrer eigenen jedoch nicht im geringsten. Aber so schlimm die Schmerzen auch sind - schon allein wegen der haarsträubenden Vorstellung, sich andernfalls gar eineinhalb Tage damit herumquälen zu müssen, nimmt sie lieber diese massiven Wehen in Kauf, auch wenn sie im Augenblick fürchtet, daran jämmerlich zu Grunde gehen zu müssen.

Mit vielem hat sie gerechnet, und eigentlich hatte sie geglaubt, einigermaßen auf alles vorbereitet zu sein, doch die Wucht und Urgewalt, mit der ihr Kind geboren wird, hat sie völlig überrumpelt. Die Wirklichkeit hat nicht einmal annähernd etwas mit den naiven Vorstellungen gemein, die sie in ihrer himmelschreienden Unerfahrenheit während der letzten Siebentage beschäftigt hatten, und sie scheint im Moment auf nichts, aber auch auf gar nichts, irgendeinen Einfluss zu haben. Und es macht sie wütend, nur hilflos dazuliegen und nichts weiter tun zu können, als die Zähne zusammenzubeißen und zu versuchen, all das zu ertragen. Unter ihrer Bauchdecke, die bei jeder Wehe förmlich Wellen zu schlagen scheint, arbeitet es mit aller Macht, während ihre Muskeln sich krampfartig zusammenziehen, und ihr Körper offenbar dabei ist, sich selbst in kleine, handliche Stücke zu reißen. Zitternd vor Erschöpfung und das Gesicht kalkweiß vor Schmerz und vor Anstrengung, hält sie sich allein an Caewlins Stimme fest, die ihr beruhigende Worte ins Ohr murmelt und in diesem roten Nebel aus Schmerz wie ein Halteseil ist, an dem sie sich festklammern und sich über den Abgrund der Erschöpfung hangeln kann. In ihrem Rücken glüht seine Wärme, dehnt sich sein Brustkorb bei jedem Atemzug, sie kann seinen Herzschlag spüren und die vertraute Landschaft sanftgewölbter Muskeln, und seine unerschütterliche Stärke ist ihr im Moment der einzige Rückhalt. Er ist ihr Anker, ihr Fels in der Brandung, an den sie sich verzweifelt klammert, während der Schmerz in ihrem Leib wütet und die Wehen sie von Kopf bis Fuß durchschütteln, und um nichts in der Welt und nicht einmal mit einem Brecheisen könnte man sie jetzt von ihm trennen. Er ist da, und alles wird gut werden, ganz bestimmt.

Im Moment sind sie jedoch von einem Ende noch weit entfernt, und allmählich bekommt Raven es ein wenig mit der Angst zu tun, weil der letzte Wehenkrampf überhaupt nicht mehr aufhören will. Sie schickt der Waldläuferin, die zu ihren Füßen auf dem Bett kauert und alles genau beobachtet, einen Tu-um-Himmels-willen-was-Blick, aber Niniane sieht sich offenbar nicht dazu veranlasst, irgendwie einzugreifen - ganz abgesehen davon, dass sie im Moment ohnehin nicht viel tun könnte. Während Raven hilflos auf dem Rücken liegt wie eine an Land gespülte Krabbe und sich vor Schmerzen windet, versichert Niniane ihr nur mit einem aufmunternden Tätscheln und einem Lächeln so breit wie das Rhunetal, dass alles in schönster Ordnung sei und gar nicht besser laufen könne. "Das nennst du in Ordnung?" quetscht Raven zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, nur um gleich darauf wild nach Luft zu schnappen. "Argh .... solche Schmerzen können doch nicht in Ordnung sein. Tu was, verdammt noch mal, du bist doch hier die Hebamme.... " Sie gibt einen Grunzlaut von sich, fixiert die Waldläuferin mit anklagendem Blick und krallt verzweifelt ihre Finger in Caewlins Arme. "Umpf ... du hast gesagt, es wird nicht viel schlimmer", japst sie. "Ich hab's genau gehört! Aber das ist gar nicht wahr! Das hast du nur erzählt, damit ich mich nicht aufrege." Ninianes breites Lächeln hat zwar etwas ungemein Beruhigendes an sich, aber gleichzeitig bringen die Gelassenheit und diese absolute Seelenruhe, die die Waldläuferin an den Tag legt, Raven nahezu an den Rand der Weißglut. "Hör sofort auf, so blöd zu grinsen!", keucht sie wütend und krümmt sich mit schweißnassem Gesicht zusammen. Sie weiß, dass all diese Schmerzen sein müssen, dass ihr Körper dem Kind erst einen Weg in die Welt bereiten muss, aber sie kann es beim besten Willen nicht einfach kommentarlos hinnehmen, und wie immer, wenn sie aufgeregt, verwirrt, wütend oder zornig ist, muss sie sich mit einem Schwall wild hervorsprudelnder Worte Luft machen.

"Götter im Himmel", schnaubt sie mit geblähten Nasenflügeln, "welcher völlig verblödete Hornochse von Gott... hmpf ... hat sich nur diesen Schwachsinn einfallen lassen! Da lassen sie Kinder in einem wachsen ... uh ... groß wie Elefantenbabys, und den Ausgang .... uff .... machen sie so groß wie ein Mauseloch, das schreit doch zum Himmel ... argh .... so einen idiotischen Unsinn kann sich auch nur ein Mann ausgedacht haben ... aahrghverdammt .... " Schmerzgepeinigt knirscht sie mit den Zähnen und spuckt einen ganzen Schwall so übler Schimpfwörter hervor, dass eine Meute hartgesottener Kanalratten vermutlich mit schamroten Ohren die Flucht ergreifen würde, müsste sie sich ihren Ausbruch mit anhören. "Und wenn wir schon bei Männern sind..." Schweratmend stemmt sie sich gegen Caewlins Brust, und ihr Keuchen klingt wie ein letztes Zischeln kurz vor der Explosion. "Komm du mir noch einmal in die Finger ..." Sie sprudelt eine herzerfrischend blumige Ausschmückung dessen hervor, was ihn in diesem Fall erwarten wird, und will ihm gerade einige Anregungen geben, wo er sich einen neuerlichen Kinderwunsch hinstecken soll, als sie auf einmal mitten im Satz abbricht und erschrocken die Augen aufreißt. "Allmächtige Götter ..." Der wütende Schmerz, der sie gerade noch zu zerreißen drohte, wandelt sich wie aus heiterem Himmel und völlig unvermittelt in den unwiderstehlichen Drang zu pressen, und er ist so stark und machtvoll, dass sie gar nichts anderes tun kann, als ihm völlig überrumpelt nachzugeben. Mit einem wilden Aufkeuchen schnappt sie nach Luft und fängt an zu pressen, als gelte es das liebe Leben. Augenblicklich ist Niniane bei ihr, und ihr höchstzufriedenes Katzengrinsen schwebt wie eine Erscheinung vor Ravens bleichem Gesicht herum. Sie nimmt die Waldläuferin nur noch wie durch zähen Nebel wahr, weil sie mit Keuchen und Pressen und Schwitzen und Atmen so beschäftigt ist, dass überhaupt keine Gehirnkapazitäten mehr für andere Dinge übrig bleiben.

Aber endlich, endlich ist die Zeit des hilf- und tatenlosen Aushaltenmüssens vorüber, endlich kann sie etwas tun und dem Kind auf die Welt helfen - und sie tut es mit aller Kraft, die ihr noch geblieben ist, und mit allem Kampfgeist, den sie aufbringen kann. Nach stundenlangen Schmerzen ist es wie eine göttergesandte Erlösung, und sie strengt sich so verzweifelt an, dass ihr Schweißperlen über das Gesicht rinnen und sie glaubt, gleich ersticken zu müssen. Nur ganz kurz lässt der Druck nach, gerade so lange, dass sie hektisch nach Luft schnappen und ihre erschöpften Lungen füllen kann, dann beginnt es wieder von Neuem. Sie zerquetscht fast Caewlins Finger und beißt sich die Lippen blutig, während sie sich aufbäumt, den Kopf in den Nacken wirft und presst, was das Zeug hält - und wird von Niniane sofort gerüffelt. "Mach den Rücken rund!" kommandiert die Waldläuferin energisch. "Kein Hohlkreuz. Und jetzt pressen. Streng dich an!" Raven tut prustend, wie ihr geheißen und schickt ihr dabei einen giftpfeiltödlichen Blick. "Was glaubst du denn, was ich hier tue", japst sie, "Topflappen häkeln?" Niniane kümmert sich nicht im Mindesten um die verbalen Ausbrüche des schnaubenden, zornversprühenden Etwas, das sie vor sich hat, sondern fährt unbeeindruckt mit ihren Kommandos fort. "Pressen, feste jetzt, na los!" Sie tastet unter Ravens schweißfeuchtem Hemd herum, befühlt prüfend ihren Bauch, dann muss sie den Ungestüm wieder bremsen: "Halt, aufhören, warte einen Moment ... jetzt kannst du wieder..." Sie weiß mit Sicherheit genau, was sie tut, und entsprechend knapp und präzise sind ihre Anweisungen - doch sie prasseln in so atemberaubender Folge auf Raven ein, dass sie bald nicht mehr weiß, wo ihr der Kopf steht. "Pressen, nicht pressen, pressen, nicht pressen", blökt sie die Waldläuferin entnervt an, "kannst du dich vielleicht bald entscheiden, was du willst?"

Dann bleibt vor lauter Anstrengung jedoch keine Luft mehr für weitere Worte und sie braucht ihren ganzen Atem und all ihre Kraft, um ihren kleinen Mitbewohner an die Welt zu pressen. Sie kann deutlich spüren, wie das Baby sich plagen muss, wie es sich dreht und sich bei jeder Presswehe weiter durch ihr Becken schiebt, sich durch den engen Geburtskanal windet, bis sie Niniane auf einmal aufgeregt verkünden hört, das Köpfchen wäre schon zu sehen. Sie kann Caewlin etwas flüstern hören, doch die Worte verlieren sich in ihrem Knurren und Schnauben und dem Kampf mit der letzten Wehe, die Raven die letzten Kraftreserven kostet und sie an ihre absoluten Grenzen treibt. Und dann geht alles ganz schnell. Einen Augenblick lang ringt sie noch nach Atem, keuchend und mit schmerzverzerrtem Gesicht, und dann hat sie das Gefühl, als würde sich ihr Inneres plötzlich nach außen stülpen, als das Kind endgültig ihren Schoß verlässt und in sein neues Leben rutscht. Sie ist so erschöpft, dass sie noch im gleichen Moment einfach tot umfallen könnte, doch als ihr Blick erfasst, was in Ninianes Händen zappelt, ist mit einem Schlag alles vergessen - alle Erschöpfung, alle Schmerzen, alle Mühen und Qualen lösen sich in weniger als einem Herzschlag in Nichts auf. Sie kann nur in sprachloser Ehrfurcht auf dieses winzige Bündel Mensch starren, und ein Schauer durchrieselt sie von ihrer schweißnassen Stirn bis hin zu ihren Zehenspitzen. Eine kleine Handvoll Wunder, zappelnd, zuckend, mit dunklem Haarflaum, die Augen noch fest zusammengekniffen, die Hände energisch zu winzigen Fäusten geballt, noch ein wenig zerknautscht von seinem anstrengenden Weg ins Leben, bedeckt von Blut und Schleim - und das wunderbarste und vollkommenste Geschöpf, dass sie sich vorstellen kann. Sie liebt es vom ersten Augenblick an. Zitternd tastet sie nach Caewlins Hand und muss dreimal schlucken, bevor sie auch nur ein Wort aus ihrer Kehle bringt, aber dann schwingt ein Lächeln in ihrer Stimme, als sie ihre Tochter begrüßt: "Hallo, Ykenai."

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Niniane am 15. Apr. 2006, 22:16 Uhr
Als sie Raven aus dem Bad, die Treppe nach oben und dort im Schlafgemach ins Bett verfrachtet haben, folgt eine für alle Beteiligten haarsträubende, von so macht- wie qualvollen Wehen, deftigen Flüchen und nervenaufreibendem Warten geprägte Viertelstunde - doch so rasch und problemlos wie die ganze Geburt bisher schon verlaufen war, so schnell und sauber geht auch der Rest, als die Presswehen dann endlich einsetzen. Ravens Körper mag zwar zierlich und schlank sein, aber sie besitzt durch ihre harte Vergangenheit als Diebin auch viel geschmeidige Kraft und eine erstaunliche Biegsamkeit, die ihr jetzt zugute kommt... wenn Niniane insgeheim befürchtet hatte, dass die eigentliche Geburt, falls das Kind nach dem Vater käme und größer als üblich wäre, schwierig werden könnte, so belehrt Raven sie jetzt eines besseren. Alles läuft bestens und es gibt absolut nichts, das sie tun müsste, außer dafür zu sorgen, dass das Kind nicht zu schnell kommt und der Damm nicht reißt - und dann ist es plötzlich soweit. Ein kleiner, runder Kopf mit feuchtem, dunklem Kükenflaum zwängt sich in die Welt, und während Raven noch schimpft und ächzt, prustet, zischt und kämpft, streicht Niniane rasch und vorsichtig über das winzige Gesichtchen, um Mund und Nase von Blut und Fruchtwasser zu befreien. "Nicht pressen jetzt, Schätzchen. Nur einen Moment... lass die Wehe wirken... jetzt darfst du..." Ein letztes Mal spannt Raven sich an, Niniane stützt den kleinen Kopf, hilft den Schultern ein wenig nach und das Baby rutscht in einem kleinen Schwall von Fruchtwasser klitschnass und blutverschmiert direkt in ihre Hände. Allen Göttern sei Dank... Sie spürt, wie ihr Mund sich ganz von selbst zu einem breiten, entzückten Lächeln verzieht, gurrt dem Baby leise zu, und blickt dann kurz zu Raven, die sich vollkommen erschöpft und schwer atmend einen Augenblick lang in Caewlins Arme hat fallen lassen. Ihr langes Haar ringelt sich schweißfeucht um ihre Schläfen, doch sie lächelt und auf ihren Wangen liegt immer noch der erhitzte, rosige Hauch der vergangenen Anstrengungen. "Es ist ein Mädchen... und sie ist unglaublich schön."  Das Baby verzieht sein Gesicht, gibt einen empörten kleinen Quietschlaut von sich, fuchtelt wild mit winzigen Fäustchen herum und blinzelt dann überrascht in die fremde, neue Welt.

"Hallo Schätzchen..." Niniane untersucht die Atmung, die Hautfarbe, und wie energisch dieses winzige Bündel Mensch sich schon bewegt, begutachtet kurz, ob auch alles in der rechten Zahl am rechten Platz ist, und ist mit allem vollauf zufrieden. "Ein prächtiges Bairn, wie es nicht besser sein könnte. Und ganz gesund." Sie tastet nach einem weichen, buttergelben Flanelltuch, wickelt die Kleine hinein und sieht kurz nach Raven, doch es gibt weder Blutungen, noch sonstige Auffälligkeiten. An ihren Mann gelehnt und noch ein wenig zittrig von der überstandenen Schinderei, hängt ihr Blick vollkommen hingerissen an ihrer Tochter, dann raspelt sie heiser: >Hallo, Ykenai...< "Ykenai", echto Niniane leise und versichert dann lächelnd: "Gleich bekommst du sie. Nur einen ganz kleinen Moment noch." Sie bindet behutsam und sorgfältig die noch leise pulsierende Nabelschnur ab, durchtrennt sie dann mit einem scharfen Messer und legt Raven das Baby in die Arme. "Hier, das ist eure Tochter, min Ija, Caewlin." Sie blickt alle drei liebevoll an, und plötzlich geht die Sonne auf, das diffuse, graue Dämmerlicht im Raum tränkt sich mit Gold und wandelt sich zu einem satten, pfirsichfarbenen Leuchten. Niniane überlässt das Baby seinen Eltern und legt die Hände dann auf Ravens weichen Bauch. Sie spürt das letzte, zitternde Zusammenziehen der Muskeln dort, und massiert und knetet kräftig, damit die Gebärmutter aufhört zu bluten und sich rasch zusammenzieht, was die frischgebackene Mutter aber nicht einmal mitzubekommen scheint. Nur einen Augenblick später nimmt sie mit einem zufriedenen Nicken die Nachgeburt in Empfang, jenes leberähnliche, schwammige Gewebe, dessen Abstossen auch noch die letzte, körperliche Verbindung von Mutter und Kind preisgibt. An Raven geht das alles völlig vorbei - sie lächelt von einem Ohr zum anderen, ebenso wie Caewlin, der sie immer noch festhält und seine Tochter über die Schulter seiner Frau hinweg mindestens so hingerissen betrachtet, wie sie selbst. Sie würde das Baby gern noch einmal genau in Augenschein nehmen, es ein wenig säubern, wickeln und anziehen, aber sie bringt es nicht über sich, die drei jetzt zu trennen, also kümmert sie sich zuerst um das Nächstliegende und beginnt, aufzuräumen. Sie versorgt Raven, zieht das Bett ab und gibt die blutverschmierten, fruchtwassergetränkten Laken und die lederne Geburtsdecke in einen Wäschekorb, den Dalla die gute Fee in weiser Vorraussicht schon bereitgestellt hat. Dann richtet sie eine Waschschüssel mit warmem Wasser für das Baby her und findet Windeln, ein wenig Öl und eine Garnitur winzig kleiner Wäschestücke auf einer der Kommoden.

Sie löscht die Kerzen, schürt das Feuer neu, damit es im Schlafgemach auch tagsüber wegen des neuen, kleinen Lebens leicht geheizt wäre, wäscht sich lange und sorgfältig die Hände und tritt dann ans Bett, wo Caewlin und Raven immer noch dabei sind, fassungslos und verzaubert ihre Tochter zu bewundern. "Ich nehme sie nur ganz kurz, um sie zu wiegen und zu messen, sie ein wenig sauber zu machen und zu wickeln," beteuert sie grinsend, als Raven ihr die Kleine nur merklich widerstrebend reicht. "Du hast sie sofort zurück." Sie holt ein abgegriffenes Massband aus weichem Leder aus ihrer Tasche und nutzt anschließend Dallas mit einer langen, flachen Schale umgerüstete Küchenwaage - und kann kurz darauf verkünden, dass das neugeborene Mädchen ein ganz schönes Brummerchen ist - vierundfünfzig stolze Sekhel ist die Dame lang und satte siebeneinhalb Pfund schwer. Damit Raven sehen kann, wie der abheilende Nabelstumpf zu versorgen ist und auch, damit sie wirklich Gewissheit hat, was mit ihrem Kind passiert, funktioniert Niniane kurzerhand das Fußende des großen Bettes zum Wickeltisch um. Sie reinigt das Baby nur behutsam, ölt die winzigen Hautfältchen ein und verpasst Klein-Ykenai die erste Windel samt weicher, saugfähiger Einlage und ordentlich festgesteckten Enden. Während sie Raven erklärt, was sie tut und der Kleinen dabei beruhigend zugurrt, bestäubt sie schließlich noch den Nabelstumpf in der Mitte des runden Bäuchleins mit ein wenig Silberpuder, bevor sie locker ein Stück Gaze darüberlegt, und zieht dem Baby dann ein hellgelbes Leibchen, ein am Saum mit winzigen violetten Blüten besticktes Kittelchen und kleine, gelbe Söckchen an die sacht strampelnden Füße. Die trägen und zugleich energischen Bewegungen erinnern sie frappierend an das Räkeln und Treten eines Kindes im Mutterleib, und Niniane spürt in ihrem Inneren ein plötzliches, heftiges Sehnen nach ihrem eigenen Sohn, der vermutlich gerade von Dalla unten in der Küche bei Laune gehalten wird... gehört hat sie ihn noch nicht und er hat ihrer Meinung nach ohnehin einen Orden dafür verdient, sie die letzten Stunden schlummernderweise kein einziges Mal gestört zu haben. Ykenai ist ein wirklich hübsches Baby und behält ihren leise verwunderten, vage neugierigen Gesichtsausdruck während der ganzen Prozedur bei - nur, dass sich zu ihrem blinzelnden, fast feierlichen Blick aus großen Augen langsam ein leises Schmatzen gesellt. Niniane lacht in sich hinein. "Ja, du Süße. Du bist deines Vaters Kind," schnurrt sie dem Baby zu. "Du bist hungrig wie ein Bär und weißt genau, was du willst, hm?" Sie hebt sie hoch, drückt sie kurz an ihre Schulter, atmet den unverwechselbaren, herzzerreißenden Geruch nach neugeborenem Baby und legt sie dann wieder Raven in die Arme.

"Sie hat Hunger, denke ich," meint sie leise und hätte beinahe über Ravens weit aufgerissene Augen gelacht, als die junge Frau ratlos und entgeistert verkündet. "Hunger? Aber ich weiß doch gar nicht wie ich..." Niniane schüttelt grinsend den Kopf und deutet sacht auf das Baby. "Macht nichts. Sie weiß es." In der Tat - Ykenai, so winzig wie sie ist, hat kaum die vertraute Haut ihrer Mutter berührt, als sie auch schon suchend und mit der kleinen Nase stupsend, ihr Mündchen aufsperrend wie ein Vogeljunges, schnaufende Laute von sich gibt und sich angestrengt zur Seite windet. Raven muss nur ihr Hemd aufknöpfen und die Kleine anlegen, und ihre Tochter trinkt, als hätte sie nie etwas anderes getan. "Ein Naturtalent," verkündet Niniane und streicht ihrer Freundin dann liebevoll über Stirn und Haar. "Das hast du gut gemacht, min Ija." Ihr Blick wandert von Mutter und Kind zu Caewlin, der die beiden gebannt beobachtet und sie tätschelt ihm anerkennend die Schulter. "Und du auch, Nordmann. Und alles Gute zum Namenstag im Übrigen," fügt sie grinsend hinzu. Dann steht sie auf und zieht sich ein wenig zurück, und ihr wird bewusst, dass draußen vor der Tür schon seit einer Weile leise Geräusche zu hören sind. Das verhaltene Schnüffeln und Jappen zweier großer Hunde, gedämpfte Stimmen, die sich bemüht leise unterhalten, das Scharren von Füßen und Rascheln von Kleidern - so wie sie Caewlins und Ravens kleine oberste Magd einschätzt, klebt Dalla vermutlich schon längst mit dem Ohr an der Tür und harrt gespannt wie ein Flitzebogen der Dinge, die da kommen sollen, hinter ihr andächtig das übrige Gesinde. "Oh..." murmelt Niniane belustigt von dieser Vorstellung und wendet sich um. "Vor der Tür ist anscheinend der gesamte restliche Haushalt versammelt und wartet. Soll ich sie hereinlassen oder wollt ihr lieber noch ein Weilchen allein sein, dann gehe ich hinaus und sage es ihnen?"

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Caewlin am 22. Apr. 2006, 00:37 Uhr
Caewlin kann seine Augen nicht von seiner Tochter nehmen, nicht für eine einzige Sekunde, als fürchte er, sie könne sich in Luft auflösen, wenn er nur einmal wegsehen würde - alles andere verblasst in diesem Moment, nur sein Herz schlägt so laut, dass man es noch einen Schritt neben ihm hören könnte. Als es endlich vorbei war, war Raven kraftlos und benommen in seinen Armen gelandet, wo sie einen Moment lang nur keuchend nach Atem gerungen hatte, doch sie hatte sich beinahe augenblicklich wieder aufgerichtet, um einen Blick auf ihr Kind zu werfen. Caewlin hält sie immer noch und sie schmiegt sich an ihn und drückt seine Hand - und dann hört er sie mit einer Stimme, die so überwältigt und von grenzenlosem Staunen erfüllt klingt, wie er sich selbst fühlt, flüstern: >Hallo Ykenai<, im selben Augenblick, als Niniane die erlösenden Worte spricht, das Baby sei gesund und ein prächtiges Bairn, wie es nicht besser sein könnte. Ykenai? Ein Mädchen... Götter, ein gesundes Mädchen... Dass er eine Tochter hat, realisiert Caewlin erst nach einem weiteren atemlosen Moment wirklich - er hatte nur sprachlos vor Ehfurcht auf ein entrüstet verzogenes Gesichtchen, einen winzigen, rasch atmenden Brustkorb und ganz und gar lebendig strampelnde Arme und Beine gestarrt, aber auf die Idee, nachzusehen oder zu fragen, was es denn eigentlich ist, war er nicht einmal gekommen. Niniane untersucht die Kleine kurz, durchtrennt die Nabelschnur, wickelt sie in ein weiches Tuch, und dann kann Raven sie endlich in den Armen halten, und er selbst kann über die Schulter seiner Frau auf seine Tochter hinunter blicken. Raven schlägt mit bebenden Fingern die Decke ein wenig zur Seite, um sich alles von ihr anzusehen, und sie blinzeln beide absolut hingerissen auf ein kleine Köpfchen mit Haaren, so flaumig wie dunkle Feenseide - eindeutig Ravens Haar, aber im Morgenlicht meint er auch einen schwachen, rötlichen Schimmer darin zu finden. Sie bewundern das runde Bäuchlein mit dem noch frischen Nabelstumpf, die träge rudernden Ärmchen, die nicht dicker sein können, als sein Daumen, und sacht strampelnde Beine mit winzigen, faltigen Füßchen, daran zehn perfekte Zehen, der Größe nach aufgereiht wie Perlen auf einer Schnur, die Nägel kaum mehr als eine schimmernde Andeutung auf rosiger Haut. "Götter im Himmel... sieh sie dir an, min koerlighed," flüstert er. "Sie ist wunderschön."

Die Kleine hat die Augen mit bereits erstaunlich langen, dunklen Wimpern fest geschlossen, doch man kann jetzt schon erkennen, dass sie leicht schräg stehen wie Katzenaugen - seine Augen, die Augen seiner Mutter. Würde sie auch die Farbe erben? Zwei zarte, lang geschwungene Bögen darüber deuten die Brauen an, das Näschen ist ungeheuer klein und makellos, ebenso wie die runden Wangen und ein feingeschwungener, rosiger Mund. Die filigranen Ohrmuscheln sind so hauchdünn und zart, dass das Licht durch die Haut scheint, und so unwiderstehlich, dass er sie einfach berühren muss. Caewlin streckt die Hand aus und fährt mit der Oberseite seines Zeigefingers unendlich vorsichtig die Konturen des kleinen Gesichtes nach, streicht über seidenweiche Wangen, eine runde Stirn und ein winziges Kinn, ein Gefühl, als ertaste man blind die Formen einer zerbrechlichen Blüte. "Sie hat dein Haar, Raven. Und den Mund hat sie auch von dir." Er fährt sacht darüber, und in Ykenais Wangen erscheinen prompt zwei winzige Grübchen, als sich der kleine Mund reflexartig bewegt. Bei ihrem Anblick schnappt er leise nach Luft und das närrische Lächeln, das ihm der Anblick seiner neugeborenen Tochter in die Mundwinkel zementiert hat, wird noch ein wenig breiter. "Aber das hat sie von meiner Mutter... Ykenai. Sie hatte auch diese... Der Name passt wirklich." Das Baby räkelt sich sacht und runzelt die Stirn, gerade als Niniane wieder zu ihnen tritt und Raven die Kleine aus dem Arm nimmt. >Ich nehme sie nur ganz kurz, um sie zu wiegen und zu messen, sie ein wenig sauber zu machen und zu wickeln. Du hast sie sofort zurück. Caewlin kann nicht sagen, wieviel Zeit vergangen ist, allenfalls doch nur ein paar wenige Augenblicke, und sieht fast verwirrt auf, ehe ihm einfällt, dass seine Tochter, noch immer voller Blut und Käseschmiere, langsam vielleicht doch ein wenig gewaschen und angezogen werden sollte. Sein Blick streift das aufgeräumte Bett und die allgemeine Ordnung im Zimmer, die Schale mit der Nachgeburt, den Wäschekorb und das hell prasselnde Feuer, und er grinst die Waldläuferin dankbar an. Ein paar Minuten nur? Wohl kaum. Während Ninaine Ykenai versorgt, sie reinigt, wickelt und anzieht, sammelt er ein paar Kissen zusammen, schüttelt sie auf, hilft Raven sich bequem daran anzulehnen und löst sich dann mit vollkommen tauben Beinen von ihr. Allerdings nicht weit - er wechselt nur seine Sitzposition und wandert von ihrem Rücken an ihre Seite, so dass er sie ansehen und seine schmerzenden Beine strecken kann.

Raven lächelt immer noch von einem Ohr zum anderen, so fassungslos und euphorisch wie er selbst - sie sieht abgekämpft, zerzaust und müde aus, aber sie grinst wie eine Katze. Das noch feuchte Haar klebt ihr ums Gesicht und ringelt sich an den Wangenknochen zu sanften Wellen, ihre Lippen sind ein wenig aufgesprungen, und sie leuchtet, als brenne irgendwo in ihrem Inneren eine kleine, glühende Sonne. Er streckt die Hand aus und berührt ihr Gesicht. "Du hast hart gekämpft, min koerlighed." Auf seinen Unterarmen und Handgelenken haben ihre Fingernägel rote, halbmondförmige Spuren hinterlassen, die sie mit einem entsetzten Blick und er mit einem schulterzuckenden Grinsen quittiert, dann beugt er sich vor, um sie zu küssen, warm wie die Morgensonne. Sein Grinsen wird noch breiter, als ihm all die wilden Beschimpfungen wieder einfallen, die sie ihm vorhin an den Kopf geworfen hat, und die noch wüsteren Drohungen, was sie alles mit ihm anstellen würde, wenn er ihr noch einmal zu nahe käme, doch er kommt vorerst nicht dazu, sie damit ein wenig aufzuziehen, denn Niniane legt ihr Ykenai, gewickelt, angezogen und in eine weiche Decke gehüllt, wieder in die Arme. >Sie hat Hunger, denke ich< bemerkt die Waldläuferin, doch noch ehe Raven deswegen in Panik geraten kann, hat sie ihr Hemd auch schon halb aufgenestelt und das Kind an die Brust gelegt. Das kleine Bündel gibt an ihrer warmen Haut Geräusche wie ein entzücktes Trüffelschweinchen von sich, windet und krümmt sich, bis es findet, was es sucht und alle ungeduldigen Quäklaute verstummen. Ravens Augen weiten sich einen Moment fast erschrocken und sie schnappt laut nach Luft, doch dann kehrt ihr Lächeln zurück und Caewlin hört auch Niniane irgendwo in seinem Rücken erleichtert aufatmen. Ihre leisen Worte, seine Tochter sei ein Naturtalent, lassen ihn dann allerdings belustigt schnauben. "Es ist meine Tochter, aye? Was hast du erwartet?" wirft er ein, ohne das Baby oder Raven dabei einmal aus den Augen zu lassen. Alles, was er zwischen den hellen, weichen Wollldecken erkennen kann, ist ein in winzigen Stacheln abstehender, dunkler Haarflaum, eine runde Wange, eine kleine Faust und ein hungrig  trinkender, rosa Mund, doch er muss einfach hinsehen. Die Waldläuferin flüstert Raven etwas zu und tätschelt ihm dann die Schulter. >...du auch, Nordmann. Und alles Gute zum Namenstag im Übrigen,< hört er sie sagen und blickt überrascht auf. "Was... heute?" Blinzelnd rechnet er nach und stellt leicht verlegen fest, dass ihm irgendwann gestern Abend zwischen Pfannkuchen und Wehen jegliches Zeitgefühl abhanden gekommen sein muss. Heute ist tatsächlich sein Namenstag. "Oh... Danke."

Niniane verschwindet aus seinem Blickfeld und rumort leise irgendwo im Zimmer herum. Raven sagt gar nichts, aber sie sieht ihn an und braucht keine Worte. Das Lächeln auf ihrem Gesicht, die Wahrheit im tiefen Bernsteingold ihrer Augen, die Berührung ihrer Finger, die sacht über die Kratzer an seinen Händen streichen... sie sagt es ohne auch nur einen einzigen Laut von sich zu geben. Das hat sie schon immer gekonnt, wird ihm klar und er starrt unverwandt in ihre Augen, himmeltief und grenzenlos. Mich ohne ein einziges gesprochenes Wort mitten ins Herz zu treffen. Caewlin sieht seine Frau und seine Tochter an und plötzlich ist seine Kehle so zugeschnürt, dass es schmerzt, zu atmen. Er hätte Raven furchtbar gern festgehalten, jetzt wo kein hinderlicher, hochschwangerer Bauch mehr im Weg ist, und er sie wieder an sich drücken kann, bis ihre Rippen knacken, hätte sie gern berührt, an seinem Körper geborgen, ihr Haar durch seine Finger gleiten lassen und ihren lächelnden Mund dann so lange geküsst, bis sie um Gnade bitten würde, aber er kommt nicht dazu, auch nur irgendetwas davon in die Tat umzusetzen. Das Baby hat sich sattgetrunken und im Arm seiner Mutter eingerollt wie ein Kätzchen im Nest, und Raven, die den sehnsüchtigen Ausdruck auf seinem Gesicht gesehen haben muss, reicht sie ihm. Er hat nicht mehr aufgehört zu lächeln, seit seine Tochter zur Welt gekommen war, aber jetzt mischen sich auf seinem Gesicht tödlicher Schrecken, hingerissene Faszination, Angst und überwältigende Liebe für dieses winzige, hilflose Wesen. Obwohl Niniane ihnen versichert hatte, dass sie ein kräftiges kleines Ding wäre, erscheint sie ihm jetzt, wo er sie zum ersten Mal hält und den kleinen Kopf sicher in seiner Armbeuge geborgen hat, so leicht wie die Luft selbst und so zerbrechlich, dass er befürchtet, flammende Male auf ihrer Haut zu hinterlassen. Die kleinen Hände liegen zu Fäustchen geballt dicht am Gesicht, bis er eine davon ergreift und sacht darüberstreichelt. Ruckartig öffnen sich die winzigen Finger und fächern sich dann fast träge auf, spreizen sich und schließen sich wieder - erstaunlich fest um seinen ausgestreckten Zeigefinger. "Aye, das hast du von deiner Mutter." Er fährt mit dem Daumen sacht über seidige Haut und perlmuttartig schimmernde Nägel, und seine Tochter öffnet unvermittelt die Augen. Noch ist der Blick allenfalls vage in die Richtung von Geräuschen gerichtet, sie sieht ihn noch nicht wirklich... oder doch? Im Moment jedenfalls scheint sie seinen Blick geradewegs zu erwidern. Meine Augen. Vorerst ähnelt die Farbe einem etwas trüben, verschleierten Himmelblau, aber sie würden bald klarer werden und sind jetzt schon so hell, dass sie es wahrscheinlich auch bleiben.

Caewlin ist so versunken in den Anblick seiner Tochter, dass er Ninianes leise belustigte Worte nicht einmal hört, geschweige denn irgendwelche verräterischen Geräusche vor der Tür. Erst als die Waldläuferin ihre Frage wiederholt, blickt er auf. >Soll ich sie hereinlassen oder wollt ihr lieber noch ein Weilchen allein sein, dann gehe ich hinaus und sage es ihnen?< Er wechselt einen Blick mit Raven, einen leisen Anflug von Sorge im Gesicht, doch als sie nickt, nickt auch er. Niniane öffnet die Tür, bleibt aber wohlweislich im Rahmen stehen und Caewlin kann über ihren Kopf hinweg eine Reihe erwartungsvoll gespannter Gesichter sehen. Als erstes drängen sich jedoch die Hunde herein, bleiben aber beinahe augenblicklich stocksteif wieder stehen und nehmen gierig Witterung auf, ehe sie einmal -  von der Nase bis zur Schwanzspitze zitternd - das Bett umkreisen, lautlos wie Wölfe. Caewlin schickt beide mit einem leisen Wort auf ihren Platz, auf den sie sich auch gehorsam verziehen - allerdings lassen weder Akira noch Stelze das kleine Bündel in seinen Armen mehr aus den Augen, doch ihnen das Kind zu zeigen, dafür ist nachher noch genug Zeit. Dann versucht Brynden, allen anderen vorneweg und Dallas Griff entwischt, sich von einem Bein aufs andere hopsend an Niniane vorbeizuquetschen. "Tante Na-haan, Tante Nahaaaaaaaaan, ist das Baby da? Ist es da?" Niniane erwischt ihn gerade noch am Kragen, versichert ihm, seine Schwester sei da und gesund, und er könne sie sich ansehen, aber er müsse leise und vorsichtig sein. Das wiederum hört Dalla natürlich, die beinahe ebenso ungeduldig ist wie sein Sohn, und unter ihrer frisch gestärkten Haube hervor vergeblich versucht, einen Blick an Niniane vorbei in den Raum zu werfen. "Ein Mädchen! Oh, Beth, ein Mädchen, ha! Ich wusste es, ich wusste es... ich... wo... dürfen wir..." Im Gang wird deutlicheres Rumoren laut. "Psssst!" Mahnt Brynden mit streng gefurchter Stirn über die Schulter in Richtung Dalla und dem übrigen Gesinde. "Meine Schwester. Und Tante Nan hat gesagt, ihr müsst alle leise sein!"
Caewlin unterdrückt ein Lachen, während Niniane grinsend die Tür freigibt, und dann schleichen nachheinander auf Zehenspitzen Brynden, Dalla, Rykar, Pyp, Runa, die Niniane ihren hungrig quäkenden Sohn bringt, und zuletzt Bethel, bewaffnet mit einem gewaltigen Tablett voller Cofea, Malzbier, Butter, frischem Brot, gebratenem Speck und Eiern und einem Töpfchen Honig, herein und versammeln sich andächtig am Fußende des Bettes. Bryndens grünblaue Augen ziehen sich allerdings beinahe augenblicklich zu misstrauischen Dreiecken zusammen, als er Raven suchend ansieht und einfach kein Baby bei ihr entdeckt. "Gar nicht wahr!" Verkündet er maßlos enttäuscht. "Da ist gar kein Baby." Noch ehe ihn irgendjemand aufhalten kann, ist er auf dem Bett und in Windeseile neben Raven gekrabbelt. "Wo ist das Baby denn? Immer noch in deinem Bauch? Du hast gar keinen mehr!"

"Scht, min skrollan. Ich habe es. Willst du dir deine Schwester ansehen?" Natürlich will Brynden, was er auch eifrig nickend sofort beteuert, und Caewlin reicht das kleine Bündel behutsam wieder an Raven, damit sie es ihm zeigen kann. Ein Chor andächtiger und entzückter Aahs und Oohs steigt auf, als sie die Decken ein wenig zurückschlägt, so dass alle einen Blick auf Ykenai werfen können, die, von der allgemeinen Aufmerksamkeit wenig beeindruckt, nur müde blinzelt und gähnt. Brynden sieht sie lange stirnrunzelnd nur an, dann zuckt er mit den Schultern und meint leichthin, sie sei aber noch ziemlich klein, seine Schwester. Aber er streicht vorsichtig über ihre Stirn, kichert leise und verkündet dann großmütig im exakt gleichen, zuversichtlichen Tonfall wie Rykar es immer tut, wenn unter den Jungtieren im Stall ein besonders mickriges Exemplar ist: "Dich kriegen wir auch groß." Caewlin lacht leise und nickt dann. "Bestimmt. Warum hilfst du nicht Tante Nan mit dem Tablett und dem Frühstück, das Beth mit heraufgebracht hat, aye?" Das lässt Brynden sich nicht zweimal sagen und räumt damit das Feld für eine begeistert zungenschnalzende Dalla, die Raven mit einem Schwall Loblieder und Glückwünsche - im Namen aller natürlich - überschüttet und es kaum erwarten kann, das Baby in die Finger zu bekommen. Raven überlässt sie ihr mit einem wissenden kleinen Schnauben, das der obersten Magd bestimmt nicht entgeht, doch Dalla übernimmt es freudestrahlend, die Kleine ins Licht zu halten und allen anderen zu zeigen. Aus den Armen der Mogbar wandert sie weiter zu Bethel, von Bethel zu Runa, dann darf Pyp sie einen Moment halten, beobachtet von acht argwöhnischen Augenpaaren, damit er sie nur ja nicht fallen lässt... und während all dessen ist nichts anderes zu hören als: Oh, die kleinen Fingerchen! - - - Oh, seht nur, dieses dunkle Haar, das hat sie von M'lady! - - - Aber nein, siehst du denn nicht, es schimmert ja rot! - - - Das ist doch das Morgenlicht! - - - Wie soll sie denn heißen, der kleine Sonnenschein? - - - Ykenai? Oh... äh... das ist ein nordischer Name, M'lord? - - - Ach, nach Eurer Mutter. - - - Und diese Augen, seht doch nur. So hell und blau. Das sind die von M'lord. Ihr werdet sehen, hat der Kleine auch geerbt. - - - Meine Güte, was für ein schweres Mädchen. - - - Und groß... och - - - Als Rykar sie als Letzter von allen für einen Moment sicher und fest in seinen altersfleckigen, faltigen, großen Händen hält, beendet er den Aufruhr, indem er einen herzländischen Segen über Ykenai murmelt und das Baby, sehr zu Dallas Leidwesen, lächelnd wieder Raven reicht. Caewlin tauscht einen amüsierten Blick mit Niniane, die es sich mit Leir in einem Korbsessel am Fenster gemütlich gemacht hat und ihren Sohn stillt, während sie mit der freien Hand Brynden samt einem Teller gebratener Eier und Speck losschickt. Vorsichtig, um ihr nicht wehzutun, setzt er sich wieder neben Raven. "Hunger min koerlighed? Dann gib mir die Kleine, da kommt Frühstück." Er nickt zu Brynden hinüber, der seine kostbare Fracht konzentriert zum Bett balanciert und der köstliche Duft von frischgebackenem Brot und Gebratenem füllt das Schlafgemach.

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Raven am 25. Apr. 2006, 15:59 Uhr
Die ersten Augenblicke nach der Geburt ziehen an Raven vorüber wie im Rausch, und sie ist so damit beschäftigt, dieses winzige neugeborene Menschenkind anzustarren, dass sie kaum mitbekommt, was um sie herum vor sich geht. Von all der Anstrengung ist sie erschöpft bis auf die Knochen und fühlt sich, als hätte eine Horde Waldelefanten sie überrannt und anschließend eine gütige Seele ihre Überreste aufgekehrt, um sie noch dreimal durch einen Fleischwolf zu jagen. Sie ist vollkommen erledigt, und doch hat sie sich kaum je lebendiger gefühlt als in diesem Moment. Ihr ist nach Lachen und Weinen zugleich, und ein unbeschreiblicher Aufruhr aus Gedanken und Gefühlen wirbelt in ihrem Inneren wild durcheinander - Erleichterung und Freude, Erschöpfung, Staunen, Glück und Ehrfurcht, und fast so etwas wie ein überschäumendes Triumphgefühl. Und sie platzt förmlich vor Stolz. Nicht einen Herzschlag lang kann sie den Blick von ihrer Tochter nehmen, von diesem kleinen, zappelnden Bündel, das Niniane ihr in den Arm legt. Aus den Falten des Flanelltuches lugt ein rosiges Gesichtchen und eine kleine, fest geschlossene Faust arbeitet sich angestrengt aus dem weichen Stoff hervor. Alles an Ykenai ist so winzig, dass man unwillkürlich ein -chen an alle Körperteile hängen muss: sie hat keine Füße, sondern allerliebste Füßchen mit perfekten rosa Miniaturzehen; sie hat keine Hände, sondern Händchen mit klitzekleinen, zarten Fingern, dieser winzige Knopf in ihrem Gesicht ist auch keine Nase, sondern ein Näschen, und Raven kann sich einfach nicht satt sehen an ihr. Vorsichtig und ein bisschen zittrig, weil sie noch nicht so recht weiß, wie sie mit dem Baby umgehen und es halten muss, schlägt sie das Tuch zur Seite, in das Niniane die Kleine gewickelt hat, um sie auch wirklich ausgiebig bewundern und anschauen zu können, vom stachligen Haarflaum über das kleine runde Bäuchlein bis hin zu den träge strampelnden Beinchen. Beinahe zehn Monde lang hat dieses Würmchen in ihrem Bauch gewohnt und ist ihr so vertraut wie ihre eigenen Körperteile, ihr Anblick jedoch ist etwas so absolut Neues, so rührend und aufregend, dass Raven sie nur fassungslos ansehen kann, die Kehle dabei wie zugeschnürt, so dass sie im ersten Moment nicht ein einziges Wort hervorbringt.

Sie berührt Ykenais winzige Füßchen, ihre runden Wangen, die fest geschlossenen Fäustchen, die filigranen Kunstwerke ihrer Ohrmuscheln, streicht sachte über dieses unglaublich kleine Gesicht. Ihre Haut ist weich und samtig wie die einer Frucht. Sie ist so schön, so vollkommen, ein solches Wunder. Und zum ersten Mal begreift sie wirklich, was Leben bedeutet, und was es bedeutet, ein Leben zu schenken, sie versteht, was ihre eigene Mutter verspürt haben muss, als sie selbst geboren wurde, was Caewlins Mutter empfunden haben muss, die erste Ykenai, als sie zum ersten Mal ihren Sohn im Arm gehalten hatte, sie versteht auf einmal so vieles, das ihr bis dahin unbegreiflich gewesen war, als hätte ein Funke uralter Schöpferkraft sie berührt - selbst Brynden sieht sie auf einmal mit ganz anderen Augen. Wie stolz und glücklich muss Cal gewesen sein..... Und all die mörderischen Schmerzen, die sie vor wenigen Augenblicken noch ausgestanden und dabei geglaubt hatte, sie würde ganz bestimmt daran sterben müssen, sind auf einmal so bedeutungslos, als hätten sie gar nicht existiert. Behutsam legt sie die Hand über das runde Köpfchen, über die noch weichen Knochen und den feuchten, dunklen Haarflaum, und jetzt lacht und schnieft sie wirklich gleichzeitig. Du kleiner Schatz, du wärst noch tausendmal mehr Schmerzen wert gewesen. Sie kann Caewlins Gesicht an ihrem schweißfeuchten Haar spüren, als er über ihre Schulter hinweg seine Tochter anschaut, und in seiner Stimme klingt mindestens ebensoviel fassungsloses Staunen, wie ihr ins Gesicht geschrieben steht. >Götter im Himmel... sieh sie dir an, min koerlighed. Sie ist wunderschön.< "Das ist sie wirklich", fügt sie leise hinzu. "Und wir haben sie gemacht." Sie kann immer noch nicht ganz begreifen, wie so etwas Wunderbares förmlich aus dem Nichts entstehen kann, als wäre die Liebe, die sie füreinander empfinden, plötzlich greifbar und zu Fleisch und Blut geworden.

Ein Arm nebst der dazugehörenden großen Hand schiebt sich über Ravens Schulter und starke, kräftige Nordmannfinger, Finger, die sich eisern und brutal um den Griff eines Morgensterns oder einer Axt schließen können und ohne Mühe einen ausgewachsenen Mann erdrosseln könnten, streichen über das winzige Gesichtchen, und sie tun das so sanft und so unglaublich zart, dass Raven unwillkürlich erschauert und ihr Herz schier überquellen will vor Liebe zu ihrem Mann und diesem hilflosen kleinen Wesen in ihrem Arm. >Sie hat dein Haar, Raven. Und den Mund hat sie auch von dir. Aber das hat sie von meiner Mutter... Ykenai. Sie hatte auch diese... < Gerade als das Baby ihnen die zwei süßen Grübchen in seinen Wangen vorführt und sie Hals über Kopf dabei sind, Herz und Verstand rettungslos an diesen Winzling zu verlieren, wird ihnen Ykenai auf grausamste Art und Weise wieder entrissen, als Niniane die Kleine lächelnd aus Ravens Armen hebt, um sie zu säubern und zu wickeln. Am liebsten wäre sie augenblicklich aus dem Bett und der Waldläuferin hinterhergesprungen, um ihr das Baby auf der Stelle wieder zu entreißen, aber dann kann sie sich gerade noch mit Mühe beherrschen, und das auch nur, weil Niniane hoch und heilig beteuert, sie würden die Kleine gleich wieder zurückbekommen. Angesichts ihrer Freundin, die sich während der letzten Stunden so selbstlos um alles gekümmert hat und in der Zwischenzeit, wie Raven verblüfft feststellen muss, auch noch aufgeräumt, die Dreckwäsche beseitigt und sie selbst versorgt hat, zwickt sie sofort das schlechte Gewissen. Sie war so in den Anblick ihrer Tochter vertieft gewesen, dass sie nichts von all dem überhaupt wahrgenommen hatte, noch nicht einmal Ninianes Turnübungen auf ihrem Bauch oder das Entsorgen der Nachgeburt. Vor Verlegenheit läuft sie in schönstem Geranienrosa an und kann nur betreten stammeln: "Danke, min Ija, du bist wirklich die beste Hebamme der Welt."

Niniane schenkt ihren verlegen gemurmelten Worten nur ein amüsiertes Grinsen, während sie Ykenai misst und auf Bethels aufgerüsteter Küchenwaage das Gewicht des kleinen Brummerchens feststellt. "Vierundfünfzig Sekhel!" schmettert sie ihnen freudestrahlend entgegen. "Und Siebeneinhalb Pfund." Raven wächst bei diesem beeindruckenden Ergebnis ihrer Mühen um mindestens eine stolze Handspanne und ihr Lächeln ist so breit, dass nur ihre Ohren die Mundwinkel davon abhalten, am Hinterkopf zusammenzustoßen. Caewlin quält sich mit einem leisen Ächzen und mit mittlerweile vermutlich völlig abgestorbenen Beinen aus seiner starren Haltung und lässt sich neben ihr auf der Bettkante nieder, und endlich kann sie ihn ansehen, die Arme um ihn schlingen und ihn an sich drücken, leuchtend vor Freude und Stolz. >Du hast hart gekämpft, min koerlighed<, lächelt er, und das Lächeln wird zu einem breiten Grinsen, als sie die tiefen Male, die ihre Fingernägel auf seiner Hand und seinen Armen hinterlassen haben, mit einem erschrockenen Luftholen quittiert. "Du offenbar auch", stellt sie kläglich fest und streicht bedauernd über die Kratzer und blauen Flecken auf seiner Haut. "Ich brauche wohl nicht erst zu fragen, ob ich das war ... Götter, ich wollte dich nicht so malträtieren, das habe ich überhaupt nicht gemerkt..." Verwirrt schüttelt sie den Kopf, weil sie sich überhaupt nicht daran erinnern kann, ihrem Mann so zugesetzt zu haben, aber bevor sie weiter darüber nachdenken kann, drückt Niniane ihr Ykenai wieder in den Arm, sauber, mit fast trockenem Haarflaum, gewickelt und in ein weiches, besticktes Hemdchen gehüllt. Die Kleine hat tatsächlich vage Ähnlichkeit mit einem Trüffelschweinchen - muss wohl doch irgendwie in der Familie liegen - , und sie scheint gewaltigen Hunger zu haben, so energisch, wie sie an ihrer Mutter herumsucht und dabei unmissverständliche Schnauflaute von sich gibt. Hunger .... herrje...

Raven hat noch nicht einmal ganz ihr Hemd aufgeschnürt, als das Baby auch schon die Milchquelle erschnüffelt hat und mit einem zufriedenen Schmatzen an ihrer Brust andockt, so selbstverständlich und souverän, als hätte es das schon tausendmal getan. Raven dagegen ist weit weniger souverän und ihr entfährt nur ein erschrockenes "Umpf", denn mit allem hat sie gerechnet, nur nicht damit, dass ein so winziges Kind schon einen so gewaltigen Zug am Leib haben kann. "Himmel, sie zieht an wie ein Frostzwerg beim Wettsaufen", kann sie nur verblüfft staunen und dann sieht sie noch viel verblüffter Niniane an, die in diesem Augenblick gute Wünsche zu Caewlins Namenstag zum Besten gibt. Namenstag? Heute? Ohje, das darf nicht wahr sein, wie konnte ich das nur vergessen... Zu ihrem Trost scheint Caewlin es jedoch ebenso vergessen zu haben, denn er sieht nicht minder verdattert aus als sie selbst, als er die Glückwünsche entgegennimmt. Ihre Blicke begegnen sich über das friedlich trinkende Kind hinweg und verschlingen sich ineinander, erzählen und sprechen, ohne dass sie dazu Worte benötigt hätten, und das Licht, das in seinen Augen leuchtet, lässt Raven einen Moment lang den Atem anhalten. Erst Ykenai, die inzwischen ihre allererste Mahlzeit beendet hat, bricht den Bann, indem sie ein kleines Schmatzen von sich gibt, das wohl ungefähr so viel bedeutet wie Es hat geschmeckt und jetzt bin ich satt. Ganz vorsichtig und noch ein bisschen ungelenk, weil sie nicht genau weiß, wie sie das Baby halten muss, nimmt Raven sie hoch und legt sie in Caewlins Arme. "Denk dir einfach eine große Schleife drumherum", schlägt sie mit einem Lächeln in den Mundwinkeln vor und schnürt sich das Hemd wieder zu. "Dann hast du gleich ein wunderbares Geschenk zum Namenstag." Ein wenig betreten fügt sie noch hinzu: "Es war leider keine Zeit mehr, etwas anderes zu besorgen, aber das werde ich nachholen, so bald es geht ..." Caewlin scheint ihre letzten Worte aber überhaupt nicht mehr zu hören, so vollkommen versunken ist er im Anblick seiner Tochter. Geborgen in seinem Arm sieht Ykenai noch viel kleiner aus, als sie ist, und ihr winziges Hinterteil mitsamt dem Windelpaket würde bequem in Caewlins hohle Hand passen. Sie umklammert energisch seinen Zeigefinger und als sein Daumen über ihre weiche Wange streicht, öffnet sie blinzelnd die durchscheinenden Lider und schaut ihm direkt ins Gesicht. "Sieh nur, sie hat deine Augen", flüstert Raven ergriffen. Herzschlägelang scheint Ykenai ihren Vater tatsächlich zu betrachten, und dann, als begreife sie, dass sie endlich da angekommen ist, wo sie hingehört, schließt sie zufrieden die Augen und legt ihr winziges Köpfchen an seine Brust.

Das herzzerreißende Bild wird jäh unterbrochen, als Niniane die Tür für die lauernde Meute öffnet, die sich draußen auf dem Flur offenbar schon seit längerem die Füße plattsteht. Allen voran hecheln die beiden Hunde in das Zimmer, dicht gefolgt von Brynden und Dalla, die beide schier platzen vor Neugier, und hinter ihnen schubst und drängelt sich auch noch der Rest des Gesindes im Türrahmen. Ihnen ist anzusehen, dass sie das Schlafgemach am liebsten im Sturm genommen hätten und sich nur mit Mühe beherrschen können, leise zu sein und sich einigermaßen babyschonend zu benehmen. Mit Beherrschung ist es bei Brynden allerdings noch nicht weit her, und er hopst wie ein Wirbelwind durch den Raum, kräht nach Niniane und dem Baby, das er jetzt gefälligst endlich zu sehen wünscht. Er ist so aufgeregt, dass Raven kichern muss, vor allem, als er die Anweisungen, die Niniane ausgibt, schnurstracks an seine Gefolgschaft weiterreicht, den Zeigefinger an den geschürzten Lippen und die Stirn in drohende Falten gelegt: "Psssst!" Bevor sie sich versehen, hüpft er zu ihnen aufs Bett und seine Augen irren suchend umher, bis er schließlich schon fast enttäuscht eine Schnute zieht, weil er das Baby nicht finden kann, das friedlich und unglaublich klein in Caewlins Armbeuge schlummert. >Da ist gar kein Baby. Wo ist das Baby denn? Immer noch in deinem Bauch? Du hast gar keinen mehr!< "Caewlin hat es. Komm her, mein Schatz, gleich kannst du es ansehen." Raven macht Brynden Platz, damit er sich neben sie setzen und seine neue Schwester anschauen kann, die Caewlin ihr vorsichtig wieder reicht. Nachdem Brynden sie mit zweifelnder Miene ausgiebig betrachtet und kommentiert und außerdem als ziemlich mickrig befunden hat, ist seine Neugier fürs Erste befriedigt und er räumt das Feld für Dalla, die kaum noch an sich halten kann und sich wie eine aufgeplusterte Glucke mit glücklichen Schnalzlauten auf die Kleine stürzt.

In einer Mischung aus Stolz und Argwohn beobachtet Raven aus schmalen Augen, wie Ykenai von Arm zu Arm gereicht wird, geherzt und begutachtet, mit gurrenden Lauten überschüttet und mit Segenssprüchen bedacht, und muss sich dabei gehörig über den Wirrwarr in ihrem Inneren wundern. Auf die Intensität all dieser Gefühle, die sie mit einem Mal durchfluten, ist sie überhaupt nicht vorbereitet, auf diesen unwiderstehlichen Drang, das Baby zu beschützen und zu verteidigen, und mit leiser Verblüffung stellt sie fest, dass sie tatsächlich imstande wäre, jeden umzubringen, der es wagen sollte, ihrer Tochter auch nur ein einziges Haar zu krümmen. Hier im Seehaus wird dazu allerdings keine Notwendigkeit bestehen, und das einzige, wogegen sie ihre Tochter notfalls verteidigen müsste, sind Dallas überfürsorgliche Anwandlungen, Bethels Kochkünste und drohende Gefahren durch eine blutrünstige Muttersau - wobei sie jetzt, nach der Geburt ihrer Tochter, dieses ferkelhütende Prachtschwein sogar durchaus verstehen kann. Bevor ihre Miene jedoch wirklich grimmig werden kann, erspäht sie hinter all den anderen Bethel, die, praktisch denkend wie immer, ein ganzes Tablett mit Geschirr und allen Zutaten für ein reichliches Frühstück vor ihrem ausladenden Busen balanciert. "Cofea", seufzt Raven selig und lässt sich in die Kissen zurücksinken. "Butterbrot. Honig. Eier mit Speck. Bethel, du bist ein Schatz!" Am liebsten wäre sie der dicken Köchin um den Hals gefallen und hätte ihr zudem noch die Füße geküsst, stattdessen kann sie im Moment nur tatenlos zusehen, wie Bethel das Tablett abstellt, um selbst auch einmal das Baby zu halten und es dann an Rykar weiterzureichen. Die kleine Ykenai lässt das Spektakel in aller Seelenruhe über sich ergehen, blinzelt nur ein paarmal schläfrig und zieht die Stirn in zarte Kräuselfältchen, aber sie verzichtet glücklicherweise auf lautstarke Unmutsäußerungen, und landet schließlich wieder in Ravens Arm, nachdem alle sie gebührend bewundert haben. Niniane scheint Ravens hungrigen Blick bemerkt zu haben, der wie angeleimt an dem Frühstückstablett klebt, und nachdem Leir sich sattgetrunken und die Besuchermeute sich widerstrebend und unter Protest wieder verzogen hat, hilft sie Brynden dabei, Eier und Speck auf die Teller zu häufen, Brotscheiben mit Butter zu bestreichen und die Becher mit heißem Cofea zu füllen.

>Hunger min koerlighed?<, grinst Caewlin neben Raven auf der Bettkante wissend. >Dann gib mir die Kleine, da kommt Frühstück.< "Frühstück", echot sie mit einem abgrundtiefen Seufzer des Wohlbehagens. "Genau das, was ich brauche. Ich könnte einen halben Ochsen verdrücken, und zum Nachtisch noch drei ganze Apfelkuchen." Nach all der Anstrengung ist sie wirklich so ausgehungert wie ein Bär nach dem Winterschlaf, und überlässt Caewlin bereitwillig seine Tochter, um sich über den Teller herzumachen, den Brynden mittlerweile auf ihrem Schoß abgestellt hat. Während sie dick mit Butter bestrichenes Brot und einen Berg Rührei von der Größe des Wyrmschwanz in sich hineinschaufelt, kuschelt Brynden sich zwischen Caewlin und sie, fragt ihnen Löcher in den Bauch und versucht, Ykenais Namen nachzusprechen, der ihm noch ein wenig ungewohnt von der Zunge holpert. Währenddessen zieht Niniane mit Sack und Pack - sprich mit dampfenden Cofeabechern, gefüllten Tellern und ihrem Söhnchen, der inzwischen wieder in seinem Weidenkörbchen vor sich hin döst - zu ihnen auf die Bettkante um. "Ja, komm her, min Ija, setz dich." Raven stellt ihre geleerte Schale beiseite, nimmt Niniane einen der Becher ab und klopft auffordernd lächelnd mit der flachen Hand neben sich, wobei sie versucht, einen Blick auf den schlafenden Leir zu erhaschen. "Er ist mächtig gewachsen, seit wir ihn zum letzten Mal gesehen haben", stellt sie überrascht fest, und ihr Blick saust zwischen ihm und Ykenai hin und her, die zusammengerollt in Caewlins Armbeuge ruht. Im Gegensatz zu diesem Winzling von Neugeborenem sieht Leir schon beinahe aus wie ein Riese, und entgegen dem hauchfeinen dunklen Flaum, der Ykenais Köpfchen bedeckt, trägt er schon einen kräftigen Haarschopf, so glänzend und schwarz wie das Haar seines Vaters.

"Wie geht es ihm? Und dir? Und Cron und Shaerela? Wir sind noch gar nicht zum Reden gekommen vor lauter Kinderkriegen", lacht sie, aber dann wird ein warmes Lächeln daraus und sie drückt Ninianes Hand. "Danke. Danke, dass du so schnell hergekommen bist, und für deine Hilfe, und überhaupt für alles. Es ging alles so furchtbar schnell, dass ich noch gar nicht richtig begreifen kann, was überhaupt geschehen ist." Wieder fliegt ihr Blick zu Caewlin und dem Baby hinüber, als müsse sie sich vergewissern, dass das alles wirklich und wahrhaftig nicht nur ein Traum ist. "Soll ich sie wieder eine Weile nehmen? Dann kannst du essen." Caewlin scheint einen Herzschlag lang abzuwägen, ob er sich schon wieder von seiner Tochter trennen kann, aber dann siegt offenbar der Hunger und er reicht Ykenai über Bryndens Kopf hinweg zu Raven hinüber und zieht sich stattdessen einen Teller und einen Cofeabecher heran. Der ganze vergangene Tag und vor allem die Nacht waren für alle Beteiligten anstrengend gewesen, und entsprechend groß ist der Appetit. Und auch die Müdigkeit, die Raven jetzt allmählich in den Knochen spürt. Aber noch hat sie keine Ruhe, denn in ihrem aufgewühlten Inneren kreisen ungefähr noch dreitausend Fragen, die auf eine Antwort warten. "Ist das so richtig, wie ich sie halte?" fragt sie bei Niniane besorgt nach. "Und darf sie schon baden? Und darf ich schon baden? Und was ist mit diesem Nabelstumpf? Fällt der von allein ab? Wie oft muss sie trinken? Und sie wird auch bestimmt nicht hungern? Ich hab ja noch gar keine Milch ... kommt das noch? Und was, wenn nicht? Und was, wenn ... und soll ich ... und darf ich ... und muss ich .... und kann ich ....?" Die Fragen prasseln nur so auf die arme Waldläuferin ein, bis Raven im wahrsten Sinne des Wortes die Luft ausgeht und sie sich erschöpft in die Kissen zurücksinken lässt. Brynden neben ihr starrt sie sprachlos an. Er ist von Raven zwar einiges gewöhnt, aber dass sie es schafft, ihm im Löcher-in-den-Bauch-fragen den Rang streitig zu machen, ist ihm neu. "Und ich darf doch auch gleich wieder aufstehen, oder?"

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Niniane am 26. Apr. 2006, 00:22 Uhr
"Hier, das ist für Raven. Aber pass auf, dass du nichts verschüttest, ja?" Niniane reicht Brynden einen Teller mit Rühreiern und einer Scheibe Butterbrot, den er mit konzentriert gerunzelter Stirn und fast übertrieben vorsichtig in seinen Händen zum Bett balanciert. Als er lostappt, ist auch Leir fertig und sie nimmt ihn hoch an die Schulter, nestelt ihr Mieder zu und klopft sacht den kleinen Rücken, bis eine Reihe milchblubbernder Aufstoßer verrät, dass ihr Sohn satt und zufrieden ist. Inzwischen ist auch Klein-Ykenai wieder bei ihrer Mutter angelangt, und Niniane steht auf und scheucht das Gesinde freundlich, aber bestimmt hinaus - nur Brynden und die Hunde dürfen bleiben. Dalla sperrt zwar empört den Mund auf, doch noch bevor die Oberste Magd etwas dagegen sagen kann, hat Niniane sich schon augenklimpernd ihre Unterstützung gesichert, indem sie in vertraulichem Ton bemerkt, sie glaube, Mutter und Kind bräuchten jetzt ein wenig Zeit für sich, was wohl sie, Dalla, als erfahrene Mutter dazu meine, schließlich sei die Geburt doch anstrengend gewesen und das Baby sollte doch wohl besser schlafen. Das wirkt - Dalla sieht es augenblicklich als ihre heilige Pflicht an, für Ruhe zu sorgen und komplimentiert alle hinaus, hinunter, an ihre Arbeiten - aber nur ja leise! - und zieht dann höchstpersönlich die Tür hinter sich zu. Niniane atmet erleichtert auf, legt Leir, dessen Augen schon wieder müde flattern, vorsichtig in sein Körbchen und versorgt die kleine Familie im Bett dann erst einmal mit Cofea, Tellern, Besteck und Essen, bevor alles noch kalt werden würde. Brynden hat sich zwischen Raven und Caewlin, der das Baby hält, gequetscht, und schießt zwischen hungringen Bissen von einem Honigbrötchen Fragen auf seine Eltern ab wie Erbsen aus einem Blasrohr: Wie das Baby überhaupt aus dem Bauch gekommen ist, und warum es das mitten in der Nacht gemacht hat, wo man doch schlafen muss. Warum es so klein ist, warum es noch nicht laufen kann, warum es keine Zähne hat und keine richtigen Haare, warum es die Augen dauernd zu hat, es kann ja so gar nichts sehen, warum es nichts sagt, und... und... und...

Aber vor allem interessiert ihn, wie seine Schwester eigentlich heißen soll - und ihren fremd klingenden Namen zu üben bringt ihn dann auch endlich von seinem Fragenmarathon ab. Niniane grinst mitfühlend und dankt im Stillen allen Göttern, dass Shearela noch nicht im Warum-ist-die-Banane-krumm-Alter ist. Sie folgt Ravens Einladung, sich zu ihnen zu setzen, stellt Leirs Körbchen neben sich und gönnt sich selbst dankbar einen Becher heißen Cofeas. Raven späht neugierig auf ihren inzwischen schlafenden Sohn, sieht dann ihre eigene, neugeborene Tochter an und meint schließlich mit fast so etwas wie Verblüffung in der Stimme: >Er ist mächtig gewachsen, seit wir ihn zum letzten Mal gesehen haben.< Niniane, den Mund voller Cofea, kann nur nicken und schlucken und erwidert dann: "Ja, in diesem Alter wachsen sie furchtbar schnell. Im Sommer wird deine genauso groß sein, du wirst sehen. Und Leir war ohnehin schon so groß wie ein Büffel, als er zur Welt kam," sie verdreht sacht die Augen und stibitzt sich ein Stück Speck. Dann ahmt sie perfekt Crons und Caewlins normandischen, weichknurrenden Tonfall und rollenden Akzent nach: "Kommt ganz nach dem Vaterrrr, aye?"
>Wie geht es ihm? Und dir? Und Cron und Shaerela?< Erkundigt Raven sich zwischen zwei Schlucken Cofea. > Wir sind noch gar nicht zum Reden gekommen vor lauter Kinderkriegen< Ein leises, von all dem Fluchen, Stöhnen und Schnauben vorhin noch ein wenig heiseres Lachen schließt sich an, und plötzlich nimmt Raven ihre Hand und drückt sie warm und fest. >Danke. Danke, dass du so schnell hergekommen bist, und für deine Hilfe, und überhaupt für alles. Es ging alles so furchtbar schnell, dass ich noch gar nicht richtig begreifen kann, was überhaupt geschehen ist.< Niniane erwidert das Lächeln und den Händedruck. "Für dich immer, min Ija. Außerdem hatte ich ja nun wirklich kaum etwas zu tun, du hast das alles ganz allein ganz wunderbar gemacht. Leir geht es gut, er wächst und gedeiht, wie man sieht. Und er ist viel pflegeleichter, als Shaerela es war... oder vielleicht bin auch ich es, die gelassener ist, schließlich ist er mein zweites Kind," sie lächelt ein wenig schief und legt den Kopf schräg.

"Uns geht es ansonsten allen gut. Der Winter war lang, und wir waren wochenlang eingeschneit in unserem Baum, so dass wir nicht viel mitbekommen haben von dem, was in der Stadt so geschehen ist... ich glaube, das einzige Mal, dass ich in Talyra war, war als Borgils Sohn zur Welt kam, Brenainn." Ihr Blick schweift zu Ykenai, die friedlich schlummernd im Arm ihres Vaters liegt und nur ab und an träge die Fäustchen bewegt. "Du kannst zurecht stolz auf sie sein. Sie ist ein Prachtmädchen."
Brynden, den Mund voller Honigbrot, will sofort wissen, was ein Prachtmädchen ist und Niniane reicht ihm lächelnd ein Tuch für seine verschmierten Finger. "Etwas ganz Besonderes. So wie du, nur ein Mädchen eben. Du bist nämlich ein Prachtjunge, Bryndenschatz. Aber sei so lieb und lass deine klebenden Finger von der Bettdecke, ja?"
Raven nimmt Caewlin das Baby ab, damit er auch etwas essen kann, und Brynden nutzt die Gunst der Stunde, um zu seinem Vater auf den Schoß zu kriechen, und sich dort an dessen Tellerrand ein zweites oder vielleicht auch drittes Frühstück zu sichern, was Niniane und Raven einen Blick voll Erinnerungen an ihre gemeinsame Zeit im Baum und eine regelmässig von drei hungrigen Nordmännern leergefressene Vorratskammer tauschen lässt. Raven hat Ykenai an ihrem Körper geborgen, hält sie warm und sicher und sieht sie alle paar Herzschläge an, als müsse sie sich vergewissern, dass das Baby tatsächlich noch da ist - es ist ihr jedoch noch etwas ganz anderes an der Nasenspitze abzulesen, nämlich die vielen Fragen, die ihr auf der Zunge brennen und die nur einen Moment später auch schon wie ein Sturzbach hervorsprudeln. >Ist das so richtig, wie ich sie halte? Und darf sie schon baden? Und darf ich schon baden? Und was ist mit diesem Nabelstumpf? Fällt der von allein ab? Wie oft muss sie trinken? Und sie wird auch bestimmt nicht hungern? Ich hab ja noch gar keine Milch ... kommt das noch? Und was, wenn nicht? Und was, wenn ... und soll ich ... und darf ich ... und muss ich .... und kann ich ....?<

Nach diesem Kraftakt lehnt Raven sich erst einmal atemlos an den Kissenberg in ihrem Rücken, hat aber prompt und atemlos noch eine allerletzte Frage auf Lager: >Und ich darf doch auch gleich wieder aufstehen, oder?< Niniane schenkt erst Raven und dann Caewlin, der ihr über Brynden hinweg seinen Becher hinhält, und schließlich auch sich selbst noch einmal Cofea nach, schiebt Leirs Körbchen ein wenig zur Seite und versichert Raven als erstes, dass sie das Baby vollkommen richtig hält. "Das einzige, worauf du in den ersten Wochen achten musst, ist das Köpfchen. Sie kann es noch nicht allein halten, man muss es immer stützen. Wenn sie auf dem Rücken liegt und du willst sie hochnehmen, dann greif unter ihre Arme, stütz ihren Rücken und ihren Nacken mit deinen Fingern und roll sie ein wenig zur Seite ab, ehe du sie wirklich anhebst. Wenn du sie hinlegst, wechsle regelmässig ihre Liegeposition... mal auf dem Rücken, mal auf dem Bauch, mal ein wenig zur Seite geneigt... wenn sie auf der Seite schlafen soll, roll eine Stoffwindel zusammen und schieb sie ihr als Stütze ein wenig unter die Schulter und den Rücken. Wenn du ein reines Lammfell hast, dann kannst du ihr das auch in die Wiege legen, viele Babys mögen das gern - nur unter ihrem Kopf sollte dann ein glattes Tuch liegen, damit sie keine feinen Haare oder Fusseln einatmen kann. Zum Herumtragen tagsüber ist ein ausgepolstertes Weidenkörbchen, wie ich eines für Leir habe, praktisch, denn dann kannst du sie mit hinunter oder hinaus nehmen, bist nicht dauernd damit beschäftigt, herzklopfend auf jeden noch so leisen Quietscher zu lauschen und sie ist nicht allein." Niniane nimmt noch einen Schluck Cofea und überlegt, ob sie möglicherweise etwas vergessen hat an guten Ratschlägen was Ravens erste Frage betrifft, aber ihr will nichts mehr einfallen. "Was das Baden angeht, natürlich darfst du. Sowohl die Kleine, als auch dich. Manche Hebammen behaupten zwar, Mütter sollten in der ganzen Wöchnerinnenzeit kein Vollbad nehmen, aber ich halte das ehrlich für Unsinn und ich bin der lebende Beweis, dass es nicht schadet. Mit dem Baden der Kleinen würde ich noch ein paar Tage warten - die Käseschmiere, diese helle, cremige Substanz, die sie auf der Haut hat, ist wie ein natürlicher Schutzmantel und sollte nicht wirklich abgewaschen werden. Wenn du die Kleine dann badest, muss es ganz warm im Raum sein und darf nicht ziehen. Nimm eine Waschschüssel dafür her, so lange sie hineinpasst oder nimm sie mit dir ins Bad - nur wärmer als deine Körpertemperatur sollte das Wasser nicht sein.

Was noch? Ah ja, der Nabel. Keine Sorge. Er wird eintrocknen und wohl im Lauf des nächsten Siebentages von ganz allein abfallen. Halt ihn immer schon sauber und möglichst trocken, und achte darauf, dass die Windel nicht scheuert. Wenn er ein wenig nässt, ist es in Ordnung, ich lasse dir auf jeden Fall etwas Silberpuder hier, aber falls dir ein unangenehmer Geruch auffällt oder er rot wird und eitert, musst du mich sofort holen lassen. Das geschieht aber sehr selten und bei einem Baby, das ich zur Welt geholt habe, ist es bisher noch nie passiert. Wie oft sie trinken muss... nun..." Niniane zuckt mit den Schultern. "So oft sie will. Lass dein Kind bestimmen, wieviel es essen will. Leg sie an, so oft sie mag. Wieviel sie braucht, nun, das ist von Kind zu Kind unterschiedlich, aber als Faustregel gilt: ist ihre Haut rosig, glatt und gut durchblutet und ihre Windel mehrmals am Tag nass, bekommt sie auf jeden Fall genug. Bis du wirklich Milch hast, verhungert sie dir auf gar keinen Fall. Nimm sie einfach so oft wie möglich an die Brust und morgen oder spätestens übermorgen wirst du genug Milch haben, glaub es mir." Mit amüsiertem Grinsen erinnert sie sich an ihren Anblick im Spiegel einen Tag nach Leirs Geburt - da hatte sie sich so gefreut, endlich ihre Füße wieder sehen zu können und prompt waren ihre Zehen schon wieder verschwunden. "Falls deine Brust sich irgendwann heiß anfühlt und weh tut, dann mach dir erst einmal keine Sorgen - wenn ihr noch Weißkohl vom Herbst übrig habt, leg dir ein paar Blätter in den Eiskeller und bei Bedarf ins Mieder. Das kühlt und lindert. Und leg die Kleine noch öfter an, damit sie möglichst alles trinkt, dann wird erst gar keine Entzündung daraus. Falls doch, schick nach mir und ich bringe dir Heiltränke und Tee vorbei, aber das beste ist immer noch der Kohl." Niniane lacht leise, als sich ihr drei höchst verwirrte Augenpaare zuwenden. "Oh, nun seht mich nicht so an, ihr drei. Raven soll aus ihren Leibchen ja keine Salatschüssel machen, es hilft wirklich." Caewlin wechselt einen Blick mit seinem Sohn, der so deutlich sagt Weiberkram!, dass sie es auch beide hätten aussprechen können und Niniane rümpft belustigt die Nase. "Jaja, macht euch nur lustig. Ihr müsst ja keine Kinder austragen und stillen."

Brynden verzieht sein Gesicht, als wolle er sagen: Bäh, an der Brust trinken, wo es doch Brot und Fleisch und Kuchen gibt!, und rutscht dann gelangweilt von soviel Gerede über Babies, Kohlblätter und Brüste und noch tausend andere Sachen, die ihn überhaupt nicht interessieren, vom Bett. Im Gegensatz zu seinen Eltern und der neuen Rohabürgerin ist er ausgeschlafen und putzmunter, und da man mit der kleinen Schwester noch nicht wirklich etwas anfangen kann, sucht er sich lieber ein anderes Opfer und verkündet nuschelnd, er würde jetzt Runa oder Pyp suchen. Caewlin murmelt ihm etwas zu und der Kleine verschwindet nach unten... für Niniane die Gelegenheit, Ravens letzte Frage - die nach dem Aufstehen - zu beantworten, und die beiden danach noch an die unumgängliche Enthaltsamkeit in der Zeit des Wochenbettes zu erinnern. "Du darfst aufstehen, ja. Aber noch nicht sofort, min Ija. Ein Kind zur Welt zu bringen ist ein hartes Stück Arbeit, und auch wenn du dich gut fühlst, dein Körper muss sich erholen." Sie sieht Raven streng an und kennt die junge Frau gut genug, um zu wissen, dass sie sich kaum daran halten wird, wenn Caewlin nicht dafür sorgt, also wendet sie sich vorsichtshalber gleich an den Nordmann selbst. "Sorg dafür, dass sie wenigstens heute und die Nacht über noch im Bett bleibt und in den nächsten zwei Siebentagen keine schweren Sachen durch die Gegend schleppt." Caewlin nickt und das genügt ihr - er würde dafür sorgen, dass Raven gut auf sich achtet. "Noch etwas, Raven, Caewlin - es wird ungefähr vier bis sechs Wochen dauern, ehe die Lochien versiegen, die Wochenblutungen, und innerlich alles abgeheilt ist... und solange muss ich euch leider strikte Enthaltsamkeit verordnen." Hätte sie den beiden gerade verkündet, die Welt gehe morgen unter, ihre Gesichter hätten nicht betrübter sein können. Niniane räuspert sich rasch und kämpft mit Erheiterung, doch dann siegt der Ernst der Angelegenheit. "Nein, wirklich - daran müsst ihr euch halten. Ihr dürft erst wieder äh... mmmpf, ihr wisst schon, wenn die Lochien wirklich abgeklungen sind und Raven vollkommen ausgeheilt ist. Und jetzt solltet ihr beide ein wenig schlafen, solange Klein-Ykenai euch lässt."

Sie bedenkt das Baby in Ravens Arm mit einem liebevollen Blick und streicht noch einmal über das seidenweiche Haar auf dem winzigen Köpfchen. "Sie ist so süss. Wenn wir dürfen, kommen wir in den nächsten Tagen vorbei und besuchen euch - dann sehe ich sie mir noch einmal an und dich auch, min Ija. Cron will sie bestimmt sehen und Brynden kann mit Shaerela spielen. Aber jetzt muss ich gehen, unbedingt. Die Sonne steigt schon hoch." Sie verabschiedet sich lächelnd von einer immer noch leicht geschockt dreinblickenden Raven und danach von Caewlin, packt ihre Siebensachen zusammen, nimmt Leir in seinem Körbchen hoch - und denkt gerade noch rechtzeitig daran, sich nicht unbedingt hier vor Caewlins Nase fortzuteleportieren. "Ich äh... gehe noch rasch nach unten und sage allen Lebwohl. Soll ich Dalla noch irgendetwas ausrichten? Nein? Gut. Schlaft gut ihr beiden und wenn irgendetwas ist, schickt einfach Pyp und ich komme sofort. Bis bald."  

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Caewlin am 29. Apr. 2006, 23:45 Uhr
Kaum hat Niniane ihre Sachen zusammengepackt, sich katzengrinsend verabschiedet, versprochen, mit Cron und Shaerela in den nächsten Tagen vorbeizusehen und dann die Tür hinter sich zugezogen, kippt Caewlin auf dem Bett nach hinten wie ein gefällter Baum und starrt einen Moment an die Zimmerdecke, ehe er den Kopf wendet und seine Frau ansieht. Enthaltsamkeit... das hatte ich vergessen. Raven thront mit Ykenai in den Armen an ihrem Kissenberg, eine Schale Cofea in der freien Hand und blinzelt immer noch, als hätte sie gerade einen Geist gesehen. "Sechs Wochen", ächzt er. "Das überlebe ich nicht." Ihr Blick schärft sich, sucht den seinen und sie seufzt mitfühlend. Raven strahlt immer noch wie ein sonniger Julmorgen, auch wenn die Erschöpfung ihr Lächeln mittlerweile immer wieder leicht verwischt, aber sie sieht angesichts dieser Tatsache auch so unleugbar enttäuscht aus, dass er einfach lachen muss. "Ah... Raven Schattenhaar geht also nach wie vor gern mit mir ins Bett. Wie war das mit dem 'Komm mir nie wieder zu nahe, Nordmann'?" Sie rümpft hoheitsvoll ihr Näschen und nuschelt etwas von: "Unter Folter erpresste Aussagen zählen ja nicht." Sein Lachen verstummt, aber er lächelt immer noch, als er sich ein Stück nach oben schiebt und neben ihr in die Kissen sinkt. Unter der Belustigung liegt auch noch etwas anderes - eine gewisse Selbstzufriedenheit, angenehm warmes Besitzgefühl und schwere, warme Zärtlichkeit. "Dann kratzt du mir nicht die Augen aus, wenn ich dich anfasse?" Er stützt sich auf den Ellenbogen, lehnt sein Gesicht an ihre Schulter und späht über ihren Arm, um seine schlafende Tochter anzusehen. Raven schüttelt nur sacht den Kopf. "Gut. Das könnte ich auch nicht. Dich nicht anfassen, meine ich. Sechs Wochen Enthaltsamkeit selbstverständlich... du hast mir gerade ein Kind geboren, min koerlighed. Aber dich wochenlang überhaupt nicht zu berühren, das würde ich nicht aushalten." Er streckt die Hand nach einem winzigen wollbestrumpften Fuß aus und spürt unter seinem Finger, wie Ykenai reflexartig die Zehen einrollt, aber ansonsten regt sie sich nicht - selbst die festgeballten Fäustchen haben sich im Schlaf geöffnet. Caewlin löst sich widerwillig noch einmal von Ravens Seite, steht seufzend auf, räumt die leeren Cofeabecher und Teller zusammen und stellt das mit Geschirr beladene Tablett auf einer der Kommoden ab. Dann geht er zu den Hunden, streckt ihnen die Linke hin und lässt seine Finger geduldig von ihnen inspizieren. Tod und Geburt haben charakteristische Gerüche, und was immer Akira und Stelze noch vom Duft nach Fruchtwasser und neuem Leben auffangen können, es scheint sie beide unbestimmt froh und ein wenig neugierig zu stimmen. Sie hecheln freundlich mit entspannten Gesichtern, werfen aber dem kleinen Bündel in Ravens Armen immer wieder Blicke zu - als wüssten sie genau, was sich unter der weichen Decke verbirgt und kämen nur aus Respekt nicht näher.

"Wir sollten ihnen die Kleine zeigen." Caewlin ist daran gelegen, dass beide Hunde das Baby möglichst gleich und ohne alle Scheu als neues Familienmitglied annehmen, doch dazu müssen sie auch die Gelegenheit bekommen... und als er sieht, wie sie Raven immer wieder gebannt beobachten, nimmt er ihr Ykenai kurz ab, setzt sich mit ihr auf den Boden und ruft leise die Hunde heran. "Keine Sorge... es gechieht ihr überhaupt nichts." Ihm ist klar, dass die Hunde ihr nichts tun, und so lässt er seine Tochter von beiden ausgiebig beschnuppern. Akira nähert sich zuerst, steif und vorsichtig, mit starren Augen und vorgestrecktem Kiefer, in der typischen Haltung die ein Hund über etwas einnimmt, das eine enorme Bedeutung für ihn hat. Ein Markknochen etwa - oder ein hilfloser Welpe. Sie beschnüffelt das Baby von Kopf bis Fuß, drückt ganz sanft ihre Nase gegen den weichen Stoff von Kleidern und Windeln und gibt dabei leise, winselnde Töne von sich - es dauert keine zehn Herzschläge bis sie aussieht, als hätte sie sich am liebsten auf der Stelle schützend um Ykenai zusammengerollt. Stelze dagegen ist wesentlich zurückhaltender. In einem Rudel wäre er als Rüde nicht einmal auf Sichtweite an einen neugeborenen Welpen herangekommen und das scheint er auch genau zu wissen. Er umkreist Akira und nähert sich Caewlin von rechts, die Nase neugierig schnüffelnd vorgestreckt und schließlich behutsam an Ykenais kleinen Füßchen schnuppernd. Die Bluthündin links von Caewlin entblößt prompt der Länge nach ihre Zähne und fixiert den Wolfshund aus harten, gelben Augen. Sie knurrt nicht, aber sie macht eindrucksvoll deutlich, dass sie bereit ist, sich um des Babys Willen notfalls auch auf ihn zu stürzen. Einen Moment lang starren sich beide Hunde über die völlig ungerührt weiterschlafende Ykenai hinweg nur an, Akira wachsam und gespannt, Stelze sehr vorsichtig und sanft, fast beruhigend. Dann senkt der graue Wolfshund seinen Kopf ein wenig, wedelt sacht mit dem Schweif, wirft dem in seine Decke gehüllten Baby in Caewlins Arm noch einen letzten, sehnsüchtigen Blick zu und zieht sich dann langsam zurück. Caewlin nickt zufrieden, steht auf und reicht Ykenai Raven zurück. Die Bluthündin scheint mit einer gewissen Befriedigung zu registrieren, dass das Baby wieder bei seiner Mutter ist, wo es ihrer Meinung nach zweifellos auch hingehört, und tauscht dann auf der Stelle ihren angestammten Platz vor dem Kamin mit dem Wolfsfell vor Ravens Bettseite, wo sie sich auch keinen Sekhel mehr fortbewegt. Caewlin schnaubt leise und belustigt. "Ich glaube, um Ykenais Sicherheit brauchen wir uns keine Sorgen mehr machen, min koerlighed," erklärt er dann. "Stelze und ich, wir können in Zukunft wohl schon froh sein, wenn wir das Schlafzimmer auch nur betreten dürfen." Raven lächelt, aber sie ist inzwischen so erschöpft, dass sie die Augen kaum noch offen halten kann, und auch er spürt die Müdigkeit jetzt, wo Anspannung und Aufregung langsam nachlassen, bleischwer in seinen Knochen.

"Du musst jetzt ein bißchen schlafen, Raven." Er unterdrückt ein Gähnen und schlüpft aus Hemd und Hosen. "Und ich auch." Da sie sich beide nicht für den Gedanken begeistern können, ihre wenige Stunden alte Tochter außer Reich- und Sichtweite in die Wiege zu legen, und sei die auch noch so nahe, richten sie Ykenai ein kleines Nest neben Raven her und legen sie dort zum Schlafen hin, eingehüllt in ihre dünne Wolldecke und zugedeckt mit einem leichten daunengefüllten, mit glattem Kammgarn bezogenen Kopfkissen. Raven legt sich neben sie, keine Armlänge entfernt, und er selbst kriecht nach einer kurzen Katzenwäsche zu ihr unter die Decken, rutscht so vorsichtig näher, als sei sie aus kostbarem Glas, bis er sich der Länge nach um ihren soviel kleineren, wunden, erschöpften Körper schmiegen und sie halten und wärmen kann. Er streicht ihr langes Haar zur Seite und drückt einen Kuss auf ihre Schulter, atmet ihre Wärme und ihren Geruch durch den Flanellstoff des Hemdes, das sie trägt. "Störe ich dich auch nicht? Soll ich vielleicht lieber auf dem Boden... Raven?" Sie ist eingeschlafen, eine Hand unter ihr Gesicht geschoben, die andere behutsam unter Ykenais Decken um die kleinen Füße ihrer Tochter geschlungen, als wolle sie die mondelange, körperliche Verbindung zu ihrem Kind noch nicht ganz aufgeben, und Caewlin betrachtet die beiden einen langen Augenblick. "Ykenai..." Er ist sehr versucht, die Decke seiner Tochter ein wenig zurückzuschlagen, nur um zu sehen, ob sie auch wirklich zehn Finger hat - die Zehen hat er schon viermal gezählt und ist immer zum selben, beruhigenden Ergebnis gekommen. Hatte er sich auch nicht vertan? Sei nicht albern, mit ihren Fingern ist alles in bester Ordnung! Dann ertappt er sich dabei, dass er stirnrunzelnd beobachtet, ob sie auch wirklich regelmässig atmet, doch sie atmet wunderbar und schläft tief und fest. Er kann sich trotzdem einfach nicht sattsehen an diesem perfekten, wunderschönen kleinen Gesicht. >Denk dir einfach eine große Schleife drumherum...< hatte Raven gesagt, bevor sie sie ihm in die Arme gelegt hatte und dann ganz betreten dreingeblickt, weil sie kein anderes Geschenk für ihn hatte. "Nej", flüstert er. "Ich will kein anderes Geschenk." Dann sieht er seine Frau an, obwohl er weiß, dass sie längst schläft und ihn nicht mehr hören kann, beugt sich ein wenig vor und küsst weich ihren Nacken. "Habe ich dir schon gedankt, min koerlighed? Ich glaube nicht, also... danke für meine Tochter. Sie ist vollkommen." Weiches, goldgelbes Vormittagslicht erfüllt das ganze Schlafgemach, von unten dringen die leisen, vertrauten Geräusche des Haushalts an sein Ohr, draußen regt sich das penetrante Gezwitscher liebestoller Singvögel und Rykars brummelnde Stimme, die Pyp zur Arbeit anhält, und Caewlin fühlt sich absolut friedvoll. Er beobachtet noch eine Weile gedankenverloren, wie das Licht sich bewegt, am Haus emporkriecht und in den Kletterrosen um die Laube spielt, Schatten wirft und weiterwandert, und sein letzter wacher Gedanke gilt seiner Mutter. Weißt du, dass wir eine Tochter haben, die deinen Namen trägt?  

Die nächsten vier Wochen vergehen im Seehaus wie im Flug. Ykenai wächst und gedeiht, verbringt ihre Zeit hauptsächlich mit Schlafen und Trinken und schreit kaum - wenn doch, kann sie allerdings auch ein beeindruckendes Stimmchen entwickeln. Raven hat sie fast immer bei sich, legt sie tagsüber zum Schlafen in ein ausgepolstertes Körbchen, wie Niniane es mit Leir tut, und überlässt sie eigentlich nur dann für etwas länger als einen Augenblick Dalla, Runa oder Bethel - obwohl sich alle drei Mägde förmlich darum reißen - wenn sie eine Stunde im Bad für sich haben oder ungestört mit Brynden etwas tun will, und Caewlin selbst seine Tochter gerade nicht nehmen kann. Der Frühling zieht endgültig ins Land, und die Sonne bringt Wärme und Licht zurück. Das matschige Braun und trübe Grau des Tauwetters nach einem langen Winter verblassen, machen saftigem, frischem Grün und den ersten Frühjahrsblumen Platz, und die Beete rund um das Haus füllen sich mit zartgelben Himmelsschlüsseln, Hyazinthen und Krokussen, weißen Carsairkelchen und langstieligen, blassrosa Tulpen. Rykar öffnet die Bienenkörbe oben an der Rückseite des Stalles, Pyp treibt die Gänse wieder jeden Morgen zum Ildorel, Dalla und Runa sind den lieben langen Tag mit dem Setzen von vorgezogenen Pflänzchen und sonstigen Stecklingen beschäftigt, dem Herrichten des Küchengartens und dem Harken der Blumenbeete. Die Korbsessel und Holzbänke kommen wieder unter den Laubengang, der sich mit frischem Grün bezieht, die glasierten Pflanztröge und Tonschalen mit Hortensien, Veilchenbäumen, Oleander und Begonien ebenso. Die gepflasterte Terrasse nach Osten, zum Ildorel hin, wird saubergefegt, der schwere Holztisch, die lange Bank und die Stühle vom Speicher geholt und wieder an ihren Platz gestellt, und das Morgenmahl und Mittagessen fortan wieder draußen eingenommen, wenn es warm genug dafür ist. Niniane hält ihr Versprechen - Cron, sie selbst und die Kinder kommen sie noch im ersten Siebentag des Sturmwindmondes im Seehaus besuchen und bleiben den ganzen Tag. Brynden, selig in Shaerela endlich eine Spielgefährtin zu haben, die nicht entweder nur schläft, schreit oder den Platz in Ravens Armen beansprucht, tobt mit Crons Tochter durch den Garten, sehr zur Freude von Stelze, denn mit "Welpen" dieser Größenordnung darf auch ein Hundegroßvater närrisch herumtollen. Bevor die Waldläuferin und ihre Familie sich, pappsatt von Bethels Festmahl und mit zwei todmüden Kindern, bei Sonnenuntergang schließlich wieder verabschieden, untersucht Niniane sowohl Raven, als auch Ykenai noch einmal, und ist mit beiden vollauf zufrieden. Caewlin schreibt, zum ersten Mal seit Wochen, wie er sich schuldbewusst eingestehen muss, ein paar lange Briefe an seinen Vater und seine Schwestern in Sturmende und lässt sie von Dalla zu Niniane bringen, die ihm versichert hatte, Shugorn könne, ohnehin bald wieder mit Briefen Crons nach Tronje unterwegs, auch seine Nachrichten zuverlässig und so rasch wie möglich nach Normand bringen.

Die verordnete Enthaltsamkeit erträgt er irgendwie - zugegebenermaßen allerdings mehr schlecht als recht. Vor allem als Raven, die sich ohnehin schnell von den Strapazen der Geburt erholt hat, nach kaum drei Siebentagen bereits wieder so schlank ist wie früher - und mit einem breiten Grinsen ihre alten, anschmiegsamen Lederhosen herauskramt und darin ausgiebig vor seiner Nase herumspaziert...  nur, um ihn zu foltern, dessen ist er sich absolut sicher. Wenige Tage vor dem Inarifest, am Ende eines Sturmwindmondes, der zumindest was das Wetter angeht seinem Ruf alle Ehre macht und sich zwischen eitel Sonnenschein, schweren Regenfällen, windverwehten Tagen oder aber trübgrauer Kälte einfach nicht enscheiden kann, wird Ykenai vier Wochen alt und ist immer noch ein pflegeleichtes Baby, das wenig Anpassungsschwierigkeiten an die neue, fremde Welt zu haben scheint - kein Dauergeschrei, keine Koliken, kein Fieber, dafür ein perfekt verheilter Nabel und noch nicht einmal Ausschlag auf ihrem kleinen Hintern. Eigentlich sind nur die Nächte anstrengend, vor allem für Raven, die sie als einzige füttern kann, da sie alle drei Stunden Hunger hat. Inzwischen ist sie auch in ihre Wiege umgezogen und meistens ist es Caewlin, der - beim leisesten Ton seiner Tochter hellwach-, aufsteht, sie ins Bett holt und sie ihrer Mutter reicht, damit sie gestillt wird. Oft genug schlafen sie alle drei dabei wieder ein und wachen am nächsten Morgen dann mit zwei Kindern im Bett auf, da Brynden es sich nicht nehmen lässt, mit der Dämmerung für eine halbe Stunde friedlichen Dösens noch zu ihnen zu kriechen. Außerdem sieht er mindestens ebenso gern und genauso andächtig dabei zu, wie Ykenai gestillt wird, wie Caewlin selbst - eine morgendliche halbe Stunde absoluten Friedens und vollkommener Ruhe im sanften Zwielicht eines beginnenden Tages, die bald zu einem festen Ritual wird. Den Tag vor dem Inarifest verbringt Caewlin im Wesentlichen damit, zu Fluchen und nebenbei Ravens Braunen und Gråuna davon abzuhalten, sich gegenseitig umzubringen. Halbmond ist rossig und er hat die Stute zwar schon in der hintersten Box des Stalles untergebracht und die beiden Hengste, die normalerweise gut miteinander auskommen, auf zwei getrennte Koppeln möglichst weit voneinander - und vor allem von Halbmond - entfernt gestellt, doch es hilft nicht viel... bis zum Mittag hat er den Grauen zweimal, den Braunen dreimal wieder eingefangen, bis zum Abend mit Rykar vier halbzertrümmerte Weidezäune wieder aufgebaut und die beiden zornigen Streithähne mit doppelten Stricken angepflockt und zusätzlich mit Fussfesseln gesichert... die hoffentlich halten werden. Er findet Raven auf der Steinterrasse, Ykenai in den Armen, die interessiert unter ihrem weichen Baumwollmützchen hervor in den endlos weiten Himmel blinzelt, küsst sie und nimmt ihr dann die Kleine ab. "Götter, du schmeckst gut. Ich sterbe vor Hunger... meinst du, Beth hat das Essen schon fertig? Hej min lilla... " beim Klang seiner Stimme dreht sich der kleine Kopf vage in seine Richtung und Caewlin blinzelt überrascht. "Glaubst du, sie sieht uns schon richtig?"

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Raven am 01. Mai 2006, 14:37 Uhr
Mit Ykenai auf dem Arm und einem amüsierten Grinsen im Gesicht beobachtet Raven von der Terrasse aus Caewlins und Rykars Bemühungen, die beiden Raufbolde auf den Koppeln nach harten Kämpfen nun ein für alle mal zu trennen und vor allem von Halbmond fernzuhalten, die in ihrem Auslauf ein Stückchen entfernt mit bebenden Nüstern und sehnsüchtigem Wiehern ihr Bestes gibt, die beiden Hengste vollends in den Wahnsinn zu treiben. Bei Caewlin und dem Knecht haben es die drei Pferde beinahe schon geschafft, und nachdem es absolut gar nichts gebracht hat, die beiden auf separate Weiden zu sperren, was ihnen nur zersplitterte Zäune und niedergetrampelte Gatter eingebracht hatte, waren verschärfte Maßnahmen notwendig gewesen, die beiden Streithammel zu trennen und ruhigzustellen. Nun steht der Graue ausbruchsicher angepflockt und dazu noch mit Stricken um die Fesseln gesichert neben dem Koppelzaun, schnaubend, augenrollend und schäumend vor Wut, und zeigt seinem Leidensgenossen über das Gatter hinweg bösartig die gebleckten Zähne. Der arme Braune teilt sein Schicksal, denn auch er wurde unter Androhung von Haferentzug und Schlimmerem arrestiert, und bemüht sich nach Leibeskräften, seinen Kontrahenten im Gerangel um Halbmonds Gunst mit Blicken aufzuspießen oder - nachdem ihm das einfach nicht gelingen will - wenigstens in Grund und Boden zu wiehern. Die zornbebende Antwort des Grauen lässt nicht lange auf sich warten, und dann stimmt auch noch Halbmond mit ihrem glockenhellen Wiehern ein, das wie ein Fanfarenstoß weithin über die Wiese schallt. Raven unterdrückt ein mitfühlendes Kichern bei dieser lautstarken Demonstration pferdischen Paarungswillens, und sogar das Baby auf ihrem Arm dreht das Köpfchen in die Richtung, aus der das Trompeten heranweht. Frühlingsgefühle und gleichzeitige Zwangsenthaltsamkeit, das ist wahrhaftig eine Mischung, die einen um den Verstand bringen kann. Mittlerweile kann sie ein Lied davon singen, und allein schon der Anblick dieses hochgewachsenen, unverschämt gut aussehenden Nordmanns, der sich just in diesem Augenblick von den Pferden abwendet und über die blühenden Frühlingswiesen zu ihr herübergeschlendert kommt, bringt sie augenblicklich dazu, im Geiste hektisch die Tage nachzurechnen, die sie noch in dieser zwangsweise auferlegten Abstinenz zubringen müssen.

Auf jeden Fall noch viel zu lange, ist das demoralisierende Ergebnis ihrer Rechnerei, und in diesem Moment wünscht sie sich von Herzen, dass ihr Mann aussehen würde wie ein buckliger, krummgewachsener Gnom, und nicht so unwiderstehlich und so schrecklich verlockend, wie er eben aussieht. Es ist einfach grausame Folter, mit so einem Mannsbild gesegnet zu sein und es dann nur aus der Ferne betrachten zu dürfen. Wenn das so weitergeht, dann kann er mich auch bald mit Fußfesseln an den Koppelzaun binden. Ravens Blick senkt sich auf das Mützchen unterhalb ihres Kinns, unter dem das rabenflaumdunkle Haar ihrer Tochter hervorblitzt, und sie muss unwillkürlich lächeln. Ykenai, die von all dem Erwachsenenkram und der Ungeduld ihrer Eltern noch nicht die leiseste Ahnung hat, hat ihr Köpfchen an ihre Schulter gebettet und blinzelt interessiert den Wolken hinterher, die am abendblauen Himmel wie watteweiche Galeonen dahinsegeln. Ihre Augen sind groß und mandelförmig, von einem Kranz seidiger, dunkler Wimpern eingerahmt und vom gleichen klaren, gletschereisfarbenen Grünblau wie die ihres Vaters. Den verschleierten, ungerichteten Blick aller Neugeborenen hat sie mittlerweile verloren und lugt in den letzten Tagen immer neugieriger und zielgerichteter in die Welt. Inzwischen reagiert sie auch schon deutlich auf Geräusche, und die Stimme ihres Vaters, die in diesem Moment direkt hinter ihr ertönt, bringt sie dazu, ihr kleines Gesicht versuchsweise in seine Richtung zu drehen. Über ihr Köpfchen hinweg küssen sie sich, dann ist Raven ihre Tochter auch schon wieder los, die von Caewlin in luftige Höhen entführt wird, als er sie ihr sacht aus dem Arm nimmt. >Götter, du schmeckst gut. Ich sterbe vor Hunger... meinst du, Beth hat das Essen schon fertig? Hej min lilla...< sprudelt es aus ihm hervor, dann hält er verblüfft mitten in der Bewegung inne, als Ykenais Blick dem vertrauten Klang seiner Stimme folgt und sich dann schließlich aufmerksam auf sein Gesicht heftet. >Glaubst du, sie sieht uns schon richtig?<

"Bestimmt", nickt Raven überzeugt und wischt sich notdürftig einen Sabberfleck vom Hemd, den die Kleine dort hinterlassen hat. "Ich weiß nicht, wie genau sie die Dinge um sich herum schon wahrnehmen kann, oder ob sie wirklich schon unsere Gesichter wiedererkennt, aber sehen kann sie ganz bestimmt schon etwas. Schau doch nur, wie sie dich ansieht." Ein Lächeln zuckt in Ravens Mundwinkeln, als sie den gebannten Blickkontakt zwischen Caewlin und seiner Tochter verfolgt. "Ich glaube, sie übt gerade, wie sie dich am besten um den Finger wickeln kann", kichert sie. "Und weil wir gerade von wickeln reden .... dem Geruch nach könnte sie eine frische Windel vertragen. Nimmst du sie mit hinein? Beth wartet schon mit dem Essen. Ich komme gleich nach, ich gehe nur noch Brynden einsammeln." Caewlin hat sich mit dem Baby auf dem Arm kaum umgewendet, als Akira, die bis dahin friedlich neben den Terrassentüren gedöst hat, auch schon auf den Pfoten ist und ihm lautlos folgt wie sein eigener Schatten. Stelze, der natürlich wieder eine Alterszugabe braucht, bis er kapiert, was vor sich geht, hievt sich ächzend auf die Beine und trottet schicksalsergeben hinter ihnen her - allerdings mit gebührendem Sicherheitsabstand, nachdem Akira neuerdings für seine Begriffe reichlich seltsame Anwandlungen an den Tag legt und ihn nicht einmal auf Spuckweite an das Baby heranlässt. Die Bluthündin scheint Ykenai vom ersten Beschnüffeln an richtiggehend adoptiert zu haben und weicht nicht mehr von ihrer Seite, wobei sie aus schmalen gelben Augen genauestens beobachtet, wer sich dem Baby nähert und was mit ihm geschieht. Im ersten Moment war Raven wirklich ein wenig bange gewesen, als Caewlin sich mit seiner Tochter, kaum dass sie geboren war, auf dem Fußboden ihres Schlafgemaches niedergelassen hatte, um das Baby den Hunden zu zeigen. Der Anblick der riesigen Bluthündin, die, jeden Muskel angespannt und mit einem Ausdruck höchster Konzentration im Gesicht, an dem winzigen Neugeborenen herumgeschnuppert hatte, hatte Raven einen kalten Schauer über den Rücken kriechen lassen - vor allem, weil Ykenai wohl ungefähr die Gewichtsklasse dessen besitzt, was Akira für gewöhnlich mit einem einzigen Happen zum Frühstück verschlingt. Aber sie hatte den neuen Zuwachs in ihrem Rudel nach einer ausgiebigen Prüfung bereitwillig akzeptiert - oder vielleicht auch schlicht befunden, dass an dem Winzling einfach noch zu wenig dran ist, um ihn als vollwertige Mahlzeit zu betrachten - und wacht seitdem aufmerksam über das Wohl und Wehe dieses neuen Welpen in der Familie.

Kopfschüttelnd und mit einem Grinsen schaut Raven der Prozession aus Nordmann, Säugling und zwei Hunden nach, die im Gänsemarsch im Haus verschwinden, dann macht sie sich auf die Suche nach Brynden. Sie muss tatsächlich eine ganze Weile suchen, bis sie ihn findet, aber schließlich gabelt sie ihn hinter dem Hühnerstall auf, wo er gerade dabei ist, aus Steinchen und kleinen Zweigen einen Turnierplatz für die Schnecken zu basteln, die er am Nachmittag im Küchengarten aufgeklaubt hat und seitdem in einem verbeulten Blecheimer mit sich herumschleppt. Nach einer kurzen, aber ziemlich heißblütigen Diskussion, die sich hauptsächlich um die Schlafgewohnheiten von Schnirkelschnecken und darum dreht, dass niemand, am allerwenigsten Raven und das Baby schon gleich gar nicht, diese netten Tierchen in seinem Schlafgemach beherbergen will, auch nicht für eine einzige Nacht - bittebittebitte ... nur dieses eine Mal ... die haben sonst gar kein Zuhause ... sie können auch bei mir im Kinderbett schlafen ... warum nicht? ... warumwarumwarum? .... bäh, du bist so gemein .... -, kann sie Brynden davon überzeugen, dass seine kostbaren, schneckenhaustragenden Streitrösser die Nacht auch im Garten verbringen können und er jetzt auf der Stelle mit sauber gewaschenen Händen zum Nachtmahl antreten wird, weil ansonsten das Inarifest am morgigen Nachmittag für ihn ersatzlos gestrichen wird. Brummelnd und mit finsterem Gesicht folgt er Raven ins Haus, schmollt noch ungefähr eine Dreiviertelminute und ist wieder völlig mit der Welt versöhnt, als Bethel das Abendessen auf den Tisch bringt und er sich den kleinen Wanst mit Räucherschinken, Spiegeleiern und knusprigem Schwarzbrot vollschlagen kann. Ykenai in ihrem Weidenkörbchen haben sie während des Essens zwischen sich auf der Küchenbank stehen, wo sie selig vor sich hin schlummert, mit leicht geöffnetem Mündchen, die runden Wangen noch gerötet von der frischen Brise des Sturmwindnachmittags, den sie im Garten verbracht haben.

Nach dem Essen, als Bethel den Tisch abgeräumt, Runa Brynden ins Bett gebracht und sich das übrige Gesinde wieder in alle vier Winde zerstreut hat, bleiben sie noch für die Dauer eines späten Bechers Cofea in der Küche sitzen. Durch das kleine Fenster neben der gewaltigen Feuerstelle sieht Raven Pyps Schatten durch den Garten huschen. Der Mogbarjunge benimmt sich in den letzten Tagen so ungebärdig, als hätte er eine Ladung Kröten im Hemd, und Dalla hat alle Hände voll zu tun, ihren Sprössling halbwegs im Zaum zu halten. Einen erbost schnatternden Wortschwall nach dem anderen hatte der arme Pypar während des Nachtmahls über sich ergehen lassen müssen, weil er Dallas Meinung nach im Moment nichts, aber schon auch gar nichts richtig machen kann. Seine Haare sind ihr zu lang und sein Benehmen zu frech, sein Mundwerk zu lose, seine Fingernägel zu schmutzig und überhaupt sei ihr aufgefallen, dass er sich neuerdings nach Mädchen schier den Hals ausrenken will und ob er glaube, dass seine Mutter mit Blindheit geschlagen sei, dass ihr das nicht auffallen würde, und von Rechts wegen sollte man ihm die Ohren langziehen und in die Stadt wird sie ihn auf gar keinen Fall mehr mitnehmen, so lange wegen dem Inarifest alles summt wie in einem aufgebrachten Bienenstock und die Straßen geradezu überquellen wollen vor lauter jungen hübschen Dingern, die nichts Besseres zu tun haben, als ihm himmelschreienden Unfug in den Kopf zu setzen. Augenrollend und mit stoischer Geduld hatte ihr verlottertes Früchtchen von Sohn all diese Maßregelungen über sich ergehen lassen, aber richtig glücklich hatte er nicht ausgesehen dabei. Wie alt ist Pyp jetzt .... vierzehn Sommer? Fünfzehn? Ein unterdrücktes Kichern in der Kehle, sieht Raven seinem Schatten nach, der über die abenddunkle Wiese Richtung Stall davonhüpft. Noch einer, den die Frühlingsgefühle plagen...

"Wir sollten ihnen allen morgen zum Fest freigeben, was meinst du? Ein bisschen Auslauf könnte dem einen oder anderen gewiss nicht schaden", wendet sie sich an Caewlin, der mit den Augen ihrem Blick zum Fenster gefolgt ist und sie jetzt ansieht, als wüsste er ganz genau, was hinter ihrer Stirn vorgeht. Ein Grinsen zeigt sich in seinen Mundwinkeln, als er nickt. "Und jetzt, M'Lord, werden sich die zwei Damen des Hauses zum Inarifest hübsch machen und ein Bad nehmen. In einer Stunde wird die junge Lady hier wohl wieder Hunger bekommen, bis dahin will ich sie duftend und sauber geschrubbt haben. Aber wir könnten vielleicht ein bisschen Hilfe gebrauchen, kommst du mit? " Dalla hat schon vor Stunden ein prasselndes Feuer im großen Kamin angeheizt und wohlige Wärme und eine Wanne voll duftendem Wasser empfängt sie im Badezimmer. Ykenai zu baden ist für Raven in den letzten Wochen ein wahres Vergnügen geworden und ihre Furcht, das Baby aus Versehen fallenzulassen oder zu ersäufen, hat sich längst verflüchtigt. Die Kleine scheint es gern zu haben, im warmen Wasser zu liegen und kaum dass sie damit in Berührung kommt, beginnen ihre kleinen Ärmchen und Beinchen wie im Reflex mit trägen Ruderbewegungen. Raven nimmt sie auf den Schoß und legt sie so, dass sie, bis zum Hals im warmen Wasser, mit dem Rücken gegen ihre aufgestellten Beine zu liegen kommt und ihr Köpfchen an ihren Knien abstützen kann. So liegt sie fest und sicher und kann nach Herzenslust mit Armen und Beinen strampeln. Sie ist ein friedliches Kind und scheint mit ihrer neuen Umgebung, in die sie hineingeboren worden ist, rundum zufrieden zu sein. Zwar kann sie durchaus brüllen, dass einem schmerzhaft die Ohren klingeln und Raven sich jedesmal verwundert fragen muss, wie dieses winzige Wesen überhaupt so eine ohrenbetäubende Lautstärke erreichen kann, und wenn ihr etwas gegen den Strich geht, kann sie ein so finsteres Gesichtchen ziehen, dass sie beinahe aussieht wie ein wütender Caewlin, aber sie tut es selten und im Grunde hat sie auch kaum einen Anlass für Protestgeschrei.

Auf all die guten Ratschläge, man müsse ein Baby beizeiten abhärten und es auch mal brüllen lassen, weil es sonst viel zu verwöhnt werde, gibt Raven nicht einen Pfifferling und vertraut lieber auf ihren Instinkt. Und der sagt ihr, dass ein so kleines, hilfloses Wesen in erster Linie einfach Wärme braucht, Nähe und Liebe, den vertrauten Geruch der Eltern und ihre Stimmen, und so haben Caewlin und sie die Kleine bei sich, wann immer es geht und egal, was sie gerade tun. Und Ykenai scheint damit glücklich und zufrieden zu sein und wächst und gedeiht, dass es eine Freude ist. Nach dem Bad reicht sie Caewlin die Kleine, der sie so lange auf dem Schoß hält, bis Raven sich selbst von Kopf bis Fuß ausgiebig geschrubbt und ihr Haar gewaschen hat und dann dampfend aus der Wanne klettert, um Ykenai zu wickeln und zu stillen. Während sie ihre Tochter füttert, überlegt sie, was sie morgen zum Fest anziehen soll - eine Frage, die ihr noch vor kaum einem Jahreslauf so unsinnig und abwegig erschienen wäre, dass sie jeden kategorisch für verrückt erklärt hätte, der behauptet hätte, sie würde sich jemals um solche Dinge Gedanken machen. Doch mittlerweile hat sie tatsächlich einen Schrank voller Kleidern und die Qual der Wahl, zudem vor wenigen Tagen auch noch Madam Pileh, höchstpersönlich im Seehaus aufgetaucht war, ein Lehrmädchen und einen Handkarren voller geheimnisvoller Bündel und Pakete im Schlepptau, und die bestellten Kleider abgeliefert hatte. Die Schneidermeisterin und ihre Mädchen hatten wirklich ganze Arbeit geleistet und die seidene, schillernde Pracht, die sie vor Raven ausgebreitet hatten, hatten ihr vor Staunen und Überraschung den Mund offenstehen lassen. Wunderbar sind sie geworden, ein Gewand schöner als das andere, und alle passen wie angegossen. Mehr als zufrieden hatten sie Madam Pileh mit ihrem Dank und klingender Münze für die meisterhafte Arbeit entlohnt und ihr versichert, sie guten Gewissens weiterzuempfehlen und der Schneiderei bald wieder einen Besuch abzustatten.

Aber trotz der reichlichen Auswahl an Kleidungsstücken, liebäugelt Raven schon aus purer Gewohnheit mit ihren abgetragenen, ledernen Hosen, die sie während der letzten Monde der Schwangerschaft so schmerzlich vermisst hatte. Endlich passe ich wieder hinein, also werde ich sie auch anziehen, beschließt sie. Es ist einfach praktischer. Außerdem haben wir zwei Kinder dabei und es wäre jammerschade, wenn die teuren Kleider schon beim ersten Ausführen gleich mit Sabberflecken und ähnlich verräterischen Spuren verziert werden würden. Sie beschließt, die endgültige Entscheidung darüber einfach auf morgen zu vertagen, wenn Cron und Niniane sie zum Fest abholen kommen. Als wenig später Ykenai friedvoll in ihrer Wiege schlummert und sie neben ihrem Mann unter den weichen Laken im Bett liegt, an ihn geschmiegt, seine Haut dicht an ihrer, erfüllt von seiner Wärme und seinem Geruch, ist die Kleiderfrage sowieso vollkommen vergessen. Dafür kommt ihr etwas anderes in den Sinn und bei dem Gedanken daran huscht ein Lächeln über ihre Lippen und sie dreht den Kopf so, dass sie im verlöschenden Schein des Kaminfeuers sein Gesicht ansehen kann. "Irgendwann wirst du es bereuen und mich in die finstersten Höllen schicken wollen", rezitiert sie leise. "Wie kannst du nur? Irgend jemand muss dir dein Gehirn zu den Ohren herausgezogen haben - wie könntest du sonst so etwas wie mich freiwillig heiraten wollen? Und ich blödes Weibsbild sag auch noch ja dazu. Weißt du noch?" Bei der Erinnerung daran muss sie leise lachen, und gleichzeitig breitet sich ein warmes Glücksgefühl in ihr aus, dass ihr bis in die Zehenspitzen kriecht. "Das ist heute auf den Tag genau einen Jahreslauf her. Und von all der Zeit möchte ich nicht einen Herzschlag missen, nicht einen einzigen. Ich glaube, an diesem Tag habe ich erst wirklich zu leben begonnen." Sie lächelt in die Dunkelheit, dann ertönt ein leises Kichern an Caewlins Brust. "Und es ist jetzt schon das zweite Inarifest, an dem ich nicht richtig sitzen kann."

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Cron am 03. Mai 2006, 21:56 Uhr
<- Der Baum am Smaragdstrand

Der Frühling ist spät gekommen dieses Jahr und hatte zunächst eine Menge kalter Regenschauer gebracht, doch nun scheint er in wenigen Tagen alles nachholen zu wollen. Sie schlendern zum Seeufer hinab, tauchen in den kleinen Hain ein, der zwischen Smaragdstrand und Stadtmauern liegt und folgen dem Saumpfad, der sie zum Waldturm und den Stadtmauern, und schließlich auf die Uferpromenade entlang des Ildorel bringen würde. Schlehdorn und Liguster übersprühen Bachläufe und Waldsäume und den Wegesrand mit weißen Sternen, alle wilden Kirsch- und Pfirsichbäume sind zu weißen und rosa Blüten aufgeschäumt, gelber Jasmin spreizt seine Zweige wie Reifröcke zur Erde, die Lichtungen sind gelb vor Schlüsselblumen und hinter ihnen bleibt der Wald zurück, dunkel und kühl selbst im Hochsommer, verschlungen, grün und geheimnisvoll. Über der ganzen Stadt summt schon das Lärmen einer großen, fernen Menschenmenge, ab und an weht Gelächter herüber, vermischt mit Liedfetzen, Feenmusik und dem Klingeln von Glöckchen und Schellen. Cron wirft einen Blick zur Sonne, doch es kann bestenfalls später Vormittag sein. "Sie fangen ja früh an dieses Jahr," grinst er, während sie den sonnengesprenkelten Schatten auch der letzten Bäume hinter sich lassen, den Waldturm passieren und auf den breiten, festgetretenen Uferweg kommen, der unmittelbar an den Mauern und Zäunen der großen, alten Anwesen und Häuser des Seeviertels entlang führt. Zu ihrer Linken liegen jetzt nur noch schilfgesäumte Buchten, ein endlos langer, gelber Strand und sanfte Dünen, in denen heute Nacht vermutlich die halbe Stadt ein abgeschiedenes Plätzchen im warmen Sand suchen würde. Ihr Weg ist nicht weit und sie begegnen nur wenigen anderen - einem steinalten Fischer etwa, der wettert, Inarifeste gehörten abgeschafft. Er zetert, Talyra sei ein Sündenpfuhl, ein einzige Orgie, in ihrer Dekadenz schlimmer als das alte Ûr und man wisse ja, was daraus geworden sei, stapft mit seinem Netz an ihnen vorbei und verschwindet zu einem klapprigen Kahn am Ufer, der genauso miesepetrig aussieht wie der Alte selbst.

Shaerela will sofort wissen, was ein "Sündepuh" ist und Cron vertröstet sie lachend auf ungefähr zehn Jahre später mit einer Antwort. Dann kommen endlich die hohen, von Giftsummach überwucherten Flusssteinmauern des Seehauses in Sicht und nach einer Weile auch die kleine, eisenbeschlagene Pforte darin. Sie finden sie unverschlossen, die Wiesen dahinter, die sich sanft zum Haus hinaufziehen, mit wilden Krokussen und Gänseblümchen übersät, alle Obstbäume bis auf Äpfel und Birnen in weiße und rosa Wolken gehüllt. Raven, Caewlin und die Kinder erwarten sie auf der Steinterrasse bei einem späten Morgenmahl oder frühen Mittagsimbiss, als erstes jedoch stürmen ihnen die Hunde entgegen, umkreisen sie wachsam und freudig, beschnuppern sie ausgiebig und folgen ihnen dann nach gebührender Begrüssung wieder zum Haus hinauf. Shaerela, die nichts mehr an der Hand ihrer Mutter hält, rennt so schnell sie ihre kleinen Beine tragen zu ihrer "Tante Raven", zu Caewlin und zu Brynden und steckt die neugierige Nase natürlich auch sofort in den Babykorb. Raven zeig ihr gerade Ykenai, als Nan, Leir und er selbst schließlich auch bei ihnen ankommen. "Morgen ihr beiden." Er stellt Leir auf dem Tisch im lichtgesprenkelten Schatten eines hochgewachsenen Oleanders in einem gewaltigen Kübel ab, küsst Raven auf die Wange, klopft Caewlin auf die Schulter und hebt dann Brynden hoch, der schon zeternd an seinem Hosenbein hängt und ihm u-n-b-e-d-i-n-g-t sofort seine Lieblings-Rennschnecke zeigen muss - eine echte, wie sich herausstellt. "Hej, Brynden. Hur mår du? Gut? Das ist schön. Wie heißt denn der Schneckenchampion? Äh, nein - nicht auf meinem Hemd kriechen lassen. Setz sie auf den Boden, und dann zeig mir mal, was sie kann, aye?" Während er sich Bryndens neueste Errungenschaft ansieht und das arme Tier gebührend bewundert, begrüsst Niniane Raven, Caewlin und die Kinder und drückt ihm von irgendwoher eine Schale Cofea in die Hand, und Raven rettet seinen Magen vor einem klaffenden Loch, indem sie ein Tablett belegter Brote, weißer Brötchen, saftigen Schinkens, eingelegten Gemüses und ein wenig Käse bringt. "Habt ihr dem Gesinde heute freigegeben?"

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Caewlin am 05. Mai 2006, 00:25 Uhr
In der Wärme und Dunkelheit ihres Bettes windet Caewlin sich sacht - eigentlich, um ein Stück von Raven abzurücken, aber dieses sadistische Frauenzimmer denkt ja nicht einmal daran, wenigstens einen gewissen Sicherheitsabstand einzuhalten, im Gegenteil - als könne sie kein Wässerchen trüben, schmiegt sie sich zu seinem Entsetzen auch noch von Kopf bis Fuß an ihn, und das mit nichts als den paar Fetzen Seidenbatists ihres Nachtgewandes am Leib. Das überlebe ich nicht... Einen Moment später liegt sie auf seinem linken Arm, den Kopf an seiner Brust, und er vergräbt mit einem hörbar bedauernden Seufzen die Hand in ihrem Haar, streicht mit den Fingern über ihren Nacken und die Umrisse ihrer Ohrmuschel - und damit über die unverfänglichsten Körperteile, die sich gerade in Reichweite befinden und ihm einfallen wollen. Was zur Hölle tust du da? Enthaltsamkeit, schon vergessen? Er sollte sie besser überhaupt nicht anrühren, sich einen Zuber Eiswasser besorgen, sich hineinsetzen und am besten gleich für den Rest der Nacht oder die nächsten zwei Siebentage darin bleiben. Aber ihre Haut unter dem dünnen Stoff ist so samtig und weich, ihre Brüste so schwer und voller Milch, ihre Taille wieder so schlank wie früher, ihre Beine so wunderschön, und ihr Hintern so rund und fest und... Götter im Himmel! "Raven, willst du mich umbringen?" Ihre Nähe ist die reinste Folter, so köstlich wie unerträglich, aber er will verdammt sein, wenn er die Finger von ihr lassen kann. Und er will ebenso verdammt sein, wenn er sie ständig mit seinem Verlangen belästigen würde. >Irgendwann wirst du es bereuen und mich in die finstersten Höllen schicken wollen,< tönt es plötzlich unter seinem Kinn. >Wie kannst du nur? Irgend jemand muss dir dein Gehirn zu den Ohren herausgezogen haben - wie könntest du sonst so etwas wie mich freiwillig heiraten wollen? Und ich blödes Weibsbild sag auch noch ja dazu. Weißt du noch?< Sie stützt sich ein wenig auf den Ellenbogen und sieht ihn an, und der sterbende Schein des niedergebrannten Feuers im Kamin rändert ihre Haar, die Rundung ihrer Schulter und ihre Wange mit Kupfer und Gold. "Wie könnte ich das je vergessen?" Er sieht sie an, hebt die Hand, streicht ihr Haar zurück und lacht leise in sich hinein. "'Hör sofort auf, so bescheuert zu grinsen - ich seh das genau!', hast du noch vergessen. Aber "Ja" gesagt hast du..." flüstert er und plötzlich mischt sich eine so brennende Zärtlichkeit in sein handfestes Begehren, dass er sie nur noch an sich ziehen und küssen kann. Sag mir ins Gesicht, dass du mich nicht willst und ich lasse dich gehen...

"Als es soweit war. Und vorher... Oh Himmel, Raven, ich dachte wirklich, ich müsste diesen ganzen verdammten Steinwolf in den Tempel schleifen. Götter... und dieser Priester sah so verschreckt aus, dass ich dachte, er fällt eher in Ohnmacht, als uns zu trauen." Sie lacht so leise, warm und voller Zufriedenheit in der Stimme, dass er einfach lächeln muss. Seine Finger spielen in ihrem Haar und fahren sacht die Linien von Schlüsselbein, Kehle und Hals nach, wo verborgen unter der Haut ihr Blut pocht, dann fährt sie fort: >Das ist heute auf den Tag genau einen Jahreslauf her.< "Ich weiß." Caewlin sieht nach der Stundenkerze, die sie eben gelöscht hatten - nach dem Baden und Stillen der Kleinen war es spät geworden, ehe sie selbst ins Bett gekommen waren. "Ein Jahr und etwa elf Stunden," bestätigt er leise. Ein Jahr, das wie im Flug vergangen war... vor zwölf Monden hatte er krank vor Sehnsucht nach ihr alles auf eine Karte gesetzt und alles gewonnen. Jetzt liegen sie beide hier und keine Armlänge entfernt in der geschnitzten Wiege Sturmendes schläft ihre erstgeborene Tochter. >Und von all der Zeit möchte ich nicht einen Herzschlag missen, nicht einen einzigen. Ich glaube, an diesem Tag habe ich erst wirklich zu leben begonnen.< Aus der Wärme in ihrer Stimme wird ein leises Glucksen. >Und es ist jetzt schon das zweite Inarifest, an dem ich nicht richtig sitzen kann.<
Ihre Worte erfüllen ihn von Kopf bis Fuß mit glühender Wärme, doch ihr kichernder Zusatz lässt ihn auch grinsen. "Das ist aber diesmal nicht meine Schuld, sondern ihre," er nickt zur Wiege hinüber. "Obwohl... genaugenommen ist es dann vielleicht doch meine Schuld." Er erinnert sich an das letzte Inarifestessen auf dem Marktplatz, an ein hilfreich dargebotenes Kissen, eine Phalanx süffisant belustigter Gesichter und eine in höchster Verlegenheit karmesinrot anlaufende Raven. Sein Grinsen wird für einen Moment geradezu dämonisch, doch dann wird er beinahe genauso rasch wieder halbwegs ernst. "Dann bereust du's also nicht? Dass du den... warte ob ich das noch zusammenbekomme... den 'strohdummen, verdammten normandischen Sturschädel, der halsstarrig, eingebildet, arrogant, eitel, rachsüchtig, blutrünstig, kaltschnäuzig, berechnend, grausam, kalt, brutal und roh und dazu störrischer als ein Maultier ist' geheiratet zu haben?" Sie knufft ihn in die Seite. "Oh," erwidert er leise, dreht sich, so dass sie Nase an Nase auf den Kissen liegen und sieht sie an. "Oh, gut. Da du es den Rest deines Lebens mit diesem Mistkerl aushalten musst..." Selbst im rötlichen Halbdunkel kann er ihre empört aufgerissenen Augen sehen und dann hagelt es kleine Fausthiebe in seine Seite, bis er lachend ihre Hände eingefangen hat. Ihr Blicke begegnen sich, verfangen und verschlingen sich ineinander, und plötzlich werden sie beide ganz still.

Sie sehen sich nur an, vollkommen wortlos, während ihre Augen in der Düsternis ihren ganz eigenen Dialog führen und der Moment wird zur Ewigkeit. Dann zerfällt auch der letzte Glutschimmer im Kamin mit einem leisen Zischen zu weißer Asche und es wird vollkommen dunkel in ihrem Schlafgemach. "Ich liebe dich." Caewlin hebt die Hand und legt sie an ihr Gesicht, blind und zielsicher, berührt ihre Wange, ihren Mund, ihr Kinn und küsst sie, samtig, warm und endlos. "Götter, Raven, ich liebe dich so."
Das erste, das er am nächsten Morgen wahrnimmt, als er aus der dunklen Tiefe des Schlafes auftaucht, ist ihre Wärme dicht an seinem Körper und weiches, gelbes Tageslicht, dass durch seine geschlossenen Lider scheint. Er will die Augen noch nicht öffnen, streckt sich schnurrend wie eine große Katze und zieht sie ein wenig fester an sich. "Mmmm..." Dann hört er ein leises Schmatzen von ihrer anderen Seite und öffnet blinzelnd die Augen. Raven liegt in seinem Arm, ihr Rücken an seine Brust gelehnt und stillt ihre Tochter. Ykenai hat sich zu einem zufriedenen kleinen Bündel zusammengerollt und trinkt, als gelte es das liebe Leben - der rosige Mund saugt hungrig und die winzigen Fäustchen kneten warme Haut und weiches Fleisch wie ein Kätzchen das Fell seiner Mutter. Caewlin wäre gern noch bei den beiden liegen geblieben, aber bevor er gesellig sein muss, sollte er sich vielleicht noch ein wenig kaltes Wasser ins Gesicht klatschen, sich rasieren und am besten ein langes, sehr, sehr kaltes Bad nehmen. Seufzend küsst er Ravens Schulter, ignoriert tapfer den vertrauten Geruch ihrer Haut, der ihm prompt in die Nase steigt und quält sich aus dem Bett. "Ich gehe ein Bad nehmen, min koerlighed, und wenn ich es schaffe, verwandele ich mich dabei vielleicht sogar in etwas Vorzeigbares. Wenn ich Dalla oder Bethel treffe, gebe ich ihnen gleich frei - sie können es ja an die anderen weiter sagen." Er sucht sich ein paar saubere Kleidungsstücke zusammen und den Wappenrock, den Raven ihm geschenkt hat, und nimmt den gerade hereintrippelnden Brynden gleich mit hinunter. In der Küche rumort allerdings bereits das gesamte Gesinde, der Tisch ist gedeckt und der Duft von frischaufgebrühtem Cofea durchzieht das ganze Erdgeschoss. Brynden, verständlicherweise nicht an Kältebädern interessiert, stürzt sich morgenmufflig, aber heisshungrig auf seine Schale Grütze mit Honig und Caewlin knurrt der versammelten Runde verschlafen ein "Gutenmorgen. Ihrhabtheutealledienstfrei" entgegen, was prompt einen Sturm entrüsteter Ratlosigkeit auslöst. "Dienstfrei, wie dienstfrei?" Echot Dalla entsetzt, in Pyps Gesicht geht die Sonne auf, in Runas geht sie in der panischen Angst, irgendjemand würde ihr zutrauen, auf ein Inarifest zu gehen, unter.

Rykar grinst still in sich hinein und Bethel rührt schnaubend in drei Töpfen und schimpft, das komme ja gar nicht in Frage, dienstfrei! Caewlin runzelt die Stirn und schüttelt den Kopf. "Dienstfrei. Ihr wisst, was das ist. Ein freier Tag. Macht doch was ihr wollt, aber ich will euch heute hier nicht arbeiten sehen, verstanden?"
Diese Erklärung löst wenn möglich noch mehr Ratlosigkeit aus, bis Rykar irgendwann immer noch ziemlich amüsiert erklärt, dafür sei es zu spät, zumindest was die Stallarbeit angeht, aber nach dem Frühstück werde er sein bestes tun, seine bessere Hälfte von den Töpfen wegzubekommen und vielen Dank auch. Bethel senkt hochrot ihre Nase in eine Rührschüssel, Dalla kichert schulterzuckend davon und verkündet, dann eben eine ihrer zahllosen Basen zu besuchen, ihren händeringend bettelnden Sohn im Schlepptau, der versichert, er wolle ja nur ganz kurz mal auf den Marktplatz sehen, nur gucken, nur fünf Minuten, nur drei, einen Augenblick... und Runa beginnt prompt, abzuräumen. Caewlin lässt Brynden bei ihr und geht, um sein Bad zu nehmen, und als er etwa eine Stunde später sauber, rasiert, mit noch leicht feuchtem Haar und - samt Wappenrock und bronzebeschlagenem Gürtel -, fertig angekleidet wieder kommt, findet er Raven, das Baby und Brynden mit beiden Hunden auf der Steinterrasse beim Morgenmahl. "Sind sie wirklich weg? Runa sitzt vermutlich in ihrer Kammer und stickt, aber der Rest scheint tatsächlich freigenommen zu haben... du hättest ihre Gesichter sehen sollen, als ich es ihnen gesagt habe," er setzt sich in die Sonne und angelt nach einem Honigbrötchen. Eine Kanne Cofea steht bereit und dazu ein Teller mit Rosinenlaibchen und einer mit belegten Broten. "Pyp war begeistert und Ryk schien auch ganz angetan, aber Dalla war sprachlos und Bethel fast entsetzt. Wahrscheinlich hatten sie schon im Stillen beschlossen..." Die Ankunft Ninianes und Crons unterbricht ihn und die Hunde stürmen in Richtung Mauer, noch ehe irgendetwas zu sehen oder zu hören ist, doch gleich darauf knarrt die Pforte zum Strand hinunter und Stimmen werden laut. Shaerela stapft in einem kleinen, grünweißen Festtagskleidchen über die Wiesen herauf, dicht gefolgt von ihrem Vater und schließlich auch Niniane, die in ihrem grüngoldenen Kleid einfach großartig aussieht. Es folgt allgemeiner Begrüssungswirrwarr zwischen jappenden Hunden und aufmerksamkeitheischenden Kindern - Raven zeigt Shaerela Ykenai, die unberührt von all dem Trubel um sie her ihr Morgenschläfchen hält, und Caewlin schenkt dem Tronjer und Niniane erst einmal zwei Becher Cofea ein. Da Cron gerade von Brynden vollauf beschäftigt wird, drückt er beide der Waldläuferin in die Hand. "Morgen. Hier, frisch und heiß. Aye, das Gesinde hat frei heute," erwidert er auf Crons Zwischenfrage, der mittlerweile mit Brynden über Schnecken fachsimpelt und seiner Frau einen der dampfenden Becher abnimmt. "Kommt. Setzt euch und frühstückt noch etwas mit uns, bevor wir gehen müssen."

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Niniane am 05. Mai 2006, 18:14 Uhr
Nicht nur die Wiesen und die Obstbäume des Seehauses stehen in voller Blüte, sondern auch die Beete rund um das alte Haus mit seinen holzgeschnitzten Erkern, der Steinterrasse und dem Laubengang. Um die Nordseite und die Flussteinmauern des Küchengartens drängen sich blaue Hortensien und Frühlingsrhododendren, blassrosa Hundszahn und Taumondveilchen, Blausterne, dicke blaue Polster aus Vergissmeinnicht und Waldsauerklee, dazwischen die zarten, hohen Stengel von weißem Blütenhartriegel und ein Meer von gelben Himmelsschlüsseln. Auf der Ostseite um die Erker blühen Waldreben, Anemonen, Damariasröschen, ein Meer von Tulpen und tiefvioletter Hyazinthen, Taumondbechern und weißen Narzissen, und auf der Steinterrasse selbst schließlich stehen in glasierten Steintrögen riesige Oleandersträucher. In deren raschelndem Schatten versammeln sie sich und eine ganze Weile lang sind sie alle damit beschäftigt, sich gegenseitig zu begrüssen. Niniane umarmt Raven und bleibt vorsichtshalber in der Nähe ihrer Tochter, die sich in überschwenglicher Begeisterung sofort das Baby ansehen muss - schließlich hatte Mama es ihr versprochen und sie ist immer noch sauber. Raven stellt Ykenais Körbchen auf die Bank aus silbrig gebleichtem Holz, damit Shaerela hineinsehen kann und Niniane folgt den beiden. "Psst, sieh mal, das Baby schläft. Du musst ganz leise sein." Der blanke Hohn angesichts der fröhlichen Wiedersehensfreude  zweier Hunde, eines kleinen und zweier großer Nordmänner um sie her, doch Shaerela benimmt sich mustergültig. Andächtig steckt sie ihre kleine Nase über den Rand des Babykörbchens und lässt nur ein verzückt-entgeistertes "Oooh, so klein!" hören. Niniane tauscht einen lächelnden Blick mit Raven und sieht dann wieder auf Ykenais schlafendes Babygesicht hinunter. In den drei Wochen, die sie die Kleine jetzt nicht mehr gesehen hatte, war sie schon mächtig gewachsen. Ihr Haar unter dem durchbrochenen Häubschen gegen Sonne und Wind ist immer noch flaumzart und dunkel, aber vielleicht schon ein wenig dichter, ihre kleinen Wangen sind rund und ihre Haut ist so rosig und glatt wie ein Pfirsich. "So klein warst du auch mal, min lia." Niniane streicht ihrer eigenen Tochter liebevoll über den pechschwarzen Zopf und sieht dann wieder Raven an.

"Ykenai scheint sich prächtig zu machen, Ravenschatz. Und du auch." Caewlin drückt ihr Cofea für sich selbst und Cron in die Hand und sie reicht einen Becher an ihren Mann weiter, der sich hinter ihnen gerade um Brynden und dessen Schneckenzucht kümmert. >Morgen. Hier, frisch und heiß.< "S'leja, Caewlin, danke." Ihre Augen heften sich wieder auf ihre Freundin, die Shaerela gerade anbietet, ihr "helfen" zu dürfen, und dann mit der Kleinen Ykenais Körbchen tiefer in die Oleanderschatten schiebt... Shaerela tut begeistert mit, ganz behutsam versteht sich. Raven trägt ein einfaches Leinenhemd und eine augenscheinlich neue Hose aus weichem, bernsteingoldenen Leder, deren warme Farbe ihr ausgezeichnet steht und hat ihr Haar nur zu einem lockeren Zopf geschlungen, aber sie sieht fabelhaft aus und Niniane könnte schwören, sie ist längst wieder so schlank wie vor der Schwangerschaft. Außerdem strahlt sie bei jedem Blick, jeder Bewegung, als leuchte in ihrem Inneren eine Wärme, die der Frühlingssonne am Himmel in nichts nachsteht. Niniane erinnert sich blitzartig an das hohlwangige, blasse, freudlose Wesen mit dem stumpfem Blick und dem zweifelnden Herzen, das im letzten Winter vor etwas mehr als einem Zwölfmond noch in ihrem Baum herumgeschlichen war und ihr geht das Herz auf beim Anblick der blühenden jungen Frau, die jetzt vor ihr steht und Cron gerade einen Teller mit Schinken, Brot, weißen Brötchen und anderen Köstlichkeiten in Reichweite schiebt. Sie schüttelt lächend den Kof und denkt daran, dass sie, so unterschiedlich ihre früheren Leben vielleicht auch ausgesehen haben mochten, doch beide ein wildes Zugvogel- und Abenteurerdasein geführt hatten, das mit häuslicher Zufriedenheit, Eheleben und Mutterschaft weniger als nichts gemein gehabt hatte... Und jetzt sieh uns an. Beide sind wir verheiratet und haben Kinder. Wenn mir das vor fünf Jahren jemand gesagt hätte, ich hätte ihm nie im Leben ein Wort geglaubt. Und Raven vermutlich auch nicht... Caewlin lädt sie ein, vor ihrem Aufbruch noch mit ihnen das Morgenmahl zu halten. Niniane, ihren Becher Cofea in der Hand und ihre Tochter wachsam im Auge, die immer noch in das Babykörbchen lugt, sich dann aber doch lieber Brynden und den Schnecken zuwendet, lächelt dankbar, schüttelt dann aber den Kopf. "Ich glaube nicht," meint sie und legt ihre freie Hand auf das goldbestickte Mieder, das sie trägt, "dass hier außer mir noch irgendetwas reinpasst."

Den Nordmännern, ob groß oder klein und Shaerela braucht man das nicht zweimal zu sagen und auch Raven isst etwas, während sie sich an Cofea hält und grinsend die versammelte Meute um den langen Tisch beobachtet. Ihr Sohn schläft neben Caewlins Tochter, die beiden Körbchen nebeneinander im schützenden Halbschatten, die Hunde dösen in der Sonne und braten auf den warmen Steinfliesen... der Himmel über ihnen ist so blau, wie er nur im Frühling in den Herzlanden sein kann, überall um sie her grünt und blüht es, bunte Schmetterlinge taumeln wie im Rausch von Blüte zu Blüte und in jedem Kirschbaum summt und dröhnt es vor emsigen Honigbienengeschwadern, kurz: der Tag ist wie gemacht für ein ausgelassenes Feiern des Lebens nach der langen Kälte und dem vielen Schnee und wenn sie ehrlich ist, kann sie es überhaupt nicht erwarten, auf den Marktplatz zu kommen, wo es Musik und Tanz geben würde und alle ihre Freunde sich vermutlich schon versammeln. Bei "alle ihre Freunde" fällt ihr siedendheiß ein alles andere als schönes Gerücht ein, das ihr irgendwann im letzten Siebentag erst zu Ohren gekommen war, das ein hastiges Nachfragen an den richtigen Stellen allerdings leider als nur zu wahr erwiesen hatte... Kizumu ist fort und hat Talyra offensichtlich für lange Zeit, vielleicht sogar für immer verlassen... und mit der Stadt auch ihren Mann und ihre Kinder. Sie hatte es zuerst nicht glauben können. Findinmir Daumengrün, den sie im Weidenwindental getroffen hatte, hatte es ihr erzählt - zwischen einem langatmigen Vortrag über das Liebesleben der Larisgrüner Waldameise und den neuesten Untaten von Grymauch Einaug, der anscheinend bei einem Waldbauern ein oder zwei Schafe hatte mitgehen lassen. Doch später war es ihr von der Mogbarsfrau, die sich um ihre Wäsche kümmert, bestätigt worden und es hatte Niniane zutiefst verwirrt und mit rastloser Trauer erfüllt. Denk nicht daran. Nicht jetzt, nicht heute. Der Tag ist zu schön, um ihn mit bitteren Fragen und düsteren Gedanken zu verderben. Die anderen verleiben sich mit gesundem Appetit Honigbrötchen, Schinken, ein wenig eingelegten Spargel und frisches Brot mit leicht gesalzener Butter ein und sie hängt eine Weile ihren Gedanken nach und leert ihren Becher Cofea mit kleinen Schlucken. Als Cron und Caewlin ihre Teller von sich schieben und alle Kinder wieder von fettverschmierten Fingerchen und Schinkenstückchen befreit sind, muss eigentlich nur noch abgeräumt werden und dann können sie los.

Cron stapelt die Teller aufeinander und unterhält sich wie oft mit Caewlin in seiner Muttersprache, was ohnehin immer klingt, als knurrten sich zwei große Hunde irgendwelches Kauderwelsch zu - durch das Stückchen Honigbrot auf dem er nebenbei noch herumkaut wird es auch nicht gerade verständlicher, weswegen sie selbst kein Wort mehr versteht. Niniane wischt Shaerela einen Krümel von der rosigen Wange, sammelt die Tassen ein und sieht dann Raven aufmunternd an. "Na dann los, min Ija, geh dich doch einstweilen umziehen, wir räumen hier schon auf." Raven sieht sie verständnislos an und blickt dann an sich selbst hinunter. "Umziehen? Wieso denn umziehen?"
Jetzt ist es an ihr, eine verständnislose Miene aufzusetzen. "Wie, du willst so auf das Inarifest gehen?" Caewlin wirft Ravens Kehrseite einen grinsenden Blick zu und vergräbt dann klugerweise seine Nase und jeden verräterischen Gesichtsausdruck in seinem Cofeabecher, Crons Blick pendelt zwischen ihr selbst und Raven hin und her, dann zuckt er aufmunternd mit den Schultern und sie können sich aussuchen, wer jetzt damit gemeint ist. Na wartet... euch beiden zeigen wir eine Raven, die ihr in eurem Leben noch nicht gesehen habt! Sie lässt alles Geschirr und jedes Besteck sein und tritt um den Tisch herum auf ihre Freundin zu. "Du hast mir doch so vorgeschwärmt von diesen Gewändern von dieser Schneiderin. Madame Palia... Pilea... nein, auch nicht. Ah, Pileh! Madame Pileh. Na also und die hängen doch bestimmt schon oben in deinem Schrank. Sehr schön, dann haben wir ja eine hervorragende Auswahl. Gehen wir... komm schon, die beiden können allein hier unten aufräumen."

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Raven am 05. Mai 2006, 21:18 Uhr
"Ääh, aber..." Bei dem Wortschwall, den Niniane so energisch wie gutgelaunt hervorsprudelt, schafft Raven es gerade noch, verdattert nach Luft zu schnappen, aber sie kommt beim besten Willen nicht dazu, etwas zu erwidern, geschweige denn wirksamen Protest anzumelden oder überhaupt erst einmal den Bissen zu Ende zu kauen, den sie sich gerade einverleibt hat. Bevor sie weiß, wie ihr geschieht, fasst die Waldläuferin sie bei der Hand, zerrt sie von der Bank und schleift sie resolut wie ein Feldherr hinter sich her in Richtung Halle, vorbei an den Kindern, den dösenden Hunden und zwei vielsagend feixenden Nordmännern. Und niemand kommt ihr zu Hilfe, nicht einmal ihr Mann, dem sie im Vorübergeschlepptwerden einen halb belustigten, halb flehentlichen Rette-mich-vor-dieser-Irren-Blick zukommen lässt. Caewlin denkt nicht einmal daran, sondern zuckt nur grinsend mit den Schultern und überlässt sie mitleidslos ihrem Schicksal in Gestalt einer Waldläuferin, die sich offenbar in den Kopf gesetzt hat, vor dem Aufbruch noch eine Modenschau zu veranstalten und ihre Garderobe dem Anlass entsprechend umzustrukturieren, und zwar jetzt sofort und auf der Stelle und ohne Gelegenheit zur Widerrede. "Nicht einmal in Ruhe frühstücken kann man hier.... was passt dir denn an meinen Hosen nicht? Die sind ganz neu!" Das halbgegessene Honigbrötchen noch in den Fingern hüpft Raven hinter der Freundin her durch die schattenkühle Halle und hat Mühe, mit ihr Schritt zu halten. "Und das Hemd auch. Und meine Stiefel sind frisch geputzt, ich bin gewaschen und gekämmt - ich bin sogar frisiert! - und dufte wie ein Strauß lieblichster Rosen, ich bin also absolut vorzeigbar und ausgehfein, warum sollte ich mich denn umziehen? Ich mag meine Hosen." Niniane schenkt ihr nur einen amüsierten Blick, der wohl so viel bedeutet wie Lass mich nur machen, und ignoriert ansonsten das Gezeter, das auf ihren Rücken einprasselt, während sie die breite, geschwungene Treppe ins Obergeschoß hinauf stapfen. Raven redet sich zwar beinahe den Mund fusslig, aber sie könnte genauso gut auch gegen eine massive Backsteinmauer argumentieren, die Wirkung wäre in etwa die selbe.

Mit finsterer Miene starrt sie die grünschillernden Seidenröcke an, die direkt vor ihrer Nase schwungvoll die Stufen emporrascheln, die kostbaren Perlenstickereien und Goldverzierungen an Ninianes Mieder, die prächtigen roten Wallelocken, die von zwei goldenen Spangen gebändigt werden - und ein zaghaftes Stimmchen in ihrem Inneren meldet sich mit der Anmerkung zu Wort, dass sie Waldläuferin so unrecht gar nicht hat, wenn sie sie noch einmal an ihren Kleiderschrank scheucht. Und Caewlin zuliebe könntest du dich wirklich einmal in ein Kleid zwängen .... Ihr angeborener normander Dickschädel versucht jedoch, das Stimmchen sofort im Ansatz niederzuschreien, bevor es ihr noch Flausen in den Kopf setzen kann. Ach was, es ist doch völlig gleich, ob ich nun Hosen oder Röcke trage .... umziehen, das fehlte noch. Und mit einem goldäugigen Götterkind, das außerdem noch so strahlend schön ist wie die Sonne selbst, kann ich doch sowieso nicht mithalten, völlig egal, was ich anziehe. Das Stimmchen in ihrem Hinterkopf aber ist ziemlich renitent und lässt sich nicht so einfach verscheuchen. Es bohrt und stichelt und will ganz und gar keine Ruhe geben. Hinterhältigerweise stellt es die Frage in den Raum, wieso sie bei Madam Pileh für ein kleines Vermögen überhaupt all die schönen Gewänder hat schneidern lassen, wenn sie letztendlich doch nur im Schrank zwischen Mottenpulver und Lavendelsträußchen vor sich hin gammeln. Bis sie im Schlafgemach angelangt sind, hat Raven händeringend mindestens noch zwei Dutzend mehr als fadenscheinige Gründe hervorgezerrt, warum es unbedingt diese Hosen sein müssen und sie kein Kleid anziehen kann, aber inzwischen muss sie sich ernsthaft fragen, wen sie damit eigentlich überzeugen will, Niniane oder ihren eigenen Sturschädel.  

Widerwillig öffnet sie die Schranktüren, holt sämtliche Gewänder heraus, die Madam Pileh geliefert hatte, und breitet die schimmernde Pracht vor Niniane auf dem Bett aus. "Also ich weiß nicht recht .... meinst du wirklich, dass das nötig ist?" Der Blick, den die Waldläuferin ihr daraufhin zukommen lässt, macht ihr deutlich, dass es nicht nur nötig, sondern absolut unabdingbar ist, also pellt Raven sich seufzend und augenrollend aus Hemd und Hose, um sich nacheinander in jedes einzelne Kleid zu fädeln, darin unwillig schnaubend vor Niniane auf und ab zu spazieren, sich aus sämtlichen Blickwinkeln inspizieren zu lassen und solche Kommandos entgegenzunehmen wie "Dreh dich um" oder "Lass mich das von der anderen Seite sehen" oder "Stell dich mal an das Fenster ins Licht". Im Gegensatz zu Raven, die von solchen Dingen nicht einmal den allerblassesten Schimmer einer Ahnung hat, scheint die Waldläuferin sehr genau zu wissen, welche Kleidung für ein Festmahl im Allgemeinen und ein Inarifest im Besonderen in Frage kommt - bei immerhin fünf Jahrtausenden Lebenserfahrung ist das allerdings auch kein Wunder. Die beiden hellen Kleider mustert sie nach einer kurzen, aber eingehenden Begutachtung mit skeptisch gerunzelter Stirn und nachdenklichem Kopfwiegen allerdings ziemlich schnell wieder aus. Im Rennen bleiben noch das bernsteingoldene Seidengewand und das granatrote Kleid mit den schleierartigen Röcken, und hier scheint sogar Niniane hin und her gerissen zu sein, denn sie lässt sie mal das eine anprobieren, dann wieder das andere, bis Raven sich schließlich mit einem entkräfteten Seufzer auf die Bettkante sinken lässt. "Ja, welches denn nun?"

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Niniane am 06. Mai 2006, 01:15 Uhr
Hätte Niniane nur gewusst, welche Prachtstücke Raven mittlerweile in ihrem Schrank hortet, sie hätte ihre Freundin glattweg für völlig verrückt erklärt, in einfachen - so hübsch, neu und figurbetont sie auch sein mögen - Lederhosen und einem Hemd zum Inarifest gehen zu wollen. Ein edles Festgewand nach der anderen landet vor ihr auf dem Bett, breitet sich in all seiner kostbaren Schönheit aus und schimmert in der Vormittagssonne. Da gibt es welche mit Schnürmiedern und weichen, weit fallenden Röcken, ein jeder aus mindestens zehn Schritt glänzender Stoffbahnen hauchzart und schleierartig oder schwer und glatt. Dann gibt es anschmiegsame Kleider mit einfachen Bändern, die Überkleider - eines schöner als das andere -, mit bestickten Borten, Ärmeln jedweder Form und Länge und winzigen Edelsteinsplittern in Gold- und Silberbrokatbesatz, dazu passende Unterkleider mit feinen Rankenstickereien, Goldfädenmustern oder winzigen Flussperlen an Ausschnitten und Säumen, und Wäsche, aus hauchzartem, sündhaft durchsichtigen Batist mit und ohne Spitzenbesatz. "Götter im Himmel, Raven und da willst du in Hosen gehen..." verkündet Niniane ebenso ungläubig wie begeistert und beginnt, die einzelnen Kleider genauer in Augenschein zu nehmen. Sie entdeckt ein Winterkleid aus moosgrünen Samt, das leider nicht in Frage kommt, mit fast bodenlangen Ärmeln und Pelzbesatz, der breite Hüftgürtel verschwenderisch mit Rubin, Topas- und Goldkordelstickereien versehen, und ein helles, schmal geschnittenes Gewand aus allerfeinstem laiginischen Leinen, das zwar ebenso hübsch wie alle anderen, dem Anlass aber vielleicht doch nicht unbedingt angemessen ist. Einen weiteren Traum aus elfenbeinfarbener Seide, der sowohl auf dem engen Mieder, als auch auf der schweren Seide und den durchbrochenen Tüllstickereispitzen der Röcke über und über mit schimmernden Perlen besetzt ist, legt sie ebenfalls schweren Herzens beiseite. Das Kleid ist wunderschön und Raven mit ihrem dunklen Haar, der leicht gebräunten Haut und den großen, dunklen Augen würde darin traumhaft aussehen, aber es erscheint zumindest Niniane für ein Inarifest einfach zu edel, zu hell und zu elegant. "Nein, das hier nicht... versuch doch lieber noch einmal das Bernsteinfarbene, min Ija."

Letzteres und ein weiteres, geradezu unglaubliches, rotes Kleid bleiben schließlich übrig und eine ganze Weile kann sie sich einfach nicht entscheiden. Raven sieht in beiden schlicht zum Niederknien schön aus, folglich muss sie alle zwei Gewänder ein ums andere Mal anziehen, überstreifen, vor sich halten, sich damit drehen, wenden oder ins Licht stellen, bis sie schließlich meutert, sich auf's Bett setzt und ratlos wissen will, welches sie denn jetzt bitte anziehen solle. Niniane holt tief Luft und ist nahe daran, einfach zu losen... oder auszuzählen. Enemenemäusespeck... Ein warnender Blick, all dem hier jetzt so langsam einmal ein Ende zu machen trifft sie, und sie erklärt hastig: "Das Rote! Das Rote, das Rote..."  Während Raven also dankbar seufzend passende Unterwäsche anlegt, kramt sie aus dem Schrank rote Schuhe aus feinem Leder hervor, jene, die Raven schon einmal zu einem anderen Festkleid getragen hatte. Auf dem Sommerfest vor vier Jahren. Als Cron in die Stadt kam und das Turnier gewann... Und sie irgendwann in einem geliehenen Kleid irgendeiner Schankmaid vor Fett triefende Bratreinen geschrubbt hatte. Sie unterdrückt ein Kichern und hilft Raven dann, das Gewand anzulegen und das Mieder zu schnüren. "Du bist schon wieder so schlank wie vor Ykenai," stellt sie fest. "Ich könnte grün werden vor Neid," sie kräuselt ihre Nase, aber in ihren Augen steht warme Selbstironie. "Als ich Leir bekam hat es Wochen gedauert, bis ich wieder in meine Mieder gepasst habe... und ich musste dafür endlos reiten und jagen. So, hier sind die Schuhe, schlüpf hinein, und dann ans Werk. Hast du irgendetwas für die Haare? Ein paar Haarnadeln? Kämme? Spangen?" Auf alles muss Raven den Kopf schütteln, doch dann fällt ihr etwas ein und sie holt aus einer geschnitzten Schatulle auf der Kommode ein glänzendes Gespinst haarfeiner Gold- und Silberdrähte, in dem schwerelos und scheinbar willkürlich verstreut honigdunkle Bernsteine, Flussperlen, glänzende Opale und perlgrau schimmernde Mondsteine hängen. Kaum hat Raven es herausgenommen, windet es sich sacht und träge wie ein kleines, erwachendes Tier und ringelt sich dann prompt um ihr Handgelenk wie eine besonders anhängliche Schlange. "Huch!" Entfährt es Niniane - ein magisches Schmuckstück hätte sie im Hause Sturmende am allerwenigsten erwartet. Dann jedoch siegt die weibliche Neugier und ihr Sinn für schönen Schmuck... und das hier ist außergewöhnlich schön. "Lass mich raten, das hast du von Caewlin... was ist das? Ein Haarnetz oder ein Armband? Eine Kette oder ein Diadem oder alles zugleich und nichts davon..."  Raven zuckt lächelnd mit den Schultern, erklärt, Caewlin habe es ihr zum Julfest geschenkt und meint dann, es sei wohl von allem ein wenig und doch irgendwie etwas ganz Einzigartiges.

"Ah, ganz gleich. Es wird nämlich zweifellos toll in deinem Haar aussehen. Setz dich, ich frisiere dich ein wenig." Niniane angelt nach der Bürste, und beginnt dann sorgsam die endlos langen, glänzend braunen Flechten ihrer Freundin eine nach der anderen mit sanften Bürstenstrichen zu glätten, alle Proteste der jungen Frau, sie sei doch schon frisiert, gewissenhaft ignorierend. "Hör mal, Raven... hast du das von Kizumu schon gehört?" Raven schüttelt den Kopf und während Niniane ihr das Haar zurechtmacht, erzählt sie ihr mit leisen, wenigen Worten von den Gerüchten die ihr zu Ohren gekommen waren. "Ich weiß nicht, aber es hat Olyvar wohl ziemlich übel getroffen. Ich habe keine Ahnung, ob er sich heute in der Stadt blicken lässt und wenn ja, was um alles in Roha ich nur zu ihm sagen soll... Kizumu hat sich nicht einmal verabschiedet, aber... ach, ich denke, sie wird schon ihre Gründe haben. Ich kann es nicht begreifen, aber es muss einfach so sein." Ihre Finger teilen locker ein paar seitliche Strähnen ab, fassen sie am Hinterkopf ein wenig auf und zusammen und stecken sie fest, und das glänzende Netz aus Gold und Silberfäden schmiegt sich augenblicklich hinein, als sei es nur dafür gemacht. Der größte Teil von Ravens Haar bleibt jedoch offen und fällt ihr in weichen Kaskaden aus zu sanften Locken gedrehten Strähnen frei über den Rücken. Niniane betrachtet prüfend ihr Werk, zupft hier und da noch ein wenig daran herum, sieht aber schon unleugbar zufrieden damit aus. "So ist es hübsch," befindet sie schließlich. "Mehr als hübsch sogar. Du siehst grandios aus, min Ija." Sie umkreist Raven einmal, um sich ihr Werk im Ganzen zu betrachten und nickt dann bekräftigend. "Wunderschön." Das ist sie wirklich. Das Gewand, das Raven trägt, ist von satter granatroter Farbe, und aus schimmernder Feenseide, hauchdünnem Feintüll und glänzendem Organza gefertigt. Das vorne und hinten spitzzulaufende Mieder mit der Schnürung im Rücken betont ihre schlanke Taille und weist einen tiefen, bogenförmigen Ausschnitt auf, der handbreit mit Rubinsplittern, kleinen Flussperlen und goldenen Rankmustern verziert ist. Bei jeder Bewegung und jedem Atemzug fängt sich glitzernd das Licht darin und glüht dann geheimnisvoll in den blutroten Steinen. Über dem langen, weichen und weit fallenden Rock aus glänzendem Seidenstoff bauschen sich zusätzlich noch durchsichtiger Tüll und schillernde weinrote Organzaschleier, bestickt mit winzigen goldenen Blütensternen, die am hinteren Saum überlang werden und in einer kleinen Schleppe auslaufen.

Das Kleid ist schulterfrei, hat jedoch Ärmel aus schleierartiger Feenseide, die ebenso wie das Mieder an den oberen Säumen mit Perlen und Rubinen zwischen goldenen Blüten und Ranken besetzt sind. Es gibt nur wenige Frauen, die ein solches Rot tragen können, aber Raven gehört mit ihrem dunklen Haar, den leuchtenden Bernsteinaugen und der stets, selbst im Winter, eher goldbraun als blass getönten Haut zweifellos dazu. Niniane strahlt sie an. "Götter im Himmel steht dir dieses Rot gut! Du siehst einfach umwerfend aus, Raven. Wirklich... wenn ich ein Mann wäre, müsste ich Caewlin leider fordern. Und vermutlich grausam sterben, aber einerlei." Sie grinst von einem Ohr zum anderen und kann sich gar nicht sattsehen am Anblick ihrer Freundin in diesem Kleid. "Hast du alles? Dann gehen wir, langsam wird es wirklich Zeit, dass wir hier loskommen!" Sie dirigiert Raven, die immer noch etwas fassungslos über den Stoff ihres Gewandes streicht, ihr Haar berührt oder entgeistert auf ihren unleugbar ziemlich beeindruckenden Ausschnitt starrt, zur Tür, gönnt ihr einen kurzen Blick in den Spiegel, und muss sie dann förmlich weiterdrängen, um sie endlich in den Gang hinaus und zur Treppe zu bekommen.


Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Raven am 06. Mai 2006, 20:07 Uhr
Zu hören, dass Kizumu ihren Mann und ihre Kinder verlassen hat, um nach Ardun zurückzukehren, trübt schlagartig die Vorfreude auf das anstehende Fest, und Raven vergisst darüber sogar für einen Moment, Niniane zu widersprechen und weiterzuschimpfen wie ein Rohrspatz. Stattdessen blickt sie die Freundin überrascht an. "Ist das also doch wahr? Ich habe Dalla und Bethel kürzlich darüber tratschen hören", erinnert sie sich und kramt in ihrem Gedächtnis nach den Worten, die sie von den beiden im Vorübergehen aufgeschnappt hatte. "Aber du weißt ja, wie die stille Post hier in der Stadt funktioniert ... in der Steinfaust fällt ein Pferdeapfel, und bis das Gerücht hier ins Seeviertel gelangt, ist ein glühender Feuerball daraus geworden. Ich habe das Gerede einfach als dummes Geschwätz abgetan, weil ich nicht glauben konnte, dass es stimmt. Aber es scheint wohl doch wahr zu sein." Es war ihr einfach unvorstellbar erschienen, dass die Elbin ihren Mann und dazu noch ihre Kinder - Ieras und die beiden Zwillinge, die bestenfalls knapp über ein Jahr alt sein können - im Stich lassen und einfach sang- und klanglos verschwinden könnte, deswegen hatte sie Dallas Gewäsch überhaupt keine Bedeutung beigemessen. Niniane scheint über diese Neuigkeit wohl ebenso überrascht gewesen zu sein wie sie selbst in diesem Augenblick, und obwohl es der Waldläuferin offenbar schon vor längerer Zeit zu Ohren gekommen ist, klingen in ihrer Stimme noch immer ein stummes Kopfschütteln und ein Hauch ungläubiger Fassungslosigkeit mit. Raven weiß, dass sie die Elbin gut kennt und seit langem eng mit ihr verbunden ist, weswegen sie bei dieser Nachricht sicher aus allen Wolken gefallen sein muss. >Kizumu hat sich nicht einmal verabschiedet, aber... ach, ich denke, sie wird schon ihre Gründe haben. Ich kann es nicht begreifen, aber es muss einfach so sein.<

Begreifen kann Raven es auch nicht, trotz aller Mühe nicht, obwohl sie sich mahnt, nicht einfach vorschnell zu urteilen. Vielleicht hatte sie ja keine andere Wahl, wer weiß das schon. Aber welche Gründe kann es geben, den Mann, den man liebt, mit zwei Säuglingen allein zu lassen und einfach auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden? Ihre Gedanken wandern ein Stockwerk tiefer, hinab zu Caewlin, zu Brynden und zu Ykenai, und ihr fällt beim besten Willen kein Grund ein, der sie auch nur annähernd dazu bringen könnte, ihren Mann und ihre Kinder zu verlassen, und schon gar nicht freiwillig. Keine Macht Rohas wäre dazu imstande, und allein die Vorstellung, sich aus welchen Gründen auch immer von ihnen trennen zu müssen, jagt ihr einen kalten Entsetzensschauer über den Rücken. Um nichts in der Welt würde sie die Menschen, die sie liebt, verraten oder sie verlieren wollen, und allein der Gedanke, Caewlin oder die Kinder irgendwo zurücklassen zu müssen, bringt sie schon schier um den Verstand. Jetzt hör schon auf und mach dich nicht verrückt, sie sind ja da, ihnen geht es gut und alles ist in bester Ordnung. Während Niniane ihr Strähne für Strähne das lange Haar ausbürstet, hält sie wortlos still und nicht einmal der kleinste Protest wegen dem Geziepe verlässt ihre Lippen, nicht ein einziges Aua, so sehr beschäftigt sie der Gedanke. Im Geist schweift Raven zurück zur vergangenen Nacht, als Caewlin und sie eng aneinandergeschmiegt in der Wärme ihres Bettes über den Tag ihrer Hochzeit gekichert hatten, über die verdutzten Gesichter der Tempeldiener und über den eierköpfigen Priester, der sie notgedrungen trauen musste. >Dann bereust du's also nicht?< hatte Caewlin, halb ernsthaft, halb amüsiert nachgefragt. >Dass du den... warte ob ich das noch zusammenbekomme... den 'strohdummen, verdammten normandischen Sturschädel, der halsstarrig, eingebildet, arrogant, eitel, rachsüchtig, blutrünstig, kaltschnäuzig, berechnend, grausam, kalt, brutal und roh und dazu störrischer als ein Maultier ist' geheiratet zu haben?<

Sie hatte nur den Kopf geschüttelt und ihn geküsst, und eine ganze Weile später, als sie ihren Mund wieder zum Reden benutzen konnte, geantwortet: "Nein. Ich bereue es nicht. Nicht eine Sekunde. Weil ich diesen strohdummen, verdammten normandischen Sturschädel liebe. Und ich liebe alles an ihm, alles, auch diesen grausamen und brutalen Mann, der er sein kann." Und sie weiß, es ist die Wahrheit. Sie liebt ihn, sie will ihn, und sie braucht ihn. Sie braucht ihn so sehr, wie sie ein schlagendes Herz in ihrer Brust braucht, um zu leben, wie sie die Luft zum Atmen braucht, wie eine Pflanze das Sonnenlicht braucht, ohne das sie verkümmert, wie ein Fisch das Wasser braucht, ohne das er nicht existieren kann und jämmerlich zugrunde geht. Er ist ihr Licht, ihr Herzschlag und ihr Atem, und ohne ihn würde ihr ein neuer Tag nicht einmal das Aufstehen wert sein. Beim Gedanken an ihn wird ihr Blick weich und dunkel, aber dann reißt Ninianes höchst zufriedene Stimme sie aus ihren Tagträumen und lässt sie verwirrt blinzeln. >So ist es hübsch. Mehr als hübsch sogar.< Raven ist so in Gedanken versunken gewesen, dass sie nicht einmal mitbekommen hat, was Niniane in der Zwischenzeit mit ihrem Haar gemacht hat. Stattdessen findet sie sich völlig geistesabwesend und in sich zusammengesunken auf einem Hocker in ihrem Schlafgemach wieder - das heißt, so weit man in so einer Kleidung überhaupt in sich zusammensinken kann. Um das in diesem engen Mieder zu schaffen, müsste sie schon ein Schlangenmensch sein und zudem noch mindestens drei paar gebrochene Rippen vorweisen können - was sie zum Glück nicht kann. "Hübsch?" echot sie irritiert, tastet mit den Händen auf ihrem Kopf und an ihrem Haar herum und versucht herauszufinden, was Niniane damit angestellt hat.

Der mühsam geflochtene Zopf ist verschwunden und wo sich sonst immer irgendwelche widerspenstigen Strähnen in alle Himmelsrichtungen davon machen wollen und überall zu finden sind, nur nicht da, wo sie hingehören, fällt alles weich und schwer über ihre Schultern, zusammengehalten von dem hauchfeinen, magischen Gespinst aus Perlen und Halbedelsteinen. Nicht ein Härchen wagt es, sich rebellisch zu sträuben. "Wie hast du das gemacht? Womit hast du ihnen gedroht, dass sie auf einmal so ordentlich beisammen bleiben?" fragt sie verblüfft, aber Niniane klopft ihr nur resolut auf die Finger und behauptet doch tatsächlich, sie würde nur ihre Frisur wieder zerzausen, wenn sie darin herumfummeln würde. "Bist du fertig?" fragt Raven ungeduldig nach und erhebt sich raschelnd, streicht vorsichtig über die schimmernden Rockbahnen, und lässt sich dann von der Waldläuferin begutachten, die sie umkreist wie ein Hai seine Beute. Ihren unergründlichen Blick dabei kann Raven zunächst nicht so recht deuten und ihr wird schon fast ein wenig unbehaglich zumute unter der kritischen Musterung des Goldaugenpaares, doch dann lächelt Niniane breit und mehr als zufrieden. >Götter im Himmel steht dir dieses Rot gut! Du siehst einfach umwerfend aus, Raven. Wirklich... wenn ich ein Mann wäre, müsste ich Caewlin leider fordern. Und vermutlich grausam sterben, aber einerlei. Hast du alles? Dann gehen wir, langsam wird es wirklich Zeit, dass wir hier loskommen!< "Wenn es nach mir gehen würde, dann wären wir ja schon lange unterwegs", meutert Raven schnaubend. "Hättest du mir meine Hosen gelassen, dann wären wir sicher schon fast auf dem Marktplatz." Doch sie protestiert eigentlich nur noch der Form halber und ist im Grunde ihres Herzens heilfroh, dass Niniane sie überredet hat, sich noch einmal umzuziehen. Das Kleid ist wirklich prachtvoll und es fühlt sich einfach fantastisch an, es zu tragen. Aber sie hätte sich lieber die Zunge abgebissen, als das zuzugeben. Aus der Kommode nimmt sie noch ein Jäckchen für Ykenai und dazu ein dickes, weiches Flanelltuch, das sie sich über das bestickte Mieder legen kann, wenn sie die Kleine halten muss. Das Oberteil des Kleides ist so dicht mit Goldfäden, Perlen und spitzen, kleinen Edelsteinsplittern bestickt, dass sie fürchtet, das Baby könnte sich daran weh tun oder etwas davon verschlucken.

Mehr braucht sie im Moment nicht, denn die lederne Tasche, die sie mit Ykenais Utensilien bepackt haben, mit Windeln, Tüchern, Talkumpuder, Öl und einer weichen Unterlage zum Wickeln, steht schon mitnahmebereit unten in der Halle. Und neben ihr zwei erwartungsvoll und inzwischen auch ziemlich ungeduldig dreinschauende, zum Aufbruch gerüstete Nordmänner, Shaerela, Brynden, die beiden Babys in ihren Tragekörbchen, zwei kälbergroße Hunde und ein Gepäckhaufen, der einem Weltreisenden alle Ehre gemacht hätte. Mit kleinen Kindern irgendwohin zu gehen ist schlimmer als der Auszug von den Himmelsinseln, zumindest was die Schlepperei betrifft, kichert Raven bei diesem Anblick in sich hinein, als sie hinter Niniane die breite Treppe hinunterstakst. An die feinen Lederschuhe, die sich so ganz anders anfühlen als ihre alten, abgewetzten Stiefel, muss sie sich erst wieder gewöhnen, und im Moment ist von hoheitsvollem Gang oder würdevollem Ausschreiten noch nicht einmal ansatzweise etwas zu sehen. Immerhin schafft sie es bis an den untersten Treppenabsatz, ohne sich dabei den Hals zu brechen. Caewlin und Cron haben, während sie mit Niniane beim Umziehen war, den Tisch auf der Steinterrasse abgeräumt, das Geschirr in die Küche zurückgebracht, die Terrassentüren versperrt und Brynden und Shaerela davon abgehalten, sich gegenseitig glitschige Schnecken in den Kragen zu stecken, so dass sie sich gleich auf den Weg zum Marktplatz machen können. Der Tag ist strahlend schön und wie gemacht für ein fröhliches Fest, und als sie allesamt das Seehaus durch die vordere Tür verlassen, macht sich nun doch allmählich eine kribbelige, aufgeregte Vorfreude in Raven breit und sie fasst lächelnd nach Caewlins Hand.

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Caewlin am 07. Mai 2006, 19:43 Uhr
Als die beiden Frauen nach oben verschwunden waren, hatten Cron und er selbst den Tisch abgeräumt, die Kinder eingesammelt, alle Schnecken nach draußen und in sicherer Entfernung von Dallas Salatbeeten in die Freiheit entlassen, die Hunde zu sich gerufen und die Taschen zusammengetragen. Dann heißt es Warten. Und sie warten und warten, während von oben nicht der leiseste verräterische Laut nach unten dringt und die Kinder langsam aber sicher quengelig werden - zumindest Brynden und Shaerela, denn die beiden Babys schlafen friedlich in ihren Körbchen. Cron lehnt an einer der holzgeschnitzten Säulen im Durchgang zu Flur und Windfang, hat die Arme vor der Brust verschränkt und erklärt seiner Tochter gerade zum vierten Mal geduldig, dass ihre Mutter und Tante Raven bestimmt gleich herunterkommen würden und sie dann auch aufbrechen könnten. Caewlin schnaubt leise - er kann es der Kleinen nicht verdenken, denn auch er fragt sich inzwischen, wie lange es dauern kann, ein Kleid anzuziehen. Die glänzenden Kostbarkeiten aus Samt und Seide, die Madame Pileh Raven geliefert hatte, kennt er zwar schon, aber er hatte sie bisher nur einmal ganz kurz gesehen, dann waren sie in den Tiefen ihres Schrankes verschwunden. Dass Raven nicht ein Kleid anzieht, sondern alle nacheinander und manche sogar mehrmals probieren und vorführen muss, kann er ja nicht ahnen. Die Schneiderin hatte erst vor wenigen Tagen geliefert, war mit einem ganzen Karren voller Schließkörbe und in weiches Leder eingeschlagener Päckchen bei ihnen erschienen, und hatte Raven mit der Anprobe dann für Stunden in Beschlag genommen, während er nichtsahnend mit Rykar die Koppeln abgeschritten war und Zaunpfähle ausgetauscht hatte. Dass die Gewänder gebracht worden waren, hatte er also erst erfahren, als er zum Abendmahl ins Haus gekommen war, gerade als Madame Pileh sich verabschiedet hatte. Und als Raven heute morgen keine Anstalten gemacht hatte, sich irgendein Festgewand auszusuchen, sondern schlicht in Hosen und Hemd geschlüpft war, hatte er sich gehütet, irgendetwas dazu zu sagen... nicht, dass er sie nicht furchtbar gern in einem dieser Kleider gesehen hätte, aber angesichts der Tatsache, dass sie noch mindestens zwei Siebentage Enthaltsamkeit vor sich haben und ihn der Anblick ihres Hinterns in diesen Hosen schon mehr als genug Selbstbeherrschung kostet, wäre es vielleicht gar nicht einmal so übel, dass er sie nicht auch noch in schimmernder Seide zu Gesicht bekommt...

Das und andere, ähnliche Mahnungen jedenfalls hatte er sich selbst bis vorhin noch fest eingeredet, doch als Niniane, resolut und mitleidlos wie stets, die ganze Angelegenheit unbedarft in die Hände genommen hatte, hatte er sich zu seinem eigenen Erstaunen unerwartet schnell und fügsam in sein Schicksal ergeben. Hmpf. Die Wahrheit ist doch, dass du deine Frau in einem solchen Kleid sehen willst, an einem Tag wie heute erst recht, und wenn du zehnmal weißt, dass es dich umbringt... gib es ruhig zu. Caewlin stopft gerade noch ein Tuch aus dünnem Batist, mit dem sie Ykenais Körbchen abdecken können, in den ansonsten fertig gepackten Lederbeutel, als ihn das Geräusch von leisen Schritten auf der Treppe hinter ihm den Kopf wenden und aufblicken lässt. Es ist jedoch Niniane, die anmutig die Stufen herabschwebt, ein wissendes kleines Lächeln auf den Lippen. Sie nimmt ihre ungeduldige Tochter an die eine und Brynden an die andere Hand und geht mit Cron einstweilen hinaus vor die Tür, doch dafür hat Caewlin keinen Blick mehr übrig, denn im Halbdunkel auf dem Treppenabsatz bewegt sich Raven und tritt langsam ins Licht. Ihr Anblick verschlägt ihm gelinde gesagt die Sprache, doch selbst wenn ihm in diesem Moment irgendetwas eingefallen wäre, er hätte keinen Ton herausgebracht, weil seine Zunge ihm nämlich am Gaumen festklebt. Wenn Niniane blassgold, licht und grün wie ein Frühlingsmorgen erschienen war, folgt ihr Raven so geheimnisvoll, warm und dunkel wie ein Sommernachtstraum. Ihr Kleid ist rot und tiefer dekolletiert, als er gedacht hat - das ist das erste, das ihm auffällt. Entgeistert betrachtet er ihre nackten Schultern, den gewagten Ausschnitt, die Rundung ihrer Brust, dann folgt sein Blick dem bestickten Mieder, das sich um ihre irrwitzig schlanke Taille schmiegt und den glänzenden Röcken aus einem schleierartigen, sich bauschenden Stoff, weich und fest zugleich, und so durchscheinend wie Feenflügel. Er mustert sie einmal von Kopf bis Fuß, dann kehrt sein Blick wie hypnotisiert zu ihrem Gesicht zurück und schärft sich langsam wieder - und in seinen Mundwinkeln zuckt ein halbes Lächeln, als er seine eigene Fassungslosigkeit bemerkt. Ihr Haar ist teilweise aufgesteckt, aber auf eine Art, die ihre Frisur gleichzeitig kunstvoll und vollkommen natürlich wirken lässt, und er sieht den Schmuck, den er ihr geschenkt hat, zwischen den dunklen Flechten glitzern, wenn hier und da ein Lichtstrahl auf einen Golddraht trifft oder in einem Bernstein glüht. Unter dem tiefen Rot der Rubine und dem weichen, matten Glanz der Perlen in den Stickereien von Mieder und Ärmeln schimmert ihre Haut, glänzt ihr Haar noch dunkler und ihre Bernsteinaugen leuchten unergründlicher denn je.

Raven kommt langsam die Treppe herunter, scheu, fast ein wenig unsicher wo Niniane, sich ihres Aussehens und ihrer Wirkung vollkommen bewusst, selbstsicher geschritten war, doch das macht sie nur noch anziehender - sie hat vermutlich keine Ahnung, wie sie in diesem Kleid aussieht, und trotzdem trägt sie es so selbstverständlich und ungekünstelt wie ihre Hosen und ihr einfaches Leinenhemd. Als sie endlich vor ihm steht, findet er tatsächlich seine Sprache wieder - und mit ihr allen Göttern sei Dank auch die Fähigkeit, wieder so etwas wie halbwegs klare Gedanken zu fassen - und das, obwohl er immer noch wie in Trance auf ihren Ausschnitt starrt, wo sich ihre Brust bei jedem Atemzug hebt und senkt. Mit diesem Anblick stürzt allerdings eine Flut widersprüchlichster Gefühle auf ihn ein, von brennender Liebe und wildem Verlangen über glühenden Stolz bis hin zu besitzergreifender Eifersucht, irgendein anderer Mann könnte sie so sehen. Mein, mein, mein, hämmert sein Herz, während die eine Hälfte seines Verstandes sich selbst einen Narren schilt und die andere Hälfte amüsiert wissen will, was ihn eigentlich daran störe, wenn alle Welt sähe, wie hinreißend schön sie sein kann. Er streckt die Hand aus und berührt behutsam eine weiche, lange Haarsträhne die über ihrer Schulter liegt. "Du siehst wunderschön aus min koerlighed... das ist zwar die Untertreibung des Tages, aber mir fällt kein anderes Wort dafür ein."  Götter im Himmel, wunderschön! Etwas besseres fällt dir nicht ein? Sie ist absolut atemberaubend und jetzt steck sie in einen Umhang, einen Mantel, in irgendetwas, am besten in eine azurianische Burka! "Äh... dein roter Schal, wo ist denn der?" Will er wissen, während Raven huldvoll lächelnd an ihm vorbeiraschelt. "Ich meine nur, es könnte ja... hm, kühl werden. Oder warte, nimm besser gleich einen... ahm, einen Umhang mit..."  Er folgt ihr zum Windfang, wo er den unförmigsten, ältesten und schwersten Mantel vom Haken zerrt, den er nur finden kann und ihn ihr auffordernd unter die Nase hält. Sie sieht ihn mit erhobenen Brauen und einem Gesichtsausdruck an, als zweifle sie ernsthaft an seinem Verstand, doch dann schleicht sich ein wissendes Funkeln in ihren Blick und sie lächelt breit, wirft ihm einen vielsagenden Augenaufschlag zu, greift sich Ykenais Tasche, und ist mit einem gekonnten, kleinen Hüftschwung durch die Tür verschwunden. "Oh nein, hier geblieben!" Er schnappt sich das Babykörbchen, klemmt es sich sicher unter den rechten Arm, pfeift die Hunde zu sich und nimmt ihre Hand. "Wenn du dieses Kleid ohne Schal und Umhang anbehältst, dann bewegst du dich keinen Fingerbreit von meiner Seite, Raven." Sein Mund verzieht sich zu einem vagen Lächeln. "Gehen wir."


Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Raven am 21. Juni 2006, 19:49 Uhr
<--- Marktplatz

Die Nacht ist lau und mild, und die Luft schwer vom Duft der Kirsch- und Pflaumenblüten, der Schlüsselblumen und des blühenden Strandhafers, der zwischen den Felsen am Seeufer wächst. Durch das warme Wetter der letzten Tage scheint die Natur förmlich explodiert zu sein und singt nun machtvoll ihr wildes Lied vom Wachsen und Werden. Aus jeder Ecke und jeder Ritze drängt das Grün des Frühlings, als wolle er eilig nachholen, was er durch den langen schweren Winter versäumt hat; junges Gras sprießt zwischen den abgetretenen Pflastersteinen der Seepromenade hervor und die dichten Hecken aus Weißdorn und wilden Rosen zeigen vorwitzig die ersten Knospen. Der Lärm der Inarifeier bleibt allmählich hinter ihnen zurück, nur vereinzelt wehen noch die leisen Klänge der Musikanten und verirrte Wortfetzen durch die Nacht zu ihnen herüber. Hier am Ufer, weit entfernt vom Marktplatz und seinen Feiernden, ist es friedlich und still. Ab und zu hört man vom Strand her leise geflüsterte Worte und gedämpftes Kichern, das Rascheln von Blättern und die unzweideutigen Geräusche einer ausgiebigen und genüsslichen Huldigung Inaris - und all das trägt nicht unbedingt dazu bei, Ravens aufgewühlten Gemütszustand zu besänftigen. Sie versucht krampfhaft, es einfach zu ignorieren, aber bei dieser Geräuschkulisse ist dies ganz und gar unmöglich und sie hätte sich schon Wachs in die Ohren stopfen müssen, um es zu überhören. Es wispert am Ufer entlang, im hohen Gras und im trägen Schwappen der Wellen, es singt in der Luft, flüstert in den Baumkronen, pocht in ihrem Herzen und summt laut und wild in ihrem Blut - und noch an ganz anderen Stellen, über die sie jetzt lieber nicht genauer nachdenken will.

Seufzend heftet sie ihre Augen auf das Pflaster vor sich, auf eine Mauerkrone links des Weges, auf eine lautlos vorbeihuschende Fledermaus, auf die pelzigen Hinterteile der Hunde, die ein Stück voraustrotten, auf irgend etwas, nur, um nicht den Mann an ihrer Seite ansehen zu müssen. Diesen riesenhaften, unverschämt gutaussehenden Mann. Diesen verlockenden, türkisäugigen, überwältigenden, riesenhaften, unverschämt gutaussehenden Mann, dessen Nähe sie völlig um den Verstand bringt und ihre Kehle in ein Dürregebiet von den Ausmaßen der Wüste Hoth verwandelt. Ihr Nacken schmerzt allmählich schon vom angestrengten Nichthinsehen, doch trotz aller Mühe gleiten ihre Blicke immer wieder zu Caewlin, als würden sie von einem Magneten angezogen. Er schlendert neben ihr her, Brynden auf dem Arm, der mit offenem Mund und roten Wangen erschöpft an seiner Halsbeuge vor sich hin schnarcht. Raven beneidet ihn glühend um diesen Platz. Oh, Schattenhaar, du dumme Nuss - geh heim und steck deinen Kopf in einen Kübel Eiswasser. Sie plaudern leise über dies und das, über das Fest, über das halbelbische Großmaul, über Bryndens wilde Geschichten und über ihre Freunde, als Akira, zwei Schritt voraus und schon fast bei der kleinen Strandpforte angelangt, die auf das Seehausanwesen führt, plötzlich mitten in der Bewegung innehält und die Pfoten in den Boden rammt, als würde sie auf einmal Wurzeln schlagen wollen. Sie spannt sich, hebt witternd den Kopf und sträubt ihre Nackenhaare, als aus einem Heckenrosengestrüpp am Wegrand vor ihnen plötzlich merkwürdige Geräusche dringen - ein quallvolles Ächzen, wüstes Geraschel, und dann ein rhythmisches Keuchen, so laut wie das Grunzen sich paarender Wasserbüffel.

Erschrocken weicht Raven einen Schritt zurück, tauscht einen alarmierten Blick mit Caewlin und umklammert die Tragegriffe von Ykenais Weidenkörbchen noch ein wenig fester. "Was, bei allen neun Höllen, ist das?" Ein Mammut? Ein Azurianisches Dreihorn? Ein Höhlenbär bei einem mitternächtlichen Stelldichein? Das ganze Gebüsch bebt und zittert im Gleichtakt zu den Geräuschen, doch bevor sie noch weitere Mutmaßungen anstellen oder Caewlin seine Dolche ziehen kann, liefert ihnen das blühende Rosengestrüpp auch prompt schon die Antwort. Das hohe Gras unter den tiefhängenden Zweigen teilt sich und heraus spazieren zwei völlig ineinander verknäulte Igel. Mit verzücktem, geradezu ekstatischem Gesichtsausdruck plagt sich der schnaufende Igelmann auf dem hinteren Ende der Dame seines Herzens und mit der Erhaltung seiner stachligen Art herum und schiebt sie im Eifer des Gefechts quer über die gepflasterte Promenade, bis sie auf der anderen Seite röhrend in den Brombeerhecken verschwinden. Vollkommen verdattert starren sie den liebestollen Stacheltieren hinterher und der Anblick der beiden gibt Raven vollends den Rest. Ihr bleibt in sprachloser Entrüstung einfach der Mund offen stehen. "Es ist nicht gerecht", schnaubt sie empört und wirft ihrem grinsenden Ehemann einen mehr als kläglichen Blick zu. "Es ist einfach nicht gerecht. Sogar diese lächerlichen Igel haben mehr Liebesleben als wir." Völlig frustriert und erbost über die Ungerechtigkeit der Welt stapft sie hinter Caewlin her die letzten Schritte bis zur Pforte und dann über den sanft ansteigenden Wiesenhang hinauf in Richtung Haus. Die Pferde dösen am Koppelzaun, und Halbmond, in das silbrige Licht der warmen Frühlingsnacht gehüllt, lässt ein leises, dunkles Schnobern hören, als sie mit den Hunden an der Weide vorbeiziehen. Aus den hohen, verglasten Türen zur Halle dringt schwacher Lichtschein, und als sie die Hausecke umrunden, finden sie die Spülküche in eine wahre Festbeleuchtung getaucht und eine wartende Dalla, die nervös von einem Fuß auf den anderen tritt, schon an der Hintertür.

Es stellt sich allerdings schnell heraus, dass die kleine, knubbelnasige Mogbar nicht zu ihrem Empfang an der Küchentür Habachtstellung bezogen hat, sondern weil sie - den geflochtenen Teppichklopfer in greifbarer Nähe - noch immer auf ihr Früchtchen von Sohn wartet, der trotz der späten Stunde noch nicht von der Inarifeier zurückgekehrt ist. Augenrollend scheucht Caewlin die Hunde ins Haus, schiebt Dalla an den Spülsteinen vorbei in die Küche und versichert ihr, dass Pyp bestimmt bald auftauchen würde, wenn er sich genug ausgetobt hätte. Raven löscht die Laternen, schließt die Tür hinter sich, und folgt ihnen in das vom Herdfeuer goldleuchtende Gemäuer der Küche, in der sie auch Bethel noch am Tisch sitzend vorfinden, die verschrumpelte Holzäpfel vom letzten Winter für einen Kuchenteig schält. Der Rest hat sich schon in die Gesindekammern zurückgezogen, und bis auf Pyp, der immer noch abgängig ist, hatten tatsächlich alle den Tag im Haus verbracht, als wäre es eine Art Hochverrat, sich einmal einen freien Tag zu gönnen. Sie halten sich gar nicht mehr lange in der Küche auf, sondern machen sich bald auf den Weg nach oben, um die Kinder endlich ins Bett zu bringen. Brynden befindet sich in einem Zustand hochgradiger Zuckerverkleisterung, hat Sand in den Haaren und Dreck zwischen den Zehen, und wäre eigentlich reif für ein ausgiebiges Vollbad einschließlich Ohrenwaschen und Halsschrubben, aber weder Caewlin noch Raven können sich dazu aufraffen, ihn jetzt noch in die Wanne zu stecken. Außerdem denkt er gar nicht daran, aufzuwachen und den Schlummer der völligen Erschöpfung zu unterbrechen, der ihn übermannt hat, so dass sein Gesicht nur einer flüchtigen Katzenwäsche unterzogen, und er, so wie er ist, in sein Schlafkittelchen gesteckt wird.

Während Caewlin ihn ins Bett packt, trägt sie Ykenais Weidenkorb in das Kinderzimmer und hebt die Kleine vorsichtig heraus, um ihr noch eine frische Windel zu verpassen, bevor sie sie in die Wiege im Schlafgemach legt. Das Baby blinzelt schläfrig in das warme Licht der Kerzen, die Raven neben der Kommode entzündet hat, und gibt leise Maunzlaute wie ein Katzenjunges von sich, aber es ist zu müde, um wirklich wach zu werden. Der Radau und Trubel auf dem Festplatz scheinen ihr doch ein bisschen zugesetzt zu haben. Sie strampelt ein wenig, als Raven die komplizierte Unterleibsverschnürung löst, in die ihr winziges Hinterteil gehüllt ist, aber kaum dass es, gesäubert und mit Talkumpuder bestäubt, in einer frischen Windel verschwunden und Ykenai mit einem weichen Flanellhemdchen angezogen ist, schlummert sie auch schon weiter. "Braves Mädchen. Schlaf ruhig noch ein Stündchen, Futter gibt es erst nachher." Raven nimmt sie hoch, drückt ihr einen Kuss auf das flaumige Haar und wiegt sie sanft, bevor sie die Kerzen auspustet und sie hinüber in das dämmrige Schlafgemach bringt. Caewlin ist gerade dabei, den Gürtel mit den Zwillingsdolchen abzunehmen, als sie leise in das Zimmer tritt. In seinem schwarzen Waffenrock wirkt er so groß, dass er beinahe die Decke zu berühren scheint, und ein einziger Blick in seine Augen reicht, ihr augenblicklich die Zunge am Gaumen kleben zu lassen. "Schläft Brynden?" fragt sie leise und deutet mit einem Nicken in Richtung Nebenzimmer, während sie sacht das Baby in die Wiege bettet. "Sie hier auch. Vollkommen erledigt, alle beide." Sie bemüht sich, ihrer Stimme einen gelassenen Klang zu geben, aber das Flattern darin kann sie nicht verbergen. Die Luft im Zimmer scheint plötzlich vor Spannung so aufgeladen zu sein wie vor einem Gewitter, und es knistert und sprüht Funken, dass sie sich nicht wundern würde, wenn auf einmal der ganze Raum in Flammen aufgehen würde. So ähnlich fühlt es sich auch in ihrem Inneren an, als Caewlin hinter sie tritt, ihr Haar beiseite streicht und ihr Mieder aufzuschnüren beginnt.

Herzklopfende Aufregung erfasst sie und seine Nähe elektrisiert sie bis in die Fingerspitzen, als er Band für Band der Verschnürung aufknüpft. Die Berührung seiner Finger, die sich warm und bebend ihre Wirbelsäule entlang abwärts schieben, lassen sie innerlich schier vergehen. Heilige Götter, nur nicht umdrehen. Und ihn verflixt noch mal ja nicht ansehen, sonst kann ich für absolut gar nichts mehr garantieren. Ich sollte die Flucht ergreifen, so lange ich noch bei klaren Sinnen bin, und zwar möglichst schnell und möglichst weit. Ich sollte schleunigst mein Bettzeug zusammenpacken und in den Keller auswandern. Oder auf den Mond. Und ich muss meine Hände von ihm lassen, um Himmels Willen bloß nicht anfassen... Aber es hilft alles nichts, und als sie sich umdreht, sind in weniger als einem Herzschlag sämtliche Vorsätze beim Teufel, und Verstand und Vernunft verflüchtigen sich schlagartig ins Nirgendwo, als sie im nächsten Moment an seiner Brust klebt und die Finger um seinen Nacken schlingt. Alles in ihr schreit seinen Namen, und ihr Körper sehnt sich so sehr nach seinem, dass es fast weh tut. Ihre Hände fiebern danach, ihn zu berühren, ihre Haut will an seiner brennen, und einen schmerzhaften Atemzug lang berauscht sie sich an diesem Gefühl und gibt sich der trügerischen Illusion hin, sie könnte dem nachgeben. Doch dann taucht die Vernunft wieder aus ihrer Versenkung auf - verdammt, lass mich doch zufrieden - und eine warnende Stimme in ihrem Hinterkopf erinnert sie daran, dass es nicht sein darf, nicht jetzt, und auch nicht in den nächsten Wochen, erinnert sie daran, dass die Wunden, die Ykenais Geburt gerissen hat, noch nicht verheilt sind, dass es zu gefährlich ist und sie sich verflucht noch einmal eben zusammenreißen muss. Schwer atmend presst sie die Stirn an Caewlins Brust, die Kehle wie zugeschnürt und mit einem Feuer in ihrem Inneren, das sie zu verzehren droht. Als sie den Kopf hebt und zu ihm emporblickt, sieht sie in seinen Augen die gleiche Not, die er in ihren lesen kann, und auch, wenn Raven ihrem Hunger nicht nachgeben kann und nicht nachgeben darf, so kann sie doch zumindest seinen stillen. Und sie will bei ihm sein, will ihm nah sein, auch wenn das ihre eigene Not nicht lindern wird. Ihre Hände schlüpfen unter den Waffenrock, unter sein Hemd, berühren zitternd Muskeln und Narben und warme Haut, und drängen ihn sanft zurück, bis sie auf kühle, glatte Laken sinken. Caewlins zwar heldenhafter, aber ziemlich erfolgloser Verteidigungsversuch geht in ihren Küssen unter, und dann ist auch gar keine Zeit mehr für überflüssige Worte oder andere Dinge.

Vollkommen verloren ineinander, wird die Welt um sie herum erst wieder wichtig, als nach einiger Zeit ein leises Maunzen und hungrige Jammerlaute aus der Wiege am Fenster dringen. Schläfrig rollt sich Raven aus Caewlins Arm, und obwohl sie so absolut gar keine Lust hat, das zerwühlte Bett zu verlassen und die herrliche Wärme seines Körpers aufzugeben, versucht sie hektisch, auf die Füße zu krabbeln, bevor Ykenais Wimmern in markerschütterndes Gebrüll umschlägt - was allerhöchstens drei Herzschläge dauert, sollte die junge Dame feststellen, dass sie Hunger hat und keine Milchquelle in erreichbarer Nähe verfügbar ist. "Shhht, schon gut, weck Caewlin nicht auf", wispert sie ihrer Tochter beschwichtigend zu und nimmt sie vorsichtig aus der Wiege. "Gleich gibt's was, wir brauchen nur noch ein bequemes Plätzchen." Der Einfachheit halber nimmt Raven das hungrige Baby kurzerhand mit ins Bett, und es dauert nicht lange, bis leise, zufriedene Schmatzgeräusche hörbar werden. Sie liegt auf der Seite, den Kopf auf ihren angewinkelten Arm gebettet, und während Ykenai trinkt, wandert Ravens Blick vom Flaumhaar ihrer Tochter hinüber zum Gesicht ihres Mannes, das nur wenige Handbreit von ihrem entfernt in den Kissen ruht. Silbrigblaues Mondlicht fängt sich in seinem Haar, das sich offen über Rücken und Schultern fächert, schimmert auf seinen Zügen und malt silberne Muster auf seinen nackten, kraftvollen Körper. Sein Brustkorb hebt und senkt sich ruhig und gleichmäßig, und sein Gesicht ist im Schlaf völlig entspannt. Ravens Finger schleichen sich wie von selbst zu ihm hinüber, berühren seine Wange, auf der sich samtig raue Bartschatten zeigen, streicheln über die tiefe, gezackte Narbe, über sein dunkelglänzendes Haar, das ihm zerzaust in die Stirn hängt, und in ihren Augen liegt ein Lächeln, weich und sehnsüchtig. "Was hast du nur mit mir angestellt, du verrückter Nordmann, dass ich dich so liebe?"

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Raven am 24. Juni 2006, 00:10 Uhr
Mit den warmen frühlingshaften Tagen ist es zunächst einmal vorbei, als der Grünglanz heranrückt und mit ihm frostige Kälte, graue Wolken und eine Dalla, die am Rand einer ausgewachsenen Hysterie steht und damit das ganze Seehaus närrisch macht. In der Wärme des vergangenen Sturmwindmonds und auf einen sich dauerhaft in den Herzlanden einnistenden Frühling hoffend, hatte sie das ganze Regiment an Setzlingen, mit denen sie im Haus sämtliche Fensterbretter und Kaminsimse bepflastert hatte, schon in ihren heiligen Küchengarten hinausgepflanzt. Zu voreilig, wie sich herausstellt, denn der Frühling, der so verheißungsvoll begonnen hatte, zieht ihnen eine lange Nase, macht 'Äätsch' und verkrümelt sich wieder, um spätem Frost Platz zu machen. Doch kampflos will die kleine Mogbarmagd die Schlacht um ihre zarten Tomatenpflänzchen, um Auberginen, Kürbisse, Gurken, Stangenbohnen und Salatpflanzen nicht aufgeben, und mobilisiert alle zur Verfügung stehenden Kräfte, als gelte es, ganz Ildorien vor einer drohenden Hungersnot zu bewahren und die Lebensmittelversorgung künftiger Generationen zu sichern. Stundenlang umkreist sie dieser Tage, händeringend, mit sorgenvollem Blick, gefütterten Stiefeln an den Füßen und bis zur rotleuchtenden Nasenspitze vermummt in warme Wolle, die schnurgeraden Reihen mit Pflänzchen und Stecklingen, als könne sie allein durch ihre Anwesenheit Kenen die Frostmaid daran hindern, über ihre grünen Schützlinge herzufallen. Rykar und Pyp werden zum Stall gescheucht und müssen bergeweise Stroh und dampfenden Pferdemist herankarren, um die Erde damit abzudecken, Bethel wird zur Opferung einer Ladung alter Kartoffelsäcke gezwungen, die über Stöcke gespannt als Windschutz herhalten müssen, und es würde niemanden ernsthaft wundern, wenn Dalla sich mitsamt ihren vielen Unterröcken wie eine überdimensionale Glucke auf den Pflänzchen niederlassen würde, um sie zu bebrüten.

Die Wettergötter haben jedoch ein Einsehen und bewahren die Bewohner des Seehauses glücklicherweise davor, ihre oberste Magd zu einer überbesorgten Bruthenne mutieren zu sehen. Nach einigen Tagen wirklich übler Kälte zu Anfang des Grünglanzes schieben sich von Süden her mildere Luft und Wärme in die Herzlande und vertreiben den Winter endgültig aus dem Land. Das allerdings bringt Dalla nun in schlimme Gewissensnöte und überdies in Zugzwang, denn in der Zeit, in der sie mit ihrer Rettet-die-Pflanzen-Aktion beschäftigt gewesen war, hätte eigentlich der ihrer Meinung nach längst überfällige alljährliche Frühjahrsgroßputz stattfinden müssen. Kaum dass der Mist wieder von den Beeten geschafft ist und die zarten Pflänzchen ihre Blätter ins warme Sonnenlicht recken, zieht sie pflichtbewusst und in aller Eile gegen Staub und Spinnweben ins Feld und treibt die übrigen Bewohner des Hauses damit endgültig in den Wahnsinn. Raven versteht nicht ganz, wozu all diese Geschäftigkeit gut sein soll, denn das Haus ist sowieso immer sauber und gut gepflegt, aber Dalla scheint eine gänzlich andere Auffassung von 'sauber' zu haben und erstickt jeglichen Widerspruch ihrerseits mit derart mörderischen Blicken, dass sie sich allmählich schon wie eine geradezu fahrlässige Schlampe vorkommt. Caewlin, der Dallas periodisch jedes Frühjahr auftretenden Anfälle von Putzwut schon lange kennt, nimmt es mit Gleichmut und einer amüsiert hochgezogenen Braue, und tut das einzig Richtige: er macht sicherheitshalber einen weiten Bogen um das kleine, knubbelnasige Energiebündel, das wie ein Derwisch durch das Haus wirbelt und alle Gemütlichkeit mit geschwungenem Besen und ihrer angeborenen Hartnäckigkeit zur Hintertür hinausfegt. Tagelang krempelt sie das unterste zuoberst, schrubbt und kehrt und putzt und wienert, und hätte nicht jedes Staubkörnchen beim Anblick soviel geballter Reinlichkeitswut schon freiwillig die Flucht ergriffen, die kleine Mogbar hätte es vermutlich allein mit ihrer bloßen Willenskraft hinausexorziert.

Raven kann sich trotz Dallas nervtötender Aktivitäten ein gelegentliches Grinsen doch nicht ganz verkneifen, denn so energisch und geradezu rabiat, wie die Magd sich auf jeden noch so kleinen Schmutzpartikel stürzt, angetan mit ihrer voluminösen Haube, ein kampflustiges Blitzen in den schwarzen Vogelaugen und den Schrubber unter den Arm geklemmt wie eine Turnierlanze, hat sie gewaltige Ähnlichkeit mit einem zu klein geratenen Drachentöter, nur zieht sie nicht gegen übergroße Eidechsen ins Feld, sondern gegen Spinnen, Hausstaub und Kellerasseln. Gesellig wie sie ist, bezieht sie auch ihre ganze Umgebung und jeden, der nicht schnell genug die Flucht ergreifen kann, in den Hausputz mit ein. Runa, Bethel, Pyp, und allen voran sie selbst, sind von früh bis spät damit beschäftigt, Schränke auszuwischen, die Holzdielen zu bohnern, jeden noch so versteckten Winkel auszufegen und Spinnweben abzukehren, den Speicher aufzuräumen, die Vorratskeller zu säubern, Kessel zu schrubben und sämtliche Kamine im Haus zu reinigen, Lampen zu polieren und Fenster auf Hochglanz zu wienern, die schweren Wintervorhänge gegen hauchzarte Musselinschleier zu tauschen, Wäsche zu plätten und Leder zu fetten, die hölzernen Wandverkleidungen mit Bienenwachs zu behandeln und die langen Flure frisch zu weißen. Pyp, das Schlitzohr, wird von seiner gebieterischen Feldherrenmutter wiederholt bei Fluchtversuchen ertappt und daraufhin von ihr zum Schrubben des Abtritts verdonnert - geht es um die Erledigung ihrer und seiner Pflichten, kennt Dalla keine Gnade. Raven versucht zumindest, zu helfen, wo es geht, und räumt gemeinsam mit Bethel die Gewürzschränke in der Küche und die Regale in den Speisekammern aus, sortiert Wäsche und Marmeladentöpfchen, schrubbt den großen Küchenherd, und versucht die Hunde, das rothaarige Katerchen und Brynden davon abzuhalten, in die zahllosen Farbkübel und Putzeimer zu fallen, die überall im Weg herumstehen. Doch einen Gutteil des Tages will sie trotz der vielen Arbeit auch mit ihrem Mann und den Kindern verbringen, so dass sie sich desöfteren stillschweigend aus dem herrschenden Durcheinander im Haus stiehlt und sich mit Brynden an der Hand und Ykenai auf dem Arm zu Caewlin schleicht, der mit Rykars Hilfe die Außenwände des Hühnerstalls kalkt und Pfosten in den Weidezäunen und am Schweinepferch erneuert.

Eigentlich ist sie ganz froh um die Ablenkung, die Dallas hektische Aktivitäten mit sich bringen, weil diese ihre Gedanken, die den ganzen lieben langen Tag beständig um ihren Mann kreisen, wenigstens ab und zu in andere, weniger folterähnliche Bahnen drängen. Es ist schon schlimm genug, was sie aushalten muss, seit Caewlin seine täglichen Waffenübungen wieder ins Freie verlegt hat. Den langen Winter über hatte er sich wegen der Kälte und des hohen Schnees damit meist auf das Innere des Hauses und die leeren Räume beschränken müssen, doch mit den ersten warmen Tages des Jahres hatte es ihn mit Macht wieder nach draußen ins Freie gezogen, wo er nun beinahe jeden Morgen Übungen und Bewegungsabläufe mit dem Morgenstern, mit schweren Äxten oder mit Langdolch und Hirschfänger exerziert. So oft sie Zeit hat, schließt Raven sich ihm an und hat ihre helle Freude und reichlich Spaß an Scheingefechten und Übungskämpfen, die sie zwar in schöner Regelmäßigkeit völlig aus der Puste bringen, die sie aber auch um nichts in der Welt missen mag. Manchmal sitzt sie aber auch nur im Gras und sieht ihm zu, seinen kraftvollen, geschmeidigen Bewegungen, dem Spiel seiner Muskeln, seinen flinken Wendungen und seiner Schnelligkeit, seinem Tanz mit diesen Mordinstrumenten von Waffen, und sie muss zugeben, dass es ein atemberaubender Anblick ist und zweifellos etwas Erregendes hat, ihn kämpfen zu sehen. In ihrer notgedrungenen Zwangsabstinenz grenzt es zwar fast an eine Art Selbstgeißelung, ihm dabei zuzuschauen, aber noch schlimmer wäre es, auch nur einen Herzschlag lang diesen Anblick zu verpassen.

Ykenai, die dabei meistens in ihrem Weidenkorb neben Raven schlummert, hat zwar absolut noch keinen Sinn für derlei Ästhetik, dafür hat Caewlin in Brynden einen begeisterten Zuschauer - und Nachahmer - gefunden. Am Schluss der Übungen quengelt er meist so lange herum, bis sich einer von ihnen lachend opfert und sich den tapsigen Attacken seines noch ziemlich unbeholfen geschwungenen Miniatur-Holzschwertes stellt. Am Rand des blühenden Wiesenhangs hat Raven mit Caewlins Hilfe auch ein halbes Dutzend Strohballen aufgestapelt und eine provisorische Zielscheibe aus einem ausrangierten, mit Kreisen bemalten Bettlaken angeheftet, damit sie auch wieder mit ihrem Bogen üben kann, der seit dem letzten Herbst ein arges Schattendasein in der Waffenkammer fristen musste. Das halbe Jahr fehlender Praxis bezahlt sie anfangs mit wunden Fingern und Armen, die sich anfühlen, als hätte sie stundenlang Bleigewichte herumgeschleppt, aber sie beißt die Zähne zusammen und nach einigen Tagen harter Übung beginnt sich ihr Körper langsam wieder daran zu gewöhnen. Viel Gelegenheit zum Üben bleibt wegen dem Baby allerdings nicht, und auch wenn Ykenai den Großteil des Tages noch verschläft, beansprucht die Kleine jede Menge Zeit. Sie wächst und gedeiht prächtig und jeden Tag wird sie mehr zu einer kleinen, eigenständigen Persönlichkeit, die allmählich die Welt um sich herum zu entdecken beginnt. Dass der kleine Wonneproppen aber nicht nur Freude macht, sondern auch Sorgen bereiten kann, muss Raven jedoch eher feststellen, als ihr lieb ist. Als Ykenai gute sechs Wochen alt ist, legt sie einen immensen Wachstumsschub vor und auf einmal derart gewaltigen Hunger an den Tag, dass die Milch einfach nicht mehr reicht, sie sattzubekommen. Ihr Appetit scheint sich über Nacht verdoppelt zu haben - das Nahrungsangebot hingegen leider nicht.

Kaum eine Stunde nach dem Stillen plärrt sie schon nach der nächsten Mahlzeit und nach zwei nervenaufreibenden Tagen und Nächten weitet sich ihr Gejammer zu fortwährendem ohrenbetäubendem Gebrüll. Egal wie oft Raven sie auch anlegt, sie scheint einfach immer Hunger zu haben und nie richtig satt zu werden, und allmählich überkommt sie schiere Verzweiflung, weil sie einfach nicht mehr weiß, was sie noch tun soll. Ykenais Jammern und ihr markerschütterndes Geschrei zerrt an ihren Nerven und an Nachtruhe ist überhaupt nicht mehr zu denken, weder für sie, noch für den Rest des Hauses, der sich nur noch mittels verpfropfter Ohren in den Schlaf retten kann. Nach drei Tagen Dauergeschrei steuert Raven wie ein übernächtigter Zombie durch die Gegend, schläft beim Frühstück über ihre Haferbreischüssel gebeugt auf der Küchenbank ein und kann sich kaum noch auf den Beinen halten. Dalla und Bethel sparen nicht mit guten Ratschlägen und füllen sie zudem erbarmungslos mit einem Teegebräu aus Eisenkraut, Brennessel und allen möglichen anderen abscheulich schmeckenden Kräutern ab, das die Milchbildung ankurbeln soll. Dalla, die selbst genug Kinder großgezogen hat, meint, es würde sich von selbst wieder einrenken, und falls nicht, könne sie immer noch eine Amme für das Kind besorgen - ein Vorschlag, der Raven sprachlos die Kinnlade auf die Brust sinken und sie die Mogbar empört anfunkeln lässt. Nur über meine Leiche, grollt sie innerlich. Ich kann meine Kinder selbst ernähren. Den Gedanken will sie noch nicht einmal ansatzweise weiterdenken, aber dann ist es zum Glück auch nicht mehr nötig, denn Mutter Natur hat ein Einsehen und regelt Angebot und Nachfrage von selbst. Über Nacht ist wieder genug Milch da, Ykenais Hunger zu stillen, und beinahe augenblicklich legt sich auch das Geplärre wieder.

Für die anstrengenden, schlaflosen Tage werden sie von ihrer Tochter allerdings auch reichlich entschädigt. Jeden Tag ist sie nun ein wenig länger wach, beobachtet aufmerksam, was um sie herum vorgeht, und manchmal kann man ihr direkt ansehen, dass sie den plaudernden Stimmen lauscht, die sie um sie herumschwirren. Ihre Augen haben den trüben Schleier der Neugeborenen längst verloren und unter den dichten Wimpern ein intensives, leuchtendes Grünblau angenommen, das jeden in seinen Bann schlägt - ohne Zweifel die Augen ihres Vaters. Raven nimmt sie so oft es geht mit hinaus ins Freie und in den Garten, und jetzt nach der Mitte des Grünglanzmondes sind auch die Abende schon mild und warm, so dass sie oft bis zum Sonnenuntergang draußen bleiben, um im Küchengarten zu arbeiten oder die Pferde auf den Koppeln zu besuchen. Oft beginnt Ykenai auch wild zu strampeln, wenn sie jemanden auf sich zukommen sieht, den sie kennt - so auch jetzt, als Raven mit ihr auf dem Arm eines frühen Abends an der Tür zur Spülküche steht und auf Caewlin wartet, der vom Stall her zu ihnen herüberkommt. Bei seinem Anblick werden die Augen des Babys groß wie Silbermünzen und es gibt ein begeistertes Quietschen von sich, als er sich über seine Tochter beugt und sie angrinst. Sie rudert wild mit ihren pummeligen Ärmchen, und dann passiert etwas in ihrem Gesicht, das Ravens Herz einen glücklichen Hüpfer machen lässt. Ykenai mustert Caewlin aufmerksam und auf ihren Wangen zeigt sich ein Paar winziger Grübchen, ihre Augen beginnen vergnügt zu strahlen und dann schenkt sie ihm das allererste Lächeln ihres Lebens - ein nasses, rosanes, zahnloses Lächeln, und ihr ganzes, winziges Gesichtchen leuchtet dabei wie ein Topf voll Gold.

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Caewlin am 09. Juli 2006, 03:20 Uhr
Von Grünglanz bis Sonnenthron


Als Caewlin über den gewundenen Saumpfad entlang der Koppeln und Weiden und unter den Obstbäumen hindurch vom Stall zum Haus herabkommt, ist er schmutzig, zerzaust und stinkt nach Mist, Schweiß und Schaf - und ein wenig auch nach Blut und Fruchtwasser. Die Lammzeit hatte spät eingesetzt dieses Jahr - und zwar bei allen des knappen Dutzends ihrer kostbaren, seidenwolligen Leadhaschafe, doch alles war gut gegangen: neun gesunde Lämmer waren im letzten Siebentag zur Welt gekommen, und nur ein Jungtier hatte die erste Nacht nicht überlebt. Raven wartet auf ihn im Küchengarten, er kann sie zwischen den Tomatenstöcken und den Zucchinipflänzchen hin und herwandern sehen, Ykenai auf dem Arm und die offene Spülküchentür im Rücken, hinter der Beth schon eifrig mit den Vorbereitungen des Nachtmahl herumklappert. Von Brynden fehlt weit und breit jede Spur, aber vermutlich steckt sein naseweiser Sohn wieder irgendwo mit Pyp und heckt mit dem Mogbarlümmel schon den nächsten Unsinn aus... dass die beiden nicht einmal eine Handspanne Größe, aber dafür zehn Jahre Altersunterschied trennen, scheint ihnen dabei nicht das Geringste auszumachen. Brynden hatte nämlich im Lauf der letzten Wochen beschlossen, dreieinhalb halbwegs zahme Kinderjahre wären wirklich genug, er sei jetzt ein großer Junge - und war übergangslos ins Flegelalter marschiert, sehr zur Erheiterung Caewlins und Rykars, und sehr zum Missfallen der Frauen. Jetzt ist er nämlich - übt er nicht verbissen mit seinem Holzschwert und den gewaltigen, gedrehten Hörnern des grauen Widders als Gegner Fechten -, pausenlos damit beschäftigt, zusammen mit Pyp eine Narretei nach der anderen anzustellen. Angefangen von Kröten im Milcheimer, dem Stehlen eines ganzen Rhabarberkuchens aus der Vorratskammer und Maikäfern in Dallas schöner Shentagshaube, bis hin zum Abfüllen der schwarzen Sau samt ihrer elf dicken Ferkel mit Bethels selbstgebrautem Bier vom letzten Jahr kommen die beiden Jungen dabei über alles. Nur bei letzterem war Caewlin wirklich ernsthaft böse geworden und den Jungen war der Spaß daraufhin gründlich vergangen - die mordlüsterne Sau war so schon gefährlich genug, bierberauscht jedoch war sie der reinste Alptraum, und er hatte ihnen ohnehin ausdrücklich verboten, auch nur in ihre Nähe zu gehen. Entsprechend harsch war seine Strafpredigt ausgefallen. Brynden hatte einen gewaltigen Klaps auf den Allerwertesten, und Pyp einen Satz handfester Maulschellen einstecken müssen, und anschließend hatte er sie hoch und heilig schwören lassen, nie wieder Unfug mit irgendetwas im Stall oben zu treiben. Die beiden Tunichtgute waren drei Tage lang mit hängenden Köpfen und schuldbewussten Mienen herumgeschlichen, fügsam wie Lämmchen - nur hatte das schlechte Gewissen leider nicht lange vorgehalten.

"Ich bin schmutzig und ich stinke," warnt er, als Raven zwischen säuberlich geharkten Salatbeeten und Feuerbohnen an hohen Stangen auf ihn zukommt, doch weder sie, noch Ykenai lassen sich davon abschrecken. "Die letzten Lämmer sind endlich da, Zwillinge, aber dick wie kleine Butterfäßchen." Er küsst seine Frau auf die Stirn, sieht dann auf seine begeistert strampelnde Tochter in Ravens Armbeuge hinab, und erstarrt augenblicklich zur Salzsäule. Ykenai hatte ihn für einen Moment lang fast prüfend angesehen, die kleine Stirn hochkonzentriert in nachdenkliche Fältchen gelegt, als versuche sie, eine Entscheidung zu treffen - jetzt quietscht sie begeistert, strahlt ihm mit ihren Grübchen entgegen und bricht prompt in ein umwerfendes Lächeln aus. "Götter im Himmel..." murmelt er fassungslos und kann gar nicht anders, als zurückzugrinsen. "Gib sie mir, min koerlighed." Vergessen ist jeder Stallgeruch. Er würde ohnehin ein Bad brauchen, da kann er die Kleine auch mitnehmen, wenn sie ebenfalls gleich nach Schaf und Mist stinken sollte. Ykenai wechselt von ihrer Mutter zu ihm und Caewlin legt sie an seine Schulter. "Hast du das gesehen?" Echot er, noch immer eine gewisse Fassungslosigkeit in der Stimme. "Sie lächelt!" Raven bedenkt ihn mit einem jener typisch weiblichen Blicke nachsichtigen Langmuts über väterliche Vernarrtheiten, aber auch in ihren Augen leuchtet es. Caewlin kann sich weder an dem winzigen Gesicht, noch an diesem lachenden, kleinen Mund oder den Grübchen in den runden Babywangen sattsehen, und starrt seine Tochter unverwandt an, so lange, bis das zahnlose Lächeln sich zu einem herzhaften Gähnen auswächst und Ykenai sich mit den Fäustchen über Nase und Augen reibt. "Gleich, min lilla. Erst wird gegessen und gebadet." Er schiebt sie auf seiner Schulter ein wenig nach oben und klopft den kleinen Rücken, dann sieht er Raven an. "Lass uns hineingehen, min koerlighed. Ich brauche ein Bad und etwas zwischen die Zähne. Wie ging es heute mit ihr? Gut?" Raven nickt und er lächelt erleichtert auf sie hinunter - der letzte Siebentag mit Ykenai war leider alles andere als friedlich verlaufen. Sie hatte nach mehr Milch geschrien und geschrien, bis sowohl das gesamte Gesinde, als auch Brynden und sie beide, und irgendwann sogar die Hunde, mit übernächtigten Gesichtern und vollkommen erledigt von steinerweichend durchdringendem Babygebrüll im Haus herumgeschlichen waren. Niemand hatte Ykenai helfen können, nicht einmal mehr Raven, die sie angelegt hatte, sooft sie geweint hatte - was praktisch dauernd der Fall gewesen war. Irgendwann war Caewlin nahe daran, seine Tochter in ihrer Not zu Niniane oder Azra zu bringen, damit sie sich wenigstens einmal satt trinken könnte und seine Frau immerhin ein paar Stunden Schlaf am Stück bekommen hätte, doch Raven hatte abgewehrt. Dass sie keine Amme für Ykenai will, kann er gut verstehen, ihm würde diese Vorstellung auch nicht sonderlich schmecken, doch der Kleinen bei ihrem jämmerlichen Hungergeschrei zuhören zu müssen, hatte ihn völlig zermürbt. Allen Göttern sei Dank hatte Raven jedoch bald wieder genug Milch für die Kleine gehabt, und seither hat Ykenai auch nicht einmal mehr ihr Stimmchen erhoben. Ja, vermutlich ist sie jetzt auch heiser...

In Ravens Gesicht haben die letzten Tage jedenfalls ihre Spuren hinterlassen - sie sieht immer noch ein wenig mitgenommen aus, ist zu blass und hat Schatten unter den Augen. "Ist sie satt? Gut, dann nehme ich den kleinen Plagegeist mit ins Bad und mache sie für die Nacht zurecht, wenn wir gegessen haben, aye? Dann hast du mindestens drei Stunden für dich, min koerlighed, ehe sie wieder Hunger hat. Was hälst du davon?" Viel, wie sich herausstellt. Nach dem Nachtmahl, wo Ykenai ihre neuentdeckte Fähigkeit zu grinsen wie ein Honigkuchenpferd zur Freude des Gesindes an jedem bekannten Gesicht erprobt, das ihr vor das kleine Näschen kommt, kümmert sich Caewlin um die Kinder, während Raven eine wohlverdiente Auszeit nimmt, sich die Hunde schnappt und an den Strand hinunter verschwindet. In dieser Nacht ist Ykenai sogar gnädig - sie wirft ihn und ihre arme Mutter nur zweimal aus dem Bett. Auch in den folgenden Wochen schläft sie nachts schon immer ein wenig länger am Stück, so dass sie gegen Ende des Grünglanzmondes bereits fast wieder so etwas wie durchgehende Nachtruhe haben... abgesehen von der Tatsache vielleicht, dass Caewlins Nächte, was ihn ganz persönlich anbelangt, nach wie vor alles andere als ruhig sind. Das ist jedoch keineswegs Ykenais Schuld, sondern die des verflixten Frauenzimmers, das er sein Eigen nennt, und das nichts besseres zu tun hat, als sich Nacht für Nacht splitterfasernackt oder bestenfalls in hauchdünnen Seidenbatist gehüllt an ihn zu drängen, sich gemütlich an seine Seite zu kuscheln, den Kopf an seine Schulter zu betten, und dann dort zu einzuschlafen. Jedesmal, wenn er sich auch nur umdreht, landet er also prompt auf einem mittlerweile ziemlich empörten Körperteil, das eindeutig vorhat, überhaupt keine Ruhe mehr zu geben und ihn vollends zu Grunde zu richten. Er behält trotzdem seine Finger bei sich, lobt sich dafür als willensstark und gewissenhaft, und ist zum allerersten Mal in seinem Leben der erheiternden Meinung, dass man ihn für vollbrachte Taten (oder besser gesagt das Unterlassen gewisser Taten) glatt zum Ritter schlagen müsste. Mit den letzten Tagen des Mejemånad, des Grünglanz, geht dann endlich die lang erduldete Enthaltsamkeit, die Niniane ihnen nach Ykenais Geburt verordnet hatte, vorüber. Acht lange Wochen und sie hatten es überstanden, wenn auch zähneknirschend, obwohl Caewlin sich schon nach ein paar Tagen gefühlt hatte, wie in der Zeit vor ihrer Hochzeit, krank vor Sehnsucht und blind vor Verlangen. Wie damals war Raven jede Nacht neben ihm gelegen, so nahe und doch unerreichbar - nur dass sie jetzt oft ebenso wach und ruhelos gewesen war, wie er selbst, und er ein Echo seiner Gefühle in ihren Augen hatte sehen können, wenn sie sich über Ykenais dunkelflaumigen Kopf hinweg angestarrt hatten wie zwei halbverdurstete Wüstenwanderer eine ferne Oase. Sie hatten sich an Ninianes Weisung gehalten und waren enthaltsam geblieben... aber sie hatten sich nicht völlig gemieden. Es hatte Worte und Blicke, Küsse und Berührungen gegeben. Hin und wieder, wenn sie beide über den Rand des Erträglichen hinausgestolpert waren, auch sehr viel mehr als nur das, auch wenn sie das endgültig in den Wahnsinn getrieben und die ganze Angelegenheit eher noch verschlimmert hatte. Hmmmpf!

Mit einer verworrenen Mischung aus brennender Zärtlichkeit, selbstsüchtigem Verlangen, leisen Gewissensbissen und einem dunklen, halben Lächeln erinnert er sich an die Inarinacht. Sie hatte all seine protestierenden Einwände einfach fortgeküsst, und wo sein Mund noch von Enthaltsamkeit gepredigt hatte, war der Rest von ihm schon eilfertig mit Kapitulationsverhandlungen beschäftigt gewesen. Gut, er hatte zugegebenermaßen auch zur ziemlich halbherzig versucht, ihr Einhalt zu gebieten, weil es ihm einfach nicht recht erschienen war, ihr nichts dafür geben zu können, aber er hatte ihr ausführliche Rache geschworen - und dass sie wochenlang nicht mehr würde sitzen können, sobald diese Folter vorüber wäre. Raven hatte nur gelacht und erwidert, sie würde ihn beim Wort nehmen, wenn es so weit wäre. Jetzt ist es soweit, und prompt verschwören sich an diesem Tag das Schicksal, die Götter und sämtliche guten Geister Rohas gegen sie. Zwischen Sonnenauf- und Sonnenuntergang bekommen sie nicht einmal den Hauch einer Chance auf wenigstens eine Viertelstunde Zweisamkeit und alle, aber auch alle Versuche, die sie in dieser Richtung unternehmen sind gnadenlos zum Scheitern verurteilt. Es beginnt alles damit, dass Ykenai an diesem Morgen nicht wie sonst nach der ersten Mahlzeit im Bett irgendwann kurz vor Sonnenaufgang noch einmal einschläft, sondern wachbleibt und qietschend zwischen ihnen auf den Kissen herumstrampelt. Kaum gibt die Kleine wieder soviel Ruhe, dass man es wagen könnte, sie in ihre Wiege zu legen, und sich dann einander zuzuwenden, steht Brynden im Türrahmen, er sei wach und habe jetzt Hunger, und die Hunde streichen auch schon erwartungsvoll hechelnd um das Bett herum, und geben unruhig zu verstehen, dass sie möglichst bald nach draußen müssen. Und als wäre das alles noch nicht genug an Verschwörungen finsterer Mächte, stellt sich auch noch heraus, dass Dalla ihren fünfzigsten Namenstag hat - und sie beide offenbar so miteinander und den Kindern beschäftigt waren, dass diese Tatsache zu ihrer Schande völlig an ihnen vorübergegangen war. Sie merken erst, was die Stunde geschlagen hat, als sie zum Morgenmahl in die Küche herabkommen und plötzlich dem Gesinde im Shentagsstaat, einem festlich gedeckten Tisch, einem wahren Ungeheuer von Erdbeerkuchen, einem beeindruckenden Geschenkestapel und einer ihnen erwartungsvoll entgegenblinzelnden Mogbarmagd gegenüberstehen. Caewlin, in solchen Dingen weit weniger geistesgegenwärtig als seine Frau, wird nur von Ravens dezent auf seinem platzierten Fuß davon abgehalten, eine wenig hilfreiche Frage wie "Was bei allen Neun Höllen ist denn hier los?" oder, noch lebensmüder, "Was gibt es denn zu feiern?" zu stellen. Raven rettet ihn, indem sie ihr strahlendstes Lächeln hervorzaubert, auf die Mogbar zuschwebt, die Arme ausbreitet und Dalla fest umarmt, was glatt drei Rührungstränchen hervorruft. Dann drückt sie ihr Ykenai in die Arme, schiebt Brynden nach vorn, der ebenfalls gratulieren soll, und überschüttet die resolute Oberste Magd mit einem Schwall von Glückwünschen: Alles Liebe und Gute, stets beste Gesundheit und viel Glück, ein langes Leben und sie solle nur so bleiben, wie sie ist. Irgendwann lässt sich die Tatsache, dass sie mit leeren Händen dastehen jedoch nicht mehr übergehen. "Unser Geschenk? Ja, nun wir..." Raven wendet den Kopf, sucht seinen Blick und schafft es sogar, das Ganze irgendwie gewollt aussehen zu lassen. Oh, verdammt... ein Geschenk... Im Geiste sieht er Dalla schon mit wehenden Locken und geschürzten Röcken aus dem Haus rauschen und nie wiederkehren.

"Wir äh..." Götterverdammt. "Wir dachten, wir schenken dir..." Dreimalgötterverdammt... "Nun, wir haben uns ein ganz besonderes Geschenk für dich ausgedacht," erwidert er, in der Not erfinderisch geworden. "Wir feiern. Dich. Ich meine, wir schenken dir eine Feier." Verständnislose Blicke sind das einzige, was er erntet, während seine Gedanken noch im Zickzack rasen und er nach den richtigen Worten sucht. "Eine große Feier, schließlich ist es dein..." Verflucht, wie alt wird Dalla nur? Ach, ganz gleich. "Dein äh... Namenstag, aye? Wir haben uns gedacht, wir spendieren eine richtige Feier, mit einem Festessen, Bier und Wein und du lädst all deine Verwandten ein, um mit dir hier zu... mmpf!" Weiter kommt er nicht, denn die kleine, dralle Mogbarmagd kreischt auf wie eine Banshee und klebt im nächsten Moment auch schon stammelnd vor Rührung an seinen Knien. Über ihre heftig nickende Haube hinweg tauscht er einen verzweifelten Blick mit Raven, dann heißt es improvisieren. Nach dem Morgenmahl reden sie sich also damit heraus, noch jede Menge zu tun zu haben, Dalla solle nur schön die Füße hochlegen, sie würden sich um alles kümmern, und rasen los. Es ist nicht einmal gelogen, denn es gilt, in Windeseile Dallas vielköpfige Verwandschaft im Mogbarviertel ausfindig zu machen und einzuladen, zwei Schweine zu schlachten, Unmengen von Brot und Teigfladen heranzuschaffen, noch ein paar Kuchen zu backen, ein paar Fässer Bier zu organisieren, einen provisorischen Festplatz auf der ebenen Wiese zwischen Räucherhaus und Obstbäumen zu errichten, ein paar Strohballen als Sitzgelegenheiten rundherum aufzustapeln, eine Feuergrube zu schüren, die Spanferkel zu braten, Geschirr, Besteck und Becher in ausreichenden Mengen aufzutreiben, Laternen aus buntem Seidenpapier in die tiefhängenden Äste von Kirsch- und Apfelbäumen zu hängen und derlei mehr. Caewlin wird Zeit seines Lebens nicht zu sagen wissen, wie sie das an diesem Tag in den wenigen Stunden, die ihnen dafür bleiben, eigentlich alles schaffen, aber es gelingt ihnen. Als gegen Abend die ersten Gäste das Anwesen betreten, eine buntgekleidete Schar vergnügter Mogbars jeden Alters, neun an der Zahl (und dabei ist das nur eine von Dallas Schwestern mit ihrem Anhang, die anderen sieben, ihre vier Brüder, ihre Onkel, Tanten, Neffen, Nichten und die unüberschaubare Zahl von deren Nachkommen stehen noch aus), ist tatsächlich mehr oder weniger alles bereit. Die Spanferkel brutzeln in ihren Betten aus Zwiebeln und Gemüse in großen Bratreinen über roter Glut, in der guten Gesellschaft einiger Forellen, die Raven in aller Eile noch aus dem See geholt hat, und flankiert von ein paar Hühnern, die ebenfalls daran glauben mussten. Bethel hatte es irgendwie zustande gebracht, noch ein halbes Dutzend Kuchen zu backen, und Pyp hatte in weiser Vorraussicht all seine Tanten und Basen gebeten, doch "eine Kleinigkeit" mitzubringen. Als die ersten Sterne aufblinken und der süße Geruch sommerwarmer Erde und frischen Grases mit dem Abendwind in die Stadt weht, biegen sich die aufgestellten Tische folglich unter einem Sammelsurium verschiedenster Köstlichkeiten: Kuchen, Grütze, Brot, ungefüllte und gefüllte Pfannkuchen, Maisküchlein, Gebäck, Honigfinger und so fort. Es haben sich nicht weniger als vierundsiebzig Seelen auf der Wiese vor dem Stall und unter den Obstbäumen versammelt, davon zweiundzwanzig Kinder jeden Alters und vier steinalte Urgroßmütterlein, verschrumpelt wie Winteräpfel.

Trotz der ganzen Eile und des etwas unorthodoxen Entstehens dieser Feier, wird es jedoch ein wirklich schöner Abend, wenn Caewlin auch hin und wieder das Gefühl hat, in einem wimmelnden Ameisenstock gelandet zu sein, da ihm das versammelte Mogbarvolk allerhöchstens bis zum Gürtel reicht, die kleineren Kinder nicht einmal bis zu den Knien, und er sich die ganze Meute eigentlich auf dem Mond wünscht, um mit seiner Frau allein zu sein. Dallas Verwandschaft ahnt nichts von seinen Gedanken und stört sich auch nicht an der Größe der anwesenden Menschen, sondern ergreift die Gelegenheit beim Schopf und feiert was das Zeug hält. Angesichts der schnatternden Mogbarströme, die sich in kleinen Gruppen um das Feuer sammeln, alle durcheinanderreden, sich lachend in den Armen liegen, Basen, Onkel und Tanten begrüßen, als hätten sie sich seit Jahren nicht mehr gesehen und des allgemeinen heiligen Chaos, hegt Caewlin kurzfristig Hoffnungen, sich vielleicht unbemerkt Raven schnappen und mit ihr verschwinden zu können, doch Dalla unterbindet zielsicher jeden Versuch in diese Richtung, zerrt sie beide in den Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit, und stellt sie mit Begeisterung der versammelten Sippschaft vor. "M'lord, M'lady," hebt sie an, holt tief Luft und rasselt dann in atemberaubender Geschwindigkeit Dutzende von Namen, Verwandschaftsgraden und Familienverhältnisse hervor, die sich weder Raven noch er selbst auch nur im Ansatz merken können. "Onkel Jaym, Tante Fion, das ist meine Urgroßtante Morn, sie ist hundertundvier, aber rüstig, seht Ihr? Und hier haben wir Don, Mon, Orn, Ern, Tim, Tom, Thobald und Thymen, alles Vettern, guter Stall, von meinem Bruder Drust." Der Vetternreigen verbeugt sich artig und drängelt dann weiter, während Dalla emsig fortfährt: "Herrje und da ist ja endlich Ronnie, komm her, sag Guten Tag, Ron. Mein Lieblingsneffe, M'lady, wisst Ihr? Himmelgötter, wie siehst du denn wieder aus? Da, deine Hemdbrust ist ja ganz fleckig, wo ist deine Mutter... oh, hallo Rosie, meine jüngste Schwester, und sie hat das Baby dabei, wie schön, wie schön, kommt ans Feuer, aber zieh deinen Ältesten um, Rose, er ist schon ganz grün. Wie schön, dass ihr kommen konntet, Tante Mayen und Tolman, mein Bruder - wo ist deine Frau? Was, krank mit Grippe zu Hause? Aber die Kinder hast du schon... ah, da sind sie ja: Ela, ein hübsches Mädchen, nicht wahr? Wär genau das Richtige für Pyp, eine Schande, dass sie zu nahe verwandt sind. Und Sara, Primela, Robinia, Briga, Flora und der kleine Distel, geht schön spielen, Kinder - aber lasst ja die Finger vom Punsch..." Der Mogbarstrom reißt nicht ab und Caewlin tastet hinter Dallas Rücken hilfesuchend nach Ravens Hand. Seine Frau ist ohnehin längst von einer Traube neugieriger Mogbarmütter und junger Mädchen umringt, die alle einen Blick auf Ykenai in ihrem Arm werfen wollen, mit gespitzten Lippen gurrende Bewunderungslaute von sich geben, die eigene Brut mit dem menschlichen Kind vergleichen und die arme Raven unbedarft in blutrünstige Fachsimpeleien rund um Schwangerschaften, Gebären und Kindbett verstricken. Nach und nach hat Dalla dann irgendwann doch alle gebührend willkommen geheißen, strategisch günstig postiert und zum Essen geschickt, und es bilden sich lange Schlangen um die Bratroste und Spieße am Feuer. Bethel, ganz in ihrem Element, übernimmt das Verteilen des Fleisches, während Runa und ein paar rasch rekrutierte Mogbarmädchen Krüge voller Most, Apfelwein und Bier aus dem Kühlhaus holen.


Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Caewlin am 09. Juli 2006, 04:03 Uhr
Eine Stunde nach dem Essen breitet sich Feierstimmung aus, und Caewlin findet sich auf einem Strohballen sitzend wieder, flankiert von zwei Kindern. Raven hatte zwischendurch Ykenai gestillt und sie dann ihm überlassen, und jetzt schläft die Kleine in ihrem Körbchen neben ihm, ungeachtet des ganzen Trubels um sie her. Brynden sitzt an seiner anderen Seite, in der einen Hand eine fettriefende Wurst, in der anderen eine Zuckerstange, die Füße zappelnd vor Aufregung, weil Raven und Rykar in der Zwischenzeit von knapp zwei Dutzend Kindern jeden Alters mit Kulleraugen und flehenden Mienen genötigt wurden, das Puppentheater aufzubauen und eine Vorstellung zum Besten zu geben. Während Raven also gerade quakend die geschnitzte Handpuppe des Krötenkönigs mit seiner winzigen, gelben Krone herumhüpfen lässt, und Rykar mit Fistelstimme voll mühsam unterdrückter Erheiterung als Feenprinzessin behauptet, nie und nimmer habe er geschworen, den hässlichen Kröterich zu heiraten, folgen die Kinder mit riesengroßen Augen den Geschehnissen und auch die meisten Erwachsenen klatschen grinsend Beifall. Überall wird leise getuschelt und gelacht, und der ein oder andere Mogbar pirscht sich bereits an die Fässer mit etwas Kräftigerem als Bethels Apfelwein heran. Caewlin lässt seinen Blick schweifen, bemerkt, dass die Mogbars fast alle Bier oder Cider trinken, nimmt einen Schluck aus seinem eigenen Becher und gibt den Zechern in Gedanken noch eine Stunde, ehe sie umfallen würden wie die Fliegen - Bethels Apfelwein mag harmlos aussehen und süß schmecken, doch er hat es in sich. Was er nicht weiß, ist, dass Mogbars was ihre Trinkfestigkeit angeht irgendwie mit Gnomen verwandt sein müssen. Pyp, der schon den ganzen Abend eifrige Kuppelversuche seiner Mutter ertragen musste, gesellt sich zu ihm und lässt sich zu seinen Füßen ins Gras plumpsen, wohl um damit seiner aufdringlichen Verehrerinnenschar - allesamt dralle Cousinen -, für ein Weilchen zu entkommen, und Brynden rutscht vom Strohballen und setzt sich kameradschaftlich neben ihn. Caewlin betrachtet die beiden Jungen, wie sie ihre Köpfe, der eine dunkel, der andere silbrig, vertraulich zusammenstecken und leise kichern. Noch hält sie die improvisierte Theatervorstellung in ihrem Bann, doch wenn Sire Kröterich endlich zum Prinzen geworden war, würden sie sich vermutlich wieder auf und davonmachen. "Pyp, du passt auf Brynden auf, verstanden?" Raunt er. "Und hör auf, den Cider so in dich hineinzuschütten, sonst zieht dir deine Mutter morgen das Fell über die Ohren!" Pyp grinst nur, aber er besitzt wenigstens den Anstand, schuldbewusst den Kopf zwischen die Schulterblätter zu ziehen. "Oder du bist mit einer deiner Cousinen verheiratet." Das wirkt - Pyps Gesicht wird bleich vor Schreck, dann schüttelt er wild den Kopf und schiebt seufzend seinen Krug von sich. Runa raschelt vorbei und füllt Caewlins eigenen Becher nach, als plötzlich Gelächter ringsum aufbrandet und Raven prustend hinter der buntbemalten Holzbühne auftaucht. Ihre Wangen sind gerötet und ihr Haar noch ganz zerzaust, ein seidiges Gewirr feiner, dunkler Strähnen, die sich aus ihrem dicken Zopf gelöst haben und jetzt ihr Gesicht umspielen. Ihre Augen strahlen, glänzen golden im Licht des Feuers, als sie sich lachend vor ihrem hingerissenen Publikum verbeugt, auch wenn sie ein wenig verlegen dabei aussieht.

Sie hatte keine Zeit gehabt, sich umzuziehen, seit sie am Morgen fluchtartig die Küche verlassen und sich um Dallas Feier gekümmert hatten - ihr Haar ist ein wirres Durcheinander, sie trägt grasfleckige Hosen, ein zerknittertes Hemd und hat einen Fahrer Ruß auf der linken Wange... und ihr Anblick erfüllt ihn wie immer mit grenzenlosem Staunen. Das tut er stets, ganz gleich, was sie trägt, ob sie frisch gebadet oder staubverschmiert und schmutzig ist, ob ihre Augen schattenverhangen und müde sind, oder ihr Gesicht strahlt, ob ihre Stirn sich in Zornfalten legt, ihr Mund lacht oder Kummer ihre Züge zeichnet. Er liebt ihr Gesicht, ihr Mienenspiel, das Beben ihrer Nasenflügel, wenn sie einem Duft nachspürt, das winzige Vertiefen ihrer Mundwinkel in der Sekunde bevor sie lächelt, die Art, wie ihre linke Braue sich hebt und ihr Näschen sich rümpft, wenn ihr etwas missfällt, die tausend kleinen Grimassen, die sie schneiden kann, das begeisterte Glänzen ihrer Augen, wenn sie mit einem neuen Einfall für irgendwelche Schnitzereien in ihrer Werkstatt verschwindet und den Anblick ihrer kleinen, weißen Zähne, wenn sie beim Brüten über schwierigen Wörtern in höchster Konzentration auf ihrer Unterlippe herumkaut. Er kennt ihre unschuldigste Miene und ihr verruchtestes Lächeln, ihr verlegenstes Rotwerden, ihren herausfordernsten Blick und ihr ungeduldigstes Nach-Luft-Schnappen... Götter im Himmel, er liebt selbst ihre empörteste Miene und ihren zornfunkensprühendsten Blick, wenn sie wütend auf ihn selbst ist, ihm ist einfach nicht zu helfen. Sie verneigt sich noch einmal vor dem hingerissenen kleinen Volk und sie lächelt immer noch, als ihre Augen seinen begegnen. Über die Köpfe all der Mogbarkinder hinweg, die noch immer klatschend und kichernd am Boden sitzen und über die Entfernung von zehn Schritt, die sie beide trennen, erwidert sie seinen Blick und ihm stockt der Atem. Sie steht direkt vor dem Feuer und hebt sich als schwarz umrissene Silhouette von dessen rotgoldenem Schein ab, und einen flüchtigen Moment lang sieht sie selbst aus wie eine dunkle Flamme, vom Licht in zwei Hälften geteilt. Was immer sie in seinem Blick findet, ihre Augen weiten sich und er sieht - Götter steht ihm bei! - wie ihre Wangen sich noch ein wenig stärker röten. Sie hat überhaupt nichts Dunkles an sich, sagt er sich, empört über seine abwegigen Gedanken. Die einzige Dunkelheit findet sich in seiner eigenen rabenschwarzen Seele und im wilden Hämmern seines Herzens. Dann bewegt sie sich, langsam, sacht und anmutig, eine kleine, fast fragende Regung in seine Richtung und die Umrisse ihres Körpers tauchen aus den Schatten und umranden sich mit flüssigem Gold - die schlanke Länge ihrer Beine, der weiche Schwung ihrer Hüfte, die Rundung ihrer Brust, die Kurven und Linien von Schultern, Hals und Gesicht. Das ist zuviel. Nichts Dunkles? Von wegen... Caewlin schnappt sich Ykenai in ihrem Weidenkörbchen und setzt sich in Bewegung, im selben Augenblick, als Raven den ersten Schritt auf ihn zu macht und ehe er überhaupt realisiert, was er tut - und als er es merkt, ist es ihm vollkommen gleich. Raven weicht geschickt einer Kinderhorde aus, die Stock-und-Ball spielend in die Dunkelheit jenseits des Feuerscheines davonflitzt, und er kann sich gerade noch um eine Mogbarmatrone mit einem Teller voll Rosinenlaibchen herumschlängeln, ohne sie zu Fall zu bringen. Er will seine Frau, jetzt, und er würde sie bekommen, das ist alles, was er noch denken kann, und er kommt auch erst wieder halbwegs zu sich, als er sie erreicht.

Caewlin nimmt ihre Hand und sie folgt ihm ohne zu zögern, wirft nur ab und an einen Blick über die Schulter, ob sie Dallas Fängen auch wirklich unbemerkt entkommen, ist bald neben ihm, bald hinter ihm, dann einen Schritt voraus und fragt einmal atemlos nach Brynden. "Pyp ist bei ihm, dem passiert nichts. Alle hier wissen, wer er ist und Runa wird sich um ihn kümmern, wenn er müde wird. Er kann mit den anderen Kindern am Feuer schlafen. Komm." Sie verschwinden über den Saumpfad zum Haus hinab und zu den Neun Höllen mit allen Mogbars, die ihm in diesem Moment Löcher in den Rücken starren. Die ersten Glühwürmchen kommen heraus und tanzen wie kühle, grüne Sterne in den Schatten unter den Oleanderbäumen, und die lachenden Stimmen, das Prasseln des Feuers, das fröhliche Kreischen der Kinder und die Musik von Bratschen und Fideln, die ein paar Mogbars anstimmen, bleibt hinter ihnen zurück. Nach all dem ausgelassenen Lärmen der Feier, dem Zischen und Knacken der Flammen und dem Quietschen der Musik, ist das Haus eine Zuflucht aus Dunkelheit und Stille, und kaum haben sie die Halle durch die Tür zur Steinterrasse erreicht, zieht er sie an sich und hebt sie hoch, um sie heftig zu küssen. Er hat nur einen Arm frei, aber der genügt vollkommen. Raven... ihr Geschmack überflutet all seine Sinne und jeden Nerv, so süß und berauschend wie sonst nichts auf der Welt, und er ertrinkt in ihrem Kuss. Sein Herz füllt sich mit schwerer Wärme, die sich irgendwo in seinem Inneren zusammenballt, die von seinem Kopf bis zu den Füßen strömt und selbst in seinen pochenden Fingerspitzen widerhallt, ein brennendes Sehnen, auf das er ebensowenig Einfluß hat wie auf das Auf- und Untergehen der Sonne. Das hier, das was zwischen ihnen ist, ist mehr als nur ein sinnlicher Rausch, so mächtig der auch sein kann, und es ist auch kein Spiel, das es nur um des körperlichen Verlangens willen zu spielen gilt. Er hungert nach ihr, er braucht sie, so schlicht und so lebensnotwendig wie er die Luft zum Atmen braucht. Ihre Arme haben sich um seinen Nacken geschlungen, ihre Hände in seinem Haar ziehen seinen Kopf noch näher, ihr Körper liegt der Länge nach an seinem und er hält es keinen Herzschlag länger aus, sie nicht zu berühren. Irgendwie gelingt es ihnen trotzdem, wenigstens noch die Treppen hinaufzustolpern und ihr Schlafgemach zu erreichen, und dabei weder das Baby fallen zu lassen, noch das eigene Gleichgewicht zu verlieren. Sie schaffen es sogar, Ykenai in ihre Wiege zu legen, sie mitsamt ihrem kleinen, geschnitzten Bett in das angrenzende Kinderzimmer hinüber zu schieben, und die Tür anzulehnen - das letzte, das sie jetzt brauchen können, ist ein kreischendes Baby, weil es von irgendwelchen ...Kampfgeräuschen... geweckt wird -, dann sind sie endlich allein. Ihr Herz schlägt so laut, dass er es hören kann, aber vielleicht ist es auch das wilde Trommeln seines eigenen, das durch ihn hindurchhallt. Halb verrückt vor Verlangen kann er sich nicht mehr mit Hemdschnüren und Hosenbändern abgeben, mit denen er einhändig ohnehin nicht weit gekommen wäre, sondern reißt beides einfach auf, bis er sie nackt in seinen Armen halten kann, seine eigenen Kleider los wird und nichts anderes mehr zwischen ihnen bleibt, als Haut und Hitze. Er neigt den Kopf und küsst sie, plündert ihren Mund, ihren weichen, hungrigen Mund, und ihre süße Zunge, schluckt ihren Atem, füllt sein Inneres mit ihrem Geruch, jenem unwiderstehlichen Duft ihrer Haut und ihres Haares nach Sommer, grün und erdenwarm, und doch auch süß wie wilde Rosen. Er steigt ihm wie Wein zu Kopf, wirbelt durch Zärtlichkeit und blinde Gier, durch das Bedürfnis, ihre Sehnsucht zu stillen und sein eigenes Verlangen und vermischt alles, bis er nicht mehr weiß, wo ein Gefühl aufhört und ein anderes beginnt.

Ihr Herz flattert unter seiner Hand, schlägt im Gleichtakt mit seinem Puls, und er nimmt sich ihre Hingabe und ihr weiches Fleisch, drängt sie in Kissen und glatte Laken, kostet jede weiche Kurve, jeden Grat und jede Linie, will sie bis in alle Ewigkeit küssen, jeden Zoll ihrer Haut, und wenn die Ewigkeit endet, sich in ihr verlieren und wieder von Neuem beginnen. Er füllt sie vollkommen aus, so tief in ihrem Inneren, dass er ganz bestimmt ihr Herz berührt, und doch ist er ihr noch nicht annähernd nahe genug. Nicht annähernd - bis er spüren kann, wie die Grenzen zwischen ihnen verwischen, wie sie fallen und sich auflösen, bis sie durch Fleisch und Bewegung zu einem einzigen Wesen verschmelzen, und alle Schranke, die es vielleicht zwischen zwei Menschen geben kann, verschwinden. Als der Himmel im Osten sich mit fahlen, perlmuttgrauen Vorboten der Dämmerung überzieht, liegen sie noch immer wach in der Düsternis, Beine, Arme und Finger ineinander verschlungen, ihre Körper noch miteinander verbunden. Ihr Haar ist ein einziges, seidiges Wirrwarr unter seiner Wange, ihr Rücken an seine Brust geschmiegt, ihr Gesicht ruht auf seinem Arm. Er kann nicht sagen, wie oft sie miteinander geschlafen haben nach der wortlosen, bebenden Heftigkeit ihrer ersten Begegnung, aber sie haben sich die halbe Nacht hindurch geliebt, als gäbe es kein Morgen mehr, sanft und gründlich wie langsam strömendes Wasser, unbekümmert prustend vor Lachen oder drängend, flüsternd und voller Ernst. Jetzt hüllt vollkommener Frieden sie ein, sein Körper ist knochenlos und schwer wie Blei, und er fühlt sich zum ersten Mal seit zwei Monden wieder ganz und heil, eins mit ihr und sicher, und nicht mehr länger, als hätte jemand einen Teil von ihm herausgetrennt. "Du hast mir so furchtbar gefehlt, Raven." Er küsst die dünnen, weißen Narbenstränge, die ein zartes Netz auf ihren Schulterblättern bilden. Der letzte Schein des untergehenden Mondes schimmert an ihrem Arm entlang und über ihren Rücken und lässt die dünnen alten Wundmale bleich und glänzend leuchten. Ein Anblick, der im krassen Gegensatz zu ihrer seidigen, sonnengebräunten Haut und den schlanken, weichen Linien ihres Körpers steht - und doch gehören sie zu ihr. Manchmal wünscht er sich, er könne sie einfach fortküssen, sie ungeschehen machen, die Äußeren, wie die Inneren Narben, den ganzen alten Schmerz irgendwie von ihr nehmen, der sich in dem Geflecht zerstörter Haut spiegelt, doch dann fällt ihm ein, dass sie ohne diese Narben nicht Raven wäre, nicht seine Raven. Ihr Leben hätte ganz anders ausgesehen ohne die bittere Vergangenheit, ebenso wie seines. Oder nicht? Wären sie jemand anderes und doch die gleichen? Wären sie sich je begegnet? Hätten sie einander erkannt? Wäre Raven zu seinem Schicksal geworden, wenn sie beide den Norden nie verlassen hätten? Ja, wird ihm nach einem atemlosen Augenblick klar. Ja, das wäre sie. Ich weiß es. Weil es sie auch dort gegeben hätte, und ich hätte sie geliebt.

Nach Dallas denkwürdigem Namenstag hält in den Herzlanden endgültig der Sommer Einzug und bringt sonnendurchflutete, windstille Tage voll sengender Hitze. Jeden Abend türmen sich dunkle Wolken über dem Ildorel zu imposanten Burgen auf und gelegentlich können sie weit draußen über dem See des Nachts fernes Donnergrollen hören oder weiße Blitze herabzucken sehen, doch der Regen erreicht Talyra nie. Trocken und heiß beginnt der Goldschein und ebenso trocken und heiß geht er zu Ende, den Heumond am Mantelsaum, und im Seehaus herrscht, wie auf jedem größeren Gut in dieser Zeit, von Sonnenaufgang bis spät in die Nacht geschäftige Betriebsamkeit. Das Heu will eingebracht werden, das Vieh auf die Weiden, die Schafe müssen geschoren und die Pferde beschlagen werden, und die Frauen sind zudem tagaus tagein mit dem Ernten und Verarbeiten von Obst und Gemüse beschäftigt, während Caewlin, Rykar und Pyp die ersten Heumahd des Jahres erledigen. Zwei volle Siebentage lang steht er mit dem alten Knecht und dem Mogbarjungen zwei Stunden vor Tagesanbruch auf und mäht dann bis zum Sonnenuntergang Gras - hier am Seehaus auf den Wiesen unter den Obstbäumen, und auf den Wald- und Flussweiden nordwestlich von Talyra, die zum Anwesen gehören. Etwa sechseinhalb Tausendschritt entfernt in einem langgestreckten Tal am Llareon liegen die Ländereien des Seehauses, einige hundert Tagwerk Land, das meiste davon Wald, ein paar Weiden und ein kleines Dorf inmitten fruchtbarer Felder, dessen Gehöfte und Äcker er allesamt an Bauern verpachtet hat... abgesehen von den Wiesen, die sie zur Versorgung ihres eigenen Viehs brauchen. Das Wetter hält, und das, obwohl Dalla inbrünstig um Regen für den Gemüsegarten betet, und so werden sie schon in der ersten Sonnenthronwoche mit dem Heu fertig und können es einbringen - eine elende Schinderei in der herzländischen Hitze, an die er sich ganz bestimmt nie und nimmer mehr gewöhnen würde, doch heute hat es ein Ende gefunden. Jetzt ist es Abend, die Welt ist in pfirsichfarbenes Glühen getaucht und die Sonne sinkt im Westen. Caewlin geht langsam auf der Steinterrasse hin und her, seine Tochter im Arm, die hellwach und interessiert den raschelnden Oleanderblättern ringsum mit den Augen folgt. Auf den Feldern des talyrischen Umlandes steht das Getreide hoch und fruchtbar auf den Äckern, und der Geruch der frischgemähten Wiesen liegt seit Tagen würzig und süß in der Luft. Ykenai, inzwischen vierzehn Wochen alt, ist gehörig gewachsen und macht sich mehr als gut. Sie erkennt mittlerweile jedes vertraute Gesicht, sie lacht scheinbar gern und hält für kurze Zeit bereits kleine Spielzeuge wie ihre Rassel oder den roten Stoffball fest, den Runa ihr aus einem Rest glatten Flanells gemacht hat. Außerdem übt sie sich eifrig in glucksenden Lauten oder hingebungsvollem Lallen von "Uuu's" und "Ai's" - so wie jetzt, während sie sein Hemd vollsabbert, ihm die kleinen Knie gegen die Brust hämmert, mit den Ärmchen rudert und in sein Ohr kräht. Ihr feines, dunkles Haar steht ihr über der Stirn in lustigen kleinen Stacheln um den Kopf, die sich noch nicht einmal in der feuchten Sommerhitze legen wollen, ihre Grübchen, die sie von ihrer Großmutter geerbt hat, werden jeden Tag unwiderstehlicher und ihre Augen sind so hell und blaugrün wie seine - der Rest von ihr ist ganz und gar Raven. Aus ihren Uuh-Lauten werden zunehmend ungehaltene Quietscher, anscheinend bekommt sie langsam ebensolch wölfischen Hunger wie er.

Ein Weilchen muss sie es jedoch noch aushalten, denn von Raven ist weit und breit noch nichts zu sehen. "Gleich, Kobold. Deine Mutter kommt bald." Caewlin kann es ihr nachfühlen, auch wenn es ihn nicht unbedingt nach Milch verlangt - was seinen Magen angeht, so ist der ein einziges, gähnend leeres, klaffendes Loch. Vor einer Stunde etwa waren sie mit der letzten Heufuhre nach Hause gekommen und hatten sie gleich noch eingebracht, doch das Essen würde noch ein Weilchen brauchen. Ein fetter Truthahn, sicherlich sechzehn Pfund schwer, war so leichtsinnig gewesen, Raven vor den Bogen zu stolzieren und hatte prompt einen erstklassigen Festtagsbraten zur Feier des Tages und dem Ende der Heuernte abgegeben - dummerweise brät das elende Mistvieh mit einer solchen Größe elend lange, auch wenn es sich, jedenfalls dem Geruch nach zu schließen, der aus der Küche dringt, anscheinend durchaus lohnt zu warten. Er war auf die Steinterrasse getreten, die Gerüche nach Pferd und gemähtem Gras noch an sich, und hatte von seiner Obersten Magd augenblicklich seine Tochter in die Hände gedrückt bekommen, mit der knappen Erklärung, Raven hole nur schnell Brynden zum Essen und sie, Dalla, müsse jetzt unbedingt selbiges fertig bekommen. Der wuchtige und vom Alter silbrig gebleichte Holztisch hinter ihm ist bereits gedeckt, Runa holt noch einen Krug mit kaltem Bier, und Pyp findet sich bei ihm ein, so müde, dass er wahrscheinlich gleich über seinem Teller einschlafen würde, gefolgt von Rykar, der sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den Rücken reibt. Caewlin beobachtet seinen Knecht aus schmalen Augen - nach zwei Wochen Heumahd fühlen sich seine eigenen Arme und Beine vom stundenlangen, rhythmischen Schwung der Sense an wie zerkochte Sülze, Pyp ist vollkommen erledigt, und Rykar, ohnehin nicht mehr der Jüngste, muss alle Knochen in seinem Leib spüren. Keiner der beiden hatte sich auch nur mit einem Wort beklagt, aber als er sie so sieht, wird Caewlin endgültig etwas klar, dass sich schon seit langem schleichend ankündigt - Rykar wird alt und Pyp ist ein erstklassiger Stallbursche, aber ein miserabler Feldarbeiter. Eine Bewegung an der Strandpforte unten lässt ihn aufblicken und er sieht Raven mit Brynden an der Hand über die Wiesen heraufkommen, die beiden Hunde an ihrer Seite und eine schnatternde Gänsehorde vor ihnen - offenbar hatten sie die Tiere gerade vom See geholt. Er hebt den Armstumpf, und sie winken zurück, dann kann er die Stimme seines Sohnes hören, der vermutlich wieder tausend Fragen stellt und sieht seine Frau lächeln und antworten, auch wenn sie zu weit fort sind, um einzelne Worte zu verstehen.

Während die beiden zum Stall hinauf verschwinden, lässt Caewlin seinen Blick schweifen und sieht eine Weile über die gemähten Wiesen, die aufgestellten Heudarren, jetzt nur noch leere, blanke Gerippe, und die unter Giftsumach begrabene Strandmauer hinaus auf den See, der wie ein kühler, blauer Spiegel unter ihnen liegt. Er schiebt Ykenai ein wenig höher auf seine Schulter und klopft beruhigend ihren windelgepolsterten Hintern. Noch immer ist es drückend heiß, der Duft des Oleanders hängt schwer in der stillen Abendluft und er sehnt sich nach einem kalten Bad im See. Dalla und Bethel tragen endlich auf, gerade als Raven und Brynden auf die Steinterrasse kommen, und sie machen sich allesamt mit ausgehungerter, zielstrebiger Gründlichkeit über das Essen her. Caewlin reicht seine hungrige Tochter an Raven und nimmt ihr stattdessen Brynden ab, zerteilt seinem Sohn Fleisch, Brotfüllung und gebackene Kartoffeln und nimmt ihn auf den Schoß. "Hier, min skrollan. Puste, es ist heiß." Dalla schnattert etwas von "Götterlob, die Heuernte ist vorbei und die Kirschen sind alle eingemacht", und zetert schon wieder nach Regen, während sie unter ihrer Haube hervor missmutige Blicke in den Himmel wirft, an dem sich heute jedoch kein einziges Wölkchen blicken lässt. Bethel schnalzt ungehalten mit der Zunge, als sie den desolaten Zustand ihres Mannes genauer in Augenschein nimmt und ihm postwendend eine Kur mit Branntwein verordnet - äußerlich versteht sich, zum Einreiben der schmerzenden Gelenke. Rykar macht ein Gesicht, als wäre es ihm andersherum wesentlich lieber und Caewlin unterdrückt ein mitfühlendes Prusten. Pypar gähnt so laut und knackend, dass seine Mutter verspricht, ihm etwas zu Essen aufzuheben und ihn mit einem nachsichtigen Lächeln ins Bett schickt, Heuschnipsel im Haar hin oder her, und der Mogbarjunge trollt sich stolpernd. Caewlin lauscht lächelnd dem alltäglichen Hin und Her des Gesindes, schiebt seinen leeren Teller von sich und setzt Brynden, der mit fettigen Fingern und teuflisch verschmiertem Gesicht noch hingebungsvoll an einem Knochen nagt, neben sich auf die Bank. Als Ykenai sich sattgetrunken hat, nimmt er Raven das Baby wieder ab, damit sie essen kann und beugt sich dabei vor, um sie zu küssen. "Was hälst du von einer Runde schwimmen, wenn die Plagegeister im Bett sind?"

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Raven am 15. Juli 2006, 19:31 Uhr
Zwei Dutzend ausladende, weißgefiederte Hinterteile wackeln gemächlich vor Raven her, durch den tiefen Ildorelsand, den grasbewachsenen Hang hinauf zur Seepromenade, über das bucklige Pflaster hinweg, und dann durch die Strandpforte auf die weiten, frischgemähten Wiesen, die sich bis hinauf zum Seehaus ziehen. Zwischen den watschelnden Gänsefüßen wimmelt eng aneinandergedrängt und mit aufgeregten Piepslauten ein ganzes Kükengeschwader herum wie ein butterblumengelber Teppich aus flaumig weichen Federbällchen. Die Gänseherde mitsamt ihrem Nachwuchs vollzählig bis zu den Ställen zu bringen, gleicht dem Versuch, einen Sack Flöhe zu hüten, denn immer wieder büchsen sie schnatternd und flügelschlagend aus, um hier noch einen Grashalm zu naschen und dort noch ein verlockendes Kräutlein zu schnabulieren, und Raven in ihrer Funktion als Gänsemagd hat alle Hände voll zu tun, sie halbwegs beisammen zu halten. Brynden hopst so unerschrocken inmitten der schnatternden Schar den Hang hinauf, als wäre er mit jeder einzelnen Gans blutsverwandt, und erzählt ihnen haarklein sämtliche Abenteuer, die er an diesem Tag erlebt hat. Wundersamerweise hat er von den Gänsen tatsächlich nie etwas zu fürchten und sie haben sie sich so an den plappernden kleinen Nordmann gewöhnt, dass sie ihn vermutlich einfach für Ihresgleichen halten, obwohl er weder Federn noch Schnabel noch sonst irgendwelche geflügeltypischen Merkmale besitzt. Die Hunde, die hinter ihnen her trotten, werden dagegen sofort lautstark attackiert, wenn sie dem Federvieh und vor allem dessen zahlreicher Kinderschar zu nahe kommen, und mit langen, vorgestreckten Hälsen, giftigen Zischellauten und wildem Kch-kch-kch auf Abstand gehalten. Das Gewimmel und Geflatter auf dem Wiesenhang erinnert Raven frappierend an die Mogbarmeute, die sie zu Dallas Namenstag im Garten beherbergt hatten, und die Erinnerung daran lässt sie immer noch leise in sich hineinlachen und amüsiert den Kopf schütteln.

Caewlins spontaner Einfall, ihrer obersten Magd ein Fest als Geschenk zu machen, hatte sie innerlich ein erleichtertes Stoßgebet gen Himmel schicken und den Göttern auf Knien für ihren geistesgegenwärtigen Mann danken lassen, hatte es sie doch vor dem zähneknirschenden Eingeständnis bewahrt, Dallas großen Tag verschusselt zu haben. Die Idee war ihnen zunächst wie die grandiose Rettung und Erlösung von all ihren Geschenksorgen erschienen - allerdings nur, bis ihnen allmählich klar geworden war, was sie sich damit eingebrockt hatten. Eine Stunde später waren sie schon fieberhaft bei den Vorbereitungen gewesen, sich verschwörerisch zuzwinkernd, schwitzend, kichernd und den ein oder anderen deftigen Fluch unterdrückend, wobei sie versucht hatten, das chaotische Durcheinander, das mit einem Schlag im Seehaus ausgebrochen war, so aussehen zu lassen, als wäre es schon seit langem haargenau so geplant gewesen. Hätte Dalla gewusst, wie sich die "Planung" tatsächlich abgespielt hatte, hätte sie vermutlich die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und einen mittelschweren hysterischen Anfall bekommen. Irgend etwas in Richtung Verschwörung hatte sie aber vermutlich doch geahnt, denn sie hatte die hektischen Aktivitäten anfangs mit überaus misstrauischen Blicken beäugt, so, als wäre sie nicht ganz sicher, ob sie nicht vielleicht doch einfach nur zum Narren gehalten würde. Ihr knubbelnasiges Mogbargesicht hatte ausgesehen wie ein einziges ungläubiges Fragezeichen, aber dann war ihre Skepsis von den wirren Festvorbereitungen einfach niedergewalzt worden und sie hatte gar keine Zeit mehr gehabt, darüber nachzugrübeln, wie die Idee zu ihrer Feier geboren worden war.

Endgültig überzeugt schien sie jedoch erst gewesen zu sein, als nach und nach die ersten ihrer zahlreichen Anverwandten eingetrudelt waren. Je mehr Angehörige des kleinen Trollvölkchens im Garten aufgetaucht waren, desto glücklicher war ihre Miene geworden - und desto größer Ravens Augen. Natürlich weiß sie, dass die Magd eine unüberschaubare Anzahl von Brüdern, Schwestern, Nichten und Neffen, Tanten, Onkeln, Basen, Vettern und wissen die Götter was noch alles an verwandtem, verschwägertem oder sonstwie angeheiratetem Anhang besitzt - Dalla lässt sie schließlich, ob sie nun wollen oder nicht, stets brühwarm an sämtlichen Familiendramen teilhaben. Aber das Mogbargewusel, das den Garten des Seehauses dann bevölkert hatte, das hatte selbst Ravens hochgegriffenste Schätzungen noch mickrig und bescheiden aussehen lassen. Allein mit Dallas engster Verwandtschaft würde man ohne größere Anstrengung ein halbes Stadtviertel füllen können, und der Strom kleinwüchsiger Wesen, die das Anwesen überschwemmt hatten, war überhaupt nicht mehr abgerissen. In sprachloser Verblüffung hatte Raven auf diesen wimmelnden Bienenstock von Mogbars gestarrt, die in jeglicher Altersklasse vom schrumpeligen Neugeborenen bis hin zum schrumpeligen Greis vertreten gewesen waren, und hatte nur ein ums andere Mal ungläubig den Kopf schütteln können. Das anschließende Fest jedoch war ein voller Erfolg geworden, nicht zuletzt wegen den kleinen Trollen, die sich als fröhliches, herzensgutes und liebenswertes Völkchen und zudem als so trinkfest wie ein Rudel Gossenzwerge offenbart hatten.

Zusammen mit Caewlin, Bethel, Rykar, Pyp und Runa hatte Raven den ganzen Abend lang die Spanferkel am Spieß gedreht, gefüllte Fässer über die Wiese gerollt und Kuchenteller, Brotkörbe und Geschirr herumgeschleppt, bis ihre Füße sich angefühlt hatten wie platte Flundern. Dallas leuchtendes Gesicht unter ihrer besten Festtagshaube hatte sie jedoch für alle Mühen entschädigt. Sie war zwischen all ihren Verwandten hin und her gesurrt wie ein überdrehter Maikäfer und hatte förmlich geglüht vor Stolz und Freude. Und das Erlebnis, den alten Knecht wie eine Prinzessin flöten zu hören, war die ganze Schufterei und das Gerenne mehr als wert gewesen. Allein schon Rykars Anblick hinter der hölzernen Bretterwand des Puppentheaters war förmlich zum Malen gewesen: dort war der Knecht im Schneidersitz im Gras gehockt, angetan mit seiner staubigen Stallhose und seiner alten Lederjoppe, eine tüllberockte Puppenprinzessin über die gichtigen Finger gestülpt und das lange Pferdegesicht in düstere Falten höchster Konzentration gelegt, hatte die Lippen gespitzt wie ein verliebter Flussbarsch und mit piepsend verstellter Fistelstimme die Königstochter gemimt. Sämtliche Kinder hatten gekreischt vor Vergnügen und Raven wäre beinahe erstickt vor Lachen. Die Quaklaute ihres Krötenkönigs hatten vor lauter Herumprusten eher wie das atemlose Geröchel eines sterbenden Schwans geklungen und nicht einmal ansatzweise so majestätisch, wie es die Geschichte verlangt hätte. Sogar Bethel hatte über ihren Mann gelacht, und zwar so sehr, dass ihre gesamte Leibesfülle einschließlich der vielen Doppelkinne bedrohlich ins Schaukeln geraten waren und sie sich unter etlichen "Ohjeohjeohje's" mit einem ihrer riesigen Taschentücher die Lachtränen von den Backen hatte wischen müssen.

Dieses Fest würde Raven wohl ihr Lebtag lang nicht mehr vergessen, und beim Gedanken daran muss sie selbst jetzt noch kichern, als sie hinter den Gänsen her die Wiese hinaufschlendert. Brynden hat mittlerweile seinen Posten inmitten der flatternden Schar verlassen und sich an ihre Hand gehängt, wie immer, wenn ihm weltbewegende Probleme im Kopf herumspuken - und offenbar hat er im Moment jede Menge davon. Während sie gemächlich über den Hang in Richtung der Ställe trödeln, sieht sie sich demnach auch mit den typisch komplizierten Fragen eines wissbegierigen Dreieinhalbjährigen konfrontiert, die Brynden auf sie abfeuert wie Pfeile aus einem Blasrohr: Warum Menschenkinder rosa auf die Welt kommen und nicht so gelb wie Küken, warum Gras immer nach oben wächst, wer heute Abend die Sonne ausmacht, warum Babys keine Schnäbel haben, ob die Schnecken, die er in Dallas Salatbeeten heimlich züchtet, auch träumen, wo der Mond schläft, warum Fische nicht ertrinken, wer nachts die schwarze Farbe über den Himmel schüttet und so weiter und so fort. Von manchen seiner Fragen ist sie vollkommen überrumpelt und es kostet einiges an Schlagfertigkeit und Improvisationstalent, sie zu seiner Zufriedenheit zu beantworten - aber je mehr sie beantwortet, desto mehr fallen ihm nur noch ein. Caewlin, der sich mit dem - zumindest was Frage- und Antwortspielchen betrifft - noch pflegeleichteren der beiden Kinder auf dem Arm gerade neben Rykar am langen, klobigen Holztisch auf der Terrasse niederlässt, winkt zu ihnen herüber, und Raven, unter Bryndens nervtötender Fragerei schon beinahe zusammengebrochen, winkt kichernd und augenrollend zurück. Bei Caewlins Anblick glüht in ihr die Erinnerung daran auf, wie Dallas Namenstagsfest nach der Theatervorstellung weitergegangen war, und der Gedanke daran lässt sie still in sich hineinlächeln.

Als sie sich - Rykar mit knackenden Knochen und sie noch immer kichernd - hinter der bemalten Kulisse hervorgequält und sich gebührend vor ihrem Publikum verneigt hatten, war sie auf der Suche nach Caewlin um das Feuer herumgegangen und hatte ihn schließlich, Brynden und Pyp zu seinen Füßen und Ykenai in ihrem Weidenkorb neben ihm, auf einem Strohballen sitzend vorgefunden, den Blick unverwandt auf sie gerichtet. Er hatte sie nur stumm angesehen. Seine Augen hatten die funkelnde, monderleuchtete Dunkelheit eingefangen und in ihnen war etwas aufgeschimmert, das Raven die Knie hatte weich werden lassen, ein Glitzern, das ihren Pulsschlag beschleunigt hatte, bis ihr Herz gegen ihre Rippen gedonnert hatte wie ein Schmiedehammer, ein Ausdruck, der sie mit Staunen und Verwunderung erfüllt hatte, mit wildem Verlangen und Verwirrung und so schamlosen Gedanken, dass sich ein Hauch verlegener Röte auf ihre Wangen geschlichen hatte. Sein Blick hatte sie vollkommen aus der Fassung gebracht. Er bringt sie immer aus der Fassung, wenn er sie so ansieht, selbst nach über einem Jahr noch, und vor allem bringt sie das Wissen aus der Fassung, dass tatsächlich sie es ist, der dieser Blick gilt. Seine Augen hatten ihre gefangengehalten, als sie aus dem Feuerschein getreten war, waren über ihre Silhouette gewandert, über ihr Haar, über ihren Körper, und sein Blick hatte eine Spur aus sengendem Feuer hinterlassen, wo immer er sie gestreift hatte. So wie sich ihr Leib der Berührung seiner Finger hingegeben hätte, so hatte sich ihr Umriss der Berührung seiner Augen hingegeben, Stück für Stück aus der Dunkelheit geschält, bis sie sich über die Wiese, über schnatternde Mogbars und spielende Kinder hinweg angesehen hatten, und ihr gewesen war, als müsse sie auf der Stelle vor Sehnsucht nach ihm zerschmelzen.

Raven hatte ihn angestarrt, seine golden gebräunte Haut, sein Gesicht im Schein der Flammen, sein kastanienbraunes Haar, das ihm glänzend über die breiten, muskelbepackten Schultern gefallen war, seine hellschimmernden Augen, und einen Moment lang hatte sie völlig den Kontakt zur Gegenwart verloren, hatte den Krötenkönig vergessen, den sie in der Hand gehalten hatte, das Geplapper um sich herum, die neugierigen Blicke, die Feier, alles war in einem Nebel der Unwichtigkeit versunken und in ihrem Inneren war überhaupt kein Platz mehr für etwas anderes gewesen. Nur noch für ihn. Ich will dich, hatte sein Blick gesagt, und ihre Augen hatten ihm geantwortet. Und ich dich. Jetzt. Sofort. Für immer. Ich will nie wieder getrennt von dir sein. Ein Flattern hatte sich in ihrer Magengrube bemerkbar gemacht, ein sehnsüchtiges Ziehen, das sich träge und fließend wie goldener Sirup in ihrem ganzen Körper ausgebreitet hatte, ein so köstliches Weh, dass sie geglaubt hatte, sie müsse daran ersticken. Sie hatte einen Schritt auf ihn zugemacht, wie eine scheue Frage, aber dann war die Frage zur Gewissheit geworden, als Caewlin sich von dem Strohballen erhoben hatte und auf sie zugekommen war, ohne dass sie auch nur für eine Sekunde den Blick voneinander gelöst hatten. Es hatte sich angefühlt, als würde die Erde beben, sie hatte es in den Zehenspitzen gespürt, im Bauch, in ihrem Herzschlag, der Krötenkönig war achtlos zu Boden gefallen und ihre nackten Füße im weichen Gras waren wie von selbst schneller geworden, bis sie atemlos und mit klopfendem Herzen auf ihn zugeflogen war. Endlich endlich endlich .... Sie hatte sich wild und leicht und verrückt gefühlt, hätte tanzen und mit ihm durchs nachtkühle Gras rollen und ihm auf der Stelle die Kleider vom Leib reißen können, aber es waren nur ihre Hände gewesen, die sich berührt hatten, knisternd und funkensprühend und wie ein verheißungsvolles Versprechen, bis sie das stille Dämmerlicht der Halle erreicht hatten.

Es hatte kein Zögern gegeben, kein Überlegen, keine Vernunft mehr und keine Grenzen. All die drängenden Fragen, die ihr in den letzten Siebentagen im Kopf herumgespukt waren, danach, ob er sie noch wollen würde, ob es nach Ykenais Geburt noch immer so wäre wie vorher, ob es sich vielleicht anders anfühlen würde, ob es vielleicht sogar schmerzhaft sein könnte, das alles war in diesem Augenblick zu einem Nichts verblasst, hatte sich aufgelöst wie Nebelfetzen im Morgenlicht, und die Welt war zusammengeschrumpft auf ein Paar blaugrüner Augen, auf warme, weiche Lippen, auf seinen Geruch, seinen Geschmack, seine Küsse, auf einen einzigen Mann im ganzen Universum. Ihr Verlangen nacheinander war so überwältigend gewesen wie ein verzweifelter Durst, und sie hatten so unendlich viel nachzuholen gehabt, so viel Zärtlichkeit, so viel versäumte Nähe, so viele geflüsterte Worte und Berührungen, bis sie endlich wieder heil und ganz gewesen waren, ein Fleisch und ein Blut, ein Atem und ein Herzschlag, ein einziges untrennbares Ganzes. Sie hatten sich die ganze Nacht über geliebt, unermüdlich und voller Hingabe, wild und heftig wie ein Sommergewitter und sacht wie fallender Schnee, und es war wie das Nachhausekommen nach einer langen einsamen Reise gewesen. Raven ertappt sich dabei, dass sie vor dem Gänsestall steht, als hätte sie dort Wurzeln geschlagen, völlig in Gedanken versunken und blödsinnig froh auf ihre nackten Zehen hinablächelnd, während das Federvieh sich schon längst selbst für die Nacht aufgeräumt hat und Brynden hopsend und hüpfend und armeschlenkernd bereits auf dem Weg hinüber zur Terrasse ist. Meine Güte, muss sie kichernd über sich selbst den Kopf schütteln. Du dummes Ding bist fünfundzwanzig Jahre alt, du hast zwei Kinder, du bist schon länger als ein Jahr mit diesem Mann verheiratet, und du benimmst dich immer noch wie frisch verliebt.

Sie kommt jedoch zu dem Schluss, dass sie das ja schließlich auch ist und dass sich an diesem Zustand bis zu ihrem Lebensende auch nichts mehr ändern wird, und sputet sich, die letzten gefiederten Nachzügler in den Stall zu scheuchen und das Gatter zu schließen. Dann galoppiert sie eilig hinter Brynden her über die Wiese zum Haus hinüber, bis sie ihn schließlich kurz vor der gepflasterten Steinterrasse einholt. Das Bild, das sich ihr dort bietet, erinnert allerdings mehr an ein Feldlazarett als an einen gedeckten Abendbrottisch. Wie die erschöpften Kriegshelden einer geschlagenen Schlacht haben sich die Seehausbewohner um den Tisch versammelt, einer müder und zerschlagener als der andere, und kaum einer kann noch ohne Wehlaute aufrecht sitzen. Die schwere Arbeit der letzten Wochen, die Heumahd, das Einbringen der Ernte, das unablässige Verarbeiten von Früchten und Gemüse, die der Garten im Moment im Übermaß ausspuckt, das Rackern und Schuften von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, all das hat deutliche Spuren und knirschende Knochen hinterlassen. Pypar sieht aus, als würde er gleich vor Müdigkeit mit der Stirn auf der Tischplatte aufschlagen, und den Knecht hat es offenbar noch schlimmer erwischt, denn Bethel rennt bereits hektisch nach Franzbranntwein. Caewlin sieht nicht weniger erledigt aus, und doch hat er noch die Kraft, seinen Blick mitfühlend auf Rykar ruhen zu lassen. Raven kann die leise Sorge in seinen Augen lesen, als sie sich müde, verschwitzt und hungrig neben Caewlin auf die Bank quetscht, und sie muss ihm im Stillen Recht geben, denn der alte Knecht sieht wirklich alles andere als taufrisch aus. Aber er hält sich tapfer, lässt mit stoischer Miene und rollenden Augen Bethels Heilmaßnahmen über sich ergehen und verliert kein einziges Wort über die vielen Zipperlein, die ihn plagen, weder über seine arthritischen Gelenke, noch über sein zweifellos höllisch schmerzendes Kreuz.

Als das Baby an Caewlins Schulter sich hungrig zu Wort meldet und energisch nach sofortiger Fütterung verlangt, reicht er ihr die sabbernde, quietschende Kleine und holt sich dafür Brynden auf den Schoß, um ihm Fleisch und Kartoffeln kleinzuschneiden. Die verführerisch duftenden Bratenscheiben, die Bethel aufgetragen hat und die ihr allein schon vom Hinsehen das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen, rücken für sie aber zunächst in weite Ferne, denn zuerst ist Ykenais leerer Magen an der Reihe, andernfalls ist an eine geruhsame Mahlzeit sowieso nicht zu denken. Kaum dass Raven sie auf den Arm genommen hat, fängt sie begeistert an, mit den Armen und Beinen herumzuzappeln, und formt angesichts der nahenden Milchquelle ihren Mund zu einem rosaroten Kringel freudiger Erwartung. Sie trinkt, als hätte sie einen geschlagenen Siebentag halb verdurstet in der Wüste Hôth zubringen müssen und nicht erst vor gut vier Stunden ihre letzte Mahlzeit zu sich genommen. Lächelnd schaut Raven ihr zu und ignoriert notgedrungen den eigenen knurrenden Magen, liebäugelt über die dunklen Haarstacheln ihrer Tochter hinweg ab und zu mit den duftenden Scheiben gebratenen Truthahnfleischs, nimmt das Baby zwischendurch an ihre Schulter hoch, um ihm den Rücken zu klopfen, und lässt es dann auf der anderen Seite weitertrinken. Wegen der brütenden Hitze trägt die Kleine nur ihre Windel und ein dünnes Baumwollkittelchen, und durch ihr Hemd kann Raven spüren, wie vertraut sie sich anfühlt, wie warm ihre Haut ist und wie ruhig sie atmet. Ykenai trinkt noch eine Weile, schmatzt zufrieden, schaut zu ihr hoch und lächelt, schmatzt noch ein bisschen und schläft dann friedlich in ihrem Arm ein, die Lider über ihren Augen wie zarte Blütenblätter geschlossen. Caewlin nimmt sie ihr ab, als Brynden zu Ende gegessen hat und sich mit einem fettigen Knabberknochen in den Fingern auf die Bank zwischen sie rutschen lässt. Sie küssen sich über seinen silberhellen Haarschopf hinweg und Caewlin erkundigt sich: >Was hälst du von einer Runde schwimmen, wenn die Plagegeister im Bett sind?<  

"Schwimmen?" Raven seufzt vor Wonne und macht sich heißhungrig über den gebratenen Puter her, oder zumindest über das, was von dem Vogel noch übrig geblieben ist. "Ich glaube, für ein kühles Bad würde ich glatt meine Seele verkaufen." Zwischen zwei Bissen blinzelt sie auf den Ildorel hinunter, dessen endlose, glänzende Wasserfläche bis zum Horizont reicht. Die tiefstehende Sonne versprüht ihre letzten Lichtsplitter über den See und lässt ihn schimmern wie die Haut einer Schlange, in tausend Nuancen von schillerndem Smaragdgrün, Blau, Türkis und flammendem Gold. Die Aussicht, später noch in die kühlen Fluten tauchen zu können, ist wirklich mehr als verlockend, und Raven nickt begeistert. Der Tag war anstrengend gewesen, heiß und staubig, und selbst der Abend mit seinem rosaroten Licht bringt kaum Kühle. Den ganzen Sonnenthron über schon hängt die sengende Hitze wie eine Bleiglocke über der Stadt und jeder lechzt nur noch nach Regen und Abkühlung. Aber auch heute war, wie in den letzten Siebentagen, kaum daran zu denken gewesen, sich tagsüber am Strand zu suhlen, und in Gedanken spult Raven noch einmal ihren Tagesablauf ab, der sich kaum von dem der vorangegangenen Tage unterschieden hatte. Caewlin war schon mit dem ersten Vogelgezwitscher aus dem Bett gekrochen, um mit Rykar zum Heuen auf die Weiden außerhalb der Stadt zu fahren, und sie hatte sich gut eine Stunde später aus den Federn gequält, hatte das Baby gestillt, Ykenai und sich den Schlaf aus den Augen gewaschen, sie gewickelt und angezogen, und als sie mit ihr in die Küche hinuntergekommen war, hatte sie das Gesinde schon mitten bei der Arbeit gefunden.

Während Bethel in der Spülküche eine unüberschaubare Batterie von Tonkrügen und Steingutflaschen ausgeschrubbt hatte, die sie später zum Einkochen brauchen würde, hatte Dalla Feuerholz von draußen hereingeschleppt, um den Küchenherd und den Badekessel zu schüren, und Runa war in das obere Stockwerk hinaufgehechelt, um die Fenster aufzureißen, aufzuräumen und die Wäsche einzusammeln. Die Berge von Dreckwäsche, die sieben Erwachsene und zwei Kleinkinder jetzt in der Sommerhitze und in der Erntezeit produzieren, haben in etwa die Ausmaße des Wyrmschwanzgebirges, und die arme Runa hat damit alle Hände voll zu tun und verbringt den halben Tag in der dampfenden Waschküche im Keller. Raven hatte nur schnell im Stehen einen Becher Cofea getrunken, hatte nebenbei Schnurrer und Mäuseschreck gefüttert und die Hunde hinausgelassen, dann war sie zu den Ställen hinübergegangen, hatte die Hühner und Enten ins Freie gelassen, ihnen ein Säckel Körner ausgestreut, ihre Verschläge gesäubert und die Eier eingesammelt, die Schweine gefüttert und dann die Gänse an den Ildorel hinunter getrieben. Dort hatte sie auch den wilden Truthahn erspäht, der wie ein armer Verirrter durch das hohe Gras und das Gestrüpp auf dem Hang zum Seeufer herumgestrolcht war, hatte kurzentschlossen auf dem Absatz kehrtgemacht, war zum Haus hinaufgejapst, um ihren Bogen zu holen, anschließend über den Wiesenhang wieder hinunter, und dann mit dem abgeschossenen Vogel im Kielwasser wieder hinauf. Das Vieh war so schwer gewesen, dass sie es kaum hatte schleppen können, und als sie es in der Spülküche Bethel vor die Nase gewuchtet hatte, hätte die Köchin beinahe der Schlag getroffen und sie war sofort auf der Suche nach Wannen, dem Küchenbeil und Brühpech in den Keller gerannt, während Raven nach einer eilig in sich hinein geschlungenen halben Schale Haferbrei wieder nach draußen verschwunden war.

Zusammen mit Pyp hatte sie sich um die Pferde gekümmert, ihnen Heu und frisches Wasser auf die Koppel gebracht, den Mist von der Weide gesammelt, und ihnen im Eiltempo wenigstens den gröbsten Staub aus dem Fell gestriegelt. Zum Glück müssen sie sich nicht auch noch groß um den Stall und die Pferdeboxen kümmern, solange die Tiere den ganzen Tag über im Freien sind. Nach der Stallarbeit hatten Pyp und sie sich über den letzten Kirschbaum im Garten hergemacht, den es noch abzuleeren galt, waren mit halsbrecherischen Verrenkungen auf der langen Leiter und im Geäst herumgeturnt, um ihre Huckelkörbe zu füllen, die sie dann pflichtschuldigst bei Dalla in der Küche abgeladen hatten. So war es den ganzen Tag über weitergegangen - Körbe schleppen, Baby stillen, Kirschen entsteinen, neues Holz holen, Marmelade kochen, Truthahn rupfen, Krüge spülen, Brynden beschäftigen. Sie hatte noch nicht einmal Zeit gehabt zu jammern, geschweige denn sich länger als ein paar Minuten auszuruhen. Später am Nachmittag, als Caewlin und Rykar mit der letzten hochaufgeladenen Fuder Heu zurückkehrt waren, hatte sie geholfen, es in die Scheunen zu schaffen, mit dem Ergebnis, dass sie sich jetzt zu Tode kratzen könnte - juckender Heustaub in Kombination mit schweißnasser Haut und nichts als einem Schnürleibchen und einem alten hochgeschürzten Unterrock als Kleidung gibt eine fürchterlich tückische Mischung, wie sie zu ihrem Leidwesen festgestellt hat. Allein schon deswegen erscheint ihr die Aussicht auf ein Bad im abendkühlen See geradezu paradiesisch - vorausgesetzt, sie schafft es noch bis zum Ufer hinunter ohne vorher umzufallen und einzuschlafen.

Nach dem Essen verfrachten sie die Kinder in ihre Betten und schlendern wenig später den Wiesenhang hinab zum Seeufer. Die Sonne ist inzwischen schon untergegangen und lässt den Himmel im Westen in tausend funkelnden Rot- und Goldtönen strahlen, während sich weit im Osten schon eine warme Sommernacht mit Millionen Sternen über das Land herabsenkt. Teichrohrsänger flöten im Schilf und der sanfte Wind, der über den See streicht, duftet nach Heu, Heckenrosen und wildem Geißblatt. Raven braucht nicht einmal eine halbe Minute, um die wenigen Kleidungsstücke abzustreifen, die sie trägt, und das Leibchen und der fadenscheinige Unterrock segeln flatternd in den weißen Sand davon, während die flach ans Ufer brandenden Wellen schon ihre Knöchel umspülen. Das Wasser ist herrlich kühl und sie watet ein ganzes Stück in den See hinein, löst die Flechten ihres Zopfes und taucht einmal ganz unter, um sich den Staub und die Hitze des Tages vom Leib zu spülen. Nach ein paar kräftigen Schwimmzügen dreht sie sich auf den Rücken und lässt sich träge auf den Wellen treiben, das lange Haar wie ein Teppich aus dunklem Tang auf dem Wasser aufgefächert. Ihr Blick kehrt zum Ufer zurück, wo Caewlin sich gerade aus seinen Hosen pellt und durch die flachen Wellen ins tiefere Wasser watet. Sie betrachtet seine hochgewachsene Gestalt, der das letzte Funkeln der Sonne Konturen aus Goldbronze verleiht, seinen schlanken Wuchs, die breiten Schultern, die langen, muskulösen Beine, seine geschmeidigen Bewegungen, und ein leises Seufzen entringt sich ihrer Kehle, weil sein Anblick sie schwindlig macht und ihr die Zunge am Gaumen kleben lässt. Drei Leben würden nicht ausreichen, um sich an ihm sattzusehen.

Lautlos gleitet er ins dunkle Wasser, taucht unter und wieder auf und schwimmt mit langen, kräftigen Zügen auf sie zu. Raven lässt ihn auf Armeslänge herankommen, funkelt ihn mit einem hintergründigen "Erst-musst-du-mich-mal-erwischen"-Blick an und taucht flink wie ein Fischotter unter ihm weg. Einige Schritt weit entfernt kommt sie prustend und spuckend wieder an die Oberfläche, doch nun ist von Caewlin weit und breit nichts mehr zu sehen. Sie dreht sich wassertretend einmal um die eigene Achse und versucht, in die schwarzen Tiefen zu spähen, dreht sich noch einmal, schwimmt ein paar Züge, aber er ist und bleibt verschwunden. Hm, wie lange kann ein Mensch unter Wasser wohl die Luft anhalten? Sie hat den Gedanken noch nicht einmal ganz zu Ende gedacht, als sich urplötzlich eine Hand um ihren Knöchel schließt und sie in die Tiefe zerrt. Mit heftigem Gezappel versucht sie sich zu befreien, verschluckt beim Lachen den halben Ildorel, schießt prustend und wild nach Luft schnappend wieder an die Oberfläche, wo ihr einen Herzschlag lang Caewlins Gesicht entgegenblickt, ein wölfisches Lächeln in den Mundwinkeln, dann taucht sie blubbernd wieder unter und versucht der Reichweite seiner Arme zu entkommen. Er bewegt sich mit der lautlosen Schnelligkeit eines Hais durch das glitzernde Wasser, und obwohl Raven eine gute und auch schnelle Schwimmerin ist, hat sie gegen dieses Kraftpaket von Mann nicht den Hauch einer Chance. Räuberisches Nordmannpack, grinst sie in sich hinein und verspürt auf einmal das unwiderstehliche Verlangen, seine Beute zu sein. Eine Weile jagen sie sich noch, prustend und kichernd, doch aus dem Gerangel wird schnell etwas anderes, fließende Bewegungen, verschlungene Leiber, schwerelos in Mondlicht und schwarzschimmerndem Wasser, eins mit der Sommernacht und einem Himmel voller Sterne, bis sie sich atemlos und ermattet am Ufer wiederfinden.

In stillem Frieden liegen sie später im weichen Sand, der noch warm ist von der sengenden Hitze des Tages, ineinander verschlungen, untrennbar verbunden, glitzernde Wassertropfen und den Silberschein des Mondes auf ihren Körpern wie eine zweite Haut. Raven weiß, dass sie sich bald aufrappeln müssen, um ins Haus zu gehen, um zu schlafen, um anderentags im Morgengrauen wieder aus dem Bett zu krabbeln und von neuem mit ihrem anstrengenden Tagwerk zu beginnen, aber sie verdrängt den Gedanken daran noch eine Weile. Sie will jetzt nicht daran denken, sie will nur still im warmen Sand unter einem samtigen Himmel voller Sterne liegen und Caewlins starkem, ruhigem Herzschlag lauschen, die Arme um ihn geschlungen und das Gesicht in seinem Haar vergraben. Die Stunden, die sie allein und ungestört verbringen können, weit weg von unterhaltungsbedürftigen Kindern und herumhetzendem Gesinde, weit weg von Arbeit und Verantwortung, sind selten geworden, und sie genießt sie um so mehr. Sie bettet ihr Gesicht an Caewlins Brust und blinzelt hinauf in den endlosen Sternenhimmel, und in stillen Augenblicken wie diesen wird ihr gegenwärtig, wie sehr sich ihr Leben in den letzten zwei Jahren gewandelt hat. Ein Mann, Kinder, ein Hof voller Arbeit, und Menschen, für die sie zu sorgen haben, für die sie Verantwortung tragen - so vieles hat sich geändert in dieser Zeit. Ihre träge schweifenden Gedanken kehren zu Caewlin zurück und zu dem Blick, mit dem er den alten Knecht beim Abendbrot betrachtet hatte. "Du machst dir Sorgen um Rykar, nicht wahr?" fragt sie leise und lässt ihre Finger über seine warme Haut wandern. "Er plagt sich in letzter Zeit wirklich sehr, aber ich glaube, er würde sich wohl lieber die Zunge abbeißen, als sich über die viele Arbeit zu beklagen. Und das Thema darf man in seinem Beisein ja noch nicht einmal erwähnen, ohne dass er beleidigt ist. Können wir denn gar nichts tun? Vielleicht könnte ich ja einen Teil seiner Arbeit übernehmen?" Sie grübelt einen Moment über den Gedanken nach, aber sie muss sich seufzend eingestehen, dass sie wahrscheinlich keine allzu große Hilfe wäre, ganz abgesehen davon, dass sie ja ohnehin schon den ganzen Tag über auf den Beinen ist und gar nicht wüsste, wann sie noch zusätzliche Arbeit verrichten sollte. Und für manche Dinge, die zu den Aufgaben eines Knechts gehören, fehlt ihr auch schlicht die körperliche Kraft. "Vielleicht sollten wir uns überlegen, eine Hilfe für ihn einzustellen, was meinst du? Können wir uns das leisten? Einen zweiten Knecht?" Ein schalkhaftes Funkeln blitzt in ihren Augen auf, als sie sich über Caewlin beugt, um ihn zu küssen. "So einen jungen, kräftigen, starken Kerl im Haus zu haben, wäre doch vielleicht gar nicht schlecht...."

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Caewlin am 23. Juli 2006, 01:45 Uhr
Sie liegen in friedlicher Schläfrigkeit und angenehmer Erschöpfung in einer Mulde feinen, weißen Sandes in einer kleinen Bucht am Ildorelufer. Ihr Platz ist direkt neben dem verwitterten, silbrigplankigen Steg am Strand unterhalb der Seepforte ihres Hauses und gut verborgen durch einen breiten Gürtel mannshoher Rohrkolben und wispernden Schilfs... und obwohl sie keine hundert Schritt von der Uferpromenade und der Stadt entfernt sind, ist es hier so still und abgeschieden, dass sie ebenso gut die einzigen beiden Menschen auf Rohas weitem Rund hätten sein können. Der Ildorel glänzt schwarz und glatt wie Öl zu ihren Füßen, und die flache Brandung, die sanft und fast völlig lautlos heranrollt, berührt kühl ihre Zehen. Der abnehmende Mond hängt als schmale Sichel am Himmel, zwinkert ab und an mit schwachen Silberfingern durch das Schilf und rändert die fernen Baumspitzen des Smaragdstrandes fahl und grau - und obwohl die Sonne längst gesunken ist, scheint es immer noch kein Grad kühler. Der Boden hatte die glühende Tageshitze gespeichert und strahlt sie jetzt wie ein Hochofen wieder ab, und auch die Nachtluft ist so still, schwer und feucht, dass man jeden Atemzug trinken kann. Kein Lüftchen kühlt die heiße Dunkelheit ringsum, kein Windhauch kräuselt die stille Wasseroberfläche, nichts regt sich. Es ist heiß - so heiß, dass ihnen überall dort, wo sich Haut und Haut berühren - und das ist so gut wie überall, da Raven praktisch auf ihm liegt-, sofort wieder der Schweiß ausbricht, selbst nach ihrem nächtlichen Bad im Ildorel. Seine Frau bettet mit einem kleinen, hitzegeplagten Schnauben ihren Kopf an seine Brust und ihre Haut verflüssigt sich augenblicklich an seiner. "Hm?" Caewlin, unfähig auch nur einen Finger zu rühren oder einen halbwegs klaren Gedanken zu Ende zu bringen, gibt nur ein zufriedenes Schnurren von sich. Der Mond ist blass, doch die Sterne leuchten zu Tausenden, hell und klar wie winzige Silbersplitter im endlosen Samtschwarz über ihnen, und er zumindest fühlt sich gleichzeitig vollkommen erschöpft und sehr lebendig. Sein Hand schiebt sich unter ihr schweres, noch wasserfeuchtes Haar, das sich in dunklen, kühlen Schlangen um ihre Schultern windet, in die weiche Kurve ihrer Taille fließt und sich noch auf ihren Hüften ringelt, und er berührt sacht die zarte Haut ihres Nackens. "Du denkst so laut nach, dass ich es hören kann," wispert er leise und sieht zu den Sternen empor.

>Du machst dir Sorgen um Rykar, nicht wahr?< Erwidert sie ebenso flüsternd und ihre streichelnden Finger hinterlassen eine Spur aus Gänsehaut und Schweißtröpfchen auf seiner Brust. >Er plagt sich in letzter Zeit wirklich sehr, aber ich glaube, er würde sich wohl lieber die Zunge abbeißen, als sich über die viele Arbeit zu beklagen.< "Aye, das tue ich. Und mit dem Zunge abbeißen hast du wohl Recht. Aber er ist alt, min koerlighed und er hat sein ganzes Leben lang schwer gearbeitet. Rykar ist zehn Jahre, nein elf, älter als Beth." Einen Moment lang schweigt er. "Als sie jung waren, mag das keine Rolle gespielt haben, aber jetzt macht es sich bemerkbar, mmpf?" Raven nickt nachdenklich, eine sachte Bewegung an seiner Brust. >Und das Thema darf man in seinem Beisein ja noch nicht einmal erwähnen, ohne dass er beleidigt ist. Können wir denn gar nichts tun? Vielleicht könnte ich ja einen Teil seiner Arbeit übernehmen?< Ihre Worte sind nicht mehr als ausgesprochene Gedanken, und doch erfüllen sie ihn plötzlich mit einer so heftigen Zärtlichkeit, dass es fast schmerzt. Er legt die Hand unter ihr Kinn, hebt es leicht an, um ihr ins Gesicht sehen zu können und streicht mit dem Daumen über ihre Wange. "Zu all dem, was du sowieso schon tust? Nej, min koerlighed, du arbeitest ohnehin schon bald mehr als Dalla, Beth und Runa zusammen... viel mehr, als du musst." Er streicht eine feuchte Haarsträhne aus ihrer Stirn und sieht sie an. "Ich weiß, dass du es tun würdest, aber du bist meine Frau, Raven, nicht meine Magd und nicht mein Rossknecht. Wenn... wenn es dir  zuviel wird mit dem Anwesen, dem Vieh, dem Haushalt, den Kindern... mit allem, dann sag es mir, aye?"
>Vielleicht sollten wir uns überlegen, eine Hilfe für ihn einzustellen, was meinst du? Können wir uns das leisten? Einen zweiten Knecht?< "Natürlich," antwortet er prompt und ein wenig verwirrt über ihre Frage. "Wir brauchen einen zweiten Knecht, vielleicht sogar einen dritten, und leisten können wir uns ein Dutzend, wenn du es für nötig hältst, das ist nicht das Problem. Ich frage mich eher, wie bei allen Neun Höllen wir das Rykar nur unterjubeln, ohne ihn vor den Kopf zu stoßen, aye?" Raven prustet leise, richtet sich in seinem Arm ein wenig auf, und der kühle, seidige Vorhang ihres Haars fällt herab und hüllt sie beide ein. Durch ihre Augen geht ein sachtes Glitzern und er kann den Übermut buchstäblich auf ihrer Zunge schmecken, als sie ihn küsst - dennoch überrumpeln ihn ihre neckenden Worte im allerersten Moment völlig.

>So einen jungen, kräftigen, starken Kerl im Haus zu haben, wäre doch vielleicht gar nicht schlecht....< Caewlin schnappt nach Luft und seine Brauen schießen ungläubig in die Höhe. "Jung, kräftig und stark?" Krächzt er indigniert. "Hmpf!" Er zieht sie unbarmherzig über sich, lässt sich ihren Körper, schlüpfrig, glatt und rund durch die Finger gleiten, eine köstliche Folter trotz der Hitze, bis ihre Nase keinen Fingerbreit mehr von seiner entfernt ist. Ihr Lachen klingt ein wenig atemlos, was kein Wunder ist angesichts der Tatsache, dass er sie festhält und sie fast auf der Stelle mit ihm verschmilzt. "Dir helfe ich," grollt er, doch in seinen Mundwinkeln zuckt es. "Sei lieber froh," er zieht sie zu sich hinunter und küsst sie sehr gründlich, "dass du mit einem senilen Tattergreis verheiratet bist. Sonst würdest du dich jetzt auf der Stelle..." Sein Mund wandert über ihr Kinn und ihre Kehle, streift hungrig über die feinen Knochen ihrer Schlüsselbeine zu ihren Brüsten, schwer und voller Milch... "auf dem Rücken liegend vorfinden." Er kostet ihre Haut, frisch und süß und salzig zugleich, während seine Hand über ihren Rücken streicht, seine Finger sich sacht in die zarten Mulden entlang ihrer Wirbelsäule graben und deren köstlich rundes Ende dann fest umschließen. "Oder auf den Knien. Götter im Himmel, Frau, dein Hintern würde selbst einen Sithechpriester um den Verstand bringen." Er nimmt Stück für Stück jeden Zoll des vielgepriesenen Körperteils und auch jeden erreichbaren Rest von ihr in Besitz, dann rollt er sich mit ihr herum, drückt sie in den weichen Sand und macht sich unbarmherzig und ausführlich ans Werk, bis er sie hat, wo er sie haben will - und als sie hilflos über dem Abgrund und der schwindelerregenden Unendlichkeit zappelt, zieht er sich zurück. Er hört ihren gedämpften Protestlaut, ingoriert stoisch das hungrige Schreien seines eigenen Körpers, und auf seinem Gesicht breitet sich ein Grinsen aus, das man beim besten Willen nur noch teuflisch nennen kann. "In meinem Alter ist an solche Anstrengungen bei dieser Hitze nicht mehr zu denken. Mein Herz..." er greift sich theatralisch an die Brust, findet sich im nächsten Moment unter ihr wieder und sein Lachen wird vom Wasser zurückgeworfen, bis es als geisterhaftes Echo zwischen Schilf und Dunkelheit verstummt. "Ich bin vielleicht alt," schnurrt er zwischen Küssen und dem langsamen, wiegenden Lied aus Fleisch und Bewegung, "aber ich weiß, was ich tue. Du bekommst deinen Knecht. Den hässlichsten Kerl den ich finden kann."

Am nächsten Morgen steigt die Sonne als roter Ball aus dem Dunst, verspricht ebensolch umwerfende Hitze wie die letzten Tage auch, und sie brechen gleich nach dem Morgenmahl auf, solange es noch kühl ist. Sie hatten sich noch lange leise unterhalten, als sie vom Strand zurückgekehrt und in der mitternächtlichen Dunkelheit in ihr Haus geschlichen waren, verstohlen wie Kinder, die heimlich in ihre Betten zurück huschen. Ykenai hatte friedlich geschlafen, Brynden sogar leise geschnarcht, den kleinen roten Kater als felligen Klecks zu seinen Füßen. In Ermangelung irgendeines guten Einfalls, wie er heißen könnte, hatten sie ihn wegen seines lauten Organs irgendwann einfach Schnurrer genannt und dabei war es dann geblieben. Raven hatte gefragt, wo genau sie sich am Besten nach einer Hilfe für Rykar umsehen und ob sie nicht einfach einen jungen Mann aus den Familien ihrer Pächter einstellen könnten, doch Caewlin hatte den Kopf geschüttelt. Jetzt, unter dem Jahr und mitten in der Erntezeit war auf keinem der Höfe auch nur eine Hand zu entbehren, und er scheut sich auch aus anderem Grund davor, einen seiner eigenen Pächter zu nehmen. "Sie betrachten sich doch ohnehin schon mehr oder weniger als unsere Leibeigenen, Raven." Das feudalistische Adelssystem der Herzlande ist ihm auch nach Jahren noch fremd. "Nur weil sie auf unserem Land leben und uns Pachtzins schulden. Es gibt hier nur wenig freie Bauern, min koerlighed. Und die übrigen benehmen sich allesamt wie Hörige, obwohl sie gar keine sind. Wenn ich in ihre Dörfer und auf ihre Gehöfte reiten, und einen ihrer Söhne anstellen wollte, würden sie sofort glauben, sie müssten ihn mir überlassen, obwohl er ihnen auf dem Hof grausam fehlen würde, verstehst du?" Er hatte sich an ihren Besuch auf dem Platz der Händler und an die Traube von Straßenkindern erinnert, die ihnen bettelnd gefolgt war... und an Ravens Miene angesichts dieses Elends. "Ich würde mich lieber in der Stadt umsehen - im Hafen, an den Toren, bei den großen Mühlen, an den Plätzen, wo sich Tagelöhner und Obdachlose einfinden und Arbeit suchen, und wenn es nur für ein paar Stunden ist... vielleicht haben wir dort Glück. Und wenn wir ein verlorenes Schäfchen auflesen, kann Rykar noch nicht einmal groß protestieren," hatte er seinen vagen Plan in aller Logik weiter ausgeführt. "Bethel wird ihn sofort adoptieren wollen und Rykar kann schlecht etwas dagegen haben, wenn ein Junge für Essen und ein Dach über dem Kopf arbeitet, oder?"

Jetzt schlendern sie Hand in Hand zum Stall hinauf - allein, ohne Kinder und Hunde, und Raven sieht sich immer wieder besorgt um, als erwarte sie augenblicklich markerschütterndes Babygebrüll zu hören. Caewlin unterdrückt ein Lächeln und fährt sacht mit dem Daumen durch ihre Handfläche. "Psst, min koerlighed. Es geht ihr gut. Sie hat gerade zweimal gefrühstückt, aye, und schläft jetzt. Wir haben mindestens vier, eher fünf Stunden, bevor sie wieder Hunger bekommt, und bis dahin sind wir längst zurück." Es ist das erste Mal, dass sie Ykenai allein lassen und er kann ihre Unruhe verstehen - ihm behagt es selbst nicht sonderlich. Allerdings ist seine Tochter bei Dalla in den besten Händen, pappsatter kann sie nicht mehr sein und sie können die Kleine einfach nicht stundenlang in dieser Gluthitze durch überfüllte Straßen und an so lauschige Plätze wie die Piers und die Lagerhäuser schleppen, noch dazu auf einem Pferderücken. "Dalla und Runa werden sich wunderbar um sie kümmern." Raven nickt seufzend, auch wenn seine Worte sie keinen Deut zu beruhigen scheinen, doch dann gibt sie sich einen Ruck und folgt ihm zum Stall hinauf. Rykar und Pyp hatten die Pferde lange vor Sonnenaufgang  mit dem übrigen Vieh bereits gefüttert, so dass sie jetzt die friedliche Atmosphäre gut gefüllter Mägen, gelassener Ruhe und leises Schnauben empfängt. Im Stall mit seinem tief herabgezogenen Dach und dem darüberliegenden Heuboden herrscht noch diffuses, graues Dämmerlicht und es duftet süß nach Kräutern und frischem Heu, Dung und Sägespänen, Lederzeug und großen, warmen Tieren. Halbmonds edler, grauer Kopf taucht neugierig über der Boxentür auf, als sie an der zierlichen Wüstenstute vorbeikommen, und Caewlin bleibt einen Moment bei ihr stehen. "Hur mår du, tjej?" Die Stute war Calyras Pferd und ist seit ihrem Tod von niemandem mehr geritten worden, doch sie wegzugeben war nie in Frage gekommen. "Vad foer sloeseri," murmelt er leise, als ihm diese Tatsache bewusst wird - Was für eine Verschwendung - und er fällt wie fast immer, wenn er mit Tieren spricht, in seine Muttersprache zurück. Samtweiche rauchgraue Nüstern schnobern sanft in seine Hand, schwarze Augen blicken enervierend direkt in seine. "Ich habe nichts für dich und ich bin viel zu schwer, du würdest dich schön bedanken..." Halbmonds lange Wimpern senken sich für einen Moment und sie gibt ein leises, fast fragendes Kollern von sich. Ihre Mähne ist lang geworden in den letzten zwei Jahresläufen, fällt ihr in weichen Wellen weit über den schlanken, gebogenen Schwanenhals, am Ansatz dunkel wie Rauch, dann hell und schimmernd wie flüssiges Silber. Er sieht von der Stute zu seiner Frau, die wie selbstverständlich zum wuchtigen Sattel ihres Braunen marschiert und fragt sich nur noch, warum er das nicht schon längst zur Sprache gebracht hat. "Raven... würdest du vielleicht auch Halbmond reiten? Nur wenn du möchtest. Sie wäre dir ganz fürchterlich dankbar, glaube ich."  

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Raven am 25. Juli 2006, 16:53 Uhr
Im Stall herrscht noch friedvolle Ruhe, als sie die Türen öffnen, und die einzigen Geräusche, die durch das frühmorgendliche Dämmerlicht dringen, sind zufriedenes Schnauben und das Mahlen kräftiger Kiefer, die die letzten Überreste eines reichlichen Frühstücks vertilgen. Auf Ravens aufmunterndes Zungenschnalzen hin taucht der wuchtige Kantschädel des Braunen mit einem Ruck aus dem Heuhaufen auf, in dem er gefräßig seine Nase versenkt hat, und hebt sich über das brusthohe Unterteil der Boxentür, die Ohren erwartungsvoll nach vorn geklappt. Sein dichter, dunkler Stirnschopf hängt ihm in unordentlichen Zotteln kreuz und quer bis auf die Nüstern hinab, und aus seinem Maul ragt ein ganzes Büschel stachliger Halme. "Wenn du einen Rüssel und Stoßzähne hättest", stellt Raven kichernd fest und schüttelt resigniert den Kopf über die Haarpracht ihres verfressenen Reittieres, die sich jeglicher Behandlung mit Striegel und Kardätsche standhaft widersetzt, "dann würdest du glatt aussehen wie ein Mammut." Der Hengst, der solch liebevolle Beleidigungen gewöhnt ist und sie schon beinahe ein ganzes Pferdeleben lang ertragen muss, antwortet mit einem gleichmütigen Schnauben und mümmelt ungerührt an seinen Heuhalmen herum, während er sie mit einem Auge neugierig durch sein zerzaustes Stirngestrüpp beäugt. Raven wendet sich sogleich der Nische neben der Stalltür zu, in der das Lederzeug der Pferde, die Zäume, Geschirre und Satteldecken untergebracht sind, und hievt ächzend den Sattel des Braunen von seiner Halterung, unter dessen stattlichem Gewicht sie beinahe in die Knie geht. Caewlins Stimme, die plötzlich hinter ihr im dämmrigen Halbdunkel des Stalles ertönt, lässt sie jedoch verdutzt innehalten. >Raven... würdest du vielleicht auch Halbmond reiten? Nur wenn du möchtest. Sie wäre dir ganz fürchterlich dankbar, glaube ich.<

Er ist neben der Box der Stute stehengeblieben und krault ihr mit nachdenklicher Miene die Ohren, während sein Blick zwischen dem Pferd und Raven hin und her wandert. Völlig verblüfft wendet sie sich zu ihm um und lässt den Sattel wieder zurück auf den hölzernen Bock sinken. "Halbmond reiten? Aber Halbmond ist doch ..." ... Calyras Pferd gewesen, beendet sie den Satz in Gedanken und schaut Caewlin in sprachloser Überraschung an. Oft genug tut ihr die kleine silbergraue Stute von Herzen leid, weil sie nicht bewegt wird und ihnen nur sehnsüchtig nachwiehern kann, wenn sie die beiden Hengste aus dem Stall holen, aber Halbmond war für sie immer tabu gewesen. Sie ist das Pferd seiner verstorbenen Frau gewesen und es wäre ihr gar nicht in den Sinn gekommen, Caewlin danach zu fragen, ob sie die Stute reiten könnte. Es wäre ihr wie ein Sakrileg erschienen, an diesen Dingen zu rühren, deswegen hatte sie es nie getan, vielleicht auch, weil sie geglaubt hatte, dass er schlicht nicht will, dass jemand anderer die Stute reitet. Doch seine Worte sind ihm offenbar ernst und Raven weiß, dass er den Vorschlag nicht machen würde, wenn er Zweifel daran hätte. Mit skeptisch gerunzelter Stirn betrachtet sie die hübsche Wüstenstute, die ihren Kopf über die Boxentür geschoben hat, neugierig an Caewlins Schulter herumschnobert und ihm freundlich ihren warmen Atem ins Ohr pustet, dann strebt ihr Blick zu dem klobigen braunen Hengst in der Nachbarbox zurück. Im Grunde wäre es wohl die beste Lösung. Der Braune hatte im Lauf des letzten Jahres ohnehin mehr und mehr die Aufgaben eines Arbeitspferdes auf dem Hof übernommen, er zieht den hochaufgeladenen Heuwagen genauso wie die leichtere Kutsche oder den Schlitten im Winter, er geht brav im Geschirr, lässt sich zum Holzrücken herannehmen und bedenkenlos vor jedes Fuhrwerk oder den Pflug spannen. Ein elegantes Reitpferd war er ohnedies nie gewesen mit seinem schweren Körperbau, Hufen so groß wie Suppentellern, dem breiten Rücken und der ausladenden Kruppe - ganz anders als die zierliche Stute, auf die sich Ravens Blick nun heftet.

"Ich kann es gern versuchen", murmelt sie, als sie zu Caewlin und Halbmond an die Box tritt und der Stute den silbrig schimmernden Hals klopft. "Wenn du nichts dagegen hast, also wegen ... weil sie doch Calyras Pferd war." Fragend hebt den Blick und schaut zu ihm empor, forscht aufmerksam in seinem Gesicht, als fürchte sie, dort den Schmerz bitterer Erinnerungen zu entdecken, doch sie findet nichts als ein aufmunterndes Lächeln in seinen Mundwinkeln. Erleichtert schlingt sie die Arme um seine Hüften und schmiegt sich einen Moment an ihn, die Nase in der sanften Kuhle an seiner Brust vergraben, dann strafft sie die Schultern und reckt entschlossen das Kinn vor. "Na gut, einen Versuch ist es wert. Wir werden gleich sehen, ob wir uns vertragen." Sie räumt das Lederzeug des Braunen wieder ordentlich zurück und wirft stattdessen einen prüfenden Blick auf Halbmonds Ausrüstung, die gleich daneben auf ihrer Halterung ruht - pingelig sauber, wohlgepflegt, gefettet und geölt, obwohl sie seit langem nicht mehr benutzt wurde. Der kleine Sattel kann höchstens ein Drittel dessen wiegen, was der des Braunen auf die Waage bringt, und wirkt im Gegensatz zu ihm so winzig, dass Raven ein Kichern unterdrücken muss. Der Sattel des Hengstes ist ein schweres Ungetüm mit einem hölzernern Sattelbaum, hochgezogenen Zwieseln, und einer gepolsterten Sitzfläche, auf der bequem eine Mogbarfamilie Platz hätte. Halbmonds dagegen ist nicht mehr als ein Sitzkissen mit schmalen Pauschen und Sattelblättern aus weichem, anthrazitfarbenem Leder, das wunderbar zu ihrer silbergrauen Farbe passt. Zu ihm gehört eine prächtige, samtgefütterte Satteldecke, die an ihren Rändern über und über mit verschlungenen, südländischen Ornamenten bestickt ist. Das Zaumzeug ist aus dem gleichen feinen Leder gefertigt, mit einem kunstvoll geflochtenen Stirnriemen, schimmernden Metallteilen und Schließen, und einem auf Hochglanz polierten Trensengebiss.

Die Stute gibt ein verwundertes, kleines Schnauben von sich, als Raven zu ihr in die Box tritt, aber sie hält bereitwillig und mit aufmerksam gespitzten Ohren still, während sie aufgetrenst und gesattelt wird und Raven ihr die Hufe vom Stallmist säubert. Obwohl Halbmond wie alle Pferde der Wüste ein lebhaftes, manchmal auch ziemlich heißblütiges Temperament und gewaltig Pfeffer unter der Schweifrübe hat, hat sie ein sanftmütiges und grundehrliches Wesen - ganz anders als ihr stahlgrauer Stallgenosse, mit dem Caewlin sich zwei Boxen weiter lauthals herumplagt. Grinsend über die blumigen Flüche und die unwirschen Normander Knurrlaute, die, untermalt von erbostem Schnauben, aus Gråunas Box dringen, führt sie Halbmond hinaus auf den kleinen Platz vor dem Stall. Perlmuttfarbenes Morgenlicht, schillernd wie das Innere einer Muschel, ergießt sich über das Anwesen und lässt das seidige Fell der Stute wie Quecksilber aufschimmern. Eine sanfte Brise, die vom Ildorel heraufweht, streicht sacht durch ihre Mähne und den langen Schweif, der wie ein Wasserfall bis auf den Boden schleppt, so dass ihr seidenweiches Haar im Windhauch tanzt wie lange, silbrige Reiherfedern. Sie ist wirklich eine Schönheit: ihr hübscher Kopf mit den edlen, klaren Linien wirkt wie aus Marmor gemeißelt, mit einer breiten, wohlgeformten Stirn, auf der sich milchweiß eine halbmondförmige Blesse abzeichnet, dunklen, langbewimperten Augen und zierlichen Ohren. Ihr Körperbau ist anmutig und doch kraftvoll, mit schlanken, starken Beinen und einer breiten Brust, einem herrlich gewölbten Hals und federnden Bewegungen. Mit bebenden Nüstern atmet sie die klare Morgenluft und lässt tief aus ihrer Kehle ein leises, dunkles Wiehern ertönen, als Caewlin mit dem mürrisch dreinblickenden Grauen am Zügel hinter ihnen aus dem Stall tritt.

Raven zieht den Sattelgurt nach, verschnallt die Bügelriemen auf die richtige Länge, nimmt die Zügel auf und schwingt sich dann flink auf den Rücken der Stute. Caewlin, der gleich darauf irgendwo turmhoch über ihr auf dem Grauen thront, wirft einen grinsenden Blick zu ihr herunter, den sie mit einem augenrollenden Kichern beantwortet. "Sie ist irgendwie so .... klein", stellt sie fest, während sie in dem ungewohnt winzigen Sattel herumrutscht. Neben Caewlins gewaltigem Hengst wirkt die Stute zerbrechlich wie ein Spielzeugpferdchen, aber sie schnaubt herausfordernd und tänzelt unternehmungslustig auf der Stelle, als brenne sie nur darauf, endlich vom Hof zu kommen. Gemächlich lenken sie die Pferde über den langen Wiesenhang und durch die Seepforte zum Ufer hinunter, aber kaum dass sie den Strand mit dem tiefen, noch nachtfeuchten Sand erreicht haben, donnert Gråuna mit gewaltigen Galoppsprüngen davon, und von Caewlin ist bald nicht mehr zu sehen als sein breiter Rücken und sein flatterndes Haar, rotleuchtend in der Morgensonne. Mit vor Verblüffung offenstehendem Mund schaut Raven den beiden nach. "Dieses Pferd hinterlässt keine Hufspuren", murmelt sie kopfschüttelnd mit einem Blick auf den aufgerissenen Sand, "es hinterlässt Krater. Na warte, so leicht kommst du mir nicht davon ... los, Mädel, zeig mal, was du kannst!" Ihre Miene wandelt sich in grimmige Entschlossenheit und in ihren Augen liegt ein wildes Funkeln, als sie Halbmond in Richtung Süden lenkt und der Stute die Zügel freigibt. Sie weiß zwar, dass sie schnell wie der Wind ist - nicht umsonst hat sie vor einigen Jahren sogar das Shenrah-Rennen gewonnen - aber mit diesem gewaltigen Antritt hat Raven beim besten Willen nicht gerechnet. "Ups", keucht sie überrascht auf, und purzelt fast hintenüber von Halbmonds Rücken, als die Stute losprescht und hinter dem Grauen herjagt, als wäre ihr eine Horde Dämonen auf den Fersen. Ihre zierlichen Hufe scheinen kaum den Sand zu berühren, so fliegt sie dahin, und so schnell Caewlin und der Graue gerade noch aus ihrer Sichtweite verschwunden sind, so schnell kommen sie nun wieder näher, als sie aufholen. Halbmond streckt sich schnaubend und macht sich lang, und es ist ihr anzumerken, wie viel wilde Freude es ihr macht. Raven gibt einen übermütigen Jauchzer von sich, stellt sich in die Bügel, klemmt die Knie fest an den Sattel und lässt die Stute nach Herzenslust laufen, bis sie Caewlin schließlich einholt und sie kurz vor der Mündung des Llarelon die zufrieden schnaubenden Pferde wieder zu einer gesitteten Gangart zügeln.

---> Perlenhafen

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Caewlin am 09. Aug. 2006, 23:42 Uhr
Von der Weidenmühle zum Seehaus


"Aber Sire..."
"Nein."
"Si..."
"Ich sagte nein! Und nenn mich nicht Sire, verdammt. Der Fisch bleibt hier - die dort," Caewlin weist auf die hungrigen Katzen, die sich an den Brückenpfosten reiben und aus grünen Augen herüberstarren, "sind ihm vom Hafen bis hierher nachgelaufen, sie haben ihn sich wirklich verdient. Du bekommst zu Hause soviel zu essen, wie du nur essen kannst... wenn wir dich vorher sauber bekommen, heißt das. Gehen wir." Sie steigen in die Sättel, Aulin klettert schmollend, aber fügsam, wie schon zuvor hinter Raven auf Halbmond, Shem nimmt er selbst mit zu sich auf den Rücken des Grauen, was dem Jungen jedoch angesichts von dessen schierer Größe und offensichtlicher Unfreundlichkeit verständlicherweise nicht so ganz geheuer ist. Der Junge steigt dennoch klaglos auf, und als sie über die Brücke davon reiten, jeder von ihnen ein schmutziges Bündel Mensch hinter sich im Sattel, kann Raven bei den Katzen endlich die Forellenreste entsorgen, die prompt in einem zuckenden Knäuel fauchender Pelze und Krallen untergehen. Caewlin lenkt den Grauen neben Halbmond und wirft einen prüfenden Blick in den Himmel. Es ist längst später Vormittag - glühende Mittagshitze liegt wie eine bleierne Glocke über der Stadt und sie hatten dank Aulin, seinem dreimal verfluchten Fisch und der Suche nach dem verschollenen Bruder sehr viel länger gebraucht, als es eigentlich ihre Absicht gewesen war. "Wenn wir mehr Zeit hätten, würde ich sagen, wir reiten über den Strand nach Hause, min koerlighed, um die Jungen erst einmal ein paar Stunden im Ildorel einzuweichen, bevor wir sie Dalla vorführen," bemerkt er todernst, was ihm prompt einen entsetzten Blick Aulins einbringt und Shem in seinem Rücken augenblicklich erstarren lässt. "Aber so... Ykenai wird inzwischen furchtbar Hunger haben, oder?" Raven nickt nur, murmelt etwas davon, dass heißes Wasser, Seife und die alte Kupferwanne eben genügen müssen, und er kann sehen, dass auch sie ungeduldig ist, nach Hause zu ihrem Kind zu kommen. "Nehmen wir den Weg durch die Stadt," entscheidet er. "Hälst du es die halbe Stunde, die wir brauchen noch aus? Wenn nicht, gib mir den Kleinen und reite voraus, du bist allein viel schneller." Sie schüttelt nur den Kopf und lenkt Halbmond in Richtung Osten, doch die Stute, die ihre Unruhe zu spüren scheint, schlägt ganz von selbst ein rascheres Tempo an. Sie überqueren den Fluß bei der Hufschmiede, reiten durch die schmale Straße, in der bis zum Dämonenangriff des vergangenen Herbstes Ravens kleines altes Häuschen gestanden war, kommen beim Roßsteinpark auf den Marktplatz, auf dem in der Hitze jedoch alles Feilschen und Handeln still steht, und biegen schließlich erleichtert in die kühlen Schatten der baumgesäumten Seeviertelstraßen ein. Shem erweist sich tatsächlich als sehr viel schweigsamer als sein Bruder, doch angesichts der uralten Häuser und riesigen Anwesen ringsum verschlägt es selbst Plappermaul Aulin kurzzeitig die Sprache... auch wenn Caewlin nicht sagen kann, ob das nicht vielleicht noch die Nachwirkungen von "Kupferwanne", "Seife" und "heißem Wasser" sind. Als der sonst so vorlaute Dreikäsehoch seinen Mund endlich wiederfindet, sind sie jedenfalls schon längst unter dem steinernen Torbogen des Seehauses hindurchgeritten.

"Hier ist es?" Der Knirps rutscht aufgeregt hinter Raven herum und versucht über ihre Schultern hinweg etwas zu sehen, während sein Bruder in völliger Stummheit versinkt und die Wiesen, die Obstbäume und die Stallungen mit großen Augen betrachtet. Aulin, weit weniger ehrfürchtig, beugt sich herüber und zischt: "Ich hab's dir doch gesagt, sei nicht blöd, Shem!" Die Hufe der Pferde knirschen leise auf dem gepflasterten Weg zum Haus hinauf, die Kastanien wölben ihr hohes, grünes Dach über ihnen, der Geruch nach Birkenholzfeuer und irgendetwas Geschmortem zum Mittag liegt in der Luft, und das Haus erwartet sie groß und kühl in seinem blühenden Mantel aus Blauregen und gelben Rosen. Ihre friedliche Heimkehr findet jedoch ziemlich jäh ein Ende, weil ihnen, kaum dass sie in Hörweite sind, aus sämtlichen offenen Fenstern jämmerliches Babygeschrei entgegenschallt. Ravens Kopf zuckt hoch und sie drängt Halbmond ohne auf Aulins erschrockenes Quietschen zu achten mit einem gemurmelten "Oh nein!" zur Eile, während sich ihnen vom Haus her schon Stimmengewirr nähert. Aus dem Schatten des Laubenganges löst sich eine kleine, runde Gestalt mit einer leuchtend weißen Haube, die sich im Sonnenlicht als Dalla entpuppt und Raven erleichtert entgegeneilt. In ihren Armen hält sie ein sich heftig windendes, ohrenbetäubend kreischendes Bündel und in ihrem Kielwasser folgen Pyp, Runa, Rykar (die sich mit leidvollen Mienen die Ohren zu halten) und die beiden Hunde. Bethel, die Prioritäten setzen kann, ist nirgends zu sehen, vermutlich weil sie sich gerade um das Mittagsmahl kümmert. Raven pariert Halbmond vor dem Haus durch, springt ab, wirft dem blass gewordenen Aulin kurzerhand die Zügel zu und nimmt Dalla das jammernde Baby ab. Sie wickelt Ykenai aus ihrer Decke, deren schweißfeuchtes Haar in dunklen Igelstacheln absteht und die hochrot vor Hungerzorn mit den Füßen strampelt, und verschwindet prompt mit ihr im Inneren des Hauses, wo das Geschrei augenblicklich abbricht. Caewlin bekommt Halbmond gerade noch am Halfter zu fassen und zügelt den Grauen. "Spring einfach ab und geh außer Reichweite," rät er dem Jungen hinter ihm, dann steigt er selbst aus dem Sattel und hebt Aulin herunter. Es folgt eine gewisse Verwirrung und einiges Durcheinander, bis er beide Pferde an einem der geschnitzten Pfosten angebunden und die zwei dreckstarrenden Jungen wieder hinter seinem Rücken hervorgezerrt hat, wohin sie sich angesichts der geballten Gesindefront und der knurrend schnüffelnden Hunde verzogen haben. Dalla, noch hochrot und ganz verzweifelt vor lauter missglückten Anstrengungen Ykenai zu beruhigen, hat - im Gegensatz zu allen anderen - Aulin und Shem noch gar nicht entdeckt. Dafür hüpft sie vor ihm herum wie ein aufgescheuchtes Huhn und stammelt in unzusammenhängenden Bruchstücken hervor, sie habe sich ja solche Sorgen gemacht, sie habe ja geglaubt, M'lord und vor allem... natürlich... M'lady seien bald wieder zurück, sie habe ja nicht gewusst, also vielleicht... doch das Kind habe ganz friedlich geschlafen, den ganzen Morgen über, ach ja, und Brynden schlafe übrigens auch, Runa habe ihn vor einer Stunde erst hingelegt, doch dann... seit einer ganzen Weile... habe Ykenai schon nicht mehr aufgehört zu kreischen und...

Irgendwann fällt dann auch Dallas Blick auf die beiden schmutzigen Jungen, die Caewlin gerade an den Schultern nach vorn schiebt und sie verstummt schlagartig. Stocksteif und mit angstvoll geweiteten Augen lassen Shem und Aulin sich von den beiden Hunden umrunden und ausgiebig beschnuppern, und werden außerdem auch schon neugierig von Rykar, Runa und Pyp beäugt, die hinter Dalla Stellung bezogen haben. Stelze wedelt bereits recht angetan um Aulin herum, Akira, sehr viel zurückhaltender, hat die Lefzen noch drohend entblösst, knurrt aber immerhin nicht mehr. Caewlin kann die breiten, jungen Schultern Shems unter seiner Hand ein wenig zittern fühlen und verstärkt seinen Griff einen Moment lang. "Alles in Ordnung," raunt er. "Sie tun euch nichts." Bei Dalla ist er sich da allerdings nicht so sicher - seine Oberste Magd starrt völlig sprachlos geworden auf die beiden zerlumpten Gestalten, macht ein Gesicht, als habe er den Leibhaftigen persönlich mitgebracht und schnappt dabei nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. "Göttererbarmen, Mylord!" Bricht es schließlich empört und fassungslos zugleich aus ihr heraus. "Was bitteschön ist denn das?!"
"Das? Och, das sind zwei Jungen, die wir aufgelesen haben. Das hier sind Shem und sein Bruder Aulin. Sie sind ein bißchen dreckig, ich weiß, aber sie hatten..."
"Ein bißchen dreckig?!" Echot Dalla und sieht aus, als würde sie gleich der Schlag treffen. "Du lieber Himmel, M'lord," schnalzt sie empört weiter. "Sie starren ja vor Dreck! Wo habt ihr sie nur aufgetrieben?"
"Im Hafen und an der Weidenmühle," erwidert Caewlin knapp. "Und jetzt brauchen sie wirklich ein Bad, aye?"
"Herrjemine, ich dachte, Ihr wolltet nur mit M'lady ausreiten und bringt so etwas mit. Ach du Schreck! Oh du liebes Bißchen, jetzt sieh sich einer das an... was machen wir denn nur... ah, ich weiß. Runa, Liebes, sei so gut und geh zu Bethel, sag ihr, dass wir zwei Esser mehr haben. Dann gehst du in meine Kammer und holst ein paar von Pyps alten Sachen aus dem Schrank. Sie bleiben doch zum Essen, M'lord? Sie sehen jedenfalls aus, als hätten sie es bitter nötig. Sieh sich nur einer dieses magere Bürschchen an. Stelzeschatz, nimm deinen pelzigen Hintern da weg, du wirfst mich ja um mit deinem Gewedel. Also, Essen. M'lord? Ja? Gut. Rykar, Pyp, ihr holt die Wanne aus dem Keller. Wo bade ich sie nur...? Ah ja, auf der Terrasse. Nein, halt, doch lieber vor der Mauer des Küchengartens. Ich schüre gleich die Kessel ein, M'lord, damit wir genug heißes Wasser haben, die beiden müssen ordentlich geschrubbt werden." Während Runa und Rykar davon eilen, um Dallas Anweisungen zu erledigen, watschelt die oberste Magd energisch näher, stemmt die Fäuste in die Hüften, und unterzieht sowohl Aulin, als auch Shem einer gründlichen Inspektion. "Läuse," stellt sie nüchtern fest. "Der hier nicht, aber der Kleine, und das nicht zu knapp. Die Haare müssen ab, wir brauchen jede Menge Essig, hoffentlich habe ich noch welchen..."

"Meine Haare? Abschneiden? Sie will mir das Haar abschneiden?! Nein! Shem, tu was!"
"Äh..."
"Ach sei still, Lausebengel!"
"Sire, tut etwas!"
"Nenn mich nicht..."
"Kommt ihnen bloß nicht zu nahe, M'lord, sonst holt Ihr sie Euch auch noch. Götter im Himmel, Junge, wie kann man nur so nach Fisch stinken?!"
"Er hatte..."
"Nicht. Mein. Haar. Abschneiden!"
"Oho, und wie, Schmutzfink! Die Kleider sind jedenfalls nicht zu retten, sie brauchen Neue. Dem Kleinen hier, du, wer bist du? Aulin, ja? Nun hör schon auf, so einen Flunsch zu ziehen, du siehst damit ja aus wie ein Schaf! Also schön, Aulin, dir passen wohl ein paar von Pyps Sachen, auch wenn sie dir zu weit sind, ihr habt annähernd die selbe Höhe, aber was wir mit ihm hier machen weiß ich nicht."
"Ich lasse mir die Haare nicht..."
"Du bist still! Mit Läusen kommst du mir nicht ins Haus. Rykars Sachen sind ihm... Shem, oder? Also Shem alle zu kurz. Du meine Güte, bist du ein langes Elend, Junge. Stehen nicht gut im Futter die zwei, wenn Ihr mich fragt M'lord. Was wollt Ihr über..."
"Dalla," unterbricht Caewlin irgendwann den endlosen Wortschwall und hält Aulin, der schon wieder Anstalten macht, loszukreischen, kurzerhand den Mund zu, "es reicht. Diese beiden. Ein Bad. Vollkommen gleich wo, aber jetzt, verstanden? Dann essen wir. Ihr beiden geht mit Dalla, ich versorge die Pferde. Tut, was sie sagt, ich bin gleich zurück. Aulin, halt die Klappe. Und Dalla - sieh zu, dass du sein Haar irgendwie retten kannst, ja?" Er lässt mit unleugbarer Erleichterung einen ziemlich kleinlaut gewordenen Aulin und einen noch viel sprachloseren Shem bei seiner obersten Magd zurück und bringt dann Gråuna und Halbmond in den Stall hinauf. Die Pferde zu versorgen dauert eigentlich nicht lange, doch er hält sich im Stall auf so lange er nur kann, und als er wieder am Haus anlangt, steht die Kupferwanne bereits an der Küchengartenmauer und füllt sich zusehends mit dampfendem Wasser. Aulin und Shem sitzen in Bergen duftenden Seifenschaums - ihre Kleider sind nirgends mehr zu sehen und verbrennen vermutlich schon zu Asche -, und ziehen so elende Gesichter wie Galgenbrüder, denen gerade der Strick um den Hals gelegt wird, angesichts der Dinge, die Rykar, Dalla und Pyp eifrig herbeischleppen: ein Rasiermesser, eine Schüssel mit Seifenschaum, Seife, noch mehr Eimer mit heißem Wasser, Schwämme und Wurzelbürsten, Handtücher, frische Kleidung, Läusekämme und zwei Schemel. "Kopf hoch," raunt Pyp ihnen im Vorbeigehen zu. "Wenn ihr sauber seid, gibt es Essen," und Rykar, der ihnen zur Seife noch zwei grobe Bürsten reicht, fügt augenzwinkernd hinzu, sie sollten sich lieber beeilen - und sich besser gleich gründlich waschen. Dalla, die schon die Ärmel hochkrempelt, sieht allerdings nicht so aus, als würde sie sich darauf verlassen wollen, dass die beiden das allein und unter sich erledigen, ganz im Gegenteil. Caewlin, der das sieht, tauscht nur noch einen schnellen Blick mit Ryk und Pypar, ehe sie alle drei eilig den Rückzug antreten - sicher ist sicher. Das heulende Kreischen eines Achtjährigen im Ohr, der gegen seinen Willen gewaschen wird, dazwischen die empörten Abwehrversuche eines Sechzehnjährigen, den das gleiche Schicksal ereilt und über allem Dallas energisches Geschnatter, flüchten sie grinsend zur Steinterrasse, wo Runa gerade aufdeckt, und Raven mit Ykenai im Arm im Schatten des raschelnden Oleanders sitzt.

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Raven am 14. Aug. 2006, 20:23 Uhr
Ykenais jämmerliches Gebrüll ist schon zu hören, bevor sie überhaupt das breite Tor durchquert haben, und Raven kann förmlich spüren, dass Aulin hinter ihr auf Halbmonds Rücken die Ohren spitzt und nach vorne späht, um die Quelle dieses infernalischen Lärms zu orten. Einen Augenblick lang verstummt er sogar in seinem unablässigen Geplapper - was nicht allzu oft vorzukommen scheint, wie sie auf dem Rückweg von der Weidenmühle herausgefunden haben. Das Kreischen scheint den Bengel ziemlich zu irritieren und vermutlich hält er es in seiner Ahnungslosigkeit, was die restlichen Bewohner des Seehauses betrifft, für den Todesschrei einer Banshee oder wenigstens für etwas ziemlich dämonisches, was Raven ihm nicht einmal verübeln kann. Wenn sie es nicht besser wüsste, würde sie ja selbst kaum glauben, dass der winzige Brustkorb des Babys, der nicht größer ist als Caewlins geballte Faust, derart ohrenbetäubende Geräusche produzieren kann. Tatsächlich hat Ykenais markerschütterndes Gekreische sowohl in der Lautstärke als auch in seiner Eindringlichkeit frappierende Ähnlichkeit mit den Fanfaren der Steinfaust, die im Falle eines Notstandes oder einer plötzlich hereinbrechenden Naturkatastrophe die Stadtgarde in einen wilden Ameisenhaufen verwandeln. Und so etwas ähnliches wie eine Naturkatastrophe scheint es auch zu sein - zumindest für das Baby. Sie sind kaum in Sichtweite des Hauses und der hölzernen Veranda gelangt, als der rosenüberwucherte Laubengang ihnen auch schon einen Schwall hektisch umherflatterndes Gesinde entgegenspuckt, allen voran Dalla, die mit einem nahezu panischen Gesichtsausdruck an ihren ausgestreckten Armen ein brüllendes und wild um sich tretendes Bündel vor sich her trägt. Ykenai ist vor lauter Zorngeschrei schon puterrot angelaufen, und Dallas Gesichtsfarbe unter der verrutschten Haube sieht der des Babys verblüffend ähnlich. Raven ist schon aus Halbmonds Sattel, bevor die Pferde richtig zum Stehen kommen, stolpert fluchend über das wedelnde hintere Ende des Wolfshundes, der, wie immer zur falschen Zeit am falschen Platz, zwischen den Hufen herumschwänzelt, pflückt Ykenai aus Dallas Armen und macht sich eiligen Schrittes auf den Weg ins Innere des Hauses. Sie wäre zwar gern noch draußen bei Caewlin geblieben, um zu sehen, wie das Gesinde den Fund aufnehmen würde, den sie mitgebracht haben, aber fütterungstechnisch herrscht höchste Alarmstufe, und so bleibt ihr gar nichts anderes übrig, als sich erst um das Baby zu kümmern.

"Ist ja gut, mein Schatz, gleich gibt es was." Sie drückt ihre Tochter an sich und streicht ihr besänftigend über das Köpfchen, während sie sich im Laufen schon das Hemd aufschnürt, aber die Kleine hat sich so in Rage gebrüllt, dass sie kaum zu beruhigen ist. Als sie die vertraute Stimme hört, blinzelt sie zwar kurz aus tränenüberfluteten Augen zu Raven empor, aber von überschwänglicher Wiedersehensfreude keine Spur - statt dessen macht sie ein empörtes Ich-will-sofort-den-Verantwortlichen-für-diesen-Saustall-sprechen- Gesicht und verfällt übergangslos in neuerliches Hungergebrüll. Raven flüstert ihr leise Worte ins Ohr, belangloses Gemurmel, das Ykenai meistens dazu bringt, ihre Lautstärke wenigstens kurzzeitig ein wenig herunterzuschrauben, weil sie das Geflüster ansonsten nicht verstehen würde - aber sie hält nicht einmal zum Luftschnappen inne. Sie will essen. Jetzt. Gleich. Sofort! Seufzend lässt Raven sich mit ihr gleich auf den untersten Stufe der breiten Treppe in der Halle nieder, rupft die Schnürbänder von Hemd und Leibchen auf und legt sie an - und prompt verstummt auch das Geschrei. Ykenai zieht an, als wäre sie tatsächlich dem Hungertod nahe, und die herzerweichenden Schluchzer und Schniefer, die ihren kleinen Körper als Nachbeben ihres Weinens noch schütteln, weichen bald glücklichen Schmatzlauten. "Bist du jetzt fertig, die halbe Stadt zusammenzubrüllen, du armes, verhungertes Kind?" Raven lächelt auf das runde Gesichtchen hinunter, das vor lauter Anstrengung ganz rot und erschöpft ist, zerrt sich das Hemd aus der Hose und wischt der Kleinen mit einem Zipfel des Saumes sanft die letzten Tränen von den Wangen und eine breite Rotzspur vom Näschen. "Also von mir kannst du dieses Organ nicht geerbt haben. Ich möchte wetten, dass sogar Borgil in der Harfe das noch hören konnte." Sie schlenkert sich die Stiefel von den Beinen und lehnt sich mit dem Rücken gegen das geschnitzte Treppengeländer, um es etwas bequemer zu haben, und während das Baby zufrieden trinkt, kommt sie selbst auch wieder ein wenig zur Ruhe.

Von draußen dringen währenddessen hektisch durcheinander redende Stimmen zu ihr in die dämmrige Halle, und dazwischen ertönt Dallas aufgeregtes Geschnatter, das so klingt, als stünde die kleine Mogbar vor einem akuten Nervenzusammenbruch. Aha, grinst Raven in sich hinein. Jetzt hat Caewlin ihr wohl offenbart, dass die beiden Jungen bei uns bleiben werden. Oder sie hat die Läuse entdeckt. Zwischen dem Gezeter der Magd und Caewlins energischer Stimme ist empörte Gegenwehr zu vernehmen, offenbar von Aulin, dem allmählich dämmert, was diese kleine keifende Weibsperson unter der riesigen Haube mit ihm anzustellen gedenkt. Raven weiß zwar nicht genau, womit Dalla ihm gedroht hat, aber der Lautstärke seines Protestes nach muss es mindestens eine der Neun Höllen sein, wenn nicht gar Schlimmeres in Form von Wasser und Seife. Der Tumult vor der Tür ist so laut, dass sie beinahe Runa überhört hätte, die mit völlig verschrecktem Gesicht leise in die Halle schlüpft und sich schleunigst auf den Weg zu den Gesindekammern macht, um Dallas Anweisungen augenblicklich in die Tat umzusetzen. Die heftige Debatte draußen brandet auf und ab, wird mal leiser, dann wieder lauter, dann ist das Klappern von Hufen auf dem Pflaster zu hören, als jemand die Pferde zum Stall bringt, und keinen Herzschlag später poltert Dalla auch schon durch die Haustür und in die Halle, und eilt, hektisch ihre Haube ordnend, im Sturmschrittgewatschel hinter Runa her in Richtung Küche, ohne Raven auch nur eines Blickes zu würdigen. Dabei zetert sie in Fischweibmanier lauthals vor sich hin. "Ohjeohjeohje, was haben M'lord und M'lady uns da bloß angeschleppt .... Läuse und Flöhe und womöglich noch Schlimmeres ... völlig verwahrlost die beiden ... Rykar, wo bleibt die Wanne? Eil dich .... SO kommen mir die beiden auf gar keinen Fall ins Haus ... herrjemine, ich muss zwei Kammern richten, sie brauchen Bettzeug ... und etwas zum Anziehen, zum Glück habe ich Pypars alte Kleider aufgehoben, aber für dieses lange Elend haben wir ja gar nichts ... meine Güte, dann muss er eben so lange etwas von Rykar anziehen, bis wir etwas Passendes auftreiben ... Beth, setz' um Himmels Willen gleich heißes Wasser auf, hat Runa schon gesagt, dass wir noch zwei Esser mehr haben? Ja? Gut..."

Schnaufend wie ein Dampfkessel rauscht sie zu Bethel in die Küche, um ihre Anweisungen hervorzusprudeln, in fliegender Eile Wurzelbürsten, Kernseife und alte Leintücher zusammenzusammeln, und durch die Spülküchentür gleich wieder hinauszukeuchen. Raven kann den Knecht sich mit der schweren Kupferwanne abmühen hören, die er klappernd und scheppernd aus dem Keller emporwuchtet und hinaus schleppt, was dann allerdings draußen im Küchengarten vor sich geht, bleibt ihr vorerst verborgen. Aber es braucht nicht allzu viel Phantasie, um es erraten zu können, und sie kann sich lebhaft vorstellen, welcher Prozedur die beiden Jungen sich unter Dallas wachsamen Augen nun unterziehen müssen - angefangen vom Ohrenschrubben bis hin zum Haareschneiden - und sie beneidet sie wahrlich nicht darum. Ab und zu ist von weitem noch Aulins entrüstete Stimme zu hören, aber Raven ist sich fast sicher, dass er seine Protestversuche irgendwann entnervt aufgeben wird, denn was Dalla in ihren treusorgenden Klauen hat, das lässt sie so schnell nicht wieder aus. Im Gegensatz zu dem Tohuwabohu draußen ist es in der Halle geradezu friedlich und still, und eine Weile sind nur Ykenais zufriedene Trinkgeräusche zu hören. Dann jedoch lässt das leise Tapsen nackter Fußsohlen sie aufsehen. Brynden, durch das lautstarke Chaos vor dem Haus unsanft aus seligem Tiefschlaf gerissen, schleppt sich zerknautscht und noch völlig schlaftrunken die Treppe herunter, in der Hand das heißgeliebte Stoffhäschen baumelnd, von dem er sich nicht einmal unter Gewaltandrohung trennen würde. So sehr er in der letzten Zeit auch zu einem aufmüpfigen Lausebengel und Rabauken geworden ist, der den lieben langen Tag nichts als haarsträubenden Unfug im Sinn hat - den zerfledderten Hasen nimmt er trotzdem noch mit ins Bett, wo der kleine, fadenscheinige Stoffgeselle ihn wacker gegen nächtliche Ungeheuer und böse Träume verteidigt.

"Warum schreit Dalla denn so?" fragt Brynden verwirrt und lässt sich gähnend neben Raven auf die unterste Treppenstufe plumpsen. Ykenai, die ihn sofort erspäht hat, zieht den Mundwinkel zu einem Lächeln hoch, trinkt aber in aller Seelenruhe weiter - so weit geht ihre Geschwisterliebe nun doch nicht, dass sie wegen ihrem Bruder ihre heilige Milchquelle im Stich lassen würde. "Sie badet unseren neuen Knecht", informiert Raven ihn und nimmt das Baby hoch, um es auf die andere Seite umzubetten. "Das heißt, eigentlich sind es zwei. Zwei Brüder, Shem und Aulin." Das scheint Brynden mächtig zu irritieren, denn er zieht die Nase kraus und hakt ungläubig nach: "Sie badet sie? Können die sich noch nicht alleine waschen? Wie alt sind die denn?" Dann schaudert er vor Entsetzen, als er sich das alles bildlich vorzustellen versucht. "Du meinst, richtig baden mit Seifenschaum? Und heißem Wasser?" Wie alle kleinen Jungs unterteilt er Wasser nämlich in zwei grundverschiedene Arten - in schönes und in schädliches. Das schöne steht in Pfützen, verwandelt Erde in Schlamm, mit dem man sich von oben bis unten wunderbar beschmieren kann, stinkt in Regentonnen vor sich hin, lässt sich zum Herstellen von Seifenblasen verwenden oder plätschert im Ildorel herum. Das schädliche kommt aus dem Drachenkopf im Badezimmer oder aus Dallas Eimern und dient zum Waschen und Zähneputzen. Deshalb wird es von Brynden tunlichst geschont, es sei denn, er benutzt es zum Füllen von Schweinsblasen, um sie Pyp vom Kinderzimmerfenster aus auf den Kopf zu werfen oder zu ähnlich sinnvollen Unternehmungen. Momentan scheint gerade das schädliches Wasser in seinen Gedanken herumzuschwappen, und er versucht sich wohl auszumalen, was Dalla den armen Burschen - wer auch immer sie sein mögen, er kennt sie ja noch nicht - antun wird. Dabei gruselt er sich offenbar derart, dass ihn ein Schauder überläuft und er sofort Mitleid mit diesen seinen Brüdern im Geiste bekommt. "Ich geh' mal nachgucken, was Dalla macht", verkündet er und hievt umständlich seinen Hosenboden von der Treppe. "Nicht dass sie einen ersäuft."

Kichernd schaut Raven ihm nach, wie er durch die Halle schlurft, die Küchentür entert, im Vorbeigehen bei Bethel eine Handvoll Haferkekse abstaubt, und dann durch die Spülküche hinaus in den Garten hüpft, um sich den badenden Knecht und seinen Bruder anzuschauen. Sie lässt Ykenai noch fertig trinken, dann nimmt sie sie an ihre Schulter hoch, müht sich auf die Füße, und bringt sie nach oben in ihr Zimmer, um ihr noch eine neue Windel zu verpassen und sich selbst einen Satz saubere und möglichst nicht nach Fisch riechende Kleidung. Nachdem sie Ykenais kleines Hinterteil in ein frisches Mulltuch gepackt hat, wäscht sie sich an der Waschschüssel auf der Kommode im Schlafgemach nur schnell die Hände und das Gesicht, tauscht die Hose und das verschwitzte Hemd gegen ein einfaches Leinenkleid und Sandalen, und begibt sich mit dem Baby auf dem Arm wieder nach unten. Jetzt, wo Ykenai satt, zufrieden und frisch gewickelt ist, ist sie auch wieder das liebste Kind der Welt, und gönnt Runa, die ihnen in der Halle mit einem schwerbeladenen Tablett entgegenkommt, ein niedliches Grübchengrinsen. Seit sie entdeckt hat, wie das mit dem Lächeln funktioniert, tut sie es oft und gern und lacht alles und jeden fröhlich an, der ihr in die Quere kommt - jeder einzelne Hausbewohner, die Hunde, sogar der blubbernde Suppenkessel in der Küche wird von ihr mit einem Strahlelächeln bedacht. Sie folgen Runa hinaus auf die gepflasterte Terrasse, wo die Magd sich eilt, den langen Holztisch zu decken. Nach dem, was sie alles aus der Küche heranschleppt, muss Bethel sich schier überschlagen haben, nachdem Dalla verkündet hat, dass sie noch zwei Esser mehr zu Gast haben. Beth hat zum Mittagsmahl einen Lammschlegel geschmort und dazu die ersten, im Küchengarten geernteten Stangenbohnen, ist aber offensichtlich zu dem Schluss gekommen, dass dies unmöglich für die inzwischen auf zehn Personen angewachsene Tischgesellschaft ausreichen würde, und hat noch kräftig nachgelegt. Jetzt türmen sich zwischen den Tellern noch Schüsseln mit Zwiebelgemüse, dampfenden Kartoffeln und kleinen, frisch gebackenen Hafermehlbroten - so viel, dass man damit die halbe Steinfaust abfüttern könnte.

Raven lässt sich im Schatten des Oleanders auf der Bank nieder, packt Ykenai in ihr Weidenkörbchen und lauscht neugierig in Richtung Küchengarten, in dem es der Geräuschkulisse nach ziemlich turbulent zugehen muss. Wildes Wasserplatschen und Geschepper wechseln sich mit Dallas energischen Kommandos ab, unterbrochen von Hundekläffen und Aulins Piepsstimme, die einen Schwall götterlästerlicher Flüche hervorspuckt. Das Ganze wird noch untermalt von gelegentlichen zaghaften Einwürfen Shems, der seinen Bruder zu beruhigen versucht, dem Klappern einer Schere und den Geräuschen eines mittelschweren Handgemenges. Als erstes taucht Akira auf der Terrasse auf, die mit ihrer untrüglich feinen Nase wohl das Baby erschnuppert hat, gefolgt von einem pfützenden Wolfshund, der aussieht, als hätte man ihn gerade aus dem Ildorel gefischt. Kurz nach den Hunden folgt Caewlin und hinter ihm bald darauf auch Rykar, Pyp und Dalla, wobei die kleine Mogbar einen so selbstzufriedenen und triumphierenden Gesichtsausdruck zur Schau trägt, als hätte sie gerade allein ein Heer einmarschierender Barbaren niedergeschlagen. Das Grüppchen, das in ihrem Schlepptau dann die Terrasse erreicht, raubt Raven auch im wahrsten Sinn des Wortes die Sprache und lässt eine leise Ahnung in ihr aufkeimen, dass es wohl als Dreigestirn des Grauens in die Geschichte des Seehauses eingehen wird: ein zornroter, kurzgeschorener Aulin, dem die Empörung über seine verlorenen Haarzotteln förmlich aus den Ohren dampft, ein übers ganze Gesicht grinsender Brynden, und dazu ein zwar mageres, aber dennoch überaus ansehnliches, hochgewachsenes Mannsbild, bei dessen Anblick Runa sofort bis zu den Haarwurzeln errötet. Herrje... das kann noch heiter werden.

Dallas Anstrengungen haben allerdings auch ein respektables Ergebnis hervorgebracht, denn Aulin und Shem sind kaum wiederzuerkennen. Gewaschen, gekämmt und gestriegelt, und mit halbwegs sauberer Kleidung versehen, sehen sie direkt menschlich aus. Darüberhinaus hat Dalla nicht mit sich handeln lassen, Aulins Protest rigoros im Keim erstickt und sich mit der Schere über das Gestrüpp auf seinem Sturschädel hergemacht. Auch wenn sie ihn nicht völlig kahlgeschoren hat, so hat er doch der Läuse wegen kräftig Haare lassen müssen. Er steckt in einer alten Hose und einem ausrangierten Hemd von Pyp, die zwar von der Größe her passen, jedoch so weit sind, dass sie an ihm herumschlottern wie die Kleidung an einer Vogelscheuche. Shem dagegen trägt mangels anderer Alternativen Rykars abgelegte Sachen. Die Hosenbeine reichen ihm gerade mal bis kurz über die Knie, aber wenigstens sind die Beinkleider sauber und ohne Löcher, was im Gegensatz zu seinen alten Sachen beinahe königlich wirkt. Ziemlich still und ziemlich verschreckt marschieren sie hinter Dalla her - ein Zustand, der bei Aulin allerdings nicht lange anhält. Für ihn scheint es ein Ding der Unmöglichkeit zu sein, länger als drei Atemzüge seine Klappe zu halten, und kaum dass sein Blick auf den gedeckten Tisch fällt, geht das Geplapper von Neuem los. Seine Augen werden angesichts der duftenden Leckereien so groß wie Untertassen und er schaut entgeistert von einem zum anderen, so als könne er nicht glauben, dass hier alle zusammen an einem Tisch sitzen und Knechte und Mägde das gleiche aufgetischt bekommen wie die Herrschaften. Plötzlich wirkt er reichlich eingeschüchtert, rutscht unsicher auf der Bank hin und her, und wirft seinem Bruder hilfesuchende Blicke zu. Dann treffen seine umherirrenden Augen auf Bethel, die gerade aus der Halle kommt, mit beiden Händen eine riesige Platte mit knusprig gebratenem Lammfleisch vor sich her balancierend - und er sackt sprachlos in sich zusammen.

"Ach du meine Güte", entfährt es der Köchin angesichts der beiden Klappergestelle, und Raven muss ein Grinsen unterdrücken. Beim Anblick der mageren Jungen, die sie in Zukunft zu verköstigen hat, glänzen Bethels Augen auf, und sie kann der Köchin förmlich an der Nasenspitze ansehen, dass sie im Geiste sofort zusammenzurechnen beginnt, wie viele Lammkeulen sie in die beiden Jungen hineinstopfen muss, bis sie halbwegs wieder Fleisch auf den Rippen haben. Raven tauscht einen amüsierten Seitenblick mit Caewlin, der sich neben ihr auf der Bank niedergelassen hat. "Sie wird sie mästen", prophezeit sie kichernd und weist mit dem Kopf in Schnurrers Richtung, der es sich im Schatten zwischen zwei Blumenkübeln am Rand der Terrasse bequem gemacht hat und zusammengeringelt wie eine dicke rothaarige Schnecke ein Mittagsschläfchen hält. "So wie den da. Der war genauso mager, als du ihn mitgebracht hast, und jetzt sieh ihn dir an." Dank Bethels kulinarischer Fürsorge ist aus dem einst so dürren Findelkind ein stattlicher Kater geworden, und Raven hat nicht den leisesten Zweifel, dass sie es binnen kürzester Zeit schafft, auch aus Shem und Aulin zwei wohlgenährte Burschen zu machen. Sie fängt auch sogleich damit an, indem sie den beiden Fleisch- und Kartoffelportionen auf die Teller schaufelt, die eine Kompanie Oger sattmachen würden, und nachdem sie ihre erste Scheu abgelegt haben, langen die beiden auch tüchtig zu. Nach dem Essen geht wieder jeder seiner abendlichen Arbeit nach, und während Bethel und Runa den Tisch abräumen, verschwindet Dalla geschäftig hinter der Küche, um den zwei Neuankömmlingen Schlafkammern herzurichten. Caewlin und Rykar nehmen die beiden Jungen zu den Ställen mit, zeigen ihnen das Vieh, das Geflügel, die Pferde und die prachtvolle Muttersau, die, kaum dass Aulin sich neugierig ihrem Verschlag nähert, sofort eine Attacke startet und sich wild grunzend gegen den Zaun wirft. Erschrocken hüpft der Kleine rückwärts, als die gut fünfhundert Pfund schweinischen Lebendgewichtes gegen die Pfosten donnern, und Caewlin hebt mit einem Blick auf Shem vielsagend die Brauen, so als wolle er sagen: "Hier siehst du gleich, womit du es in Zukunft zu tun hast."

Raven, die mit Ykenai auf dem Arm zu den Ställen nachgekommen ist, hält wohlweislich gebührenden Abstand zu diesem Ungetüm von Borstentier. Das Baby dagegen, das mit dem Schwein noch keine nähere Bekanntschaft schließen musste, ist noch völlig ohne Arg, gibt glucksende Laute von sich und grinst es freundlich an. Die Sau lächelt leider nicht zurück - vermutlich hat sie kein Interesse an Freundschaften mit Wesen, die sie zum Frühstück verspeisen könnte -, sondern beäugt sie nur aus boshaft funkelnden Augen, grunzt einmal laut und kehrt ihnen dann würdevoll ihr feistes Hinterteil zu. Während Rykar Shem beiseite nimmt und zu erklären beginnt, was er zu tun hat und wie seine täglichen Arbeiten aussehen werden, unternimmt Brynden einen vorsichtigen Annäherungsversuch bei Aulin und zerrt ihn geschäftig am Ärmel, um ihm seine Schnecken, sein Holzschwert und seine restlichen Schätze zu zeigen, die er in einem der Schuppen hortet wie ein alter Geizkragen seinen Goldschatz. Der Kleine trabt eifrig hinter ihm her, und bald sind sie in den unergründlichen Tiefen von Scheunen und Ställen verschwunden. "Hoffentlich vertragen sich die beiden", seufzt Raven und lehnt sich neben Caewlin an den Koppelzaun, während sie Brynden und Aulin nachsieht. "Mir schwant, dass sie nichts als Unsinn aushecken werden. Vielleicht können wir für den Kleinen auch irgendeine Aufgabe finden, sonst wird er vermutlich unsere Nerven zu Kleinholz zersägen." Ihr Blick wandert zu Shem hinüber, der aufmerksam Rykars Erklärungen lauscht, ab und zu verstehend nickt oder etwas nachfragt. Unter den zerlumpten Kleidern und der Dreckschicht, die er sich heruntergeschrubbt hat, ist zum Erstaunen aller etwas recht Ansehnliches zum Vorschein gekommen. "Er ist wirklich ein hübscher Bursche. Hast du Runa vorhin gesehen, als er aufgetaucht ist?" Bei der Erinnerung daran muss sie im Nachhinein noch grinsen. "Sie hat ausgesehen wie eine von Dallas schönsten Tomaten."

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Raven am 21. Apr. 2007, 14:57 Uhr
Als Raven an diesem sonnigen Morgen gegen Ende des Sturmwindmondes die Stufen hinunterpoltert - an einem Arm eine gähnende Schlafmütze namens Brynden, unter dem anderen die zappelnde, quietschlebendige Ykenai -, kann sie durch die offenstehende Küchentür bereits Rykars laute Stimme hören, noch ehe sie den Fuß der Treppe erreicht hat. Ohne Punkt und Komma - was bei dem eher schweigsamen Knecht einiges heißen will - redet er auf jemanden ein und sein brummelnder Altmännerbass hüpft dabei zwischen Sorge und unverhohlenem Ärger hin und her. Raven ahnt schon, worum es geht, und als sie in einer Pause, die Rykar offenbar zum Luftholen nutzt, die gute Bethel mit wehleidiger Stimme antworten hört, sieht sie ihre Ahnung prompt bestätigt. Bitte nicht schon wieder! Resigniert rollt sie die Augen zur Decke, in der Hoffnung, dass von dort vielleicht göttliche Hilfe herabsteigen und das Seehaus von Bethels Gewimmer befreien könnte, doch das Schicksal, die Götter, die Nothelfer gegen Zahnschmerzen oder wer auch immer dafür zuständig sein mag, haben kein Erbarmen - weder mit dem Weh der Köchin, noch mit den geplagten restlichen Bewohnern des Anwesens. Seit mehr als einem Siebentag quält sich Bethel nun schon mit einem eiternden Backenzahn herum, wimmert vor Schmerzen und kann mit ihrem geschwollenen Gesicht, das frappierend an das eines Hamsters erinnert, kaum noch reden. Sich den Zahn ziehen zu lassen, weigert sie sich jedoch hartnäckig, und allein schon der Gedanke, einen Schmied mit einer riesigen eisernen Zange in ihrem Mund herumfuhrwerken zu lassen, lässt sie vor Angst schlottern. Rykar redet seit Tagen auf sie ein wie auf ein krankes Pferd und versucht sie davon zu überzeugen, dass der faule Zahn kaum von alleine herausfallen wird und sie gefälligst endlich zu einem Heiler oder eben einem Schmied gehen soll, aber die Köchin will davon nichts hören.

"Dann trink' wenigstens einen Schnaps!", empfiehlt er ihr gerade resigniert, als Raven mit den Kindern die Küche betritt und einen verschlafenen Morgengruß von sich gibt. Während Brynden schnurstracks in Richtung Frühstück strebt, legt Ykenai bei Bethels Anblick die zarte Stirn in Falten, betrachtet sie aus weit aufgerissenen Augen, und diagnostiziert dann mitfühlend: "Beth Aua!" Es ist aber auch ein Bild des Jammers, das sich ihnen bietet: völlig in sich zusammengesunken hockt Bethel auf der Küchenbank, das Gesicht vor Schmerz verzerrt und die dick geschwollene Backe in ein warmes, wollenes Tuch geknotet. Die Köchin schenkt ihnen eine gequälte Grimasse, die wohl ein Lächeln darstellen soll, dann kommentiert sie den Vorschlag ihres Mannes mit einem entrüsteten Aufschnauben und nuschelt etwas davon, dass er nicht ganz bei Trost sein könne, wenn er glaube, sie würde sich am helllichten Tag und noch vor dem Mittagsläuten betrinken, worauf Rykar in einer erschöpften Geste die Arme gen Himmel hebt und Raven einen um Beistand flehenden Blick zuwirft. "Ich muss jetzt zum Stall 'rüber und M'lord und dem Burschen mit der Sau helfen", tut er kund und schüttelt gleich darauf drohend den Zeigefinger in Bethels Richtung: "Und wenn du den Zahn bis heute abend immer noch nicht losgeworden bist, dann werde ich eigenhändig nachhelfen. Das ist ja nicht mehr auszuhalten mit dir." Schuldbewusst zieht Beth den Kopf zwischen die Schultern und murmelt etwas unverständliches - und bestimmt nicht sehr liebenswürdiges - in ihr wollenes Tuch, während Rykar durch die Spülküche nach draußen verschwindet, wo Caewlin und Shem offenbar schon auf ihn warten, um sich zu dritt der dämonischen Muttersau zu widmen, die ihr Unwesen im Schweinepferch treibt.

Das fleißige Borstentier hatte vor ein paar Tagen einen prachtvollen Wurf mit sechzehn rosigen, quicklebendigen Ferkeln in die Welt gesetzt, von denen eines seit dem Vortag aus unerfindlichen Gründen ziemlich apathisch ist und nicht mehr trinken will, mit trüben Augen vor sich hin starrt und nicht ein einziges Quieken mehr von sich gibt. Das Ferkelchen gilt es nun aus den Klauen seiner Mutter zu befreien, um es sich genauer anzusehen und Schlimmeres zu verhindern - und nachdem Rykar die Küche verlassen hat, kann es sich wohl nur noch um Minuten handeln, bis draußen bei den Ställen die Hölle losbrechen wird. "Immer noch nicht besser?" erkundigt sich Raven, während sie sich Bethel gegenüber auf die Küchenbank fallen lässt, sich Cofea in einen Becher gießt, Bryndens und ihre eigene Schale mit lauwarmem Haferbrei füllt und gleichzeitig Ykenai davon abzuhalten versucht, sich von ihrem Schoß kopfüber auf den Fußboden zu stürzen. Leidend schüttelt Bethel den Kopf und widmet sich wieder den zu schälenden Kartoffeln, doch bevor sie zu einer ausführlicheren Antwort ansetzen kann, fliegt die hintere Tür auf und eine schnaufende Dalla, bis ans Kinn bepackt mit Einkäufen und einem mürrisch dreinblickenden Pyp als zusätzlichem Lastenträger im Schlepptau, watschelt mit vor Anstrengung hochrotem Gesicht in die Küche, schwankend wie ein hochbeladenes Kamel im Passgang. "Wo warst du denn so lange?" will Bethel sofort stirnrunzelnd wissen (was sich wegen ihrer dicken Backe ungefähr wie "Woassuennsoange?" anhört), doch die kleine Mogbar lässt die Köchin gar nicht erst ausreden, sondern reißt sofort gebieterisch das Wort an sich und erstickt ihre Vorwürfe im Keim: "Ihr glaubt ja nicht, was ich gerade erfahren habe!"

Während Dalla ihren Marktkorb auspackt und den Küchentisch unter Butterfässchen, Kräutersträußen, kleinen Käselaiben und in Pergament gewickelten Päckchen aus der Fleischerei begräbt, erteilt sie ihrem Sohn Anweisungen, wo er die Einkäufe zu verstauen hat, die er mit leidender Miene vom Marktplatz bis zum Seehaus hinter ihr hergeschleppt hatte, und sprudelt gleichzeitig den neuesten Stadt-Tratsch hervor, ohne dabei auch nur einmal Luft holen zu müssen. Brühwarm erzählt sie Bethel die neuesten Neuigkeiten, die sie zwischen den Buden und Ständen aufgeschnappt hat. Davon, dass Morgana, die Heilerin, nach ihrer Entführung wieder wohlbehalten nach Talyra zurückgekehrt sei (was die Köchin lapidar mit den Worten "Geh', Dalla, das ist doch ein alter Hut, das weiß doch schon längst die ganze Stadt" kommentiert), sich offenbar aber komplett vom Stadtleben zurückgezogen habe und darüber hinaus immer noch nicht mit diesem Spitzohr, den sie ihren Gefährten nennt, verheiratet sei. Die angeheiratete Base ihres Schwiegersohns ("... der von meiner Ältesten, Beth, du weißt schon, dieser arbeitsscheue Hallodri ..."), die sie auf dem Markt getroffen hat, habe ihr hinter vorgehaltener Hand erzählt, dass sie auch keinerlei Anstalten machen würden, diesen 'g'schlamperten' Zustand zu ändern - was Bethel und Dalla prompt dazu bringt, sich minutenlang über das ihrer Meinung nach moralisch höchst fragwürdige lose Verhältnis der Heilerin zu diesem dubiosen Elben auszulassen, bevor die Mogbar übergangslos zum nächsten Thema schwenkt. "Die Hufschmiede am Fluss unten steht immer noch leer und keiner scheint zu wissen, wann die kleine Schmiedin wieder zurück kommt", verkündet sie, während sie gleichzeitig Pyp gnädig entlässt, sich endlich aus ihrem Mantel schält, sich eine Schürze umbindet und die obligatorische Haube über ihre zerzausten Locken stülpt.

Brynden, der sich gerade methodisch durch einen riesigen Berg Haferbrei futtert, blinzelt bei diesen Worten unter seinen Stirnfransen hervor, überlegt einen Moment und folgert dann zwar hinterlistig, aber völlig logisch: "Arme Bethel - wer soll dir denn jetzt deinen Zahn ziehen?" Das trägt ihm sofort zwei giftpfeiltödliche Blicke ein - einen von Dalla, die sich nicht gern in ihrem Redeschwall unterbrechen lässt, und einen von Bethel, die sich schmerzhaft an das gerade erfolgreich verdrängte Zahnweh erinnert sieht. Nach einem unwilligen Schnauben in Bryndens Richtung fährt Dalla jedoch ungerührt in ihrer Hochgeschwindigkeitsberichterstattung fort: "Du weißt doch, Beth, das Elbenmädel ist mit diesem Ieras, der ja der Sohn von dieser Gerberin ist, die mit dem armen Tarascon verheiratet war, der inzwischen ja die Ehe hat auflösen lassen, weil seine Frau mit ihrer Schwester mir nichts, dir nichts in den Norden gereist ist ... ah, was wollte ich noch gleich sagen? Achja, sie sind Lady Kizumu nach Ardun gefolgt, und sie sind immer noch nicht wieder zurück - das hat mir eines der Küchenmädchen aus der Steinfaust erzählt...." Und so geht es weiter und weiter, sämtliche Verwandten und Bekannten werden von den beiden genüsslich durchgehechelt und kommentiert - wobei die kleine Mogbar Bethels zahnschmerzbedingtes Schweigen sichtlich genießt, bedeutet es für sie doch ungehemmte Redefreiheit.

Raven schlürft an ihrem Cofea, füttert Ykenai, die vergnügt vor sich hin plappert und unbedingt mitessen will, mit Haferbrei und hört nur mit halbem Ohr hin, weil sie der ganze Tratsch nicht sonderlich interessiert und sie das meiste ohnehin schon weiß. Aber allmählich keimt in ihr der Verdacht, dass Dalla noch einen ganz besonderen Trumpf im Ärmel haben muss, den sie ihnen voller Genuss erst ganz zum Schluss servieren wird. Zunächst aber bekommen sie noch allerlei Klatsch aufgetischt, angefangen bei diversen, erst an diesem Morgen aufgeschnappten und somit noch taufrischen Details zu der Rettungsaktion, die den Lordcommander zusammen mit zwei unbekannten Frauen und dem dämlichen Oger, der in der Steinfaust Dienst tut, auf den Spuren Shyadas nach Blurraent geführt hatte (" ... und er soll wirklich und wahrhaftig als Dompteur in einem Zirkus aufgetreten sein, in einem Zirkus! Unser Lordcommander - kannst du dir das vorstellen?"), über das seltsame, spitzohrige Mannweib aus den Elbenlanden, das bei der Waldläuferin noch immer zu Besuch weilt, bis hin zu den Bauernaufständen in Brioca, die die kleine Stadt südlich von Talyra in unerbittlichem Klammergriff halten. Als Dalla ausführlich von den Briocaer Aufständen erzählt, schweifen Ravens Gedanken unwillkürlich ab. Während sie Ykenai geistesabwesend das haferbreiverkleckerte Gesichtchen abwischt, muss sie an den letzten Sommer zurückdenken, der der schlechteste und nasseste seit Menschengedenken gewesen war. Wegen dem haarsträubend miesen Wetter und sintflutartigen Regenfällen hatte es in den gesamten Herzlanden kaum mehr als Missernten gegeben, das Korn und die Kartoffeln waren größtenteils auf den Feldern verfault, das Saatgut für die heurigen Aussaaten verdorben, die Obsternten waren verhagelt gewesen und selbst aus dem Süden und dem hohen Norden waren kaum Nahrungsmittel nach Talyra und ins Umland gelangt, weil die Herbstkarawanen nichts zu transportieren gehabt hatten. Noch so ein schlechter Sommer und die Talyrer Stadträte würden sich ernsthaft Gedanken über eine drohende Hungersnot machen müssen.

Auch ihnen selbst und den Pachtbauern des Seehauses war es nicht besser ergangen als allen anderen, und die Ernten waren so mager und kümmerlich gewesen, dass sie nach einigem Beratschlagen den Bauern ihren Zehnten erlassen und Saatgut nachgekauft hatten, um ihnen wenigstens im neuen Jahr die Ernten zu sichern. Hunger hatte niemand leiden müssen und die Vorratskammern des Seehauses waren glücklicherweise noch aus den guten Vorjahren reichlich gefüllt gewesen, aber dem Küchenzettel war manchmal doch anzumerken gewesen, dass nicht alles so rosig wie sonst gewesen war. Puh, aber inzwischen geht es zum Glück schon wieder aufwärts. Raven schickt einen erleichterten Stoßseufzer gen Himmel, denn wenigstens das diesjährige, warme Frühjahr meint es gut mit ihnen. Die Saat ist ausgebracht, die Kartoffeln sind gesetzt, die Salatköpfe wachsen ordentlich, und die Tomatenpflänzchen können auch bald ins Freie, wenn es so warm bleibt. "Jetzt hör' schon auf zu unken, Dalla", unterbricht sie die Magd, die gerade Schreckensvisionen einer künftigen Hungersnot heraufbeschwört. "Uns geht es doch gut, das Wetter könnte im Moment nicht besser sein und alles wird tüchtig wachsen, du wirst sehen. Und jetzt rück' schon endlich mit der Sprache heraus - du hast doch noch irgend etwas auf Lager. Ich kann es dir an der Nasenspitze ansehen!" Dalla spannt sie jedoch noch ein wenig auf die Folter und muss erst noch von Borgils Nachricht berichten, die in der Harfe eingetrudelt ist, wie ihr brühwarm eine entfernte Nichte, die über sieben Ecken mit Halla, der obersten Schankmagd, verwandt ist, erzählt hat. Borgil hätte darin geschrieben, dass Azra, das Baby, Tiuri und er noch eine ganze Weile in der Gegend um Sûrmera bleiben würden, dass der Winter dort unten lausig gewesen wäre und das schlechte Wetter sie mondelang festgehalten habe, so dass sie mit ihrer Suche nach Tiuris Verwandten nicht recht weitergekommen wären, es ihnen aber gut gehen und sie bald wieder Nachricht schicken würden.

Dann setzt sie ein wichtiges Gesicht auf, das den Beginn einer besonders denkwürdigen Mitteilung ankündigt. "Der Tarascon hat wieder eine Liebschaft", raunt sie mit bedeutungsschwangerer Stimme und wirft aus ihren schwarzen Vogelaugen wilde Blicke um sich, als ob sie fürchten müsste, von feindlichen Spionen belauscht zu werden. "Ich hab's von der Schwägerin meiner Nichte gehört, deren Base mütterlicherseits ist Waschfrau in der Steinfaust, und die hat es heute morgen mit eigenen Augen gesehen!" Raven, die gespannt gelauscht hatte, sinkt in sich zusammen, als hätte jemand die Luft aus ihr herausgelassen. "Ich dachte, du hast interessante Neuigkeiten", stöhnt sie. Das Liebesleben des Lordcommanders ist nicht unbedingt das, was sie interessiert. Brynden im übrigen auch nicht, denn er schiebt seine bis auf den letzten Krümel geleerte Schüssel von sich, rutscht von der Bank, murmelt etwas davon, dass er mit Aulin Maikäfer fangen gehen will und ist im gleichen Atemzug auch schon nach draußen verschwunden. "Wehissendielüllige?" will Bethel wissen und auf Dallas irritiertes "Was?" übersetzt Raven hilfreich: "Wer ist denn die Glückliche?"
"Das muss noch ein blutjunges Ding sein", weiß die Mogbar zu berichten. "Ein Mädel aus dem Norden, aus Immerfrost wär' sie, hat's geheißen. Tarascon hat sie wohl auf der Straße aufgelesen, scheint eine Herumtreiberin gewesen zu sein. Die hat er dann als Kinderfrau für seine Zwillinge angestellt, aber bei der Kinderbetreuung ist es dann ja wohl nicht geblieben."
Herumtreiberin? Immerfrost? Blutjunges Ding? Irgend etwas klingelt bei diesen Worten in Ravens Hinterkopf. Nein, das kann ja wohl nicht sein, unmöglich. "Den Namen weißt du nicht zufällig?" hakt sie bei Dalla nach, was die Mogbar dazu bringt, die Stirn in Falten zu legen und mit angestrengter Miene in ihren Gehirnwindungen herumzukramen. "Ohje, M'lady, es war so ein merkwürdiger Name .... Brianna ... Diamanta, nein ... Diantha ... ja, Diantha, so hat sie sie genannt."

"Diantha?" Raven fällt beinahe die Kinnlade in den Ausschnitt und sie kann die Mogbar einen Augenblick lang nur ungläubig anstarren. "Das glaube ich nicht .... bist du sicher?" Dalla nickt so hektisch, dass ihr beinahe die Haube vom Kopf rutscht. "Ja, M'lady, genau der Name war's, ganz gewiss, jetzt erinnere ich mich wieder." Es kann sich doch unmöglich um diese Vogelscheuche vom Inarifest handeln... Ravens gesamtes Weltbild gerät ins Wanken bei dieser Vorstellung: Olyvar und diese .... diese Herumtreiberin? Ihre zweifellos begüterte Fantasie reicht beim besten Willen nicht aus, um sich das auszumalen. Es muss sich bestimmt um jemand anderen handeln ... Andererseits ist der Name wirklich ungewöhnlich und es müsste schon mit dem Dunklen und seinen sämtlichen Archonen zugehen, wenn es in der Stadt mehr als ein Mädchen dieses Namens gäbe. Raven erinnert sich noch lebhaft an das letztjährige Inarifest, bei dem sie besagter Herumtreiberin begegnet sind, und deren Bild steht ihr noch deutlich vor Augen: ein hageres Elend in schmutziger, abgerissener Kleidung, ein zerzauster Haarschopf undefinierbarer Farbe über einem verkniffenen Gesicht - und Manieren schlimmer als ein besoffener Bierkutscher. Raven kann sich trotz aller Anstrengung nicht vorstellen, dass das die neue Frau oder Gefährtin des Lordcommanders sein soll und schüttelt, völlig überfordert von dieser Mitteilung, den Kopf. Das muss ich auf der Stelle Caewlin erzählen ... Eilig schiebt sie die geleerte Schale beiseite, trinkt den Cofeabecher aus und befreit Ykenais Gesicht von den großzügig verteilten Breikrusten. "Komm, Schätzchen, wir gehen mal deinen Papa suchen und ein bisschen an die Luft raus."

Vor wenigen Wochen ist die Kleine ein Jahr alt geworden und zur Freude aller hat sie sich ganz prächtig entwickelt. Aus dem winzigen, rosigen Baby ist inzwischen ein aufgewecktes und unerschrockenes Kleinkind geworden, das mit seinem niedlichen Grübchenlächeln alles und jeden um den Finger wickelt, mühelos zwei bis fünf Erwachsene auf Trab halten kann und dessen Lebensziel es zweifellos ist, die Hunde über den Haufen zu krabbeln und die Hauseinrichtung zu demolieren - zumindest all das, was sich in Grabschweite ihrer neugierigen Händchen befindet und nicht schnell genug in Sicherheit gebracht wird. Vom Augenblick ihrer ersten Krabbelversuche an hatte sie binnen kürzester Zeit herausgefunden, welche Dinge im Haus aus Schränken gezerrt, zerfleddert, zerrupft, aus Scharnieren gerissen, geschreddert, verschüttet, benagt und quer durchs Zimmer geschleudert werden können, und ihr Leben scheint sich hauptsächlich darum zu drehen, mittels praktischer Versuche der Frage nachzugehen "Was wird wohl passieren, wenn ich dies und jenes tue?" Mittlerweile zieht sie sich an Tischbeinen, Stühlen und sonstigen Möbelstücken (manchmal auch an struppigen Hunderücken, -ohren oder -schnauzen) in die Höhe und hangelt sich daran entlang - sprich, sie zerrt alles in Reichweite befindliche herunter, so dass es ihr auf den Kopf fällt. Wenn sie es aber eilig hat - und das ist praktisch fast immer der Fall -, lässt sie sich auf den Hintern plumpsen, windet sich blitzschnell herum und krabbelt dann flink wie eine kleine Eidechse auf das Objekt ihrer Begierde zu. Ihr Wortschatz hat sich in der letzten Zeit ebenso rasant entwickelt und die wichtigsten Personen und Dinge in ihrer kleinen Welt kennt sie längst beim Namen - und kann sie etwas noch nicht richtig aussprechen, zeigt sie sich ziemlich einfallsreich beim Erfinden passender Begriffe. Papa, Mama, Dalla und Beth beherrscht sie schon perfekt, da einfach nachzuplappern, und dem Rest hatte sie kurzerhand babygerechte Namen gegeben: aus Brynden wird Bwynda, aus dem zungenbrecherischen Rykar macht sie Düda, Runa wird zu Wuna und die beiden Hunde werden von ihr mit Dedsse und Gida angeredet. Ihr eigener Name ist für ihre ungelenke Kinderzunge noch ein wenig zu kompliziert und so hat sie ihn einfach zu Nainai abgekürzt. Ansonsten beherrscht sie noch jede Menge Kleinkindkauderwelsch: Nein (energisch mit drei Ausrufezeichen), Kuckuck! (ihr Allzweckwort für Hallo, Guten Tag, Wer bist du? und Ich will das haben!), Kuh - muuuuh! Katze - miau! Hund - wauwau! Nase, Mund, oben, unten, auf, zu, Hunger, Durst, Hoch!, Schwein - oink, Schäfchen - mäh, Huhn - gackgack!

Der vergangene Winter hatte ihnen demnach reichlich zum Lachen beschert. Ykenais Namenstag am Ende des Taumonds, der mit dem ihres Vaters zusammenfällt, hatten sie auch gebührend gefeiert, und die Erinnerung daran lässt Raven lächeln. Während sie, ihre zappelnde Tochter geschultert, in der Spülküche in ihre alten Holzpantinen schlüpft und dann nach draußen in das morgendliche Sonnenlicht tritt, erinnert sie sich an diesen Tag zurück und an das Geschenk, das sie für Caewlin gemacht hatte. Mehrere Siebentage lang hatte sie sich den Kopf über die Frage zerbrochen, was sie ihrem Mann schenken könnte, der im Grunde alles hat oder es sich zumindest leisten könnte, ohne eine Antwort darauf zu finden. Eigentlich mehr aus Verzweiflung hatte sie dann angefangen, ein Bild von den Kindern für ihn zu malen. Aus der einen geplanten Zeichnung wurde dann allerdings schnell ein ganzer Stapel Pergament, den sie schließlich, sauber geschnitten und halbwegs auf gleiche Größe zurechtgestutzt, in eine Art Buch gebunden hatte, dessen Seiten nun angefüllt sind mit Bildern und Zeichnungen ihrer beider Kinder: Brynden, der zum ersten Mal sein Schwesterchen halten darf, mit einem Ausdruck grimmiger Konzentration unter den weißblonden Fransen; Ykenai, vom Scheitel bis zur Sohle mit Haferbrei verschmiert und einem teuflischen Grinsen im Gesicht; Brynden, mit seinem kleinen, hölzernen Übungsschwert auf der Wiese hinter dem Haus, auf der Schaukel im Apfelbaum, auf dem Rücken des Braunen und selig schnarchend an Caewlins Schulter; Ykenai, halb in Akiras reißzahnbewehrtem Maul verschwunden, zwischen Stelzes Pfoten zusammengekringelt, mit erwartungsvoll aufgerissenen Augen und fuchtelnden Ärmchen, mit Grübchengrinsen, unter dem Küchentisch sitzend, im Waschzuber badend oder friedlich schlummernd in ihrer Wiege.

"Bwynda! Bwynda!" Gerade blubbert sie aufgeregt an Ravens Ohr und schlägt mit ihren begeistert rudernden Armen beinahe ihre eigene Mutter bewusstlos, als ihnen im Garten Brynden und Aulin entgegengehüpft kommen. An ihren Armen schlenkern alte Blecheimer, die sie mit Kartoffelsackresten abgedeckt haben. Unter dem groben Sackleinen raschelt und schwirrt und brummt es lautstark, und Brynden zeigt sich ungewohnt großzügig und lässt Raven und seine kleine Schwester einen kurzen Blick auf seine Ausbeute werfen. Das zeitige und vor allem warme und sonnige Frühjahr hat die Maikäfer bereits jetzt zu Ende des Sturmwinds aus der schwarzen Erde gelockt, so dass sie zu Dutzenden im Garten umhersummen und die beiden Jungen keine Mühe haben, sie zu fangen und ihre Eimer mit ihnen zu füllen. "Ich hab' sogar einen Kaiser" prahlt Brynden und zeigt auf einen besonders großen, rötlich gefärbten Käfer, der orientierungslos in seinem Eimer zwischen abgerupften Blättern herumtaumelt. Ykenai ist so fasziniert von dem Gekrabbel, dass sie Raven beinahe vom Arm hüpft, um einen Blick darauf werfen zu können - und Brynden kann gerade noch geistesgegenwärtig den Eimer in Sicherheit bringen, bevor er den Fingern seiner Schwester zum Opfer fällt. Zusammen mit Aulin und den aufgeregt brummenden Blecheimern macht er sich auf den Weg Richtung Küche, um auch Dalla und Bethel seine Käfer zu zeigen, während Raven mit der Kleinen auf dem Arm zum Schweinepferch hinüberschlendert. Caewlin, Rykar und Shem stehen mit grüblerischen Mienen und einem gehörigen Sicherheitsabstand vor dem Gatter und scheinen angestrengt zu überlegen, wie sie das kranke Ferkel aus dem Verschlag bekommen können, ohne dabei drei von einer rachsüchtigen Muttersau gemeuchelte Leichen zu hinterlassen. Besagte Sau wird in diesem Moment von ihren fünfzehn gesunden Schweinekindern belagert, die sich, aufgeregt mit ihren rosa Ringelschwänzchen wedelnd und kreuz und quer übereinanderpurzelnd, um ihre Zitzen drängen. Trotz des wilden Durcheinanders schafft sie es, eines ihrer kleinen Schweinsäuglein boshaft auf das männliche Publikum zu richten, das ihren Pferch umringt, und in ihrem Blick liegt die unübersehbare Drohung: Wagt es bloß nicht, meinen Kindern zu nahe zu kommen!

"Vielleicht sollte ich als Köder in den Pferch steigen, dann könnt ihr ungestört das Ferkel herausholen, was meinst du?" fragt Raven unschuldig und schmiegt sich dabei an Caewlins Seite - wobei sie hofft, dass er ihr Angebot nicht allzu ernst nimmt, denn so lebensmüde ist sie nicht, dass sie sich diesem Höllenschwein freiwillig auf mehr als fünf Schritt nähern würde. "Ich muss dir unbedingt etwas erzählen", verkündet sie dann und setzt Ykenai zu ihren Füßen auf die Wiese, wo sie nach Herzenslust herumkrabbeln kann (und sich zweifellos mit ihren kleinen Fäusten alles in den Mund stopfen wird, was auch nur halbwegs essbar aussieht). Sofort kommen auch die beiden Hunde angewedelt, die von der Kleinen quietschend begrüßt werden. "Dalla ist gerade vom Markt zurückgekommen und ..." Noch bevor Raven auch nur daran denken kann, den Satz zu Ende zu sprechen, gellt vom Haus her ein so ohrenbetäubend schriller Schrei zu ihnen herüber, dass sie erschreckt zusammenfahren und ihnen buchstäblich das Blut in den Adern gefriert. "Allmächtige Götter!", entfährt es Rykar und er lässt entsetzt die Mistgabel fallen, auf die er sich gestützt hat. "Das ist Beth!" Vergessen sind die Sau und ihre Ferkel, und alles, was Beine hat, galoppiert eilig zur Hintertür hinüber, aus der soeben eine völlig aufgelöste Dalla geschossen kommt. Ykenai kreischt empört auf, weil Stelze sie in wilder Panik einfach über den Haufen rennt, dann findet sie sich zum Glück hastig aufgehoben, unter einen Arm geklemmt und eineinhalb Schritt hoch über dem Boden wieder. An der Hintertür gibt es einiges Gerangel, als alle gleichzeitig in die Küche drängeln - aber was sie dort erspähen, lässt sie hellauf lachen: anstatt des erwarteten blutigen Schreckensszenarios steht mitten in der Küche eine aus Leibeskräften kreischende und wild um sich schlagende Bethel, flankiert von einem betreten dreinblickenden Aulin und einem weinerlichen Brynden, der mit zitterndem Kinn beteuert: "Ich wollte den Eimer ja gar nicht runterwerfen!" Zu Bethels Füßen liegen die zwei umgekippten Blechkübel und wahllos verstreutes Grünzeug, und um sie herum schwirren laut brummend gut drei Dutzend desorientierte Maikäfer, die panisch flüchtend nach einem Ausgang aus der Küche suchen.

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Caewlin am 24. Apr. 2007, 18:30 Uhr
Caewlin ist gerade dabei Shem das Vorhaben auszureden, sich in den Schweinepferch zu schleichen, und dort die Sau abzulenken, damit er derweil das kranke Ferkel holen kann, als plötzlich aus dem Nichts Raven mit Ykenai im Arm bei ihnen auftaucht, sich an seine Seite schmiegt und ihm prompt dasselbe vorschlägt. >Vielleicht sollte ich als Köder in den Pferch steigen, dann könnt ihr ungestört das Ferkel herausholen, was meinst du?< Caewlin schluckt seinen Schrecken hinunter, tauscht einen alarmierten Blick mit dem jungen Knecht und drückt seine Frau einen Moment an sich. "Ah djävla, seid ihr jetzt verrückt geworden, du und Shem? Er hat mir gerade das gleiche angeboten." Er küsst ihren Scheitel, hell unter ihrem schweren, dunklen Haar und dann das ebenso dunkle, feine Haargespinst seiner Tochter. "Guten Morgen Kobold." Raven kräuselt bedeutungsvoll ihre Nase. >Ich muss dir unbedingt etwas erzählen!< Sie setzt Ykenai in respektvollem Abstand zum Gatter der Schweinesuhle auf die Wiese, wo die Kleine augenblicklich von Stelze und Akira umringt wird und kehrt dann aufgeregt an seine Seite zurück. "Aye? Was denn?" >Dalla ist gerade vom Markt zurückgekommen und ...< Noch bevor Raven ihre Neuigkeiten loswerden kann, schreckt ein schrilles Kreischen vom Haus her sie auf und lässt sie herumfahren. Caewlin hört Rykar gerade noch entgeistert etwas von Bethel murmeln, dann nehmen sie alle, Menschen wie Hunde, die Beine in die Hand. Raven pflückt die erschrocken losquietschende Ykenai vom Boden und sie sehen gerade noch Dalla aus der Spülküche in den ummauerten Garten schießen, wo sie einen Veitstanz zwischen Aussaatbeeten und Komposthaufen aufführt, und dabei auch noch wild um sich schlägt. "Weg, weg, nehmt sie weg! Alle weg!" Hört Caewlin seine Oberste Magd quieken, doch sie sind zu schnell an ihr vorbei, als dass er sagen könnte, was um Himmels Willen da gerade über sie herfällt. Groß kann es jedenfalls nicht sein. Shem bleibt bei ihr zurück, und nimmt sich hastig ihrer an, während Caewlin, Rykar, Raven samt der Kleinen und die Hunde gleichzeitig versuchen, durch die schmale Hintertür ins Haus zu gelangen, in dem es dröhnt wie in einem Hornissenstock. Die werden doch nicht… In der Küche bietet sich ihnen dann allerdings ein Bild, das sie alle wie angewurzelt stehen bleiben und trotz ihres Schreckens simultan um Beherrschung ringen lässt: Bethel steht auf einem bedenklich unter ihrem Gewicht knirschenden Holzschemel, rudert mit den fleischigen Armen wie mit Windmühlenflügeln, wird von Wolken panischer Maikäfer umbrummt und kreischt sich die Seele aus dem Leib, während Aulin und Brynden neben ihr stehen wie begossene Pudel, und ein ums andere Mal beschwören, es wäre ü-b-e-r-h-a-u-p-t gar keine Absicht gewesen. "Keine Absicht?" Knurrt Caewlin mit einer Mischung aus Bestürzung und Lachen, und sein Blick irrt dabei über umgekippte Eimer, seine aufgelöste Köchin und das ganze krabbelnde, surrende, schwirrende Chaos. "Sammelt dieses Käferzeug wieder ein, aber auf der Stelle! Ryk, bring' deine Frau hier raus, bevor sie in Ohnmacht fällt. Und nehmt Nainai mit. Raven, hilf mir. Wo ist Runa?" Als wäre es ihr Stichwort gewesen, klappt in diesem Moment die Tür vom Gesindetrakt in die Küche auf, und Runa erscheint mit fragender Miene und einem Korb weißer Wäsche auf der Hüfte. Sie wirft einen Blick in das Maikäferinferno, sperrt Mund und Nase auf, wird kreidebleich, lässt den Korb fallen und schlägt die Tür mit einem spitzen Schrei wieder zu.

Caewlin verdreht die Augen, und Rykar bringt die jammernde Bethel in Sicherheit und pflückt mit arthritischen Fingern summende Käfer aus ihren grauen Locken, von ihrem Rücken und aus ihrer Schürze. Allen Göttern sei Dank ist seine eigene Frau weder zimperlich, noch zartbesaitet. Raven verschwindet nur kurz, um Ykenai draußen Shem oder Dalla oder sonst jemandem zu übergeben, der nicht gerade den Verstand verloren hat, ist aber gleich wieder bei ihm, öffnet alle Fenster und die Tür zur Spülküche, schnappt sich ein Geschirrtuch und scheucht die Käfer so gut es geht nach draußen. Aulin und Brynden fangen derweil hastig ein, was in Reichweite herumkrabbelt, über Tische, Stühle und Anrichten kriecht oder mit dumpfem "Peng" gegen das Kupfergeschirr und die Schränke knallt, und dann betäubt zu Boden taumelt. Einen Moment später ist auch Runa wieder bei ihnen, noch immer blass, aber entschlossen und außerdem bewaffnet mit Kehrschaufel und Handfeger. "Kluges Mädchen." Die Magd wird rot bis zu den Wurzeln ihres feinen, blonden Kinderhaares und Caewlin weiß genau, dass sie tausend Tode stirbt hier drin, aber lieber das, als dass Shem sie für zimperlich halten könnte. Seit dem letzten Sommer, als der junge Mann und sein kleiner Bruder bei ihnen im Seehaus eingezogen waren, tut Runa schon nichts anderes, als Shem anzuhimmeln. Ihre glühende Verehrung geht sogar soweit, dass sie, das immer unscheinbare, graue Mäuschen, irgendwann im Lauf des Herbstes begonnen hatte, sich selbst zu verändern. Ein Haarband hier, ein neuer, nicht mehr ganz so unscheinbarer Rock da, das Haar endlich einmal geflochten, der Blick nicht mehr nur noch starr auf die eigenen Füßen gerichtet - niemand im Seehaus kann es ihr verdenken, auch Bethel und Rykar nicht, die sie liebend gern mit Shem vermählt sehen würden, den sie inzwischen alle schätzen. Caewlin selbst wäre der erste, der den beiden seinen Segen erteilt, sie verheiratet, ihr eine ordentliche Mitgift gibt und ihnen viel Glück wünscht… allein an Shem gehen Runas schüchterne Annäherungsversuche anscheinend völlig vorbei, und zwar gleich so vollkommen, dass Caewlin sich langsam insgeheim fragt, ob mit dem Jungen vielleicht irgendetwas nicht stimmt. Raven hatte ihn schon an seinem ersten Abend hier als "hübschen Burschen" bezeichnet - was die Untertreibung des Jahres gewesen war, denn sauber, mit gekämmtem Haar und mit Kleidung am Leib, die aus mehr Stoff als Löchern besteht, ist Shem so schön wie ein junger Gott -, und ihn dann gefragt, ob er bemerkt hatte, wie Runa bei seinem Anblick rot wie eine von Dallas Tomaten geworden war. Caewlin weiß noch genau, wie er leicht alarmiert erwidert hatte, dass er sich darüber dann Sorgen machen würde, wenn er es müsste. An Runa und die Verantwortung für eine Jungfrau unter seinem Dach hatte er bei dieser Rettungsaktion zweier verlorener Seelen (von denen eine einem sechzehnjährigen Damariasebenbild gehört) überhaupt nicht gedacht. Himmel, wenn er gewusst hätte, was unter all dem Dreck zum Vorschein kommt, hätte er den Bengel und seinen vorlauten, ständig Blödsinn ausheckenden Bruder an der Weidenmühle gelassen. Doch wie die letzten Monde gezeigt hatten, muss er sich zumindest in dieser Hinsicht anscheinend überhaupt keine Sorgen machen - sehr zu Runas Leidwesen, die liebend gern Anlass dazu gegeben hätte.

Jetzt bemüht sich das Mädel neben ihnen mit angewiderter Miene, aber tapfer, dicke Käfer aufzukehren und sie durch die Fenster nach draußen zu befördern, und irgendwann taucht auch noch Pyp in der Küche auf, unterdrückt ein Prusten, was ihm einen strengen Blick von Raven einbringt und beeilt sich dann, ihnen zur Hand zu gehen. Caewlin kann hinterher wirklich nicht sagen, wie lange sie gebraucht haben, die Küche wenigstens einigermaßen von den Maikäfern zu befreien, doch es muss eine halbe Ewigkeit gewesen sein und jedes Mal, wenn sie schon glauben, endlich das letzte Krabbelvieh erwischt zu haben, kriecht irgendwo doch noch einer hervor, plumpst von der Galerie, fällt irgendjemandem aus dem Haar oder schwirrt von einem der Schränke. Da die Küche über zwei Stockwerke geht, schickt Caewlin irgendwann Runa und Pyp nach oben, um nachzusehen, wie viele verirrte Maikäfer inzwischen in den oberen Räumen ihr Unwesen treiben, doch die Ausbeute der beiden ist allen Göttern sei Dank nur so mager, dass sie allmählich daran denken können, Haus und Küche wieder für einigermaßen sicher zu erklären. Caewlin erwischt Aulin und Brynden gerade noch am Kragen, als sie sich schon möglichst unauffällig davonstehlen wollen, um der verdienten Strafpredigt zu entgehen, doch daraus wird nichts. Aulin zieht schuldbewusst den Kopf zwischen die Schultern und Brynden sieht aus wie das personifizierte Gewissen, als Caewlin sie gehörig ausschimpft und dann beide nach draußen in den Küchengarten drängt, wo sie sich kleinlaut bei Bethel und Dalla entschuldigen müssen. Die dicke Köchin nimmt ihre zerknirschten Mienen trotz Zahnschmerzen huldvoll entgegen und nuschelt etwas von "Houngudungs", was Caewlin beim besten Willen nicht mehr versteht, bis Raven hilfreich dolmetscht, es heiße "Schon gut, Jungs". Dalla zeigt sich weniger versöhnlich und funkelt immer noch erbost, doch irgendwann nickt auch sie und verspricht wangentätschelnd Sahnebonbons nach dem Abendbrot. Damit sind Brynden und Aulin entlassen, nachdem man ihnen das Versprechen abgenommen hat, Maikäfersammlungen nicht mehr ins Haus zu schleppen, genauso wenig wie Schneckenzuchten, Erdkrötenreigen, Kaulquappen in alten Suppentöpfen oder ähnliches Getier. Nachdem das erledigt ist, will Caewlin sich eigentlich wieder um ihr Sorgenkind im Stall oben kümmern, aber daraus wird vorerst nichts, weil Bethels Zahn sich nachdrücklich in Erinnerung bringt und die dicke Köchin nur noch mit einem entkräfteten "Ooouuuiihhh" in ihr Reich zurückwankt. "Das reicht jetzt," verkündet Rykar erbost und ihnen - vor allem Beth - bleibt nicht erspart, nach einem Heiler oder Wundscher zu schicken. Während sie warten - Raven hatte Pyp aufgetragen, einen Heilkundigen oder ihretwegen auch einen Bader oder Schmied zu holen, der sein Handwerk versteht -, füllen Dalla und Runa Rykars bessere Hälfte vorsorglich schon einmal mit einer gehörigen Portion Feuerwein ab, Branntweinbedenken am helllichten Tag hin oder her. Caewlin kehrt derweil mit Shem in den Stall zurück, doch das Ferkel ist leider nicht mehr zu retten, sie können es nur noch tot aus dem Pferch bergen, bevor sie sich hastig vor zweihundert Stein wütender Muttersau in Sicherheit bringen müssen. Danach bleibt bis zum Mittagmahl nicht mehr allzu viel Zeit, also kümmern sie sich noch ein wenig um Feuerholz, sehen nach den Lämmern und misten beim Kleinvieh aus.

Das Kochen hat dann allerdings Dalla übernommen, wie sie erfahren, als sie sich alle auf der Steinterrasse bei Eiern, Speck und Truthahnpfanne mit frischem Brot zum Essen versammeln, da Beth zwar ihren Zahn losgeworden ist - ein junger Bader war irgendwann erschienen und hatte einen Stunde lang in ihrem Mund herumgefuhrwerkt -, dafür aber jetzt unter lautem Schnarchen im Gesindetrakt ihren Rausch ausschläft. Es hatte die vereinten Kräfte von Shem, Rykar, Runa und Raven gebraucht, um sie überhaupt dorthin zu verfrachten. Der Rest des Tages vergeht mit alltäglichen Arbeiten, aber im Gegensatz zu dem ereignisreichen Morgen ganz und gar unspektakulär. Dalla arbeitet in im Garten, Runa spinnt in der Halle noch immer blass und mitgenommen, weil sie dem Wundscher mit Spuckschüssel und Zange hatte helfen müssen, Shem und Pyp schleppen Körbeweise fein gesiebten Kompost durch die Gegend, Rykar rekrutiert Aulin und Brynden zum Putzen und Fetten des Lederzeugs, und Ykenai hält gnädig Mittagsschlaf, was Raven und Caewlin die Gelegenheit zu einem Ausritt mit den Hunden am Strand unten gibt. Raven hat Halbmond den ganzen Herbst und Winter über bewegt und die Stute ist längst wieder in bester Verfassung, was sie ihm und dem Grauen auch tagtäglich beweist, wenn sie mit seiner Frau auf ihrem Rücken in Wolken aufwirbelnden Sandes oder kleinen Salven hoch spritzenden Wassers davon donnert. Sein Pferd mag ja vielleicht Krater am Strand hinterlassen, die kleine silbergraue Wüstenstute scheint ihn dafür nicht einmal zu berühren. Sie fliegt, und mit ihr fliegt auch Raven, so tief über den Hals Halbmonds gebeugt, als wolle sie mit dem Pferd verschmelzen, das lange Haar wie ein dunkles, seidiges Banner hinter sich. Der Frühling hat längst Einzug gehalten in den Herzlanden, die Welt ist aus ihrem grauen Dämmerschlaf erwacht und das Versprechen von neuem Leben pulsiert im Boden. Nach den langen schlechten Monden des vergangenen Herbstes und Winters ist es jetzt warm für die Jahreszeit, und überall wuchert es frisch und grün - in Dallas Garten, auf den weitläufigen Wiesen des Seehauses, auf den Feldern und Weiden des Umlandes und ebenso im Larisgrün rund um die Stadt. Angesichts der Tatsache, dass das Inarifest vor der Tür steht und es daher vermutlich auf jeder Straße in der Nähe Talyras und an allen Toren zugehen würde, wie in einem Taubenschlag, verzichten sie heute darauf, in den Wald zu reiten oder die Stadt zu umrunden. Sie folgen nur dem Strand weit nach Norden hinauf, machen in einer versteckten Bucht irgendwo hinter dem Smaragdstrand unweit einer alten, halb verfallenen Pfahlhütte Rast, lassen die Pferde solange in den Dünen grasen und lieben sich zwischen raschelndem Schilf. Der Tag ist so warm, dass Caewlin danach eine Runde im See schwimmt, aber Raven streckt nur ihren linken großen Zeh ins Wasser, zischelt ein entgeistertes "Brrr!" hervor und erklärt ihn für verrückt. Sie kehren auch am Ildorelufer wieder nach Talyra zurück, doch es wird später Nachmittag, bis sie wieder am Seehaus sind, das still und ruhig unter der Frühlingssonne da liegt. Ykenai schläft noch immer, wie Dalla sie in der Küche ungefragt informiert, doch als sie nach ihr sehen, ist ihre Tochter weder in ihrem Bett, noch in ihrem oder Bryndens Zimmer zu finden. Eine ebenso kurze, wie hastige panische Suche im oberen Stockwerk fördert die Kleine schließlich in ihrem eigenen Schlafgemach zutage, wo sie in aller Seelenruhe im Schlafkittelchen vor dem hohen Bronzespiegel steht und hingerissen ihr eigenes Gesicht darin mustert - ein bisschen wackelig vielleicht, aber freihändig und auf ihren eigenen Füßen.

Caewlin bleibt abrupt im Türrahmen stehen und Raven windet sich an ihm vorbei, nur um ebenfalls zur Salzsäule zu erstarren. "Sie steht!" Flüstert sie mit einer seltsamen Mischung aus mütterlichem Stolz, Schrecken und hingerissener Faszination... und vielleicht auch mit einem Hauch Empörung. "Ganz allein!"
"Ich sehe es, min koerlighed," gibt er ebenso leise zurück. Wir brauchen Türgitter. Hoffentlich hat Rykar noch genug von den schmalen Holzlatten. Ykenai hatte sich zwar schon seit einiger Zeit immer wieder an allem Erreichbaren hochgezogen, aber allein war sie bisher noch nie auf ihren kleinen Füßen gestanden und vom aufrechten Gang hatte sie auch nicht viel wissen wollen. Im Gegenteil, sie hatte sogar jeden Versuch elterlicher Unterstützung in dieser Angelegenheit bislang standhaft verweigert. Wann immer Raven oder er selbst sie auf die Füße gestellt hatten, um sie ein bisschen auf den Geschmack zu bringen, hatte sie sich ungehalten aus ihren Händen gewunden wie ein Fisch und war schnurstracks auf allen Vieren davon gekrabbelt. Jetzt ist ihre Tochter so selbstvergessen in die Betrachtung ihres Spiegelbildes vertieft, dass sie sie gar nicht hört, die Ärmchen erhoben und leicht gespreizt, als wolle sie ihr noch unsicheres Gleichgewicht ausbalancieren, schwankend wie ein Schilfrohr im Wind, aber wild entschlossen. "Sieh dir das an," wispert Raven und er legt ihr im selben Moment die Hand auf die Schulter, als Ykenai ihren ersten Schritt macht. "Das muss sie heimlich geübt haben." Noch ein Schritt. "Aye," flüstert er zurück. Schritt Nummer drei sieht schon viel sicherer aus. "Ich glaube das einfach nicht…"
"Hm?" Brynden taucht hinter ihnen auf, die Hände voller Lederreste und verstaubt vom Scheitel bis zur Sohle. Er streckt seinen Kopf zwischen ihnen hindurch, um auch einen Blick auf das zu werfen, was seine Eltern da so fasziniert betrachten, doch als er seine Schwester bei ihren ersten Gehversuchen entdeckt, zuckt er nur mit den Schultern als wäre das ein alter Hut. "Ach, es ist nur Nainai."
"Sie läuft," zischt Raven ihm zu und Brynden schielt skeptisch unter seinen silberblonden Ponyfransen zu ihr hoch, als wolle er sagen: Na und? "Weiß ich," verkündet er auch prompt. "Was?!" Echoen sie beide gleichzeitig und Brynden, von ihrem Tonfall verwundert, blickt ein bisschen schuldbewusst drein. "Ja-aa."
Aufgeschreckt durch ihre lauten Stimmen dreht Ykenai den Kopf und verliert prompt das Gleichgewicht. Mit einem überraschten kleinen "Ups", das Caewlin sehr zum Lachen findet, plumpst sie auf ihren dick gepolsterten Windelhintern und grinst dann mit weit geöffnetem Mund, so dass sich alle ihre kleinen weißen Zähnchen zeigen. Raven lächelt genauso breit und tritt rasch zu ihr. Einen Schritt von ihr entfernt kniet sie sich nieder und streckt die Arme aus. "Versuchs noch mal, komm zu mir, Schatz." Caewlin hält den Atem an, als seine Tochter sich mühsam auf die Beine stemmt und gefährlich herumschwankt, doch dann tapst sie entschlossen auf ihre Mutter zu, läuft einen taumelnden Schritt, dann einen zweiten und dritten, und fällt ihr kichernd in die Arme.
"Pfff," macht Brynden neben ihm, als das das selbstverständlichste der Welt. "Nainai kann doch schon laufen."
"Seit wann?" Will Caewlin wissen und lässt sich in die Hocke nieder. Brynden zuckt nur mit den Schultern und nuschelt: "Hab sie schon ganz oft laufen sehen."
"Diese kleine freche Eidechse!" Caewlin tauscht einen amüsierten Blick mit Raven und streckt dann die Arme aus. "Kobold," ruft er leise und Ykenai dreht ihm grinsend ihr Gesicht zu. "Kom. Kom an, min lilla. Schaffst du das, bis zu mir?"

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Raven am 27. Apr. 2007, 21:10 Uhr
>Kobold<, lockt Caewlins dunkle Stimme, >kom. Kom an, min lilla. Schaffst du das, bis zu mir?< Gar keine Frage - natürlich schafft Ykenai das. Sie wendet sich Caewlin zu und grinst, ein richtig breites Grinsen mit Mäusezähnchen, und ihr rundes Kleinkindergesicht ist ein einziges, großes Strahlen. "Lilla! Bold! Sssaffft!" kräht sie aufgeregt, wie zur Bestätigung, dass sie genau weiß, was ihr Vater von ihr will. Raven, die sich inzwischen auf den Holzdielen niedergelassen hat und hingerissen das Schauspiel beobachtet, muss sich ein Lachen verbeißen angesichts dieses eifrigen Schlachtrufes. Insgeheim aber muss sie ihrer Tochter vollkommen recht geben, denn welches weibliche Wesen könnte schon widerstehen, wenn dieser Mann mit ausgebreiteten Armen und einem auffordernden Komm! auf den Lippen vor ihm auf dem Fußboden kniet - sie jedenfalls nicht. Für einen kurzen Moment verschwindet das Strahlen aus Ykenais Gesicht und weicht einer höchst konzentrierten Miene, als sie ihre Augen auf Caewlin richtet und mit gefurchter Stirn ihr Ziel anvisiert. Dann wankt sie entschlossen los und auf ihn zu, schlingernd wie ein betrunkener Seemann bei Landgang. Aber sie schafft es tatsächlich und läuft fünf, sechs tapsige Schritte, freihändig und ohne sich irgendwo festzuhalten, bevor sie sich mit ihrem kleinen normander Dickschädel voraus und begeistert quietschend in seine Arme wirft. Caewlin hebt sie hoch und schwenkt sie herum, was sie mit wildem Gekicher quittiert und herumzappelt wie ein Sack voller Aale, bevor er sie wieder auf die Füße stellt. Auf Zehenspitzen steht sie da und tanzt herum, ganz wild vor Freude darüber, selbst laufen zu können, und Raven muss tatsächlich verstohlen ein Paar Tränen wegblinzeln, weil es einfach zu schön ist, sie so froh zu sehen, so voller Leben und so glücklich.

"Mal!" kreischt Ykenai vergnügt und reißt sie damit abrupt aus ihren Gedanken. "Mal! Mal!" Himmel hilf! Raven tauscht einen halb amüsierten, halb flehenden Blick mit ihrem Mann. 'Nochmal!' - Mal! - ist eines von Ykenais derzeitigen Lieblingswörtern, vorzugsweise sehr energisch und mit drei Ausrufezeichen vorgetragen. Gleichgültig ob ihr Vater sie kitzelt, Stelze ihr hingebungsvoll das Gesicht abzuschlabbern versucht, Brynden Grimassen schneidet oder Runa mit ihr Hoppe-Hoppe-Reiter spielt - stets kommt von Ykenai ein glucksendes Lachen und ein Mal!, mit dem sie einen manchmal an den Rande eines Nervenzusammenbruchs treiben kann. Und jetzt hat sie offenbar Feuer gefangen und ihre Begeisterung für diese neue Fortbewegungsart entdeckt. Sie windet sich aus Caewlins Arm, dreht sich um und wackelt in fröhlich schlingerndem Zickzackkurs auf ihren Bruder zu, der noch immer in der Tür steht und offenbar die Welt nicht mehr versteht, weil zwei erwachsene Menschen sich wegen ein paar läppischen Gehversuchen derart euphorisch benehmen, als würden sie der Erstbesteigung des Wolkenthrons beiwohnen. "Nun sieh dir bloß dieses kleine durchtriebene Luder an", murmelt Raven in ungläubigem Staunen, aber sie strahlt übers ganze Gesicht und ihr Grinsen ist so breit, dass sich ein Honigkuchenpferd neben ihr wie ein Trauerkloß ausnehmen würde. "Sie hat uns die ganze Zeit über nur zum Narren gehalten - sie kann ja laufen, und wie." Nachdem Ykenai mit ihrem torkelnden Frontalangriff Brynden erfolgreich aus dem Zimmer und zur Flucht getrieben hat, wendet sie sich wieder ihrer Mutter zu. Als sie in deren ausgestreckten Arme plumpst, lässt Raven sich mit einem waidwunden Ächzen rücklings zu Boden fallen und bleibt so reglos liegen, als hätte eine Pfeilsalve sie niedergestreckt. Die Kleine betrachtet sie in fasziniertem Schrecken und kommentiert das Ganze treffend mit: "Mama umpfallt". Nachdem die gefallene Mutter sich trotzdem nicht rührt, versucht Ykenai einen Wiederbelebungsversuch und krabbelt, ihre kleinen Knie und Ellbogen dabei in Ravens Weichteile bohrend, auf ihrem Bauch herum.

Dann wird ihr das Ganze offensichtlich doch ein wenig unheimlich. "Mama auf!" kommandiert sie - und klebt anschließend vergnügt kreischend beinahe unter der Zimmerdecke, als Raven mit einem Kichern und einem "Buh!" urplötzlich wieder von den Toten aufersteht. Prompt folgt das obligatorische: "Mal!" Doch diesmal ist Caewlin an der Reihe und sofort muss Ykenai ausprobieren, ob das Ganze bei ihrem Erzeuger ebenso gut funktioniert. "Papa umpfallt auch!" fordert sie nachdrücklich, sich ihm wild entgegenstürzend, doch er grinst nur und weicht keinen Sekhel. So unverrückbar wie der Fels von Nair Siaf nimmt er den Ansturm dieses windelbepackten kleinen Rammsporns entgegen, und denkt gar nicht daran, sich von einem herrischen Frauenzimmer aufs Kreuz legen zu lassen. Bevor Ykenai sich jedoch naserümpfend beschweren kann, wird ihre Aufmerksamkeit von zwei Hundeköpfen abgelenkt, die sich neugierig zur halboffenen Tür hereinschieben - ein riesiger, kantiger Schädel mit breiten Wangenknochen und wachsamen, gelben Augen, und daneben ein struppiggraues Etwas mit seinem typischen Trottelgrinsen im Gesicht. Angelockt von dem Kichern und Quietschen im elterlichen Schlafgemach - und sicher auch, weil Akira ihren Schützling vermisst, den sie nie lange aus den Augen lässt - haben sich die beiden ins Obergeschoss geschlichen, um die Lage zu prüfen und zu sehen, woher der ganze Krawall rührt. Ihr Fehler - denn Ykenai hat sie sofort zu willigen Opfern für ihre neu erwachte Leidenschaft auserkoren. "Gida!" zwitschert sie begeistert und wankt auf die riesige Bluthündin zu, um sich ihr buchstäblich an den Hals zu werfen und den Kopf gegen ihre breite Brust zu rammen. Akira verzieht keine Miene, lässt sich auf ihrem pelzigen Hinterteil nieder und beäugt die Kleine vollkommen ungerührt und mit einen Ausdruck im Gesicht, als wolle sie fragen: Kann ich dir vielleicht irgendwie behilflich sein?

Einem Fremden hätte dieses Bild sicher einen entsetzten Schauer zwischen die Schulterblätter gejagt und für gesträubte Haare gesorgt: ein kaum einen dreiviertel Schritt großes, zartes Menschenkind, das sich an die Beine eines gewaltigen, reißzahnbewehrten Monsters von Hund klammert, aber Raven weiß genau, dass sie sich deswegen nicht sorgen muss. Auch wenn Akira einen ausgewachsenen Mann mit Leichtigkeit in Stücke fetzen kann - den Kindern würde sie niemals etwas tun. Brynden und seit gut einem Jahr nun auch Ykenai sind ihre Schutzbefohlenen, über die die große, stille Bluthündin mit Argusaugen wacht, und sie erträgt geduldig alle Knuddelversuche und grapschende Kinderhändchen, die ihr büschelweise das Fell ausreißen, sich an ihr entlanghangeln oder sie an den Ohren ziepen. Selbst wenn es ihr zu bunt wird, zieht sie weder die Lefzen hoch, noch zeigt sie ihre Zähne, sondern verhält sich völlig unspektakulär: sie steht einfach auf und geht, und demonstriert damit, dass sie in Ruhe gelassen werden will. Wie ernst sie ihre Aufgabe als Kindermädchen nimmt und dass sie notfalls über Leichen gehen würde, um die Kinder zu schützen, hatte sie im vergangenen Jahr beim Inarifest ja auch eindrücklich bewiesen, und Raven weiß, dass sie sich keinen besseren Aufpasser für ihren Nachwuchs wünschen könnten. Eine Weile tatscht Ykenai noch an den Hunden herum, dann fällt ihr ein, dass schon längst Zeit für ihre nächste Mahlzeit ist und sie Hunger hat. "Nainai essen!" fordert sie lautstark, aber nach einem misstrauischen Schnuppern in Richtung Windelpaket, dem ein ziemlich anrüchiger Duft entströmt, befördert Raven die Kleine zunächst einmal hinüber ins Kinderzimmer. Nachdem sie dem winzigen Hinterteil ihrer Tochter eine frische Hülle verpasst hat, folgen sie Caewlin nach unten in die Küche, wo Ykenai bei Dalla sofort eine Schale vom Frühstück übrig gebliebenen Haferbrei und einen Keks abstaubt.

Raven stillt ihre Tochter zwar noch, vorzugsweise morgens und abends, doch Ykenai zeigt sich immer interessierter an fester Nahrung, so dass sie auch am Tisch mitessen darf - zerdrückte Kartoffeln, Haferbrei, feingeriebene Äpfel, und am liebsten steinharte Brotkanten, an denen sie so lange herumkaut, bis sie die Konsistenz von weichgekochter Grütze haben. Sie machen es sich bei Caewlin am Tisch gemütlich, wo Rykar ebenfalls gerade eine kleine Pause einlegt und heiß und duftend eine Kanne frisch gebrühter Cofea wartet. Nachdem Ykenai den Keks bis auf den letzten Krümel zernagt, den Brei trotz der Schadensbegrenzungsversuchen ihrer Mutter großflächig über Gesicht, Küchentisch und Ravens Hemd verteilt hat, und sich anschließend den kleinen Holzlöffel, den sie zum Essen benutzt, erst ins Ohr gesteckt und dann quer durch die Küche geschleudert hat, bevor Raven auch nur den Hauch einer Chance zum Eingreifen hat, muss sie Dalla unbedingt ihre neuen Künste vorführen. In der Magd hat sie einen dankbaren Zuschauer und Mitspieler gefunden und während sie mit strahlendem Grübchengrinsen vom Tischbein aus fünf Schritte zu der kleinen Mogbar hinüberwackelt und dann wieder zurück und wieder hinüber und wieder zurück und wieder hinüber und wieder zurück (und so weiter und so fort), rumort es draußen im Gesindetrakt und dann entert mit blutunterlaufenen Augen und deutlicher Schlagseite Bethel die Küche. Herrje, wie viel von dem Feuerwein haben Dalla und Runa ihr bloß eingeflößt? Die Köchin sieht aus wie einer der Uisgebrüder, die nach durchzechter Nacht manchmal in den Flussauen ihren Rausch ausschlafen - sie hat einen Kopfkissenabdruck auf der Backe, das Haar steht ihr in sämtlichen Richtungen vom Kopf ab wie die Überreste eines windzerzausten Krähennestes, und gegen ihre schlingernde Gangart mutet Ykenais Zickzackkurs zwischen Dalla und dem Küchentisch wie der geradlinige Marschierschritt einer Blaumantelpatrouille an. "Ich will kein einziges Wort hören!" giftet Bethel mit glasigem Blick in Rykars und Dallas Richtung, dann steuert sie wie ein Zombie quer durch die Küche und schnurstracks durch die hintere Tür hinaus zu den Spülsteinen, wo sie sich offenbar erst einmal einen halben Eimer voll eiskaltem Wasser einverleibt, um ihren Brand zu löschen.

"Wie geht's deinem Zahn?" ruft Dalla ihr besorgt nach, aber sie ist ohne Zweifel die einzige, die sich ernsthaft Sorgen um Bethels Kiefer macht. Der Rest kann sich nur mit Mühe ein Lachen verbeißen und sogar Rykar hat ein amüsiertes Glitzern in den Augen. "Wir gehen wohl besser nach draußen", kichert Raven, wischt sich notdürftig Krümel und Breireste von der Hose und erhebt sich, um ihre Tochter einzusammeln und mit Caewlin und ihr in den Garten zu verschwinden. Bethels feuerweingeschwängerte Stimme verfolgt sie lautstark noch beinahe bis zu den Pferdekoppeln, als sie Rykar klarmacht, was sie von seiner alkoholischen Rosskur und vor allem von dem herbeigeholten Heiler hält. "Einfältiger Kurpfuscher", "Schinder" und "dämonischer Quacksalber" sind dabei noch die harmlosesten Ausdrücke, die sie für den jungen Bader auf Lager hat, dabei hat der seine Sache den Umständen (in Form einer sturzbetrunkenen, krakeelenden und um sich schlagenden Bethel) entsprechend wirklich gut gemacht.
Der späte Nachmittag ist warm und sonnig, und so bleiben sie so lange draußen, bis beinahe schon die Dämmerung hereinbricht. Sie besuchen die Lämmer und die neugeborenen Ferkel, holen die Gänse vom Seeufer herauf, amüsieren sich über Runas verschüchterte Annäherungsversuche an diesen Granitbrocken von Shem, dem sie beim Abnehmen der Wäsche immer wieder verstohlene Blicke zuwirft, und später, nachdem sie die Pferde und das übrige Vieh für die Nacht in die Ställe verfrachtet haben, scheuchen sie auch die Kinder ins Haus.

Ykenai schnarcht schon selig, bevor ihr Kopf überhaupt das Kissen berührt - gerade, dass sie es noch geschafft hat, nicht an der Brust einzuschlafen. Brynden bettfertig zu machen, dauert naturgemäß etwas länger und die Prozedur beginnt mit der üblichen abendlichen Leibesvisitation und einer ausgiebigen Inspektion seiner sämtlichen Kittel- und Hosentaschen. Jedes Mal, aber auch wirklich jedes Mal, lässt sich in ihnen eine reichhaltige Sammlung von tagsüber aufgelesenen (und gelegentlich noch ziemlich lebendigen) Schätzen in Form von Schneckenhäusern, mumifizierten Käfern, Grashüpfern, diversen Glücksbringern, Bindfadenknäueln, verhutzelten Nüssen, abgenagten Apfelbutzen, Sand, Murmeln, zerkrümelten Keksresten, Munition für seine Schleuder in Form kleiner Steinchen, abgerissenen Hosenknöpfen, toten Mäusen und anderen, für kleine Jungen absolut unverzichtbaren Dingen finden, die es zu entsorgen gilt. Nachdem er dann noch aus dringend notwendigen hygienischen Gründen einer ausgiebigen Wäsche einschließlich vorherigem Einweichen und Entsanden unterzogen und in seinen Schlafkittel gesteckt wird, muss er unbedingt noch eine Geschichte erzählt bekommen, bevor ihm dann endlich, endlich die Augen zufallen. Raven verlässt auf Zehenspitzen sein Zimmer, lugt noch einmal zu Ykenai hinein und schafft es sogar ins Schlafgemach hinüber, ohne dabei wieder eines der Kinder aufzuwecken. Abendliche Stille hat sich inzwischen über das Haus gelegt, nur aus der Küche wehen über die offene Galerie noch Stimmen und die leisen Fetzen einer Unterhaltung zu ihr herauf. Raven hört Dalla am Küchenherd rumoren und das Feuer für die Nacht abdecken, irgend jemand im Gesindetrakt murmelt einen Gutenachtgruß und dazwischen dringen Caewlins und Rykars halblaute Stimmen an ihr Ohr, die die Arbeiten für den nächsten Tag besprechen. Raven schlüpft in das Schlafgemach, schlenkert ihre Holzpantinen von den Füßen und öffnet die Tür zu dem kleinen Balkon, um die laue Frühlingsluft ins Zimmer zu lassen. Sie schält sich aus ihren staubigen, kindergeschädigten Kleidern, streift sich stattdessen ein dünnes Hemd über und tritt in den schmalen, wie ein Schwalbennest an der Hauswand klebenden Erker hinaus. Eine silberne Mondsichel schiebt sich über dem Ildorel gerade ins Dämmerlicht empor und die ersten Sterne blinken schon am Himmel. Sie lehnt sich gegen das Geländer, atmet den schweren Duft von Blauregen, Kirschblüten und blühenden Magnolien, und lauscht in den Abend hinaus. Frösche quaken im Schilf, vom Seeufer her weht leise das träge Schwappen der Wellen herüber, und irgendwo hoch oben in den alten Kastanien flötet eine Amsel. Unter sich hört sie Schnurrer maunzen, der unbedingt noch ins Haus will, dann Dallas leises Schimpfen und das Klappen einer Tür. Doch zwischen all den so vertrauten Geräuschen kann Raven eines heraushören, das ganz und gar nicht in die gewohnte Geräuschkulisse passen will.

Was ist das für ein komisches Brummen? Stirnrunzelnd beugt sie sich über die schmale Brüstung, doch da ist nichts außer ein paar verirrten Stechmücken, die auf der Suche nach Opfern die Luft durchquirlen. Ja, spinne ich denn? Da brummt doch etwas, ich höre es laut und deutlich! Doch weder in den gerade aufknospenden Kletterrosen an der Hauswand, noch in den Büscheln duftenden Blauregens kann sie die Quelle des Geräusches ausfindig machen. Merkwürdig. Irritiert wendet sie sich um und dann dämmert es ihr: das Brummen kommt nicht von draußen, sondern aus ihrem Schlafgemach. Was beinahe zwangsweise nur den einen Schluss zulässt: Maikäfer! Es sind diese vermaledeiten, dreimal verfluchten Maikäfer! Offenbar hatten sie bei ihrer mittäglichen Kammerjägeraktion doch nicht alle entflogenen Exemplare erwischt und aus dem Haus befördert. Mindestens einer von ihnen scheint jedenfalls noch sein Unwesen in ihrem Schlafgemach zu treiben und sich für die Nacht einrichten zu wollen - etwas, dass sie unter gar keinen Umständen zulassen wird. "Das kannst du sofort vergessen", droht sie dem unsichtbaren Störenfried, "gib lieber freiwillig auf. Ich teile mein Haus nicht mit etwas, das mehr als vier Beine hat. Und mein Schlafgemach schon gar nicht." Schattenhaar, du redest mit einem Käfer, ist dir das klar? Es ist ihr klar, aber dem ungebetenen nächtlichen Gast offenbar nicht - oder er hält nicht viel von Konversation, sieht man von seinem nervtötenden Gesumme einmal ab. Ihre Blicke wandern suchend durch das Zimmer, während ihre Ohren die Richtung herauszufiltern versuchen, aus der das Gebrumme kommt. Und es kommt eindeutig aus Richtung Bett. Eine steile Zornesfalte erscheint auf Ravens Stirn und ihre Augen werden schmal, als sie zu ihrer Schlafstatt hinübermarschiert und die dünnen Federbetten herunterreißt. "Na warte, so einer wie du hat mir gerade noch gefehlt ... komm sofort her, du Mistvieh, und stell' dich dem Feind!" Sie schüttelt die Zudecken, kehrt sie um, späht aus zusammengekniffenen Augen in ihr Inneres - nichts. Es brummt fröhlich weiter. Hinter ihr schieben sich währenddessen hechelnd die beiden Hunde ins Zimmer und gleich darauf auch ihr Mann, der ihr einen fragenden Blick zukommen lässt.

"Maikäfer", erklärt sie, als wäre damit alles gesagt, und fährt hektisch damit fort, das Bett zu zerwühlen und die Kopfkissen zu beuteln. Stelze, der das alles natürlich sofort für ein grandioses neues Spiel hält, eilt ihr sofort pflichtbewusst zur Hilfe. "Ach ja, das habe ich heute Mittag ganz vergessen", tönt es dann gedämpft zwischen den Kissen hervor, "ich wollte dir ja noch erzählen, was für ein Gerücht Dalla heute auf dem Markt aufgeschnappt hat. Wo steckt denn bloß dieses verflixte Vieh?" Auf allen Vieren krabbelt sie auf dem breiten Bett umher, gräbt sich durch Felle, Kissen, Federbetten und Decken, findet nebenbei eine vergessene Socke, zerrt die Laken heraus und kehrt das Unterste zuoberst. "Ich konnte erst gar nicht glauben, was sie erzählt hat ..." Erbost darüber, dass das Brummen immer noch zu hören ist, sich aber nach wie vor nicht der allerkleinste Fühler sehen lässt, fängt sie in ihrer Verzweiflung an, die Matratzen abzuklopfen. " Stell dir vor... götterimhimmelnochmal, verkriech dich du nur, du feiges Stück, ich krieg' dich schon noch! Erinnerst du dich noch an diese Herumtreiberin vom letzten Inarifest? Dieses verwahrloste Mädel, das Akira angesprungen hat?" Mit gefurchter Stirn legt sie ihr Ohr an die Matratze und lauscht angestrengt. "Das klingt fast so, als wäre es hier drunter ... warte, gleich hab' ich dich." Kopfüber lässt sie sich aus dem Bett hängen und späht aus schmalen Augen so angestrengt unter den hölzernen Rahmen ihrer Schlafstatt, als wolle sie den Käfer allein schon mit ihren Blicken erdolchen. "Ha! Ich wusste es doch!" Kurzzeitig verschwindet sie halb unter dem Bett und nur noch ihre nackten Beine sind zu sehen, dann taucht sie, Staubflusen im Haar und den empört summenden Delinquenten zwischen Daumen und Zeigefinger, wieder aus der Versenkung auf. Der verdatterte Maikäfer rotiert verschreckt mit den kurzen Beinchen und versucht sich aus ihrem Griff zu befreien, doch Raven denkt gar nicht daran, ihn loszulassen. Am ausgestreckten Arm und mit triumphierender Miene trägt sie ihn vor sich her in den Erker hinaus, wo sie ihn auf einer Rosenranke absetzt, die sich an der Brüstung des kleinen Balkons entlangwindet. Zufrieden, weil sie den nächtlichen Unruhestifter nun endlich außer Reichweite weiß, wendet sie sich zu Caewlin um. "Entsorgt," sie schlägt demonstrativ die Hände aneinander. "Weißt du, wen ich meine? Gut. Vielleicht werden wir ihr in Zukunft öfters begegnen - sie ist nämlich Olyvars neue Frau." Der Blick, den ihr unter hochgezogenen Brauen zukommen lässt, irritiert sie nun doch ein wenig. "Was denn?" fragt sie unschuldig. "Du wirst dein Bett doch nicht mit so einem ... Untier teilen wollen?"

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Caewlin am 02. Mai 2007, 16:49 Uhr
>Maikäfer!< Tönt es ihm entgegen, als Caewlin in sein Schlafgemach hinauf kommt, und angesichts des zerwühlten Deckenberges mitten im Raum und dem hektischen Treiben seiner Frau an und auf dem Bett, und auch um das Bett herum, verwundert in der Tür stehen bleibt. Gleich darauf hört auch er ein sonores Summen, allerdings nicht sehr lange, denn Raven zetert unaufhörlich vor sich hin und veranstaltet außerdem ein solches Spektakel mit Kissen, Federbetten und Kammgarnlaken, dass alle anderen Geräusche in ihrem Geraschel untergehen. "Ah," macht er nur so neutral wie möglich und beißt sich auf die Zunge, um nicht in ein wissendes Grinsen auszubrechen. Raven und Insekten, das war schon immer eine Sache für sich. >Ach ja, das habe ich heute Mittag ganz vergessen… ich wollte dir ja noch erzählen, was für ein Gerücht Dalla heute auf dem Markt aufgeschnappt hat. Wo steckt denn bloß dieses verflixte Vieh?< "Aye?" Erwidert er, klingt aber ein wenig geistesabwesend, weil Raven so erhitzt und aufgebracht auf der Matratze thront wie eine erboste Walküre auf dem Schlachtfeld, und sein Blick an ihren nackten Beinen klebt. Ihre Beine und das Bett, diese Kombination in unmittelbarer Reichweite genügt völlig, um sein Blut in Aufruhr zu versetzen. Dann reißt ihn eine plötzliche Bewegung aus seinen Gedanken und er erwischt Stelze gerade noch am Nackenfell, bevor der Wolfshund sich - in der irrigen Annahme, Frauchen arrangiere dieses ganze Chaos nur für ihn allein -, eines der bestickten Kissen schnappen und es knurrend totschütteln kann. "Nej! Geh Platz." Caewlin scheucht Stelze auf die Hundedecken am Kamin zurück, streift sich die Stiefel ab und schält sich aus seinen Hosen. Ein Kissen segelt träge in seine Richtung, gefolgt von einer Socke, die er schon seit einem Siebentag vermisst, dann hagelt es Nackenrollen, Decken, Pelze und Federbetten. "Min koerlighed…" Setzt er erheitert an, doch seine närrische kleine Frau hört ihm nicht einmal zu. Insekten sind ein heikles Thema. Insekten - gleich welcher Art - im Schlafgemach sind indiskutabel. Schicksalsergeben seufzend zieht er sich das Hemd über den Kopf, entledigt sich seiner restlichen Kleidung und beginnt dann aufzusammeln, was sie nach ebenso eiliger, wie kritischer Untersuchung von sich wirft. >Ich konnte erst gar nicht glauben, was sie erzählt hat ... < Spricht Raven weiter, immer noch damit beschäftigt, den Feind zu stellen und ihm gleichzeitig Bericht zu erstatten. Er versteht aber kaum ein Wort, weil sie gerade bis zur Taille in einem Bettbezug steckt. "Was?" >Stell dir vor... < Sie taucht prustend wieder auf, wirft das lange Haar zurück und presst dann lauschend ihr Ohr an die Matratze. >Götterimhimmelnochmal, verkriech dich du nur, du feiges Stück, ich krieg' dich schon noch! Erinnerst du dich noch an diese Herumtreiberin vom letzten Inarifest? Dieses verwahrloste Mädel, das Akira angesprungen hat?< "Oh, aye, an die erinnere ich mich." Er hatte das dünne, blonde Elend zuerst für eine Unterstädterin, vielleicht sogar für eine Kanalratte gehalten. "Was ist mit der?" Erkundigt er sich zerstreut und beobachtet mit faszinierter Belustigung, wie Raven Sekhel für Sekhel der Matratze abhorcht. Irgendwo brummt es unbeirrbar. Seine Aufmerksamkeit gilt allerdings mehr den weichen Kurven seiner Frau, die sich unter dem dünnen Batist ihres Hemdes deutlich abzeichnen, als dem neuesten Stadtklatsch. Caewlin stapelt nackt wie am Tag seiner Geburt mit hochgezogener Braue einen Kissen- und Deckenberg am Fußende des Bettes auf und wird vollkommen ignoriert. Das einzige, das sie murmelt ist: >Das klingt fast so, als wäre es hier drunter ... warte, gleich hab' ich dich,< und als er sich wieder zu ihr umwendet, baumelt sie schon mit strampelnden Füßen und hochgerutschtem Nachtgewand über dem Matratzenrand. >Ha! Ich wusste es doch!< Sie windet sich wie eine Schlange vom Bett und kriecht halb darunter.

Caewlin starrt auf das Bild, das sich ihm bietet und schnappt nach Luft. Sein Mund ist mit einem Mal staubtrocken. Bis zu diesem Augenblick hätte er Stein und Bein geschworen, das erotischste, das er je gesehen hat, sei eine splitterfasernackte, von der Abendsonne vergoldete, furchtbar wütende Raven, die mit Seifenschaumfetzen am Leib aus einem dampfenden Wasserbecken auf ihn zumarschiert. "Min koerlighed…" warnt er trügerisch sanft, aber sein süßes, ahnungsloses Frauenzimmer hat ja immer noch weder Augen noch Ohren für ihn, sondern nur für das vermeintliche Monster unter dem Bett. Ah djävla... Als Raven sich mit siegessicherer Miene wieder aufrappelt, muss er schon seine ganze Selbstbeherrschung aufbieten. Sie dagegen bringt nur ihre Beute mit spitzen Fingern und gerümpftem Näschen nach draußen. Sein Blick folgt hungrig jeder ihrer Bewegungen, doch anstatt sich dann vielleicht endlich ihm zuzuwenden oder auch nur zu bemerken, welche Verwüstung sie da gerade in ihm angerichtet hat, marschiert sie schnurstracks zum Bett zurück und wechselt schon wieder so übergangslos das Thema, wie sie es die ganze Zeit bereits getan hat - in diesem Augenblick hätte sie ihm aber auch von Drachen auf dem Marktplatz, fliegenden Schweinen oder einer Nargenarmee vor den Toren erzählen können, es hätte ungefähr die gleiche Wirkung auf ihn gehabt, nämlich gar keine. >Weißt du, wen ich meine? Gut. Vielleicht werden wir ihr in Zukunft öfters begegnen - sie ist nämlich Olyvars neue Frau.< Er tritt hinter sie, während sie noch die Laken wieder glatt streicht und Kissen aufschüttelt, und zieht sie fest an sich.
"Erzähl's mir später." Was hat sie gesagt? Irgendwas von begegnen und Olyvars neuer Frau. Ach, egal… Jetzt ist nur noch eines wichtig. "Im Augenblick," schnurrt er dich an ihrem Ohr und seine Stimme ist so dunkel wie die Schatten in den Ecken des Raumes, "interessiert mich nur mein eigenes Liebesleben." Ein überraschtes kleines "Oh!" kommt über ihre Lippen, als er sie hochhebt, auf das Bett stellt, so dass sie ihm immerhin fast ans Kinn reicht, und dann zielstrebig die Schnürbänder ihres Nachtgewandes löst. Sein Lächeln ist alles andere als beruhigend, er weiß es, ganz abgesehen davon, dass er ziemlich nackt und ziemlich schamlos vor ihr steht, und sie reagiert prompt darauf, in dem sie hörbar einatmet und ihre Augen sich ein wenig weiten. "Ja, genau: 'Oh'. Sieh dir ruhig an, was du angestellt hast." Raven setzt sie umgehend eine ahnungslose Unschuldsmiene auf. >Was denn?< Spricht's und klimpert mit den Wimpern. >Du wirst dein Bett doch nicht mit so einem ... Untier teilen wollen?< "Nein, grollt er leise, senkt den Kopf und küsst sie, langsam, aber fordernd und ausgesprochen besitzergreifend. Hitze durchströmt ihn von Kopf bis Fuß, brodelnde, sengende Hitze, die ihn verzehrt und sie in Brand steckt. Er kann es auf ihrer Zunge schmecken, in ihren Händen fühlen und in den leisen, kehligen Lauten hören, die in ihrer Kehle vibrieren und die er alle schluckt. "Aber du," flüstert er in ihren Mund. "Und jetzt…" Er dreht sie um, hält sie fest und beißt ihr sanft, aber nachdrücklich in den Nacken. Hier ist Leben, pulsierendes Leben in den Blutgefäßen dicht unter ihrer weichen, weichen Haut. Ihr Herzschlag pocht gegen seine Zunge und Millionen Nervenenden schreien augenblicklich nach mehr. "På en knæ, min koerlighed. Med detsamma."

Lange Zeit später, tief in der Nacht, liegen sie gründlich ineinander verschlungen und Gesicht an Gesicht in der Wärme und Dunkelheit ihres Bettes und Raven muss Dallas Neuigkeiten noch einmal erzählen. "Das ist Olyvars neue Frau?" Er erinnert sich wirklich nur noch an ein Paar kalte, wasserblaue Augen und ein hohlwangiges Gesicht voller Sommersprossen. Ein mageres, hoch aufgeschossenes Mädel in zerlumpter Kleidung. "Seine Frau?" Wiederholt er. "Das glaube ich nicht, wenn Olyvar geheiratet hätte, würden es inzwischen die Spatzen von den Dächern pfeifen." Raven schüttelt den Kopf, er kann die Bewegung mehr spüren als sehen, da die einzige Lichtquelle im Raum das Schimmern des Elfenfeuers an seinem Ehering ist, ein sanftes, elfenbeinfarbenes Glühen an seiner Linken. "Also seine Geliebte? Woher weiß Dalla das schon wieder?" Raven erzählt ihm irgendetwas von einer Schwägerin von Dallas Nichte und deren Base mütterlicherseits, die als Wäscherin in der Steinfaust arbeitet. Caewlin schnaubt leise und verdreht die Augen. "Oh," spöttelt er trocken, "das ist ja wirklich fast aus erster Hand." Allerdings wissen sowohl Raven, als auch er selbst, dass die Gerüchte der Mogbars in Talyra, über wie viele Ecken auch immer sie verbreitet werden mögen, meist mehr als nur das sprichwörtliche Körnchen Wahrheit enthalten. Er stützt sich auf den Ellenbogen und sieht sie an - oder wenigstens die Umrisse ihres Gesichtes, die er gerade noch ausmachen kann. "Dalla ist sich sicher, dass es das Mädel ist? Was hat sie noch erzählt?" Raven versichert ihm, dass es das Mädchen sein muss, schließlich wäre es ziemlich unwahrscheinlich, dass es noch eine Diantha aus Immerfrost in Talyra gäbe, die Olyvar auf der Straße aufgelesen haben könnte, und gibt dann ihr morgendliches Gespräch mit ihrer Obersten Magd fast wörtlich wieder. Er kann zwar ihren Gesichtsausdruck in der Dunkelheit nicht sehen, aber er hört den ungläubigen Unterton in ihrer Stimme. "Er hat sie mitten auf dem Hof der Festung vor allen Augen geküsst? Dann ist es ihm ernst mit dieser Frau," sinniert er und umfasst mit einem wohligen Schnurren Ravens kleinen, aber herrlich runden Hintern. "Wenn das wirklich Olyvars Geliebte ist, muss er sie aber ordentlich gefüttert haben. Alles, woran ich mich erinnere, ist, dass sie ziemlich dürr war." Raven gibt ein perfektes, kleines, nordisches Schnauben von sich und er lächelt. "Was stört dich daran denn so?" Sie schnaubt noch einmal und murmelt dann etwas von Olyvar und Vogelscheuche. Caewlin lacht leise. "Du hast mich doch auch genommen. Die Götter allein wissen, warum, aber du hast es getan, aye?" In seiner Erinnerung taucht sein eigenes Spiegelbild auf, dunkel und verschwommen im Wasser von Ninianes heißen Quellen, als er zum ersten Mal nachdem er aus seiner gespenstischen Trauer wieder halbwegs zu sich gekommen war, gebadet hatte. Ihn hatte ein Totenschädel angegrinst. Ein narbiger, hohlwangiger Totenschädel mit verfilztem Haar und leeren Augen. Er rollt sich auf den Rücken und zieht sie auf sich, so dass er seine Hand an ihr Gesicht legen und sie küssen kann. "Du bist wunderschön und ich bin ein narbiges Ungeheuer. Wer auch immer sie ist, diese Diantha aus Immerfrost, wir werden es bald genug herausfinden. In ein paar Tagen ist Inarinacht. Wenn es Olyvar ernst ist mit dieser Frau, nimmt er sie aufs Fest mit. Und wenn sie's ist..." Caewlin zuckt leicht mit den Schultern. "Du weißt genau, wie sie sich letztes Jahr aufgeführt hat," er gähnt so heftig, dass seine Kiefer knacken. "Aber wer weiß schon, was in der Zwischenzeit passiert ist, aye? Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass Olyvar sich in sie verliebt hat, wenn sie die ganze Zeit so ist. Sie hat dir und Ykenai nichts getan und sie hat sich entschuldigt. Ich habe schon Schlimmeres getan in meinem Leben, Raven... ich will nicht über sie urteilen, solange ich nicht mehr von ihr weiß.

Abgesehen davon..." er stopft das Kissen unter seinem Nacken zurecht und rutscht ein wenig zur Seite, so dass sie bequem ihren Kopf an seine Schulter legen kann, "kann einem das arme Ding ja schon fast leid tun." Er kann die Augen beim besten Willen nicht mehr offen halten und streckt sich, während Raven ein fragendes Geräusch von sich gibt. "Hmpf," erwidert er nur. "Olyvar. Du kennst den Mann. Zeig mir eine unverheiratete Frau über sechzehn und unter sechzig in Talyra, die sich nicht an ihre Stelle wünscht. Letztes Jahr hat ihm sogar die Weiße Dame schöne Augen gemacht und auf dem Buhurt vor ein paar Jahren, haben ihm kreischende Frauen ihre Strumpfbänder zugeworfen," erklärt er schon im Halbschlaf, aber mit einem wölfischen Grinsen. "Obwohl er da noch Kizumu an seiner Seite hatte. Wahrscheinlich wird die Hälfte aller Talyrerinnen dieser Diantha die Augen auskratzen wollen. Sie hat ein bisschen Mitleid verdient, meinst du nicht?" Damit sinkt er endgültig in den Schlaf und sein Bewusstsein treibt in die Schwärze davon. Ein paar Herzschläge lang hört er noch ihren Atem und spürt ihre weiche Haut an seiner, dann ist er weg und nimmt ihre Wärme und den Honigduft ihres Haares mit in seine Träume. Die nächsten Tage vergehen mit dem alljährlichen Erneuern der Zäune und dem Kalken der Spülküche und der Sturmwindmond klingt aus, ohne seinem Namen sonderlich gerecht zu werden: es ist warm, eigentlich zu warm, selbst für die Herzlande um diese Jahreszeit, und es bleibt auch warm - das und trocken. Die Obstbäume stehen in voller Blüte, der Blauregen öffnet seine langen Trauben und das Seehaus hüllt sich wie jedes Jahr nach dem langen Winterschlaf wieder in seinen grünen Mantel. Dalla ist wegen ihres Gartens schon abermals am Jammern, denn jetzt fehlt ihr der Regen, Bethel braucht zwei Tage, um sich von ihrem allmächtigen Kater zu erholen, Rykar plagt die Arthritis, Runa der Liebeskummer, Pyp fiebert dem Inarifest entgegen und hat ein wenig Sorge, dass seine Mutter deswegen wieder so einen Aufstand veranstalten könnte, wie letztes Jahr, Shem dagegen ignoriert das bunte Treiben in Talyra und die allgemeine Vorfreude, die die Stadt unterschwellig schon Tage vorher erfasst, und Aulin und Brynden zwickt das schlechte Gewissen wegen der Maikäfer, das allerdings nicht lange. Die einzigen, die die letzten Sturmwindtage also ungetrübt genießen, sind Raven, Ykenai und er selbst. Am Vorabend von Inari jährt sich ihr Hochzeitstag zum zweiten Mal und sie tauschen kleine Geschenke. Er hat für sie einen neuen Köcher aus rauchgrauem Leder, der mit feinen Rankenmustern und Jagdszenen punziert ist, sie hat zwei neue Dolchscheiden für ihn. "Wie romantisch", bemerkt Dalla zungenschnalzend, als sie ihnen einen Krug kaltes Bier auf die Steinterrasse hinaus bringt, doch sie lächeln nur. Die Kinder sind bereits im Bett und das letzte Licht der untergehenden Sonne glüht auf den Dächern Talyras und den Zinnen der Stadtmauern hinter ihnen im Westen. "Willst du morgen aufs Inarifest gehen, min koerlighed, auch wenn Borgil und Azra noch nicht zurück sind? Vielleicht kommen Niniane und Cron ja ebenfalls." Sie hatten zwar einiges von der Waldläuferin und dem Tronjer gehört, aber gesehen hatten sie sie schon seit dem Eisfrost nicht mehr. "Und wir könnten die Kinder dieses Jahr sogar hier lassen."

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Raven am 05. Mai 2007, 17:42 Uhr
Bewundernd streicht Raven über die filigranen Muster, die ihren neuen Köcher zieren. Das feine graue Leder ist weich wie Samt unter ihren Fingern. "Der ist so schön, dass ich es gar nicht wagen werde, ihn zu benutzen", seufzt sie hingerissen, rangiert in Gedanken aber ihren alten, abgegriffenen Köcher postwendend als "ab sofort unbrauchbar" und "der Wiederverwertung zuzuführen" aus. Angesichts der - zugegebenermaßen ziemlich martialischen - Geschenke, die vor ihnen auf dem Tisch ausgebreitet liegen, kann Dalla sich einen Kommentar natürlich nicht verkneifen, als sie mit einem Krug frischen Biers auf die Terrasse gewatschelt kommt. Auf ihr spitzzüngiges >Wie romantisch!< hin, zieht Raven belustigt eine Braue in die Höhe, tauscht einen Blick mit Caewlin und schenkt ihrer Magd dann ein zuckersüßes Lächeln und einen sehr intensiven Augenaufschlag, der Dalla unmissverständlich klar macht, dass sie von ihrer beider Art von Romantik ja wohl überhaupt keine Ahnung hat und sie sich jetzt lieber verkrümeln sollte, da sie sich andernfalls mit ihr über so hochromantische Dinge wie Neugier im Allgemeinen und die unqualifizierten Bemerkungen des Hauspersonals im Besonderen unterhalten wird. Aber sie grinst, als Dalla mit hochrotem Kopf und hastig rotierendem Spüllappen den verschütteten Bierschaum aufwischt und dann eilig das Weite sucht. >Willst du morgen aufs Inarifest gehen, min koerlighed, auch wenn Borgil und Azra noch nicht zurück sind?< fragt Caewlin neben ihr, und noch bevor er den Satz auch nur zu Ende denken kann, nickt Raven schon wild. "Ja! Auf jeden Fall!" Sicherheitshalber schiebt sie den Köcher ein Stück zur Seite, bevor das weiche Leder noch ungewollte Bekanntschaft mit überschäumendem Bier machen kann. >Vielleicht kommen Niniane und Cron ja ebenfalls. Und wir könnten die Kinder dieses Jahr sogar hier lassen.< Vor allem letzteres ist ein absolut überzeugendes Argument, und -  Kinderliebe hin oder her - ihre Augen beginnen angesichts dieser Möglichkeit zu leuchten. Die Aussicht, sich einen ganzen Abend lang einfach nur mit ihrem Mann zu amüsieren und ungestört mit ihm zusammensein zu können, ohne ständig mit einem Auge nach den Kindern schielen zu müssen, ohne ein wasserfallartig sabberndes, unablässig vor sich hin brabbelndes Baby, ohne Windelwechseln, ohne Stillen, Füttern, Breipampe und vollgespuckte Hemden, ohne einen quirligen Tunichtgut von Vierjährigen, den man keinen Herzschlag lang aus den Augen lassen kann, ohne dass eine Ungezieferplage, eine Sintflut oder ein Großbrand über das Haus hereinbricht, ohne zeternde Mägde, einen arthritischen Knecht oder seine kater- oder zahnschmerzgeplagten Frau, diese Aussicht ist einfach zu schön, um wahr zu sein - und sie wäre schön blöd, wenn sie die Gelegenheit nicht auf der Stelle beim Schopf ergreifen würde.

"Ja, lass uns hingehen", stimmt sie begeistert zu, leert den Bierkrug in zwei irdene Becher um und schiebt einen davon zu Caewlin hinüber. "Wir treffen bestimmt irgend jemanden, den wir kennen. Und selbst wenn nicht, wir können uns ja auch zu zweit ganz gut vergnügen." Dazu bräuchtet ihr aber nicht unbedingt in die Stadt, meldet sich eine Stimme in Ravens Innerem trocken zu Wort. Eine Schlafkammer würde völlig genügen. Sofort preschen ihre Gedanken in gestrecktem Galopp in eine Richtung davon, die sie jetzt eigentlich ganz und gar nicht einschlagen wollte, und sie versteckt ihre sich plötzlich in zartem Rosa färbenden Wangen eilig hinter ihrem Becher und nimmt einen tiefen Schluck. "Ich meine natürlich .... ähm, also, du weißt schon, was ich meine..." Ein Blick in Caewlins Augen und auf seine sich kräuselnden Mundwinkel zeigt ihr mehr als deutlich, dass er genau weiß, was sie meint, und das reicht vollkommen aus, um den zartrosa Hauch auf ihren Wangen schnurstracks in ein leuchtendes Sonnenuntergangspurpurrosa zu verwandeln. "Tanzen. Ich meine natürlich tanzen ...." Dass sie sich im letzten Jahr noch standhaft geweigert hatte, den Tanzboden zu diesem albernen Herumgehopse zu betreten, ist ihr im Moment nicht unbedingt zweckdienlich, also übersieht sie es praktischerweise einfach. "Und feiern, trinken, essen, Spaß haben und so etwas." Als sie schließlich hinter dem Becher wieder auftaucht, hat sie rote Ohren und auf der Oberlippe einen prächtigen weißen Schaumbart, den sie sich mangels anderer Alternativen kurzerhand am Hemdsärmel abwischt. "Cron und Niniane können wir ja fragen, ob sie zum Fest kommen wollen. Wir schicken morgen nach dem Frühstück einfach Pyp hinaus zum Smaragdstrand, dann werden wir es schon erfahren. Falls sie tatsächlich in die Stadt kommen, können sie die Kinder doch auch bei unseren hier im Seehaus lassen, da sind sie gut aufgehoben."

Raven stellt ihren Becher ab und auf einmal verfinstert sich ihre Miene wieder, weil sie an das Inarifest vom letzten Jahr denken muss. Auch da hatten sie sich nur ein bisschen amüsieren und einen netten Abend verbringen wollen, und dann hatte das Ganze in einem heillosen Durcheinander und inmitten einer gaffenden Zuschauermenge geendet. Die schnippische Immerfrosterin fällt ihr wieder ein, und ebenso das spitzohrige Großmaul, das völlig grundlos herumgepöbelt und sich in Dinge eingemischt hatte, die ihn gar nichts angingen, dazu ein streitlustiger Borgil, eine vor sich hin köchelnde Niniane, ein durchdrehender Bluthund ... ganz zu schweigen von dem Atemnot hervorrufenden Mieder, den unbequemen Schuhen und der Tatsache, dass sie wegen der erst kurze Zeit zurückliegenden Geburt kaum sitzen konnte. Das war schon das zweite Fest mit Sitzproblemen, scheint allmählich Familientradition zu werden, fällt ihr in diesem Moment auf. Na, mal sehen, was diesmal alles schief gehen wird. Die Feste zu Ehren Inaris sind schon immer etwas ganz Besonderes gewesen, und sie selbst hatte noch keines erlebt, an dem nicht irgend etwas vollkommen Unvorhergesehenes passiert wäre. Aber nicht alle Erinnerungen daran sind schlecht, manche sind sogar ziemlich erheiternd, wie die an das Inarifest vor drei Jahren, die ihre Miene wieder ein wenig aufhellt und sie beinahe zum Kichern bringt. Damals hatte sie den ahnungslosen Laiginer Tuchhändler, der ihr zu seinem Unglück in die Quere gekommen war, mit einem beherzten rechten Haken niedergestreckt, und sich anschließend mit einer etwas zu großzügig bemessenen Ration Inariwein einen Schwips angetrunken. Im Jahr darauf waren Caewlin und sie gerade taufrisch vermählt gewesen, die komplette Tischgesellschaft hatte sich über ihre hochzeitsnachtgeschädigten Körperteile amüsiert, ihr gackernd Eiswürfel und weiche Kissen angeboten, und zu guter Letzt hatte Caewlin grinsend vor versammelter Meute auch noch lautstark Verse deklamiert. >So will ich dich zeichnen, dass immerdar ich dich wiedererkenne im Leben, und dieses Zeichen erinnere dich an das Wort, das du mir gegeben... <

Die Erinnerung daran lässt sie noch immer lächeln. Die Erinnerung an all die Zeichen, die sie inzwischen von ihm trägt, an seine Worte, an diesen Blick aus eisgrün schimmernden Augen, der ihr durch und durch gegangen war, der sie bis ins Herz getroffen, ihr Blut zum Singen und ihre Hände zum Zittern gebracht hatte. Sie schaut ihn über Bierkrug, Becher und ineinander verschlungene Finger hinweg an und stellt fest, dass sich daran auch nach zwei Ehejahren nicht das Geringste geändert hat. Sie ist immer noch verrückt nach ihm. Sie kann von ihm noch immer nicht genug bekommen, und sein Blick trifft sie noch immer mitten ins Herz und lässt es unvermittelt schneller schlagen, wann immer er sie auch nur ansieht. Genau das tut er in diesem Moment auch und prompt sind all ihre guten Vorsätze für diesen Tag beim Teufel. Vorbei ist es mit all ihren Gedanken an vergangene und kommende Inarifeste und sämtliche - harmlosen! - Vorhaben für den Abend, wie beispielsweise dem dringend notwendigen Erledigen der Flickwäsche und dem Reparieren von Runas kaputtem Webstuhl. Und die kläglichen Überreste ihres klaren Verstandes, die in Caewlins Nähe und vor allem angesichts seines Lächelns überhaupt noch funktionieren, sind gerade dabei, sich fröhlich ins Nirgendwo zu verabschieden. Schattenhaar, du bist so derart schamlos, dass sogar Inari rot werden würde, wenn sie jetzt deine Gedanken lesen könnte, schilt sie sich und versucht die letzten Reste ihrer Selbstbeherrschung zusammenzukratzen und besagte Gedanken energisch beiseite zu schieben. Vergeblich. Alles, woran sie jetzt noch denken kann, ist, wie sie mit ihren vergleichsweise lächerlichen hundert Pfund Lebendgewicht siebeneinhalb Fuß nordische Selbstsicherheit, die obendrein nur aus Muskeln und einem ganz und gar mörderischen Grinsen bestehen, so schnell wie möglich ins Bett zerren kann. Der Tisch auf der Terrasse gleich jetzt und hier, den sie einen Herzschlag lang aus akuten Notstandsgründen tatsächlich ins Auge fasst, fällt für ihr Vorhaben aber leider wegen sieben neugieriger Augenpaare aus, die mit Sicherheit ausgerechnet dann auftauchen würden, wenn man sie am allerwenigsten gebrauchen kann. Einige wilde Herzschläge lang kann sie Caewlin nur atemlos anblinzeln. Sag' ihm doch einfach, was du willst!

"Äh...", ist der erste Laut, den Raven aus ihrer plötzlich strohtrockenen Kehle hervorkrächzen kann, und der nächste ist auch nicht bedeutend artikulierter: "Ähm..." Götter im Himmel, wie verführerisch! Sitz nur weiter stotternd hier herum und er liegt dir bestimmt gleich zu Füßen! Sie verdreht hilflos die Augen und das Sonnenuntergangspurpurrosa verfärbt sich allmählich in Richtung Karmesin, während sie zu dem Schluss kommt, dass der erste Vorstoß in Richtung Schlafgemach taktisch wohl nicht gerade clever war. In höchster Verlegenheit rutscht sie auf der Bank hin und her, doch gerade das bringt sie in ihrer Verzweiflung schließlich auf die rettende Idee, die plötzlich und unvermittelt aus ihr heraussprudelt: "Wirmüssennochdiefamilientraditionaufrechterhalten!" Der zweite Anlauf ist zwar auch nicht unbedingt brillant, aber immerhin hat sie es geschafft, mehr als drei Worte aneinanderzureihen und sie ist ja schon dankbar, wenn sie unter Caewlins Blick nicht völlig zur unzurechnungsfähigen Idiotin mutiert. Das kümmerliche Häufchen Verstand, das sich noch nicht willenlos ihrem Verlangen ergeben und sich in die hintersten Ecken ihres Hirns zurückgezogen hat, schwenkt derweil schon das weiße Fähnchen: Bist du noch ganz bei Trost?, erkundigt sich eine freundliche Stimme irgendwo in ihrem Inneren. Willst du nicht vielleicht doch lieber die Flickwäsche machen? Das wäre weitaus schonender. Das Herz schlägt ihr mittlerweile direkt in der Kehle, und auch noch an ganz anderen Stellen, wo es ziemliche Verheerung anrichtet. Nein. Will ich nicht. Meinen Mann will ich. Jetzt. Gleich. Sofort. "Du weißt schon, welche Tradition", platzt sie heraus. "Es ist Inarifest und ich kann immer noch sitzen... " Sie kommt bis zum "t" von "sitzen" und findet sich im nächsten Moment kopfüber in der luftigen Höhe besagter siebeneinhalb Fuß wieder. Das Terrassenpflaster zieht an ihr vorbei, die Halle zieht an ihr vorbei, die Treppenstufen ziehen an ihr vorbei, Dallas entgeistertes Gesicht zieht an ihr vorbei - und sie kann der ihnen fassungslos hinterherstarrenden Mogbar nur noch hilflos zukichern: "So viel zum Thema Romantik!"

Dann hat sie ihren Mann endlich, wo sie ihn haben will - besser gesagt dort, wo er sie hinschleppt: in ihrem Schlafgemach und in ihrem Bett. Nach einem heftigen Handgemenge des gegenseitigen sich-die-Kleider-vom-Leib-Reißens, das viel, viel zu lange dauert, und in dem sie nicht einen Wimpernschlag lang die Lippen voneinander lösen, starren sie sich einen atemlosen, herzklopfenden Moment lang nur an. Während sie ihn voller Verlangen betrachtet und seinen Anblick in sich einsaugt wie die lebensnotwendige Atemluft, schießen ihr auf einmal seine Worte, wenige Nächte zuvor geflüstert, durch den Kopf: Du bist wunderschön und ich bin ein narbiges Ungeheuer... Er mag eine durch und durch furchterregende Ausstrahlung haben und obendrein einen mehr als düsteren Gesichtsausdruck, unzählige Narben am Körper und eine Eisenschelle anstelle seiner rechten Hand, aber er ist dennoch von einer so wilden, barbarischen Schönheit, dass sie nach Luft schnappen muss. Und er ist zweifellos ein finsteres Ungeheuer - aber er ist ihr Ungeheuer. Ihre Haut sehnt sich so nach seiner, ihr Mund verlangt nach seinen Küssen, ihr Körper nach seiner Berührung, und sie streckt die Hände nach ihm aus, umfasst ihn, umschlingt ihn, alles von ihm und alles auf einmal. Sie küsst ihn in die Kissen nieder und flüstert ihm zärtliche Worte ins Ohr, unsinnige, verrückte, schamlose, verliebte Worte, gräbt bebend die Finger in sein Haar, in seine Schultern, in seinen großen, warmen, wunderbar lebendigen Körper, und dann kann sie nicht einmal mehr flüstern, weil ihr Mund mit ganz anderen Dingen beschäftigt ist. Später, sehr viel später, als sie wieder zu Atem gekommen sind, als der wild von der Kehle bis zu den Zehenspitzen hämmernde Herzschlag wieder zu einem gleichmäßigen Pochen abgeflaut ist und Raven wieder weiß, dass sie nicht irgendwo zwischen explodierten Sternchen im All herumschwebt, sondern sich sicher und eins mit ihrem Mann in der Wärme ihres Bettes räkelt, legt sie schläfrig den Kopf an seine Brust. Sie ist fest davon überzeugt, dass diese Stelle, an der ihre Wange gerade liegt, eigens genau dafür geschaffen wurde, und dafür, dass sie ihre kleine Nase dort hineinbohren und seinen Geruch atmen kann, von dem sie einfach nicht genug bekommen kann. Caewlin im Herzen, in den Armen, in der Nase, und noch immer auf der Zunge schmeckend, gleitet sie träge in die Halbwelt zwischen Wachen und Schlafen davon und lässt ihre Gedanken planlos und ohne Ziel umhertreiben.

Die letzten Tage ziehen noch einmal an ihr vorbei, Bryndens Streiche, Bethels Zahnschmerzen, Ykenais erste Schritte, die auf den Knien endende Käferjagd, ihre Unterhaltung über Olyvars neue Frau - und genau dort bleiben sie dann schließlich hängen. Caewlins Worte kommen ihr wieder in den Sinn: >Was stört dich daran denn so?< hatte er lächelnd gefragt. >Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass Olyvar sich in sie verliebt hat, wenn sie die ganze Zeit so ist. Sie hat dir und Ykenai nichts getan und sie hat sich entschuldigt. Ich habe schon Schlimmeres getan in meinem Leben, Raven... ich will nicht über sie urteilen, solange ich nicht mehr von ihr weiß.< Womit er natürlich vollkommen recht hat. Was sie so geärgert hatte, weiß sie selbst nicht mehr so genau. Vielleicht die grundlos so angriffslustige Art des Mädchens, ihr unverschämtes Gaffen oder ihr verächtlicher Blick. Sie kann sich immer noch nicht so recht vorstellen, wie Olyvar sich in so eine Frau verlieben kann. Aber dann meldet sich in ihrem Inneren ein zaghaftes Stimmchen, das ihr einen Spiegel vorhält und ihr die Zeit vor mehr als fünf Jahren ins Gedächtnis ruft. Warst du selbst denn so viel anders, als du damals nach Talyra gekommen bist? Hast du diese Zeit schon vergessen? Kannst du dich nicht mehr daran erinnern, was die harten Jahre auf der Straße aus dir gemacht hatten? Ein stachliger kleiner Giftzwerg warst du, hast jeden angeblafft, der dich auch nur schief angeschaut hat. Du hattest keinen Kupferling mehr in der Tasche und hast nicht mehr besessen als einen alten Gaul, einen dämlichen Hund, eine große Klappe und die Kleider, die du auf dem Leib trugst. Du bist dem Mädchen ähnlicher, als du zugeben willst, Schattenhaar - das ist es, was dich daran so stört. Unwirsch versucht sie, diese lästige Stimme, die sie am Schlafen hindert, dahin zurückzustopfen, wo sie so plötzlich hergekommen ist. Aber sie kann nicht leugnen, dass ein Körnchen Wahrheit in all dem steckt. Jaja, schon gut. Deswegen muss ich ihr aber nicht gleich um den Hals fallen, sollte ich sie tatsächlich wiedertreffen. Sie schmiegt sich noch ein wenig fester an das große, warme Ungeheuer an ihrer Seite, das im Schlaf einen wohligen Schnurrlaut von sich gibt und sie an sich zieht, und dann fallen ihr schließlich doch die Augen zu.

Am Morgen schicken sie Pyp gleich nach dem Frühstück mit einer Nachricht zu Niniane und Cron hinaus an den Smaragdstrand, während sie sich an ihre alltäglichen Arbeiten machen, das Vieh versorgen, die Ställe ausmisten, die Pferde bewegen und sich um zwei furchtbar ausgeschlafene Kinder kümmern, die nichts als Unfug im Kopf haben. Als Pyp am späten Vormittag endlich wieder zurückkommt, zerkaut Ykenai unter dem Küchentisch gerade fröhlich einen Kochlöffel, und Brynden hat drei neue Schrammen an Knien und Ellbogen, eine Beule am Kopf (wogegen die Tür zur Spülküche, die er aus Versehen eingerannt hat, nun eine weitere Delle im Holz hat) und musste bereits eine gehörige Standpauke über sich ergehen lassen, weil er beim Ausprobieren seiner selbstgebastelten Schleuder Dalla fast die Haube vom Kopf geschossen hätte. Nun hockt er auf der Küchenbank und schmollt beleidigt vor sich hin, während die konfiszierte Schusswaffe als zusätzliches Heizmaterial das Herdfeuer bereichert und Dalla ihm hin und wieder empörte Blicke zukommen lässt, in denen deutlich zu lesen steht, was sie von Hauben als Zielscheibenersatz hält. Pyp sprudelt, kaum in der Küche angekommen, pflichtschuldigst die ihm aufgetragene Antwort hervor - dass der Tronjer und Lady Niniane so bald wie möglich in die Stadt kommen werden und sie die beiden Kinder während des Festes nur zu gern im Seehaus lassen würden - , dann ist er auch schon wieder verschwunden, bevor es seiner Mutter noch einfällt, ihm irgendwelche unaufschiebbaren Arbeiten aufzuhalsen. "Uff", entfährt es Raven, die gerade den Tisch für das Mittagsmahl deckt, bei dieser Nachricht. "Das klingt so, als würden sie schon bald hier auftauchen. Ich werde mich wohl besser gleich nach dem Essen umziehen." Kichernd erinnert sie sich an die letztjährigen Festvorbereitungen, die wegen einer unentschlossenen Waldläuferin schier kein Ende hatten nehmen wollen. "Wenn Niniane mich erst einmal in den Fängen hat, wird sie mich wieder stundenlang von einem Kleid ins nächste stopfen und endlos an meinen Haaren herumfummeln, so dass wir wieder die Hälfte des Festbanketts verpassen." Sie wirft Caewlin einen liebreizenden Augenaufschlag zu. "Diesmal gehe ich aber in meinen Hosen, basta. Ich habe keine Lust, mich wieder wegen eines Kleides anpöbeln zu lassen. Und für deinen Seelenfrieden ist es auch besser, glaube ich."

Gesagt, getan - nach einem hastigen Essen überlässt sie Ykenai Runas Obhut und verschwindet zunächst ins Badezimmer, wo sie sich eine geschlagene Stunde lang in rosenduftenden Schaumbergen mariniert, vom Scheitel bis zu den Zehen schrubbt und sich das Haar so lange wäscht, bis es vor Sauberkeit quietscht. Zum Entwirren der langen, nassen Strähnen braucht sie einige Zeit, und als sie schließlich fertig ist, hüpft sie, mit nichts am Leib als einem feuchten Leintuch, die Treppe hinauf in ihr Schlafgemach, wo sie sich ohne Umschweife über den gewaltigen Kleiderschrank hermacht. Hier kommt es zu ersten Stockungen in den bislang wie am Schnürchen laufenden Vorbereitungen und zu einem verzweifelten Seufzer: "Herrje, was soll ich denn jetzt anziehen?" Ein wenig ratlos steht Raven vor den weit geöffneten Türen des Kleiderschrankes und lässt die Augen über dessen Inhalt schweifen. Den Gedanken, einfach wie zuerst geplant eine ihrer alten Hosen herauszukramen, verwirft sie gleich wieder. Du hast einen ganzen Schrank voller Kleider, einer schöner als das andere, also zieh' sie auch an! schimpft sie sich und wühlt sich durch meterlange Bahnen schimmernden Samts und sich bauschenden Seidenstoffs. "Das Rote? Hm, nein ... das hatte ich letztes Jahr an. Das Samtkleid vielleicht? Das Grün ist so schön ..... aber der Stoff viel zu warm, in dem Ding werde ich mir einen Hitzschlag holen. Und das hier, hm ..." Sie probiert es mit einem der schlichten Leinenkleider, zieht es an, dann wieder aus und sich anschließend noch dreimal um, bis sich auf dem Bett ein raschelnder Kleiderhaufen von den Ausmaßen des Wyrmschwanz türmt und sie, noch immer mit nichts weiter als mit ihrem Ehering bekleidet und noch ratloser als zuvor, wieder vor dem Schrank steht. Vielleicht wäre es doch keine so schlechte Idee gewesen, auf  Niniane zu warten, seufzt sie, dann fällt ihr Blick auf ein hauchzartes Häuflein schimmernden Stoffs, das bis dahin unter den voluminösen Röcken einfach untergegangen und seit dem letzten großen Schneidereibesuch völlig in Vergessenheit geraten war: die seidene Unterwäsche, die sie bei Madam Pileh gekauft hatten. "Na, das ist doch schon einmal ein Anfang", frohlockt sie und zerrt die Wäsche aus dem Schrank. "Vielleicht passe ich ohne Babybauch sogar hinein."

Sie passt, wie sie feststellt, nachdem sie sich mit schlangenartigen Bewegungen in das zarte, flussperlenhelle Seidengebilde gewunden hat, sich das Leibchen über der Brust geschnürt und sich die hauchdünnen Strümpfe übergestreift hat. "Ich trage tatsächlich Strumpfbänder", kichert sie, während sie sich in dem mannshohen Bronzespiegel von allen Seiten betrachtet. "Aber ich werde sie garantiert nicht kreischend Olyvar hinterherwerfen." Mit kritischer Miene begutachtet sie ihr Spiegelbild, dreht sich hierhin und dorthin, renkt sich schier den Hals aus, weil sie unbedingt einen Blick auf ihre Kehrseite werfen muss und kann angesichts dieser nur verständnislos den Kopf schütteln. Zugegeben, in dieser Wäsche ist besagte Kehrseite recht appetitlich verpackt, aber dennoch: "Es ist ein Hintern. Einfach nur ein Hintern. Möchte bloß mal wissen, was Caewlin daran so interessant findet." Zu weiteren Spekulationen kommt sie allerdings nicht, weil die Zeit allmählich drängt und sie schon genug herumgetrödelt hat. Also zwängt sie sich einfach in das erstbeste Kleidungsstück, das ihr in die Finger kommt - ein langes Kleid aus heller, schwerer Seide. Das schmale, geschnürte Oberteil schmiegt sich sanft an ihren Leib, folgt schimmernd den Linien von Brust und Taille und fällt erst ab der Hüfte in weichen, weiten Falten bis zum Boden. Ein wenig besorgt zupft Raven an dem mit winzigen Perlen bestickten, ziemlich luftigen Ausschnitt herum, den sie gar nicht so großzügig in Erinnerung hat. "Naja, da wird schon nicht gleich etwas herausfallen." Sie sieht es pragmatisch, und hat jetzt ohnehin kein Auge mehr für Ausschnitte oder andere Kleiderdetails, denn inzwischen ist sie hektisch auf der Suche nach passenden Schuhen. Sie hat die Auswahl zwischen zwar feinen, aber leuchtend roten Schuhen, ihren abgetragenen, kniehohen Stiefeln (die sich über Seidenstrümpfen bestimmt ganz hervorragend machen würden) und schlichten Ledersandalen - also entscheidet sie sich für letztere. Passt zwar nicht so ganz zum Kleid, aber immerhin noch besser als alte Stiefel oder rote Schuhe. Und außerdem schwitzt man in denen nicht. So, und jetzt nur noch das Haar.

Sie schaufelt sich die dunkle Haarpracht über die Schultern nach vorne, bürstet es, bis es sich in glänzenden Wellen bis über ihre Hüften ringelt, und versucht dann, das ganze zu einem möglichst elegant aussehendem Gebilde auf ihrem Kopf zu drapieren - was gründlichst in die Hosen geht. Es sieht aus, als wäre ihr am Hinterkopf ein zweites Gehirn gewachsen. "Hmpf!" Der nächste Frisierversuch erinnert trotz der Zuhilfenahme von einem guten Dutzend Haarnadeln an einen windzerzausten Adlerhorst, der dritte an ein sturmgebeuteltes Getreidefeld, aus dem einzelne verirrte Halme herausstaksen. Beim vierten Versuch blickt ihr aus dem Spiegel ein serathischer Turmbau entgegen, und beim fünften etwas, das aussieht, als würde es aus Dallas Küchengarten stammen und zu lange gekocht worden sein. "Argh! Wie hat Niniane das letztes Mal nur so hinbekommen? Hmmmpf!" Versuch Nummer sechs endet als Frisur, die einem Waldschrat alle Ehre gemacht hätte, und nach Versuch Nummer sieben, acht und neun gibt sie es schließlich in höchster Verzweiflung vor sich hin hmpfend auf, fährt sich noch einmal mit der Bürste durchs Haar und legt sich dann einfach das spinnwebzarte, edelsteinbesetzte Gespinst, das Caewlin ihr zum Geschenk gemacht hatte, über das Haupt. Anschließend poltert sie hastig und mit gerafften Röcken die Treppe hinunter und macht sich auf die Suche nach ihrem Mann. Niniane und der Tronjer scheinen noch nicht aufgetaucht zu sein, und wenn sie recht überlegt, weiß sie im Moment auch gar nicht genau, ob sie auf die beiden warten oder einstweilen schon alleine Richtung Marktplatz aufbrechen sollten. Suchend streckt sie ihren Kopf zur Küchentür hinein. "Caewlin? Wo steckst du denn?"

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Niniane am 08. Mai 2007, 14:48 Uhr
<- Der Baum am Smaragdstrand

Sie erreichen das Seehaus am frühen Nachmittag, betreten das Anwesen durch die Strandpforte und kommen so über die Wiesen zum Haus hinauf. Um das weitläufige, doppelstöckige, massive alte Steinhaus mit seinen hölzernen Erkern und von Blauregen umrankten Giebeln drängen sich auch dieses Jahr dicke Blumenpolster in Weiß, Zartgelb und Blau, und ein berauschender Geruch nach Frühling, nach blühenden Obstbäumen, saftigem Gras und fruchtbarer Erde liegt in der vom Regen rein gewaschenen Luft. Schon auf der Steinterrasse mit ihren raschelnden Oleanderbäumchen (Niniane weigert sich belustigt, diese grünen Monstren noch als Sträucher zu bezeichnen) werden sie alle vier von den beiden Hunden, Brynden - "Tante Naaahaaan!" - und einer schnatternden Gesindemeute in Empfang genommen - von Caewlin und Raven erst einmal keine Spur. Sie begrüßen also Dalla, die sich im wahrsten Sinne des Wortes auf Leir und Shaerela stürzt, Rykar und Pyp, den sie heute ja schon einmal gesehen hatten, lächeln Runa zu und zausen Tunichtgut Aulin den dunklen Schopf, herzen Brynden, Stelze und auch Akira, soweit die Bluthündin sich das eben gefallen lässt, und in diesem Trubel verschwindet dann auch der letzte trübsinnige Gedanke aus Ninianes Kopf. Nach einem Moment erscheint auch Raven in einem schlichten, aber sehr eleganten hellen Kleid mit einem ziemlich gewagten Ausschnitt. Sie hat Ykenai auf dem Arm, lässt sich - und auch ihre kleine Tochter - von ihnen beiden und den Kindern umarmen und küssen, begrüßt sie strahlend mit den Worten: "Wir müssen euch unbedingt etwas zeigen!", stellt Ykenai auf die Steinfliesen, und führt ihnen dann mit stolz geschwellter Brust die inzwischen selbstständigen Trippelschrittchen der Kleinen vor. "Sie läuft jetzt allein?" Niniane tauscht einen lächelnden Blick mit Cron, kniet sich hin und breitet die Arme aus, in die Ykenai mit einem quietschenden "Nannannan....." hineinwackelt, hebt Ravens Tochter hoch und drückt sie kurz an sich. "Das machst du fein, kleiner Spatz. Jetzt ist gar nichts mehr vor dir sicher, was?" Sie grinst ihrer Freundin wissend zu und erinnert sich lebhaft daran, wie sie zu Anfang des Langschnee, ein paar Tage vor Leirs erstem Geburtstag, hastig sämtliche unteren Regionen aller Räume im Baum kleinkindsicher hatten machen müssen, als ihr Sohn sich übergangslos vom Sitzen für das Stehen und danach auch für den aufrechten Gang entschieden hatte. Die Krabbelphase vorher, von Shaerela weidlich ausgereizt, hatte Leir einfach ausgelassen. Niniane setzt sich Ykenai auf die Hüften, die prompt beginnt, an den Kordelzügen ihres Ausschnittes herumzuzupfen. "Nein, Fröschchen, bei mir gibt's nichts für dich," entgegnet sie lachend. "Wenn du Milch willst, musst du zu deiner Mutter gehen. Willst du sie noch kurz stillen, bevor wir aufbrechen?" Wendet sie sich an Raven. "Dann gehe ich mit und lege Leir auch noch einmal an... nicht dass er's bräuchte, aber ich habe mehr Platz in meinem Kleid."
Gesagt getan, sie holt sich ihren Sohn von Dalla zurück und verkrümelt sich mit Raven in eine ruhige Ecke in der Halle, wo sie die beiden Quälgeister noch einmal füttern.


Sie plaudern ein wenig über dies und das, den neuesten Stadtklatsch inklusive der brandneuen Gerüchte, die Niniane angemessen dramatisch mit überraschten kleinen "Oh's" und "Aha's" quittiert. Das von Olyvar und der "Herumtreiberin" vom letztjährigen Inarifest zu hören,  verblüfft sie tatsächlich. "Das kann doch unmöglich dieselbe Diantha sein," gibt sie stirnrunzelnd zu bedenken und legt ihren Sohn an der anderen Seite an. Gut, wer weiß schon, was unter all dem Dreck letztlich gesteckt hat, aber selbst wenn er sie wochenlang gebadet und gefüttert haben sollte, da war immer noch ihr Benehmen. Sie kennt den Lord Commander Talyras, sie weiß genau, dass Olyvar kein Mann ist, der auf Äußerlichkeiten wie Schönheit oder weibliche Formen sonderlich viel gibt, aber kann sich auch beim besten Willen nicht vorstellen, dass der Tarascon Gehässigkeit anziehend findet. Ravens Blick ist ebenso ratlos wie ihrer, aber dann zucken sie beide mit den Schultern. "Wer ist eigentlich die Elbin, die bei dir im Baum lebt?" Will Raven dann mit einem hintergründigen Lächeln wissen. "Das ist ja eine sehr geheimnisvolle Person! Man sieht und hört überhaupt nichts von ihr, aber jede Menge über sie, jedenfalls deiner Waschfrau nach."
Meine Waschfrau? Du liebe Güte, die kann doch nicht auch noch mit Dalla verwandt sein! "Soraya," erwidert Niniane säuerlich und blickt auf das Gesicht ihres Sohnes hinunter, der kurz vor dem Wegdösen ist. "Aber ich will jetzt wirklich nicht über sie reden, min Ija. Wenn Arwen zum Inarifest kommt, hörst du ohnehin noch genug von ihr, glaub mir."
"Arwen?" Ravens Lächeln wird süffisant. "Denkst du, sie nimmt diesen Elbenritter mit aufs Fest, den sie sich aus Lomirion mitgebracht hat?"
"Teir?" Niniane unterdrückt ein amüsiertes Lachen. Im Herbst, als Arwen sie nach ihrer Rückkehr aus Erryn mehrmals besucht hatte, war sie dem jungen Elben ein- oder zweimal begegnet. "Du lieber Himmel, Raven, der ist ja noch nicht einmal trocken hinter den Ohren!"
Raven kichert hilflos. "Also, an seinen Ohren ist Arwen doch bestimmt nicht interessiert, da ist das doch egal!"
"Raven!"
"Na, ist doch wahr," verteidigt sich die junge Frau und hebt ihre ebenfalls bereits halb schlafende Tochter an ihre Schulter, die milchblubbernd eine Reihe kleiner Aufstoßer von sich gibt. Sie bringen die beiden Kleinen nach oben, um sie noch zum Schlafen hinzulegen, schnüren sich die Gewänder wieder zu, soweit das nötig ist, überprüfen ein letztes Mal vor Ravens großem Bronzespiegel den Sitz von Haaren und Kleidern und gehen dann nach unten, um ihre Männer einzusammeln und sich von den Kindern zu verabschieden. Ganz ohne Babys, Babykörbchen, babysittende Hunde, Spucktücher, Windeln und die sonst noch nötige Ausstattung für an beiden Enden undichte Säuglinge, verlassen sie das Seehaus dieses Jahr mit ungewohnt leichtem Gepäck, nämlich nur ihren Geldkatzen, und einem ganz und gar ungewohnten, aber ziemlich beschwingenden Gefühl von Freiheit.

Titel: Re: Das Seehaus
Beitrag von Caewlin am 11. Mai 2007, 17:39 Uhr
Als Raven auf der Suche nach ihm in die Küche lugt, sitzt Caewlin am Tisch bei einer Schale Cofea und ist gerade dabei, die beiden neuen Dolchscheiden aus schwarzem Leder, punziert mit feinen, grauen Mustern, auf seinen Gürtel zu ziehen. Da seine Frau am Vormittag ausgiebig das Bad belegt hatte, ist es auch erst eine Viertelstunde her, dass er selbst aus der Wanne kam und sein Haar ist noch leicht feucht. "Hier, Raven. Ich bin gleich fertig," erwidert er, blickt jedoch erst nach einem Moment auf. Ihre Worte, diesmal gehe sie in Hosen und damit basta, noch deutlich im Ohr, lässt ihr Anblick im Festkleid ihn überrascht lächeln und dann fragend eine Braue heben. Caewlin lässt Dolchscheiden Dolchscheiden sein, und dreht sich vollends zu ihr um. "Hmm. Sehr interessant, deine... Hosen," spöttelt er sanft. Raven blinzelt ein wenig überrascht an sich herab, doch dann streckt sie graziös ein Bein vor, wedelt mit den langen Stoffbahnen ihrer Röcke hin und her, und strahlt ihn honigsüß an. "Ja, nicht wahr? Diese weiten Beine sind der letzte Schrei." Caewlin steht lachend auf und legt den Gürtel an, dann fällt sein Blick auf gewisse Details ihres Kleides... genauso genommen auf ein gewisses Detail. Es ist leicht herzförmig und ziemlich weit geschnitten, und dank der Tatsache, dass Raven Ykenai immer noch stillt, auch mehr als gut gefüllt. "Das nennst du besser für meinen Seelenfrieden?" Caewlin starrt auf die Aussichten, die sich ihm bieten und schafft es irgendwie gleichzeitig erheitert, verlangend, empört und leicht besorgt zu klingen. Sein Blick folgt der Rundung ihrer Brüste, der weichen Kurve ihrer Taille und dem Schwung ihrer Hüften, schweift über die helle, glänzende Seide ihres Gewandes bis hinunter zu ihren hübschen, nackten Zehen in den ledernen Sandalen, und kehrt dann langsam wieder zu ihrem Gesicht zurück. Raven hat nicht oft Gelegenheit, sich elegant anzuziehen - er sieht sie zwar mittlerweile öfter in einem Kleid, aber in einem solchen nur selten, und es verfehlt seine Wirkung keineswegs. Als er ihren Augen begegnet, zuckt ein halbes Lächeln in seinen Mundwinkeln, und er zieht sie an sich, um sie hochzuheben und zu küssen.

"Das Kleid steht dir gut, min koerlighed. Erinnere mich daran, dass ich den Morgenstern mitnehme." Auf ihr verständnisloses Blinzeln erklärt er schulterzuckend. "Ich nehme nicht an, dass du dich dieses Jahr zu einem Schultertuch oder einem Umhang überreden lässt, oder doch? Aye, tja dann brauche ich etwas, um Schädel einzuschlagen." Sie sieht ihn mit großen Augen an, schüttelt zungenschnalzend mit dem Kopf - eine typisch weibliche Verzweiflungsgeste über männlichen Eigensinn -, strampelt, um heruntergelassen zu werden, tätschelt ihm dann beruhigend den Arm und verspricht gnädig, dieses Jahr auch ganz bestimmt in seiner Nähe zu bleiben, wenn ihn das denn beruhige. Es beruhigt ihn kein Stück, entsprechend diabolisch fällt sein Grinsen aus. "Seelenfrieden, hm? Du wirst schon noch sehen, was du davon hast." Hätte er auch nur den leisesten Hauch einer Ahnung gehabt, was sie unter diesem Kleid trägt, hätten Cron und Niniane, deren Ankunft die Hunde gerade melden, ohne sie beide auf das Inarifest gehen können. Raven löst sich mit einem bedauernden Seufzen von ihm, schnappt sich Ykenai, die gerade mit Runa durch den Küchengarten hereinkommt, und eilt nach draußen auf die Steinterrasse, um ihren Besuch in Empfang zu nehmen. "Sag ihnen, ich bin gleich da, min koerlighed, ich brauche nicht lange." Caewlin verschwindet noch einmal nach oben, um seine Stiefel zu holen und eine Geldkatze zu füllen. Den Morgenstern mitzunehmen lässt er nach einem Moment des Zögerns dann aber doch lieber sein. Die Dolche würden eben genügen müssen, und wenn nicht - nun, zur Not würde es auch eine der schweren Weinamphoren tun. Als Ykenai und Leir gestillt wurden und zum Schlafen hingelegt sind, Brynden, Aulin und Shaerela alle drei ermahnt wurden, brav zu sein, auf Dalla zu hören, keinen Unfug anzustellen, keine neuen Schleudern zu basteln, sich vom Schweinestall fernzuhalten, nicht zu zündeln, keine Frösche in die Milcheimer zu werfen, die Küken in Ruhe zu lassen, und weder Runa, noch Shem zu ärgern und so weiter und so fort (die Liste ist angesichts Bryndens und Aulins Tatendrang schier endlos...), sowie das Gesinde verabschiedet ist, verlassen sie das Seehaus endlich in Richtung Marktplatz.

-> Marktplatz



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