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Das Rollenspiel >> Reisen und Quests durch die Immerlande >> Sûrmera
(Thema begonnen von: Azra am 27. Jan. 2007, 14:09 Uhr)

Titel: Sûrmera
Beitrag von Azra am 27. Jan. 2007, 14:09 Uhr
So sehr sich Azra zu Beginn der Reise noch gefreut hat, so sehr bereut sie es spätestens nach drei Tagen auf diesem vermaledeiten Schiff, als sie einmal mehr an der Reling klebt und sich in die Hölle hinab wünscht, solange sie nur keinen Augenblick länger schwankende Planken unter ihren Füssen ertragen muss. Stolz geblähten, schneeweissen Segeln, leuchtenden Sonnenuntergängen und einem farbenprächtigen Horizont kann sie ebenso wenig abgewinnen. Zwischen „Bwähs“ und „Urghs“ bleibt ihr nicht einmal genug Zeit, um die frische Luft zu geniessen, die rau über ihre bleichen Wangen streicht und ein hübsches Rot darauf zaubert. Es genügt jedoch durchaus um Borgil, der breit grinsend an ihrer Seite steht und ihr das Haar aus dem Gesicht hält, vorwurfsvolle Blicke zu schicken und ihm damit klar zu machen, dass er sich eine Schadenfreude gefälligst sonst wohin stecken kann. Sofort versucht er seine Miene einigermassen schuldbewusst wirken zu lassen, was aber mit zuckenden Mundwinkeln und unschuldig niedergeschlagenen, nicht vorhandenen Wimpern einfach nicht so recht glaubwürdig wirkt. Als ihr Magen nur noch kümmerlich knurrt, aber ansonsten so leer ist, wie vor dem einzelnen Zwieback, den sie ihm schändlicherweise angetan hat, wischt sie sich den Mund mit einem Tuch, dreht sich um und drängt sich in Borgils Arme, schniefend ihr Gesicht an seinem Hals bergend. „Das ist nicht fair“, nuschelt sie halberstickt in den weichen Wollstoff seines Umhangs und gibt einen leisen Unmutslaut von sich: „Warum ich. Warum sonst keiner? Pff…“
„BORGIL! Sieh dir diese WELLEN an! WOAAAH!“, brüllt es plötzlich irgendwo weiter hinten auf dem Deck und „gnahend“ hält Azra sich die Ohren zu, um dem Freudengeheul Tiuris, der diesem ganzen Schwanken und Schlingern von Anfang an weitaus mehr abgewinnen kann als sie, zu entkommen. Erfolglos ein grollendes Lachen unterdrücken, das klingt, als rollten schwere Steine unter Wasser, schiebt Borgil Azra in Richtung der Türe, die zu den Kajüten führt. Bevor sie jedoch die rettende Halbdunkelheit erreichen, wo eine Hängematte ihr Elend ein wenig verstärken kann, rauscht Tiuri vor ihnen hindurch zur gegenüberliegenden Reling: „Haaaaa! Mir macht das gar nichts. Ist das nicht toll… Woa! Borgil, Azra! DAS müsst ihr euch ANSEHEN!!!“ „Ich muss mir gar nichts…“, keift Azra noch halblaut, würgt ein „Ohje“ hervor und steht trotz allen Widerwillens keinen Herzschlag später neben Tiuri, sich an feuchtem Holz festkrallend und schluckend den Kopf so weit wie möglich übers Wasser hinausstreckend. Die Augen hält sie dabei wohlweislich geschlossen, denn ein Blick auf die spritzende, wogende Gischt unter ihr genügt, um sie ins Land des Schwindels zu schicken, so viel hat sie zumindest schon gelernt. Brenainn kreischt und gibt allenthalben irgendwelche komischen Geräusche von sich, wie es ein gesunder, gestandener Bursche in seinem Alter eben tut, ganz und gar erfreut darüber, dass es ihm seine Mutter gleich nachtut, von ihm unbemerkt mit weitaus weniger Begeisterung. Irgendwann hat sich auch das letzte Bröckchen noch aufbegehrenden Zwiebacks sich in die Fluten verabschiedet und Azra lehnt sich keuchend und weiss wie geschlagene Sahne an Borgils Schulter, geknickt über schwache Mägen und ihren mit Seekrankheit geschlagenen im Besonderen zeternd. Ihr liebevoller Gatte tätschelt ihr mit seinen Pranken zärtlich den Kopf, drückt ihr sacht einen Kuss auf die Stirn und entlockt ihr damit immerhin ein halbes Lächeln.

Gleich darauf landet sie wieder in ihrer Kajüte, gegen ihren rebellierenden Magen ankämpfend, der alleine beim Anblick der schwingenden Bettstatt schon wieder cholerisch wird. Ohne zu jammern legt sie sich hin, lässt aber nicht zu, dass Borgil auch nur einen Schritt von ihrer Seite weicht. Weniger weil sie befürchtet, sich nicht selbstständig wieder aus Leinen und Wollstoff befreien zu können, als vielmehr weil eine unbekannte Angst sie seit ihrem Aufbruch piesackt, wie eine besonders lästige Mücke. Damit beschäftigt die Hand ihres Gatten zu Umklammern, wie einen Rettungsring beim Ertrinken, verschwindet sie bis zur Nasenspitze unter der Decke und versucht ein wenig Schlaf zu finden. „Borgil?“, maunzt sie nach kurzer Zeit halb versteckt hinter dem Hängematterand hervor und erntet ein gegrummeltes: “Hm?“ Verwegen reckt sie sich ein wenig mehr in die Höhe und sieht ihn an, einerseits mit der Müdigkeit um die Vorherrschaft über ihre Lider kämpfend, andererseits sich davor fürchtend, einzuschlafen und alleine aufzuwachen. „Du gehst nicht weg, oder?“ Borgils Augenbrauen sträuben sich dermassen wild nach allen Seiten, dass sie nur ein: „Oh, natürlich“, nuschelt und sich dann hastig in eine waagrechte Lage kuscht, gleich darauf zufrieden und satt lächelnd und leise flüsternd: „Danke.“
Entgegen aller Voraussagen, dass sie sich mit der Zeit an Seegang und wirbelnde Planken gewöhnen würde, zeigt sie, dass man auch durchaus auch die ganzen restlichen drei Wochen der Schifffahrt auf sein Recht als seekrankes Übel bestehen kann. Besonders als ein Herbststurm nach dem Anderen die *Rote Bulle* auf dem Wasser treiben lässt, wie ein winziges, wehrloses Ruderboot, kann Azra mit stolz behaupten, grün wie ein Kobold zu sein. Tiuri, der bei mannshohen Wellen und schwarzem Himmel nur noch ärger vom Abenteuerfieber gepackt wird, tut einen Teufel und schert seinen wertvollen Hintern in Sicherheit, stattdessen turnt er bei Donner, Blitz und Regen so lange auf dem offenen Deck herum, bis einem der Seemänner der Kragen platzt, ihn am Schlafittchen packt und ihn mit der Drohung auf Prügel in seine Kajüte wirft. Azra sagt dazu überhaupt nichts, kann schlecht, zu oft steckt ihr Kopf dafür in einen Eimer, wenn peitschender Wind und über das Schiff hinaus rauschende Wogen ihr verbieten die heissgeliebte Reling aufzusuchen. Brenainn wird nach allzu langer Zeit eingepfercht zwischen Holzplanken quengelig und lässt sich auch durch allerlei gut gemeinte Ablenkung nicht beruhigen, geschweige denn dass es ihn im Geringsten interessieren würde, dass sein Vater mit einer zwischen Tränen und innigen Gebeten schwankenden Mutter alle Hände voll zu tun hat.
Als das Unwetter sich endlich legt, ist Azra nahe daran die Reling vor Freude über ihr Wiedersehen zu umarmen und schwört, nie wieder einen Eimer zu benutzen, in ihrem ganzen Leben.

Dank dessen, dass Borgil aber trotz ihrer schwachen Proteste darauf besteht, dass sie viel essen muss – weil sie das Meiste davon doch prompt wieder von sich gibt – verhungert sie nicht und dann endlich, nach – in Azras Augen – einer Ewigkeit schippern sie in den Hafen der Hauptstadt des gleichnamigen Fürstentum Sûrmera ein. Eingewickelt in eine warme Decke und somit sowohl geschützt vor der Kälte, als auch vor allzu neugierigen Blicken, wankt Azra als halbes Häuflein Elend die Planke hinunter. Es ist zwar später Abend und das miese Wetter verbietet sogar dem feschesten Strassenköter aus seinem Versteck zu kommen, trotzdem herrscht belebter Tumult auf dem Pier, was schon alleine durch die Verspätung der *Roten Bulle* zu erklären ist. Borgil hat kurzerhand entschlossen das nächstgelegene, einigermassen annehmbare Gasthaus *Zur Schwankenden Dschunke* aufzusuchen, bei dessen Erwähnung es Azra schon wieder schlecht wird, doch erst muss ein Karren aufgetrieben werden, Gepäck, sowie lebende Fracht sicher dorthin bringen kann. Da Azra aber selbst auf dem stabilen, harten Holzsteg das Gefühl hat, hin und her geworfen zu werden von imaginären Wellen, wird das Vorhaben kurzerhand umgestellt und Tiuri als kurzzeitiger Wachmann für Truhen und Lederbeutel angestellt, bis Borgil seine Frau im Gasthaus versorgt und somit seine Hände für andere Dinge frei hat. Azra lässt alles willig mit sich geschehen, will Borgil gar noch davon überzeugen, dass sie durchaus fähig sei, ihre Sachen selbst zu schleppen und er sich ruhig erst um Karren und Esel oder derlei sorgen solle, doch ihre Einwände werden radikal hinfort gewischt und sie selbst in ein bequemes, kleines Zimmer bugsiert. Brenainn, selig schlummernd, wacht zwar kurzzeitig noch einmal auf, blinzelt mit Augen so gross wie Untertassen in die ungewohnte Umgebung, entscheidet sich dann aber gnädig doch lieber dem Sandmann zu horchen, als sich jetzt noch auf Entdeckungstour zu machen. Etwas, das sich Tiuri unter keinen Umständen entgehen lassen will.
Kaum ist jedes Gepäckstück fein säuberlich im Zimmer verstaut worden, Borgil sich in den Schankraum aufgemacht hat um etwas Essen zu besorgen und Azra zusammen mit ihrem Sohn das Bett vorwärmt, schnappt Tiuri sich seinen Umhang und verkündet lauthals, er werde jetzt die Stadt erkunden.

Das tut er auch die den vollen nächsten Siebentag, denn wie sich schnell herausstellt, ist es unmöglich bei sintflutartigen Regengüssen und pechschwarzem Himmel auch nur einen Schritt in die sûrmerischen Wälder zu wagen. Nach einer langen Diskussion entscheiden sie sich schliesslich so lange zu warten, bis das Wetter ein wenig verträglicher wird. Keinem der drei gefällt diese Wartezeit, Tiuri, dem ein ganzer Schwarm Hummeln im Hintern hockt, am allerwenigsten. Aber auch Borgil findet überhaupt nichts daran länger als nötig in Sûrmera fest zu hängen und Azra verkriecht sich so oft wie nur möglich in ihrem Zimmer, stillschweigend das Gemurre der Männer ertragend und sich vor den Blicken der anderen Bewohner versteckend. Borgil hat ihr gut eingeprägt, dass Sûrmera weitaus weniger Sympathie für Blutelben – Mischling hin oder her- entgegen bringt und somit jeder verflixte Tag, den sie länger in der Stadt verweilen müssen, die Gefahr einer Entdeckung vergrössert. Das genügt um ihr Herz jedes Mal, wenn sie versteckt unter Umhang und grosser Kapuze, panisch flattern zu lassen und ihr einen Schreck einzujagen, sobald es jemand wagt, sie anzusprechen, weswegen sie froh ist das Zimmer nur so selten wie möglich verlassen zu müssen.

Titel: Re: Sûrmera
Beitrag von Tiuri am 27. Jan. 2007, 17:24 Uhr
Das Wetter meint es nicht allzu gut mit der kleinen Reisegruppe. Schon nach wenigen Tagen auf der „Roter Bulle“, die Tiuri überaus genießt und schon Pläne schmiedet Seefahrer oder Pirat zu werden – wobei er sich beim Erwähnen dieses Wortes einige bitterböse Blicke eingefangen hat – suchen Regen und Sturm sie heim. Das Schiff schaukelt über mächtige Wellen hinweg und die Besatzung hat ihre liebe Mühe den richtigen Kurs zu behalten. Kein Wunder, dass dabei keiner Lust hat auch noch ein Auge auf Tiuri zu haben, der, während alle anderen arbeiten und niemanden brauchen können der ihnen im Weg herum steht, stattdessen auf der Reling herum turnt und sich, an Seilen festhaltend, so weit wie möglich nach draußen beugt um auch keine der Wellen zu verpassen. Das Gesicht hält er in Wind und Regen und brüllt vor Freude wenn das Schiff sich etwas aufbäumt. Irgendwann wird es einem der Seemänner zu viel und er verbannt den jungen Mann unter Deck wo keiner seine Begeisterung ertragen muss. An ruhigeren Tagen mögen die Männer Tiuri eigentlich gerne, denn herum sitzen liegt ihm nicht im Blut, er hilft so gut er kann und packt über all mit an wo eine Hand gebraucht wird. Dass Azra diese Fahrt aber auch kein bisschen genießen kann ist ihm völlig unerklärlich und als er versucht mit seiner Begeisterung ihre Liebe zur Seefahrt aufkommen zu lassen ist das einzige was er aufkommen lässt ihr Brechreiz. Borgil kümmert sich die ganze Zeit um sie und um Brenainn, wobei Tiuri ihm den kleinen Halbzwergenmann immer wieder abnimmt und ihn über das Schiff trägt. Das Kind scheint Tiuri noch am ehesten nachvollziehen zu können, denn es quietscht vergnügt als Tiuri es über die Reling hängt. Azra, einige Schritte von ihnen entfernt, schreit ebenfalls auf, aber nicht vor Vergnügen, sondern weil sie vor ihrem geistigen Auge schon sieht wie Tiuri ihren Sohn unabsichtlich in den See fallen lässt. Sie wird, wenn das überhaupt noch möglich ist, noch bleicher und Tiuri verspricht ihr, ihren Nerven nie wieder so etwas an zu tun, übergibt Brenainn aber dann doch lieber den schützenden Händen seines Vaters.

So sehr Tiuri die Fahrt auch genossen hat, so aufgeregt blickt er aber schließlich auch dem näher kommenden Hafen entgegen. Jeder Mann auf dem Schiff hat seinen Platz, seine Arbeit und weiß genau was er zu tun hat, bis auf Tiuri, der die Hände in die Hosentaschen steckt und seiner ungewissen Zukunft, oder auch Vergangenheit entgegen blickt. Wie so oft in den letzen Wochen gehen ihm wieder die gleichen Fragen durch den Kopf.
Wo komm ich her? Bin ich auf dem richtigen Weg? Werde ich finden was ich suche? Will ich überhaupt finden was ich suche? Was wird mich wohl erwarten… soll ich umkehren?
Zum Umkehren ist es nun definitiv zu spät, Azra würde ihn meucheln wenn er ihr jetzt mitteilen würde, dass diese Fahrt völlig umsonst war, und dass er eigentlich gar nicht wissen möchte wo er denn herkommt. Wenn er aber nicht zurück kann, bleibt ihm nur mehr vorwärts zu gehen und genau das macht Tiuri dann als das Schiff endlich angelegt hat. Mit festem Schritt geht er die Planke hinunter, während Azra so sehr schwankt, dass er Angst hat sie würde noch jetzt im Hafen ins Wasser fallen. Borgil beauftragt ihn derweil auf ihr Gepäck aufzupassen, er würde Azra und Brenainn zuerst ins Gasthaus bringen und dann einen Karren auftreiben um alles zu transportieren.
Nickend bezieht Tiuri Stellung und lässt wartend seinen Blick über das Hafengetummel streifen. Es ist ein Hafen, ein großer, aber kein außergewöhnlicher und außerdem kennt Tiuri ihn schon. Es ist schon Jahre her, dass er hier gewesen ist, aber trotzdem ist ihm diese Stadt noch nicht komplett fremd, im Gegenteil. Er fühlt sich regelrecht heimisch hier und fragt sich, ob das vielleicht ein Zeichen dafür ist, dass er auf der richtigen Spur ist. Motiviert beginnt er damit, jeden anzulächeln der seinen Weg kreuzt, einfach in der Hoffnung, dass ihn irgendjemand anspricht weil er ihn ja schon Jahre nicht mehr gesehen hat und froh ist, ihn endlich wieder zu treffen. Aber nichts dergleichen passiert und Tiuris Mundwinkel frieren langsam ein. Ein Mädchen lächelt scheu zurück und schenkt ihm eine essbare Muschel aus ihrem Wagen, die sie eigentlich versucht mit Rufen an den Mann zu bringen. Tiuri nimmt das Geschenk dankend an, beschäftigt sich aber nicht weiter mit ihr, sondern beginnt immer wieder nach Borgil Ausschau zu halten.
Als der Zwerg endlich zurück kommt, hat er auch schon einen Karren aufgetrieben auf den sie ihr Gepäck aufladen und es „Zur Schwankenden Dschunke“ transportieren. Dort angekommen, schnappt sich Tiuri nur den Schlüssel für seine Kammer und erklärt sofort, dass er sich noch etwas umsehen wird.

Der Wind der durch die Straßen fegt ist kühl und er zieht seinen Umhang fester um sich. Der Stoff ist von guter Machart und schön warm. Als er das letzte Mal hier war, war nicht einmal seine Haut in ganzen Stücken, geschweige denn seine Kleidung. Kein Wunder, dass ihn damals niemand gekannt hat, er hat ganz anders ausgesehen. Sein Kopf beinahe kahl und kaum Fleisch auf den Knochen. Und jetzt?
Du bist älter geworden, vielleicht kennen dich die Leute die dich einst kannten noch viel weniger.
Einerseits ist der Gedanke beunruhigend, denn wie soll man jemanden finden der einen kennt, wenn einen die Leute gar nicht mehr erkennen können, aber andererseits ist es auch angenehm keine Angst haben zu müssen, dass einem plötzlich ein wildfremder Mensch an den Hals springt um Erinnerungen mit ihm zu teilen die Tiuri einfach nicht hat. Sehr viel Zeit hat Tiuri bei seinem letzten Aufenthalt nicht in Sûrmera verbracht, er war nur wenige Wochen geblieben in denen er sich hauptsächlich ausgeruht hat oder in den Straßen umhergeirrt ist und fremde Leute mit der Frage belästigt hat ob sie ihn kennen.
Wenn er jetzt durch die Straßen geht, ist er kein kleiner Verrückter mehr, kein einfacher Taschendieb, sondern ein normaler junger Mann, der höchstens durch seine Größe auffällt. Noch während Tiuri die Straßen durchquert verdunkeln Regenwolken den Himmel, aber auch als es zu regnen beginnt treibt den Jungen noch nichts zurück in die Gaststätte. Den Mut jemanden an zusprechen hat er nicht, sondern sieht sich einfach die Stadt an. Sie kommt ihm viel friedlicher vor als das letzte Mal als er hier war. Selbst das große Gebäude der Stadtwache ist bestenfalls imposant, aber keinesfalls Furcht einflößend, so wie es für den Dieb Tiuri gewesen ist.

Die nächsten Tage bessert sich das Wetter keineswegs, im Gegenteil, es stürmt und regnet als würde der Weltuntergang bevor stehen und Tiuri wird langsam ungeduldig. So lange man außerhalb der warmen Räumlichkeiten der „schwankenden Dschunke“ nicht mal die Hand vor Augen sehen kann, ist gar nicht daran zu denken durch die Wälder zu reisen oder darin zu übernachten. Dass Tiuri trotzdem nicht untätig herum sitzen kann ist klar, er nutzt die Zeit um weiter durch Sûrmera zu streifen, in der Hoffnung auf Erinnerungen oder irgendetwas nützliches heraus zu bekommen. Keines ist wirklich der Fall, er besucht zwar die Bibliothek und fragt bei seinem dritten Besuch dort vorsichtig nach ob jemand etwas gehört hat, von einem Brand vor drei Jahren, vermutlich nicht allzu weit von hier, zwei Tote, aber niemand kann ihm eine Auskunft geben. „Häuser brennen immer wieder ab Junge, manchmal sterben dabei auch Leute!“ sagt ihm ein alter Archivar und klopft ihm freundlich auf die Schulter. Das war Tiuris letzter Besuch in der Bibliothek. Er weiß sowieso nicht warum er gedacht hat dort etwas zu finden, aber irgendwie schien es ihm, dass alles wissenswerte in irgendwelchen Büchern aufgeschrieben war, aber vielleicht war sein Verbleib einfach nicht wissenswert gewesen.
Bei seinem Weg nach Hause, den Tiuri jedes Mal auf einem anderen Weg antritt kommt er an einem Gebäude vorbei das ihn inne halten lässt. Es ist ein Tempel, der Brantempel der Stadt und Tiuri sieht ihn lange an. Er kann sich nicht erinnern schon jemals in diesem Teil der Stadt gewesen zu sein und doch kommt ihm das Gebäude erstaunlich vertraut vor. Wie von selbst tragen ihn seine Füße darauf zu, stocken kurz vor den mächtigen Steinstufen und stehen schließlich doch vor dem geschlossenen Tor. Vorsichtig klopft er dagegen und fragt sich was er hier eigentlich macht und was er zu finden hofft. Es dauert einige Zeit bis sich die Türe einen Spalt breit öffnet und ihm ein alter Tempeldiener entgegen tritt.
„Kann ich Euch helfen?“ fragt er nicht unfreundlich und sieht Tiuri abwartend an, dessen Mund auf und zu klappt, aber nichts heraus bringt.
„Kommt Ihr für ein Gebet? Wollt Ihr eintreten?!“ versucht es der Mann, sieht aber ratlos drein als Tiuri einfach den Kopf schüttelt. Für eine kurze Weile sehen sich die beiden Männer in die Augen, bis der Tempeldiener verwirrt den Kopf schüttelt.
„Kennen wir uns?“ fragt er vorsichtig.
„Ich weiß nicht, kennen wir uns?“ fragt Tiuri zurück und weiß, dass das eine dumme Antwort ist und dass der Mann ihm gegenüber vermutlich bald die Geduld verlieren würde. Trotzdem ist es das einzige was ihm auf diese Frage einfällt, denn er möchte ja nicht gleich seine ganze vermaledeite Lebensgeschichte los werden. Der Tempeldiener kneift die Augen zusammen, schüttelt dann aber zu Tiuris Enttäuschung den Kopf.
„Nein, ich kenne Euch nicht und ich vergesse keine Gesichter!“
„Danke“, Tiuri lächelt, dreht sich auf der Stelle um, steigt langsam wieder die Stufen hinab und kehrt zurück zu Borgil und Azra.  

Am darauf folgenden Tag sieht das Wetter zum ersten Mal besser aus. Zwar stürmt es noch recht, aber der Regen hat aufgehört und wenn es in den nächsten zwei Tagen so bleibt können sie endlich aufbrechen. Tiuris Stimmung ist recht gelöst als er an diesem Tag den Sûrmerischen Marktplatz besucht und sich unter die Leute mischt. Er ersteht auf gänzlich legale Weise einen Apfel und beißt gerade genüsslich hinein, als ihm ein bekanntes Gesicht ins Auge sticht. Erst ist er sich nicht sicher, starrt den bärtigen Mann mittleren Alters etwas genauer und ziemlich unverhohlen an, bis dessen Blick jedoch seinerseits auf Tiuri fällt. Längere Haare, ein paar Pfund mehr auf den Rippen und etwas mehr Körpergröße können scheinbar nicht verstecken, dass Tiuri Tiuri ist, auch wenn der Junge das vielleicht gedacht hat, denn die Augen des Mannes weiten sich praktisch augenblicklich und ein lautes und lang gezogenes: „DUUUU!“ kommt aus seinem Mund. Erschrocken lässt Tiuri den Apfel fallen und nimmt die Beine in die Hand. So schnell er kann läuft er zurück zur schwankenden Dschunke, sprintet durch den Schankraum, ein paar Stufen nach oben, biegt scharf um eine Kurve und reißt wie ein Verrückter die Türe zu Borgils und Azras Zimmer auf nur um sie hinter sich sofort wieder ins Schloss zu werfen.
Der Zwerg und seine Frau sehen ihn erstaunt an und Brenainn, von dem Lärm aufgewacht beginnt in seinem Bettchen zu jammern.
„Ah….“ Setzt Tiuri an und weiß nicht genau wie er erklären soll was gleich passieren wird. Der Mann den er auf dem Marktplatz getroffen hat ist ihm bestimmt gefolgt und es kann einfach nicht allzu lange dauern bis er hier eintrifft.
„Ich hab etwas Vergangenheit von mir getroffen!“ meint er schließlich und blickt sich wie ein gehetztes Tier immer wieder um. Er sieht dabei so elendig aus, dass weder Azra noch der Harfenwirt auch nur einen Moment denken könnten, dass das etwas positives ist. Von unten im Schankraum hört man schon Gepolter und dass jemand lautstark nach etwas verlangt, auch wenn man nicht genau verstehen kann was er möchte. Tiuri lehnt sich gegen die Türe um sie zu zuhalten, denn er möchte Borgil erst erzählen was passiert ist und dabei nicht schon die Hände von Berpos Taand, so der Name des Mannes, um der Gurgel spüren.
Borgil versteht den Zusammenhang zwischen Tiuris Aufregung und dem Lärm im Schankraum sofort und steht schon drohend und breit vor dem Jungen.
„Ich hab da wohl etwas Mist gebaut vor 3 Jahren, gar nicht hier in Sûrmera, etwas außerhalb, hätte nicht gedacht, dass er hier auftaucht…“
Noch ehe Tiuri aussprechen kann hämmert auch schon jemand an die Türe, dass der Junge das Gefühl hat sie würde gleich aus den Angeln springen.
„Komm raus du elender Bastard! Du hast wohl gedacht du könntest einfach so abhauen! Stell dich deiner Pflicht! Komm raus oder ich dreh dir eigenhändig den Hals um, dafür was du meiner Calissa angetan hast knüpf ich dich am nächsten Baum auf!“

Titel: Re: Sûrmera
Beitrag von Borgil am 18. Feb. 2007, 14:55 Uhr
In der "Schwankenden Dschunke"


Der "Karren" samt Gespann, den Borgil für sündhaft teures Geld bei einem Händler für allerlei Fuhrwerke und Pferde erstanden hat, ist ein solider Wagen mit breiter Ladefläche und einer festen Plane aus geöltem Leder, etwas schwerfällig und keineswegs elegant, aber für ihre Zwecke durchaus geeignet. Vor allem die beiden stämmigen Bergponys, die ihn ziehen sollen, sind ihr Silber wohl wert gewesen – jung, aber nicht mehr allzu übermütig, stark, robust und trittsicher, haben sie eine hübsche Stange Bares gekostet und fressen sich nun dank des miserablen Herbstwetters im Stall der "Dschunke" durch gutes Heu und frönen dem süßen Nichtstun, denn die kleine Reisegruppe um Tiuri Tunichtgut, den Entdecker verborgener Vergangenheit und Schrecken von Sûrmeras Nebengassen, sitzt ja fest, ausmanövriert vom Regenwetter. In Ermangelung bereits vorhandener Namen und dank Borgils nur mangelhaft ausgeprägter Fantasie heißen die beiden Ponys jetzt Linksbraun und Rechtsrot – Rechts ist ein hübscher Dunkelfuchs mit hellem Behang, Links ein Brauner mit breiter, weißer Blesse und rosa Nase. Tiuri und Azra hatten sich natürlich über seine Einfallslosigkeit mokiert, Borgil als Banausen betitelt und den Tieren insgeheim wohl schon längst andere Naben gegeben – Feuerhuf, Westwind, Frühjahrssturm oder etwas ähnlich passendes für die beiden genügsamen und eher schlichten Ramsnasen. Ganz und gar nicht schlicht ist hingegen Tiuris Gemütszustand, der seit sie in Sûrmera sind und sich in der "Schwankenden Dschunke" einquartiert haben, eher dem von Mais in der Pfanne gleicht.... und nicht nur, dass sie auf dem Ildorel in die schönsten Herbststürme geraten waren, nein, nun hängen sie auch noch wegen sintflutartiger Regenfälle und heulenden Windes seit Tagen schon in der Stadt fest und kommen nicht vom Fleck. Borgil kann den Jungen ja verstehen – so kurz vor dem Ziel, nun ja, immerhin hoffentlich weniger als zweihundert Tausendschritt, derart ausgebremst zu werden ist bestimmt nicht schön und der Geduldigste war Tiuri ohnehin noch nie. Noch haben sie noch gar nicht angefangen, richtig nach seiner Vergangenheit zu forschen... sie waren in keinem Tempel, in keinem Gasthaus außer diesem, und haben weder mit den örtlichen Klatschgrößen noch mit irgendwelchen Stadtbediensteten gesprochen, die etwas wissen könnten oder möglicherweise Gerüchte gehört hatten... jedenfalls er hatte das nicht. Was Tiuri den lieben langen Tag treibt, wenn er die Straßen und Gassen Sûrmeras durchstreift, weiß Borgil nicht zu sagen, auch wenn er die eine oder andere Ahnung hat, dass der Junge das gern allein in die Hand nehmen würde... Verständlich. Wäre meine Vergangenheit so unbekannt wie seine, würde ich auch nicht wollen, dass andere außer mir irgendwelche unschönen Wahrheiten am Ende noch vor mir selbst erfahren...

Borgil lässt ihn ziehen, wenn auch mit Sorge... Sûrmera ist einfach nicht Talyra. Die Stadt an der Marmelmündung mag uralt und geschichtsträchtig sein, aber ihr fehlt sowohl die talyrische Sicherheit, als auch der so sprichwörtliche talyrische Optimismus. Das vergangene Jahr war wie wohl überall in den Herzlanden kein allzu gutes. Die erste Hälfte war zu warm und zu trocken, die zweite zu warm und zu nass, die Ernten miserabel, das Hochwasser verheerend, die Stürme noch verheerender und der Winter steht vor der Tür. Und da das gesamte Fürstentum Sûrmera zwar alles andere als arm ist und von einem meist gerechten, aber nicht gerade sehr fürsorglichen Herrscher regiert wird, geht es den einfachen Leuten entsprechend. Bettelbrüder und zwielichtiges Gesindel treibt sich in den verwirrenden Gassenvierteln der Altstadt zuhauf herum, die meisten Händler sind mürrisch, die Bauern wortkarg und einige Stadtviertel sind zudem unpassierbar, da vier Brunnen auf der Nordseite des Flusses durch das anhaltende Hochwassers verseucht wurden und zugeschüttet werden mussten, um rote Ruhr und Cholera zu vermeiden. Außerdem hat das Hochwasser auch noch die halbe Kanalisation lahmgelegt, und wäre nicht der beständige Wind, Sûrmera würde trotz der Herbstkühle zum Himmel stinken. Die sonst so schöne blaue Marmel ist ein schlammbraunes, reißendes Ungeheuer, das gurgelnd und rauschend durch die Stadt brodelt und einen Tag vor ihrer Ankunft hier hatte, wie Borgil von der Wirtin der "Dschunke" erfahren konnte, der Pöbel auf dem Märtyrerhügel einen Bäcker halbtot geprügelt, weil er Brote aus verdorbenem Mehl für teures Geld verkauft hatte. Als das Wetter endlich aufklart und Hoffnung besteht, dass sie sich bald daran machen können, auf den Märkten Vorräte für ihre Weiterreise zu erstehen, um diesen dreimal verdammten Sündenpfuhl von Stadt vielleicht endlich hinter sich lassen zu können, sitzen Borgil und Azra also, nachdem Brenainn sich endlich zu einem kleinen Schläfchen hat überreden lassen, in ihrem Quartier und stellen einige Listen von jenen Dingen zusammen, die sie noch besorgen müssen und Tiuri treibt sich – wieder einmal – irgendwo in der Stadt herum. Das ganze sieht so aus, dass Azra im Schneidersitz auf dem Bett sitzt, einen Packen bereits bekritzelter Wachstäfelchen vor sich und ein weiteres in den Händen, und Borgil mit verschränkten Armen um sie und das Bett herum Kreise zieht wie ein Hai um seine Beute. Genau das hat er Hinterlistigerweise auch im Sinn, schließlich sind sie allein, das Baby schläft und die Listen.... nun, die laufen ihnen ja schließlich nicht weg. Aber noch sind sie nur beim Arbeiten und stecken gerade zwischen Dörrfleisch, hartgebackenem Reisebrot, Maismehl, Öl, Salz, Gepökeltem und Rauchfisch.

"Ein paar Krüge Ziegenkäse nehmen wir auch mit, der hält sich ewig in Öl und ist gesund, mal sehen ... hast du Salz und ein paar getrocknete Kräuter? In Ordnung. Äpfel, getrocknete Früchte...hm. Wir sollten für alle Fälle auch noch bei einer Kräuterfrau vorbei sehen, wir brauchen vielleicht Zinkpaste und Ringelblumensalbe oder was immer du sonst auf Brenainns Hintern schmierst, wenn er wund wird. Windeln, Talgpuder, das ist ebenfalls klar. Ein paar Verbände aus reinem Leinen und etwas blutstillendes Moos, Geraniumwurzelpulver oder ähnliches könnte auch nicht schaden. Nur für alle Fälle," fügt er hastig hinzu, als er sieht, wie seine Worte Azra einmal mehr an die Gefährlichkeit ihres Unterfangens erinnern. "Ich bin lieber für alles gerüs... was zum Donnerdrummel ist denn jetzt los?"
Ein Krachen und Poltern, gefolgt von einem deftigen Rumms! und den Geräuschen, die jemand unweigerlich macht, der in kopfloser Hast eine steile Treppe und den dahinterliegenden Gang nebst enger Kehre stürmt, dringen an ihre Ohren und gleich darauf stürzt im wahrsten Sinne des Wortes Tiuri ins Zimmer und knallt hinter sich die Tür zu. Brenainn, von dem Krach unsanft aus dem Schlaf gerissen, steht praktisch im selben Augenblick in seinem Bettchen und kreischt was das Zeug hält, und Borgil starrt alarmiert in Tiuris schreckensbleiches Gesicht. "WAS..." kann er gerade noch ansetzen, während Azra aufspringt, um ihren weinenden Sohn zu beruhigen, und Tiuri ihm auch schon hastig ins Wort fällt. >Ich hab etwas Vergangenheit von mir getroffen!< Sprudelt der Junge eine wenig hilfreiche Erklärung hervor und stiert im Zimmer umher, als sei er eine Maus und suche händeringend das abhanden gekommene Mauseloch. "Was..." versucht Borgil erneut sein Glück, diesmal schon mit deutlich mehr Verärgerung in der Stimme, doch ausreden oder eine Frage stellen gehört wohl gerade nicht zu seinen Anrechten. Stattdessen antwortet ihm infernalischer Lärm von unten, ein Scheppern, Krachen und Poltern, dass man meinen könnte, hinter dem verflixten Bengel wäre eine ganze Mammutherde her, und eine wütende Stimme, die zwischen so netten Ausdrücken wie "Hundsfott", "Hurenbock" und "verfluchter Bastard" lautstark nach einem gewissen Tiuri verlangt. Eben der lehnt sich in Ermangelung eines Versteckes schicksalsergeben an die Tür, um sie mit seinem Gewicht zuzuhalten, wirft Borgil einen verständnisheischenden Blick zu und gesteht so eilig, wie verzweifelt, er habe da vor drei Jahren wohl "etwas Mist gebaut", wie er sich ausdrückt, aber das sei eigentlich gar nicht hier in der Stadt gewesen, eher außerhalb und er hätte ja niemals gedacht und...  
Wer immer dem Jungen deswegen nun ans Leder will, hat inzwischen die andere Seite der Tür erreicht und hämmert dagegen wie der Weltenschmied persönlich. Und was immer Tiuri damals vor drei Jahren etwas außerhalb Sûrmeras nun angestellt hat oder auch nicht, Herr Ich-schlage-jede-Tür-mit-bloßer-Faust-aus-den-Angeln scheint jedenfalls ganz genau zu wissen, um was es eigentlich geht. Tiuri auch, seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen.

Nur Borgil nicht, aber die aufgebrachten Worte von Jenseits des allen Göttern sei Dank dicken Eichenholzes lassen wenig Zweifel, um was es sich dreht... und mit jedem Satz verfinstert sich das Gesicht des Zwergen ein wenig mehr, bis seine gesträubten Brauen fast über der Nase zusammenschnappen. >Komm raus du elender Bastard! Du hast wohl gedacht du könntest einfach so abhauen! Stell dich deiner Pflicht! Komm raus oder ich dreh dir eigenhändig den Hals um, dafür was du meiner Calissa angetan hast knüpf ich dich am nächsten Baum auf!<
"Etwas Mist gebaut?" Zischt Borgil und es kostet ihn all seine Selbstbeherrschung, nicht auf der Stelle loszubrüllen, während seine Gedanken, eben noch bei den Vorratslisten und seiner Frau, in alle Richtungen davonrasen. "ETWAS Mist gebaut? Ich höre wohl nicht richtig... verdammt. Du völlig verblödeter... verdammt. Calissa, ja? Darüber unterhalten wir uns noch, Bürschchen - und jetzt geh aus dem Weg! Geh... geh zu Azra. Hilf ihr mit Brenainn. Ihr sagt kein Wort. Überlasst das Reden mir – und spielt mit!"
Er lässt den beiden weder Zeit für Verwunderung, noch für Fragen, sondern schiebt Tiuri entschlossen beiseite und reißt im nächsten Moment auch schon die Tür auf, so weit und schwungvoll, dass ihm der aufgebrachte Vater dahinter praktisch haltlos in die Arme purzelt. "Na,na,na, hoppla." Brummt er begütigend und setzt umgehend ein freundliches, geschäftsmäßiges Gesicht auf, so glatt wie die Holzdielen unter ihnen. "Mein guter Herr, nicht so schwungvoll." Er hilft seinem verdatterten Gegenüber nachsichtig auf die Füße zurück, klopft imaginären Staub von einem gut gepolsterten Wams und blickt mit nichts als vager Neugier in den schwarzen Augen in ein Gesicht, das frappierend an die Visage eines Mulis erinnert. Heiliger Göttervater an seiner Esse! Wenn Calissa auch nur im entferntesten Ähnlichkeit mit ihrem Erzeuger hat, hätte ich auch Fersengeld gegeben! "Wo liegt denn das Problem, wenn ich bitten darf?" Borgil ist durch und durch freundlich – wer aussieht, wie ein narbenverzierter Schlachtenzwerg mit halb rasiertem Schädel in gehärtetem Leder, Kettenzeug und Waffengurt samt Handbeil und Jagddolch (schließlich wollte er nachher auf die Straßen) nun einmal aussieht, und genau weiß, dass sein Äußeres wirkt, kann sich das auch ohne weiteres erlauben. "Hier muss es sich doch ganz offensichtlich um ein Missverständnis handeln, vielleicht könntet Ihr mich erst einmal aufklären, ehe irgend jemand irgendwo aufgeknüpft wird."

Titel: Re: Sûrmera
Beitrag von Azra am 18. Feb. 2007, 21:13 Uhr
In Gedanken bei allerlei Pülverchen und noch mehr Gewürzen kaut Azra auf dem Ende des Griffels herum, den Blick auf das Wachstäfelchen auf ihren Knien geheftet und noch einmal die bereits fertige Liste durchgehend. Fleisch, Fisch… Salz, Oel, Decken, Kleidung, Honig… Oh. „Ziiiie… g…en… käää… se“, buchstabiert sie leise vor sich hin, derweil ihre Finger das Gesagte flink aufschreiben und sie nebenbei versucht Borgils Aufzählung zu lauschen, die gar kein Ende nehmen will und schliesslich sogar ungewünschte Formen annimmt. Ihre Augenbrauen ziehen sich zusammen und ihre Lippen kräuseln sich widerwillig, als Borgil erwähnt, sie bräuchten auch noch Linnen und irgendwelches blutstillendes Moos, natürlich nur für den Notfall. Natürlich, nur falls etwas passiert. Was soll denn schon gross passieren in einem dunklen Wald voller Bären, Wölfen und Räubern…, ruft sie sich die netten, kleinen Ausführungen ihres Ehemannes ins Gedächtnis und ihr Blick huscht sorgenvoll zu Brenainn, der in seinem Weidekörbchen friedlich seinen Träumen frönt. Sogleich wird ihr mulmig ums Herz und ein tiefer Seufzer hebt ihre Schultern, gerade als ein so lautes Rumpeln und Krachen erklingt, dass Azra spontan an einen einbrechenden Riesen denken muss. „Bei allen Göttern, wa…“, will sie ausrufen, als Brenainn schon aufgewacht ist, sich mit den Händchen an den Korbrand klammert und vor Schreck über diese plötzliche Störung herzergreifend zu brüllen beginnt. Hastig krabbelt Azra auf allen Vieren vom Bett, nicht bemerkend, dass sie den Griffel unter ihrem Knie zerbricht, und eilt sich ihren Sohn hochzuheben, um ihm beruhigend den Rücken tätscheln zu können.
Da poltert mit einem Male Tiuri durch die Türe und sein Gesicht glüht wie eine untergehende Sonne. >Ich hab etwas Vergangenheit von mir getroffen!<, raspelt er tonlos und schlägt hinter sich den Eingang zu, sich mit seinem ganzen – nicht sehr beeindruckenden Gewicht – dagegen stemmend, als erwarte ihn dahinter der Dunkle persönlich und irgendwie weiss Azra bereits, dass dieses „etwas aus der Vergangenheit“ nicht unbedingt das ist, was Tiuri im strömenden Regen hat finden wollen. "Was...", setzt Borgil grollend an, wird jedoch von erneutem Lärm unterbrochen, der das laute und besonders stinksaure Gebrüll eines Mannes aber nicht übertönen kann. Die Augen weit aufgerissenen hält Azra ihrem Sohn wohlweislich die feinen Ohrchen zu, als ein Schimpfwort nach dem anderen zu ihnen dringt und dabei augenscheinlich nur für einen einzigen Burschen bestimmt sind, wie Azra glaubt dem ständigen Zusammenzuckens Tiuris zu entnehmen. Der macht heroisch ein-, zweimal den Versuch irgendetwas zu erklären, bricht dann aber ab, als Fäuste donnernd auf der Tür in seinem Rücken landen. Wie von der Tarantel gestochen springt der junge Mann beiseite, sich nervös und vollkommen hektisch durchs wirre Haar fahrend und Borgil mit einem hilfesuchenden Blick bedenkend. Azra, die nicht versteht, was der ganze Radau soll, was das denn jetzt bitte mit Tiuri zu tun hat, und warum man nicht einfach nett anklopfen kann, anstatt gleich mit der Tür ins Haus zu fallen, wiegt Brenainn sachte hin und her und sieht von Borgil zu Tiuri, und von Tiuri wieder zu Borgil.

Das Gesicht ihres Mannes ist inzwischen fast nicht mehr von der Farbe seines Haares und seines Bartes zu unterscheiden und an seiner hohen Stirn pocht eine verdächtige Ader.
"ETWAS Mist gebaut?“ Mit einem Quieken zuckt sie zusammen und weicht weiter zurück, ängstlich zu dem bebenden und zitternden Holz schielend, das zum Glück noch standhält. „Könnte ni…“, will sie wispernd um Vernunft bitten, doch Borgil scheint davon nicht mehr viel zu halten, oder hat sie einfach nicht gehört. „Ich höre wohl nicht richtig... verdammt. Du völlig verblödeter... verdammt. Calissa, ja? Darüber unterhalten wir uns noch, Bürschchen - und jetzt geh aus dem Weg! Geh... geh zu Azra. Hilf ihr mit Brenainn. Ihr sagt kein Wort. Überlasst das Reden mir – und spielt mit!" Spielen? Wie… hä? Gelinde Panik droht in ihr aufzusteigen, als ihr Mann Tiuri unter drohend gesträubten Augenbrauen in ihre Richtung schubst und ihr nicht einmal mehr die Möglichkeit gib, die Regeln dieses Spiels kennen zu lernen. „Aber Bor…“, entfährt es ihr, als dieser auch schon den Eingang regelrecht aufreisst und den verblüfften Gast, der diese Wendung der Dinge augenscheinlich nicht erwartet hat, gerade noch auffangen kann. Azras Mund macht sich selbstständig und klappt hinunter und ihr fällt nicht einmal auf, dass sie weder Schal noch Umhang trägt, viel zu sehr ist sie damit beschäftigt zu verfolgen, wie Borgil den Mann begrüsst, als wüsste er haargenau, was hier vor sich ginge. Unbewusst wechselt sie einen verständnislosen Blick mit Tiuri, der versteinert an ihrer Seite steht und leer schluckt, kreidebleich im Gesicht. "Wo liegt denn das Problem, wenn ich bitten darf? Hier muss es sich doch ganz offensichtlich um ein Missverständnis handeln, vielleicht könntet Ihr mich erst einmal aufklären, ehe irgend jemand irgendwo aufgeknüpft wird." „Aufgeknüpft?!“, quietscht Azra entsetzt und schlägt eine Hand vor den Mund, als Borgil den Mann mit einem Handwink hineinbittet und ihr gleichzeitig einen eindringlichen Blick schickt, den sie nicht zu deuten weiss. Der Fremde, dessen Wams leicht schief sitzt und der in seiner Eile Tiuri den Hals umzudrehen wohl vergessen hat, dass er von oben bis unten pitschnass ist, stolpert hinein, fängt sich, richtet sich auf und das Misstrauen steht ihm in sein aufgeblähtes Gesicht geschrieben. Er mustert zuerst Borgil – vor allem das Waffenarsenal, dass ihr Mann am Leib trägt -, dann sie selbst und schliesslich Tiuri, der halb hinter ihr steht und die Hände auf ihre Schultern gelegt hat. In diesem Augenblick erkennt Azra, so wenig sie diese ganze Aufregung gerade auch fassen kann, dass es hier anscheinend nicht um einen spontanen Freundschaftsbesuch geht, denn die Züge des dicken Mannes, der nach der guten Kleidung her zu urteilen sich ein solches Benehmen durchaus erlauben darf, werden arschfinster und dann spuckt er Tiuri ein heiseres: “Du elender Dreckshund! Endlich hab ich dich!“ vor die Füsse, bevor er in einem einzigen Durcheinander an lautstarkem Gebrüll, immer obszöner werdenden Verfluchungen – die Azra die Ohren klingen lassen – und eindeutigen Gesten innerhalb weniger Zeit die Fronten klärt. Dabei richtet er sich wohlweislich vornehmlich an den jungen Burschen hinter ihr, gleichzeitig einen gewissen Sicherheitsabstand zu Borgil wahrend.

„Ich sage euch was los ist! Dieser feige Windhund, dieser räudige Bastard einer Hure hat meiner Calissa vor drei Jahren das Herz gebrochen! Die Heirat hat er ihr versprochen, wollte ein guter Ehemann sein und hat hintenrum meine Taschen ausgenommen wie ein dreckiger, kleiner Dieb! Und von wegen Heirat! Abgehauen ist er, nachdem er meiner Tochter auch noch… die zarte Unschuld brutal gestohlen hat. In tiefster Nacht hat sich dieser Drecksbengel davongeschlichen, aber jetzt hab ich ihn! Und ich werde ihm lehren meiner Tochter so etwas anzutun! Ich verlange, dass er seiner Pflicht nachkommen und sie heiratet, SOFORT!“
Calissa… Verlobung… Heirat… TIURI?!! Ungläubig legt Azra den Kopf in den Nacken und blinzelt aus hellen Augen zu Tiuri auf, Brenainn mit ihrem Körper so gut wie es geht vor einem erneuten Wutausbruch schützend. Im ersten Moment will, kann sie nicht glauben, was dieser ungehobelte Wüstling der sich Edelmann schimpft für Anschuldigungen von sich gegeben hat, aber sie kennt Tiuri gut genug, um in seinen Augen die Wahrheit lesen zu können. „Götter im Himmel! Wie k…“ “Das kann gar nicht sein. Ausserdem kann er euch, wenn er es gewesen wäre, den Wunsch nicht erfüllen.“ Gerade noch rechtzeitig fällt Borgil ihr ins Wort und zieht den vor brodelndem Zorn schnaufenden Mann ein wenig zur Seite, ihr gleichzeitig wiederholt einen warnenden Blick schickend und dann mit gespielt höflicher und säuselnder Stimme – so wie er normalerweise mit seinem Sohn spricht, wenn dieser überhaupt nicht einsieht, dass er ins Bett soll – erklärend, dass das gar nicht möglich sei.
Was dann folgt schlägt dem Fass den Boden aus. “Das kann nicht Tiuri gewesen sein mein Herr. Ich weiss, dass er bisher noch nie in Sûrmera gewesen ist und zudem ist er seiner Frau, meiner hübschen Tochter treu.“ Azra hätte Borgil bei dessen fester, sicherer Stimme fast selbst geglaubt, hätte sie nicht gewusst, dass es eine glatte Lüge ist. Als er aber Tiuris „Frau“ erwähnt und dabei wie beiläufig in ihre Richtung nickt, ist es aus mit ihrer Beherrschung. „Hä? Ich bin nigmgnbll…“ Ihr hilfloser, verwirrter Ausruf wird von Tiuris Mantel erstickt, als dieser sich vor sie drängt und hilflos lachend die Arme verwirft, irgendetwas plappernd, von wegen sein werter Schwiegerpapa Borgil – der Tiuri hinter der Fassade des freundlichen, gefassten Zwergen sichtlich auseinander nimmt – hätte vollkommen Recht, er würde seine Frau niemals betrügen und er sei noch niiiiieeemals in Sûrmera gewesen, ja, er hätte noch nicht einmal gewusst, dass hier eine Stadt existierte, wie witzig das denn sei. Azra weiss nicht, ob sie sich aufregen oder lieber den Mund halten soll, kämpft sich hinter Tiuri hervor, wird von ihm aber sofort wieder in die Arme gezogen. „WA…“ Es scheint, als lege es die ganze Welt darauf an, ihr keinen vollständigen Satz zu gönnen, denn kaum hat sie erneut den Mund aufgemacht, da drückt Tiuri, der das Spiel mittlerweile durchschaut hat, Brenainn einen Kuss auf das erhitzte, rotwangige Gesichtchen und lächelt sie dann breit an: “Das ist unsere erste grosse Reise, nicht wahr mein Schatz?“

Ein Gedanke, so gross wie ein Kupferstück setzt sich hinter ihrer in Falten gelegte Stirn in Bewegung, rollt von einer Etage zur Nächsten und kommt schliesslich schlingernd zum Stillstand… und dann endlich kapiert sie. „Oooh!“, haucht sie und ihre Augen werden gross wie Untertassen, bis sie den Moment des Begreifens überwunden hat. Dann nickt sie so kräftig, dass ihre weissen Locken in alle Richtungen springen: „Oohh… natürlich! Ähm, ja… hmh... erste grosse Reise… genau… Ha!“ Ihre Zähne knirschen bei dem angespannten Lächeln, dass sie sich hastig aufzwingt und ein nervöses Lachen ringt sich über ihre Lippen. „Nein… ähm… nein“, beginnt sie und versucht zumindest ansatzweise irgendwie den Anschein zu erwecken zu Tiuri zu gehören, einen Arm um seine Hüfte legend und ihm Brenainn in die Hände drückend: „Stimmt, also, nein! Stimmt natürlich nicht! Ich meine… ähm… nein, wir waren noch nie hier, auch er nicht und ich auch nicht, also beide nicht.“ Ihre Zunge verhaspelt sich in den fadenscheinigen Lügen, die sogar ein tauber durchschaut hätte, weswegen sie leer schluckt und schliesslich verstummt, peinlich lächelnd das Gesicht in Tiuris Mantel vergrabend und betend, dass dieser Kerl endlich verschwindet.

Titel: Re: Sûrmera
Beitrag von Tiuri am 07. März 2007, 15:33 Uhr
Tiuris Herz rast in seinem Brustkorb während er seine Hände in Azras Schultern krallt. Er hat den Verdacht, dass Borgil, wenn Berpos – dem Borgil gerade die Türe öffnet – ihm nicht zuvor kommt, ihm den Hals umdrehen wird und dabei hätte er es höchstens ein bisschen verdient. Tiuri hatte seit Jahren keinen Gedanken mehr an Calissa und ihren Vater verschwendet, aber Berpos hatte wohl eindeutig an Tiuri gedacht. Wütend, schnaufend, keuchend und schimpfend steht er jetzt da und dazwischen berichtet er Borgil, zu dem er einige Schritt Sicherheitsabstand hält, was Tiuri seiner kleinen Tochter angetan hat. Es ist dem jungen Mann ein Rätsel wie er aus dieser misslichen Lage wieder heraus kommen soll, denn jedes einzelne Wort von dem was sein wütender beinahe-Schwiegervater da erzählt ist war.
Bis auf das brutal vielleicht, brutal war ich bestimmt nicht mit ihr!

Trotzdem versteht Tiuri es sein Gesicht völlig unbewegt zu lassen und sich nicht schon durch ängstliche Mimik und plötzliche Schweißausbrüche zu verraten. Was ihn allerdings wirklich verwundert ist, dass sich Berpos wohl auch damit zufrieden geben würde, wenn Tiuri Calissa zu einer ehrbaren Frau machen würde. Kurz überlegt Tiuri seinen Hals mit einem einfachen „Ja! Ich will!“ zu retten, aber Borgil kommt ihm zuvor. Nicht nur, dass er Azra unterbricht, die kurz davor steht in die Beschuldigungen mit einzustimmen, er lügt Berpos auch noch eiskalt ins Gesicht, dass weder Tiuri, noch er oder Azra, die im übrigen seine Tochter und Tiuris Frau sein soll, jemals in Sûrmera gewesen sind und dass Tiuri treu sei und es sich aus diesem Grund einfach um ein Missverständnis handelt. Borgils Miene und seine Stimme lassen dabei überhaupt keinen Zweifel aufkommen, dass er diese Geschichte eventuell aus einer Notsituation heraus, innerhalb des letzten Augenblicks gerade erfunden hat. Tiuri ist voller Respekt vor dem Zwerg, wie dieser seinem Gegenüber fest in die Augen sieht und nimmt sich vor von Borgil noch einiges zu lernen.
Völlig natürlich hat Borgil dabei auch Tiuris richtigen Namen benutzt, den er damals natürlich noch nicht getragen hat und den Berpos deswegen auch nicht kennen kann. Wenn dem Jungen nur einfallen würde unter welchem seiner vielen Namen er sich damals bei Calissa und ihrer Familie vorgestellt hat.

Azra vor ihm reißt die Augen riesengroß auf, die Kinnlade klappt ihr für einen Moment nach unten, ehe sie etwas völlig unverständliches vor sich hinmurmelt. Im Gegensatz zu ihrem Mann ist Azra keineswegs eine gute Lügnerin und schnell schiebt sich Tiuri vor sie um Berpos die Sicht auf sie zu verstellen.
„Da hat mein Schwiegervater Recht mein Herr, leider habe ich keine Ahnung wovon Ihr sprecht und bin mir keiner Eurer Beschuldigungen bewusst. Ich bin noch nie in Sûrmera gewesen, geschweige denn hätte ich hier irgendeine von den wirklich furchtbaren Schandtaten begangen die ihr aufgezählt habt. Es kann sich hier nur um eine Verwechslung handeln!“
Während Tiuri schnell vor sich hinredet und versucht Berpos nicht zu Wort kommen zu lassen, kämpft sich Azra, noch immer recht entgeistert aussehend, nach vorne und ist schon wieder kurz davor ihr Theater unabsichtlich auffliegen zu lassen. Tiuri legt einen Arm um sie, nimmt ihr Brenainn ab, lächelt milde auf seine kleine Frau hinunter, die, wie er erklärt, natürlich empört und aufgeregt ist bei diesen schrecklichen Anschuldigungen gegen ihren lieben Gatten.
Erst als Tiuri Brenainn an sich drückt und feststellt, dass dies ihre erste große Reise ist, geht Azra ein Licht auf. Selbst ein Blinder kann sehen wie ihre Augen groß werden und sie zu verstehen beginnt worauf Borgil und auch Tiuri eigentlich hinaus wollen. Inständig hofft Tiuri, dass der bärtige Kerl der ihm da an den Kragen möchte es nicht bemerkt hat und ihr Schauspiel sofort durchschaut. Aber dieser schaut völlig verwirrt zwischen Borgil, Azra und Tiuri hin und her, wobei er immer wieder den Kopf schüttelt, einerseits völlig sicher, dass er es hier mit dem Mistkerl zu tun hat der nicht nur sein Geld gestohlen hat, sondern auch das Herz und die Unschuld seiner Tochter. Tiuri fährt Azra, die ihr Gesicht in seinem Mantel vergraben hält, durch die weißen Locken und sieht abwartend auf Berpos hinunter.

Diesem fällt aber noch etwas anderes ein.
„Wenn Ihr mich doch nicht kennt, warum seid Ihr dann vor mir davon gelaufen, Herr Tiuri… oder sollte ich nicht doch Darian sagen?“ Forschend sieht er Tiuri an, abwartend ob sich auf dessen Gesicht etwas regt bei der Erwähnung dieses Namens. Doch Tiuri hat nie erwartet, dass Berpos seinen Namen vergessen hat, wenn er ihn 3 Jahre später sogar dann noch erkennt wenn er nur an ihm vorbei spaziert. Er bewegt keinen Muskel, sondern schaut einfach nur zurück, bis er sagt: „Ich bin nicht vor Euch davon gelaufen, ich hatte mich nur zu lange in der Stadt aufgehalten und es fiel mir zufällig auf wie spät es schon war und da bin ich nach Hause gelaufen, um meine Frau nicht länger warten zu lassen. Mit Euch hat das nichts zu tun, Ihr seid mir erst aufgefallen als Ihr versucht habt mit der Faust unsere Türe einzuschlagen.“ Seine letzten Worte klingen etwas anklagend und in seiner Stimme schwingt ein leicht genervter Unterton der Berpos klar machen soll, dass sie sich tatsächlich noch nie begegnet sind und dass Tiuri langsam die Geduld bei diesen falschen Beschuldigungen und Anklagen verliert.
Entwaffnet lässt Berpos die Faus sinken. Zweifel machen sich auf seinem Gesicht breit und seine Stirn legt sich in dicke Falten. Noch einmal mustert er Tiuri von oben nach unten und ist sich scheinbar plötzlich gar nicht mehr so sicher ob er diesen jungen Mann schon einmal gesehen hat oder nicht.

„Ich glaube Euch kein Wort“, faucht er schließlich. „Ich werde nach Calissa schicken lassen und wir werden hier alle gemeinsam auf sie warten. Wenn sie Euch ebenfalls erkennt schleife ich Euch wenn es sein muss an den Ohren auf die Stadtwache!“
Die Unruhe erwacht von neuem in Tiuri, sein Herz klopft fest gegen seine Brust und seine Hände sind feucht vor Schweiß. Aber es bleibt ihm nichts anderes als zu sagen: „Holt sie her, ich habe nichts zu verbergen!“
Tiuri wirft Borgil einen verzweifelten Blick zu als Berpos sich umdreht und dem Wirten der Dschunke ausrichtet, dass er einen Boten braucht, sofort, doch Borgil sieht ihn nur unter zusammengezogenen Augenbrauen finster an und lässt keinerlei Mitleid mit Tiuri erkennen. Die darauf folgende Zeit ist beinahe unerträglich und scheint eine Ewigkeit anzudauern. Schweigend stehen sie alle vier im Raum, nur Brenainn beginnt leise zu Quengeln. Tiuri schaukelt ihn sanft hin und her, streicht ihm immer wieder übers Haar, flüstert ihm leise Aufmunterungen ins Ohr und versucht dabei nicht zu oft zur Tür zu blicken um nicht zu nervös zu wirken.

Als Calissa schließlich endlich den Raum betritt hätte er sich beinahe verraten. Tiuri ist gelinde gesagt schockiert wie das Mädchen vor ihm aussieht. Würde sie Berpos nicht mit Vater ansprechen, er wäre niemals auch nur auf die Idee gekommen, dass dies die gleiche Frau ist. Ausgezehrt sieht sie aus, herunter gekommen und ihre Augen die voller Lebenslust gewesen sind, schauen ihm jetzt leer und trüb entgegen. Mit einem Lächeln und einem Nicken in ihre Richtung begrüßt Tiuri sie, während Borgil sie freundlich herein bittet und Azra ihr kaum ins Gesicht sehen kann.
Calissa erwidert nichts, auch als ihr Vater sie fragt ob sie ihn nicht ebenfalls als den Hurensohn Darian wieder erkennt, antwortet sie nicht sofort sondern sieht Tiuri nur lange an. Auch von der Person die Tiuri damals gewesen ist, ist nicht mehr viel übrig geblieben, nicht nur sein leicht verändertes Äußeres, sein ganzes Auftreten ist verschieden von dem wie es damals war. Ob Calissa ihn dann aber tatsächlich einfach nicht erkennt, oder ob er und irgendeine dumme Rache sie gar nicht kümmern und sie einfach ihre Ruhe haben will und ihn mit Sicherheit nicht heiraten, kann er nicht sagen, es ist Tiuri aber auch völlig gleichgültig.

„Das ist nicht Darian Vater, du irrst dich!“ sagt sie und Tiuri wäre ihr am liebsten um den Hals gefallen und hätte sich auf Knien für diesen Satz bedankt. Er lässt es bleiben, lächelt stattdessen und sagt: „Ich habe es Euch doch gesagt, wir sind noch nie hier gewesen!“
Berpos steht der Mund offen, aber er kann nichts mehr dagegen erwidern. Noch immer fix davon überzeugt, dass Tiuri der Mann ist den er sucht, entschuldigt er sich weder für die Anschuldigungen noch für die wüsten Beschimpfungen oder Drohungen, aber er lässt sich schweigend von Calissa aus dem Zimmer führen. Borgil schließt die Türe hinter den beiden und bleibt an Ort und Stelle wie angewurzelt stehen.
Tiuri lauscht wie Berpos und Calissa die Treppe nach unten zum Schankraum und damit zur Türe hinaus aus der Dschunke gehen und zählt innerlich wie lange es dauert bis Borgils Ausbruch beginnt.

Titel: Re: Sûrmera
Beitrag von Borgil am 07. März 2007, 17:22 Uhr
Als der Kerl nach einigem verworrenen Hin und Her schnurstracks einen Boten ordert, der seine Tochter herholen wird, fällt selbst Borgil nichts mehr ein. Ihre Lügengeschichte würde zusammenfallen wie ein Kartenhaus im Wind, wenn das Mädel hier aufkreuzte und Tiuri zweifelsfrei als den Mann... Jungen... Kerl... Taugenichts... was auch immer... anklagen würde, der ihr die Unschuld und dem Vater das Geld geraubt, und sie dann beide hatte sitzen lassen, das steht für Borgil so fest wie der nächste Sonnenaufgang. Ihre einzigen Möglichkeiten, jetzt noch Tiuris Kopf aus der Schlinge zu ziehen, wäre zum einen ein Betrag in schwerem Silber, der ihre Reisekasse höchstwahrscheinlich restlos plündern würde, oder aber die Flucht. Jeder andere hätte in einer solchen Lage vielleicht ernsthaft entweder über das eine oder das andere nachgedacht, nicht jedoch Borgil. Er ist ein Eisenzwerg und das ist praktisch gleichbedeutend mit: er will verdammt sein, wenn er diesem muligesichtigen Bastard auch nur einen müden Kupferling bezahlen oder, noch schlimmer, vor ihm und seinen Anschuldigungen fliehen würde. "Flucht" ist ohnehin ein Wort, das in Borgils Wortschatz höchstens im Bezug auf Feuerdrachen vorkommt. Und bei Niniane vielleicht noch, wenn sie wirklich wütend ist, aber ansonsten ist er in seinem Leben noch vor nichts davongelaufen, und er würde damit jetzt auf seine alten Tage auch nicht mehr anfangen. Tiuris, wenn auch aus Verzweiflung geborenes, kaltblütiges: >Holt sie her, ich habe nichts zu verbergen!<, nötigt ihm einen gewissen, grimmigen Respekt ab, schürt aber paradoxerweise gleichzeitig seine Wut auf den Jungen. Was hatte er sich da nur eingebrockt, und das alles wegen ein bisschen Vergnügen unter einem Weiberrock? Sil an seiner Esse selig, man sollte ihn kastrieren, dann kosten ihn seine Eier vielleicht nicht irgendwann noch seinen Kopf! Und dann warten sie, Tiuri, Azra, Muligesicht und er, und es kostet Borgil einige Überwindung, diesem windigen Bürschchen nicht auf der Stelle seinen Sohn zu entreißen, Brenainn seiner Mutter zu reichen und Tiuri dann übers Knie zu legen, so lange und gründlich, bis er einen Siebentag lang nicht mehr würde sitzen können und es sich in Zukunft dreimal überlegen würde, ob er einem Mädel an die Unterröcke geht oder nicht. Verdient hätte er es wissen die Götter!  Borgil wartet also in unergründlichem Schweigen, der gefoppte Vater in rechtschaffenem Zorn, Tiuri betont kühl und herablassend und Azra sichtlich nervös, doch es dauert schier eine halbe Ewigkeit, ehe im Gastraum unten wieder Schritte laut werden.

Als dann endlich die Tür aufgeht und Calissa erscheint, glaubt Borgil seinen Augen nicht zu trauen. Nach dem Auftritt und dem Gebaren dieses Vaters hätte er mit etwas walkürenartigem gerechnet, mit einem Mädel, das groß und gut gebaut ist und aussieht, als würde es sich hauptsächlich von Stärkeprodukten ernähren... und das mindestens so vehement wäre, wie der Herr Erzeuger. Was da jedoch zur Tür hereinschleicht ist eine Vogelscheuche... eine hohlwangige, traurige, magere, bemitleidenswerte Vogelscheuche mit unordentlichem Haar und stumpfen Augen. Am liebsten hätte Borgil Tiuri auf der Stelle erwürgt. Es gelingt ihm zwar, irgendwie seine Schockiertheit in den Griff zu bekommen, bevor seine Gesichtszüge entgleisen, doch an seiner narbigen Stirn beginnt sichtbar eine Ader zu pochen. Und während seine Hände sich hinter seinem breiten Rücken zu eisenharten Fäusten ballen, fällt das siegessichere Muligesicht bereits über seine Tochter her – da sei er, Darian, der feige Hurensohn, er sei ja nicht blind, und sie solle sich keine Sorgen machen, er würde schon dafür sorgen, dass aus ihr noch eine ehrbare Frau würde, sie erkenne ihn doch ebenfalls wieder... als der aufgebrachte Vater endlich den Mund hält, kehrt Stille ein. Selbst Brenainn hört auf zu quengeln und für einen Moment wird es so ruhig im Raum, dass man eine Stecknadel zu Boden hätte fallen hören.
>Das ist nicht Darian Vater, du irrst dich!<
Borgil blinzelt verwirrt und ist sich sicher, sich verhört zu haben. Hä? Tiuri dagegen ist in diesem Augenblick geistesgegenwärtiger als er und verkündet triumphierend: >Ich habe es Euch doch gesagt, wir sind noch nie hier gewesen!<, während Azra nur erleichtert lächelt und sich dann beeilt, zu den Worten ihres "Ehemannes" bekräftigend zu nicken. Maultiergesicht dagegen ist deutlich anzusehen, dass er keineswegs an eine Verwechslung glaubt. Sein Mund öffnet und schließt sich, ohne dass ein Ton herauskäme, als wäre er ein Fisch, der auf dem Trockenen nach Luft schnappt, dann wird er kreidebleich vor Zorn. Er sagt überhaupt nichts mehr, obwohl er an seiner Wut schier ersticken muss, doch er lässt sich widerstandslos von seiner Tochter hinaus geleiten, die es sogar noch fertig bringt, sich von ihnen allen mit ein paar gemurmelten Worten zu verabschieden. Borgil, ebenfalls zu zornig um irgendetwas zu erwidern, nickt ihr nur schweigend zu und bringt sie zur Tür.

Das Klicken des schmiedeeisernen Schlosses ist überlaut in der bleiernen Stille. Eine Weile... eine lange Weile... starrt der Zwerg nur auf die Maserung des alten, glatten Eichenholzes direkt vor seiner Nase und atmet hörbar ein und aus... ein und aus... ein und aus... Dann dreht er sich zu Tiuri um. Dem Jungen ist an der Nasenspitze abzulesen, dass er sich innerlich gegen ein Donnerwetter wappnet, wie er noch keines erlebt hat, er kneift in Erwartung eines Gebrülls, das die Wände zum Wackeln brächte, sogar schon die Augen zu. Hätte er die Ohren anlegen und sich ganz klein machen können, er hätte es vermutlich getan. Doch ausnahmsweise... und das kommt wirklich sehr selten vor, seltener als man es bei seinem Ruf annehmen könnte... ist Borgil so wütend, dass er nicht mehr laut wird. Im Gegenteil, er ist so zornig, dass er sehr beherrscht, sehr ruhig und sehr kalt ist, als er Brenainn nimmt und den Jungen seiner Mutter reicht. Er sieht Tiuri nicht einmal an, aber seine Miene lässt keinen Zweifel daran, dass es lebensmüde wäre, ihn jetzt anzusprechen. "Azra, du bleibst hier. Pack unsere Sachen. Ich gehe in die Stadt und besorge den Rest, wie besprochen. Morgen bei Sonnenaufgang brechen wir auf, ob es stürmt oder nicht."

Titel: Re: Sûrmera
Beitrag von Azra am 09. März 2007, 22:37 Uhr
Es ist aus, schiesst es Azra durch den Kopf, als der Edelherr mit einem selbstgefälligen Grinsen einen Boten schickt, um sein geliebtes Kind holen zu lassen, welches wahrscheinlich nur darauf gewartet hat Tiuri am Kragen zu erwischen und ihn für seinen Frevel büssen zu lassen. Nur schwerlich kann Azra ihre Nervosität unterdrücken, geschweige denn ruhig bleiben und so ringt sie sich alsbald zu einem steifen, überhaupt nicht natürlich wirkenden Lächeln durch, entschuldigt sich mit gesenktem Kopf, sowie einem leisen, kaum hörbaren Murmeln und flüchtet sich in Kleinigkeiten, die eigentlich durchaus noch Zeit hätten erledigt zu werden. Aber es tut gut sich bewegen zu können, dieser elektrisierten Anspannung kurzzeitig entkommen zu können. Das Zittern ihrer Hände dürfte auch weniger auffallen und sie hält ihren Blick stoisch auf den Boden gesenkt, genau wissend, dass sie im Gegensatz zu Borgil und Tiuri alles andere als ein gewitzter Lügner ist. Pha. Mir kann man an der Nasenspitze ablesen, dass ich nicht die Wahrheit gesagt habe, sinniert sie schuldbewusst und will gerade die zerwühlten Laken des Bettes glatt streichen, als es klopft. Mit panisch flatternden Nerven und in Erwartung Brenainn gleich vor dem zornigen, enttäuschten Gekeife einer höchst pikierten Furie retten zu müssen sieht Azra auf… und schluckt. Schluckt noch einmal und sie bemerkt nicht einmal, dass ihr Mund offen steht, während ihr Blick über das lange, dünne Elend eines Schattens huscht, welche in sich zusammengekauert neben dem Edelmann steht und trübe zu Tiuri hinauf sieht. Das kann nicht… Götter. Tiuri. Diese blutjunge Mädchen, wahrscheinlich nicht älter als sie selbst, bleichgesichtig und verschüchtert und so schrecklich leer weckt in Azra tiefes Mitleid und den Wunsch die Arme um die knochigen Schultern zu legen und schmerzlindernden Trost zu sprechen. Neben ihrem Vater, der mit siegessicherem Grinsen schon nicht mehr still stehen kann, wirkt sie einsam und verlassen und Azra kann in ihrem Gesicht lesen, dass sie Tiuri kennt. Sie weiss genau wer er ist, sie weiss ebenso, dass er es ihr angetan hat, doch als sie die Stimme erhebt, klingt sie nur unendlich müde, als wäre sie es leid noch länger daran erinnert zu werden. “Das ist nicht Darian Vater, du irrst dich! In Azras Ohren rumpelt und donnert es, als ihr der ganze Wolkenthron von den Schultern purzelt, gleichzeitig ist ihr, als würde sich jedes Wort wie ein Glassplitter tief in ihr Herz bohren. Gebrochen. Sie ist gebrochen. Und das Tiuri daran Schuld hat macht es nicht leichter, ganz im Gegenteil. Nach Luft schnappend beisst Azra sich auf die Unterlippe und einen Atemzug lang schenkt sie dem Mädchen ein durch und durch dankbares und ebenso mitfühlendes Lächeln, dann ist das Gespann bereits verschwunden und lassen nur gähnende Stille zurück, in welche das Klicken des Schlosses wie ein lauter Peitschenschlag fährt.

Bereits in Erwartung eines riesigen Donnerwetters, das die Welt noch nicht gesehen hatte, sieht Azra ängstlich zwischen Tiuri und Borgil hin und her, der breitbeinig und von den Zehen bis zu den Barthaarspitzen bebend vor Zorn noch immer den Türknauf in der Hand hält und dabei so furchteinflössend wirkt, wie ein eineinhalb Schritt grosser Zwerg der kocht vor Wut eben wirken kann. Obwohl Azra genau weiss, dass er ihr ganz sicherlich nichts tun würde, wird ihr mulmig zumute. „Borgil“, wispert sie kläglich, Tiuri einen ebenso unsicheren, wie vorwurfsvollen Blick schickend, verstummt jedoch abrupt wieder, als ihr Mann sich umdreht und… nichts tut.
Azras laut schlagendes Herz stolpert und sinkt ihr in den Rock und ein Schauer rieselt ihren Rücken hinab. Sie kann guten Gewissens behaupten Borgil gut zu kennen, sehr gut, besser als viele andere – was nicht nur daran liegt, dass sie gewisse Privilegien geniesst –, abgesehen vielleicht von Niniane und Raven, aber so hat sie ihn noch niemals zuvor erlebt. Anstatt herumzubrüllen, zu toben wie ein wild gewordener Stier, seine  Fäuste in allem zu vergraben, was sich ihm gerade in den Weg stellt und dabei die schlimmsten Flüche auszustossen und damit jedem Seebären die Ehre zu reichen bleibt er kalt. Eisig Kalt. So kalt wie der schneidende Nordwind jenseits der Ufer von Normand irgendwo in den Bergen Barsas und ohne es wirklich zu merken steigen Azra vor Angst die Tränen in die Augen. Hastig blinzelt sie, als Borgil mit regloser Miene auf sie zutritt und ihr Brenainn reicht, der trotz seines kindlichen Gemüts genau spürt, dass etwas nicht stimmt und weinerlich das Gesicht verzieht. „Schhh“, raunt Azra ihm in sein weiches Ohr und küsst zärtlich die weiche Spitze, nicht mehr als eine schwache Andeutung unter kupferrotem, wirrem Haar, und wiegt ihn zärtlich, gleichzeitig zurücktretend und zu allen Göttern gleichzeitig betend, Borgil möge Tiuri nicht jeden Augenblick den Hals umdrehen. Aber er tut nichts dergleichen. Stattdessen sagt er nur tonlos: "Azra, du bleibst hier. Pack unsere Sachen. Ich gehe in die Stadt und besorge den Rest, wie besprochen. Morgen bei Sonnenaufgang brechen wir auf, ob es stürmt oder nicht“, und geht. Einfach so. Ohne irgendeine klitzekleine Beruhigung zu sprechen oder sie noch einmal anzusehen. Dann wird ihr klar, dass er gar nicht anders kann, nicht jetzt gerade. Schniefend wischt sie sich mit dem Handrücken über die feuchten Wangen und atmet einige Male langsam ein und aus, um sich zu beruhigen, aber die Tränen wollen gar nicht mehr aufhören, so sehr ist ihr Borgils Verhalten in die Knochen gefahren. Brenainn, hicksend und immer noch sichtlich eingeschüchtert vergräbt seine Nase an ihrem Hals und zupft mit seinen Fingern an ihrem offenen Haar herum, die Ärmchen um ihren Nacken geschlungen. Als sie ihn in sein Weidekörbchen legen will, beginnt er zu zappeln und lauthals zu brüllen und lässt sich erst nach einigen Minuten unter Aufbringung aller Überredungskünste, die Azra aufbringen kann, sowie einer einfachen Rassel zum Stillsein bewegen.

Als sie sich wieder erhebt, ihrem Sohn noch einmal durch das weiche Haar streichend, ertönt plötzlich ein lautes Poltern und mit einem entsetzten Keuchen fährt sie zusammen, gerade als Tiuri unter wüstem Fluchen erneut seinen Kopf mit der Stirn voran gegen die Wand stösst. Brenainn fährt zusammen, seine Augen werden gross, dann bricht er in Tränen und herzzerreissendes Schreien aus, die winzigen Händchen nach seiner Mutter ausstreckend. Doch anstatt sich um ihn zu kümmern, rauscht Azra bleich um die Nase, aber gleichzeitig wütend bis unter die Nasenspitze zu Tiuri und zerrt den Jungen, der fast über seine eigenen Füsse stolpert zum Bett, wo sie ihn mit einem kräftigen Stoss dazu bringt, sich zu setzen. Dann hebt sie Brenainn in die Höhe und drückt ihn Tiuri in die Arme, die Hände in die Hüfte stemmend und zwischen Hysterie und Vorwurf hin und her schwankend. Ihr fehlen sogar die Worte um diesen Dummkopf zurecht zu weisen, obwohl er weitaus mehr als ein bisschen Tadel verdient hätte. Eine Ohrfeige… ach was, zehn Ohrfeigen, auf das ihm hören und sehen vergehen. Aber er sitzt vor ihr wie ein Häufchen Elend, schaukelt Brenainn und ihm steht die Reue so deutlich ins Gesicht geschrieben, dass Azra, obwohl sie wirklich es wirklich standhaft versucht, ihm gar nicht länger böse sein kann. Nicht wirklich zumindest. „Wie konntest du ihr das antun?“, platzt es irgendwann, nachdem sie sich gegenseitig lange angesehen haben, aus ihr heraus. Durchaus vorwurfsvoll, aber ruhig und nur halb so böse, wie sie es gerne gehabt hätte. Tiuri macht den Mund auf, klappt ihn unversehens wieder zu und stiert dann ein ganzes Loch in den Boden zu seinen Füssen, bevor er schliesslich untypisch kleinlaut hervorbringt: “Ich brauchte das Geld,“ und setzt eiligst, nachdem er anscheinend selbst gemerkt hat, wie skrupellos das klingt, in entschuldigendem Tonfall hinter her, „ "Ich weiß nicht,... ich weiß es nicht mehr! Ich wollte nur etwas zu essen und Geld und ich hatte nichts, gar nichts. Da steht sie vor mir und legt es mir einfach in die Hände. Aber bleiben konnte ich nicht, hab sie ja nicht geliebt. Sie war mir egal, ich hab nur an mich gedacht, ans überleben, ans weiter kommen. Ich wollte ihr nichts Schlechtes.“ Ein zaghaftes, durch und durch resignierendes Kopfschütteln ist alles was Azra auf diese Antwort zustande bringt und leise seufzend lässt sie sich neben Tiuri auf dem Bettrand nieder, Brenainn die Wange tätschelnd. Eine ganze zeitlang tun sie nichts anderes als den kleinen Rotschopf betrachten, der angefangen hat auf einem Zipfel von Tiuris Umhang herum zu kauen. Dann murmelt Azra:„Du Dummkopf.“ Tiuri zuckt zusammen und zieht die Schultern ein. „Du hättest am Galgen enden können, ist dir das bewusst? Nicht, dass du es nicht verdient hättest, aber… Bei allen Göttern, Tiuri, ich hatte solche Angst.“ “Was glaubst du ich erst!“, spielt der Bursche sich auf und entlockt Azra damit nur ein fast perfektes, zwergisches: „Hmpf.“ Das hoffe ich doch!, fügt sie in Gedanken noch hinzu, bevor Tiuri auch schon zur Erklärung ansetzt.

“Damals hatte ich keine Vergangenheit und ich hab gedacht ich hätte auch keine Zunkunft, da fängt man an ganz schön viel Mist zu bauen, das kannst du mir glauben!“ Daraufhin erwiderte sie nichts, sondern erhob sich einfach nur, nahm seinen Kopf zwischen seine Hände und gab ihm einen Kuss auf die Stirn, weil ihr einfach danach war ihm zu zeigen, dass er sich darum jetzt keine Sorgen mehr zu machen brauchte. Er hatte sie, er hatte Borgil – nun, irgendwann sicherlich wieder -, er hatte Brenainn und die Goldene Harfe. Seine Zukunft lag in Talyra, seine Vergangenheit nicht mehr weit entfernt und die Zeit fürs Mistbauen war vorbei.  
Dann beginnt Azra damit ihre Sachen zu packen und nach einem Augenblick steht auch Tiuri auf, legt Brenainn zurück in sein Bettchen und hilft ihr dabei. Sie arbeiten Hand in Hand und Azra hat eine Weile lang genug zu tun, um sich jegliche Sorgen was Borgil anbelangt vom Hals zu halten. Was ihr verblüffend gut gelingt, so lange, bis schwere Schritte vor der Türe zu hören sind und ihr Gatte keine Sekunde später eintritt, von oben bis unten beladen mit irgendwelchen Beuteln, Kisten und Dingen, die auf den Wachstäfelchen standen. Einen einzigen Herzschlag lang zögert Azra, nicht sicher, wie sie sich verhalten soll, dann verwirft sie ihre Bedenken erstmal und hilft Borgil dabei die Sachen auf dem Bett abzuladen, verzweifelt feststellend, dass die Atmosphäre, die zuvor gerade noch einigermassen akzeptabel gewesen ist, jetzt wieder in kühle Distanziertheit umschlägt. Das liegt sowohl an Borgil, der Tiuri keines Blickes würdigt, als auch an Tiuri, der Borgil wiederum nervös betrachtet und die Hände vor dem Bauch verknotet und schicksalsergeben verdreht Azra die Augen und nimmt ihrem Gatten das Kästchen voller Salz aus den Händen, das er gerade verstauen wollte und sagt stattdessen: „Bitte… redet, sonst werde ich keinen Schritt mehr mit euch tun.“ Ohne Borgil Zeit für eine Antwort zu lassen drängt sie ihn sachte, aber bestimmt zur Seite, gibt ihm einen Kuss, sieht Tiuri flüchtig an und widmet sich dann all den Einkäufen, die sicher in ihrem Gepäck verstaut werden müssen.

Titel: Re: Sûrmera
Beitrag von Tiuri am 21. März 2007, 18:19 Uhr
Gegen Tiuris Erwartungen, reißt ihm Borgil nicht an Ort und Stelle den Kopf ab. Im Gegenteil, Borgil richtet nur kurz das Wort an Azra und verlässt dann den Raum. Eine solch kalte Wut hat Tiuri an Borgil noch nie erlebt und er hat schon ein paar Wutausbrüche des Zwergen gesehen, auch schon einige verursacht, aber noch nie ist Borgil so wütend auf ihn gewesen wie jetzt. Noch dazu kommt Tiuris Wut auf sich selbst, was war er nur für ein Idiot gewesen, hatte er denn eigentlich auch nur einen einzigen Moment an das Mädchen gedacht? Er muss keinen Augenblick darüber nachdenken um die Antwort zu kennen, sie ist nein, er hat nie daran gedacht was aus Calissa wird, es war ihm nicht nur egal gewesen, er hat nicht einmal soweit gedacht das es ihm egal hätte sein können. Vor lauter Zorn über sich selbst schlägt er den Kopf gegen die Wand, flucht, und lässt die Stirn noch einmal auf die Holzbretter nieder sausen. Hinter ihm beginnt Brenainn zu weinen, aber er bemerkt es erst als Azra ihn wütend zum Bett zerrt. Er ist überrascht wie viel Kraft sie auf einmal aufbringen kann als sie ihm einen Stoß gibt und er aufs Bett fällt. Ganz plötzlich hält er Brenainn im Arm und Azra baut sich schnaufend vor ihm auf und ringt scheinbar mit sich selbst ob sie mit ihm schimpfen soll oder doch lieber nichts sagen, oder ob er am Ende vielleicht nicht doch am ehesten eine Ohrfeige verdient hätte. Sie ist wütend, das kann Tiuri ohne Probleme sehen, von ihren Zehenspitzen bis hin zu den weißen Locken, alles an ihr verrät wie verärgert sie ist und Tiuri weiß, dass er schuld daran hat. In diesem Moment tut es ihm einfach nur noch schrecklich leid. Er würde es rückgängig machen wenn er könnte, aber er kann nicht. Er kann Calissa aber auch nicht heiraten, und selbst wenn er könnte, er würde dem Mädchen damit wirklich keine Freude machen.

>Wie konntest du ihr das antun?< fragt sie, ruhig, aber ihre Augen sind so vorwurfsvoll auf ihn gerichtet. Allein die Vorstellung was Azra jetzt von ihm hält, macht ihn furchtbar mutlos. Wie ein Fisch am trockenen klappt er den Mund ein paar Mal auf und zu, während er darüber nachdenkt was denn eigentlich der Wahrheit entspricht. Er versucht ihr mit wenigen Worten seine Situation damals zu erklären, ohne sich selbst dabei wie das arme Opfer hin zu stellen, denn egal wie man es dreht und wendet, er ist immer noch der Übeltäter hier. Egal was er sagt und wie er es formuliert, es ist die Wahrheit und sie klingt plötzlich nach einer sehr erbärmlichen Ausrede in seinen Ohren. Azra scheint es aber zu verstehen, nicht völlig zu entschuldigen, aber so als könnte sie sich in seine damalige Lage ein wenig hineinversetzen. Mit einem Kuss auf seine Stirn beendet sie diese Unterhaltung und widmet sich den Dingen die Borgil ihr aufgetragen hat. Brenainn noch immer auf seinem Schoß haltend, sieht Tiuri ihr zu und ist fast ein wenig erstaunt, Azra ist natürlich schon länger eine gute Freundin und Vertraute, aber gerade fühlt sie sich völlig wie Familie an und das macht es noch schlimmer, dass Borgil, den er über alles schätzt, so wütend auf ihn ist. Er kann gar nicht ruhig sitzen bleiben und so steht Tiuri auf, legt Brenainn in sein Bettchen und geht Azra bei ihrer Tätigkeit zur Hand. Sorgsam faltet er Kleidungsstücke oder verpackt andere Dinge so dass nichts geschehen kann, aber mit jedem Handgriff überlegt er was er nicht zu Borgil sagen könnte, dass der nicht mehr böse auf ihn ist. Aber auch als er Borgil wieder kommen hört ist ihm nichts eingefallen, gar nichts. Das macht aber auch scheinbar gar nichts, denn Borgil ist wohl noch immer nicht in der Laune seinem Ärger Luft zu machen. Der Zwerg ignoriert Tiuri, der aussieht als stünde er auf glühenden Kohlen und von einem Fuß auf den anderen steigt.
Azra versucht schließlich die Situation zu retten, richtet aber nicht besonders viel damit aus. Anstatt, dass Borgil und Tiuri sich wie vernünftige Leute an einen Tisch setzen, diskutieren oder sich wenigstens anschreien, knurrt Borgil nur einmal kurz in Tiuris Richtung und der verlässt darauf hin sofort fluchtartig den Raum. So wie er es daheim machen würde wenn er Mist gebaut hätte, geht Tiuri nicht in seine kleine Kammer, sondern hinunter in den Stall. Es ist natürlich nicht das selbe wie in der Goldenen Harfe, denn der Harfenstall ist sein zu Hause, den kennt er wie seine eigene Westentasche, kennt jedes Pferd oder weiß von denen die nur zeitweise dort wohnen welcher Besitzer zu ihnen gehört. Hier heben die Pferde ebenfalls die Köpfe und recken die Nasen neugierig über die Boxenwand als Tiuri den Stall betritt, aber Borgils Frithpony dem dabei immer noch Futterreste aus dem Maul fallen ist nicht dabei, sein Liebling die Stute Brana ist nicht da, die ihn jeden Morgen mit zuckenden Nüstern, leise blubbernd, begrüßt. Links und Rechts sind hier, aber die interessieren sich kein bisschen für Tiuri, sondern strecken die Köpfe sofort wieder ins Heu nach dem sie festgestellt haben, dass kein gefährliches Raubtier den Stall betreten hat und auch keine weitere Ladung Futter eingetroffen ist.
„Morgen geht’s los, ihr beiden!“ sagt Tiuri und lehnt sich gegen die Boxenwand. Links und Rechts nehmen ihn kaum zur Kenntnis und Tiuri seufzt. Er verflucht den elenden Regen der sie so lange hier festgehalten hat und die ganze verdammte Stadt gleich mit, die ihm das eingebrockt hat.
Ja klar, schieb es auf die Stadt, das warst du schon selber! Seine, in letzter Zeit viel zu korrekte und ehrliche innere Stimme, macht das ganze auch nicht besser und so macht er sich drauf und dran wieder nach oben zu gehen.
Die Person die ihm aber am Eingang entgegen kommt, ist wirklich die letzte die er in diesem Moment erwartet hat. Es ist Calissa, die ihre schmale Gestalt in einen viel zu großen Umhang gehüllt hat und ihn abwartend ansieht.
„Du“, ist das einzige was Tiuri hervor bringt und sie sagt nichts.
„Ist dein Vater auch hier?“ kurz hat Tiuri angst, dass sie sich entschieden haben ihm lieber aus dem Hinterhalt die Kehle durch zu schneiden um sich nicht länger mit ihm abgeben zu müssen, doch sie schüttelt den Kopf.
„Ich, also,… es tut mir leid!“ Es ist die einzige ehrliche Sache die er sagen kann und sie nickt und dreht sich um, um zu gehen.
„Warum bist du zurück gekommen?“ fragt Tiuri schnell und tatsächlich bleibt sie noch einmal stehen, wendet sich ihm wieder zu und zuckt mit den Schultern.
>Ich wollte, diese ganze Sache abschließen und völlig hinter mir lassen, dazu musste ich noch einmal zurück kommen. Aber das hab ich jetzt und von diesem Tag an, werde ich nie wieder einen Gedanken an dich verschwenden, ich kann jetzt einfach weiter machen!< Nach dem sie diesen Satz ruhig und mit fester Stimme angebracht hat, dreht sie sich um und geht ihrer Wege, die sich wohl nie wieder mit denen Tiuris kreuzen werden.

Am nächsten Morgen ist Tiuri der erste auf den Beinen, da er Borgil keinen Grund geben möchte sich über ihn zu ärgern. Er hat die Ponys geputzt und während Azra und Borgil frühstücken ist er schon dabei den Wagen zu beladen und Links und Rechts einzuspannen. Er schafft es tatsächlich so schnell mit all dem fertig zu sein, dass er gerade die letzte Schnalle an Linksbrauns Geschirr zu schließt, als Borgil und Azra, mit Brenainn am Arm nach draußen treten. Es regnet, natürlich, keiner der Götter hatte ein Einsehen mit ihnen und hätte sich darum gekümmert. Aber das hält sie nicht mehr auf, schweigend steigen sie in den Wagen, wobei Tiuri kurz zögert und darauf wartet, dass Borgil ihm befielt neben dem Wagen her zu laufen, aber nichts dergleichen geschieht. Das heißt allerdings nicht, dass die Stimmung deswegen besser ist. Azra ist zwar bemüht gelegentlich ein Gespräch anzuleiern, aber auch ihre Bemühungen bleiben unerhört und schließlich widmet sie sich ganz Brenainn um den kleinen Halbzwergen während der Fahrt bei Laune zu halten.

Titel: Re: Sûrmera
Beitrag von Borgil am 11. Apr. 2007, 00:38 Uhr
Es stürmt zwar nicht, als sie Sûrmera am nächsten Morgen bei Tagesanbruch verlassen, aber es regnet Hunde und Katzen, was ausgezeichnet zur miserablen Stimmung ihrer kleinen Reisegruppe passt… und es ändert sich auch beides nicht, als sie die Stadt schon lange hinter sich gelassen haben. Azra ist schweigsam und in sich gekehrt, nachdem all ihre Versuche, Borgil dazu zu bringen, mit Tiuri zu reden, nichts gefruchtet haben, Tiuri schleicht herum wie das personifizierte schlechte Gewissen - wozu der Bengel auch allen Grund hat! - und Borgil? Nun Borgil ist in so anhaltende, wie eisige Schweigsamkeit verfallen, starrt finster vor sich hin, lenkt den Wagen mit den beiden stämmigen Ponys über die schlammige, schlecht gepflasterte alte Straße an der Marmel entlang - nie würde er jemand anderem die Führung eines Karrens überlassen, der seinen Sohn transportiert - und verwünscht diese ganze dreimal vermaledeite Reise. Er ist nach wie vor wütend auf Tiuri, aber seine Wut ist kalt, grundlegend und hat sehr viel mit Enttäuschung zu tun, was der Junge auch deutlich zu spüren bekommt. Nicht, weil Borgil gehässig wäre, sondern weil er einfach nicht anders kann. Er kann nicht mit Tiuri reden, auch wenn langsam selbst in den zornumnebelten Verstand des sturen  Zwergen sickert, dass es dem Jungen offenbar wirklich leid tut. Er kann nicht mit ihm sprechen, weil er ganz genau weiß, dass er bei der allerkleinsten Ausrede, bei dem geringsten Anzeichen von Trotz, dass er bei auch nur einem einzigen schwachen Versuch Tiuris, irgendwie den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, ihn einfach in der Luft zerreißen würde. Also schweigt er. Im Gegensatz zu Azra ist er nicht bereit, das Thema Calissa mit ein paar aufgebrachten Worten und ein wenig Schelte gut sein zu lassen. Dazu hat ihn der Anblick des Mädels viel zu sehr erschüttert, und das war immerhin Tiuris Werk. So verläuft ihre weitere Reise in brütendem Schweigen und mit gefährlich schief hängendem Haus- beziehungsweise eher "Wagensegen".  Das anhaltend schlechte Wetter trägt auch nicht gerade dazu bei, irgendjemanden milder zu stimmen, doch die ersten zwei Wochen kommen sie wenigstens noch einigermaßen gut voran, obwohl nach ein paar Tagen alles, aber alles feucht und klamm ist. Doch dann regnet und regnet und regnet es, bis jeder Rastplatz neben der Straße ein schlammiger Pfuhl geworden ist, bis sie kein Stück trockenes Feuerholz mehr finden, bis das Maismehl verklumpt, das Brot schimmelt und Azra keine einzige von Brenainns Windeln mehr wirklich trocken bekommt. Nachdem sie sich noch einen weiteren Siebentag so über Stock und Stein gequält, kein wirkliches Lagerfeuer mehr in Gang gebracht, kein halbwegs sättigendes Essen mehr gehabt und kein Stück trockenes Tuch mehr am Leib haben, friert es zum ersten Mal über Nacht und Borgil spricht ein Machtwort. Im nächsten Dorf oder der nächsten Siedlung auf ihrem Weg würden sie sich eine Bleibe suchen, bis das Wetter das Reisen wieder erlauben würde, Vergangenheitssuche hin oder her.

Gesagt getan - und Glück im Unglück haben sie dabei auch noch, denn die nächste Ortschaft ist beinahe schon eine kleine Stadt. Nemur macht zwar nicht viel her, ist aber im Grunde ein hübscher, kleiner Marktflecken mit zwei befestigten, gepflasterten Straßen, einem Amitaritempel und vier Gasthäusern… und obendrein mit einer leer stehenden Schmiede, in die Borgil samt seiner Familie kurzerhand einzieht. Er macht den Dorfältesten, die sie freundlich aufnehmen, zwar nach einigem Hin und Her klar, dass er höchstens ein oder zwei Wochen bleiben und in der Zeit auch gern alle anfallenden Schmiedearbeiten (und das sind eine Menge, wie sich rasch herausstellt) übernehmen würde, doch kaum ist der Regen vorbei, hält der Winter Einzug und aus den "zwei Wochen" werden ganze vier Monde. Nemur und seine Bürger, die einen waschechten Eisenzwerg als "ihren" Schmied gern für immer behalten hätten, freut es - von dem netten jungen Mann in seinem Kielwasser oder der hübschen Elbin mit dem ganz und gar entzückenden Baby ganz zu schweigen.  Borgil geht es eher auf die Nerven. Nicht, dass er nicht gern wieder einmal für ein Weilchen an Esse und Amboss steht, und dabei den Schmiedehammer schwingt, aber allmählich vermisst er Talyra, die Goldene Harfe, seine Mägde und Knechte und überhaupt sein ganzes Leben doch sehr. Vor allem angesichts der Tatsache, dass sie Tiuris ominöser Vergangenheit noch keinen Sekhel näher gekommen sind. Sie sitzen fest. Schon wieder. Schon viel zu lange, Silverdammt! Und es sieht auch nicht so aus, als würden sie hier in absehbarer  Zeit wieder fort kommen. Zur Schmiede gehört ein hübsches kleines Fachwerkhäuschen mit lehmverputzten Wänden und einem gemauerten Fundament, das Azra erst einmal gründlich ausgefegt und dann so wohnlich hergerichtet hatte, wie es ihr eben möglich gewesen war, und in dem sie sich mittlerweile schon fast Zuhause fühlen. Zuhause, unglaublich! Irgendwo in einer göttervergessenen Stadt am Ende Rohas! Neben Haus und Schmiede selbst nennen sie auch noch einen Schuppen und einen Stall, in dem Links und Rechts noch fauler und fetter werden, als sie es ohnehin schon sind, einen Taubenschlag (mit Tauben), einen Gemüsegarten (im Herbst ertrunken) und ein Hühnerhaus (allerdings ohne Hühner) ihr Eigen. Noch einen Mond länger, und wir bleiben tatsächlich hier, Tiuri heiratet die Tochter der Kräuterfrau und ich ende als Dorfschmied! sinniert Borgil eines Abends irgendwann im Taumond, als er gerade damit beschäftigt ist, einen Satz neuer Angeln für die Tür des "Trunkenen Schurken", des größten Gasthauses in Nemur, zu schmieden. Tiuri steht am Blasebalg, die Hitze wabert und Borgil dreht und wendet rot glühendes Eisen mit einer kurzen Zange in der Esse hin und her. Der Junge war schon immer groß und kräftig, doch die letzten drei Monde schwerer körperlicher Arbeit in der Schmiede haben ihre Spuren hinterlassen. Brust und Schultern haben sich gerundet sich, die Arme, selbst der verbrannte, sind kräftiger, der Rücken noch ein Stück breiter geworden.

Tiuri war Borgil, nachdem der Zwerg sich irgendwann hatte erweichen lassen, wieder Notiz von ihm zu nehmen und sich schließlich sogar mit ihm ausgesprochen hatte, jeden Tag von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang zur Hand gegangen. Er hatte klaglos Wasser geschleppt, ausgefegt, Pferde gehalten, Hufe ausgeschnitten, Kunden mit den fertigen Stücken beliefert oder alles, was es zu reparieren galt, abgeholt… nur eines hatte er nicht getan: dem Feuer zu nahe zu kommen. Borgil macht weder die Hitze noch die glühende Esse etwas aus, aber er ist schließlich auch ein Zwerg und er rechnet es Tiuri hoch an, dass der Bengel trotz seiner Panik vor Feuer in seiner Nähe ist und mit anpackt, wo es nur geht. Sie hatten vom ersten Tag an viel zu tun, und nachdem sich einmal herumgesprochen hatte, dass in Nemur ein Zwergenschmied an der Esse steht, waren die Leute selbst von weit her und allem schlechtem Wetter zum Trotz gekommen und wollten Pflugscharen, Gliederketten, Spitzhacken, Türscharniere, Wasserschiffe für Öfen, Messer, Zangen und derlei mehr… einmal war sogar ein kleiner, hiesiger Landadliger erschienen und hatte einen geschwärzten Vollhelm bestellt, den er einen Mond später abgeholt hatte, stolz wie Niafaeron Drachenherz persönlich. Es ist ein schlechter Herbst und ein miserabler Winter, die vergehen, selbst für die Verhältnisse hier im Süden der Herzlande, und sie folgen auf einen ohnehin schon schlechten Sommer. Allen Göttern sei Dank, verwahrt Azra das schwere Silber ihrer Reisekasse sicher unter einem losen Brett in ihrer Schlafkammer, und Borgil verdient mit seiner Schmiedekunst mehr, als sie zum Leben brauchen, doch Silberstücke kann man nicht essen und auf den Märkten ist nur wenig zu erstehen. Die Kartoffeln waren in der Erde verfault, das Getreide auf den Feldern verdorben, das Schlachtvieh mager und Obst hatte es so gut wie keines gegeben, das man hätte einmachen oder dörren können. In Nemur mag niemand direkt Hunger leiden, aber die Gürtel werden wohl in jedem Haus enger geschnallt und auch Borgils kleine Familie ernährt sich hauptsächlich von Gerstenbrei, Haferbrot, Schwarzsauer und Dünnbier. Brenainns Geburtstag kommt und geht, der Junge lernt zu laufen, spricht schon ein gutes Dutzend Wörter wie Mama, Papa, Tuuuri, Haus, Feuäär, Hund, Miezi, Nein, Taube, Pfui und ähnliches. Das Julfest kommt und geht, den Jahreswechsel gleich am Mantelsaum. Der Silberweiß und Eisfrost bringen feuchte Kälte und Nebel, Nebel, nichts als Nebel, der ihnen allen aufs Gemüt schlägt, dazwischen immer wieder klirrenden Frost, aber kein bisschen Schnee, und der Taumond schließlich verheißt Hoffnung. Hoffnung auf Wärme, Sonne, Frühling und - Aufbruch. Als Borgil nun an jenem Abend mit heimwehschwerem Sinn an der Esse steht und diese vermaledeiten Türangeln in der Glut erhitzt, und Tiuri den Blasebalg tritt, kommt ausgerechnet Nesta, die besagte Tochter der Kräuterfrau Heledd vorbei, um ihnen ein paar frische Eier und frische Butter zu bringen.

Nicht, das Borgil diese Aufmerksamkeit nicht schätzen würde - er hatte für Heledd schon den ein oder anderen Auftrag erledigt, und da die Kräuterfrau nicht in Silber bezahlen konnte, gern Tauschhandel mit ihr getrieben, nur ist Klein-Nesta alles andere als hässlich und macht fortwährend Tiuri schöne Augen. Er kann es ihr nicht einmal verdenken, einigermaßen gut aussehende junge, heiratsfähige Männer sind aus irgendeinem Grund in Nemur rar gesät, und Nesta ist, wie man so schön sagt, prall wie ein reifer Pfirsich, wenn sie auch gerade erst sechzehn Lenze zählt - aber Borgil kann auf eine zweite Calissa gern verzichten, und auch Tiuri scheint die Aufmerksamkeit des Mädchens nicht unbedingt angenehm… ob das allerdings an wahrer Läuterung, Nesta selbst oder seinen gestrengen Blicken liegt, vermag Borgil nicht zu sagen. Vermutlich eher letzteres… Das Mädel steht dekorativ im Türrahmen zur Werkstatt herum, versperrt damit dem letzten Rest Abendsonne prompt den Weg, rückt die wohlgeformten Rundungen ins rechte Licht - in diesem Fall den Schein der roten Feuerglut - zupft an ihrem Mieder herum, klimpert Tiuri einladend an und will doch allen Ernstes wissen, ob sie nicht wenigstens zum Inarifest bleiben könnten. Borgil traut seinen Ohren kaum. Gestern hatte er den Dorfältesten mitgeteilt, dass er die letzten Arbeiten erledigen und Nemur wohl im Lauf des nächsten Siebentages verlassen würde. Man hatte ihn kaum gehen lassen wollen, schließlich aber schweren Herzens zugestimmt, ihnen allen eine gute Reise gewünscht und versichert, sie seien hier immer willkommen. Wie hat sie das nun schon wieder so schnell erfahren, Himmelgötter, dieses Weibsstück hat Ohren wie ein Luchs! "Nein, besten Dank auch!" Hört er sich selbst unfreundlich knurren, marschiert schnurstracks zu ihr hinüber, nimmt ihr den Korb ab, komplimentiert sie aus der Tür und schickt sie ihrer Wege. "Tiuri muss arbeiten, verstanden? Und ich will dich nicht noch einmal mit deinem kleinen Hintern in der Schmiede herumwackeln sehen! Marsch ab, bevor ich deiner Mutter davon erzähle. Und jetzt mach, dass du nach Hause kommst, aber schnell!" Nesta trollt sich schmollend und Borgil kehrt an seine Arbeit zurück. "Bring Azra was auch immer sie mitgebracht hat, sei so gut, ja? Wir müssen zusehen, dass wir hier fortkommen, am besten Vorgestern!"

Titel: Re: Sûrmera
Beitrag von Tiuri am 16. Apr. 2007, 22:56 Uhr
Es ist als wäre ihre elende Reise verflucht, denn nicht lange nach dem Borgil, Azra und Tiuri endlich aus Sûrmera abgereist sind, hält der Winter in den Herzlanden Einzug und zwingt sie in der kleinen Stadt Nemur für mehrere Monde ihr Lager aufzuschlagen. Keiner von ihnen ist darüber besonders erfreut, aber es lässt sich nun mal nicht ändern. Erst im Frühling, als sie sich schon längst häuslich nieder gelassen haben und die Bewohner Nemurs kaum noch gewillt sind Borgil und seine Schmiedekunst wieder her zu geben, meint es das Wetter so gut mit ihnen, dass sie keinen plötzlichen Wintereinbruch zu befürchten haben und ihre Reise endlich fortsetzen können. Als Borgil eines Tages beim Abendessen erwähnt, dass sie bald aufbrechen werden, wäre ihm Tiuri am liebsten um den Hals gefallen. Er fühlt sich nicht direkt unwohl in Nemur, aber es hält ihn dort auch nichts. Den Frauen hat Tiuri seit Sûrmera komplett abgeschworen, jedenfalls hat er sich das soweit einmal vorgenommen, obwohl sich das als schwierig erweist, wo sie doch an allen Ecken und Enden aus der Erde zu schießen scheinen. Am Anfang hat er die Aufmerksamkeit der Mädchen im Dorf ja noch recht angenehm gefunden, aber jeden Siebentag den er länger in Nemur verweilt werden sie ihm lästiger und lästiger. Als Nesta, die ihm ohnehin ständig wenn er einen Fuß vor die Tür setzt „zufällig“ über den Weg läuft, auch noch bis in die Schmiede hinter ihm her kommt ist er froh, dass Borgil sie schnell und bestimmt wieder verabschiedet.
>Bring Azra was auch immer sie mitgebracht hat, sei so gut, ja? Wir müssen zusehen, dass wir hier fortkommen, am besten Vorgestern!<
„Bin schon seit fünf Minuten unterwegs!“ antwortet Tiuri und ist beim letzten Teil des Satzes schon aus der Tür verschwunden. Im Laufsschritt hetzt er die Treppen nach oben und gibt Azra den Korb der Kräuterfrau, um dann sofort wieder nach unten zu rennen und die nächste Arbeit in Angriff zu nehmen. Tiuri sind die ausstehenden Werkstücke mehr als egal, aber wer ein ehrenwerter Zwerg ist beendet nun einmal was er angefangen hat und deswegen kann Tiuri nicht darauf hoffen, dass Borgil alles stehen und liegen lässt nur um Nemur noch vor Sonnenuntergang den Rücken zu kehren.
Nach 3 Tagesläufen ist es dann allerdings soweit, der letzte Kunde holt die für ihn angefertigte Hacke von Borgil ab. Ein letztes Mal wechseln Geld und Schmiedearbeit den Besitzer und der Zwerg verkündet, dass sie noch im Morgengrauen des nächsten Tages Nemur mit Sack und Pack verlassen werden. Ihre Sachen haben sie bis auf weniges schon gepackt und so müssen Borgil und Tiuri sie am nächsten Morgen nur noch auf den Wagen laden. Azra kontrolliert derweil ob sie auch nichts vergessen haben, wobei sie Brenainn am Arm hält der unaufhörlich an ihrer Kleidung zieht und einige seiner vor kurzem gelernten Worte vor sich hin kräht. >Benain, Wagen, Feeerd!< ruft er und deutet dabei immer wieder zur Türe um zu zeigen dass er viel lieber bei der aufregenden Arbeit von Papa und Tiuri zusehen würde als durch das leere Haus getragen zu werden.

Links und Rechts hat Tiuri in den letzten Wochen nicht nur wohlweislich auf eine „Friss-die-Hälfte“-Abspeckkur gesetzt, sondern auch noch im Laufschritt durch die nähere Umgebung Nemus gehetzt. Das war auch bitter nötig, denn noch vor wenigen Wochen hätte Tiuri die Riemen des Geschirrs nicht mehr um ihre fetten Bäuche gebracht. Jetzt sind die beiden Ponys, denen noch das Frühstücksheu aus dem Maul hängt gar nicht begeistert von diesem morgendlichen Aufruhr und scharren immer wieder genervt und gelangweilt mit den frisch beschlagenen Hufen. Doch schon bald ziehen sie den schweren Wagen über die Hauptstraße, am Markt und schließlich am letzten zu Nemur gehörigen Häuschen vorbei und bringen die talyrische Reisegruppe ihrem Ziel wieder ein kleines Stück näher. Tiuri ist so aufgeregt er würde zu singen beginnen, aber Borgil macht ihm mit einem kurzen Blick klar, dass er das sicher nicht länger aushalten würde und der Junge beschränkt sich auf ein fröhliches und nebenbei grauenvoll falsches Pfeifen.
Unter wolkenlosem Himmel kommen sie wunderbar voran und müssen nur einmal Halten als sich der Wagen in einem Dreckloch festfährt und Links und Rechts ihn nicht ohne Hilfe wieder hinaus ziehen können. Nach nur wenigen Tausendschritt begegnen sie weit und breit keiner Menschenseele mehr. Vor ihnen liegen die Erikaberge und neben ihnen gluckert der Marmel dem sie schon seit Sûrmera folgen. Tiuri wird es langsam etwas ungemütlich und er fragt ständig nach ob das sein kann, dass sie so lange an kein Dorf mehr gekommen sind und warum hier keiner wohnt, ob es Bären gibt und Wölfe und wie weit Borgil denkt, dass sie schon gekommen sind. Der Zwerg brummt schon nur noch, wenn er überhaupt noch antwortet, während Tiuri auf seinem Sitzplatz auf und ab wetzt. Als ihnen dann endlich ein Fuhrwerk entgegen kommt hat dessen Fahrer gute Neuigkeiten für sie. Er selbst ist auf dem Weg nach Nemur, aber das kleine Dorf namens Brig aus dem er kommt ist gleich hinter dem nächsten Hügel, und wenn sie immer neben dem Marmel bleiben können sie es gar nicht verfehlen. Nicht ohne sie etwas misstrauisch zu mustern nickt ihnen der Mann zu und treibt dann das schwere Pferd das seinen Wagen zieht an schneller zu laufen. Tiuri blickt ihm Schulter zuckend nach, er hat ihnen nicht einmal Zeit gegeben sich zu bedanken, geschweige denn eine weitere Frage zu stellen oder auch nur einen guten Tag zu wünschen. Nach einigem Auffordern bewegen sich die Ponys langsam wieder vorwärts, Schritt für Schritt, bloß nicht zu schnell. Tiuri kann den Impuls nicht unterdrücken, gelegentlich mit der Zunge zu schnalzen (die Zügel darf er schon längst nicht mehr halten seit er versucht hat die Ponys im Galopp so schnell wie möglich den Weg entlang zu treiben) und etwas zu sagen wie: „Kommt schon, wir wären ja fast schneller wenn ich den Wagen ziehen würde!“ Aber auch wenn es Tiuri wie eine Ewigkeit vorkommen mag, schon nach kurzer Zeit treffen sie auf die ersten Bauern auf ihrem Feld. Sie heben die Köpfe und sehen dem kleinen Trupp nach wie er auf der Kutsche in Richtung Dorf zuckelt und tuscheln hinter vorgehaltenen Händen über die ungewöhnlichen Fremden. Ein Kind an dem sie vorbeifahren bleibt wie angewurzelt stehen und betrachtet sie mit kugelrunden Augen, einen Zwerg oder eine Elbin hat es ganz eindeutig noch nie gesehen und schon gar nicht zusammen auf einem Wagen und als seine Mutter sieht was es tut, packt sie das Kind an der Hand und zieht es vom Weg fort. Es scheinen nicht viele Reisende durch Brig zu kommen und Gastfreundschaft wird in dem Örtchen nicht gerade groß geschrieben, den Höhepunkt des Seltsamen erreicht die Situation allerdings als eine ältere Frau die neugierig aus ihrem Haus gekommen ist, beim Anblick des Wagens kreidebleich wird und schreiend und zitternd in ihr Haus läuft.
Verwirrt schaut Tiuri zwischen Borgil und Azra hin und her, es ist ganz eindeutig, dass irgendetwas hier nicht stimmt, aber so genau kann der Junge den Finger nicht darauf legen was die Leute so durcheinander bringt. Sein Blick flirrt über die verschiedenen kleinen Häuser, die große Buche neben der sie den Wagen gehalten haben und die Leute die dank der schreienden Frau nun ebenfalls alle stehen geblieben sind. Nichts, er hat keine Erinnerung, an nichts davon, aber er weiß auch, dass das nichts heißen muss, er kann trotzdem schon einmal hier gewesen sein.
„Vielleicht sollten wir hier einmal nachfragen, vielleicht hat jemand etwas gehört, von einem Brand und einer toten Frau.“ Er spricht leise, so dass nur Borgil und Azra ihn hören können, ohne dabei die Leute um ihn herum aus den Augen zu lassen. Er mag die Art wie sie angesehen werden nicht und am liebsten würde er umkehren und Brig Brig sein lassen, aber sie haben sicher nicht Monde lang in den südlichen Herzlanden zugebracht nur um dann ein Dorf nach dem anderen zu besichtigen und keine Fragen zu stellen.

Titel: Re: Sûrmera
Beitrag von Borgil am 20. Apr. 2007, 20:42 Uhr
Als sie die kleine Stadt Nemur, die ihnen so freundlich Obdach für den ganzen Winter geboten hatte, und damit die letzte größere Siedlung an der Marmel hinter sich gelassen haben, kommen sie wirklich in die tiefste Provinz des Fürstentums Sûrmera, eine menschen- und götterverlassene Gegend, in der sich nur noch Fuchs und Hase Gute Nacht sagen… weswegen Borgil sich auch postwendend in einen wattierten Gambeson, gehärtetes, eisenbeschlagenes Leder und seinen Harnisch packt, und sich den Waffengurt mit den Wurfbeilen und seiner Axt in Reichweite legt. Azra und Tiuri schütteln zwar nur die Köpfe, doch Borgil war lange genug Abenteurer, um zu wissen, dass man besser allzeit bereit ist und Vorsicht ist die Mutter des Steingartens. Immerhin verzichtet er auf schwere Vollrüstung, Helm und das große Schlachtbeil, und das will für ihn, den Eisenzwerg, schon etwas heißen. Aber er denkt nicht einmal im Traum daran, sich wehr- und schutzlos in möglicherweise narg- oder räuberverseuchte Wildnis zu begeben, schon gar nicht so zeitig im Frühjahr, wenn die Bären alle aus ihren Höhlen kriechen, um ausgehungert durch die Wälder zu streifen und sämtliche Wolfsrudel der Gegend Junge in ihren Bauten haben. In der Wildnis sind sie tatsächlich gelandet - die "Straße" wird zu einem sandigen Weg, kaum breit genug für einen Eselskarren, das südliche Larisgrün reicht hier dicht und dunkel bis an den Fluss, von einem Gasthof oder wenigstens einer Waldkate ist entlang ihrer Route nichts zu entdecken… Immerhin, das Wetter ist schön, der Tag ist frühlingshaft warm, wie schon die ganze Woche vorher, die sûrmerische Vogelwelt ist eifrig mit dem Nestbau beschäftigt, entlang ihres Weges blüht weißer Schlehdorn und ein Meer von Buschwindröschen im Unterholz und die Luft schmeckt nach neuem Leben und fruchtbarer, schwarzer Erde. Es wäre zur Abwechslung also ein wirklich angenehmer Tag zum Reisen, ein bisschen in der Sonne sitzen, sich die warme Frühlingsbrise mit ihren vielfältigen, süßen Düften um die Nase wehen und sich von ihrem Wagen sanft dahinschaukeln lassen… wäre da nicht Tiuri Hummelhintern gewesen, der alle Naslang wissen will, ob sie nicht bald irgendwo ankämen, ob es noch weit sei, ob es hier denn eigentlich gar keine Häuser und Menschen mehr gäbe, wo denn nun die Räuber, Bären und Wölfe wären, ob es noch lange dauern würde, wie viele Tausendschritt sie schon gefahren wären und so weiter und so fort. Anfangs hatte Borgil dieser Rastlosigkeit noch wenig Bedeutung beigemessen, denn Tiuri besitzt zwar einige bewundernswerte Eigenschaften, aber wirkliche Geduld gehört nicht dazu, doch als der Bengel schier überhaupt nicht mehr still sitzen will, kommt diese fiebernde Ungeduld dem Zwergen doch langsam azurianisch vor. "Erinnerst du dich vielleicht an irgendetwas in dieser Gegend hier?" Erkundigt er sich schließlich mitfühlend. "Ich meine nur, weil du hier herumzappelst wie Mais in der Pfanne, hast du doch sonst auch nicht getan." Tiuri kann nur bedauernd mit dem Kopf schütteln, zweifelnd an seiner Unterlippe herumnagen und auch nicht erklären, woher diese übermäßige Unruhe auf einmal kommt.

Still sitzen kann er noch weniger, und so ist es die reinste Erlösung, als sie endlich auf der sonst völlig verlassenen Straße einem Bauern mit seinem Karren begegnen. Der gute Mann mustert sie zwar alle vier ziemlich skeptisch, aber er gibt ihnen bereitwillig Auskunft über die Gegend und so erfahren sie, dass es zum nächsten Ort, einem Dörfchen namens Brigg, nicht mehr weit ist. Angesichts ihres bisherigen Schneckentempo-Reiseverlaufs erweist sich der restliche Weg dann erstaunlicherweise tatsächlich nur noch als Katzensprung… doch wenn sie in Brig nichts finden würden, das irgendwie mit Tiuris Vergangenheit zu tun hat, dann bliebe ihnen nur noch, alle winzigen Weiler und Gehöfte in der Umgebung abzuklappern, was aber wohl der Suche nach der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen gleich käme. Seufzend empfiehlt Borgil ihrer aller Schicksal also in die Hände Sils und vertraut darauf, dass der Weltenschmied schon dafür sorgen würde, dass er bald, am besten vor drei Monden schon, wieder nach Hause, nach Talyra und in die Goldene Harfe käme. Aber versprochen ist versprochen, und so zuckeln sie also nach Brig. "Klingelt's da bei dir?" Will Borgil von Tiuri wissen und spielt auf den Dorfnamen an, doch wieder erntet er nur ein vages Schulterzucken. Muss schrecklich sein, so gar nicht zu wissen, wer man eigentlich ist. Obwohl… immerhin seinen Namen hat er ja. Borgil wird den Tag nie vergessen, als aus Jen so überraschend Tiuri geworden war. Tiuri… das ist ein guter, alter starker Name. Wird schon werden, Junge. "Hü. Tu nicht so, als würdest du gleich zusammenbrechen, Links, vorwärts!" Derart aufgescheucht schlagen Links und Rechts einen ordentlichen Schritt an und ihr Wagen rattert vorwärts über Stock und Stein, so schnell Borgil es eben wagt mit Brenainn an Bord. Wie auch immer, sie erreichen das Ackerland von Brig immerhin noch vor dem Sonnenuntergang, auch wenn es schon später Nachmittag ist. Der Empfang ist weniger nett… die Bauern auf den Feldern rund um das kleine Dorf starren sie mit einer Mischung aus Unglauben, morbider Faszination und offener Furcht an, Kinder werden aus dem Weg gezerrt und Borgil sieht auch, wie sich die ein oder andere Hand fester um den Stiel einer Sense oder Mistforke legt. Herrje, das hat uns gerade noch gefehlt… und ich habe mir Sorgen um Wegelagerer und hungrige Bären gemacht… "Tiuri, Azra, was immer geschieht, ihr bleibt auf dem Wagen bis ich euch etwas anderes sage. Azra, setz Brenainn in sein Tragetuch und bind ihn dir um," murmelt Borgil leise und in einem Ton, der klar macht, dass er über seine Anordnungen nicht diskutieren wird. Azra stellt auch überhaupt keine Fragen. Sie hat die Blicke der Leute ebenfalls gesehen, klammert sich schutzsuchend an seine Schultern und späht besorgt nach allen Seiten. Er glaubt zwar nicht wirklich, dass es zu irgendwelchen Handgreiflichkeiten kommen wird, aber er wird kein Risiko eingehen.

Als sie dann in den Ort einfahren, löst ihre Ankunft prompt einen mittleren Tumult aus, denn das erste, was sie von Brig sehen und hören ist eine Frau, die weiß wie Milch und kreischend wie eine Banshee vor ihnen die Flucht ergreift. "Mmpfff… So hässlich bin ich dann auch wieder nicht," brummt Borgil und zwar so laut, dass ihn auch die Umstehenden, die sich bei dem Geschrei natürlich postwendend versammelt haben, hören können. Das bringt zwar nicht ganz die erhoffte Wirkung, aber immerhin zeigt sich auf der ein oder anderen Miene ein verblüfftes Schmunzeln. Er hätte gern noch einen draufgesetzt und angefangen, mit den Leuten zu reden und zu scherzen, wie er es als Wirt oft genug zu Hause in der Harfe tut, aber er kann die Menschen hier noch nicht einschätzen und verschiebt zotige Scherzworte doch besser auf später… sonst würde er am Ende noch die Frau des Ältesten oder die ortsansässige Kräuterheilerin beleidigen und es ihnen vollends mit Brig verscherzen. > Vielleicht sollten wir hier einmal nachfragen, vielleicht hat jemand etwas gehört, von einem Brand und einer toten Frau,< raunt Tiuri leise, während Borgil umständlich und langsam den Wagen anhält, um den Brigern damit ein wenig Zeit zu geben, sie in aller Ruhe zu betrachten. "Natürlich," gibt er zurück. "Deswegen sind wir doch hier, nicht wahr? Frag mich nur, wie wir diese äh… herzigen, aufgeschlossenen Bürger zu einem kleinen Plausch überreden sollen. Der Anfang war ja nicht gerade viel versprechend." Er drückt Tiuri die Leinen in die Hand und springt vom Kutschbock, und zwar so, dass jeder Briger einen ausführlichen Blick auf fast fünfeinhalb Fuß und ebenso breite wie hohe, noch dazu gut gerüstete, narbige, kriegerische und bis an die Zähne bewaffnete zwergische Selbstsicherheit werfen kann. "Ihr guten Leute," beginnt er durchaus freundlich, aber auch in einem Ton, den Niniane einmal als "Generalsjargon" bezeichnet hatte. "Wir sind auf einer Suche und wir kommen von weit her, hat euer schönes Dorf (das ist die Übertreibung des Tages, aber nun ja) so etwas wie ein Gasthaus? Dann weist uns den Weg, denn wir sind hungrig und durstig." Einen Moment lang herrscht verdutztes Schweigen ringsum, dann tritt ein Mann vor, der sich als ortsansässiger Küfer entpuppt, sich als Rungir vorstellt und mit der schwieligen Hand den "Weg" hinab wedelt, eine rissige Furchenlandschaft aus getrocknetem Schlamm, die sich in Brig Straße schimpft. "Zu 'Marshas Schüssel' geht's da lang," wird ihnen beschieden und nach einem kurzen Zögern fügt Rungir noch ein "M'lord" hinzu, nur für den Fall. Borgil nickt knapp. "Wie ich schon sagte, wir sind auf einer Suche. Ihr wisst nicht zufällig etwas über einen Brand vor einiger Zeit hier in der Gegend?" Erkundigt er sich und weist mit einem Nicken zu Tiuri. Er kommt allerdings nicht einmal dazu, irgendetwas über den Jungen zu sagen, denn ringsum hebt ein Raunen und Flüstern an, dass ganz Brig davon widerhallt und die Gesichter schnappen wieder zu, eines nach dem anderen, wie eine Bank verschreckter Austern.

Titel: Re: Sûrmera
Beitrag von Azra am 27. Apr. 2007, 23:49 Uhr
Shenras Antlitz geht hinter dunklem Grün gerade unter, als die ersten Bewohner des Dörfchens ihnen begegnen. Unter tief ins Gesicht gezogener Kapuze linst Azra ängstlich in die misstrauischen Gesichter, welche die Neuankömmlinge unfreundlich mustern und überhaupt nicht wirken, als wären sie glücklich über die Störung. Liebevoll zieht sie ihren Umhang ein wenig fester um Brenainn, der in ihren Armen selig schläft und dabei leise blubbert. Unbehaglich rutscht Azra auf dem Kutschbock hin und her, versucht nicht allzu eingeschüchtert zu wirken und möchte sich gleichzeitig irgendwo zwischen den Säcken mit Mehl und Käse verkriechen, um der unverhohlenen Skepsis zu entkommen, die ihnen von den Menschen auf den Feldern entgegen schlägt. Die Männer schultern die Sensen und die Frauen lassen das Saatgut in ihre geschürzten Röcke zurückfallen. Die Bewohner des Dörfchens scheinen nicht allzu oft Besuch zu erhalten. Nun, bei der Zusammensetzung unserer Gruppe ist das auch kein Wunder, überlegt Azra und beisst sich auf die Unterlippe, näher an Borgil heranrückend und das Gesicht an seiner Schulter bergend. "Tiuri, Azra, was immer geschieht, ihr bleibt auf dem Wagen bis ich euch etwas anderes sage. Azra, setz Brenainn in sein Tragetuch und bind ihn dir um," raunt Borgil so leise, dass es niemand ausser ihnen mitbekommt und jagt Azra damit einen gehörigen Schrecken ein. Eiligst tut sie, wie er gesagt hat, wobei Brenainn leider erwacht und ein quengelndes: „Mapa“, von sich gibt. Obwohl die Umstände nicht gerade sehr zu einem Lächeln einladen, muss Azra trotzdem schmunzeln und ein Hauch von Mutterstolz huscht durch ihren Blick. Zwar plappert er bereits seit einiger Zeit eifrig alles nach, was ihm zu Ohren kommt – und was in der Gegenwart eines völlig genervten Zwerges und eines in Aufruhr versetzten Tiuris nicht unbedingt immer das ist, was er lernen sollte -, aber „Mapa“ bleibt sein Lieblingswort, ganz als ob er sich nicht entscheiden könnte zwischen „Papa“ und „Mama“. „Komm ma smala dvar“, flüstert sie und legt ihren Sohn, der so schnell wächst wie Unkraut und mit seinem roten Haarschopf aussieht, wie ein gerupftes Rübchen, in das Tragetuch aus festem Leinen, um es dann im Schulter und Hals zu legen. Sicher ist sicher. Sollte etwas passieren, wäre Brenainn hier am besten aufgehoben, doch schon der Gedanke, dass etwas passieren könnte, lässt Azra einen Schauer nach dem Anderen über den Rücken laufen. Noch einmal sieht sie sich um, betrachtet kurzzeitig verwirrte die geweiteten Augen einer älteren Frau, welche gleich darauf die Beine in die Hand nimmt und bleich wie der Tod davon stürzt. Einen Augenblick lang sucht Azra verdattert nach einem Monstrum oder etwas dergleichen, was einen solchen Ausbruch rechtfertigen würde, doch ausser ihnen dreien und den Ponys scheint niemand „Gefährliches“ aus dem Wald hervorgebrochen zu sein.

Erst das schrille Kreischen einer Frau, die, kaum wird sie dem seltsamen Gespann ansichtig, alles fallen lässt und hastig das Weite sucht, reisst Azra aus ihren Gedanken und aus ihrer Starre. Der letzte Rest an Farbe schwindet aus ihrem schmalen Gesicht und mit aufeinander gepressten Lippen rattert sie innerlich ein Gebet nach dem anderen hinunter, Brenainn, so sanft wie es ihre zitternden Hände zulassen, hin und her wiegend. Borgil neben ihr grummelt irgendetwas in seinen Bart, während Tiuri sich immer kleiner macht und anscheinend plötzlich gar nicht mehr so sicher ist, ob er wirklich hier hin wollte. Azra kann es ihm nicht verdenken. Sie hatte keine gestreuten Rosenblätter, oder einen herzlichen Willkommensgruss erwartet, aber diese panischen Anfälle, gepaart mit dem sichtlichen Schrecken, der allen ins Gesicht geschrieben steht, ist zuviel des Schlechten. Ob sie noch nie einen Zwergen, oder eine Elbe gesehen haben? Oder hatten sie noch niemals Besuch? Fürchten sie sich vor etwas? Azra zermartert sich den Kopf auf der suche nach einer glaubhaften und logischen Erklärung für dieses seltsame Gebaren, doch alles erscheint ihr irgendwie widersprüchlich. Was ihre Sorge wiederum nicht mindert. “Vielleicht sollten wir hier einmal nachfragen, vielleicht hat jemand etwas gehört, von einem Brand und einer toten Frau“, gibt Tiuri selbstmörderisch zu bedenken und Azra blinzelt entsetzt. DIESE Leute nach irgendetwas zu fragen scheint ihr gleichzukommen mit einem Sprung an den Galgen, so sehr fürchtet sie sich vor diesen Menschen, die keinerlei Absichten hegen, ihre starre Musterung in nächster Zeit zu beenden. Borgil hingegen, praktisch veranlagt wie er eben ist, bringt den Karren zum Halten, stimmt dem Bengel auch noch zu, wobei sein spitzer Humor Azra nur noch blasser werden lässt. Am liebsten würde sie ihn festhalten, ihn davon überzeugen NICHT hinunter zu steigen und sie hier oben ganz alleine, ohne Schutz zurück zu lassen, angesichts dieser glotzenden Meute. Andererseits würde es ihnen auch nicht viel bringen, sich auf dem Karren zu verbarrikadieren und mit dem letzten Mut, den sie zusammenkratzen kann, setzt sie sich gerade auf und streckt die Schultern ein wenig, um nicht gänzlich wie ein verschrecktes Mäuschen zu wirken.

Brenainn jammert an ihrer Brust und zieht am Stoff, auf der Suche nach Essen und in seinem Halbschlaf gänzlich vergessend, dass er längst keine Brust mehr braucht. Stattdessen isst er schon fleissig, was ihm vorgesetzt wird. Weiches Brot und klein geschnittenes Fleisch, Kartoffeln und besonders gerne stopft er seinen nimmersatten Bauch mit Käse voll, woher diese Vorliebe auch immer kommen mag. Gerade jetzt ist sein knurrender Magen jedoch fehl am Platz und mit leisem Geflüstert versucht Azra ihn davon abzuhalten, lautstark nach etwas Essbarem zu verlangen, denn ihr ist nicht, als würde man ihnen danach freundlicher begegnen.
Borgil ist derweil abgesprungen, dreht sich einmal im Kreis – was Azra nicht mehr im geringsten beeindruckt, auf die anderen aber ziemlich Furcht einflössend wirken muss – und wendet sich dann bestimmt, aber immer noch höflich an den Kreis von Schaulustigen, der sich um ihren Wagen gesammelt hat. Es wagt sich sogar jemand vor und erklärt ihnen bereitwillig den Weg in die nächste „Taverne“, doch als Borgil nachhakt und den eigentlichen Grund ihrer Ankunft erklärt, schlägt die Stimmung schlagartig um. Wo eben noch zierliche Neugierde gewachsen ist, schlägt schlagartig Unglauben und knisterndes Misstrauen nach allen Seiten aus und die zum Teil ungläubigen, zum Teil gierigen Blicke richten sich wie spitze Nadeln auf Tiuri. Der Junge schluckt leer und ist nahe daran den Kopf hinter die Plane zurück zu ziehen, atmet dann jedoch tief ein und setzt sich auf den Kutschbock, sehr zu Azras Freude, die sich sofort an ihn drängt und Schutz sucht an seiner Seite. Mit einem stummen Flehen schielt sie zu Borgil hinunter, der mürrisch eine Augenbraue gehoben hat und wachsam wartet, bis das Raunen und Tuscheln sich ein wenig gelegt hat, um dann erneut einen Schritt vor zu machen. Der wagemutige Küfer sieht sich um, kratzt sich am Hinterkopf und zuckt dann in einer knappen Bewegung mit den Schultern: „Kann sein M’Lord.“ Ohje… Ohje… Zitternd zieht Azra den Kopf zwischen die Schultern und wagt es fast nicht auch nur den Blick zu heben. “Kann sein?“ Borgil Stimme lässt nicht zu, dass diese vage Antwort so in der Luft hängen bleibt. Erneut zuckt der kräftige Mann mit den Schultern, schnieft und murmelt dann mehr zu sich selbst, als zu jemand anderem: “Kann sein. Ist lange her…“

Die Leute rundherum haben ihr leises Geschwätz wieder aufgenommen und tuscheln hinter vorgehaltener Hand, wobei so mancher Finger kurzzeitig in Richtung Tiuri weist, was immerhin den Verdacht bestätigt, dass sie hier an der richtigen Adresse sind. Doch inwiefern würden sich die Menschen hier bereit erklären, ihnen zu helfen. Ein kaum hörbares Seufzen kommt Azra über die Lippen und die Erleichterung, als Borgil sich nach einem knappen Dank von dem Küfer verabschiedet, ist so gross, dass ihre Beine weich wie Pudding werden. „Tut das nie wieder“, piepst sie kleinlaut und lehnt ihren Kopf an seine Schulter, während er die Zügel wieder in die Hände nimmt und die beiden Ponys in Richtung der Taverne antreibt. Sie kämpfen sich mit dem Karren über einen schmalen, schlammigen Weg, den man Strasse nennt, bis hin zu einem etwas verlotterten, kleinen Gebäude etwas ausserhalb von Brigg, das nicht unbedingt sehr einladend wirkt. Doch über der Eichenholztüre, die etwas schief in den Angeln hängt, prangt ein grosses, durch die Zeit dunkel gewordenes Holzschild, auf dem in abgeblätterten Buchstaben geschrieben steht: „'Marshas Schüssel'“. Daneben hängt ein rostiger Schlüssel an einer Kette, die aussieht, als hätten Wind und Wetter seit Jahrzehnten ihren Unmut daran ausgelassen. Dieses Gasthaus hat nicht im Geringsten etwas mit der Goldenen Harfe gemeinsam. Aus dunklem Stein erbaut, die Fenster vor Schmutz beinahe schwarz, wirkt es eher wie eine abgerissene, nur noch selten bewohnte Scheune, der ein tüchtiger Anstrich mehr als gut getan hätte. Borgil schüttelt grummelnd den Kopf, ganz als könne er nicht glauben, wie man eine Taverne dermassen verkommen lassen kann und Azra vermag ihm nur beizustimmen. Bereitwillig lässt sie sich von ihm hinunter helfen und stützt sich, sobald er sie aus den Augen lässt, kurzzeitig am Wagen ab, die Augen schliessend und tief ein- und ausatmend. Leichter Schwindel plagt sie und wie so oft in der letzten Zeit ist sie nahe daran in Tränen auszubrechen, doch da sowohl Borgil, als auch Tiuri gerade genug mit anderen Dingen zu tun haben, fällt es ihr nicht im Traum ein, einen der beiden damit zu behelligen. Und Borgil die Wahrheit zu erzählen… Dann packt er unsere Siebensachen, schleppt uns zum Schiff zurück und Tiuri wird keine Möglichkeit erhalten endlich zu erfahren, wer er war… oder ist. Nein, war. Und da das Ziel zum Greifen nahe ist, schiebt sie jegliche Sehnsucht nach einer Rückkehr - und der Goldenen Harfe, und dem eigenen Bett, und Halla und überhaupt Talyra - erst einmal beiseite und hilft Borgil und Tiuri dabei die Sachen abzuladen.

Das Innere der Taverne weckt bei Azra eine leichte Uebelkeit, doch versucht sie diese tapfer im Schatten ihrer Kapuze sowohl vor Borgil, als auch dem Wirt zu verstecken, dessen Schweinsäuglein sich angesichts der unbekannten Gäste weitet, als stünde er einem Geist persönlich gegenüber. Dann kommt Bewegung in seine massige Gestalt. Nervös streicht er sich das fettige, lange Haar hinter seine abstehenden Ohren, reibt sich die Hände an der schmutzigen Schürze und entblösst dann mit einem schiefen Lächeln eine Reihe schwarzer Zähne: "Ahhh... Gäste. Die Götter meinen es gut mit mir. Gestattet..." Umständlich kämpft er sich hinter der Theke hervor, auf welcher einige Bierkrüge stehen und an deren Rand zwei gedrungene Männer lehnen, welche die Neuankömmlinge finster anstarren. "Mein Name ist Gjorgus, Gjorgus von Brigg, ahhh, wie schön endlich einmal neue Gesichter zu sehen",sprudelt es aus dem Mann hervor, der sogar ehrlich erfreut scheint einmal Fremde in seinem Haus begrüssen zu dürfen. Azra versteckt sich hastig hinter Borgils Rücken und blinzelt verschreckt über dessen Schulter zu der grossen Gestalt des Wirtes hinauf, der gerade Tiuri entdeckt... und dessen Kiefer nur nicht auf die wabbelnde Brust rutscht, weil ein dreilagiges Kinn es verhindert. Tiuri windet sich wie ein Fisch auf dem Trockenen und weiss gar nicht wie ihm geschieht, bis der Wirt plötzlich einen Schritt zurückweicht und die Hände hebt, als versuche er eine böse Illusion zu vertreibene. "Das kann nicht sein", stottert er mit staubtrockenem Mund und einmal mehr fragt sich Azra, was hier bloss vor sich geht.

Titel: Re: Sûrmera
Beitrag von Tiuri am 29. Apr. 2007, 00:13 Uhr
Tiuri ist schrecklich erleichtert, als Borgil es übernimmt mit den Dorfbewohnern zu sprechen. Er selbst fühlt sich unwohl zwischen den Menschen die ihn und seine Freunde mustern als wären sie die Personifikation einer tödlichen Krankheit. Die Auskunft wie man hier zur Taverne gelangt erhalten sie noch verhältnismäßig einfach, aber auf Borgils Frage nach einem Brand ist die Antwort mehr als unbefriedigend. >Kann sein,...< ist zwar eher ein Ja als ein Nein, hilft ihnen aber ansonsten kein bisschen weiter. Die Leute ziehen die Köpfe zwischen die Schultern, werfen ihnen noch ein paar böse Blicke zu und gehen dann ihrer Wege während sich Borgil, Azra und Tiuri mit ihrem Wagen zur Gaststätte weiter zuckeln. Das kleine Gebäude als Gasthaus zu bezeichnen ist mehr als freundlich, denn schon von außen wirkt es ziemlich winzig. Im Inneren tritt ihnen sofort der Wirt entgegen mit einem Blick der ihnen sagt, dass er nicht besonders viele Gäste hier empfängt.
Das ist wohl nicht Marsha... stellt Tiuri gedanklich beim Anblick des dicken Wirten fest der sich ihnen als Gjorgus von Brig vorstellt. >Gjorgus, Gjorgus...< hallt es in Tiuris Kopf und er versucht das aufsteigende Gefühl irgendeiner Erinnerung zu zuordnen, aber es will ihm nicht so recht gelingen. Ganz im Gegenteil dazu Gjorgus der wohl nicht weiß was er fühlen soll, sich aber sehr wohl an den jungen Mann erinnert der ihm gerade gegen übersteht. Der Mund steht ihm offen und Tiuri kann den Blick mit dem ihn der Mann ansieht kaum aushalten. Am liebsten würde er Gjorgus anschreien, schütteln oder vielleicht sogar schlagen um seiner Aufregung Luft zu machen, aber er hält sich so ruhig wie möglich.
>Das kann nicht sein!< stammelt der Wirt und seine Augen, die er keinen Moment von Tiuri abwendet, weiten sich vor Angst. Tiuri blickt zurück und seine Augen verengen sich im Gegenzug während er Gjorgus mustert und krampfhaft versucht eine Erinnerung herauf zu beschwören. Auch er lässt Gjorgus dabei keinen Moment aus den Augen der langsam einen Schritt nach dem anderen rückwärts richtet um mehr Abstand zwischen sich und den Jungen zu bringen. Noch drei Mal wiederholt er, dass das einfach nicht sein kann und setzt noch ein >völlig unmöglich< hinten drein ehe Tiuri der Kragen platzt.
„WAS?!“ brüllt er den Mann an. „Was kann nicht sein? Was ist unmöglich?!“ Bei diesen Worten hat er Gjorgus Sicherheitsabstand mit nur zwei langen Schritten überbrückt und steht nun so dicht vor ihm dass er den schlechten Atem des Wirtes riechen kann. Nur mit Mühe kann er sich zurück halten dem Mann nicht an die Gurgel zu gehen und eigentlich weiß er dabei selbst nicht woher diese ganze Wut in ihm kommt.
>Nein Geist geh weg. Geh zurück über die Purpurnen Flüsse wo du her gekommen bist!< sagt er mit schriller Stimme und hebt dabei abwehrend die Arme über den Kopf um sich vor Tiuri zu schützen. In Tiuris Kopf rasen die Gedanken und es dauert und dauert bis sie so weit geordnet sind dass er versteht was hier vor sich geht. Er atmet drei mal tief durch, entspannt die Muskeln, öffnet die Hand die sich automatisch zur Faust geballt hat und macht einen Schritt zurück.
„Mach dich nicht lächerlich Mann!“ sagt er mit finsterem Blick. „Wer einmal im Totenreich war kommt nicht mehr zurück. Warum hast du gedacht ich wäre ein Toter? Sprichst du von dem Feuer?“ Mit festem Griff hat Tiuri Gjorgus Schulter gepackt und den Mann auf den nächsten Stuhl hinunter gedrückt sodass der gar nicht auf die Idee kommt sich vielleicht aus dem Staub machen zu wollen. Neben Tiuri steht nun auch Borgil und hinter ihm immer noch Azra die Brenainn fest an sich gedrückt hält und die ganze Siutation mit großen weißen Augen betrachtet.
Es dauert einen kurzen Moment, in dem Tiuri sich nur durch Borgils Anwesenheit und einem letzten Rest von Vernunft davon abhalten lässt eine Antwort aus Gjorgus heraus zu prügeln, bis der Mann sich soweit gefangen hat um tatsächlich etwas zu sagen.
>Feuer? Ja...der Brand, die Schmiede, sie ist abgebrannt, Evans Frau und du, nein der Junge, sind dabei gestorben. Die Hexe war schuld!< stammelt er mit zittriger Stimme recht zusammenhanglos vor sich hin.
„Das ist alles was du weißt?“ fragt Tiuri nach und der Wirt nickt rasch. „Wo ist diese Schmiede früher gestanden? Wie komm ich dort hin?“
Da Marshas Schüssel etwas außerhalb von Brig liegt muss man um zu dem ehemaligen Standort der Schmiede zu gelangen das ganze Dorf auf der Hauptstraße durchqueren, denn die Schmiede lag auf der anderen Seite von Brig. Sie war früher das erste Haus wenn man aus Sûrmera gekommen ist und lag direkt am Fluss. Sie könnten es gar nicht verfehlen, versichert ihnen Gjorgus denn es war dicht an der einzelnen Trauerweide deren Zweige in den Marmel ragen. Nach dem er ihnen den Weg beschrieben hat schaut Gjorgus noch einmal zweifelnd zu Tiuri nach oben.
>Ihr seid nicht Tiuri der Sohn von Evan dem Schmied?<
„Ihr habt doch selbst gesagt der ist tot, wie kann ich’s dann sein?“ Ohne ein weiteres Wort zu verlieren dreht sich Tiuri um und verlässt die Gaststätte im Laufschritt. Einige Meter außerhalb bleibt er aber stehen und lässt den Zorn verrauchen von dem er sich einfach nicht erklären kann woher er kommt.
Gjorgus der Wirt... Marshas Schüssel, Schmiede, Weide, Evans Sohn! Er lässt sich die Informationen noch einmal durch den Kopf gehen und denkt fieberhaft darüber nach. Evans Sohn hatte ihn auch der sterbende Mann genannt den er nach dem Dämonenangriff in Talyra gefunden hatte. Was wenn sie sich irren und ich bin gar nicht Tiuri? Sondern dieser tote Kerl ist Tiuri. Aber was wenn sie einfach nicht wissen, dass ich überlebt habe? Aber wieso bin ich soweit weg aufgewacht und was für eine verfluchte Hexe?
Mit beiden Händen krallt sich Tiuri in seinen wirren Haarschopf und läuft immer drei Schritte auf und ab, darauf wartend dass Borgil und Azra aus der Taverne treten und ihm sagen was er jetzt zu tun und zu denken hat, denn er selbst weiß es nicht mehr so recht.

Titel: Re: Sûrmera
Beitrag von Borgil am 01. Mai 2007, 08:08 Uhr
So argwöhnisch, wie sie in Brig selbst empfangen worden waren, so freundlich ist das Willkommen in Marsha's Schüssel, obwohl überhaupt keine Marsha sie erwartet, sondern ein gewisser Gjorgus und schon allein das Äußere der heruntergekommenen Kaschemme Borgil beinahe die Gesichtszüge hätte entgleisen lassen. Gastwirt durch und durch, der er nun einmal ist, blutet ihm das Herz beim Anblick eines solch windschiefen Schuppens, der sich Gasthaus nennt. Er sagt nichts, obwohl ihm deutlich ins Gesicht geschrieben steht, was er von ihrer Bleibe in spe hält, nämlich gar nichts. Das Dach wird über unserem Kopf zusammen fallen. Das Essen wird schlimmer schmecken als der Fraß in einer Nargkompanie. In den Betten werden überall Wanzen sein und die Schankmagd, falls es denn eine gibt, hat die brennende Krankheit, ganz bestimmt... Er hat schon an wesentlich schlimmeren Orten genächtigt und er traut es auch Tiuri zu, aber seine Frau und seinen Sohn in dieses Loch bringen zu müssen ist ihm in der Seele zuwider. Dennoch tut er es, was bleibt ihnen auch anderes übrig - es ist der einzige Anhaltspunkt, den sie haben und außerdem macht Azra ihm schon seit ein paar Tagen Sorgen. Sie ist noch viel blasser als sonst und wirkt oft erschöpft, aber natürlich sagt sie kein Wort und bemüht sich nach Kräften, ihn in dem Glauben zu lassen, es gehe ihr prächtig. Sie kommen also in Marsha's Schüssel an und werden von besagtem Gjorgus nahezu überschwänglich begrüßt, allerdings nur genau so lange, bis der Mann Tiuri entdeckt, weiß wird wie eine frisch gekalkte Wand und die nächsten Minuten nichts mehr anderes von sich gibt, als ein ums andere Mal: >Das kann nicht sein, das kann nicht sein, das kann nicht sein...< "Hmmph!" Macht Borgil und blickt von Gjorgus zu Tiuri und wieder zurück, die sich gegenseitig anstarren, der eine voller Entsetzen, der andere abwägend. Da brat mir doch einer... was ist denn das jetzt wieder? Erst rennt eine Frau kreischend davon, dann kippt dieser Fettsack fast aus den Stiefeln! War Tiuri mal so etwas wie das Gespenst von Brig oder wie? Borgil besitzt gerade noch genug Geistesgegenwart, um Azra, die sich samt Brenainn hinter im verkrümelt und ihre Finger fest in seinen Umhang vergraben hat, beruhigend den Arm zu tätscheln. "Wird alles gut, mein Schneemädel, wirst sehen. Wir finden bestimmt bald eine Bleibe für die Nacht und morgen ist der ganze Spuk dann hoffentlich vorbei. Irgendjemand hier muss ja mal etwas wissen."

Genau in diesem Moment reißt Tiuri der ohnehin schon strapazierte Geduldsfaden endgültig. >WAS?!< hört Borgil ihn brüllen und fährt herum, doch da hat der Junge sich schon vor dem Wirt aufgepflanzt und starrt ihn in Grund und Boden. Und Gjorgus reagiert höchst denkwürdig, nämlich in dem er die Arme über dem Kopf zusammenschlägt und etwas von Geistern und Purpurnen Flüssen kreischt. "Was zum Donner..." Borgil eilt an Tiuris Seite, bereit, den Jungen gleich am Schlafittchen - nein, das ist zu hoch oben, gut dann eben am Hosenbund, zu packen, und ihn von seinem wimmernden Opfer wegzuzerren, doch Tiuri hat sich erstaunlich schnell wieder in der Gewalt. Sehr gut, lobt Borgil im Geiste. >Mach dich nicht lächerlich Mann!< Erwidert er gerade mit ziemlich bedrohlichem Gesichtsausdruck, aber auch recht gefasst und Borgil blinzelt. Das ist kein Lausebengel, der da steht und mit dem fetten Gjorgus spricht, auch kein Halbwüchsiger, der nur Flausen im Kopf hat, sondern ein Mann. Jung, zweifellos, und unerfahren, aber nichtsdestotrotz erwachsen. Oha. Borgil mustert den Wirt, den Tiuri gerade auf den nächst besten Hocker niederdrückt und ihn anherrscht: >Wer einmal im Totenreich war kommt nicht mehr zurück. Warum hast du gedacht ich wäre ein Toter? Sprichst du von dem Feuer?< Gjorgus zittert und schweigt und zittert noch mehr und es kostet Tiuri sichtlich seine ganze Selbstbeherrschung, dem Mann genug Zeit zu geben, sich erst einmal zu sammeln. >Feuer? Ja...der Brand, die Schmiede, sie ist abgebrannt, Evans Frau und du, nein der Junge, sind dabei gestorben. Die Hexe war schuld!<
Borgils dichte Brauen rutschen bedenklich weit auf seiner narbigen Stirn nach oben, während er Mund und Nase aufsperrt. Hexe? Welche Hexe? Tiuri scheint jedoch keineswegs erschüttert und von einem Geistesblitz kann auch nicht die Rede sein. Er will nur wissen, ob das alles wäre, was Gjorgus weiß, wo diese Schmiede früher gewesen wäre und wie man dort hinkäme. Gjorgus Schwabbelkinn beeilt sich auch hastig, ihnen eine Wegbeschreibung zu geben und es ist ihm anzusehen, dass er sie und vor allem den Geist Tiuri, liebend gern so schnell wie möglich wieder losgeworden wäre.


>Ihr seid nicht Tiuri der Sohn von Evan dem Schmied?< Ächzt der dicke Wirt schließlich, als er endet und schielt nun doch ein wenig fasziniert zu Tiuri hoch. Borgil hält den Atem an, ebenso wie Azra hinter ihm, doch Tiuri mustert Gjorgus nur kalt. >Ihr habt doch selbst gesagt der ist tot, wie kann ich’s dann sein?< Damit stapft Tiuri hinaus, erschüttert und wütend und sie bleiben für einen Moment mit dem nicht weniger erschütterten Wirt von Marsha's Schüssel zurück. Borgil schüttelt den Kopf, stiefelt hinter das klapprige Holzgestell, das sich Tresen schimpft, wühlt ein wenig herum, findet, was er sucht, entkorkt den Tonkrug und schüttet ein wenig von dessen Inhalt in einen schmuddeligen Becher (es ist der sauberste, den er finden kann). Dann kehrt er zu Gjorgus zurück, der immer noch auf seinem Stuhl sitzt, drückt ihm das Gefäß in die fleischige Patschehand und befiehlt: "Schlucken! Und dann richtet uns zwei Zimmer her. Wir sehen uns diese Schmiede an, von der Ihr gesprochen habt, dann kommen wir wieder. Ich will saubere Zimmer und ein ordentliches Essen, ist mir egal, wie Ihr das bewerkstelligt. Und jetzt bewegt Euch, Mann, Ihr habt zu tun und wir auch!" Damit überlassen sie Gjorgus seinem Schicksal und eilen zu Tiuri, der draußen umherläuft wie eine Schattenkatze im Käfig. "Junge," beginnt Borgil sanft, so sanft wie es ihm nur möglich ist. "Tiuri." Er muss ihn ein paar Mal anrufen, ehe er reagiert und hilflos mit den Schultern zuckt. "Ich weiß, ich weiß." Borgil ist mit zwei Schritten bei ihm, Azra eilt an seine andere Seite. "Wir finden heraus, was passiert ist. Komm schon, fahren wir zu dieser Schmiede und sehen sie uns an, vielleicht kannst du dich dort an irgendetwas erinnern. Eins steht mal fest, das hier ist das Dorf, aus dem du kommst. Tiuri, der Sohn von Evan, dem Schmied... das bist du."

Titel: Re: Sûrmera
Beitrag von Azra am 13. Mai 2007, 14:52 Uhr
Borgil steht vor ihr, wie ein Fels in der Brandung, und das ganze seltsame Getue prallt an ihm ab, als wäre es nur heisse Luft. Nicht aber an Azra, der selbst die beruhigenden Worte und Gesten ihres Mannes nicht helfen können, ganz im Gegenteil.
>WAS?!< Azra zuckt mit einem leisen Quietschen zusammen und starrt aus weit aufgerissenen, mit Beklemmung und Unglauben gefüllten Augen zu Tiuri auf, der mittlerweile dicht vor dem dicken Wirt steht, einem Stier kurz vor einem Zornausbruch erschreckend ähnlich. Tiuri sieht unleugbar wütend aus. Sehr wütend und sehr gross und fürchterlich erwachsen. Ein kalter, feiner Schauer rieselt ihr den Rücken hinab, als ihr schlagartig bewusst wird, dass dort vor ihr nicht mehr Tiuri Chaoskind und Waffenkammerzerstörer steht, sondern ein Mann, dem man besser zuhört. Sicherlich. Äusserlich hat er sich in den letzten Monden sehr verändert, das ist Azra nicht entgangen. Er ist noch ein kleines Stück gewachsen, seine Schultern sind breiter geworden, unter der gebräunten Haut spannen sich seit Beginn seines Trainings mit Borgil die Muskeln, der Glanz seiner Augen ist härter geworden und um sein Kinn hat sich der Schatten eines Bartes gelegt, aber dass er sich innerlich so verändert hat, erscheint ihr… unwirklich. Und diese Erkenntnis kommt vollkommen ungelegen. So schon mit göttlichen Stimmungsschwankungen gesegnet steigen ihr die Tränen in die Augen aufgrund der spannungsgeladenen Luft und als Borgil dann auch noch an Tiuris Seite eilt, weg von ihr, löst sich ihre fragile Beherrschung in Nichts auf. „Borgil“, haucht sie so leise, dass es in Tiuris erneutem Zorngebrüll untergeht und ohne noch einen Herzschlag länger zuzusehen, macht Azra auf dem Absatz kehrt und flüchtet in Richtung Türe. Doch das garstige Holz gibt keinen Sekhelrin nach, als sie den Knauf mit einer Hand umschlingt und daran zerrt. Der Verzweiflung nahe rüttelt sie so lange dran bis es aufgibt, und stürzt dann regelrecht ins Freie, nach Luft schnappend. Leider bleibt sie kaum zwei Augenblicke allein, dann folgt schon ein aufgebrachter Tiuri und kurz darauf ein mies gelaunter Borgil, der sich sofort an die Aufgabe macht, den Jungen zu beruhigen. "Wir finden heraus, was passiert ist. Komm schon, fahren wir zu dieser Schmiede und sehen sie uns an, vielleicht kannst du dich dort an irgendetwas erinnern. Eins steht mal fest, das hier ist das Dorf, aus dem du kommst. Tiuri, der Sohn von Evan, dem Schmied... das bist du."

Borgil meint es sicherlich nur gut und Azra versucht aufmunternd zu lächeln, doch Tiuri ist noch immer weit davon entfernt sich auch nur ansatzweise zu beruhigen, Evan hin oder her. Evan… ein hübscher Name, geht es Azra durch den Kopf und sie fragt sich, wem Tiuri wohl ähnlicher sieht. Seinem Vater, oder seiner Mutter. Schliesslich nickt Tiuri und sowohl er, als auch Borgil wollen sich schon in Richtung der alten Schmiede losmarschieren, als Azra zaghaft einwendet: „Ich möchte gerne hier bleiben und darauf achten, dass unsere Zimmer richtig hergerichtet werden.“ Es ist eine fadenscheinige Ausrede dafür keinen Sekhel weiter durch dieses Dorf laufen zu müssen, aber ebenso ist es ihr ein Anliegen Gjorgus auf die Finger zu schauen, um so für zumindest ein kleines bisschen Gemütlichkeit in diesem heruntergekommenen Schuppen zu sorgen. Borgil hält von ihrer Schnapsidee überhaupt nichts und grummelt ihr vor, das das viel zu gefährlich sei und er doch seine Frau und seinen Sohn nicht mutterseelenallein in so einem Loch inmitten von völlig durchgedrehten Urzeitmenschen herumsitzen lassen würde. „Aber… aber“, beginnt Azra mit wachsender Verzweiflung erneut, nickt dann aber kläglich: „Ja… ist gut.“ Borgil Barthaare kringeln sich empört in alle Richtungen, als ihn ihr schimmernder Rehblick trifft, von dem sie dieses eine Mal sogar nicht aus irgendwelchen unanständigen Hintergedanken heraus Gebrauch macht, sondern einfach weil sie sich überhaupt nicht mehr wohl fühlt und sich am liebsten in die nächste Ecke verkriechen würde.
Borgil gibt schlussendlich doch nach, jagt ihr aber das Versprechen ab das Zimmer nicht zu verlassen und am besten mit keinem von diesen Hinterwäldlern, ausser dem Wirt, zu sprechen… und zudem ganz laut zu schreien, solle etwas nicht stimmen. Dankbar nickt sie, küsst ihren Gatten sanft, aber lang und umarmt Tiuri dann kurzzeitig. „Denk dran“, flüstert sie leise, als sein Kopf gerade einmal nicht in luftiger Höhe schwebt: „Wenn du hier nichts findest: Wir sind immer für dich da.“

Als sie in den Schankraum zurückkehrt, der von den letzten, goldroten Sonnenstrahlen des Tages in düstere Schatten getaucht wird, sind die beiden Männer an der Theke verschwunden und nur lautes Gerumpel verrät, wo in diesem staubigen Dämmerlicht sich ungefähr eine Türe, oder eine Treppe befinden könnte. Ängstlich blinzelt Azra in die Runde, schüttelt beim Anblick der fast schon modernden Holztische den Kopf und kriegt einen Schreck, als zu ihren Füssen eine Ratte hindurch huscht. Götter seid uns gnädig! Mit leicht zusammengekniffenen Augen tastet Azra sich langsam durch dieses mittlere Chaos zur Theke vor, auf welcher noch immer die ungeputzten Humpen stehen und darauf warten endlich wieder einmal gefüllt zu werden. Das letzte Mal scheint Jahre her zu sein, der Staubschicht, die sich fröhlich auf dem Krugboden auftürmt, nach zu urteilen und in Azra wächst mehr und mehr der Entschluss ihre Familie nicht, unter keinen Umständen, niemals in dieser Hölle wohnen zu lassen. Entschlossen wischt sie Unwohlsein und sämtliche Bedenken beiseite, schiebt Brenainn höher auf die Hüfte und zupft ihr Haar aus seinen Fingern. „Mapa Hungäää“, tönt es sofort und schicksalsergeben macht Azra sich auf die Suche nach dem Raum, der am meisten der Küche ähnelt. Dort findet sie auch Gjorgus, der gerade versucht einen Tisch so sauber zu putzen, dass sich nicht mehr irgendwelches Kleingetier darauf in den Überresten suhlt. „Entschuldigt.“ Obwohl Azras Wispern kaum laut genug ist, um das Schaben des trockenen Lappen zu übertönen, zuckt der schwergewichtige Wirt zusammen. Er ist noch immer kreidebleich, hat sich aber so weit gefangen, dass er nicht sofort zurückweicht und bringt immerhin sogar ein: „J… Ja?“, hervor, ohne die Götter anzurufen, oder jemanden als Geist zu bezeichnen. Nur ganz kurz späht Azra umher, leider zu lange, als dass sie das erschreckende Desaster nicht bemerken könnte und es kribbelt ihr in den Fingern sich Eimer und Besen zu schnappen und aus dieser Barbarenhöhle ein anständiges Gasthaus zu machen. Etwas Wasser, ein wenig Seife… vielleicht ein paar Ker… Nein! Denk nicht einmal drann. Sachte lässt sie Brenainn, der mittlerweile ungeduldig strampelt und lauthals verlangt: „Uuunten!“, auf den Boden, wo er auf seinen windelbepackten Hintern plumpst. Das entlockt dem Wirt doch glatt ein Lächeln und weckt Hoffnung in Azra, dass hier noch nicht Hopfen und Malz verloren ist. „Ich wollte fragen“, setzt sie an, überdenkt ihre Worte noch einmal und schiebt Borgils Bedingung, dass sie im Zimmer bleiben solle, dann mit dem Argument beiseite, dass es Brenainn nicht schaden würde, in einem sauberen Gasthaus zu schlafen. Zudem wäre sie von anderen Dingen abgelenkt. „Ob ich euch zur Hand gehen kann, was die Zimmer und das Essen anbelangt.“

Kurze Zeit später wuselt Azra mit hochgebundenem Haar, geschürzten Röcken, einem Eimer voller Wasser und einem Lappen in der Hand durch die Küche und verscheucht die Heerscharen von Spinnen, die sich in den Schränken, Schubladen und Ecken des Raumes eingenistet haben. „Du auch.“ Behutsam zupft sie ein besonders grosses und widerspenstiges Exemplar von dem Rand einer ungewaschenen Schüssel und beginnt anschliessend damit Herrin des Staubs zu werden. Obwohl die Nacht naht, hat sie die Fenster weit aufgerissen und dafür einige Kerzen aufgestellt, die warmes Licht spenden und dem ganzen die Düsterheit nehmen. Mittlerweile sieht die Küche auch wieder aus wie eine Küche. Das gewaschene Geschirr steht sauber in den Schränken, der Boden glänzt noch feucht, kein Körnchen Staub ist mehr zu finden und auf dem offenen Feuer brutzelt ein leckerer Eintopf, der eine ganze Zwergenarmee über den Winter bringen würde. Wenigstens kochen kann er, schmunzelt Azra und sieht Gjorgus dabei zu, wie er einige Gewürze in die Brühe streut und mit einer riesigen Holzkelle umrührt. Mittlerweile hat sie herausgefunden, dass er gar nicht so ein schlechter und dummer Kerl ist, wie man vielleicht hätte vermuten können. Viel eher plagt ihn die Langweile und weil ihm seine Frau über alle sieben Berge davon ist, hat er Tag ein, Tag aus nichts besseres zu tun, als sich um die vereinzelten Gäste zu kümmern, die sein Gasthaus aufsuchen, von denen sich zudem die meisten nur dummerweise in er Türe geirrt haben. Er hat drei erwachsene Kinder – soweit er weiss -, ein Enkelkind, sein Bruder lebt ebenfalls in Brig, er hat den Gasthof von der alten, verrückten Marsha übernommen und hat eigentlich seit seiner Kindheit nur Ritter werden wollen.
„Aber wie das halt so ist mit den Rüstungen, na?... Passen halt nicht alle rein“, brummelt er und schneidet ein Stück saftigen Braten in Scheiben: „Da hab ich halt angefangen zu kochen… und bin noch dicker geworden. Hier kleiner Mann.“ Er drückt Brenainn ein Stückchen Fleisch in die Finger und sieht vergnügt zu, wie der Kleine das Essen erst eingehend betrachtet und dann voller Hingabe anfängt daran herum zu kauen. Azra nickt nur stumm, schiebt sich eine weisse Locke hinters Ohr und schüttet den Rest an Schmutzwasser aus dem Fenster. Jetzt sind auch die Zimmer fertig, bei denen sie jedoch nichts gemacht hat, als ganz zum Schluss kurzzeitig frische Laken aufzulegen – die sie erst haargenau auf Flöhe und anderes Kleingetier untersucht hat – und mit einem nassen Lappen über den Boden zu wischen. Gjorgus hat sich sichtliche Mühe gegeben, dem Wunsch des Zwergen nachzukommen und fast verspürt Azra ein wenig Mitleid, da sie wohl für lange Zeit die einzigen Gäste sein werden, die ihm solche Freude  - oder in Tiuris Fall Schrecken – bereiten.

„Wisst ihr“, fängt er plötzlich wieder an zu brummeln und sieht sich verstohlen um, als würde er jeden Augenblick ein Attentat erwarten: „Das mit dem Jungen, ja, das war nicht unsere Schuld.“ Oh. Azra wird mulmig zumute und statt einer Antwort, nickt sie nur unmerklich, hoffend, damit keinen Fehler zu machen. Gjorgus kleine Augen hüpfen vor Aufregung fast im Kreis, als er sich die Hände an der Schürze abwischt und dann im Brustton der Überzeugung erklärt: „Die Hexe war schuld! Sie war schuld an dem Feuer und daran, dass Evans Frau und… ihr Bursche im Feuer umgekommen sind. Ich hab Evans Frau gekannt. Sie war nicht böse. Eine nette Frau, stets freundlich. Manchmal ist sie sogar zu mir gekommen und hat mir etwas von ihren Kräutern verkauft. Da schmeckte das Essen gleich zehnmal besser. Und einmal…“ Er verstummt so abrupt, dass Azra aufblicken muss. Seine hohe Stirn hat sich in tiefe, nachdenkliche Falten gelegt und sein ansehnliches Kinn zittert so fest, dass man Angst haben müsste, es falle ihm gleich ab. „Und einmal?“, hakt sie in sachtem Tonfall nach, Brenainns Händchen haltend und mit einem warmen Lächeln zu dem Wirt hochblickend. „Einmal“, fängt sich dieser zögerlich, gibt sich dann aber einen Ruck: „Einmal hat sie den Jungen dabei gehabt. Kräftiges Kerlchen. Schwarzes Haar, blaue Augen… er war sehr lebendig… Als das Feuer… schrecklich.“ Erneut bricht er ab und beginnt damit einen Laib Brot zu schneiden. Ein leises Seufzen erschüttert Azras Schultern, gerade als die Türe des Gasthauses unter lautem Geknarre aufgestossen wird und Borgils Bassstimme dringt ohne Mühe bis in die Küche vor. Mit einem glücklichen Lächeln schnappt sich Azra ihren Sohn und fällt Borgil ohne Umschweife in die Arme: „Ah, ihr kommt genau richtig!“

Titel: Re: Sûrmera
Beitrag von Tiuri am 13. Mai 2007, 17:47 Uhr
„Tiuri!“ Der Junge bemerkt erst als Borgil seine Stimme etwas erhebt, dass der Zwerg ihn ruft und hält ihn der Bewegung inne. Leicht verzweifelt sieht er Borgil an der so ruhig wie es mit dem tiefen Zwergenbass möglich ist auf Tiuri einspricht. Es dauert bis Tiuri verstanden hat was Borgil zu ihm sagt und schließlich atmet er einige Male tief durch um wieder einen klaren Kopf zu bekommen.
„Zur Schmiede gehen, ja, gut!“ murmelt er vor sich hin und denkt plötzlich er habe den Weg dorthin vergessen, bis ihm wieder einfällt, dass man nichts vergessen kann wenn man nur eine gerade Straße entlang gehen soll. „Gut“, sagt er, atmet noch einmal durch, bleibt endlich still stehen und hebt wenigstens einen Mundwinkel zu einem lächeln. „Tiuri, das bin ich! Evan ist mein Vater und wir gehen zur Schmiede! Jedenfalls zu dem was davon übrig geblieben ist nachdem sie scheinbar abgebrannt ist.“ Er spricht sehr ruhig und etwas langsamer als gewöhnlich und wartet dann anstatt wie üblich los zu rennen darauf, dass Borgil oder Azra den ersten Schritt nach vorne machen. Er braucht keine zehn Pferde die ihn zu der alten Schmiede schleifen, nur einen klitzekleinen Anstoß der ihm hilft seinen Mut wieder zu finden der ihm wohl in den letzten Augenblicken abhanden gekommen ist. Azra jedoch, mit einem Blick zu der Absteige hinter ihnen die sich Gasthaus schimpft, sagt, dass sie hier bleiben möchte. Borgil knurrt etwas unverständliches vor sich hin, denn es scheint ihm gar nicht wohl bei dem Gedanken zu sein seine Frau allein in diesem Loch zu lassen, aber schließlich lässt er sich von ihrem Blick allein um den Finger wickeln und nickt, gibt Azra noch einen Kuss und verpasst Tiuri dann doch den nötigen Anstoß um endlich in die Gänge zu kommen. Bevor sie los kommen wird auch Tiuri noch von Azra umarmt und er lächelt als sie ihm ins Ohr flüstert, dass sie für ihn da sind, egal was hier passiert.

Über die Hauptstraße, wenn man den kleinen schlammigen Weg so nennen kann, gehen sie zu Fuß und auch gemäßigten Schrittes, wie zwei Männer die wissen was sie wollen und die es auch zu bekommen gedenken. Die Dorfbewohner können es nicht lassen sie hinter spaltbreit geöffneten Türen zu beobachten. Ihre Ankunft hat sich schnell herum gesprochen und einige hört man hinter vorgehaltener Hand zetern über die Aufruhr die diese fremden ins Dorf bringen. Andere scheinen sich eindeutig an Tiuri zu erinnern und reagieren wie Gjorgus mit Angst als sie ihn erblicken. Scheinbar haben sie ihn tatsächlich alle für tot gehalten, aber etwas anderes verwundert Tiuri noch viel mehr und er spricht leise zu Borgil hinunter.
„Ich verstehe ja, dass sie sich fürchten wenn sie denken ich wäre ein Geist, aber sie müssen doch merken dass ich keiner bin. Gibt es keinen hier der sich freut einen tot geglaubten wieder zu sehen? Vielleicht war ich ein schlechter Kerl früher…“
Einige kleine Kinder die mit großen runden Augen die Rüstung des Zwerges begutachten möchten werden von ihren Müttern äußerst entschieden an den kleinen Händen gepackt und in eine andere Richtung gezerrt. Tatsächlich müssen sie beinahe bis zu den letzten Häusern des Dorfes gehen bis jemand sie anspricht. Es ist ein junges Mädchen, kein kleines Kind mehr aber doch einige Sonnenläufe jünger als Tiuri. Sie blinzelt hinter einer Häuserecke hervor und sieht sich immer wieder nach hinten um ob sie auch niemand beobachtet.
„Tiuri…Tiuri!“ flüstert sie eindringlich und reckt den Kopf ein Stück nach vorne. Sie lächelt kurz als Tiuri ein wenig erstaunt zu ihr herüber sieht.
„Bist du’s wirklich? Echt und lebendig?“ fragt sie und macht noch einen vorsichtigen Schritt auf die beiden zu. Ein kurzer sorgenvoller Blick schweift über Borgils Axt, aber schließlich laufen hier genügend Männer mit Äxten herum so dass sie den Anblick der Klingen gewohnt ist.
„Ja ich bin es!“ ist alles was Tiuri dazu einfällt und er geht ebenfalls etwas näher auf das Mädchen zu. Mit großen braunen Augen mustert sie Tiuri und schließlich taucht ein ehrliches Lächeln auf ihrem Gesicht auf.
>Ich kann es gar nicht glauben, du lebst und du bist hier. Wo kommst du her, wieso kommst du erst jetzt, wie hast du das Feuer überlebt, wieso dachten alle du wärst tot, wer sind deine Freunde, wie lange wirst du bleiben, bleibst du denn für immer, was hast du nur gemacht in den letzten Zwölfmonden, Himmel bist du groß geworden, hast du Kenor und Gawain in Sûrmera besucht, ist das dein Schwert, kannst du das benutzen, gehst du zur Schmiede, hast du den Stein gesehen den Kenor hingestellt hat, wohnst du in der Schüssel, wirst du die Schmiede wieder aufbauen, wie bist du dem Feuer nur entkommen?<
Sie stellt wirklich viele Fragen auf einmal und erst nach dem sie zum ersten Mal tief Luft holen muss um weiter zu sprechen bemerkt sie Tiuris verwunderten Blick. Sie bezieht es gar nicht darauf, dass er nicht weiß wovon sie spricht, sondern auf etwas ganz anderes.
>Du kennst mich nicht mehr, nicht wahr? Naja, nach so vielen Zwölfmonden kann man das wohl nicht erwarten, ich war noch ein Kind damals, erinnerst du dich denn gar nicht mehr ich bin’s….<
Ihre Erklärung wird jäh von einer schrillen Frauenstimme unterbrochen die scheinbar zu der Mutter des Mädchens gehört denn die Kleine zuckt erschrocken zusammen.
>SIRI!< Kreischt die Mutter und Siri dreht sich ertappt nach hinten um. >Komm sofort zurück ins Haus!< Mit einem entschuldigenden Blick sieht das Mädchen zu Tiuri nach oben, nickt Borgil freundlich lächelnd zu und verschwindet dann mit den Worten >Es tut mir leid, ich muss gehen!< hinter einer dicken Holztüre. Seufzend dreht sich Tiuri zu Borgil um und zuckt mit den Schultern.
„Keine Ahnung wer das wieder war. Und keiner hält hier auch nur so lange still dass man tatsächlich etwas fragen könnte!“
Sie überwinden die wenigen Schritt zum Flussufer und finden sich bald an dem Ort ein an dem einst die Schmiede gestanden hat. Die verbrannte Ruine haben die Dorfbewohner längst weg geräumt und so zeigt nur noch die einzelne Trauerweide dass hier einmal eine Schmiede gestanden hat. Tiuri wandert um den Baum herum, eine Hand auf dem Stamm entlang gleitend. Seit er in Brig angekommen ist hat er keine einzige richtige Erinnerung gehabt, kein Bild das ihm wie ein Blitz durch den Kopf schießt, aber jetzt steht er hier und die ganze Aufgebrachtheit ist wie weg gespült. Es ist so ein ruhiger angenehmer Ort und er hat Gefühl von „zuhause“, das er nicht beschreiben kann. Er erinnert sich auf den Baum geklettert zu sein und er findet an einem der Äste ohne lange danach zu suchen ein T und ein K in den Stamm geritzt. Er kann sich denken, dass das T für Tiuri steht, was aber das K bedeutet fällt ihm nicht ein. Vom Baum aus schließt er die Augen und folgt seinem Gefühl. Nach einigen Schritten bleibt er stehen und sagt: „Hier war der Eingang!“ Er öffnet die imaginäre Türe, geht über das weiche Gras das jetzt hier den Boden säumt und sieht sich um als könnte er noch die Holzwände um sich stehen sehen. Aber anstatt weiterer Erinnerungen findet er einen Stein im hohen Gras. Tiuri kniet davor nieder und fährt mit den Fingern die eingemeißelten Linien nach. Evan, Lavinja und Tiuri; steht darauf geschrieben und Tiuri macht einen Schritt zurück.
„Ich hab mein Grab gefunden!“ sagt er und zieht eine etwas angeekelte Grimasse. Natürlich liegt er hier nicht, das weiß Tiuri selbst und auch seine Mutter Lavinja liegt hier vermutlich nicht begraben. Der Stein ist erst angebracht worden nach dem die Schmiede abgebrannt ist, denn er liegt dort wo früher ungefähr die Mitte des Hauses war.
„Mitten in der Küche!“ stellt er fest und ist überrascht, dass er das einfach so weiß. „Dort war die Schlafkammer meiner Eltern und… da hab ich geschlafen!“ sagt er und deutet in der Leere herum. Er kann den Umriss des Hauses abgehen und er weiß, dass dahinter noch ein kleiner Schuppen gestanden hat. „Wir hatten zwei Pferde!“ sagt er stolz, weniger über die Pferde, als darüber, dass er das weiß.
„Zwei Pferde sind ganz schön teuer nicht wahr?“ fragt er Borgil verwundert. In Brig sieht kaum jemand so aus als könnte er sich auch nur ein einziges leisten und seine Familie soll gleich zwei besessen haben? „Wenn mein Vater ein Schmied war, wie konnte er sich bloß zwei Pferde leisten?“ Er wartet kaum eine Antwort auf die Frage ab sondern stürzt gleich wieder weiter.
„Genau hier hat die Esse gestanden!“ ruft er und hebt die rechte Hand. „Hier war der Hammer und da und dort und hier war….“ Er zählt einige Werkzeuge auf und schließlich seufzt er lächelnd. „Ich komme tatsächlich aus diesem seltsamen unfreundlichen Ort!“

Titel: Re: Sûrmera
Beitrag von Borgil am 13. Mai 2007, 21:45 Uhr
Gesagt, getan, sie gehen zur Schmiede. Der Weg dorthin zu Fuß ist allerdings der reinste Spießrutenlauf, wenn man sich denn aus schiefen Blicken, hastig geschlagenen Schutzrunen, feindseligen Mienen und gehässigem Getuschel, kaum das man vorüber gekommen ist, etwas macht. Borgil tut das nicht, trotzdem ist die Atmosphäre in Brig ungefähr so freundlich wie die in einem feindlichen Heerlager, das entgeht ihm natürlich keineswegs. Und Tiuri auch nicht. >Ich verstehe ja, dass sie sich fürchten wenn sie denken ich wäre ein Geist, aber sie müssen doch merken dass ich keiner bin. Gibt es keinen hier der sich freut einen tot geglaubten wieder zu sehen? Vielleicht war ich ein schlechter Kerl früher... <
"Ach, papperlapapp! Du darfst nicht vergessen, dass du hier nicht in Talyra oder Sûrmera bist. Nichts gegen dein äh... Brig, aber sieh dich doch um. Hier gibt es nichts, vermutlich noch nicht einmal einen Priester in einem Dorfschrein, der den Kindern das Lesen und Schreiben beibringen würde. Die Leute hier so weit im Hinterland sind alle furchtbar abergläubisch. Sie haben einfach nur Angst, weil sie es nicht verstehen. Und nun," fährt er sehr viel leiser fort. "du warst schließlich dort, nicht wahr? In der Schmiede. Während des Brandes, meine ich. Du trägst die Narben auf dem Körper, die es beweisen, Tiuri, und ich wette, damals ist etwas geschehen, dass du dein Gedächtnis verloren hast. Ich habe solche Geschichten schon von Kriegern gehört, die im Kampf übel am Kopf verwundet wurden oder durch eine Verletzung sehr viel Blut verloren hatten... sie können sich auch an nichts mehr erinnern, oft nicht einmal mehr an ihre Namen. Die Heiler haben irgendeine Bezeichnung dafür, aber frag mich nicht welchen, Amanesia oder so ähnlich." So quälen sie sich durch Brig und Borgil, dem das ganze Possenspiel doch allmählich zu bunt wird, setzt irgendwann eine so finstere Miene auf, dass es sogar verständlich ist, dass Mütter ihre Kinder hastig außer Reichweite bringen und Frauen wie Männer, die ihnen sonst noch über den Weg laufen, eilig das Weite suchen. Ganz am  Ende des Dorfes haben sie dann jedoch ausnahmsweise einmal Glück und begegnen anscheinend dem einzigen Menschen in dieser götterverfluchten Gegend, der ein bisschen Mumm in den Knochen hat - und es ist ausgerechnet ein halbwüchsiges Mädel. Schäm dich, Brig, oh, schäm dich! Die Kleine ist ein niedlicher Fratz, vielleicht zwölf oder dreizehn, sie weiß eine Menge und - oh Wunder! - sie scheint im Gegensatz zu allen anderen Dorfbewohnern auch gar nichts dabei zu finden, darüber zu reden... oder besser gesagt, den armen Tiuri mit einer Flut von Fragen zu bombardieren.

>Ich kann es gar nicht glauben, du lebst und du bist hier. Wo kommst du her, wieso kommst du erst jetzt, wie hast du das Feuer überlebt, wieso dachten alle du wärst tot, wer sind deine Freunde, wie lange wirst du bleiben, bleibst du denn für immer, was hast du nur gemacht in den letzten Zwölfmonden, Himmel bist du groß geworden, hast du Kenor und Gawain in Sûrmera besucht, ist das dein Schwert, kannst du das benutzen, gehst du zur Schmiede, hast du den Stein gesehen den Kenor hingestellt hat, wohnst du in der Schüssel, wirst du die Schmiede wieder aufbauen, wie bist du dem Feuer nur entkommen?< Borgil schwirrt schon nach den ersten drei Sätzen heillos der Kopf und Tiuri scheint es keinen Deut besser zu gehen, doch sie bekommen keine Gelegenheit, vielleicht auch einmal ein paar Antworten zu erhalten, denn kaum dass sie sich anschicken, ihrerseits ein paar Fragen zu stellen, wird das Mädchen schon fort gerufen und verschwindet in einem der Häuser. >Keine Ahnung wer das wieder war. Und keiner hält hier auch nur so lange still dass man tatsächlich etwas fragen könnte!<
"Byfandarryachyislinn," knurrt Borgil, gibt Tiuri damit erstmals Einblick in die geheimnisvolle Welt des Zardakh und spart sich jede Übersetzung, denn die macht sein völlig entnervter Tonfall mehr als überflüssig. "Verdammter Scheissendreck" ist in jeder Sprache Rohas unmissverständlich. Allen Göttern sei Dank ist es von hier aus nicht mehr weit, und auch wenn selbst von den rußgeschwärzten Grundmauern der ehemaligen Schmiede Brigs nichts mehr steht, so ist doch noch deutlich zu erkennen, wo einst die Gebäude standen, hier und da ragt noch ein steinernes Fundament aus dem Gras oder ein Stück zersplitterten Pflasters. Tiuri wandert umher, schreitet einen imaginären Hof unweit der alten Trauerweide ab, dreht sich ein paar Mal im Kreis und sieht sich um. Er ist merkwürdig still geworden und sehr ruhig, und Borgil kann sehen, dass etwas in ihm vorgeht. "Kannst du dich denn... an irgendetwas erinnern?" Erkundigt er sich irgendwann vorsichtig, doch Tiuri schüttelt nur den Kopf, nickt aber gleich darauf und verneint wieder, ehe er leicht mit den Schultern zuckt. Er fühle etwas, meint er dann nur, schließt die Augen und macht entschlossen ein paar Schritte. >Hier war der Eingang!< Platzt er dann plötzlich heraus und Borgil schickt im Stillen ein Stoßgebet an Sil und sämtliche seiner Archonen. Er ist tatsächlich Tiuri, Sohn von Evan dem Schmied und stammt aus Brig, und trotz der Tatsache, dass es mehr Fragen als Antworten gibt, sie haben sein ehemaliges Zuhause gefunden, den Ort, aus dem er stammt.

Tiuri öffnet eine Tür, die gar nicht da ist, als wäre er einer dieser pantomimischen Schausteller, tritt ein, läuft ein paar Schritte und blickt sich um. Irgendetwas entdeckt er dort, aber erst, als er halb entsetzt, halb empört ruft, er hätte sein Grab gefunden, erkennt Borgil, was es ist - ein flacher Stein im hohen Gras. Der Zwerg stapft zu ihm hinüber und sieht sich seinen Fund an, während Tiuri sich schon wieder fassungslos um sich selbst dreht und etwas von Küche und Schlafkammern murmelt. Der Grabstein ist sehr schlicht, fast grob und nicht sehr groß. Borgil blickt auf ihn hinunter und schüttelt den Kopf. Im Grunde ist das graue Felsstück nicht mehr als ein roh behauener Klotz, nur notdürftig geglättet und selbst die Buchstaben der Namen sind einfach, schmucklos und nicht einmal besonders gerade in den Stein geschnitten... und trotzdem hat er etwas seltsam Eindrucksvolles an sich. Borgil streckt die schwielige Hand aus und berührt die raue Oberfläche. Hast du den Stein gesehen den Kenor hingestellt hat? Die Worte des Mädchens noch im Ohr, fällt es ihm wie Schuppen von den Augen. Wer immer dieser Kenor war - und ein Steinmetz war er nicht - er hatte den Stein selbst gemacht, mit seinen eigenen Händen. "Ich passe gut auf ihn auf," murmelt er so leise, dass nur der Wind und die Weide und der kühle, raue Stein ihn hören können. "Versprochen."
>Zwei Pferde sind ganz schön teuer nicht wahr?<
"Hm? Entschuldige, Junge, was hast du gesagt?"
>Wenn mein Vater ein Schmied war, wie konnte er sich bloß zwei Pferde leisten?<
Borgil hat keine Antwort für Tiuri, aber der junge Mann scheint auch überhaupt keine Zeit für die genauere Ergründung solcher Dinge zu haben, jedenfalls im Augenblick nicht.  >Genau hier hat die Esse gestanden!< verkündet er triumphierend. >Hier war der Hammer und da und dort und hier war...< Auch wenn Tiuri sich nicht konkret an seine Eltern oder vielleicht andere Verwandte erinnern zu können scheint, die ehemalige Schmiede hätte er blind aus dem Gedächtnis zeichnen können.> Ich komme tatsächlich aus diesem seltsamen unfreundlichen Ort!<
Borgil nickt nur, die Hand immer noch auf dem Grabstein.

Es wird schon dunkel, als sie die Schmiede - oder das wenige, was von ihren Ruinen noch übrig ist -, wieder verlassen und zu Marsha's Schüssel zurückkehren. Auf dem Weg zum Gasthaus sind sie beide schweigsam und in sich gekehrt und auf den Straßen begegnet ihnen keine Menschenseele mehr. "Hier klappt man wirklich mit dem Sonnenuntergang die Rinnsteine hoch... äh, ich meine, man würde, wenn es denn welche gäbe," murmelt Borgil irgendwann und merkt gar nicht, dass er einen Gedanken laut ausspricht. Die Häuser sind dunkel, nur hier und da schimmert durch eine dünne Lederhaut oder die Ritzen von Fenster- und Türläden noch der Schein einer Kerze oder Talglampe und es ist sehr still. Marsha's Schüssel allerdings wirkt gegen den nachtdunklen Rest von Brig im Schein von einem guten Dutzend Kerzen und Laternen geradezu illuminiert. Borgil und Tiuri, die keine Ahnung haben, was vor sich geht, aber schon das Schlimmste befürchten - und das Schlimmste wäre in diesem Fall eine aufgebrachte Versammlung abergläubischer Dorfbewohner - stürzen in das klapprige Gasthaus, bleiben aber schon nach einem halben Schritt in den Schankraum wie angewurzelt stehen und trauen ihren Augen kaum. "Wir haben uns im Haus geirrt," ist das erste, das Borgil lakonisch von sich gibt, während er ungläubig im Raum umherblinzelt. Die Bodenbretter sind geschrubbt, die wenigen Tische und Stühle auf Hochglanz poliert, die Fenster sauber, der Tresen glänzt ebenso wie das irdene Geschirr dahinter, und es duftet nach Jelängerjelieber, Waldmeister und Kräutern... und Eintopf, wie seine Nase nach einem weiteren Moment des schieren Unglaubens erschnuppert. "Nein, haben wir nicht," korrigiert er sich dann selbst, als ihm dämmert, was hier geschehen ist. "Oh Madame Blutaxt, wenn ich dich in die Finger bekomme..." Es geht ihr nicht gut, warum auch immer diese Reise sie so anstrengt, er ist nicht blind. Aber da war sie hier geblieben, um sich auszuruhen und er hatte ihr aufgetragen, im Zimmer zu bleiben, und was tut sein närrisches kleines Frauenzimmer? Sich stundenlang abrackern um wildfremde Häuser zu putzen! Sie finden sowohl den Wirt, als auch Azra und Brenainn in der - selbstredend ebenso blinkenden - Küche von Marsha's Schüssel und seine Frau klebt auch augenblicklich an ihm, kaum dass Borgil den Raum betreten hat. Vergessen sind alle Standpauken. "Herrje, Mädel, wir waren doch kein Jahr fort," brummt er und klopft ihr zärtlich den Rücken. Er nimmt ihr den Jungen ab und sie kehren alle vier in den Gastraum zurück, wo Gjorgus ihnen - leicht erstaunt, wie sauber sein Geschirr ist - rasch einen Tisch hergerichtet hat, irgendwo her sogar ein kleines Fass trinkbares Bier auftreibt und ihnen dann den Eintopf und Brot bringt. Borgil erzählt Azra mit wenigen, knappen Worten, was sie gesehen und gefunden hatten und Tiuri, noch immer ganz gefangen von seinen Gefühlen und den wenigen Erinnerungen, steuert nur gelegentlich Dinge bei, die ihm eingefallen sind, wie etwa der Grundriss des Hauses, die Pferde und ähnliches.

Es brennt Borgil auf der Zunge, nach diesem Kenor und Gawain zu fragen, doch es ist klar, dass Tiuri noch viel zu sehr mit dem Erlebten beschäftigt ist, als dass er sich auf noch mehr besinnen könnte, also lässt er es für heute Abend gut sein und schickt den Jungen... nein, den jungen Mann, verbessert er sich... schlafen. Azra und er selbst sitzen noch eine Weile in der Schankstube, doch Gjorgus, rechtschaffen erschöpft von den Ereignissen, lässt sich leider nicht mehr blicken, so dass Borgil den fetten Wirt nicht über den Brand und diese ominöse Hexe ausquetschen kann, so wie er es liebend gern getan hätte. Stattdessen schimpft er leise und zärtlich mit Azra, die halb an seiner Schulter schläft, was ihr eigentlich einfalle, diese ganze Bruchbude zu wienern, doch sie gibt nur noch sehr einsilbige Antworten wie etwa "Dreck... kann ich nicht ausstehen... überall... soviel... Dreck... Staub... Spinnen... Ratten... alle weg. Der ganze Dreck. Weg der Dreck... weg... Dreck... das ist schön." Brenainn auf ihrem Schoß hat sich längst zu einer schnarchenden kleinen Kugel zusammengerollt und so hebt Borgil kurzerhand beide auf seine Arme und trägt dieses Fliegengewicht von Frau in ihr Zimmer nach oben. Die halb morschen Treppenstufen knirschen so laut unter seinen Stiefeln, dass er schon fürchtet, jeden Moment mitsamt Azra und seinem Sohn einzubrechen und womöglich noch durch den Fußboden in den Keller (falls vorhanden) zu rauschen, doch sie halten wider Erwarten. Natürlich hat Azra auch die Zimmer geputzt, den schummrigen Gang, die Fenster im ersten Stock und die Treppe. Selbst das Stroh der Matratzen ist frisch und die Laken blütenweiß, wie immer sie das alles in der kurzen Zeit nur geschafft haben mag. "Dir gehört der Hintern versohlt, weißt du das?" Grollt er leise, als er sie auf die Füße stellt, ihr Brenainn aus den Armen nimmt und den Kleinen auf sein Reisebett - eine kleine, feste Rosshaarmatratze, die den ganzen Weg von Talyra mit ihnen gekommen ist, legt. Mit einer Hand deckt er seinen Sohn zu, mit der anderen sorgt er dafür, dass Azra nicht einfach umkippt wo sie gerade steht. "Herrje, du kannst die Augen ja kaum noch offen halten! Ins Bett mit dir, aber sofort."

Titel: Re: Sûrmera
Beitrag von Azra am 05. Juni 2007, 21:01 Uhr
"Herrje, du kannst die Augen ja kaum noch offen halten! Ins Bett mit dir, aber sofort." Empört rümpft sie die Nase und wankt schlaftrunken in Richtung der –natürlich ebenfalls sauber gewienerten – Kommode, wo eine glänzende, neue Schale und ein Krug voller frischem Wasser stehen. „Bin gar nicht müde“, nuschelt sie, giesst ein wenig des kühlen Nass’ in das Gefäss und taucht kurzerhand einfach ihr Gesicht hinein, um gleich darauf prustend den Kopf in den Nacken zu werfen. Ein Kichern unterdrückend, weil Borgil hinter ihr einen ganzen Nieselregen feiner Regentropfen abbekommt, schält sie sich mit brennenden Knochen – das Putzen war doch recht anstrengend – aus ihren Kleidern und streift das dicke, wollene Nachtgewand über, denn trotz allem ist ihr in der Nacht immer erbärmlich kalt, eiserner Zwerg neben sich hin oder her. Sorgfältig öffnet sie ihren Zopf und bürstet ihr Haar so lange, bis es ihr in weichen, silbrig schimmernden Locken den Rücken hinab fällt. Es ist verblüffend lang geworden und fast ein wenig verdutzt betrachtet sie eine einzelne Strähne, zurückdenkend an eine Zeit, als sie sich ihr Haar gerade mal hinter ihre spitzen Ohren hatte klemmen können. Das war, als ich nach Talyra kam. Als ich… Energisch unterbricht sie den melancholischen Gedankengang, schiebt sie die aufkommenden Erinnerungen beiseite und schüttelt den Kopf. Nein. Nicht hier. Und ganz bestimmt nicht JETZT. Dabei linst sie von der ruhig dastehenden Waschschüssel zu Borgil und wieder zurück, schlendert dann in vollkommener Unschuld zur Kommode und bespritzt ihren armen Zwergen, der sich gerade das Hemd über den Kopf zieht, im nächsten Augenblick mit Handladungen voller Wasser. „Ha. Das! Und das und das!“ Borgil braucht weniger als drei Sekunden um zu verstehen und schon muss sie Reissaus nehmen, als es in ihres Gatten Augen hinterlistig zu funkeln beginnt. Mit einem kümmerlichen und äusserst feigen: „Ohoh“, auf den Lippen bewaffnet sie sich in aller Eile mit einem Kissen vom Bett und kann gerade noch ausholen, bevor er sie erreicht. „Ahhh… nein! Zurück!“, quietscht sie gespielt entsetzt und schlüpft – die anfängliche Müdigkeit ist wie weggeblasen – unter seinen Armen hindurch, um ihm dann heldenhaft mit dem weichen Kissen einen Schlag in den Rücken zu versetzen, den Borgil wahrscheinlicht nicht einmal spürt. „Nimm dies, du Schurke!“, giggelt sie und tänzelt baren Fusses um ihn herum, die Waffe drohend über ihrem Kopf schwingend. „Na los, ergib dich, oder...“ Sie kann den Satz nicht beenden, denn bevor sie sich versieht, landet sie rücklings in den Laken, über sich einen durch und durch tropfenden Zwergenbart. „Ibääääääh“, quäkt sie kleinlaut und versucht unter diesem feuchten Schwamm hervorzukraxeln, was Borgil mit einer Hand zu verhindern weiss. Dann eben anders, schiesst es ihr grössenwahnsinnig durch den Kopf. Mit einer resignierenden Geste schwenkt sie eine nicht vorhandene Weisse Friedensflagge und tut so, als ob ihr das Ganze zu viel würde, nur um, kaum das Borgil ein wenig von ihr fort gerückt ist, in die Höhe zu schiessen und ihm einen zärtlichen, aber nicht minder innigen Kuss zu geben. „Nichts schlafen. Schlafen.“

Titel: Re: Sûrmera
Beitrag von Tiuri am 13. Juni 2007, 09:24 Uhr
Sie sind alle todmüde gewesen und Tiuri ist sofort nach ihrer Ankunft in „Marshas Schüssel“ in sein Bett gefallen. Welches überraschend sauber war, wie eigentlich die gesamte Gaststube. Azra und Gjorgus müssen ganz schön gerackert haben während wir fort waren. Doch auch wenn Tiuri sofort die Augen zu fallen, Schlaf findet er in dieser Nacht kaum. Schon nach kurzer Zeit weckt ihn der erste Albtraum. Seit er in der Harfe lebt sind diese Träume kontinuierlich besser geworden, in Nemur hatte er sich sogar damit abgefunden neben Borgil in einer Schmiede zu arbeiten, ohne dabei jede Nacht von seiner Angst vor Feuer wach gehalten zu werden und jetzt liegt er hier und kann kaum in die Dunkelheit sehen ohne sofort Flammen vor sich hochschlagen zu sehen. Zum ersten Mal sieht er alles ganz genau, das Haus, seine Mutter, verschlossene Türen, brennende Zimmer und diese Flammen die sie unbarmherzig einschließen. Er muss wieder und wieder in dieser Nacht zu sehen wie das Feuer sich einen Weg durch das kleine Haus bahnt, erst seine Mutter erreicht und er muss hören wie sie schreit und dann auf ihn zu kommt. Er sieht sich in seinem Traum um, sein Mund ist vor Angst verschlossen, auch als seine Kleidung Feuer fängt und er panisch gegen eines der ebenfalls verschlossenen Fenster rennt. Das Holz ist morsch und gibt schnell nach, er taumelt zurück, sucht nach seiner Mutter, findet sie nicht mehr und springt.

Als er zum fünften Mal in diese Nacht an genau dieser Stelle erwacht und nur noch weiß, aber nicht mehr sieht, wie er danach in den Fluss fällt. Schließlich hält ihn nichts mehr auf dieser verfluchten Matratze und er geht in den Schankraum hinunter. Tastend findet er schließlich die Türe zur Küche wo eine kleine Öllampe steht vor die er sich setzt. Eigentlich ist es das Feuer vor dem er sich fürchtet, aber die Dunkelheit kann Tiuri gerade noch weniger ertragen. Du bist wie ein kleines Kind Tiuri, eine richtige Heulsuse! wirft er sich selbst vor und bleibt dennoch vor der kleinen Lichtquelle sitzen.
Es graut noch nicht einmal der Morgen als Gjorgus, der ebenfalls aussieht als hätte er nicht viel Schlaf bekommen mit diesen unliebsamen Gästen in seinem Haus, die Treppen nach unten in die Küche kommt. Er erschrickt heftig als er gerade Tiuri dort unten sitzen sieht, mit finsterem Gesichtsausdruck und Schatten die darüber hinweg flackern.
„Guten Morgen, der Herr!“ bringt er also etwas stotternd hinaus, nickt mit dem Kopf und sucht dann den weitesten Weg um Tiuri herum wie nur irgendwie möglich. „Kann ich Euch etwas bringen?“
Erst schüttelt Tiuri nur den Kopf, doch als er sieht wie nervös Gjorgus immer noch aussieht, fügt er noch ein: „Nein, dank!“ hinzu. Der Wirt entspannt sich langsam und beginnt damit, nach dem er mehr Licht gemacht hat, seine Küche herzurichten um ein Frühstück bereit zu haben wenn Herr und Frau Blutaxt nach unten kommen sollten. Auch Tiuri beruhigt sich ein wenig durch die bekannten Geräusche von klappernden Tellern und Töpfen. Es entgeht dem jungen Mann nicht, dass der Wirt wieder erschrocken zusammen fährt als Tiuri zu sprechen beginnt.
„Es tut mir leid, dass ich gestern so ruppig zu Euch war!“ sagt er, denn die rüde Behandlung von gestern Abend hatte der Wirt tatsächlich nicht verdient gehabt. Gjorgus nickt und eine Zeit lang sprechen sie gar nichts, außer „Tee?“ „Ja bitte!“. Während Tiuri an seinem heißen Tee schlürft nimmt er sich schließlich ein Herz und spricht Gjorgus noch einmal auf die Schmiede und diese seltsame Hexe an.
„Ihr habt gestern etwas von einer Hexe gesagt, was habt ihr gemeint?“ fragt Tiuri, nicht gerade um den heißen Brei herum.
Gjorgus stellt die Pfanne die er in der Hand hält etwas umständlich ab, rückt dabei ein paar zurecht gelegte Eier zur Seite und rückt erst nach einiger Zeit mit der Sprache heraus. Scheinbar ist er noch nicht von Tiuris neuer Ruhe überzeugt und schon gar nicht von der Tatsache, dass Tiuri nicht Tiuri sein soll und von dessen Gedächtnisverlust weiß er schon gar nichts.
„Also in der Schmiede, damals, die Familie die dort gelebt hat, hat sich mit dem Bösen eingelassen. Sie haben dort ein Hexenkind aufgenommen und Hexenkinder werden selbst zu Hexen, jeder Mann weiß das.“ Abwartend sieht er Tiuri an, als ob er erwarten würde, dass dieser in jeden Moment anbrüllen und einer Lüge bezichtigen würde, doch nichts dergleichen passiert. Ruhig wartet Tiuri ab was der Wirt sonst noch zu sagen hat. An eine Hexe hat er sich bis jetzt wirklich gar nicht erinnert und er ist nach wie vor etwas überrascht über die Entwicklung der Geschichte.
„Also eine Hexe und ein Hexenkind…“, murmelt Tiuri schlicht. „Und woher wusstet Ihr, dass die Hexe eine Hexe war, oder das Hexenkind eines?“
„Also die Mutter, dieses elende Weib, ist eines Tages mit Sack und Pack angerauscht und hat sich hier nieder gelassen. Schwanger, aber keinen Mann an ihrer Seite und hat etwas von Magie gefaselt und all dieses finstere Zeug. Da wussten wir es sofort. Als dann auch noch ein Sturm ganz Brig heimgesucht hat und alles verwüstet wurde, außer ihrem Haus, gab es keinen Zweifel mehr. Sie starb dann, den Göttern sei Dank, bei der Geburt des Kindes.“

Tiuri rollt leicht mit den Augen, sagt aber nicht, dass er es äußerst seltsam findet jemanden wegen solchen Kleinigkeiten abzustempeln und sich den Tod der Person zu wünschen.
„Und das Kind?“

„Ja, das Kind hat Lavinja die Hebamme war, aufgenommen. Sie hatte schon zwei eigene Söhne und sie und Evan, ihr Mann, waren gute Leute, wirklich gute anständige Leute. Aber dieses elende Hexenkind, spitzohrig noch dazu. Aber wir haben ja den Mund gehalten, bis es passiert ist. Evan hat das Mädchen und seinen Sohn, mit dem ich Euch, verzeiht noch einmal, verwechselt habe, das Schmiedehandwerk gelehrt. Der Junge, Tiuri, war ein guter Schmied, wie sein Vater, während das Mädchen sehr unheimlich war. Sie hat jedes Pferd, egal wie wild und störrisch, mit nur einem Blick beruhigt und beschlagen. Immer gute Arbeit geleistet, da konnten wir uns nicht beschweren, aber sehr unheimlich, wenn Ihr versteht was ich meine. Einmal hat sie das Pferd eines Mannes der ihrem Vater nicht den Lohn zahlen wollte, nicht weiter gehen lassen. Hat es einfach verhext, da war alles klar. Nicht wenig später ist ihr Vater einfach umgefallen und war tot und die Hexe hat die Schmiede übernommen. Da frage ich Euch, welcher gesunde Mann fällt einfach um und ist tot? Umgebracht hat sie ihn die Hexe. Dann ist sie verschwunden, aber vorher hat sie noch das Haus verhext. Es war nicht mehr zu löschen als es Feuer gefangen hatte.“ Gjorgus schnauft etwas als er mit seiner Rede zum Ende kommt und wischt sich mit dem Ärmel über die Stirn. Tiuri nickt vor sich hin und denkt über das gerade gehörte gut nach. Gjorgus ist eindeutig ein einfältiger Mann und das lässt Tiuri stark an dessen Geschichte zweifeln, besonders an der Hexe. Denn einen guten Schmied zu verurteilen weil er ein guter Schmied ist, oder ein Händchen für Pferde hat, oder weil der Vater, sein Vater, einfach tot umgefallen ist, ist doch etwas übereilt.

„Ihr habt erwähnt, dass es noch zwei ältere Söhne gab, sind die… sind sie auch bei dem Feuer umgekommen?“ Während Gjorgus die Geschichte erzählt hat, ist Tiuri viel zu sehr damit beschäftigt gewesen sich zu wundern, aber jetzt regt sich eine kleine Hoffnung in ihm, dass er vielleicht noch etwas Familie hat, richtige blutsverwandte, die mehr über ihn sagen können als: Guter Junge!
„Nein, die waren schon vorher weg, seltsame Jungs, sind nach Sûrmera in den Brantempel gegangen. Soweit ich weiß sind sie da noch!“ Gjorgus Stimme ist leiser geworden und klingt etwas unsicher und wage, als hätte er diese Information gerade eigentlich nicht geben wollen, aber als hätte ihm sein Anstand befohlen es doch zu tun.
Tiuri wäre am liebsten aufgesprungen um Borgil und Azra zu wecken und sofort zurück nach Sûrmera zu fahren, aber das hat natürlich auch noch Zeit bis die beiden wach sind. Draußen hört man die ersten Vögel singen und Shenrahs Strahlen dringen durch das Küchenfenster.
„Der Junge, Tiuri, wie war er so?“ fragt Tiuri und versucht dabei ganz locker und entspannt zu klingen.
„Guter Junge“, antwortet Gjorgus und Tiuri muss ein genervtes Grunzgeräusch unterdrücken. „Sonst nichts?“
„Guter Schmied, hat zu viel an dem Hexenkind geklebt. Lavinja und Evan haben ihm nie gesagt, dass das nicht seine richtige Schwester ist. Uns hat er’s ja nicht geglaubt. Hat nie Ärger gemacht, geholfen wo’s notwendig war. Ein bisschen viel geredet und gelacht vielleicht, die Kinder im Dorf mochten ihn alle, wenn da nicht immer die Hexe in seiner Nähe gewesen wäre. Na ja, ein paar Streiche so als junger Bengel hat er schon angestellt, aber nichts was nicht jedes Kind täte.“
Das ist alles was Gjorgus dazu zu sagen hat und es ist wenigstens ein bisschen was, wenn auch keine detaillierte Charakterbeschreibung des jungen Tiuri. In dem Moment kommen Borgil und Azra, den putzmunteren Brenainn am Arm, die Treppe hinunter, angekündigt von dem knirschenden Geräusch morschen Holzes.
„Danke!“ ruft Tiuri und springt aus der Küche um Borgil noch im Schankraum abzupassen. Der Zwerg sieht etwas erstaunt zu ihm hoch als Tiuri wie ein wild gewordenes Riesenhuhn aus der Küche springt und in einem irren Tempo zu reden anfängt.
Weder Azra noch Borgil, verstehen ein Wort von dem was Tiuri gerade vor sich hin gehaspelt hat und halten ihn dazu an, es doch noch einmal und diesmal eventuell etwas langsamer zu versuchen.
„Gut!“ Tiuri atmet einmal tief durch, streicht sich die Haare aus dem Gesicht und setzt noch einmal an. „Ich habe eben etwas mit Gjorgus geredet und er ist strohdumm, aber er weiß zum Glück doch ein wenig mehr als es den Anschein gehabt hat. Die Hexe, keine Ahnung ob sie wirklich eine Hexe war, hat bei mei… der Familie gelebt, haben sie aufgenommen wie ihr Kind und Ti… also ich, habe wohl immer gedacht sie wäre meine Schwester. Was sie nicht war, sie war wohl ein Spitzohr und ihre Mutter hat wohl den Fehler gemacht ihr Haus an die richtige Stelle im Ort zu setzen und einmal das Wort Magie zu benutzen. Jedenfalls die Hexe, ist das Kind einer angeblichen Hexe, egal, Gjorgus glaubt die Hexe ist Schuld an dem Feuer und an dem Tod des Vaters. Das hilft uns aber nicht viel, weil sie ist verschwunden, aber Gjorgus hat erzählt, dass Tiuri, verflucht, ich zwei Brüder in Sûrmera habe und das heißt, wir müssen zurück!“
Gegen Ende ist er wieder verflucht schnell geworden und hat Arme und Beine geschlenkert als ginge es um sein Leben, aber jetzt sieht er Borgil nur erwartungsvoll an, als hoffe er, dass der Zwerg sofort das Zeichen zum Aufbruch geben würde.

Titel: Re: Sûrmera
Beitrag von Borgil am 31. Juli 2007, 23:38 Uhr
Als Azra sich nach und nach mühsam aus ihren Kleidern pellt, ihr Nachtgewand überstreift und dann mit langsamen, angestrengten Bewegungen ihre wirren Locken glättet, hätte Borgil noch Stein und Bein geschworen, sie könnte jeden Augenblick vor lauter Erschöpfung einfach umfallen. Während er sich entkleidet, und das wesentlich rascher und mit sehr viel sparsameren Bewegungen als sie, brummt er also allerlei Verwünschungen über Weibsvolk im Allgemeinen und sein Weib im Besonderen in seinen Bart (allerdings auf Zwergisch, was Azra, Götterlob, nicht ausreichend versteht) und behält sie besorgt im Auge, nur für den Fall. Er ist gerade dabei, sein Hemd loszuwerden, als er Azra kichern hört und schon im nächsten Augenblick trifft ihn etwas Kaltes, Nasses im Rücken, gefolgt von einem angriffslustigen, kleinen >Ha!<, das wirklich beeindruckend gewesen wäre, wäre es nur nicht aus dem Mund dieses winzigen Persönchens gekommen, das seine Frau nun einmal ist. >Das! Und das und das!< Weitere Wassersalven folgen, die Borgil so stoisch entgegennimmt, wie ein Büffel eine Kanonade mit Papierkügelchen. Erschöpft, soso. Aha. In den schwarzen Tiefen seiner Augen beginnt es warnend zu glühen, und Azra, die sofort bemerkt, was die Stunde geschlagen hat, sucht quietschend ihr Heil in der Flucht, bombardiert ihn anschließend mit Kissen, hüpft um ihn herum wie ein wild gewordener Moskito und veranstaltet dabei ein Spektakel, dass es wirklich das reinste Wunder ist, dass weder Brenainn aufwacht (der zum Segen seiner Eltern seit er durchschläft allerdings auch eine absolut unerschütterliche Nachtruhe besitzt), noch der fette Gjorgus oder Tiuri, und auch nicht halb Brigg angelaufen kommen, um nachzusehen, ob der komische Zwerg seine kleine Frau vielleicht gerade umbringt. Der komische Zwerg tut jedoch - im Augenblick zumindest - nichts dergleichen, genauso genommen ist er eher perplex und ein wenig erheitert, und weiß noch nicht so recht, was genau gerade in sein offenbar überschnappendes Eheweib gefahren ist. Gut, Azra ist Azra und das ist gleichbedeutend damit, dass man bei ihr am besten jederzeit mit einfach allem rechnen sollte, aber so hat Borgil sie auch noch nicht erlebt. "Liebling..." warnt er also, heuchlerisch beiläufig. "Sieh dich vor..." Die einzige Antwort, die er erhält, ist ein verwegenes: >Nimm dies, du Schurke!<
"Schurke?!" Borgil klappt den Mund auf und unverrichteter Dinge wieder zu. "Schurke?" Wiederholt er dann und klingt auf einmal doch recht angetan. Schurke klingt gut. Schurke klingt fantastisch. Noch bevor der Morgen graut, würde sie wissen, wie schurkisch er wirklich sein kann. "Mylady Blutaxt, Euer Wunsch ist mir Befehl."
>Na los, ergib dich, oder...<

Sie zu packen, auf den Rücken zu drehen, auf das weiche Bett zu werfen und auf ihr zu landen ist eine einzige, schnelle  Bewegung. "Oder was?" Erkundigt er sich gönnerhaft, während Azra nach Luft schnappt und dann ächzend versucht, sich unter ihm hervor zu winden. "Ja, ja, so wendet sich das Blatt," fährt er im Plauderton fort und gibt vor, die Nägel seiner Linken höchst interessant zu finden, während sein Gewicht - und sein rechter Zeigefinger - Azra eisern an ihrem Platz halten. Nach einem atemlosen Moment gibt sie es auf, sich gegen ihn zu wehren, verdreht resigniert die Augen und kapituliert. Borgil gibt ihr die Freiheit dennoch nur langsam zurück, Zoll für Zoll - und er lässt sie merken, was er tut. Erstens, weil hierbei gerade einige in letzter Zeit äußerst vernachlässigte Körperteile so nah mit so herrlich weichen Rundungen in Berührung kommen, zweitens, weil er viel zu sehr in dem Gefühl badet, sie unter sich festzuhalten und drittens... nun ja, wenn ihn schon seine eigene Frau für einen Schurken hält, kann er sie schließlich unmöglich enttäuschen. Kaum hat Azra wieder soviel Bewegungsfreiheit, um sich aufsetzen zu können, klebt sie jedoch auch schon an seiner Brust und fordert nach einem ziemlich atemlosen Kuss, der Borgil mindestens so sehr überrumpelt wie ihr "Schurke" von eben: >Nicht schlafen. Schlafen.<
Das Lächeln, das daraufhin Borgils kantiges, hartes Zwergengesicht verzieht, kann man nur noch als sadistisch bezeichnen. Eine gute Stunde später dürfte auch Azra endgültig klar sein, dass man einem Zwergen, zumal einem Zwergen wie ihm, kein solches Angebot machen sollte, wenn man ihn vorher auch noch herausgefordert hat. Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen jedenfalls, ist es ihr nun klar, denn sie liegt splitterfasernackt unter ihm, hat die Augen geschlossen und sieht aus, als sei sie völlig von Sinnen - und so hört sie sich auch an. Hätte Borgil gewusst, welches unglaubliche Repertoire an Geräuschen seine winzige Frau von sich geben kann, er hätte das hier schon viel früher so ausführlich mit ihr getan. Im Augenblick gönnt er ihr (und seiner Selbstbeherrschung) jedenfalls eine kleine Atempause und ist vollauf damit beschäftigt, sich hingebungsvoll schlanke, weiße Beine hinunter und wieder hinaufzuküssen, genießerisch, träge und so konzentriert wie ein großer, roter Kater, der Sahne schleckt. Azras Haut ist so weich wie Seide und so zart wie Blütenblätter, und er könnte sie endlos kosten, auch wenn sie ihn inzwischen bestimmt schon viermal angefleht hat, endlich mehr zu tun, als nur das. Er weiß genau, wo sie ihn haben will. Er kann es hören, er kann es in ihren Bewegungen fühlen, er kann es riechen und schmecken, und im Augenblick trennt ihn von dem Ort, wo er ist und dem Ort, wo er schon längst sein sollte (jedenfalls meinen das Azra und ein gewisses anatomisches Detail seiner Selbst, das inzwischen noch viel härter ist, als man es steinharten Zwergen ohnedies nachsagt), nicht mehr als ein Fingerbreit. Dennoch hält er sie hin, mit einem leichten, aber unbarmherzigen Sadismus, den er dazu auch noch in vollen Zügen auskostet. Weil er mit seinem ganzen Gewicht auf ihr liegt und zudem ihre zarten Handgelenke festhält, hat sie kaum noch Möglichkeiten, sich zu bewegen, doch irgendwie – und Borgil weiß beim besten Willen nicht zu sagen, wie genau – windet sie sich wie ein Fisch, jedenfalls soweit ihr das seine Schwere erlaubt, schlingt ihre Beine um ihn und hat ihn im Handumdrehen dort, wo sie ihn haben will. "Ungeduldiges Weib," grollt er grinsend und rollt sich mitsamt Azra herum, um sie nicht zu zerquetschen oder ganz aus Versehen ein bisschen zu zerdrücken. Azra lächelt nur auf ihn hinunter und bewegt sich so langsam, dass er weiß, er wird für seine Foltern an ihr büßen... lange... sehr lange und sehr ausführlich. Einige Zeit... möglicherweise Minuten, vielleicht aber auch ein paar Stunden, Tage oder Monde später... gibt Borgil außer einem geröchelten "Silanseineressegnädig!" - und das schätzungsweise dreiundzwanzig Mal hintereinander - überhaupt nichts mehr von sich, jedenfalls nicht bis Azra doch noch ein Einsehen hat und ihn davor bewahrt, den grausamen Tod sexueller Folterqualen ohne endgültige Erlösung zu sterben.

Am nächsten Morgen, einem sehr frühen Morgen, stapft Borgil, zwar halbtot und unausgeschlafen, aber glücklich die windige Treppe in den Schankraum hinunter, hinter sich eine leise vor sich hinsummende Azra mit einem brabbelnden Brenainn auf dem Arm. Er hat die blank gescheuerten Bodendielen der Gaststube noch nicht einmal berührt, da fliegt ihm Tiuri auch schon aus Richtung der Küche entgegen und wäre am Fuß der Treppe fast in ihn hineingelaufen. Noch bevor Borgil ein überraschtes "Hoppla" von sich geben kann, sprudelt auch schon wirres Kauderwelsch aus dem Mund des Jungen, der ungefähr einen halben Schritt über Borgils schönem, feuerroten Irokesen schwebt und überhaupt nicht mehr still zu stehen scheint, nicht einmal, um Luft zu holen. Dabei redet er auch noch mit Händen und Füßen, steht viel zu nah und trampelt Borgil auf den breiten Zehen herum oder bleibt mit den Fingern in den Zöpfen seines Bartes hängen, den der Zwerg ihm mehr als einmal unwillig aus denselben rupft. Außer "Hexe", "Kind", "Feuer" und "Tod" ist wirklich kein einziges Wort zu verstehen, und als der anhaltende Sauerstoffmangel Tiuri bei seinem wasserfallartigen Gequassel endlich doch einmal zum Pausieren zwingt, schiebt Borgil den aufgebrachten jungen Mann kurzentschlossen einen halben Schritt von sich. "Tiuri... Tiuri, nimm die Finger aus meinem Bart, sei ein guter Junge, ja? Und jetzt erzähl noch einmal, aber so, dass wir auch verstehen, wo von du da verflixt noch mal redest. Hexe? Was für eine Hexe?" Er tauscht einen verständnislosen Blick mit Azra, die Tiuri so besorgt mustert, als erwarte sie, gleich grüne Flecken und lila Punkte auf seinen vor lauter Aufregung geröteten Wangen zu entdecken. "Welches Kind, zum Kuckuck? Und was sind das für Brüder, von denen du da faselst?"
>Gut!< Tiuri fummelt sich ungeduldig das Haar aus der Stirn und sieht aus, als müsse er gleich platzen vor lauter Neuigkeiten. >Ich habe eben etwas mit Gjorgus geredet und er ist strohdumm, aber er weiß zum Glück doch ein wenig mehr als es den Anschein gehabt hat. Die Hexe, keine Ahnung ob sie wirklich eine Hexe war, hat bei mei… der Familie gelebt, haben sie aufgenommen wie ihr Kind und Ti… also ich, habe wohl immer gedacht sie wäre meine Schwester. Was sie nicht war, sie war wohl ein Spitzohr und ihre Mutter hat wohl den Fehler gemacht ihr Haus an die richtige Stelle im Ort zu setzen und einmal das Wort Magie zu benutzen. Jedenfalls die Hexe, ist das Kind einer angeblichen Hexe, egal, Gjorgus glaubt die Hexe ist Schuld an dem Feuer und an dem Tod des Vaters.<

"Häh?" So sehr sich Tiuri auch um Erklärungen bemüht, Borgil schwirrt der Schädel vor lauter Hexen und Kindern, die gar nicht das sind, was sie sein sollten oder vielleicht doch oder auch umgekehrt oder andersherum. Tiuri dagegen sieht aus, als wolle er sich gleich die Haare raufen über so viel zwergische Begriffsstutzigkeit. "Deine Familie hat einer Hexe ihr Kind weggenommen, weil es gar keine Hexe war, dafür aber deine Schwester, was sie aber doch nicht war, weil ihre Mutter nichts vom Hausbau verstanden hat und dafür hat dann deine Schwester, also die Hexe, die gar keine war, deren Mutter aber das Wort Magie ausgesprochen hat, Feuer in der Schmiede gelegt, was aber keiner glaubt außer Gjorgus, der strohdumm ist?"
Tiuri schüttelt nur noch resigniert den Kopf und murmelt etwas von "Neinneinneinnein... ich erklär's dir..." was er dann auch tut, aber es dauert dennoch ein paar Minuten, ehe Borgil und Azra wenigstens einigermaßen im Bilde sind und Tiuri rudert schon wieder mit den Armen wie mit Windmühlenflügeln. >Das hilft uns aber nicht viel, weil sie ist verschwunden,< beendet er schließlich hastig seine verworrenen Erzählungen. >Aber Gjorgus hat erzählt, dass Tiuri, verflucht, ich zwei Brüder in Sûrmera habe und das heißt, wir müssen zurück!<
Borgil weiß, dass er sich verhört hat. Er muss sich gerade eben verhört haben. "Wie, zwei Brüder?" Hört er sich selbst ungläubig echoen, während Azra neben ihm laut nach Luft schnappt. Irgendwo in seinem Inneren kündigt sich ein leises, warnendes Bimmeln an und seine buschigen Brauen sträuben sich wild in alle Richtungen – ebenso wie seine Nackenhaare, aber die kann keiner sehen. "Und was heißt hier zurück nach Sûrmera... du... du..." Das Bimmeln wächst sich fröhlich zu einem dröhnenden Glockenhall aus und an Borgils narbiger Stirn beginnt eine dicke Ader zu pochen. "Du hast mir... gerade... nicht gesagt..." in seinem Inneren läutet es mittlerweile Sturm und der tiefe Zwergenbass wird auch immer lauter.... "dass du zwei Brüder in  Sûrmera hast und dass.... dass... dass... " Jetzt ist Borgil so laut, dass die Scheiben in den Fensterrahmen zittern und Marsha's Schüssel wackelt, als fege ein Sturm über sie hinweg (oder in diesem Fall eher durch sie hindurch) "...unser ganzer verfluchter Weg hierher in dieses götterverlassene Kuhdorf am Ende der Welt völlig umsonst war?!"
Tiuri besitzt wenigstens den Anstand betreten dreinzublicken, doch das bekommt Borgil schon nicht mehr mit, denn er fällt einfach um, ergibt sich der Schwerkraft und kippt wo er steht mit der Eleganz eines umstürzenden Baumes im wahrsten Sinne des Wortes einfach aus den Stiefeln. Der Krach des Aufpralls könnte Tote erwecken, doch Borgil starrt nur an die grobe Balkendecke und rührt sich kein Stück mehr. Azra hüpft um ihn herum und nach einer Weile taucht auch Tiuris besorgtes Gesicht über ihm auf, doch er sieht einfach nicht hin. Es ist so schön, hier zu liegen (Lala...lalala...lala...), die Kanten der untersten Treppenstufen im Kreuz, unentspannter als je zuvor, aber was macht das schon, niemand kann alles haben, das Glück ist eine Illusion, Roha ein fauler Witz und die Götter gibt es gar nicht. Er hört Brenainn kichern, der das ganze wohl für ein tolles neues Spiel seines Vaters hält, und Azra schimpfen, das sei alles ü-b-e-r-h-a-u-p-t nicht komisch, er hört Gjorgus bestürzte Stimme von der Küche her, der sich nach dem Lärm in seinem Gasthaus (Ha!) erkundigt, er hört selbst das Kratzen und Rascheln der Mäuse und Kakerlaken in den Bodenritzen unter ihm. Was er nicht hört, was er sich schlicht weigert zu hören, ist Tiuris drängende Stimme, die immer noch von Aufbruch und Sûrmera faselt.  

Eine gute Stunde später geht es Borgil ein wenig besser, könnte man sagen, immerhin macht er nicht mehr "Grrrrrrrrrrrrrr..." und auch nicht "Rooooooaaaaaaaaarrrrrr" oder "Hrrrrmrrrrrmm" oder sonstige Knurr- und Grunzgeräusche tiefster Missbilligung, sondern sitzt inmitten eines Gepäckberges auf der Ladefläche ihres kleinen Fuhrwerks, starrt ins Leere und brummt nur noch halblaut wüste Verwünschungen vor sich hin. Brenainn sitzt auf seinem Schoß, döst schon halb ein und zeigt sich gänzlich unbeeindruckt von der geistigen Verfassung seines Erzeugers, die zugegebenermaßen im Augenblick eher bescheiden ausfällt. Tiuri fährt den Wagen, hat den Kopf zwischen die Schulterblätter gezogen und lässt klaglos eine Strafpredigt Azras nach der anderen über sich ergehen, viel zu hochgestimmt von der Aussicht, bald Blutsverwandte zu treffen, als dass ihn irgendeine Reaktion seiner "Ersatzfamilie" groß beeindruckt hätte... und die blumigen Ausdrücke, mit denen Borgil ihn und vor allem das eigene, haarsträubend ungerechte Schicksal bedenkt, tun das auch nicht, weil der Junge einfach kein Zwergisch versteht.  Es braucht einen geschlagenen Siebentag, um Borgil so weit zu beruhigen, dass er nicht mehr Jedermann sofort an die Gurgel springt, um demjenigen selbige umzudrehen (und dafür reicht in der ersten Zeit nach ihrem Aufbruch aus Brigg im Zweifelsfall schon ein genuscheltes "Guten Morgen"), doch dann erreichen sie Nemur und das ist immerhin ein Silberstreif am Horizont. Links und Rechts sind rasch verkauft, samt dem Fuhrwerk, das Borgil kurzerhand dem Kräuterweib der kleinen Stadt andreht, und schon am nächsten Tag sind sie an Bord eines wendigen, kleinen Flussschiffes auf der Marmel unterwegs zurück nach Sûrmera. Der Kapitän, ein sehniger, alter Fischer, und seine Söhne sind zur Abwechslung einmal nett und für hiesige Verhältnisse aufgeschlossen, ja geradezu wissbegierig was den Rest Rohas angeht, so dass Borgil und die Seinen die Tage auf dem Fluss zumeist mit Erzählen verbringen – Geschichten über Talyra,  über Elben, Zwerge, Feen, Kobolde und andere Wesen, Heldensagen, Legenden und eigene Erlebnisse. Drei Tage bevor sie Sûrmera erreichen, findet Borgil Tiuri eines Abends an Deck, die langen Beine über den Rand des Bootes baumelnd, wie er nachdenklich und auffällig still in die dunklen, grünen Schatten der Wälder starrt, die hier bis dicht an das Flussufer reichen. "In ein paar Tagen sind wir da." Eröffnet Borgil das Gespräch so diplomatisch wie es ihm als Eisenzwerg eben möglich ist und lässt sich neben Tiuri nieder. "Deine Brüder stecken also im Brantempel, eh?" Tiuri hatte ihnen längst haarklein und immer wieder  – und das, ob sie es hören wollten oder nicht –  davon erzählt, was Gjorgus noch alles zu berichten gehabt hatte. Der junge Mann an seiner Seite nickt nur, zuckt dann aber nach einer Weile unschlüssig mit den Schultern und will murmelnd wissen, was man in einem Brantempel denn so arbeiten könnte.

"Hrrmrrr... alles mögliche." Jetzt ist es an Borgil, mit den Achseln zu zucken. "Ich äh... denke mal, du glaubst nicht, dass sie Priester geworden sind, deine Brüder...?"
Tiuri schüttelt hastig den Kopf und antwortet ihm mit einem vagen "Du-kennst-mich-also-bitte"-Blick. "Ah," macht Borgil nur und nickt verstehend. Also eher keine Priester. "Tja, dann sind sie vielleicht Tempeldiener geworden oder äh.... euer Vater war doch Schmied. Brantempel haben immer Verwendung für jemanden, der sich mit Stahl gut auskennt, und der Tempel in Sûrmera ist wirklich... groß."
Tiuri schüttelt schon wieder den Kopf und nuschelt etwas von "Stallburschen oder so" in seinen nicht vorhandenen Bart.
Borgil hebt sarkastisch eine Braue, hütet sich jedoch, darauf etwas zu erwidern. Stallburschen... du liebes Lieschen!
"Wir finden sie, soviel steht zumindest schon einmal fest." Ja, das ist wohl wahr... wenn auch sonst nicht viel anderes. Seine Gedanken schweifen zu Azra, die in ihrer Kajüte unter Deck ist und sich dort vermutlich noch immer die Augen ausweint bei dem Gedanken, dass Tiuri sie in Sûrmera verlassen könnte. Als sie Brenainn ins Bett gebracht hatten, hatte Borgil sie darauf angesprochen... auf die immerhin nicht einmal abwegige Möglichkeit, dass der Junge vielleicht lieber bei seinen Brüdern würde bleiben wollen, wenn er sie endlich wiedergefunden hatte. Azra hatte überhaupt nichts davon hören wollen und war irgendwann im Laufe des Gesprächs schlicht in Tränen ausgebrochen. Für sie gehört Tiuri, so anstrengend er bisweilen sein kann, längst zur Familie und wenn Borgil ehrlich ist, dann gilt das auch für ihn Selbst. Trotzdem... es sind seine Brüder. Seine Brüder, und Blut ist immer noch dicker als Wasser. "Es ist seine Entscheidung, Azra, " hatte er ihr gesagt, bevor er an Deck gegangen war, um mit Tiuri zu reden. "Es sind seine Brüder... seine Familie. Seine richtige Familie."
Azra hatte ihn angestarrt, als sei er nicht mehr ganz bei Trost: "Wir sind seine Familie."
Sind wir das? Borgil mustert seinen zu groß geratenen Schützling aus schmalen Augen. Tiuri hatte im vergangenen Jahr ordentlich an Größe und Gewicht zugelegt und wirkt ungeheuer erwachsen – so lange er die Klappe hält und ausnahmsweise nicht in jedes, aber jedes Fettnäpfchen auf seinem Weg stolpert, um sich ausgiebig darin zu suhlen. Welpe, denkt Borgil bei sich und schüttelt unmerklich den Kopf. Er würde gern etwas Aufmunterndes sagen, irgendetwas wie "Alles wird gut werden" oder eine ähnliche Floskel, doch es will ihm beim besten Willen nichts einfallen. Das hier, dieses ganze unsinnige Gespräch, das er überhaupt nicht führen will, wäre sehr viel leichter für ihn, wenn Tiuri mit leuchtenden Augen einer strahlenden Zukunft im Brantempel Sûrmeras entgegensehen würde, aber das scheint er gar nicht zu tun... und so euphorisch er noch in Brigg gewesen war, so zweifelnd wirkt er jetzt.

"Och. Zieh kein solches Gesicht, Junge, du siehst aus wie ein Schaf. Kenor und Gawain... es war doch Gawain, richtig?... bekommen bald einen tot geglaubten Bruder zurück! Das ist ein Grund zur Freude. Wir haben zwar den ganzen verdammten Scheißweg umsonst gemacht, aber was soll's? Noch drei Tage, dann hast du deine Brüder wieder und..." Brauchst uns nicht mehr. "Äh. Ja. Es wird alles gut. Bestimmt." Mit dieser tiefschürfenden Erkenntnis wuchtet Borgil sein beträchtliches Zwergengewicht wieder in die Senkrechte und stapft von dannen ohne gesagt zu haben, was er eigentlich hatte sagen wollen, und auch der Rest ihrer Reise vergeht, ohne dass er oder Azra Tiuri darauf ansprechen. Sie erreichen die goldene Stadt an der Marmel im Dunkel einer lauen Grünglanznacht, todmüde und zerstochen von einer Armada blutrünstiger Mücken, suchen sich ein hübsches, sauberes, komfortables gut geführtes Gasthaus in der Nähe des Flusses und fallen nach einem hastigen Nachtmahl nur noch in ihre Betten – die Familienzusammenführung muss bis zum Morgen warten und außerdem brauchen sie alle erst einmal ein ordentliches Bad, ehe sie wieder vorzeigbar und menschen- oder zwerg- und elbenwürdig auftreten könnten.

Titel: Re: Sûrmera
Beitrag von Tiuri am 01. Aug. 2007, 00:44 Uhr
Als sie endlich Nemur hinter sich lassen und auf dem kleinen Flussschiff Richtung Sûrmera segeln hat Tiuri Borgils andauernde Verwünschungen überstanden und hätte jetzt eigentlich Zeit Borgil und Azra mit seiner Aufregung und Vorfreude in den Wahnsinn zu treiben, doch beides ist ihm schon bei den ersten Schritten auf das Boot vergangen. Je näher er dem Brantempel kommt, desto mehr beginnt Tiuri sich die erste Begegnung mit seinen Brüdern auszumalen. Er stellt sich so ziemlich jedes Szenario vor, dass einem nur in den Sinn kommen kann, angefangen davon, dass ihn seine Brüder nicht erkennen oder gar nicht im Brantempel sind, bis dahin, dass sie ihn unter Tränen in die Arme schließen und er für immer glücklich an ihrer Seite lebt. Beendet er seine Vorstellung mit "und wenn sie nicht gestorben sind dann leben sie noch heute", führt ihn das augenblicklich zu seinem nächsten Problem. Bevor die kleine Reisetruppe nach Sûrmera aufgebrochen ist, war Tiuri felsenfest davon überzeugt gewesen, nach dem er alle offenstehenden Fragen und Geheimnisse zu seiner Zufriedenheit geklärt hätte, zufrieden in die Harfe zurück zu kehren. Doch da hatte er auch nicht angenommen noch lebende Verwandte von sich zu finden. Scheinbar verändert die Erkenntnis, dass er noch zwei Brüder hat einfach alles. Borgil wird froh sein wenn ich ihm nicht mehr auf der Tasche liege und ihm andauernd Probleme mache! Tiuri ist sich bewusst, dass er den Zwergen während dieser Reise nicht nur einmal an den Rand des Wahnsinns getrieben hat und dass er auch in der Goldenen Harfe nicht immer der einfachste Hausbewohner ist. Gleichzeitig kann er sich nicht sicher sein, dass die Brüder, die Brigg schließlich Jahre vor ihm verlassen haben ihn überhaupt bei sich haben wollen, nicht einmal, dass sie sich überhaupt verstanden haben. Vielleicht können sie mich gar nicht leiden und freuen sich kein bisschen mich zu sehen. Sie werden so tun als wüssten sie nicht wer ich bin und ich kann gar nichts dagegen sagen, weil ich sie nicht erkenne. Tiuri hofft inständig auf eine Flut von Erinnerungen die zusammen mit seinen Brüdern in sein Leben zurück kehrt, doch er wappnet sich genauso für den Fall, dass Kenor und Gawain weiterhin völlig Fremde für ihn sind. Es kommt ihm seltsam vor, einer Familie entgegen zu fahren die er nicht kennt und für die er nichts empfindet um vielleicht eine Familie zu verlassen in die er zwar nicht hinein geboren ist, die ihm jedoch lieber ist als alle blutsverwandten es je sein könnten. Wenn ich es nicht will muss ich nicht hier bleiben, ich bin alt genug selbst zu entscheiden wohin ich gehe! versucht er sich selbst aufzumuntern. Er lenkt sich mit einer erneuten Vorstellung der überraschten Gesichter seiner Brüder ab, als er auf sie zu geht und probt zum hundertsten Mal was er ihnen sagen wird, wenn er ihnen endlich entgegen tritt. Jeder Satz der ihm dabei in den Sinn kommt ist noch lächerlicher als der davor und so gibt er es schließlich auf und starrt nur noch auf das an ihm vorbeiziehende Ufer.
Er hört Borgils schwere Schritte schon bevor der Zwerg sich neben ihn setzt und einen etwas ungeschickten Aufmunterungsversuch startet. Tiuri nimmt ihm seine schwerfälligen Versuche nicht übel, er weiß, dass Borgil kein Mann großer Worte ist, genauso wie Tiuri selbst, der zwar viel redet, dabei aber oft nur sehr wenig sagt.
Mit seiner Frage lenkt Bogil Tiuris Gedanken in Richtung Brantempel und der Junge stellt sich zum ersten Mal die Frage, was seine Brüder dort wohl eigentlich tun. Spontan kann er sich seine Verwandten gut als Stallburschen, Köche oder Putzkräfte vorstellen, deswegen hebt er, als Borgil das Wort "Priester" erwähnt, auch nur eine Augenbraue und sieht den Zwergen eindringlich an. Der Harfenwirt versteht sofort was Tiuri damit sagen will, geht aber nicht weiter darauf ein, sondern stellt ganz einfach fest, dass zurückkehrende tot geglaubte Brüder durchaus ein freudiges Ereignis sind.
Tiuri lächelt schwach und nickt ehe Borgil sich erhebt und wieder nach unten zu Azra geht. Der junge Mann hat insgeheim gehofft, wenn auch nicht gerade erwartet, dass Borgil etwas sagen würde wie: Was auch immer geschieht, wir sind deine Familie und du kannst natürlich bei uns bleiben so lange wir uns die Essensmengen die du verschlingst leisten können.

Drei Tage später betritt Tiuri wieder sûrmerischen Boden. Sein Herz schlägt wie verrückt und wäre es nicht so finster, jeder könnte die roten Flecken sehen die sich vor lauter Aufregung auf seinem Gesicht bilden. Sie haben noch nicht einmal ihr ganzes Gepäck abgeladen, fragt Tiuri auch schon nach dem schnellsten Weg vom Hafen zum Brantempel, wobei Borgil ihm bevor er die Frage beenden kann ins Wort fällt. Er solle sich doch einmal anschauen und an seinem Hemd riechen, er würde schlimmer stinken als jeder Iltis und so wäre er auf keinen Fall präsentabel. Außerdem wären seine Brüder bestimmt nicht erfreut darüber wenn man sie zu dieser absolut unmenschlichen Zeit aus dem Bett reißt und mit einer solchen Nachricht überfällt. Tiuris Herzschlag normalisiert sich bei der Aussicht auf ein warmes weiches Bett langsam und auch seine Gesichtsfarbe wechselt von hektisch gefleckt zum üblichen Milchkofeabraun.
Zu besonders viel Schlaf kommt Tiuri aber trotz allem nicht, denn er ist hellwach noch bevor die Sonne aufgeht und versucht als aller erstes sich in ein menschliches Wesen zu verwandeln. Er nimmt ein heißes Bad, schrubbt und wäscht sich bis seine Haut am ganzen Körper rot und heiß ist, rasiert sich, wobei er sich ungefähr drei mal schneidet, kämmt das wirre Haar und sucht verzweifelt nach einem sauberen Hemd. Als er all das bewerkstelligt hat fällt sein Blick, bevor er zu Tür hinaus laufen will um Borgil aus dem Bett zu werfen, auf Fahl und dessen mattgraue Klinge. Üblicherweise verlässt Tiuri das Haus sowieso nicht ohne sein Schwert, aber jetzt braucht er es ganz besonders um Eindruck zu schinden, was er aber ganz bestimmt nicht mit einer schmutzigen Klinge schaffen würde. Also holt er sich einen Lappen, Wasser und Waffenöl und beginnt Fahl wie schon so viele Male zuvor zu bearbeiten. Es ist nicht das erste Mal, dass Tiuri sich über diesen hartnäckigen Schmutz wundert, doch heute möchte er einfach nicht aufgeben. Der Schweiß steht ihm bald auf der Stirn, die ihm langsam vor Anstrengung rot anläuft, das Waffenöl klebt ihm am einst sauberen weißen Hemd und die Haare stehen ihm verschmiert und schweißig zu Berge, als Borgil hinter ihm die Türe öffnet und Fahl immer noch nicht blank und glänzend ist.
Unter hektischem rubbeln und ohne aufzusehen, ruft Tiuri: "Hast du Arniserkalk? Oder was anderes? Es wird und wird nicht sauber, ich hab wirklich alles versucht, ich bemüh mich schon seit du es mir gegeben hast, aber ich krieg es einfach nicht zum Glänzen und der Stahl ist auch ganz fleckig. Das ist bestimmt so alt, ein Wunder, dass das nicht abgebrochen ist als ich’s dem elenden Höllenhund ins Maul gestopft habe." Tiuri beginnt noch wilder und langsam zornig werdend zu wischen, ehe er sich umdreht und Borgil keuchend ansieht, weil dieser immer noch nichts erwidert hat. Anstatt ihm sofort den gewünschten Kalk und hundert Ratschläge zur Schwertpflege inklusive zu geben, steht der Zwerg unbeweglich in der Türe. Nur sein Mund klappt wie bei einem Fisch auf dem Trockenen immer wieder auf und zu, ohne dass ihm jedoch auch nur ein einziger Ton entkommt.

Titel: Re: Sûrmera
Beitrag von Borgil am 02. Aug. 2007, 21:41 Uhr
Borgil schläft, im Gegensatz zu Tiuri, tief und fest und den Schlaf der Gerechten obendrein, jedenfalls bis ihn irgendwann lange nach Sonnenaufgang am nächsten Tag ein etwas verpeilter sûrmerischer Gockel aus den Federn kräht. Blinzelnd - und nach einer herrlichen Nacht in einem weichen, sauberen Bett - auch ziemlich ausgeschlafen, braucht er eine kleine Weile, ehe ihm auffällt, was an diesem Szenario nicht stimmt. Wo steckt Tiuri? Er hatte noch beim Einschlafen felsenfest damit gerechnet, dass der Bengel Azra, Brenainn und ihn selbst noch zu Unzeiten aus dem Bett werfen würde, platzend vor Ungeduld und darauf brennend, seine Brüder noch vor dem Morgenmahl im Brantempel zu suchen - doch das Gasthaus ist bis auf ein paar Geräusche aus Küche und Schankstube merkwürdig still und von Tiuri keine Spur. Borgil wühlt sich unter den weichen Decken hervor, weckt Azra mit einem sanften Schulterrütteln, gönnt sich eine hastige Katzenwäsche und schlüpft rasch in saubere Kleidung. Er hatte eigentlich ein Bad nehmen wollen und wenn er sich recht erinnert, hatte er bei den Wirtsleuten für diesen Morgen auch ausreichend heißes Wasser und genügend Zuber für sie alle bestellt, doch wenn Tiuri verschlafen hatte oder - was die Götter verhüten mögen - vielleicht schon ohne sie losgezogen war, würde es eben ohne gehen müssen. Er schlüpft noch in seine Stiefel und schnallt den obligatorischen, breiten Ledergürtel mit den beiden handlichen Beilen daran um, dann poltert er zur Tür hinaus und eilt zu Tiuris Zimmer, das nur ein Stück den Gang hinunter liegt. Dort bietet sich ihm allerdings ein Bild, das Borgil erst einmal die Kinnlade herunterklappen lässt: ein ziemlich schmuddeliger Tiuri, der zudem noch aussieht, als sei er gerade dreimal um die Stadtmauern Sûrmeras herumgerannt, sitzt auf dem Bettrand, Fahl über seinen Knien und poliert an der Klinge herum, als gelte es das liebe Leben. "Arrhem," macht Borgil und räuspert sich vernehmlich. "Kannst du mir vielleicht verraten, was das werden soll, mein lieber Junge?"
Tiuri blickt nicht einmal auf. >Hast du Arniser Kalk? Oder was anderes?<
Er hat, selbstverständlich hat er. Dennoch versteht er wirklich nicht, warum Tiuri an einer vollkommen sauberen Klinge derart herumschrubben muss, wo er doch viel eher sich selbst ein wenig aufpolieren sollte. "Wozu um Himmels Willen?"
>Es wird und wird nicht sauber, ich hab wirklich alles versucht, ich bemüh mich schon seit du es mir gegeben hast, aber ich krieg es einfach nicht zum Glänzen und der Stahl ist auch ganz fleckig.<
"Fleckig?!" Echot Borgil ungläubig und kann nicht ganz glauben, was er da hört. "Fleckig? Glänzen? Aber..."
>Das ist bestimmt so alt, ein Wunder, dass das nicht abgebrochen ist als ich’s dem elenden Höllenhund ins Maul gestopft habe.<
Borgils buschige Brauen fahren entgeistert in die Höhe und sträuben sich bis in ihre kupferroten Spitzen. Abgebrochen? Sein Kinn ergibt sich schon wieder der Schwerkraft, während er fassungslos zusieht, wie Tiuri ein Schwert zu reinigen versucht, das sauberer gar nicht mehr werden kann. Silanseineressegnädig, das darf doch nicht wahr sein! Mit einem Satz und einem Schnauben ist er bei dem Jungen und rupft ihm Fahl samt sämtlicher Putzutensilien entsetzt aus den ölverschmierten Fingern, mit derselben Inbrunst, mit der eine Mutter ihr Kind an sich reißen würde, das sie in Gefahr wähnt.

"Das ist Fahl!" Donnert er. "Fahl! Es ist aus Drachenstahl, du närrisches Kind! Sil, wirf Hirn vom Himmel." Tiuri sieht ihn nur verständnislos an, während Borgil die Klinge in der einen und die Putzlappen in der anderen Hand schüttelt. "Drachenstahl?" Will er unschuldig wissen und versucht, sich sein Schwert wiederzuholen, kassiert aber nur einen vehementen Klaps auf die ausgestreckten Finger. "Finger weg! Wo ist 'Fundins Chronik der Großen Waffenkunde', häh? Und 'Rumriks Almanach der großen Helden und ihrer Waffen'? Ich hatte sie dir zu lesen gegeben und du hast sie auch beide eingepackt! Da sind ganze Kapitel nur über Drachenstahl drin, zum Kuckuck, und wenn ich mich recht erinnere, mein liebes Bürschchen, dann hättest du Fundins Abhandlungen über die Vorzüge der verschiedenen Stahlarten schon letztes Jahr lesen und lernen sollen, also komm mir ja nicht mit "Was ist denn Drachenstahl?" und klimpere mich mit deinen Mädchenwimpern an, das zieht nicht!"
"Ist äh... Drachenstahl... ich weiß es... ich weiß es, es ist schwer sauber zu kriegen, ganz schwer sauber zu kriegender Stahl, den man nur mit besonderem Wasser putzen darf..." Angesichts von Borgils sich drohend verfinsternder Miene wird Tiuris Redeschwall zusehends langsamer und leiser. "Nein? Äh... dann ist er aus alten Drachen hergestellt, jawo... oh. Nein, auch nicht... Ahm... war das eines von den Kapiteln ohne... Bilder?"
Sil, wirf irgendetwas vom Himmel! "Halt den Mund!" Schnappt Borgil. "In keinem der beiden Bücher sind Holzschnitte nackter Weiber und du wirst sie trotzdem lesen, Seite für Seite. Wort für Wort lernst du mir auswendig und wehe dir, du kannst mir nicht in drei Monden alle meine Fragen beantworten! Und was dein Schwert angeht, Fundins Chronik, Kapitel Sieben, Rumriks Almanach, Kapitel Zwölf - sogar mit einem Bild, zum Donnerdrummel! Fahl ist aus Drachenstahl und wird nie so blank und glänzend werden, wie eine andere Waffe, dafür ist es auch scharf wie an dem Tag, an dem es geschmiedet wurde! Von Niafaeron Drachenherz persönlich, wenn du es genau wissen willst, und zwar vor über eintausendachthundert Jahren in Lair Draconis, und du hast es überhaupt nicht verdient! Götter im Himmel, Khairtamir würde sich im Grabe umdrehen, wenn er wüsste, was du mit deinem Schwert anstellst, der hatte es nämlich vor dir. Und jetzt räum diesen Saustall hier auf und wasch dich, wir sind spät dran, wir platzen wahrscheinlich ohnehin schon in die Mittagsmesse. Und bleib Fahl um Himmels Willen mit Arniser Kalk und Waffenöl vom Leibe." Damit drückt Borgil das Schwert und das ganze Putzzeug dem verdatterten Tiuri wieder in die ausgestreckten Arme und stapft davon. Vielleicht hätte er statt heißem Wasser kaltes ordern sollen. Irgendetwas, das seinen Blutdruck auf erträgliches Maß bringen würde, der anscheinend immer dann astronomische Höhen erreicht, wenn Tiuri Siebengescheit den Mund aufmacht.

Eine Stunde später sind sie tatsächlich auf dem Weg zum Brantempel Sûrmeras, gebadet, rasiert, frisch eingekleidet und alles in allem so annehmbar wie es mit ihrer mittlerweile etwas mitgenommenen Reisegarderobe eben möglich war. Azra trägt ein schlichtes, rostbraunes Leinenkleid und einen leichten Umhang in derselben Farbe, Klein-Brenainn ein herzallerliebstes waldgrünes Kittelchen und ebensolche Hosen, dazu winzige Schuhe und besteht darauf, an ihrer Hand zu "laufen", weswegen sie ein wenig langsam vorankommen, und Borgil hat sich Tiuri zu ehren - obwohl der Junge das wissen die Götter wahrlich nicht verdient hat - ordentlich in Schale geworfen. Jedenfalls seinem Verständnis nach, für alle anderen Normalsterblichen sieht er vermutlich in höchstem Maße Angst einflössend aus. Sein Zwergenschädel ist frisch kahl rasiert - bis auf den handbreiten Streifen etwa 10 Sekhel langen Haares in dessen Mitte, der zu einem prächtigen Irokesen frisiert ist. Außerdem hat er sich zu Azras grenzenlosem Entsetzen den gürtellangen Bart bis auf ein paar Fingerbreit gestutzt, so dass jetzt ein dichtes, kupferfarbenes und rostrotes Band seine kantigen Kieferlinien entlangläuft. In seinem linken Ohr prangen vier dicke Goldringe im Läppchen und ein Stück Bergkristall und mehrere Goldperlen am Rand der Ohrmuschel, im rechten stecken ein gekrümmter, silbergefasster Lindwurmzahn und mehrere Ringe unterschiedlicher Größe. Die Haut an seiner Nasenwurzel, direkt zwischen den buschigen Brauen, ist seit heute Morgen ebenfalls durchstochen und wird von einem gebogenen goldenen Stift verziert. Zu allem Überfluss hat Borgil sich zur Feier des Tages für ein zwergisches Clangewand entschieden, was heißt, dass er über einem schlichten, weißen Hemd ein moosgrünes Plaid mit seltsamen, goldenen Runenmustern trägt, das von einem breiten Gürtel mit Goldmedaillons gehalten wird und ihm knapp über die Knie reicht. Seine Füße stecken in hohen, dunklen Schaftstiefeln aus weichem Leder und die zwergische Schlachtaxt prangt auf seinem Rücken. Der Weg zum Brantempel ist wirklich nicht weit, zumindest nicht weit genug, um Tiuri seine Sprache wirklich wieder finden und seine Nervosität auf ein erträgliches Maß schrumpfen zu lassen. Je näher sie dem imposanten, weitläufigen Gebäude kommen, desto zappeliger und unruhiger wird der Junge, bis er vor dem eisernen Portal mit seinen Schlachtszenen aussieht, als würde er am liebsten auf der Stelle wieder umdrehen und Borgil sehr versucht ist, ihn am Schlafittchen in den Tempel zu schleifen.

Das an und abschwellende Murmeln priesterlicher Gebete ertönt, als sie das Halbdunkel im Inneren des Brantempels betreten, in einer Art Vorhalle landen und durch einen steinernen Bogen einen flüchtigen Blick auf eine vielköpfige Menschenansammlung im Hauptschiff werfen können. Anscheinend sind sie wirklich mitten in die Messe geplatzt. Ein Novize eilt an ihnen vorüber, die Hände voller frisch polierter Weihrauchgefäße an klimpernden Goldketten, und Borgil hält den Burschen rasch an. "Wir suchen Gawain und Kenor aus Brigg, wisst Ihr, wo wir sie finden können?" Der Kleine ächzt unter dem Gewicht seiner Last und murmelt hastig etwas von "Oh, die sind in der Messe, ganz bestimmt. Verzeiht, aber ich muss..." und ist auch schon wieder verschwunden. Tiuris Stirn legt sich in zweifelnde Falten. "In der Messe?" Wiederholt er und senkt seine Stimme unwillkürlich zu einem Flüstern, während er skeptisch durch den steinernen Bogen äugt. "Da sind so viele Leute," murmelt er und sie treten alle näher, bis sie in die hohe, düstere Halle des Brantempels blicken können. Zwischen hohen Säulen und den Seitenkapellen der Archonen des Kriegsgottes mit ihren Gebetsnischen und Altären drängen sich bestimmt hundert Leute, und vor dem steinernen Alter zu Füßen der gewaltigen Branstatue selbst steht sicher ein Dutzend Priester versammelt - von den allgegenwärtigen Templern in ihren weißen Überwürfen an jeder Ecke ganz zu schweigen. Der Hauptaltar scheint das einzig Helle im Raum, denn selbst die flackernden Öllampen hoch an den Säulen verbreiten nur düsteren Schein. Aus schneeigem Harchamarmor erbaut, strahlt er in der Dunkelheit wie ein blasser, schöner Mond und beleuchtet mit seinem Schimmern so die Gestalt des Hohepriesters und die Gesichter der ihm am nächsten stehenden. Tiuri und Borgil lassen ihre Augen suchend über die Menge schweifen, während Azra für den Moment damit beschäftigt ist, Brenainn davon abzuhalten, einen reich bestickten Wandbehang in der Nähe zu inspizieren (und am besten gleich abzuhängen). "Wie soll ich in einem solchen Chaos nur meine Brüder finden, wenn ich noch nicht einmal weiß, wie sie überhaupt aussehen!" Zischt Tiuri halblaut und erntet prompt ein empörtes "Schschscht!" von einer fetten Walküre direkt vor ihnen. "Entschuldigung," murmelt Borgil in Richtung des Breitarsches, doch Tiuri haspelt schon weiter: "Wen soll ich hier bitteschön fragen, es könnte ja jeder sein...", als Borgil plötzlich jemanden erspäht. "Nimm einfach den, der so aussieht, wie du, eh? Links von der Branstatue. Und der daneben läuft auch mit deinem Gesicht herum. Ich würde sagen, dass müssten sie sein."

Titel: Re: Sûrmera
Beitrag von Tiuri am 03. Aug. 2007, 10:10 Uhr
Tiuri versucht gerade noch an einer etwas wuchtiger gebauten Dame vorbei zu spähen und dabei weiter zu überlegen wie er unter all diesen Leuten genau die beiden heraus filtern soll die mit ihm verwandt sind. Man kann ja schließlich schwer quer über die Köpfe der Messenbesucher: "Ich bin ein tot geglaubter und suche meine Brüder Kenor und Gawain!" rufen. Doch das Problem löst sich praktisch von selbst als Borgil ihn auf zwei breitschultrige Templer aufmerksam macht die Tiuri wie aus dem Gesicht geschnitten sind. Erst möchte der Junge noch abwehren, dass seine Brüder bestimmt keine Templer sind und besten falls darauf warten hinter dem Priester sauber zu machen wenn die Messe vorbei ist, aber ein Blick auf die beiden Männer lässt ihm jedes Wort des Protests im Hals stecken bleiben. Sie beide sind groß und kräftig, haben sein Kinn, seine Nase und besonders auffallend ist die Ähnlichkeit die blauen Augen der beiden betreffend. Tiuri kann seinen Blick nicht von den beiden Gesichtern wenden über deren Züge Schatten flackern. Seine Brüder haben Tiuri noch nicht bemerkt, natürlich nicht, sie erwarten ja auch keines Wegs ihm hier, oder an irgendeinem anderen Ort Rohas, zu begegnen. Tiuris Nervosität ist wie weg geblasen und auch wenn ihm nicht wie erhofft tausend Erinnerungen in den Kopf schießen, so fühlt er doch eine Art Zugehörigkeit zu den beiden Männern in den weißen Gewändern, wobei er sich nicht sicher ist ob diese nicht einfach durch die äußerliche Ähnlichkeit zu Kenor und Gawain entstanden ist.
Den Göttern sei Dank steht vor Tiuri immer noch dieser Schrank von einer Frau und versperrt ihm den Weg, denn die Beine des Jungen haben sich ganz von alleine in Bewegung gesetzt um Tiuri nach vorne zum Altar zu tragen. Borgil erwischt ihn gerade noch an einem Hemdzipfel als er drauf und dran ist zwischen den Beinen der fremden Frau hindurch zu krabbeln und sich damit unter Garantie eine Ohrfeige einzufangen.
>Was machst du denn da?< fragt ihn der Zwerg völlig entgeistert und so leise wie er sich mit seinem tiefen Zwergenbass noch verständlich machen kann. Mit beiden Armen deutet Tiuri wie wild in Richtung Altar, als wäre es völlig klar was er möchte, nämlich seine Brüder ansprechen, jetzt gleich und sofort, an Ort und Stelle und es ist ihm völlig gleich wen er dabei stören würde oder wie viele Leute Zeugen von diesem Wiedersehensspektakel wären. In einer leise zischenden Diskussion, immer wieder von strengen Blicken und Schschscht-Lauten der dicken Frau unterbrochen, schafft es Borgil Tiuri dazu zu bringen wenigstens die Messe abzuwarten.
Das tut Tiuri dann auch, zappelnd zwar und von der Zeremonie überhaupt nichts mitbekommend, aber doch. Als der Priester, den der Junge schon seit geraumer Zeit mit bösen Blicken bedenkt in der Hoffnung, dass dieser sofort zu Staub zerfällt und der Rest der Messe nicht statt finden kann, endlich sein Schlusswort spricht, ist Tiuri schon dabei sein Hemd, seine Haare und sein Schwert zu richten und gleichzeitig an seinem Platz auf und ab zu springen um Kenor und Gawain in dem aufkommenden Gewühl nicht aus den Augen zu verlieren.
Die beiden Templer bewegen sich in Richtung Ausgang hinter dem Priester her und damit auf direktem Weg auf Tiuri zu.
"Du musst sie aufhalten!" sagt Tiuri erschrocken zu Borgil als ihm klar wird, dass die Gelegenheit die Brüder anzusprechen nun direkt vor ihm liegt. "Ich kann das nicht machen! Ich kann sie ja nicht von hinten antippen und einfach so mit meinem Leben überfallen!" Doch das ist gar nicht nötig denn der vordere und auch größere von den beiden, direkt hinter dem Priester, der sein langes dunkelbraunes Haar hinten im Nacken zusammen gebunden hat, erblickt Tiuri bevor einer von ihnen auch nur den Mund öffnen kann. Der Templer ist nur wenige Schritte von ihm entfernt als er einfach in der Bewegung erstarrt. Durch den plötzlichen Stopp seines Vordermannes wird auch der zweite Bruder aufmerksam, auch wenn es kurz dauert bis auch er erkennt was der Andere schon längst gesehen hat. Der plötzliche Stau in der Reihe der Templer erregt nur kurz einige Aufmerksamkeit, ehe Gawain und Kenor einfach je einen Schritt zur Seite machen und damit den Weg für die anderen wieder frei machen. Einige Zeit, Tiuri kommt es vor als müssten ganze Monde dabei vergehen, starren sich die drei Brüder einfach nur an, unbeweglich und unfähig das zu ändern. Um sie herum lichten sich schon die Reihen der Messebesucher als die Templer Tiuri schließlich ohne ein Wort zu wechseln, gleichzeitig um den Hals fallen. Der junge Mann erwidert die Umarmung natürlich, schon alleine deswegen weil er niemanden vor den Kopf stoßen möchte, aber er fühlt sich doch ein wenig mit der Situation überfordert. Nach dem sie ihn drei Mal von sich geschoben haben, prüfend angesehen um sicher zu gehen dass er es nicht nur tatsächlich ist, sondern auch noch alle Körperteile besitzt und sich bei bester Gesundheit befindet, um ihn dann doch wieder in die Arme zu schließen, stehen sie sich endlich in der mittlerweile leeren Haupthalle des Brantempels gegenüber.

>Wie kann das sein?< Tiuri hebt schweigend die Arme,...>Wo kommst du her?< ...öffnet den Mund... >Und warum erst jetzt?<... und schließt ihn wieder ohne etwas zu sagen.
>Wie hast du überlebt?< An dieser Stelle lächelt Tiuri wage...>Geht es Mutter vielleicht auch gut?<...nur um die Mundwinkel hier wieder sinken zu lassen.
>Wieso bist du nicht eher gekommen?< Hier kann Tiuri nur hilflos mit den Schultern zucken... >Himmel bist du groß geworden!< .. und an dieser Stelle nickt nicht nur Tiuri, sondern auch Azra und Borgil. Diese und noch mehr Fragen prasseln, von den Brüdern abwechselnd gestellt, so schnell auf Tiuri ein, dass er, selbst wenn er wüsste was er antworten sollte, gar keine Möglichkeit hat ein Wort zu erwidern, ehe er laut und deutlich "HALT!" ruft. Nicht nur Kenor und Gawain erstarren in der Bewegung, sondern auch sämtliche anwesende Novizen und die letzten Leute die gerade den Saal verlassen. Eine unangenehme, drängende Stille legt sich über die Halle während Tiuri erst einmal hilfesuchend zwischen Borgil und Azra hin und her blickt. Azra schenkt ihm ein aufmunterndes Lächeln und Tiuri atmet tief durch um mit seinen Erklärungen anzufangen. Er hatte es doch mindestens hundert Mal geübt, auf dem Schiff, auf dem Wagen, während er Fahl poliert hat und doch ist es jetzt, wenn er ihnen tatsächlich in die Gesichter sehen kann, noch einmal ganz anders.
"Es ist ein wenig schwer zu erklären, ich weiß nicht ob ich das hinreichend schaffen werde, ob ich alle Fragen beantworten kann..." Er stockt ein wenig, wartet auf eine göttliche Eingebung - wenn man schon im Tempel steht kann man sich doch wenigstens etwas davon erhoffen - und spricht schließlich seufzend weiter als diese nicht kommt und ihm auch keiner der Anwesenden zu Hilfe eilt. "Also das wie, ja ähm, ich habs wohl irgendwie aus dem Fenster geschafft und bin aus dem brennenden Haus, völlig unbemerkt in die Marmel gefallen und erst später von Fremden heraus gefischt worden. Genauer kann ich das leider nicht erklären, aber so muss es wohl gewesen sein." Die Brüder nicken und öffnen synchron die Münder um ihn schon wieder mit Fragen zu bombardieren, doch Tiuri hebt schnell abwehrend beide Hände.
"Ihr wollt wissen wo ich war und warum ich nicht zu euch gekommen bin, nicht wahr?" fragt er und sie nicken stumm. "Ich konnte nicht... wusste nicht... Götter warum ist das so schwierig, ich habe keine Erinnerungen mehr an mein Leben vor diesem Unfall!" Er wartet kurz ab ob Kenor und Gawain vielleicht jetzt etwas sagen möchten, doch nun ist es an ihnen nicht zu wissen was sie sagen sollen, bis Gawain sich ein Herz nimmt und fragt: >Und jetzt erinnerst du dich und bist deswegen zu uns gekommen?
Tiuri schüttelt betreten den Kopf, den Blick hält er gesenkt, er kann den beiden einfach in diesem Moment nicht in die Augen sehen. "Nein, ich erinnere mich mittlerweile, das hat schon ganze Jahresläufe gedauert, an wenige Fetzen aus meiner Vergangenheit, wie meinen Namen, oder an das Feuer, solche Sachen eben, manchmal sind es nur Gefühle und Eindrücke die zurück kommen, aber es kommt wieder. Vielleicht niemals alles, ich kann es nicht sagen. Ich bin zwischen Brigg und Sûrmera aus dem Wasser gezogen worden, deswegen haben wir hier zu suchen begonnen, bis wir irgendwann bis nach Brigg gekommen sind und dort hat es nicht lange gedauert um festzustellen, dass mich die Leute kennen und aber so gar nicht zurück erwarten. Gjorgus der Wirt hat mir dann erzählt, dass ich zwei Brüder habe und dass ich sie... euch, im Brantempel Sûrmeras finden kann und jetzt bin ich hier." Er hat für seine Verhältnisse langsam gesprochen, deutlich und überlegt, damit er nicht bei jedem Wort stockt und vier ähms und äähs einbaut, während er erklärt. Schließlich deutet er auf Borgil, Azra und den kleinen Brenainn. "Das hier sind Borgil und Azra Blutaxt und ihr Sohn Brenainn, Borgil hat mich schon vor einiger Zeit in seinem Gasthaus in Talyra aufgenommen und jetzt sind sie mit mir hier her gekommen." Es liegt nicht nur jede Menge Zuneigung für seine kleine Familie in seiner Stimme, sondern auch sehr viel Dankbarkeit, dass sie ihn auf diesem mühsamen Weg begleitet haben.
>Freut mich euch kennen zu lernen, Borgil und Azra, und vielen Dank, dass ihr unseren Bruder wohlbehalten hier her gebracht habt!< sagt Gawain und drückt sowohl dem Zwergen, als auch dessen Frau herzlich die Hände. Kenor hingegen ist noch nicht ganz so gefasst.
>Unfall?< tönt er von hinten, seine Stimme seltsam hoch und ungläubig. >Talyra?<
Schnell, als würde er ihn davon abhalten wollen weiter zu sprechen legt Gawain seinem Bruder die Hand auf die Schulter. >Warte doch erst mal Kenor, wir sollten das nicht hier im Stehen besprechen, gehen wir etwas essen und reden dann weiter. < Die Brüder führen sie in einen zum Tempel gehörenden Essraum mit anschließender Küche, wo ihnen eine rotgesichtige Köchin schimpfend erklärt sie wären zu spät fürs Mittagessen. Tatsächlich ist der Raum schon so gut wie leer, Tiuris Erklärungen haben doch einige Zeit in Anspruch genommen, genug Zeit für die restliche Belegschaft des Brantempels um ihr Mittagessen zu sich zu nehmen. Es bedarf einiger Schmeicheleien und eines charmanten Lächeln Kenors, welches ihn gleich noch mehr Tiuri ähneln lässt, um der Köchin doch noch ein paar Reste abzuschwatzen und sie auch noch dazu zu bringen diese noch einmal für sie warm zu machen.
Es dauert nicht lange da sitzen sie alle am Tisch, jeder einen dampfenden Teller Suppe vor sich, als Kenors Blick auf Fahl fällt. >Wieso trägst du eigentlich im Tempel ein Schwe... darf ich mal sehen?< Er wartet gar nicht ab was Tiuri erwidert, sondern zieht mit einer raschen Handbewegung die Klinge aus ihrer Scheide. Im nächsten Moment sind Gawain und Kenor aufgesprungen, die Münder stehen ihnen offen und beide sind völlig fassungslos. >Ist das?< fragt der eine und sieht seinem Bruder ins Gesicht. >Fahl?< >Unglaublich< >Sieh nur, es ist tatsächlich heller als andere Drachenstahlschwerter.< >Bei Bran..< >Es ist wirklich so scharf.< >Ohh das Chir.< >Tiuri was machst du mit so einem Schwert, das brauchst du doch gar nicht oder?< >Glaubst du das du das behalten kannst Kenor? Wenn schon dann bekomm ich es, ich bin der Ältere!< >Na und? Ich bin der Stärkere!< >Und ich bin der bessere Kämpfer, ha!<
Tiuri kann sich gerade noch einschalten bevor sich seine Brüder beginnen um sein Schwert zu prügeln.
"Ja, das ist Fahl! Und es gehört mir, es war ein Geschenk von Borgil und ich lerne damit zu kämpfen. Es ist übrigens aus Drachenstahl, der gehört so matt!" Auf den letzten Nachsatz gehen Kenor und Gawain nur mit einem mitleidigen Blick ein und Kenor drückt Fahl noch etwas mehr an seine breite Brust. Es ist schließlich Azra die die beiden Brüder wieder zur Vernunft ruft. >Ich glaube nicht, dass es hier um ein blödes Schwert geh...< >BLÖD? Das ist Fahl!< hallt es einstimmig von allen drei Brüdern zurück. Kurz ist es still im Raum und dann brechen sie alle in Lachen aus. Kenor gibt Tiuri sein Schwert zurück, der es auch gleich in die Scheide steckt und aus der Reichweite seiner Brüder bringt.
Als sie endlich wieder sitzen und noch nicht ganz aufgehört haben zu lachen sagt Kenor ganz nebenbei: >Weißt du was wirklich witzig ist, ihr kommt doch jetzt alle aus Talyra oder? Dass ihr wohl unserer Schwester Kea in der Schmiede nie begegnet seid...< Kenor kommt nicht dazu noch weiter zu sprechen.
>Kea?< kommt es heiser aus Borgils Kehle. >Kea, die Schmiedin Kea?< In der Stimme des Zwergen schwingt ein gefährlicher Unterton mit, der Tiuri augenblicklich den Kopf einziehen lässt, Kenor aber noch kein bisschen davor warnt weiter zu sprechen. >Jaa genau die, die wäre vor Schreck umgefallen, aber die hätte sich was gefreut!< Hocherfreut über diesen wirklich spaßigen Zufall grinst Kenor die drei Talyrer an, während Gawain längst die Hände vors Gesicht geschlagen hat und sich wohl, so wie Borgil gelegentlich, wünscht, dass die Götter ein Einsehen haben und seinen Bruder von seiner Qual erlösen.

Titel: Re: Sûrmera
Beitrag von Borgil am 07. Aug. 2007, 15:11 Uhr
"Freut mich euch kennen zu lernen, freut mich euch kennen zu lernen... freut mich euch... Byfandarryachyislinn!" Borgil stapft grollend und mit finsteren Blicken hinter den wiedervereinten Brüdern her und äfft grummelnd diesen komischen Gawain nach, der jetzt an Tiuris linker Seite klebt, während der andere, Kenor, rechts von ihm läuft. Als könnte er nicht allein gehen! Und beide haben sie ihm die Hände auf die Schultern gelegt und drängen ihn mit sanfter Gewalt vorwärts. Müssen ihn wohl auch noch antatschen! Nicht, dass er sich nicht wirklich für Tiuri gefreut hätte, als dieses Wiedersehen sich als doch eher freudigerer Natur herausgestellt hatte und klar geworden war, dass die beiden Templer mit dem Jungen - seinem Jungen bitteschön! - nicht nur durch Blut verbunden sind, sondern ihn wirklich zu... zu.... Zu lieben scheinen wie einen Bruder, gesteh es ruhig ein! Hmmpfff.... er ist ja auch ihr Bruder! Borgil ist froh für Tiuri und er sagt sich, dass es albern ist, auf zwei sechseinhalb Fuß große Templer eifersüchtig zu sein, aber er kann leider nicht das Geringste dagegen tun. Genau genommen hat er noch nie irgendetwas so wenig leiden können, wie diese beiden, und das, obwohl sie ihm überhaupt nichts getan haben. Sie werden in eine Art Speisesaal geführt, an einen Tisch gesetzt und bekommen Bier und Suppe, und Borgil ist immer noch damit beschäftigt, die ihr Wiedersehen feiernden Brüder abwechselnd mit argwöhnischen Blicken zu mustern und sich vorzuhalten, dass das hier ganz bestimmt das Beste für Tiuri sei, als Kenor plötzlich Fahl entdeckt und ein mittlerer Tumult am Tisch ausbricht. Borgil verfolgt das Spektakel mit einer hochgezogenen Braue und einem sehr zweifelnden Blick, kann sich aber einfach nicht dazu durchringen, in das nachfolgende Gelächter mit einzustimmen oder diese ganze, leidige Angelegenheit auf die leichte Schulter zu nehmen - und auch Azra ist auffallend still. Nur Brenainn lässt sich von der gedrückten Stimmung seiner Eltern nicht beeindrucken, grinst abwechselnd Gawain, Tiuri und Kenor an, flirtet schamlos mit der rotgesichtigen Köchin, die ihn auch prompt sofort unter Gurren und Komplimenten mit Sahnebonbons voll stopft, und hält seine Mutter in Atem, weil er einfach nicht still sitzen will, sondern lieber die Tempelküche näher in Augenschein nehmen (ja, das ist der Ort, wo die Bonbons herkommen).

Borgil beteiligt sich an keinem der Tischgespräche, starrt finster in sein Bier, redet nur wenn er angesprochen wird - und selbst dann antwortet er so kurz angebunden wie es gerade noch erträglich ist ohne wirklich unhöflich zu werden - und macht im Allgemeinen eher den Eindruck eines ziemlich mürrischen, ziemlich scheußlichen Zwergen, mit dem ganz bestimmt nicht gut Kirschen essen ist. Es ist einfach ungerecht. Ungerechter als ungerecht, das Ungerechteste überhaupt. Müssen diese beiden völlig verblödeten weißen Affen auch noch nett sein? Reicht es nicht schon, dass sie Templer und geistig einigermaßen gesund (soweit man das bei dieser Berufung eben sein kann) sind? Es wäre alles so viel einfacher gewesen, wären Kenor und Gawain lausige Pferdeburschen, Schmiedegehilfen oder Tempeldiener, arm und unfähig, einem jungen Mann ein ordentliches Zuhause zu bieten und am besten auch noch hässlich und gemein. Selbstredend sind sie nichts von alledem und dann auch noch höflich, zuvorkommend, ehrlich erfreut, Tiuri gesund und munter zu wissen und so gut aussehend wir ihr nichtsnutziger kleiner Bruder, kurz: es ist ein Graus. Sie bemühen sich wirklich redlich, Borgil mehr als ein paar geknurrte Worte zu entlocken, fragen nach seinem Namen und was er in Talyra mache, danken ihm für die Unterstützung ihres Bruders und versuchen allgemein irgendwie ein Gespräch mit ihm zu beginnen, doch jeder Versuch in diese Richtung wird von Borgil eisern und stoisch übergangen. Irgendwann entgeht es dann nicht einmal mehr seinem ohnehin eher mangelhaft ausgeprägten Einfühlungsvermögen, dass sein Benehmen für latente Unruhe am Tisch sorgt, doch alles, was diese Erkenntnis auf sein Gesicht zaubert, ist ein Grinsen, dass nur noch der allerletzte Gimpel als Lächeln bezeichnet hätte. >Weißt du was wirklich witzig ist...< startet dieser Kenor schließlich einen letzten verzweifelten Versuch, die Atmosphäre am Tisch, die von Borgils beharrlichem Schweigen und seiner düsteren Miene doch allmählich arg mitgenommen ist, noch irgendwie zu retten - es gelingt ihm dann zwar auch wunderbar, für Ablenkung zu sorgen, nur leider schlägt die in eine völlig unvorhergesehene Richtung aus. >Ihr kommt doch jetzt alle aus Talyra oder? Dass ihr wohl unserer Schwester Kea in der Schmiede nie begegnet seid...<

"Kea?" Diesmal kündigen sich die Alarmglocken in Borgils Schädel nicht erst durch leises Gebimmel an, sondern läuten gleich Sturm. Kea? Schmiede? Schwester? Sil-an-seiner-Esse... nein! Nein, nein, nein, nein! Hat er sie nicht erkannt und sie ihn auch... kann gar nicht sein, nicht mit zwei Brüdern, die ihm so ähnlich sehen... aber... es sei denn, er war nie... oh, nein. Das hätte er nie und nimmer gewagt. Nie! Er räuspert sich vernehmlich und wirft Tiuri einen "Wehe dir"- Blick zu, der den Jungen schlagartig einen halben Schritt schrumpfen lässt. Anscheinend hatte er es doch gewagt, und zwar gründlich. "Kea? Die Schmiedin Kea?" Hakt er grollend nach. Azra schlägt schon die Hände vors Gesicht, Tiuri wird immer kleiner und selbst Gawain blickt ganz betreten drein. Jeder, der Borgil auch nur ansatzweise kennt oder über ein Quäntchen Zwergenkenntnis verfügt, würde schon an seinem Tonfall hören, dass es möglicherweise gleich sehr unangenehm werden könnte - allein, Kenor kennt ihn überhaupt nicht und hat anscheinend auch nicht viel Erfahrung mit Zwergen, weswegen er munter weiter redet. >Jaa genau die, die wäre vor Schreck umgefallen, aber die hätte sich was gefreut!< "Die Schmiedin Kea, die eure Schwester ist und in Talyra lebt?" Bohrt Borgil ein drittes Mal nach und sämtliche Adern an seinen Schläfen pochen schon wildes Stakkato. "Die," knurrt er, ganz erschöpfte Geduld, zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, "Schmiedin Kea, die eure Schwester ist, in Talyra lebt und meine Pferde beschlägt?" Selbst Kenors Grinsen erstarrt bei diesen Worten allmählich zu einer etwas verwirrten Grimasse, während Gawain schon hilfesuchend an die dunkle Steindecke starrt, Azra hoffnungslos "Nein, nein, nein," flüstert, Brenainn ein fragendes "Hmm?" von sich gibt und Tiuri inzwischen so weit in sich zusammengesunken ist, dass seine Nase fast die Tischplatte berührt. "Die," holt Borgil ein letztes Mal Luft und wird mit jedem Wort grollender und lauter, bis er tatsächlich brüllt, dass selbst die dicken und entsprechend massiven Mauern des Brantempels stöhnend ächzen, "Schmiedin Kea, die eure Schwester ist, in Talyra lebt und meine Pferde beschlägt, die du ihr hättest bringen sollen, ein halbes Dutzend Mal allein im letzten Zwölfmond?!!"

Tiuri blinzelt hilfesuchend über den Rand des Tisches und kann gerade noch etwas von "Das war das, was ich nicht gemacht habe..." murmeln, ehe Borgils steinharte Zwergenpranke ihn am Ohr erwischt, es schmerzhaft verdreht und den Rotzlöffel dann fluchend hinter sich her schleift - hinaus aus dem Speisesaal, irgendeinen Gang entlang, vorbei an sich eilig in Sicherheit bringenden Tempeldienern und grau gewandeten Novizen, bis in einen ummauerten Hinterhof voller schattendunkler Priesterverstecke und efeuumrankter Säulengänge. Borgil, bebend vor Zorn und Enttäuschung, stößt  Tiuri bäuchlings über die halbhohe Mauer eines Kräutergärtleins, bis er dort liegt wie ein Teppich zum Ausklopfen über der Stange, reißt ihm den Gürtel vom Leib und verwamst dem Jungen dann derart den Allerwertesten, dass selbst Tiuri Hören und Sehen vergehen dürfte, auch wenn kein Wort des Protestes und erst Recht kein Schmerzensgeheul über seine Lippen kommen, außer abgehacktes Atmen durch zusammengebissene Zähne. Als ein Dutzend Streiche voll ist und Tiuris Hintern aussieht wie der gewisser azurianischer Affen, zerrt Borgil ihn in die Senkrechte zurück und schubst ihn in Richtung des Ganges, aus dem sie gekommen waren. "Du bist keine zwölf mehr, also hör auf, dich zu benehmen wie ein dummer Junge, der seine sieben Sinne nicht beisammen hat," schimpft er, während er Tiuri unbarmherzig vorwärts scheucht. "Dich werd' ich lehren noch einmal klipp und klare Anweisungen nicht zu befolgen! Das hier hattest du dir verdient, jeden einzelnen Hieb, und zwar redlich, ich hätte es längst tun sollen! Aber das heißt nicht, dass es mir gefallen hat und ich will es auch nie wieder tun müssen. Also lass es dir eine Lehre sein. Lass es dir bloß eine Lehre sein. Und jetzt mach, dass du zu deinen Brüdern zurückkommst!" Tiuri, verständlicherweise, trödelt furchtbar herum, aber es hilft ihm nichts, irgendwann muss er doch zu den anderen zurück, die wirklich keine Hellseher sein müssen, um zu ahnen, was gerade passiert ist - allerdings haben Kenor und Gawain eher brüderliche Spötteleien für den Jungen übrig und zudem einen reichen Schatz eigener Erfahrungen mit einem versohlten Hintern, der brennt wie das Fegefeuer, an denen sie Tiuri auch gleich teilhaben lassen, so dass Borgil spontane Sympathien für Evan den Schmied entwickelt, der Vater von gleich Dreien dieser Sorte gewesen war (Sil sei seiner Seele gnädig). Tiuri lässt die gutmütige Häme stoisch über sich ergehen und verzieht nur missmutig das Gesicht, weigert sich aber standhaft, sich wieder zu setzen, und verkündet, er stehe lieber ein Weilchen. Azra ist die einzige, die wirklich Mitgefühl für ihn zu haben scheint und ein Gesicht macht, als wolle sie ihn gleich tröstend in die Arme ziehen oder ihm mitleidig ein paar weiche Kissen holen.

Nachdem die Templer Tiuri genug mit alten Geschichten über diese oder jene berechtigten oder unberechtigten Prügel ihrer und seiner Vergangenheit aufgezogen haben, an die der Junge sich nicht wirklich erinnern kann, bekommt Tiuri dann doch noch die Gelegenheit, seinerseits ein paar Fragen zu stellen - eine führt zur anderen und so sind die drei Brüder alsbald in wildes Erzählen und Berichten vertieft. Borgil schwirrt der Kopf von Namen, Geschichten und zu vielen "Weißt du noch's", bei denen Tiuri jedes Mal nur hilflos mit den Schultern zucken kann, aber er lauscht ebenso aufmerksam wie Azra, auch wenn er weitaus schweigsamer bleibt und schon gar nicht mitlacht, selbst wenn es noch so komisch ist. Brenainn döst sich irgendwann auf dem Schoß seiner Mutter weg und wird in Azras Umhang gehüllt auf die breite Bank gelegt, um dort sein Mittagsschläfchen zu halten, und die Stunden vergehen wie im Flug. Keiner von ihnen bemerkt, wie die Zeit verrinnt, bis der nachmittäglich stille Tempel sich allmählich wieder mit Stimmengewirr und geschäftigem Treiben füllt, und Gawain schließlich zum Aufbruch drängt. Sie - und ein ziemlich entgeisterter Tiuri - erfahren, dass er Frau und Kinder hat und Tiuri somit schon zweifacher Onkel ist, und werden kurzerhand zum Abendmahl eingeladen. "Elaine, meine Frau, wird sich freuen, dich kennen zu lernen, sie hat schon viel von dir gehört. Wir richten dir ein Zimmer her, es wird vielleicht ein wenig eng, aber es wird schon gehen, Kenor lebt schließlich auch bei uns."
Borgil blickt noch ein wenig verwundert zwischen den Brüdern hin und her, als Kenor sich auch schon bemüßigt fühlt, sich in die Brust zu werfen und zu verkünden, dass Tiuri selbstverständlich in Zukunft bei ihm leben würde, schließlich seien sie beide Junggesellen und Gawain der arme Verheiratete, der sich um Frau und Kinder zu kümmern habe und nicht ständig einen naseweisen kleinen Bruder um sich herum gebrauchen könne, und...

In diesem Augenblick gibt Azra einen erstickten kleinen Laut von sich und Borgil wird blitzartig klar, dass er das, was er sich so fest vorgenommen hatte, nämlich Tiuri zu seiner wahren Familie zurückzubringen und ihm dann Lebewohl und viel Glück zu wünschen, einfach nicht über sich bringt. Azra bedenkt ihn mit flehenden Blicken und einem erschrockenen Gesicht und auch Tiuri scheint plötzlich eher betreten - oder bildet er sich das nur ein? Einerlei. Borgil steht abrupt auf und sowohl das, als auch sein Gesichtsausdruck, beenden schlagartig die hitzige Debatte der beiden Templer, wo ihr verloren geglaubter Bruder nun am besten einzuquartieren sei. "Das," setzt Borgil an und sein tiefer Zwergenbass grollt durch den hohen, halbdunklen Raum, "ist mein Junge. Mein Junge. Und er wird nirgendwo bleiben, geschweige denn irgendwo anders wohnen als bei uns Zuhause in der Harfe in Talyra." Sowohl Gawain als auch Kenor furchen ungehalten die Stirn und setzen zu Widerworten an, doch Borgil lässt sie nicht einmal Luft holen. "Ich habe ihn aufgenommen. Ich habe ihm Essen und Kleidung, eine Ausbildung und ein Dach über dem Kopf gegeben. Er frisst mir die Haare vom Kopf, tut nie, was man ihm sagt und treibt mich in den Wahnsinn - aber er gehört zur Familie und ich liebe ihn wie meinen eigenen Sohn. Ich werde ihn ganz bestimmt nicht hier in Sûrmera lassen und schon gar nicht in der Obhut zweier Templer, die ich überhaupt nicht kenne, mit Verlaub. Es sei denn..." Borgil meidet Azras Blick und sieht Tiuri an, der aus irgendeinem Grund reichlich vom Donner gerührt dreinblinzelt, "es sei denn er will es so."
Jetzt ist es an Kenor und Gawain, aufzustehen, empört auf Borgil hinunter zu funkeln und ihm entgegenzuhalten, es sei schließlich IHR Bruder, ihr eigen Fleisch und Blut, natürlich bleibe er hier bei ihnen. Sie seien eine Familie, besten Dank auch, dass er sich um Tiuri gekümmert hatte, aber er werde schon sehen, dass sie ihn bei sich behalten würden, wenn es sein müsse, dann auch gegen seinen Willen - doch Borgil lächelt nur, kalt und vollkommen ungerührt. Azra, die diesen Gesichtsausdruck schon kennt, bringt sich selbst und Brenainn vorsorglich schon einmal außer Reichweite und in Sicherheit, während Tiuri hilflos von einem zum anderen blickt. "Versucht's doch."

Titel: Re: Sûrmera
Beitrag von Azra am 11. Aug. 2007, 16:49 Uhr
„Oh nein“, ist alles, was Azra noch von sich gibt, bevor sie ihren eingewickelten Sohnemann an ihre Schulter hebt und hastig einen Sicherheitsabstand von mindestens fünf Schritt zwischen sich und den Tisch bringt. Sie kennt diesen Tonfall sehr gut, besser als die beiden dummen Brüder, die vielleicht noch davon ausgehen, er würde lustige Scherze treiben, oder – Azra muss ein säuerliches Lächeln unterdrücken – nur grosse Töne spucken. Dabei gibt es einige Charakterzüge, die Zwergen so eigen sind, dass man es ihnen äusserlich sogar ansieht. Darunter fallen unter anderem Sturheit, Selbstbeherrschung und unerschöpfliche Energie (sadistisches Ausdauertraining nicht mitgezählt), aber auch Selbstsicherheit und ein ungeheurer Anteil an Willenskraft. „Ein Zwerg meint immer, was er sagt.“ Und Borgil ist in diesem Fall ein Prachtexemplar von einem Zwergen, das weiss Azra besser als jeder andere hier, abgesehen von Tiuri. Dieses „Versucht’s doch“, hätte zudem jedem mit nur ein bisschen Verstand klar gemacht, dass ein vorläufiges Unentschieden für alle Beteiligten von Vorteil gewesen wäre. Kenor und Gawain jedoch, zwei gestandene Templer, die im Kampf sicherlich geübt sind, haben sich erhoben und starren Borgil über die schwere Platte des Tisches hinweg böse an. Offensichtlich haben sie nicht die leiseste Ahnung mit wem sie sich hier eigentlich anlegen, obwohl Borgils Äusseres für sich sprechen sollte. Sollte. Mein Mann ist nicht über vierhundert Jahre alt geworden, weil er vor ein paar kleinen Templern gekuscht hat ihr halbstarken Dummköpfe, denkt sich Azra seufzend und bittet die Götter verzweifelt um eine Spur von Einsicht für die armen Tröpfe, die überhaupt nicht damit einverstanden scheinen, dass man ihnen ihren gerade eben erst gefundenen Bruder gleich wieder wegnehmen möchte. Schon gar nicht von einem miesepetrigen Zwerg, dessen schlechte Laune sogar die Milch sauer werden lässt. Azra hat durchaus Verständnis für das Verhalten der Brüder, aber in erster Linie gilt ihre Sorge weiterhin Tiuri – und Borgil, um den sie sich aber, bei Sares, nicht kümmern muss. Dann doch eher für das Heil der Brüder beten.
“Tiuri ist unser Bruder und er gehört zu unserer Familie!“, kommt es von Kenor, der eine Hand schon gefährlich nahe am Griff seines Schwertes hat und Borgil damit nur unnötig reizt, was heisst, dass dessen Grinsen noch ein wenig breiter wird und ihm sogar ein trockenes Hüsteln entlockt. Zu UNSERER Familie?.. Das ist ja… also… Azra kann gar nicht anders, als empört und schlagartig ziemlich verärgert nach Luft schnappen und entgegen aller Vernunft, die ihr eintrichtert, schön brav dort zu bleiben, wo kein verfehlter Faustschlag sie erreichen kann, reckt sie die Schultern und stampf zurück. Sie drückt ihrem leicht verwunderten Ehemann rigoros Brenainn in die Arme, rafft mit grimmiger Miene – die der Borgils in nichts nachsteht - ihre Röcke und erklimmt rasch Bank und Tisch, um diesen zu gross geratenen Jungspunden, denen das Hirn wohl in die Hose gerutscht und der Anstand völlig abhanden gekommen ist, in die Augen sehen zu können. Schwer atmend und ziemlich wütend positioniert sie sich breitbeinig vor den beiden Brüdern, die leicht verdutzt blinzeln und das wahrscheinlich am allerwenigsten erwartet haben. Zwar wirken sie nicht sonderlich beeindruckt – wäre hätte das bei knapp fünf Fuss zartgliedrigem Elfen auch erwartet -, aber ganz wohl ist ihnen trotzdem nicht, denn sie tauschen einen argwöhnischen Blick miteinander und lassen die Finger von ihren Schwertern. Gut so, schnaubt Azra innerlich, zufrieden dass es den Herren Gebrüder Tiuri-gehört-uns erstmal die Sprache verschlagen hat. Sie holt tief Luft, stemmt die Hände in die Hüfte und dann gibt es kein Halten mehr: „So… geht das ja wohl gar nicht. WIR sind mit Tiuri auf einem verdammten Schiff von Talyra nach Sûrmera gereist, mit nichts abgesehen der vagen Ahnung, dass er irgendwo an der Marmel gelebt haben muss. Wir haben uns mit rachsüchtigen Vätern, hungrigen Wölfen, dreckigen Windeln und ewigem Unwissen herumgeschlagen, wir sassen über drei Monde in einem kleinen, verflixten Kuhdorf fest, wo wir es schon wieder mit verliebten Gören und unmöglichen Gäulen zu tun hatten, wir sind auf einem kleinen Karren bis nach Brigg gefahren, wo wir gegen Geistergeschichten, völlig durchgedrehte Dorfbewohner, Spinnen, Staub und kaum geniessbarem Essen ankommen mussten, wir sind den ganzen, langen und äusserst beschwerlichen Weg – ihr erinnert euch an die Wölfe?! - nach Sûrmera zurück, als man uns fröhlich beschieden hat, dass wir uns die ganze Reise nach Brigg hätten sparen können und WIR, ganz alleine wir, sind überhaupt hierher gekommen, um Tiuri endlich zu so etwas wie eine Vergangenheit zu verhelfen. Wir haben ihn also nicht einfach vorbeigebracht, als wollten wir ihn loswerden.

SO läuft das wirklich nicht. Aber bevor ihr euch hier wegen dummer Besitzansprüche, die weder Hand noch Fuss haben“, JETZT atmet sie zum ersten Mal wieder ganz langsam ein und aus, schliesst kurz die Augen und schickt Borgil dann einen ebenso flehenden, wie entschuldigenden  Blick aus schimmernden Augen, er möge das jetzt bitte nicht falsch verstehen: „Dann denkt doch bitte zuerst an Tiuri. Wie muss der sich fühlen, wenn die Menschen… Zwerge… und ähm… Elfen, wie auch immer, wenn die Personen, die er … äh… als seine Familie an… also ansieht, sich um ihn… naja… also… schlagen, als wäre er ein… äh… so was wie… ähm… ein Hauptgewinn?“ Mittlerweile und vielleicht auch durch ihre hitzige, durchaus lautstarke und äusserst innbrünstige Rede haben sich einige Zuschauer eingefunden, die dem Spektakel gebannt folgen. Sogar die Köchin hat ihr Refugium verlassen und hält drohend eine riesige Schöpfkelle in der Hand, die der Axt Borgils in nichts nachsteht, wohl bereit sich einzumischen, wenn dieser verrückte Haufen glaubt, den Tempel mit ihrem Gestänker entweihen zu können. Als Azra sich der Blicke bewusst wird, die von verdattert, über missbilligend, bis hin zu amüsiert auf ihr ruhen – Borgil und die Brüder werden eher skeptisch, bis alarmiert gemustert -, huscht ein verdattertes „Oh“, über ihre Lippen und ihre Wangen glühen schlagartige dunkelrosa. „I… Ich meine“, stottert sie, senkt reichlich verlegen den Blick und scharrt mit ihrem Fuss über Marmorierung des Eichenholzes, als gäbe es dort etwas fürchterlich Interessantes zu sehen. „Ich meine ja nur, dass… ähm.“ Oh Götter, oh Götter, lasst mich sterben, bitte, auf der Stelle, jetzt, hier und sofort. Der Boden soll sich auftun und mich verschlucken, bitte, bitte, bitte, bitte! Um nicht länger der ganzen Aufmerksamkeit des Speisesaals ausgesetzt zu sein, klettert sie unter Borgils skeptischem Blick ganz langsam rückwärts wieder vom Tisch hinunter und nimmt Brenainn an sich, um sich dahinter verstecken zu können: „Ich glaube nicht… naja, dass es hilfreich wäre, wenn ihr euch, als ihr, nicht wir, ihr, ja? Ähm, ja, jetzt gegenseitig die… die Schädel einschlagt, oder euch verletzt… ich meine das tut doch weh. Wie wäre es…“ Sie schluckt kurz und weiss gar nicht mehr wohin sie schauen kann, ohne dabei noch zehn weitere Fettnäpfchen zu finden: „Wie wäre es, also das ist nur ein… ja, ähm, Vorschlag, wenn wir jetzt erst einmal bei Euch, also euch Gawain“, der ältere Bruder ist noch immer leicht perplex über ihren nicht sehr glorreichen aber durchaus wirkungsvollen Auftritt, „einkehren und Tiuri somit Zeit geben über… über alles nachzudenken. Und wie auch...“ Alleine der Gedanke, Tiuri könnte in Sûrmera bleiben wollen schnürt ihr die Kehle ab  und unter ihren Lidern brennt es heiss, „auch... auch immer er… er sich…“ Ein Schluchzen würgt jedes weitere Wort ab und sie kann die Tränen nicht mehr länger zurückhalten. In hellen, klaren Bahnen rinnen sie über ihre Wangen und mit einem leisen Wimmern flüchtet sie an Borgils breite, harte Brust, wo sie ihr Gesicht zwischen den Falten seines Plaits verstecken kann. „Entschuldigung, Entschuldigung, Entschuldigung, Entschuldigung, Entschuldigung…“ Ich will ein Mauseloch, ich will nach Hause, warum sind wir überhaupt los gereist? Ich dummes, dummes Ding, ich sollte meinen vorlauten Mund halten, ich werde nie wieder etwas verlangen, fortan halte ich mich aus allem raus, was über Talyras Grenzen hinaus geht, ich verspreche es, aber bitte, bitte, bitte lasst Tiuri bei uns bleiben. Mindestens noch ein dutzend Mal bittet sie Borgil zwischen leisen Schluchzern kleinlaut um Vergebung, der ihr  beruhigend den Rücken tätschelt und die anderen über ihren Haarschopf hinweg böse anfunkelt und irgendetwas brummt von wegen, sie sollten sich nur ansehen, was sie angerichtet hätten oder so ähnlich. Alle drei Brüder senken synchron den Kopf und verfallen in betretenes Schweigen, bis Gawain schliesslich vorsichtig zur Tür deutet: “Eure Gemahlin hat Recht Herr Zwerg. Lasst uns gehen und derlei Dinge später besprechen, wenn der Zeitpunkt dazu gekommen ist.“ Azra stimmt mit einem kläglichen Nicken zu, bleibt aber an Borgils Seite kleben, bis sie den neugierigen Blicken und dem unruhigen Gemurmel der Leute im Saal entkommen sind. Tiuri schlurft breitbeinig und nicht sehr elegant hinter ihnen her, darum bemüht nicht zu zeigen, wie sehr sein Allerwertester eigentlich schmerzt – aber sie weiss es sehr genau. Kenor, ansonsten nie um einen Scherz verlegen, bleibt genauso stumm wie Gawain, der stumm voraus schreitet. Er führt sie durch die labyrinthartigen Häuserschluchten Sûrmeras, aus denen man ohne Führer oder Karte und Kompass nicht so schnell herausfindet, einmal quer über einen der riesigen Marktplätze, hinein in ein Gassengewirr von undurchschaubarer Dichte und gezeichnet durch abertausende von Winkel, Ecken und Sackgassen.

Die Leute, die ihnen begegnen senken respektvoll den Blick, grüssen die beiden Brüder höflich, oder blinzeln vollkommen verdattert von Kenor zu Tiuri und wieder zurück. Eine Traube palavernder Klatschweiber, die sich gerade den Mund über irgendeinen alten Säufer, der stinkende Fische verkauft, zerreissen, verstummen erst schlagartig, schlagen dann fast schon entsetzt die Hände vor ihre runden, rotwangigen Gesichter und verlieren sich, kaum sind Borgil und Co zwei Schritt weg, in emsigen Spekulationen darüber, wer der junge, hübsche Bursche an der Seite der beiden Templer wohl sein mag, der dem Weiberhelden Kenor, der ja keine Frau auslässt und als Stammgast ist im Inaritempel gilt, so ähnlich sieht. „Bruder“, „tot“, „Bastard“, „Sohn“, „Zwerg“, „seltsam“ und mehr Wortfetzen dringen durch den allgemeinen Lärm der Stadt bis an Azras Ohren, die wohlweislich ihren Kopf gesenkt hält und nicht zehn Sekhelrin von Borgils Seite weicht. Noch immer erschüttert von Zeit zu Zeit ein trockenes Schluchzen ihre Schultern, aber die Tränen sind in der Zwischenzeit versiegt und sie hat bis zu einem gewissen Grad ihre Fassung zurück gewonnen.
Es dauert eine ganze Weile bis sie eine sehr belebte, breite, gepflasterte Strasse erreichen, wo sich ein enges Haus an das nächste schmiegt und Gaststätte sich an Gaststätte reiht. Dort steuert Gawain zielstrebig ein zweistöckiges Gebäude an, dessen dunkle Querbalken einen hübschen Kontrast zu seinen weiss gekalkten Wänden und der Grundmauer aus hellem Naturstein bilden. Das Schindeldach sieht aus, als wäre es eben neu bedeckt worden und auch die Tür oberhalb der drei hölzernen Stufen ist noch so frisch, dass glänzender Harz aus dem Holz hervorquillt. Lange wohnen sie noch nicht hier, schätzt Azra und drückt sich noch ein Stückchen näher an Borgil, ohne Brenainn, der mit den Beinchen strampelt und jammert, er wolle alleine laufen, gross Beachtung zu schenken. „Nicht hier mein Schatz“, murmelt sie mit einem schiefen Blick auf die vielen Karren und Kutschen, die hinter ihren Rücken vorbeirattern, und die Masse an Volk, die trotz der abendlichen Stunde noch unterwegs ist „Das ist viel zu gefährlich.“ Klein-Brenainn findet das überhaupt nicht und protestiert lauthals und putzmunter obendrein gegen diese unfaire Behandlung, aber Azra bleibt standhaft und hält ihn fest. Gawain ist inzwischen die kleine Treppe hinauf gestiegen, schlägt den milchigweissen Umhang, auf dem das Emblem seines Gottes – in diesem Fall das silberne Schwert Brans – prangt, zurück und dreht dann den Türknauf. Er schafft es gerade mal die Tür auf zehn Fingerbreit zu öffnen, dann quetscht sich ein kreischendes, braunhaariges Bündel Kind durch den schmalen Spalt, streckt die Arme mit leuchtendem Gesichtchen nach oben und verlangt energisch: „Evan oben! Evan oben!“
Im nächsten Augenblick hat sich Brenainn mit einem durch und durch zwergischen Grummeln aus Azras Umarmung gewunden und watschelt so schnell ihn seine kleinen Füsschen tragen auf den fremden Jungen zu, der ganz verdutzt guckt und mit einem Male gar nicht mehr so sehr an seines Vaters Armen interessiert ist. „Auch will“, kräht Brenainn begeistert, krabbelt die Stufen mit in den Himmel gereckten Windelhintern empor und mustert dann sein einen halben Kopf grösseren Gegenüber unter dicht zusammengezogenen Augenbrauen dermassen kritisch, dass Azra herzhaft lachen muss. „Ganz der Papa“, kichert sie leise nahe Borgils Ohr, während die beiden Jungen wohl bereits zur Erkenntnis gekommen sind, dass sie miteinander viel eher Unheil stiften können, als alleine. Brenainn, kein kleiner Mann vieler Worte fragt: „Ball?“ und kaum nickt Gawains Sohn, sind die beiden auch schon im Halbdunkel des Ganges verschwunden. „Brenainn!“ Doch Azras Ruf verhallt ungehört, oder perfekt ignoriert. Einen Moment lang ist sie versucht ihrem frechen Sohn hinterher zu hasten, um nicht taktlos zu erscheinen, lässt es jedoch bleiben als eine Frauenstimme verblüfft fragt: “Gawain? Wer ist der kleine Junge?“ Gleich darauf unterdrückt Azra ein völlig verzücktes „Ohhhh“, als eine Frau an Gawains Seite erscheint und abrupt auf der Türschwelle stoppt, als sie Tiuri, Borgil und Azra gewahr wird. Sie ist nicht sehr schlank, aber mit einem äusserst hübschen, herzförmigen Gesicht und warmen, grünbraunen Augen gesegnet. Ihre glatten, braunen Haare hat sie zu einem lockeren Zopf geflochten und manche Strähnen umrahmen spielerisch ihre rosa Wangen. Aber das Objekt von Azras spontaner Aufmerksamkeit ist nicht Gawains Gemahlin, sondern das kleine, dunkelhaarige Baby, dass auf dem Arm der Mutter friedlich vor sich her blubbert und dabei begeistert mit den Ärmchen wedelt, als es den Vater sieht. „Oh Borgil, sieh nur“, wispert Azra noch immer völlig hin und weg von dem süssen Anblick und fast hätte sie sich verraten. „Hach, ich freu mich ja schon so auf…“ Borgil sieht sie fragend an und in aller Eile fügt sie hinzu: „… darauf die Familie kennen zu lernen. Also die ganze. Vielleicht… ähm… haben sie ja noch mehr… hüstel… Kinder.“

Titel: Re: Sûrmera
Beitrag von Tiuri am 15. Aug. 2007, 21:24 Uhr
So im Nachhinein betrachtet denkt Tiuri, hätte er diesem Wahnsinn vermutlich ein Ende setzen sollen und seinen beiden Familien sagen, dass es für sie überhaupt keinen Grund gibt sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen, weil es sowieso seine Entscheidung ist und er sich bestimmt nicht vom härtesten Faustschlag beeinflussen lassen würde. Das wäre aber erstens einfach zu rational für ihn und zweitens war er einfach viel zu perplex gewesen, erst Borgils Ansprache, dass er sein Junge wäre und dass er ihn lieben würde wie seinen eigenen Sohn, das hat Tiuri schon sehr gerührt und besonders gefreut weil er Borgil sowieso schon lange als Vaterersatz angenommen hat und es jetzt keine Zweifel mehr gibt, dass Tiuri, wenn er das will, wieder in die Goldene Harfe zurück gehen kann. Noch vor einem Jahrslauf, als Azra und er am Ufer des Ildorels darüber gesprochen hatten vielleicht nach Sûrmera zu fahren, hatte Tiuri auch keinen Gedanken daran verschwendet, dass es eventuell anders sein könnte, aber jetzt wo er seinen Brüdern gegenüber sitzt fühlt er sich nicht nur irgendwie verwandtschaftlich verpflichtet hier zu bleiben, er will sie auch ungern schon wieder verlassen. Er hat noch so viele Fragen und so viele fehlende Erinnerungen, aus 16 Jahren die er mit ihnen verbracht hat, wenn auch nicht alle davon so intensiv durch Kenors und Gawains Ausbildung zu Templern. 16 Jahre sind nicht nichts, auch wenn man sich nicht erinnern kann, sie sind gewesen und sie waren meine Familie. Wir haben uns auch sofort wieder verstanden, bestimmt waren wir eine gute Familie! Es ist also weniger die Tatsache, dass die Brüder praktisch Fremde für ihn sind, als dass er eine neue Familie hat die ihm nun wirklich nicht mehr fremd ist, sondern das beste was ihm je passieren konnte, die ihn wiederum nach Talyra zurück zieht. Tiuri ist froh, dass er diese Entscheidung jetzt erst mal aufschieben kann um weiter darüber nach zu denken welche seiner Familien er äußerst selten zu Gesicht bekommen wird und ihr, und sich als Draufgabe gleich dazu, das Herz zu brechen wird. Azras Tränen sind ihm noch zu gut im Gedächtnis und er hätte nie gedacht, dass allein der Gedanke daran, dass er vielleicht nicht mit ihnen zurück nach Talyra gehen würde, sie so in Aufruhr versetzen würde.
„Du isst ja gar nicht, bist du krank?“ Eine tiefe Zwergenstimme reißt Tiuri aus seinen Gedanken, Azras helle Augen mustern ihn besorgt, aber der Junge schüttelt lächelnd den Kopf um sich wieder über den Eintopf vor ihm her zu machen. Elaine war äußerst überrascht gewesen von diesem Besuch, besonders von dem des tot geglaubten Bruders, aber hauptsächlich hatte sie sich darüber echauffiert, dass sie nun nicht genügend zu essen für alle hätte und es nun noch länger dauern würde bis etwas am Tisch stünde (was im übrigen natürlich alles Gawains Schuld ist weil er sie nicht vorgewarnt hat). Obwohl sie nicht auf die zusätzlichen Esser eingestellt war, hat Elaine es geschafft aus den letzten Resten die sie in ihrer kleinen Küche noch gefunden hat etwas schmackhaftes zu zaubern.
Nach dem Abendessen sitzen sie noch einige Zeit zusammen, in der Tiuri meistens (stehend wegen seines schmerzenden Hinterteils) die zweieinhalb Monde alte Kaitlyn auf dem Arm hält, die, wie die meisten Säuglinge, sofort einen Narren an Tiuri gefressen hat und nach dem sie ihn erst unentwegt angelächelt hat und ihre kleinen Patschehändchen in seinen Mund, seine Nase und seine Haare gesteckt hat, ist sie jetzt friedlich in seinem Arm eingeschlafen. Den kleinen Evan hat Elaine schon bald ins Bett gebracht, zusammen mit Azra die Brenainn schlafen gelegt hat. Was gar nicht so einfach war, weil die beiden Jungs aufgedrehter waren als ein Sack Flöhe und einfach nicht still in ihren Betten liegen wollten.
Tiuri ist den ganzen Abend recht still gewesen, hat weiter darüber nach gedacht wo er die nächsten Jahre seines Lebens verbringen soll und sich darüber geärgert, dass er vor lauter Grübeln die Zeit die sie jetzt alle gemeinsam verbringen nicht genießen kann. Vorsichtig gibt er Elaine das Baby wieder und zieht sich dann in das Zimmer zurück das man ihm hergerichtet hat und das nun für die nächste Zeit seines sein könnte wenn er das will und frustriert über seine Entscheidungsunfähigkeit gräbt der Junge seinen Kopf in die Kissen und schläft bis in den Morgen.
Er erwacht Stunden nach dem ersten Hahnenschrei durch Stimmen am Gang vor seiner Türe. Erst kann er, verschlafen wie er ist, nicht erkennen wer sich da etwas hitzig unterhält, hört dann aber doch klar die Stimmen seines ältesten Bruders und dessen Frau. Gawain spricht wenig, geht aber immer wieder am Gang auf und ab und Elaine klingt ziemlich aufgewühlt. Sie wolle das nicht und Gawain sollte das genauso wenig und man könne bestimmt etwas tun, er müsse nur seinen Mund aufmachen, aber seine Familie wär ihm wohl nicht genügend wert, gerade jetzt wo Tiuri wieder da ist.
Sein Name ist Tiuris Stichwort um aufzustehen und den Kopf in den Gang hinaus zu strecken und die beiden fragend anzusehen.
>Haben wir dich geweckt? Das tut mir wirklich leid, wir...vielleicht kannst du ihm nicht ins Gewissen reden?<  Erst jetzt sieht Tiuri, dass Elaines Augen vom Weinen und ihre Wangen vor Aufregung gerötet sind. Bittend sieht sie Tiuri an, der nur die Schultern zuckt, weil er ja nicht mal weiß worum es geht und unter Gawains finsterem Blick den Kopf einzieht. „Wo... worum geht es denn überhaupt?“
>Nichts!< zischt Gawain.
>Gawain und Kenor gehen nach Arrassigué!< Jetzt sieht Elaine drein als erwarte sie, dass Tiuri jeden Moment mit dem Fuß aufstampfen würde und seinem Bruder, der nebenbei eindeutig am Packen ist, verbieten würde auch nur einen Schritt vor die Haustüre zu machen, doch der Junge hat noch immer nicht die geringste Ahnung worum es eigentlich geht.
„Öh, nach.. Ara..wo? Und wozu?“ fragt er deswegen reichlich verwirrt nach und sieht zwischen Elaine und Gawain hin und her.
>In den Krieg!< ruft Elaine mit schriller Stimme.
>Arrassigué liegt südlich von Sûrmera, sie gehört momentan zum Fürstentum, aber es gibt mal wieder Unruhen durch Nomadenstämme und Kenor und ich müssen dort hin.<
Elaine bricht neben ihm wieder in Tränen aus und schüttelt den Arm ab den Gawain ihr beruhigend um die Schultern legen wollte. >Du warst doch schon einmal dort, ich will nicht, dass du schon wieder gehst. Du hast doch schon gekämpft!< versucht Elaine noch einmal ihren Mann von seinem Vorhaben abzubringen. >Ich bin aber nun mal ein Templer des Bran und das ist meine Aufgabe und ein Templer war ich als du mich kennen gelernt hast, als ich um deine Hand angehalten hab und genauso als du vor Zeugen im Brantempel ja gesagt hast. Ein Templer werde ich auch immer sein, auch wenn ich dich liebe und meine Zeit natürlich lieber mit dir und den Kindern verbringen würde.<
Unter einem erneuten Tränenschwall, schüttelt Elaine den Kopf und läuft die Treppe hinunter wo sie Evan und Kaitlyn in ihren Bettchen alleine zurück gelassen hatte als sie bemerkt hatte, dass ihr Mann dabei war die Sachen zu packen.
„Wann geht es los?“ fragt Tiuri ruhig, er weiß, dass es nicht an ist Gawain davon abzuhalten fort zu gehen. „Und wie lange?“
Der Templer zuckt mit den Schultern. >Los geht es in zwei Tagen, und zurück... das weiß keiner so genau, wir wissen noch nicht einmal was uns für eine Gegnerzahl erwartet... Du kannst natürlich trotzdem hier bleiben, wenn du möchtest. Wir würden uns sehr freuen, besonders auch Elaine, du wärest ihr sicher eine große Hilfe!<
Tiuri nickt, er hat sich noch nicht entschieden was er möchte, aber er sieht ein, dass Elaine ihn bestimmt gut brauchen könnte, wenn er sich zusammen reißt und ihr nicht mehr Ärger bereitet als sie ohnehin schon mit ihrer Familie hat. Er lässt Gawain mit seiner Arbeit zurück, zieht sich an und steigt langsam die Treppen in diesem fremden Haus hinab und mit jeder Stufe die er steigt wird ihm bewusst wie sehr er hier Gast ist. Es sind seine Brüder die da in den Kampf ziehen und er kann nicht einmal offen mit ihnen darüber streiten und so die Sorgen die er sich natürlich macht zum Ausdruck bringe. Er kann auch nicht in die Küche gehen und Elaine in die Arme schließen um sie zu trösten, denn er kennt sie kaum und bestimmt wäre es ihr nicht gerade angenehm. In dem Augenblick wünscht er sich zurück in die Harfe, aber er schilt sich selbst einen feigen Hund, der viel zu bequem geworden ist um sich neuen Herausforderungen zu stellen. Vor der Eingangstür trifft Tiuri auf Kenor der ihn beinahe schwungvoll über den Haufen gerannt wäre.
>Hoppla!<
„Guten Morgen!“ lächelt Tiuri und entscheidet sich dann nicht lange um den heißen Brei herum zu reden. „Ich hab gehört ihr geht fort?“
>Äh ja, hoffentlich nicht zu lange. Beim nächsten Mal kannst du vielleicht schon mit uns gehen? Sicher trägst du Fahl auch um es zu benutzen oder?<
„Ich? Mit? Was? Ja... ich denke schon, dass ich wohl vor hatte es zu benutzen.“ Trainieren und ein Schwert am Gürtel mit sich herum tragen ist wirklich eine Sache, aber als Stallbursche der Harfe sind die Momente in denen man zum Schwert greifen muss eher rar gesät und so hat Tiuri eigentlich noch nie darüber nachgedacht Fahl auch in einer Schlacht zu führen. „Ich hab es schon benutzt! Gegen einen Höllenhund!“ ruft er also schnell um nicht als Idiot da zu stehen der ein Schwert trägt um mutig und verwegen auszusehen.
>Gut! Du bist zwar schon etwas alt, aber vielleicht kann aus dir auch noch ein Templer werden, oder du gehst zur sûrmerischen Stadtgarde, die brauchen immer Leute die hier etwas aufräumen!<
Im Gegensatz zu Gawain gesteht Kenor seinem kleinen Bruder noch immer keine Möglichkeit zu, dass dieser vielleicht in wenigen Tagen ein Schiff in Richtung Talyra betritt. „Ja vielleicht...“ murmelt Tiuri deswegen schlicht, deutet auf die Türe und drängt sich an Kenor vorbei nach draußen. Es wäre leichter für ihn gewesen hätte er in Sûrmera keine Zukunft gehabt, aber das war, wie Kenor ihm gerade dargelegt hatte, ganz und gar nicht der Fall. Es gibt viele Dinge die er in der Stadt an der Marmel tun kann und während er weiter darüber nach denkt schlendert er durch die Gassen Sûrmeras.
Er hat kein Ziel und schon bald ist er sich nicht einmal mehr sicher was den Weg zurück angeht, er setzt einfach einen Fuß vor den anderen und wartet ab wohin ihn seine Schritte tragen. Bald kann er hören wie sich die Stimmen der Stadt etwas erheben, weil er sich den Märkten am Ildorelufer nähert, aber eigentlich hat Tiuri jetzt keine Lust auf viele Menschen und so biegt er in eine kleine, etwas finstere Seitengasse ein. Der Weg zwischen alten Häusern, einige davon unbewohnt, ist schmal, riecht nicht besonders gut und eigentlich äußerst still, bis plötzlich die Ruhe von einem kurzen spitzen Schrei übertönt wird.
Erstaunt sieht sich Tiuri um, beunruhigt beschleunigt er seine Schritte etwas bis zur nächsten Gasse aus der er den Schrei gehört hat und dort erstarrt er für einen Augenblick erst mal, ehe er sich ganz von alleine, immer schneller werdend in Bewegung setzt und nachher nicht einmal mehr sagen kann wann er dabei eigentlich Fahl gezogen hat.
In der Gasse vor ihm schlägt ein Kerl gerade auf ein junges Mädchen ein, das ohnehin schon am Boden liegt und nur noch leise wimmert, während er sie mit der Rechten prügelt und sich mit der Linken an ihrem Kleid zu schaffen macht. Tiuri ist so schnell neben den beiden, dass dem Mann überhaupt keine Zeit bleibt um zu reagieren, in seiner Rage hat er den Jungen wohl gar nicht bemerkt und sieht nun äußerst erschrocken drein, als er plötzlich auf dem Rücken liegt und in kalte blaue Augen sieht, noch kälteren glatten Stahl vor der Kehle. Der Mann ist breitschultrig und kräftig, hätte Tiuri ihn nicht völlig überrascht und praktisch nieder gerannt, der Junge hätte ihn wohl nicht so einfach umwerfen können. So aber ist das Glück auf seiner Seite und er lässt den Mann keinen Moment aus den Augen als er das Mädchen fragt ob sie ernsthaft verletzt ist. Sie schluchzt zwar und braucht etwas um sich aufzurappeln, ihren Atem wieder zu finden, aber beteuert dann, dass es ihr gut gehe.
„Gut, komm mit, wir bringen ihn jetzt zur Stadtgarde, du zeigst mir den Weg, ja?“ Er spricht sanft auf sie ein, wartet bis sie direkt hinter ihm steht und ihm die Richtung zeigt in der es am schnellsten zur Garde gehen würde. „Geh und komm nicht auf blöde Gedanken, dieses Schwert ist scharf und es würde mit Leichtigkeit durch dein Fleisch gleiten!“ droht er, während er den Mann vor sich her treibt, durch zwei engere Gassen hindurch auf eine größere Straße, wo sie zum Glück schnell auf zwei patrouillierende Gardisten treffen, die zuerst wohl gar nicht wissen wen sie hier eigentlich fest nehmen sollen, den verängstigten Gefangenen oder den großen jungen Mann mit dem Drachenstahlschwert in der Hand. Erst das Mädchen kann Ordnung in die Situation bringen und die Tiuri ist froh als ihm die beiden Gardisten die Verantwortung abnehmen den Mann auf die Wache zu bringen. Erst jetzt kann Tiuri dem Mädchen zum ersten Mal ins Gesicht sehen, das mittlerweile blau und rot gefärbt ist von den Schlägen die sie abbekommen hat.
„Das sieht übel aus, du solltest zu einem Heiler gehen, oder es wenigstens kühlen!“ Tiuri sieht sie mitleidig an, während sie ihr Überkleid fest an die Brust drückt wo es auf gerissen ist und noch immer am ganzen Körper zittert. „Soll ich dich nach Hause bringen?“ fragt er und als sie zögerlich nickt tut er das auch, dort kann er sich dann kaum noch vor der dankenden Familie wehren, die ihm nicht nur die Lebensrettung, sondern auch die Unschuldsrettung ihrer Tochter entlohnen will, was Tiuri dankend ablehnt, für Geld hat er ihr bestimmt nicht geholfen. Er lässt sich dann schließlich noch überreden zum Mittagessen zu bleiben und so ist es schon Abend als der junge Mann, nicht ganz ohne vor Stolz geschwellte Brust sich auf den Weg zurück zum Haus seiner Brüder macht.
Auf dem Weg dort hin ist das erste was ihm einfällt, dass er das unbedingt Borgil und Azra erzählen muss. Er, ausgerechnet er als Retter der Jungfräulichkeit, das würden sie ihm nie glauben! Während er sich gedanklich schon ausmalt wie er es ihnen erzählen wird, fällt ihm auf, dass ihm das furchtbar fehlen würde wenn er hier bliebe. Er will, was auch immer passiert ist, abends zu den beiden zurück gehen und ihnen davon erzählen. Tiuri hält mitten im Gehen inne, reagiert überhaupt nicht auf das Schimpfen des Mannes der beinahe in ihn hinein gerannt wäre und stellt fest, dass er jetzt weiß wohin er gehört. So schnell ihn seine langen Beine tragen – und das ist ziemlich schnell – läuft er durch die Straßen, reißt die Türe des Hauses auf, schießt in den Wohnraum wo alle zusammen sitzen und ihn verwirrt ansehen. Sogar Evan und Brenainn halten im spielen inne, Kaitlyn hört auf an der Brust ihrer Mutter zu trinken, Azra fragt wo er denn so lange gewesen ist, sie hätten sich schon Sorgen gemacht und Tiuri geht auf nichts davon ein.
„Ich weiß es jetzt!“ verkündet er etwas kryptisch um dann sofort eine Erklärung hinterdrein zu schieben. „Ich gehe zurück nach Talyra. Ihr seid meine Brüder und ich bin froh euch gefunden zu haben, ich will euch auch so oft wie möglich wieder sehen, aber ich muss mein eigenes Leben führen und das ist nun einmal in Talyra, in der Harfe, bei Borgil und Azra!“
Kenor ist am Aufspringen und Protestieren, aber Gawain legt ihm schnell eine Hand auf die Schulter um ihn davon abzuhalten etwas unüberlegtes zu sagen oder zu tun und der Bruder fügt sich, wenn auch mit einem etwas säuerlichen Gesichtsausdruck.

Titel: Re: Sûrmera
Beitrag von Borgil am 26. Okt. 2007, 17:00 Uhr
Drei Tage nach Tiuris denkwürdiger Entscheidung, wieder mit Borgil und Azra nach Talyra kommen zu wollen und seine eben zurück gewonnene, "eigentliche" Familie - wenn auch schweren Herzens - in Sûrmera zurückzulassen, sind die beiden Templerbrüder des Jungen mit drei Hundertschaften weiterer Brankrieger unter Beifall und Blumenregen sûrmerischer Bürger nach Süden gezogen, und auch für den Zwerg und die Seinen hatte die Stunde des Abschieds geschlagen. Azra und Elaine hatten sich unter Tränen mit dem Versprechen, sich so bald es nur irgend geht (und vielleicht schon zum Sommerfest im nächsten Jahr) in Talyra wieder zu sehen, getrennt, und auch der Abschied Tiuris von seiner Schwägerin und den Kindern war mit Krokodilstränen und lautem Schluchzen auf der einen und betrübter Miene auf der anderen Seite ausgefallen. Borgil hatte heimlich still und leise dafür gesorgt, dass die sûrmerischen Zwerge hin und wieder ein Auge auf die kleine Familie werfen würden, so lange Gawain und Kenor in Arrassigué wären, doch davon hatte der Harfenwirt niemandem auch nur ein Sterbenswörtchen verraten, auch Elaine nicht, die keine Ahnung davon hat, dass sie von Stund an unter dem persönlichen Schutz der Zwergenschmiede der Stadt stehen würde (sicher ist sicher). Nun ist es fast Mittag, das Schiff, das sie alle nach Talyra zurückbringen soll - die schwere Kogge Amberlons Jungfrau-  würde mit dem Sonnenuntergang auslaufen, und Borgil mit einem schnarchenden Brenainn auf dem Arm, Azra und Tiuri - endlich aller schweren Entscheidungen und Sorgen ledig und dafür mit einem sonnigen Grünglanzmorgen und ein paar Stunden Muße beschenkt -, schlendern durch den Hafen der Tausend Farben. Ihr Gepäck ist bereits an Bord, ihre Zeche im Gasthaus bezahlt, so dass sie sich um nichts mehr kümmern müssen. Der berühmte Hafen der alten Stadt ist hufeisenförmig und darf mit Fug und Recht von sich behaupten, einer der größten Häfen der Immerlande zu sein. Hier mischen sich Farben, Klänge und Gerüche aller Art, vom wahrhaft Kailafar'schen Sprachgewirr, das an den Kais, in den Lagerhallen und Weinschänken und rund um die Stände und Verkaufszelte herrscht, ganz zu schweigen. Der ganze Hafen - und nicht umsonst trägt er seinen poetischen Namen - ist ein einziger, ausufernder Marktplatz, wo der Handel niemals still steht und man die exotischsten Waren erwerben kann - wenn man nicht fragt, woher sie stammen und ihre Echtheit auch nicht anzweifelt, dann ersteht man sie vielleicht sogar für einen Bruchteil des Preises, den sie andernorts kosten würden. Händler aus dem Süden und Osten sind überall, ebenso wie die unvermeidlichen Galgengesichter, die sûrmerische Stadtgarde, ehrbare Bürger, Beutelschneider, selbsternannte Hexenmeister, Seeleute und fahrendes Volk. Die Luft riecht nach Wasser und gebratenem Fisch, nach heißem Teer, nach vielerlei exotischen Früchten, ungewaschenen Menschen, Vieh, Rauchwerk und den verführerischen Bratendüften der zahllosen Stände, an welchen fetttriefende Würste ebenso verkauft werden wie gefülltes Fladenbrot, gebackene Fische und süße Teigwaren.

Borgil ist jedoch nicht auf Essen aus, dazu war ihr Abschiedsfrühstück bei Elaine viel zu üppig ausgefallen. Er hat ganz anderes im Sinn, seit er seine Frau mit leuchtenden Augen all die vielen Pferde hatte beobachten sehen, die an diesem Morgen aus der Stadt geritten worden waren. Azra braucht ein eigenes Pferd und muss lernen zu reiten - und abgesehen davon wird es ohnehin höchste Zeit, dass der Bengel an ihrer Seite ebenfalls ein Pferd bekommt, in seinem Fall eines, das ihn auch dann noch tragen kann, wenn er vielleicht irgendwann einmal endlich aufgehört hatte zu wachsen und an Gewicht zuzulegen, und dabei möglicherweise auch noch eine Rüstung trägt. Da sind wir schon beim nächsten Problem... aber nein, das erledige ich selbst. Sie suchen also die Piers Sûrmeras nach den Viehhändlern ab, während die Masten der zahllosen Schiffe wie ein laubloser Wald über dem Wasser des Hafenbeckens schaukeln und werden schließlich ganz im Norden des Hafens der Tausend Farben fündig. Hier preisen Viehhändler aus dem Umland ihre Schafe, Schweine, Ziegen und Rinder als die besten der ganzen Herzlande an, hier schnattern Gänse und Enten in geflochtenen Weidenkörben wild durcheinander, dösen Maultiere und Esel in der Sonne und gackern Heerscharen von sûrmerischem Federvieh - schwarzweiße, mittelschwere Nemurhühner - als gelte es das liebe Leben. Allen Göttern sei Dank finden sich auch Pferde jeder Form, Farbe, Größe und Preisklasse, so dass sie eine große Auswahl haben - dummerweise damit jedoch auch die Qual der Wahl. Brenainn, mittlerweile wach und mehr als interessiert an dem bunten Treiben ringsum, ist begeistert und will auf der Stelle mit den zwei Dutzend sonnengelben, flauschigen Küken spielen, die in ihrem Auslauf im Stroh hocken, doch Vater Gans hat etwas dagegen und zwickt Borgils vorwitzigem Sohn unter lautem Gezischel ordentlich in die impertinenten Patschefinger, die Brenainn unvorsichtigerweise zu weit durch das Gatter gesteckt hatte. Was folgt sind - logischerweise - infernales Gebrüll und dicke Tränen, doch der Honigfinger, den die mitfühlende Gänsemagd für Brenainn übrig hat, tröstet ungemein. Borgil, vollauf damit beschäftigt, seinem hin und wieder noch hicksenden Sohn den kleinen Rücken zu tätscheln und seine Frau davon abzuhalten, Haschee aus dem Ganter zu machen, schickt Tiuri schon einmal voraus. "Wir brauchen hier noch ein Weilchen, warum gehst du nicht schon mal vor und äh... siehst dich einmal dort hinten bei den schweren Pferden um, hm? Aber denk an das, was wir besprochen haben!" Tiuri schwebt von der Aussicht, ein eigenes Pferd zu bekommen, ein richtiges Ritterpferd, immer noch einen halben Schritt über dem Boden, hatte sich in seiner Euphorie jedoch immerhin davon überzeugen lassen, für den Anfang seiner Karriere als strahlender Held ein erfahrenes, schon etwas älteres oder vielleicht aus dem Kriegsdienst ausgemustertes Tier zu nehmen, das ruhig, gut ausgebildet und verlässlich ist - denn Tiuri kann zwar leidlich reiten, hat jedoch von den Feinheiten der Kampfkunst zu Pferd nicht die leiseste Ahnung und zwei Anfänger, einer im und einer unter dem Sattel, sind keine gute Kombination.

Der Bengel zischt mit dem Versprechen schon das richtige Pferd auszusuchen und dann zurückzukommen, um es Borgil zu zeigen (und nur ja keinem der ausgefuchsten Händler die Hand zu schütteln, was einem hier im Zweifelsfall schon als ein "gekauft" ausgelegt wird!) davon wie ein geölter Blitz und Borgil nimmt Azra in den Arm. "Na, nun hör schon auf, die arme Gans mit deinen Blicken töten zu wollen, Brenainn war wirklich selber schuld. Komm, wir sehen zu, dass wir ein kleines Pferdchen für dich finden, damit du nicht immer zu Fuß durch die Weltgeschichte laufen musst. Dort drüben sind Merenponies, die sind sehr hübsch." Nach einer Stunde hat Borgil so viele Pferdebeine abgetastet, in so viele Mäuler, Augen, Nüstern und Ohren geblickt und hat so viele Hufe zur näheren Inspektion in seinen breiten Zwergenpranken gehalten, dass es für ein ganzes Leben reicht - der sûrmerische Pferdemarkt scheint einer der größten ganz Rohas zu sein, entsprechend viele Tiere stehen zum Verkauf und seine weichherzige Frau würde am liebsten alle mitnehmen, die auch nur ansatzweise in Frage kommen. Mit den Ellenbogen bahnt Borgil ihnen also den Weg von einer Pferdebox zur anderen und grummelt dabei verärgert über das sûrmerische System mit den Zwischenhändlern vor sich hin. Man kann - wie sie sehr bald feststellen - nicht einfach so einen Pferdebesitzer ansprechen und ihn fragen, was er für sein Tier will, nein, sobald einer dieser goldgierigen Händler bemerkt, dass Kaufinteresse besteht, springt er auf und nennt eine Summe, die völlig illusorisch ist und versucht anschließend, Käufer und Verkäufer durch Verhandlungen auf einen Preis zu einigen. Borgil schwirrt der Schädel vor lauter Zahlen, Namen und genannter Pferdetugenden (oder Untugenden)... 50 Silberlinge... sehr sanftmütig... 300 Silberlinge... zuverlässig... kuhessig? Aber nie im Leben, vierzig Silberlinge, mein letztes Angebot... 400 Silberlinge... schöne Fohlen... 67 Silberlinge... mächtige Schulter... gutes Auge... starke Fesseln... 80 Silberlinge... wundervoller Behang... drei Jahre, bei meiner Ehre und keinen Tag älter... Oft genug fährt der Zwerg mit den Händen durch ein auffällig schimmerndes Fell und hat prompt Schmalz an den Fingern, und ein als jung und stark angepriesenes Tier entpuppt sich bei näherer Betrachtung gar als alte Mähre, aber schließlich werden sie nach einer halben Ewigkeit, wie es ihm erscheint, doch noch fündig: eine hübsche Schimmelstute hat es Azra angetan und der Besitzer lässt sie ihnen auch bereitwillig vorführen. Es ist ein Mogbar mit einer gehörigen Portion Pferdeverstand, wie sich bald herausstellt, der auch tatsächlich an dem Tier zu hängen scheint, denn es ist ihm sehr daran gelegen, dass sein Mädchen in gute Hände kommt. Und es ist ein hübsches Mädchen, das steht außer Frage - zierlich und klein, wie Merenponies nun einmal sind, hat sie dennoch ein starkes Fundament und gute Proportionen, und ihr Fell erinnert mit seinem schimmernden Weiß und den taubengrauen und karamellgoldenen Nuancen an Azras Haare. Die einzigen Wermutstropfen bei der Sache sind die Tatsache, dass Borgil sich für seine mit Pferden und Reiten noch unerfahrene Frau eigentlich ein erfahreneres, etwas älteres Tier gewünscht hat, keine sechsjährige Stute mit Flausen im Kopf, und das kleine Vermögen, dass er für das Pferd - samt Sattel und Zaumzeug - dann bezahlen soll - und natürlich die nicht unbedeutende Kleinigkeit, dass der Zwischenhändler, der für das Tier zuständig ist, ein zäher Brocken zu sein scheint.

Ihre Reisekasse ist ziemlich geplündert und Borgil hat zwar noch den ein oder anderen "Notgroschen" in der Hinterhand, doch die wollte er eigentlich nicht anrühren - so hätte er sich wenigstens einreden können, aus diesem ganzen Unterfangen nicht mit Verlust nach Hause zu kommen. Andererseits würde er, sollte Tiuri hier auf dem Pferdemarkt tatsächlich fündig werden ohnehin die Rücklagen angreifen müssen, denn selbst ein altes, ausgemustertes Schlachtross war immer noch gut und gern zehn bis zwölf Goldstücke wert... Borgil ist zwar durchaus vermögend, doch im Augenblick beläuft sich ihre gesamte Barschaft auf etwas über hundert Silberlinge und die eisernen Reserven stellen ein paar Edelsteine dar, die eingenäht im Leder des Zwergengürtels vor sich hinschlummern. Allen Göttern sei Dank weiß davon niemand außer mir. Azra trifft der Schlag, wenn ich hier einen davon verkaufe... Borgil kennt den ein oder anderen halbwegs ehrbaren Edelsteinhändler Sûrmeras, doch selbst die haben für gewöhnlich keine solchen Summen unter dem Ladentisch, sondern stellen Wechsel aus. Wie auch immer, hrmhum. Wenn ich den Rubin verkaufe und mir die Hälfte wenigstens in Gold und Silber geben lasse, können sie mir für den Rest so viele dämliche Pergamente ausschreiben wie sie wollen... Bei dem Preis, auf dem der Händler besteht, läuft Azra rot an wie eine von Hallas schönsten Tomaten und will erschrocken abwehren, doch Borgil reißt nur in gespieltem Entsetzen die Augen auf und beginnt dann zu feilschen wie ein azurianischer Teppichverkäufer im heimatlichen Basar. Nun, da der Entschluss gefasst ist, will er die kleine Stute unbedingt für Azra haben, koste es was es wolle, aber das bedeutet nicht, dass er sich deswegen ausnehmen lassen würde wie eine Sithechgans. Borgil stapft also seufzend auf den Unterhändler zu, doch der verschränkt nur kampflustig die Arme vor der Brust, während der Zwerg mit seiner Hand in Richtung des kleinen Pferdes wedelt. "Das da, wie viel?"
Der Händler mustert Borgil von oben bis unten, als taxiere er dessen Gewicht und erkundigt sich dann sichtlich erheitert: "Was denn, Ihr habt wohl vor, es zu essen, oder wie sehe ich das?"
"Steht das Pferd zum Verkauf oder nicht?"
"Natürlich, zweihundert Silberlinge. Soll ich gleich noch Salz und Pfeffer mitliefern?"
"Soll ich dich einen Kopf kürzer machen mein Junge? 200 Silberlinge.... für das Pferd von Blaeran dem Seligen vielleicht, aber nicht für dieses! Sieh dir die mickrige Kleine doch mal an, du kannst froh sein, wenn ich dir achtzig dafür gebe!"
"Aaaaaaachtzig Silberstücke? Halsabschneider! Und wovon soll der gute Mann hier seine Frau und seine zehn Kinder ernähren? Unter hundertachtzig geht gar nichts!"

Borgil umrundet das etwas verwirrte, vierbeinige Objekt seiner Begierde mit unergründlicher Miene. "So. Was kann es denn so?"
"Alles, was ein Standardreitpferd können muss," wird ihm prompt beschieden und der Zwischenhändler zuckt leichthin mit den Achseln. Borgils Erwiderung darauf ist ein leises Lachen, was sich bei dem Zwergen erfahrungsgemäß anhört, als huste ein Drache mit schwerer Bronchitis und allen Anwesenden in Hörweite (eingeschlossen der Pferde) einen Schauer über den Rücken jagen dürfte. "Soso. Und für den Standard soll ich hundertachtzig Silberlinge hinblättern? Willst du mich für blöd verkaufen, Freundchen?"
"Äh... nie im Leben, guter Mann. Hundert, aber das ist mein äußerstes..."
"Ah... jetzt kommen wir weiter. Aber so klapprig wie die Kleine ist, trägt sie ja noch nicht mal meine Frau."
"Eure äh... Frau?" Eindeutig erschrocken blickt der Händler sich um, wohl auf der Suche nach einem weiblichen Äquivalent zu Borgil, doch alles, was er sieht, ist ein feengleiches Geschöpf mit weißem Haar, spitzen Ohren und einem Kleinkind auf dem Arm, dem man auch nicht unbedingt ansieht, dass Borgil Blutaxt der Vater ist. "Allerdings," knurrt Borgil und schwingt gemächlich die Axt vom Rücken, anscheinend jedoch nicht gemächlich genug, denn der Zwischenhändler macht vorsichtshalber einen Schritt außer Reichweite und selbst die Pferde und alle anderen Anwesenden blicken inzwischen nervös herüber. "Noch nie von einem verheirateten Zwergen gehört?" Mit dem langen Dorn des Schlachtbeils pult sich Borgil betont gelassen imaginären Dreck aus den Fingernägeln.
"Öh..."
"Wie meinen?"
"Ahm... achtzig, ich sagte achtzig Silberlinge und ich liefere auch gleich Sattel und Zaumzeug dazu.
"Klingt doch schon viel besser. Wenn du jetzt noch zwanzig Silberlinge runter gehst, bin ich zufrieden und mein Mädchen hier", Borgil tätschelt liebevoll das breite Axtblatt, "wird noch viel friedlicher sein als ich." Der Händler beäugt seufzend die Axt in den ledrigen Zwergenhänden, dann nickt er. "Heilige Götter, dann zieht mir noch das letzte Hemd aus! Sechzig Silberlinge und das Pferd samt Sattel und Lederzeug ist Euer." Er streckt die Hand aus, doch das ist ein Fehler, denn Borgil ergreift sie begeistert und schüttelt sie enthusiastisch, was der arme Mann noch drei Tage lang an gequetschten Fingern und einem halb aus dem Gelenk gerissenen Arm merken dürfte - doch einerlei. Azra hat ihr Pferd und klebt - samt Brenainn - begeistert quietschend an Borgils Hals, gut gefeilscht hat er auch, der Besitzer scheint nicht allzu unglücklich und der Händler rauft sich die Haare. Nachdem alles abgemacht ist und sechzig Silberlinge sowie die Stute den Besitzer gewechselt haben, bringt ein Bursche das Pferd samt Sattel und Zaumzeug zu ihrem Schiff in den Hafen und Borgil und Azra können sich auf die Suche nach Tiuri machen. Es dauerst nicht lange, bis sie ihn gefunden haben - oder viel mehr bis sie ein Höllenlärm zu Tiuri führt.

Sie hätten sich ja eigentlich denken können, dass der Junge bis zum Hals in Schwierigkeiten stecken würde, sobald man ihn auch nur für einen Herzschlag aus den Augen lässt, doch auf den Anblick, der sich ihnen bietet, sobald Borgil ihnen mit den Ellenbogen einen Weg durch die gaffende Menge der Schaulustigen gebahnt hat, sind sie nicht vorbereitet. "Scheint so, "grollt der Zwerg, nachdem er den Veitstanz, den Tiuri da mit einem undefinierbaren und obendrein ohrenbetäubend kreischenden Schlammriesen an einem Strick aufführt, eine Weile sprachlos beobachtet hat, "als hätte der Junge ein Tier gefunden. Kneif mich, Azra. Ich war sicher, ich hätte ihm gesagt, er solle sich nach einem Pferd umsehen, nicht nach einem tollwütigen Mammut."

Titel: Re: Sûrmera
Beitrag von Tiuri am 10. Nov. 2007, 13:11 Uhr
Tiuri schiebt die Wehmütigkeit dass er seine Brüder verlassen muss so gut es geht von sich und lässt der Seligkeit die ihn bei der Aussicht auf sein erstes eigenes Pferd gepackt hat freien Lauf, als er von Borgil los geschickt wird um sich schon einmal umzusehen. Erst wandert er noch an den kleineren und leichten Pferden vorbei, streift dann den Bereich in dem man die mittelgroßen Reitpferde auffinden kann, wobei ihm auch hier schon einige schöne Tiere ins Auge springen. Aber gut erzogen wie er ist, oder wenigstens sein sollte, ruft er sich Borgils Worte in den Kopf, der ihm schon im Voraus genau beschrieben hatte was für eine Art von Pferd für Tiuri in Frage käme. Mit schwingenden Armen und breitem Grinsen auf dem Gesicht, schlendert er also weiter in Richtung der schweren Pferde, wobei er bei deren Anblick erst einmal stehen bleibt, den Kopf wendet und nachsieht, ob er vielleicht an der Abteilung „Ritterpferde“ oder „Pferde für angehende Helden“ vorbei gelaufen ist, denn er sieht sich im ersten Moment ausschließlich etwas trägen Zugpferden gegenüber und das ist nun wirklich nicht was er sich unter seinem zukünftigen, feurigen Streitross vorgestellt hatte. Nicht, dass er adäquate Vorstellungen von einem solchen Pferd hat, denn in seinen Träumen ist Held-Tiuri auf einem 8 Fuß großen, glänzend schwarzen Culpferd (er kennt diese Pferde, da ein Südländer mit einem solchen Pferd einst eine Nacht in der Harfe verbracht hatte) mit rot glühenden Augen unterwegs, aus dessen Nüstern Rauch aufsteigt. Natürlich fühlt er sich sehr auf den Boden der Realität zurück versetzt als er dem ersten Pferd, einem dösenden Larnaker Kaltblut gegenüber steht und ihm in die halb geschlossenen Augen sieht.
>Ein wunderbares Arbeitspferd, erst 10 Sommer alt! Völlig unermüdlich, genügsam, ackert Euer gesamtes Feld praktisch alleine um!< Ein Händler hat ihn schon erspäht und möchte Tiuri das braune Arbeitswunder sofort andrehen.
„Ich bin sicher er ist großartig und kocht mir abends auch noch mein Essen, aber ich suche nach keinem Arbeitspferd, sondern nach einem Schlachtross!“ erwidert Tiuri, den Eifer des Mannes sofort dämpfend, mit vor Stolz geschwellter Brust und hofft, dass ihm der Händler eventuell weiter helfen kann.
>So etwas habe ich nicht!< ist jedoch alles was der Mann zu Tiuri nach oben schnappt bevor er sich wieder umdreht und den jungen Mann mit keinem weiteren Blick mehr würdigt.
Etwas perplex verharrt Tiuri kurz, wendet sich dann jedoch ebenfalls ab und geht zwischen den Reihen angepflockter Pferde hindurch und betrachtet jedes einzelne von ihnen genau. Nicht nur ein Händler versucht ihm darauf hin eines seiner Arbeitspferde als genau das zu verkaufen was Tiuri sucht. >Der ist sonst viel temperamentvoller! Der schläft nur!< versucht es einer und boxt seinem Pferd den Ellenbogen zwischen die Rippen. Der Rappe zuckt kurz mit einem Ohr, macht dann ein grunzendes Geräusch und dreht seinem Herren das breite Hinterteil zu.
Doch selbst unter den Reitpferden die verstreut zwischen den Arbeitspferden stehen, ist es nicht so einfach für Tiuri das geeignete Pferd zu finden. Ein Rappe gefällt ihm besonders gut, aber einmal ganz abgesehen von dem sündhaft teuren Preis den der Händler für den Thunderländer nennt, ist das Pferd einfach zu jung und unerfahren für Tiuri. Der Hengst kann kaum ruhig zwischen den vielen Menschen stehen bleiben, versucht immer wieder auszuweichen als Tiuri ihm die langen Stirnhaare zur Seite schieben will um ihm in die Augen zu sehen. Auf die Frage wie alt der Hengst ist und wie lange er schon geritten wird erübrigt sich die Sache dann komplett für den „Helden in Ausbildung“, denn der Schwarze ist gerade einmal 2 Sommer alt und hat noch keinen Reiter gesehen. Unerfahrener Reiter, erfahrenes Pferd und erfahrener Reiter, unerfahrenes Pferd! ruft sich Tiuri in Erinnerung und lässt den schönen Hengst schweren Herzens zurück. Bei einem Braunen verharrt er ebenfalls kurz, das Pferd ist gelassener und trotzdem wirkt es nicht völlig träge, doch auf die Frage nach Alter und Ausbildungsstand des Pferdes bekommt Tiuri wieder keine zufrieden stellende Antwort. >Wunderbar ausgebildetes Pferd, hat die beste Schule hier in Sûrmera hinter sich,… das Alter? Ich weiß es nicht ganz genau, aber nicht älter als… 20… 22 Sommer, vielleicht 25.< Das ist Tiuri dann doch etwas zu alt, er möchte schließlich nicht fürchten, dass ihm sein Pferd, das vermutlich doch noch älter als 25 ist, bei der Überfahrt nach Talyra an Altersschwäche stirbt.
Ein Tumult nicht weit von dem Pferd das er gerade angesehen hat, erweckt die Aufmerksamkeit des Jungen und als er sich umdreht sieht er wie ein großes starkes, äußerst schmutziges Pferd gerade versucht seinen Pferch, die drei Pflöcke an die es gebunden ist und den Mann der gewagt hat es sich genauer anzuschauen, in kleine Stücke zu zerlegen. Sein wütender Besitzer versucht das Pferd mit Schlägen und Ketten wieder zur Vernunft zu bringen, was die ganze Sache natürlich nicht besser macht und brüllt dabei etwas von Schlachter und den neun Höllen die dieses Untier ausgespuckt haben. Von seinem sicheren Abstand aus kann Tiuri das Pferd gut beobachten, wie es mit rollenden Augen und angelegten Ohren versucht seine Haut zu retten, nie mehr als zwei Beine am Boden, die Zähne gebleckt versucht es zu beißen was nicht bei drei auf den Bäumen sitzt. Tiuri weiß gar nicht warum er das eigentlich macht, aber irgendetwas in den Augen des Pferdes – die ungewöhnlicher Weise blau sind – voller Angst, Zorn und Verwirrung erinnert ihn wohl an sich selbst bevor Borgil ihn aufgelesen hat und so schiebt er den auf das Pferd einschlagenden Händler mit einem kräftigen Stoß zur Seite und packt den Schlammriesen mit einem glücklichen Griff direkt am Halfter. Einen kurzen Moment erstarrt das Pferd in seiner Bewegung nur um dann der Aufgabe nachzukommen Tiuri ins Jenseits zu befördern. Doch der Junge hält den Kopf des Pferdes eisern von sich weg und weicht den schlagenden Hufen so lang aus, bis der Hengst tatsächlich aufgibt.
>Halt ihn noch etwas Junge und ich mache der Sache sofort hier und jetzt ein Ende, den kauft sowieso niemand und mein Hals ist mir wichtiger als die paar Kupferlinge die ich für den bekomme!<
Der Händler den Tiuri zu Seite geschubst hat, nähert sich dem Pferd mit einem langen Messer und beordert Tiuri dem Hengst den Kopf so gut es geht zur Seite zu drehen, damit er zu dessen Kehle gelangen kann.
„HALT!“ hört sich Tiuri da schreien, was das haarige Monster an seinem Arm sofort wieder dazu bringt in die Höhe zu springen und sein ohrenbetäubendes Geschrei los zu lassen. „Ich nehme ihn!“ Der Händler sieht den Jungen ungläubig an und sogar das Pferd lässt ihm einen Moment Zeit seine Arme zu entspannen.
>Du nimmst dieses Höllentier?< fragt der Händler noch einmal nach und Tiuri nickt. „Aber nur für den Preis den auch der Schlachter gezahlt hätte!“ sagt er und der Händler, froh mit der Bestie keine Scherereien mehr zu haben, packt sofort Tiuris Hand und sagt: >Abgemacht!<
Nach Borgil braucht sich Tiuri nicht lange umzusehen, denn der Zwerg steht mit finsterem Blick und zusammen gezogenen Augenbrauen schon hinter dem Jungen und fragt ob Tiuri denn von allen guten Geistern verlassen sei. Tiuri kann gar nichts erwidern, denn eigentlich findet er sich selbst ganz schön verrückt, aber irgendwie hat er das Gefühl das Richtige getan zu haben und deswegen grinst er Borgil nur verlegen an. Der Händler unterdessen fragt nach dem Geld und erinnert, dass der Handschlag bindend ist und dass Tiuri da nicht mehr zurück kann. Trotzdem überrascht es den Jungen, dass der Zwerg nach einem eindringlichen Blick auf das Pferd den Preis relativ bereitwillig herausrückt und Tiuri anschafft das Tier sofort zum Schiff zu bringen. Der Weg zum Schiff stellt aber schon das nächste Problem dar, obwohl Tiuri insgeheim noch schlimmeres befürchtet hat. Gelegentlich bewegt sich der Hengst sogar ein paar Meter normal vorwärts, nur um dann wieder völlig willkürlich Sätze in der verschiedensten Richtungen zu machen, wobei die, die er auf Tiuri hin macht von Tritten und versuchtem Beißen begleitet sind. Immer wieder hängt Tiuri auch an einem der fünf Stricke die an dem Halfter des Pferdes hängen, die breiten Hufe des Tieres gefährlich über sich und kann seinen Kopf nur gerade so retten. Als das Schiff jedoch schon in Sichtweite ist, Tiuri immer müder wird und das „Mammut“ wie Borgil es nennt, sich immer noch nicht wirklich beruhigt hat, fragt sich Tiuri warum er eigentlich noch am Leben ist, denn dieses Pferd ist wohl hundert Mal so stark wie er und wenn es den tatsächlichen Wunsch hätte ihn zu töten, so hätte es mehr als nur ein Mal im letzten Tausendschritt die Gelegenheit dazu gehabt. Die Vermutung, dass es der Hengst gar nicht zum Äußersten treiben würde beschleicht ihn und bestätigt sich nur wenige Schritte darin, dass das Pferd schon wieder steigt und auch als Tiuri, der vor lauter Atemlosigkeit zu langsam geworden ist, nicht rechtzeitig weg springen kann, nicht den Kopf des Jungen trifft, sondern sogar einen Schritt zurück macht und trompetend wieder neben seinem neuen Herren landet. Überrascht sehen sie sich gegenseitig an, Tiuri, froh, dass sein Kopf noch auf seinem Hals steckt und der Hengst perplex, dass dieses Männchen nicht vor ihm zurück gewichen ist. Den Biss den er dann in Richtung Tiuris Arm setzt meint er allerdings sehr wohl ernst und mit einem Sprung zur Seite bringt Tiuri den Tanz mit diesem Untier wieder in Gang.
Der Kapitän der Amberlons Jungfrau will Tiuri mit seiner neuen Errungenschaft erst gar nicht aufs Schiff lassen und gibt erst nach als Borgil mit grimmiger Miene wieder ein paar Münzen springen lässt. Für den Hengst, dessen Namen der Händler nicht kannte oder vergessen hatte, findet sich im hintersten Eck des Laderaums ein Pferch, etwas zu eng, aber der einzige der geschlossene Seitenwände hat und ein Gitter an der Türe, so dass der Hengst nicht darüber springen kann.

Über die Fahrt hinweg besucht Tiuri sein Pferd jeden Tag, ist der einzige der es wagt die Boxentüre zu öffnen um das Untier zu füttern und ihm gelegentlich einen Eimer mit Wasser über den schlammverkrusteten Rücken zu schütten in der Hoffnung, dass er mit der Zeit wenigstens die Farbe des Pferdes erkennen würde. Tatsächlich stellt sich heraus, dass der Hengst ein Rappe ist und eigentlich gar nicht so hässlich wenn man unter diese Dreck-Schutzschicht sieht. Der Umstand dem er aber verdankt, dass Borgil auch noch Geld für dieses Pferd bezahlt hat ist ein anderer, nämlich, dass der Zwerg den Hengst von früher her kennt. Er war das Pferd eines älteren Ritters und hat die beiden bei mehreren Gelegenheiten, unter anderem an einem Sommerturnier in Talyra gesehen und immer einen sehr guten Eindruck von ihnen gehabt. Unter der Dreckschicht ist das Pferd kaum zu erkennen gewesen, doch seine Statur und natürlich die blauen Augen haben ihn verraten. Es ist ein sehr gutes Pferd, aber ihm ist eindeutig etwas Schlimmes zugestoßen und Tiuri würde lange daran arbeiten müssen bis er sich überhaupt an den Rücken des Tieres wagen könnte.

Mal abgesehen von den Eskapaden von Tiuris Pferd, vergeht die Überfahrt nach Talyra nicht nur sehr ruhig, sondern glücklicherweise auch recht schnell. So wie ihnen auf ihrer Hinfahrt nach Sûrmera das Wetter ständig einen Strich durch die Rechnung machen wollte, scheint Vendis nun auf ihrer Seite zu sein und sie schnell zurück in die Heimat bringen zu wollen. Tiuri beklagt sich zwar darüber, dass ein paar Wellen viel spannender wären, aber er ist auch froh, dass Azra, die das betreten des Schiffes schon gefürchtet hat, keine Probleme mit der Seekrankheit hat und ihr Essen bei sich behalten kann. Aber obwohl sie eine erfolgreiche Reise und eine leichte Überfahrt hinter sich haben, sind alle drei unsagbar froh als an einem schwülen, drückenden Sommertag Talyra vor ihnen auftaucht und sie nach nicht allzu langer Zeit endlich wieder festen und noch dazu heimatlichen Boden unter den Füßen spüren.



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