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Das Rollenspiel >> Reisen und Quests durch die Immerlande >> Cumaîlais ~ Heimkehr
(Thema begonnen von: Arwen am 09. Mai 2006, 21:22 Uhr)

Titel: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Arwen am 09. Mai 2006, 21:22 Uhr
~ Das Grüne Tal von Erryn, Mitte des Sturmwindmondes ~



Sie erreichen den Gasthof mit dem Sonnenuntergang. Auf einer kleinen Hügelkuppe lässt Gildin ihren Tross für einen Augenblick verharren. Die vergangenen Siebentage sind anstrengend gewesen, für sie alle und für Rialinn im Besonderen. Zwar ist sie für ihre knappen zwei Jahre erstaunlich groß (und neugierig), und die Seereise zu Beginn war für das Elbenkind ein einziges großes Abenteuer. Doch auch das größte Abenteuer verliert nach Tagen über Tagen seinen Reiz, wenn man ein quirliges Kind ist, dessen Bewegungskreis abrupt von einem großen Garten auf einen Quadratschritt auf einem der beiden Wagen und den Sitz vor der Mutter im Sattel beschränkt wird. Und so ist Rialinn schon seit Tagen, oder genauer Wochen, quengelig und unleidig, jammert oft und flüchtet sich bei jeder Gelegenheit in nervenzermürbende Trotzanfälle die alles in den Schatten stellen, was Arwen schon von ihrer Tochter gewohnt ist. Die ersten Tage nach ihrem Aufbruch aus Surmera hatte Arwen sich gegenüber jedem außer ihrer Tochter in eisiges Schweigen gehüllt gehabt. Ihr war zwar klar gewesen, dass in Surmera noch Fuhrwerke und damit weitere Männer ihres Vaters warten würden, aber zwei Dutzend Ritter und Waffenknechte, dazu zwei Pferdeknechte auf jedem Fuhrwerk, war dann doch deutlich mehr gewesen als sie erwartet hatte. Und das sichere Gefühl, dass andere einfach so über ihr Leben bestimmen und ihr anscheinend obendrein noch vorenthalten, was der wirkliche Grund für all dies ist, hatte züngelnde Wut entfacht. Nur ihr wilder Stolz hatte verhinderte, dass sie die Beherrschung verlor - und ihre Dickköpfigkeit, die ihrer eisernen Disziplin in Nichts nachsteht. Aber die Wut hatte sich im Laufe der Tage gelegt, es war ohnehin nicht mehr als eine nutzlose Verschwendung von Kraft und Energie. Sie hatten die Mondtore erreicht und die Lande der Sterblichen verlassen. Ein ganz merkwürdiges Gefühl war es gewesen, diese unsichtbare Grenze zu überschreiten, die Reiche der Elben wieder zu betreten, die sie vor mehreren hundert Jahresläufen bei Nacht und Nebel in wilder Flucht verlassen hatte. Sie hatte ihren Schwur gehalten, der Fluch wurde gebrochen ehe sie zurückkehrte. Und der beste Beweis dafür hatte vor ihr im Sattel gesessen als sie die Wächter der Mondtore passiert hatten: Rialinn.

Nach all den langen Tagen unterwegs, mit Nächten in Zelten oder in einfachen Herbergen, war die Nacht auf der Hohen Ayre während ihrer Überquerung der Mondsichel eine angenehme Erholung gewesen, aber doch auch nicht mehr als eine kurze Verschnaufpause, die noch dazu schon wieder mehrere Nächte zurückliegt. Die Herberge, die ihr Bruder jetzt ansteuert, liegt nur wenig mehr als einen Tagesmarsch von Lomirion entfernt und ist von dort wo sie jetzt halten schon gut zu sehen. Das Haus sieht einladend aus, durch die kleinen Fenster (die tatsächlich mit Glas versehen und nicht mit dünnen Tierhäuten bespannt sind) fällt Licht in heimeligen Fingern in die aufkommende Dämmerung. Hinter den Hügelkuppen flammt die letzte Glut der Sonne, so dass die Gebäude tiefschwarze, doppelte Schatten werfen. Ein kurzer Ruf von Andovar, und der ganze Tross setzt sich wieder in Bewegung. Keines der Pferde muss noch angetrieben werden, sie alle scheinen zu wissen, dass nur wenig vor ihnen ein Stall, frisches Heu, mit Hafer gefüllte Tröge und eine Nacht auf sauberem Stroh auf sie warten.

Für einen Moment kommt Gedränge auf, als sich die beiden beladenen Fuhrwerke samt der Reiter in den ummauerten Stallhof neben dem Gasthaus drängen. Stallknechte tauchen auf, versuchen gleichzeitig die Zügel der Reiter zu nehmen und Platz für die Fuhrwerke zu schaffen, Pferde schnauben und wiehern, Rufe gehen hin und her, und mittendrin fängt Rialinn an zu weinen und nach ihrer Mutter zu rufen, die sie in dem Ameisenhaufengewimmel aus den Augen verloren hat. Rasch ist Arwen aus dem Sattel, drückt Shurs Zügel einem verdutzt dreinschauenden Stallknecht in die Hand und schiebt sich zwischen zwei bereist ausgeschirrten Zugpferden durch zu ihrer Tochter. Erst in der Sicherheit der mütterlichen Arme, ihren Bären fest an sich gepresst, versiegen die Tränen, und das Kind beäugt neugierig das Durcheinander aus Elben und Pferden. Arwen zieht sich ein wenig zurück, an den Rand des Stallhofes, angesichts all der Leute und dem Gedränge kommt ihre alte Scheu vor größeren Personenansammlungen wieder hoch, die sie zusammen mit dem Fluch gebrochen geglaubt hat. Zusammen mit Rialinn beobachtet sie, wie ein Elb geschäftig aus dem Gasthaus kommt und sich ihnen näherte. Er ist groß, selbst für einen Shida'ya, mit silbrigem Haar und er überschaut das mehr oder weniger geordnete Chaos in seinem Hof mit einem raschen Blick. Als er zu ihnen tritt, sieht Arwen, dass er strahlend helle Augen hatte und eine auffallend gerade Nase über einem freundlich lächelnden Mund. Gildin begrüßte ihn freundlich, fast schon fröhlich. "S'Ijea Dorêan. Das sind meine Schwester Arwen Liasiranis und ihre Tochter Rialinn. - Dorêan Steinfalke, Hausherr des 'Krähenden Hahns' und der beste Wirt zwischen der Mondsichel und den Toren Lomirions." "Ach was, als ob das so schwer ist, wenn man das einzige Gasthaus an dieser Straße hat," entgegnet Dorêan freundlich, begrüßt sie mit einer leichten Verneigung und vor Schalk funkelnden Augen. Dann schiebt er die Gruppe kurzerhand ins Gasthaus. Der Eingangsraum ist geprägt von weiß getünchten Wänden, dem Boden aus Steinfliesen und den dunklen Balken an der Decke. Es riecht nach gebratenem Geflügel, Holzrauch, Bienenwachskerzen und Bier, und dazu kommt jetzt noch der Pferdegeruch der Reiter. Arwen hört Stimmen aus einem Raum nebenan, Männerstimmen, und sieht ihren Bruder fragend an. Der Wirt führt sie jedoch nach einem kurzen Blickwechsel mit Gildin in einen Raum auf der anderen Seite des Hauses. Ein loderndes Feuer beleuchtete ein Gastzimmer mit langen Tischen. Hier sind die Wände mit einem hellen, rötlichen Holz verkleidet, das so blitzblank poliert ist, dass es den Feuerschein reflektierte. Rialinn zupft an ihrem Ärmel und zeigt hoch zur Decke, was Arwen veranlasst ihren Blick ebenso zu heben. Die Balken an der Decke sind mit Schnitzereien verziert und in einem bunten Muster bemalt. Auf dem Kaminsims entdeckt sie eine Sammlung von Hähnen, die aus Holz, Stein und Ton gefertigt sind. Sie sehen lustig aus und sie lächelte als Rialinn prompt versucht einen krähenden Hahn nachzumachen und mit ihren kleinen Armen wie mit Flügeln zu schlagen beginnt.
Gildin hat sich bereits an einem der Tische niedergelassen, und ein Junge, der die Gäste bedient, stellt ungefragt einen großen Krug Bier und mehrere rötlich-irdene Becher vor ihn hin. Andovar nimmt gegenüber von ihm Platz, und Arwen beschließt, sich zu ihnen zu setzen ehe Rialinns Entdeckerdrang gänzlich erwacht, während die anderen Männer sich an den restlichen Tischen verteilen und ebenso ungefragt Bierkrüge und Becher gebracht bekommen. Die Wärme vom Kamin tut gut nach dem Ritt durch die Dämmerung. Die Frühlingssonne gewinnt zwar täglich an Kraft, doch wenn sie sich dem Horizont zuneigt, wird es auch schnell wieder frisch und kühl. Ein Mädchen bringt hölzerne Schneidebretter und Tücher aus grobem Leinen, und weitere folgen mit großen Tellern mit gebratenem Geflügel. "Dorêan ist berühmt für seine gebratenen Hühner," erklärt Andovar der Elbin. "Schon mehr als ein Koch aus Lomirion oder von der Hohen Ayre hat versucht, ihm seine Rezepte zu entlocken, doch  was das angeht ist er so verschwiegen wie ein Yen-Priester." Arwen sieht zu, wie Gildin seine Mundmesser aus dem Gürtel zieht, einen der Vögel aufspießte, ihn auf sein Holzbrett befördert und dort zerlegt. Er nimmt ein Bein, fängt zu essen an, und Arwen tut es ihm gleich. Eine reichlich fettige Angelegenheit, vor allem dann, wenn man stets und ständig die Hände eines hungriges Elbenkindes von Mundmessern und Hühnerknochen fernhalten, dessen hungrig aufgesperrten Mund mit kindgerechten Happen füttern und selber nebenher auch noch etwas in den Magen bekommen will. Bald ist das Leintuch ebenso verschmiert wie auch Rialinns Mund und ihre Finger. Der Geschmack ist ganz anders als der, den sie von Cassandra gewohnt ist. Der Koch hat die Haut des Vogels mit einigen sehr würzigen Kräutern eingerieben, die Arwen in dieser Mischung nicht kennt. Aber sie muss sich eingestehen, das dieser Geschmack einen ganzen Schwall an Erinnerungen an ihre Kindheit weckt. Sie schenkte sich aus dem Bierkrug etwas in ihren Becher und hilft ihrer Tochter dabei, deren Becher mit Honigmilch zu halten. An weitaus förmlichere Mahlzeiten gewöhnt, empfindet Arwen dieses Essen in seiner Ungezwungenheit als höchst angenehm -  vor allem in Anbetracht dessen, was sie vermutlich im Haus ihres Vaters erwartet. Sie sucht einen sauberen Zipfel an ihrem Leintuch, findet keinen, und nimmt dankend ein anderes Tuch von Gildin entgegen, um ihrer Tochter den Milchbart abzuwischen. Als eine Schüssel mit gekochtem Getreide, Kräutern, geriebenem Käse und mehreren Holzlöffeln darin aufgetischt wird, nimmt sie sich eine Portion in ihre Schale und benutzte den Servierlöffel ebenso wie Andovar auch gleich weiter um Rialinn zu füttern und selber auch etwas davon zu essen. Ein Korb mit warmen Brötchen wird gebracht, und Rialinn grabscht sich sofort eines aus dem Korb heraus um sich damit im Arm ihrer Mutter zurückzulehnen und zufrieden darauf herum zu kauen.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Soraya am 09. Mai 2006, 23:16 Uhr
Die Hauptstadt Lomirion ~ Einige Tage vor dem Inarifest


Nur flüchtig sieht sie zu ihrem Vater auf, bevor sie sich wieder über das Pergament beugt und mit fein säuberlicher, schnörkelloser Schrift die Liste der Güter aufreiht, welche zu besorgen sind. Die Feder kratzt über den feinen, sandelholzfarbenen Bogen und nur hin und wieder hält sie inne, um etwas anzumerken, oder aber nachdenklich die bereits aufgeführten Dinge noch einmal zu kontrollieren, bis ihr Vater die Liste schliesslich an sich nimmt und sie mit geübtem Auge überfliegt. „Vielleicht sollten dieses Jahr mehr Felder bestellt werden, es soll ein guter Sommer werden“, schlägt sie vor, in Gedanken nachrechnend wie viel Eingaben ihr die ganzen Güter ungefähr bringen würden. Ihr Vater seufzt als Antwort auf ihre Worte, gibt ihr das Schreiben zurück, nickt und tritt zu dem halbrunden, mannshohen Fenster, von wo aus fröhliches Gelächter erklingt, zusammen mit dem Rattern unzähliger Karren, dem aufgeregten Wiehern von mehreren Pferden und über das ganze Chaos an Geräuschen hinweg von irgendwoher eine zarte, schleierhafte Musik. Sie streicht einige Waren, verbessert sie, fügt andere hinzu und nimmt dann Wachs und Kerze zur Hand, um einen grossen, roten Tropfen auf den unteren Rand des Pergaments zu träufeln und ihr Siegel – den weissen Wolf auf grünem Feld -  darauf zu stempeln. Sorgsam rollt sie den Brief zusammen und winkt den jungen Burschen heran, welcher bereits geduldig neben dem Tisch wartet und nun mit einem ehrfurchtsvollen Nicken den gerollten Bogen an sich nimmt und aus den Gemächern verschwindet. Still bleibt sie sitzen, lauscht den summenden Klängen und Gesängen und kann dieser Hochstimmung im Volk doch nicht nachfühlen, denn ihre eigenen Gedanken sind schwer und erdrückend, als würde eine zentnerschwere Last auf ihren Schultern liegen, seit sie durch das grosse Einganstor Lomirions getreten war. Das Glück, welches in der Luft liegt, fühlt sich daher an wie der blanke Hohn und ist Gift für ihr bereits verletztes Gemüt. Kopfschüttelnd erhebt sie sich, tritt neben ihren Vater und sieht mit verschleiertem Blick auf die Strassen unter sich, die bereits jetzt die ersten Anzeichen des anstehenden Inarianars tragen. Im violettroten, fahlen Licht des frühen Abends, der einen glühenden Himmel und bunte Wolken mit sich bringt, kann sie erkennen, dass die Festtagsvorbereitungen bereits im Gange sind. Einzelne aufgeschichtete Holzscheite zeugen von den Inarianarfeuern, die schon bald die Nacht mit ihrer aufreizenden Botschaft erhellen werden und zahlreiche Elben sind mit fröhlichen Gesichtern und Feuereifer dabei die Häuser mit weissen, rosaroten und bläulichen Gazegirlanden zu schmücken, die Hauseingänge anzumalen, oder Glitzerstaub, golddurchwirkte Schleier und sonstige Dekorationen an ihre Fenster anzubringen. Die Blumen, Blüten und der Rest des Kleinkram für die Girlanden zwischen den Häuserdächern, sowie den allseits bekannten und geliebten Blütenregen der Blumenmädchen wird erst am Morgen des Inarianars angebracht werden, damit sie nicht verwelken, bevor die Prozession ihren Weg durch blumenbestreute Strassen, singende Barden, tanzendes Volk und verliebte Pärchen nimmt, doch bereits jetzt summt die ganze Stadt, wie ein volles Wespennest. Von überall her sind Besucher gekommen, um dem Schauspiel in der Hauptstadt der Shida’ya beizuwohnen und verwandeln die kleinsten Gassen und verborgensten Winkeln mit ihrem kurzzeitigen Verbleib in einen brodelndes, zitterndes und vor  freudiger Erwartung bebendes Becken. Das Fangspiel einiger junger Elben und Elbinnen, die gerade lachend und kichern in einer der weit verzweigten Gassen der Stadt verschwinden, entlockt Soraya schliesslich doch noch ein Lächeln, ehrlich und schwach glühend, wie die ersten, blassweissen Sterne, die aufschimmern, wenn Faêyris ihr Haar löst. Doch auch das lässt sogleich wieder nach, als sie die entrückte, harte Miene ihres Vaters neben sich wahrnimmt, der versteinert in die Ferne starrt, einen Punkt fixiert, den sie niemals würde erblicken können. Erinnerungen, die sie nicht mit ihm teilt.

„Nicht jetzt min Eamo“, murmelt sie leise und legt ihm eine Hand auf seinen Oberarm, auf das er sie sanft in seine Arme zieht und sie sich an seine breite Brust lehnt, den Kopf an seiner Schulter gestützt. “Alasta frây tul Soraya, te adwilanios.“ Ich kann nicht anders Soraya, das weißt du. Sicherlich weiss sie es, doch alle Jahre erneut den unverrückbaren Schmerz, die beinahe ungelinderte Wut und den nie schwindende Verlust in seinen Augen zu erkennen, seit die Geschichte sein grausames Ende gefunden hat, ist für sie kaum zu ertragen, besonders da sie sein Herz trotz ihrer tröstlichen Nähe, unter ihren Fingerkuppen unvermindert hart schlagen spürt und eine flatternde Angst erfasst sie für einige wenige Herzschläge, bevor sie sich wieder gefangen hat. Mit ausdruckslosem Blick wendet sie sich von ihm ab, tritt zurück zu dem Tisch, auf welchem noch mehr Pergamente darauf warten, zu Ende geschrieben und versendet zu werden und greift erneut nach der langen, grauweissen Gänsefeder: „Anes dares, ayl îhiot  iain.“ Einige Tage, dann ist es vorbei. Sie kann beinahe erkennen, wie seine edlen Züge sich unmerklich verhärten und im nächsten Augenblick läuft er gemessenen Schrittes an ihr vorbei, hinaus aus den Gemächern, die sie für die Zeit des Festes und voraussichtlich der nächsten drei Monde bis zum Sommerfest bewohnen. Sie blickt ihm hinterher, zuckt zusammen, als die grosse Eibenholztüre hinter ihm hart ins Schloss fällt und fühlt, wie jeden Zwölfmond, den gleichen Kummer in sich, diesmal jedoch so brutal und ungelindert, als würde jemand ihr Herz mit einem stumpfen Messer in fein säuberliche Streifen schneiden. Ihre Hände ballen sich zu Fäusten und erneut erhebt sie sich, lässt die Feder unachtsam zu Boden fallen, ohne auf den schwarzen Tintenfleck zu achten, der sich auf dem Schreibtisch ausbreitet, und vergräbt das Gesicht in den Händen, nicht wissend, wie sie dieses brennende Feuer in sich noch lange unter Verschluss halten kann, ohne an der kalten Wut in ihren Eingeweiden jämmerlich zu krepieren. Ihr Herz krampft sich zusammen, als ihre Finger den weichen, sandhellen Umschlag erfassen, der noch immer geöffnet, jenes Geheimnis birgt, dass jeden Sonnenschein zu einem schwachen Blinzeln verkommen lässt. Wie so unzählige Male zuvor holt sie die zwei sorgfältig gefalteten Pergamentblätter heraus, öffnet sie fein säuberlich und lässt ihre Augen über die wenigen Zeilen wandern, in denen so vieles steht, das sie lieber für sich behalten möchte. „Das Wohl des Volkes ist das höchste Gut, das es zu wahren gilt“, rezitiert sie mit rauer, tonloser Stimme die Worte ihres Vaters und spürt doch keine noch so vage Linderung des bitteren Verrats, den sie so unschuldig zwischen ihren Fingern hält. Gefangen zwischen dem Verstehen und dem Wissen, zwischen jahrelanger Trauer und Wut und den Veränderungen der Zeit, zwischen bedienungsloser Liebe und kaltblütigem Verstand erscheint ihr jedoch jedes dieser Worte, wie blanker, kranker Hohn.

Schliesslich versiegelt sie das Schreiben, den Drang, es zu zerreissen unter einer undurchdringlichen, steinernen Maske bewahrend. Der Brief ist so leicht und liegt doch wie ein scharfkantiger Stein in ihren Händen, schwer durch all die Folgen, die verworrenen Gefühle, den traurigen, dunklen Grund und den Hass, den sie gegenüber ihrem Handeln fühlt. All dies vermischt sich in diesem Schreiben zu einem undurchdringlichen Geflecht an gefährlichem Wissen, welches hoffentlich unbeschadet seinen Adressanten erreichen wird. Und wenn nicht… ich will gar nicht daran denken. Sie kann sich den Aufruhr nicht vorstellen, möchte es nicht, denn es viele Gemüter erregen, die ihre Ruhe jahrelang hatten aufrecht erhalten können. Als sie sich erhebt, verschwimmt die Umgebung flüchtig vor ihren Augen und sie muss sich an der Lehne des Stuhles abstützen, um das Gleichgewicht wahren zu können. Erst als sie die Konturen jedes Gegenstandes im Raum wieder deutlich erkennen kann, macht sie einen Schritt vor und muss sich dann zwingen, den Rest des Weges bis zur Türe hinter sich zu bringen. Es kommt ihr vor, als wären ihre Füsse aus Blei und als sie schliesslich auf dem breiten Gang steht, mit dem Rücken an die hell getünchte Mauer lehnend, die an der unteren Hälfte mit einer rötlichbraunen Vertäfelung versehen ist, geht ihr Atem schwerfällig und sie fühlt, wie sich dicke, gezackte Eisenstränge um ihr Herz legen und unbarmherzig zudrücken. Es wäre so einfach… Einfach nur den Brief ins Feuer und es wäre nichts geschehen… nichts… Der Nachhall ihrer Gedanken jedoch ist so leise, dass er schon nach einem Herzschlag schweigt und mit einem erstickten, kaum hörbaren Laut donnert sie ihre Faust gegen den hellen Stein hinter sich. Eine junge Dienerin, die gerade vorbeihuscht, fährt erschrocken herum, verschwindet jedoch eiligst, als Soraya ihr einen strengen Blick aus hellen, kalten Augen zuwirft. Das Geräusch ihrer Schritte schwindet und schliesslich auch das Rascheln ihres Kleides. „Arininar! Delios-te fa.“ Arininar! Komm her. Ihr Tonfall ist dringend und scharf, jedoch keineswegs laut und trotzdem steht keine fünf Sekunden später ein junger Elb vor ihr, dessen silberblondes Haar ihm verspielt um das schmale, blassgoldene Gesicht fällt. Die grossen, tiefgrünen Augen leuchten ungeachtet der Ernsthaftigkeit auf ihrer Miene und übermütiger Schalk, sowie der Hang Scherze zu treiben, ist in ihnen zu lesen. “Ai Shu’ra?“ Ja Herrin? „Tenas-te tetisem tuliên îr rondios-te an to Lanos. Uro li.“ Nimm diesen Brief und bringe ihn zum König. Nur ihm. Der Junge nickt und sie weiss, dass sie sich auf ihn verlassen kann. Manchmal gilt es Briefe an jeder Hürde, in Form von Sekretären und Tischsitzern vorbei, direkt in die Hände seines Empfängers zu bringen und bisher hat sie für diese Arbeit niemand Besseren gefunden, als den Sohn ihrer Köchin. Doch es zum König zu schaffen, ohne dabei den Umweg über seine rechte Hand, den Truchsess Tianrivo Morgenstern nehmen zu müssen, das ist eine fast unmögliche Aufgabe und sie ist sich dessen sehr wohl bewusst, ebenso wie der Mittel, derer sich Arininar würde bedienen müssen, um überhaupt in die Nähe des Königs zu gelangen. Sie kann nicht selbst vorsprechen, denn ihr Vater würde sicherlich davon erfahren, auf welchem Weg auch immer und das muss sie verhindern. Er darf nicht wissen, was sie tut, es würde ihn auch so genug schmerzen. „Lecunas-te.“ Geh. Schon ist er auf und davon und um die nächste Ecke verschwunden. Sie lauscht der einkehrenden Ruhe und hört inmitten der Stille ihr Herz zersplittern.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Mitarlyr am 13. Mai 2006, 18:10 Uhr
~Im 'Krähenden Hahn', eine Tagesreise vor Lomirion~



Aufmerksam beobachtet Gildin seine Schwester während des Essens unter den Wimpern heraus. Auf eine unbestimmte Art ist sie gelöster als an allen vergangenen Tagen. Ob es daran liegt, dass Lomirion in greifbarer Nähe liegt, würde er allerdings nicht zu wetten wagen. Auf jeden Fall ist er darüber erleichtert, denn die andauernde eisig-kühle Beherrschtheit seiner Schwester hatte sein Nervenkostüm während der Reise schon arg strapaziert. Er hatte damit gerechnet, dass es in Sûrmera wegen der zusätzlichen Ritter ihres Vaters zu einer wütenden Auseinandersetzung mit Arwen kommen würde, doch nichts dergleichen war geschehen. Stattdessen war er tagelang mit kaltem Schweigen gestraft worden, was seiner Meinung nach viel schlimmer gewesen ist.
Sein Blick wandert weiter zu Arwens Tochter, Rialinn, seine Nichte, und der lebende Beweis dafür, dass seine Schwester tatsächlich den größten Traum ihres Vaters hatte wahr werden lassen: Der Fluch des Hauses Mitarlyr, Winterwinds Fluch, ist gebrochen und nun nicht mehr als ein Teil von Vergangenheit und Geschichte. Aber was viel wichtiger ist… Arwen ist frei von dem Fluch, endlich ist sie frei. Auch wenn ich fürchte, dass bereits ein neuer Schatten auf ihrem Leben liegt… Er weigert sich, diesen Gedanken zu ende zu führen, jene Dinge in sein Denken zu lassen, die seinen Vater dazu bewogen haben, Arwen zurück nach Erryn zu holen. Das Stimmengemurmel nimmt langsam wieder zu als einer nach dem anderen seine Mahlzeit beendet, Gespräche aufkommen und die relative Ruhe während der Mahlzeit verdrängen - jene Ruhe, die Andovar einmal so treffend als "gefräßige Stille" bezeichnet hat. Der restliche Abend geht schnell vorüber, mit dem Versorgen der Pferde, dem Kontrollieren der Wagen (ein Radbruch unterwegs ist mehr als genug) und Einteilen der Wachen für selbige. Nicht, dass jemand Dorêan misstrauen würde, das bestimmt nicht, aber es befindet sich ein großer Teil von Arwens Besitz auf den Wagen, und den will er einfach nicht unbewacht über Nacht im Freien lassen. Vor dem Bad mit den Zubern und dem heißen Wasser kommt es dann noch einmal zu einigen Wartezeiten und Diskussionen, wer wann und wie lange baden kann, darf oder soll, aber irgendwann sind alle in ihren Zimmern verschwunden. Und Arwen hat es sogar noch irgendwie zwischendurch geschafft, zusammen mit der Frau von Dorêan die Windeln von Rialinn zu waschen, die sich seit der Nacht auf der Hohen Ayre schon wieder in einem wenig wohlriechenden Lederbeutel angesammelt haben.

Gildin fühlte ein Gewicht auf seinem Arm und der erste Gedanke, der sich durch sein noch trancetrunkenes Hirn windet ist, dass es Rialinn ist, die zwischen ihm und Arwen in dem großen Bett schläft, dass er sich in Ermangelung von genügend Zimmern und Schlafstellen für so viele unangemeldete Reisende mit seiner Schwester teilt. Dann schlägt er die Augen auf, sieht eine Decke mit geschnitzten und bemalten Holzbalken über sich und stellte mit einem Blick zur Seite fest, dass es Arwen ist, die sich in ihrer Trance umgedreht hat, Rialinn noch immer im Arm hält wie eine kleine, zusammengerollte Katze und ihren Kopf auf seine Schulter gebettet hat. In dieser Geste liegt soviel unbewusstes Vertrauen, dass es Gildin zutiefst berührt. So etwas hatte sie selbst in jenen kühlen Nächten ihrer Reise nicht getan, die sie in Ermangelung einer Herberge gemeinsam in einem Zelt hatten verbringen müssen. Eines bitteren Beigeschmacks kann er sich bei diesem Anblick trotzdem nicht erwehren. Ihr Kopf sollte nicht auf meiner Schulter liegen, verflucht, es sollte die Schulter ihres Gemahls sein, in seinen Armen sollten sie und ihr Kind hier ruhen… Aber es gibt keinen Gemahl. Und wenn es ihn gäbe, dann wäre sie jetzt nicht hier, dann wäre sie in Talyra und in Sicherheit, und dieser Khelenar wäre keine Bedrohung für sie… Götter! Ich hoffe nur, dass Vater einen Weg findet, um diesen Kerl endlich in seine Schranken zu weisen, oder ihn am besten ganz unschädlich zu machen, bevor der es auf die Spitze treibt und es zu einem Eklat kommt.
Das weiche Licht der ersten Sonnenstrahlen, die sich über den Horizont tasten schummelt sich durch schmale Ritzen im Holz der Fensterläden, malt helle Muster auf den Boden und die geweißten Wände, und macht Gildin unmissverständlich klar, dass es Zeit zum Aufstehen ist, wenn sie Lomirion noch am heutigen Tag erreichen wollen. Vorsichtig, um Arwen und ihre Tochter nicht zu wecken, hebt er den Kopf seiner Schwester an, bettet ihn auf das Kissen und verlässt dann die Schlafstatt. Anscheinend jedoch nicht vorsichtig genug, denn die kleinere der beiden schwarzhaarigen Elbinnen schlägt prompt die Augen auf, kaum dass er sich einen Schritt vom Bett entfernt hat. Wie eigentlich stets stehen Rialinn die Haare in wirren Strähnen um den Kopf. Sie blinzelt ihn aus nur halbwachen Augen an, rümpft ihre kleine Nase und nuschelt verschlafen. "Wndl sdingd, Eama weggn, sauba machn." Nur knapp kann er das Kind davon abhalten, seine Mutter neben der nun unüberriechbaren Duftnote auch noch mit forderndem Rütteln aus dem Schlaf zu holen. "Halt, hier geblieben, kleiner Stinkefratz!", fängt er sie ein und hebt sie kurzerhand samt ihrer kleinen Decke aus dem Bett. "Stimmt, kleine Dame, deine Duftnote riecht nicht, sie stinkt. Aber die Mama lassen wir noch ruhen. Ich hab zwar keine Ahnung, wie man eine passende Windel um deinen Hintern faltet, aber ich bin mir sicher, wir finden jemanden, der uns da helfen kann." Skeptische Kinderaugen mustern ihn prüfend, so als sei sich das Kind auf seinem Arm nicht sicher, was es von dem Vorschlag halten soll. "Jemand helfen? Mama kann helfen!" Spricht, windet sich auf seinem Arm wie ein Aal und versucht nach der Decke ihrer Mutter zu langen um die doch noch zu wecken. "Nein, nicht die Mama wecken. Wir gehen jetzt die Frau suchen, die mit der Mama deine Windeln gewaschen hat. Die kann bestimmt helfen."
Rasch schlüpft er in seine Hosen und Stiefel, fängt zwischendurch immer wieder das Kind ein, das u-n-b-e-d-i-n-g-t seine Mutter wecken will, streift sein Hemd über und fährt sich flüchtig mit den Händen durch die Haare, schnappt sich dann das erschreckend muntere Kind und hüllt es in die Decke, da er weder sich noch Rialinn das Drama antun will, sie mit der vollen Windel in Hose und Tunika zu verpacken. Lautlos - na ja, fast lautlos, denn unter seinem Fuß knarzt wie auch nicht anders zu erwarten eine der Bodendielen - verlässt er das Zimmer und schließt die Tür hinter sich. Auf dem Weg hinunter in die Wirtschaftsräume, auf der Suche nach Dorêans Frau oder einer der Mägde trifft er unweigerlich auf diejenigen seiner Männer, denen die Aufgabe zufällt sich noch vor dem Morgenmahl um die Pferde und die Wagen zu kümmern. Auch Andovar läuft ihm über den Weg, allerdings ist der nicht auf dem Weg um das Gasthaus zu verlassen, sondern um es wieder zu betreten, wie der Tau auf Mantel und Haar erkennen lässt. Und dem dicken Lederhandschuh mit der hohen Stulpe in seinem Gürtel nach zu urteilen hat er wie so oft am Morgen die Stille des anbrechenden Tages genutzt um Arwens beiden Falken Bewegung zu verschaffen. "Khel Avidaer, Gildin... Puuh… Sag mal, wer von euch beiden verbreitet diese Duftnote?" "Na, da wohl niemand einer Dame einen solchen 'Duft' zutrauen würde, habe ich wohl kaum eine Wahl, als es auf meine Kappe zu nehmen, oder?" lacht Gildin zurück, Andovar mag ja der erste unter seinen Rittern sein, und ihm und seinem Haus durch Eid und Ehre verpflichtet, aber er ist schon seit vielen Jahren mehr ein Freund für ihn als irgendetwas anderes, und er genießt die ungezwungene Art ihres Umgangs miteinander. "Ich werde jetzt erst einmal Rialinn von ihrer 'duftenden' Last befreien und sie dann in den Badezuber stecken. Wenn Du Dorêan siehst, sag ihm, er soll das … vergiss es, ich höre ihn schon in der Küche, das Morgenmahl ist schon in Arbeit… aber wenn Du seine Frau siehst, richte ihr bitte aus, ich bräuchte ihre Hilfe bei Rialinns Windel. Ich will Arwen noch ruhen lassen." Ausnahmsweise verkneift Andovar sich jeden weiteren spöttischen Kommentar und verschwindet wieder nach unten.

Eine halbe Stunde später ist Rialinn frisch gewaschen, dank der Frau des Wirtes mit einer frischen Windel versorgt, duftet nach Ringelblumen und nicht mehr nach voller Windel, und ist dank Arwens Hilfe auch bereits angezogen. Während seine Schwester sich nun um ihre eigene Morgentoilette kümmert, sitzt Gildin bereits mit Andovar und den Männern im Gastzimmer beim Morgenmahl. Zum Essen kommt er selber jedoch noch nicht, denn es erfordert seine ganze Aufmerksamkeit und beide Hände, seine kleine Nichte davon abzuhalten, jedes Teil auf dem Tisch in engeren Augenschein zu nehmen und womöglich auch noch probeweise anzuknabbern. Dazu, das Kind mit dem Haferbrei zu füttern, der auf dem Tisch steht, kommt er nicht einmal ansatzweise, was ihm den gutmütigen Spott Andovars und der anderen Männer einträgt, von denen einige bereits selber Väter sind, und ihn mit mehr oder weniger ernst gemeinten Ratschlägen bedenken. Erleichtert sieht er auf, als Arwen den Raum betritt, Rialinn auch sofort die Arme nach der Elbin ausstreckt und auf sofortigen Wechsel in die Arme ihrer Mutter besteht.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Soraya am 17. Mai 2006, 11:59 Uhr
~Lomirion~


Mit leerem Blick schiebt Soraya die Decke zur Seite und erhebt sich aus ihrem runden Bett, dessen daunenweiche Laken von ihrer nächtlichen Unruhe vollkommen zerwühlt sind. Nicht ein Auge hatte sie zugemacht, sich rastlos zwischen sterbenselenden Schuldgefühlen und von Wut zerfressener Vernunft hin und hergewälzt, doch die Trance ist ihr vergönnt gewesen. Sie fühlt sich müde, ausgelaugt und kaum imstande einen Fuss vor den anderen zu setzen, ohne dabei hin und her zu wanken, als befände sie sich auf einem Schiff, das in wildem Tanz über die stürmische See wogt. Eine bleierne Schwere erfüllt ihren Kopf und mit einem grimmigen Gesichtstausdruck reibt sie sich die Schläfen, um die hämmernden Kopfschmerzen hinter ihrer Stirne zu vertreiben. Ihr ist, als wären Zwerge mit Spitzhacken dabei ihren Schädel zu einem matschigen Brei zu verarbeiten. Ungelenk lässt sie sich in den grossen, samtgrünen Ohrensessel vor dem steinernen Kamin fallen und starrt finster in das schwarze Loch, das anstatt eines hell lodernden Feuers, unter dem natursteinfarbenen Kaminsinns klafft. Der brennende Stapel trockenen Holzes ist zu einem kleinen Haufen an weissgrauer, kalter Asche zerfallen, doch die aufgehende Sonne, deren Antlitz als blutrot glänzende, flirrende Scheibe weit hinter den Feuerbergen bereits den Himmel mit ihren schillernden Farben füllt, spendet genug Wärme, dass man nicht fröstelt. Soraya lehnt den Kopf zurück, die Augen flüchtig schliessend, um die morgendliche Stille zu geniessen, die wie ein unsichtbarer, schmerzlindernder Mantel noch über dem ganzen Anwesen liegt. Kein fröhliches Gelächter, keine angeregten Gespräche über das anstehende Inarifest, kein eiliges Fussgetrappel… nur klare Ruhe, die gefüllt ist mit dem warmen Duft der ersten goldgelben Sonnenstrahlen und der Frische der kühlen Morgenluft. Das Fenster steht noch immer so weit offen, wie sie es am Abend zuvor aufgerissen hat. Doch auch der neue Sauerstoff hatte gestern das Gefühl ersticken zu müssen an all den Lügen, die sie wenige Augenblicke zuvor gesprochen hatte, nicht schwächen können und auch jetzt liegt auf ihrer Brust noch ein schweres Gewicht, unter dem ihre Rippen sich krümmen und schmerzhaft auf ihre Lungen drücken. Das besorgte Gesicht ihres Vaters will nicht aus ihren Gedanken weichen und es erscheint ihr wie nackter Spott, dass sie gerade jetzt einem Fest beiwohnen soll, bei welchem die Liebe in höchsten Tönen und in den lieblichsten Gesängen verehrt werden wird. Mechanisch löst sie ihr Haar, erhebt sich und wäscht sich mit dem sauberen Wasser aus dem hellen Tonkrug. Geschickt flichtt sie danach wieder einen straffen, praktischen Zopf und schlüpft in ihre Kleidung, die einfach ist, jedoch aus guter, haltbarer Qualität. Heute Morgen steht eine kurze Schwertstunde mit Fehràl bevor, dem Kommandant der Bogenschützen ihres Vaters und danach würde sie hier aufräumen und zu späterer Stund dann die allseits beliebte Aufgabe übernehmen, den Männern zu sagen, wer am Inarianar seine Zeit für ein wenig Spass nutzen darf, und wer sich hier im Haus zu befinden, oder gar durch die Strasse zu patrouillieren hat. Ihr Blick führt in wirre Leere, derweil sie in kniehohe, enge Stiefel steigt und sich den Brustpanzer aus gehärtetem Leder umbindet, auf dessen rötlichbrauner Maserung das Wappen ihrer Familie eingeprägt ist. Auch an Armen und Beinen finden sich behelfsmässig schlichte Schutzschienen wieder, denn, auch mag es nur eine Übung sein, weiss sie sehr wohl um Fehràls harte, präzise Schläge und Stiche, die ihr mehr als nur einmal blaue Flecken und geprellte Glieder eingebracht haben.

Doch der Schlafmangel, ihre ständige gedankliche Abwesenheit – die sich grösstenteils um Arininar und dessen hoffentlich baldige Rückkehr dreht - und die Tatsache, dass sie viel mehr mit sich selbst zu kämpfen hat, als das sie auf Fehràls hartes, mit Blei gefülltes Übungsschwert achtet, fordert seinen Tribut und sie hat sich selten so sehr unterlegen gefühlt. Die Männer um sie herum lachen und reissen ihre Witze, derweil ihr Gegner sie erbarmungslos in die Enge treibt und jede Unachtsamkeit ihrerseits ausnutzt, um ihr schmerzhafte Schläge gegen Schulter und Oberschenkel zu verpassen. Plötzlich spürt sie rau die Wand der Mauer hinter sich, die das Anwesen umgibt und vor neugierigen Blicken schützt. Fehràls Schwertspitze fährt keine zwei Sekhel neben ihrem Arm zwischen die Ritzen, der dunklen, glatten Flusssteine und sie hört den Stoff ihres verschwitzten Leinenhemdes reissen, als sie zur Seite springt, nur um sich dann unter einer Salve von Schläge hinter ihrem kleinen Rundschild verstecken zu müssen, ohne auch nur den Hauch einer Möglichkeit, selbst austeilen zu können oder irgendwie ihr Gleichgewicht zu finden. Ein harter Schlag lässt sie schliesslich stolpern und das Schwert ihres Gegenüber prallt schmerzhaft gegen ihre Rippen, die unter der Wucht des Schlages bedenklich knacken und ihr Körper fühlt sich an, als würde er jeden Moment in seine Bestandteile auseinander fallen. Doch noch stets findet ihr Kopf nicht in das hier und jetzt zurück, sondern lässt sich von ihren zerstrittenen und zwiegespaltenen Gefühlen so dermassen vernebeln, dass sie nicht einmal spürt, wie Fehràl weitere harte Schläge auf sie niederprasseln lässt. Der Sturm ihrer Gedanken lässt die Wut auf sie selbst jedoch nach und nach wachsen und dieser Zorn beginnt jeden Winkel ihres Körpers mit einer unerträglichen Hitze zu füllen, bis sie glaubt, es würde sie verbrennen. Ihr Schlag trifft Fehràl gefährlich nahe am ungeschützten Hals und der Silberelb taumelt zur Seite weg, doch dieses Mal ist sie es, die ihm nicht einen Atemzug lässt, um sich zu sammeln. Mit erstarrter Miene findet sie zurück in den fast schon gewonnenen Kampf und schlägt nun ebenso hart zurück, wie ihr Gegner sie zuvor angegriffen hat. Ihr Körper übernimmt die Führung und das Schwert ist nur noch die Verlängerung ihres Arms, während sie nun sicheren Schrittes den Spiess, ohne Regung in den Zügen, umdreht und sich daran macht, Fehràl den Sieg streitig zu machen.
Trotzdem gewinnt er am Ende und sie kann es ihm noch nicht einmal übel nehmen. Stattdessen ergreift sie dankbar seine dargebotene Hand und zerrt sich, während er ihr in eine aufrechte Position hilft, den leicht eingedellten Helm, der unter der brutalen Behandlung einiges abbekommen hat, vom Kopf. „Dalios khel ladioit. Dalios mi in aêril fanotyalait yi aé budla.“ Gut gekämpft. Du hast mich herumgescheucht, wie ein Huhn, keucht sie mit einem fadendünnen Lächeln und fühlt dabei jeden Knochen schmerzen. Fehràl kann nur nicken; sein blecherner Atem unter dem Helm klingt immerhin leicht angekratzt und sein Brustharnisch hat sich während des Kampfes gelöst und war unter einer ihrer herzlosen Schläge durch die Luft davon geflogen. „Und du warst überall, aber sicherlich nicht bei diesem Kampf“, erklingt es leise hinter ihr und ihr ist, als würde sich eine eiserne, kalte Hand um ihre Kehle legen und erbarmungslos zudrücken.

„Eamo.“ Zögernd wendet sie sich zu ihrem Vater um, der hoch aufgerichtet vor dem Stall steht und dort mit dem Rücken an die Holzverkleidung der Aussenmauer lehnt, die Arme verschränkt. In Erwartung einer Frage zu ihrem Befinden, oder nach dem Grund dieses erbärmlichen Kampfes, summt ihr bereits der hohle Ton einer neuen Lüge im Mund, doch stattdessen deutet Serassher nur mit einer Hand über seine Schulter ins Halbdunkle Inneres des Stalles, welches hie und da von dunstigem Licht erhellt wird. „Die Hündin hat geworfen.“ Neugierig horcht Soraya auf, noch immer schweratmend, in einer Hand das Übungsschwert, in der anderen das reichlich ramponierte Schild: „Yaêlyolì?“ Als ihr Vater mit einem Zucken im Mundwinkel nickt, kann auch sie ein sanftes Grinsen nicht unterdrücken und mit einem schmerzlichen Stöhnen übergibt sie einem der dutzend Kinder, die mit grossen Augen den Kampf verfolgt haben, ihre Waffe, ihren Helm und zwei weiteren das Schild, das den beiden Jungen fast bis an die Nasenspitzen reicht. Mit einem warnenden Blick gibt sie dem Trio zu verstehen, dass sie die Dinge sauber putzen und versorgen sollen, ohne dabei zu übermütig selbst Helden spielen zu wollen. Als sie zu ihrem Vater tritt, ist ihr, als könne sie jede einzelne Stelle ihres Körpers spüren und eine schmerzverzerrte Grimasse bedeckt ihr Gesicht, als ihr Vater ihr leise lachend freundschaftlich auf die Schulter klopft und sie dabei in den Stall hinein führt. Zu ihren Seiten befinden sich die Boxen ihrer eigenen Pferde und der Pferde ihrer Männer. Alles stolze Tiere und eines schöner als das Andere, doch nur bei ihren eigenen zwei Stuten hält sie kurz inne und mustert glücklich den geschwollenen Leib des einen pechschwarzen Tieres. „Es wird wohl nicht mehr lange dauern, was?“, mutmasst ihr Vater, der neben ihr innegehalten hat und nun ebenfalls zufrieden den schwangeren Zustand ihrer Stute begutachtet. Leise lachend nickt Soraya und öffnet die Boxentüre, doch kaum raschelt das frische, trocken duftende Stroh unter ihren Sohlen, legt die Schwarze misstrauisch die Ohren an und reckt den Kopf vor. Behutsam den Namen der Stute wispernd nähert Soraya sich ihr legt schliesslich immer noch in aller Langsamkeit ihre Hand auf gespannte Haut und seidiges, rabenschwarzes Fell, unter dem das Fohlen heranwächst und streicht der werdenden Mutter gleichzeitig, leise Beruhigungsworte murmelnd, über den Rücken, der unter der Last der Jahre bereits tief gebogen ist. „Es wird das Letzte sein“, stellt sie nüchtern fest und tastet den dicken Bauch ab, erfühlt das Ungeborene und kontrolliert, ob sich alles in den rechten Wegen befindet. Doch nichts scheint die kommende Geburt zu trüben und keine Komplikationen sind bisher zu entdecken, so dass sie der Stute beruhigt den schlanken Hals klopft und wieder aus der Box hinaustritt. Serassher hat geduldig gewartet und auch er sieht glücklich aus mit dem Lauf der Dinge. Schweigend laufen sie dem weiteren Gang entlang, grüssen Knechte und Ritter ihres Vaters und der sommerliche Geruch nach würzigem Heu, süssem Klee und leicht abgestandener Luft steigt ihr in die Nase, sowie dieser typische Duft nach Pferd, der jeden Winkel des einfachen, länglichen Holzgebäudes erfüllt. Eine warme Gemütlichkeit liegt in diesen Räumen, welche Soraya’s angespanntes Inneres ein wenig lösen. Wie immer sein… Das ist schwer. Doch die dunkle, schwermütige Wolke verfolgt sie jeden Schritt und lässt ihr keine Ruhe, sondern wühlt in ihrem Innern, wie ein Sturm. Allein die  beinahe unerträgliche Nähe zu ihrem Vater genügt, damit ihr Herz sich zu einem winzigen, blutigen Klumpen nackten Fleisches zusammenkrampft und das Gewicht eines ganzen Berges drückt auf ihre Schultern, lässt ihr keinen Frieden und treibt ihre Schuldgefühle und ihre Angst in unbekannte Höhen.

Ein fast lautloses, helles, hohes Fiepen reisst sie jedoch aus ihren Gedanken und verblüfft blickt sie auf, folgt dem Arm ihres Vaters, der in eine der leer stehenden Boxen weist und tritt dann doch mit einer gewissen Vorfreude in das dämmrige Innere der Abfohlbox, wo normalerweise Stuten ihre Fohlen zur Welt bringen. Zuerst kann sie in dem Gewirr aus goldbraunem Stroh und herrlich duftendem Heu nichts erkennen, bis ein dunkler, grosser Fleck ihre Aufmerksamkeit auf sich zieht. Die Hündin hebt schnüffelnd ihren schlanken Schädel, als Soraya näher tritt, lässt ihn jedoch sofort wieder sinken und gibt nur ein befriedigtes „Wuff“ von sich, das vollkommen erschöpft klingt und dann taucht aus dem ganzen Durcheinander mit einem Male eine kleine, rosarote Nase auf, die suchend in alle Richtungen stupst und schliesslich mit eindringlicher Nachträglichkeit gegen die warme Bauchdecke seiner Mutter drückt, bis sie sich des unbeholfenen Bündels erbarmt und es mit der Schnauze in die richtige Richtung bugsiert. Sachte geht Soraya daneben in die Knie und ein liebevolles Lächeln umspielt ihre Lippen, derweil sie die Rangelei um die Zitzen, die durch lautstarkes Winseln, Fiepen und Kieksen untermalt wird, verfolgt. „Meine Güte… es sind fünf“, entfährt es ihr, als sie den Wurf durchgezählt hat und dann ein wenig das Stroh zur Seite schiebt, um jeden der Welpen flüchtig zu sich zu nehmen und zu untersuchen. Doch plötzlich hält sie inne und ein verblüfftes: „Oh“, kommt aus ihrem Mund, derweil sie überrascht den vollkommen weissen Winzling auf ihren Händen betrachtet, dessen rosa, weiche Pfötchen sich kräftig von ihrer Haut abstemmen. Von ihrem Ausruf angelockt, tritt auch ihr Vater in die Box und sie kann hören, wie er sich neben ihr niederlässt. Grinsend hält sie ihm den Emporkömmling entgegen und nickt in Richtung der erschöpften Hündin: „Sie hat sich einen Weissen gesucht Eamo, einen Weissen!“ Augenblicklich schweifen ihre Erinnerungen an jenen Tag zurück, als Yaêlyolì von ihrem dreitägigen Alleingang aus dem Wald, in dem sie den Jägern ausgebüxt war, zurückgekehrt war, mager, zerrissen, von blutigen Bissen übersäht und doch so stolz aufgerichtet wie eine Königin, als wäre sie nicht, wie offensichtlich, in ein Rudel Wölfe geraten, dass sie nachdrücklich wieder vertrieben hatte. Wahrscheinlich hatte sie trotz all dieser Gefahren in den höheren Gefilden der Mondsichel einen Einsiedler aufgetrieben und war ihren natürlichen Trieben nachgegangen, doch dass es ein weisser Wolf gewesen war, dass hatte niemand von ahnen können. Das quietschende, flapsige Ding in ihren Händen ist jedoch der lebende Beweis und wie sie kurz darauf feststellt, gibt es noch ein weiteres Schneeexemplar. Zwei, von den Ohr- bis zu den Schwanzspitzen, vollkommen schneeweisse Weibchen, die anderen drei Jungtiere sind Männchen. Das Erste besitzt eine rauchgraue, fast schwarze Färbung, die sich nur an den Ohren, über der Schnauze und am Bauch ein wenig lichtet. Das Fell des zweiten Welpen ist von einem schattenhaften Taubengrau, eine Pfote mit einer weissen Musterung und über dem rechten Auge ein rotbrauner Fleck, welcher ein Erbstück der Mutter ist, denn deren Fell hat eine rötlichgraue Färbung. Das Letzte hingegen sieht aus, als hätte es von beiden Elternteilen etwas abbekommen und diese Geschenke leider an den unmöglichsten Stellen miteinander vereint. Dunkelgraues, seidenweiches Fell bedeckt seine Hinterläufe und seine Vorderpfoten, über den Bauch bis unter die Schnauze zieht sich ein kastanienbrauner, fuchsroter Streifen und der Rücken findet sich in einer grauweissen Maserung wieder. Die Ohren dagegen besitzen gänzlich weisse Spitzen und um die Augen herum winden sich zwei weisse Kreise, was ihn wirken lässt, als hätte ihn jemand willentlich so angemalt. Fein streicht sie dem bunten Mischling über das winzige Köpfchen und fühlt ein inniges Gefühl der Fürsorge, für diese kleinen, hilflosen Wesen, doch der Hunger des Welpen ist gross und als er schliesslich mit einem entrüsteten Fipsen das Mündchen aufreisst, dabei zwei Reihen nadelspitzer Milchzähne entblössend, legt Soraya ihn zärtlich zurück zu seinen Geschwistern, die sich allesamt bereits an der Milch genüsslich tun.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Arwen am 18. Mai 2006, 21:28 Uhr
Als Arwen erwacht, ist das Feuer in dem blattförmigen Kohlebecken neben dem Bett zu einem toten Aschenhaufen heruntergebrannt, aus dem nur noch ganz winzige rote Augen in das diffuse Zwielicht lugen, das Morgendämmerung und Fensterläden in ihrem Zimmer erzeugen. Das Bett neben ihr ist leer, und im Zimmer herrscht eine auffällige Ruhe. So auffällig, dass sie schlagartig senkrecht im Bett sitzt und sich nach ihrer Tochter umsieht. Rialinn fehlt, und ebenso deren Decke… und Gildin. Ihr Herzschlag, der sich einen Moment zuvor noch schreckhaft beschleunigt hatte, kehrt wieder zu seinem Rhythmus zurück, als ihr Hirn langsam wach genug ist, um den Gedanken zu ende zu bringen, dass Gildin anscheinend Rialinn mit sich genommen hat. Sie hat sich gerade aus den Decken gewühlt und das Bett verlassen, als sie vor der Tür das begeisterte Kichern und Krähen ihrer Tochter im Wechsel mit der ruhigen Stimme ihres Bruders hört. Warum Kinder zu solch nachtschlafenden Stunden schon so entsetzlich munter sein können, wird wohl auf ewig das Geheimnis der Götter bleiben. Im selben Atemzug ist sie allerdings ihrem Bruder für die Momente der Ruhe dankbar, die er ihr damit geschenkt hat, dass er sich um Rialinn gekümmert hat. Ich bin ja gespannt, wie er das mit der Windel hinbekommen hat. Lange muss sie allerdings auf die Lösung des Rätsels nicht warten. Gildin erscheint mit einer geradezu abschreckend munteren Rialinn auf dem Arm, die ganz offensichtlich bereits frisch gebadet und nur in ihre lindgrüne Decke gewickelt ist. "Eama!" kräht es ihr begeistert entgegen, und dann bricht der Bericht der morgendlichen Abenteuer ihrer Tochter über Arwen herein. Alles, aber auch wirklich jede Kleinigkeit wird berichtet: Dass sie mit ihrem Oheim aufgestanden ist. Dass er sie Arwen nicht hat wecken lassen und beim Stiefel anziehen fast gefallen wäre, dass er sie in die Decke gewickelt und zum Badezuber getragen hat, wo sie doch gestern schon gebadet hat. Nein, die braune Tunika will sie nicht, sie will die grüne. Und er hat sie gebadet. Neinneinein, ihre Stiefel kann sie alleine anziehen. Ja, das kann sie, also lässt Arwen sie. Doch gleichzeitig von Gildins fehlgeschlagenem Versuch mit der Windel und der Hilfe von der Frau mit den hellen Haare (Dorêans Frau, wie Arwen einfach mal vermutet) zu erzählen und die Stiefel anziehen, das ist zuviel, und prompt hat Rialinn zwar ihre Stiefel an den Füßen, doch leider nicht auf den richtigen. Also Stiefel wieder ausziehen und den rechten Stiefel auf den rechten Fuß und den linken auf den linken Fuß.
Als sich die Tür hinter ihrem Bruder und Rialinn schließt, lässt sie sich mit einem seufzenden Lachen auf das Bett fallen. Ihre Tochter ist morgens einfach ein unwiderstehliches Energiebündel. Noch immer den Kopf schüttelnd macht sie sich daran, ihre Haare zu entwirren und sich zu waschen. Es dauert nicht lange, bis sie gewaschen und angekleidet ist, und ihre Haare wieder zu einem festen Zopf geflochten sind. Noch im Gehen auf der Treppe schlingt sie die letzten Strähnen umeinander und umwickelt das Zopfende mit einer dunklen Lederschnur. Im Gastraum erwartet sie dann ein Anblick, bei dem sie unweigerlich schmunzeln muss. Ihr Bruder versucht krampfhaft, alles auf dem Tisch vor Rialinns neugierigen Händen in Sicherheit zu bringen, und sie außerdem davon abzuhalten sich selber, ihre Kleider und den gesamten Tisch mit Haferbrei zu bekleckern. Den Gesichtern der Männer und dem in der Luft noch vibrierenden Spott nach zu urteilen hat ihr Bruder sich schon einiges  über seine Künste beim Kinderhüten anhören dürfen. Also verkneift Arwen sich jeden Kommentar zu diesem Thema; immerhin verdankt sie es Gildin, dass sie noch eine Weile länger ungestört hatte ruhen können. Rialinn sitzt zwar jetzt auf ihrem Schoß, aber sie mit dem Haferbrei zu füttern gestaltet sich schwieriger als angenommen, denn der kleine Schnabel will an diesem Morgen einfach nicht still stehen, sondern erzählt und erzählt und erzählt. So überdreht wie an diesem Tag hat sie ihre Tochter während der ganzen Reise nicht erlebt. Aber irgendwie schafft sie es schließlich doch ihre Tochter zum frühstücken zu bewegen, kommt auch selber noch dazu etwas zu essen und die Sonne ist noch nicht ganz über den Horizont gestiegen, als der ganze Tross schließlich den Hof des 'Krähenden Hahns' verlässt und sich auf die letzte Tagesreise zu machen.

Die Westhänge derFaêranathares haben sie schon längst hinter sich gelassen, und die verschlungenen Labyrinthe der Weinberge mit ihrem jungen Austrieb schimmern nur noch blass in der Ferne. Bei Tagesanbruch und in den frühen Stunden eines jungen Morgens ist der Himmel noch bewölkt gewesen, aber der Vormittag hat strahlenden Sonnenschein mit sich gebracht. Es weht ein milder Wind, der nach schwerem, schwarzem Boden und Wachstum riecht, und die Sonne scheint ihnen allen auf den Rücken. Arwen hat Shur dicht neben den Wagen gelenkt, auf dem Rialinn ihren Platz neben dem Fuhrknecht hat, und dem armen Mann schon seit dem Morgen ohne Punkt und Komma Vorträge über die Dinge zu halten, die ihrem kindlichen Geist anziehend, wichtig oder auch einfach nur neu erscheinen. Und es gibt viel Neues zu sehen, denn das 'Grüne Tal von Erryn' ist nicht wirklich ein Tal oder eine flache Ebene. Sanfte Hügel und kleine Seen, blauschimmernd wie polierte Saphire liegen inmitten von Weiden voller Blauklee und Smaragdgras, Zedernwäldern und lichten Hainen aus Steineichen, die von plätschernden Bächen durchzogen werden.

Der Abend naht schon, als endlich die weißen Mauern Lomirions erreichen. Am Fuß eines Hochplateaus trifft die Straße der sie vom Sphinxentor aus zum Fuß der Mondsichel und dann weiter nach Westen gefolgt sind auf die große Straße die von Carvallen im Weltenbaumstumpf aus nach Süden führt. Hier, am Kreuzpunkt dieser beiden großen Straßen liegt Lomirion, Hauptstadt der Shida'ya und Sitz des Hohen Königs der Elben. Erbaut aus weißem Marmor liegt sie weithin sichtbar auf einem Hochplateau in den grünen Hügeln der Tiefebenen Erryns. Auf der Straße hoch zum großen Südtor, dem einzigen Tor in der Äußeren Mauer herrscht auch jetzt noch, in den frühen Abendstunden reger Betrieb. Inarianar, das Hohe Fest zu Ehren Inaris ist nur noch wenige Tage entfernt und es wirft seine Schatten ganz offensichtlich bereits voraus. Rialinn ist es neben dem Fuhrknecht langweilig geworden, außerdem ist sie müde von der langen Wegstrecke und den wenigen Pausen an diesem Tag, ihre Mutter ist ihr entschieden zu weit weg, und außerdem scheinen die hoch aufragenden Mauern und die Fuhrwerke, Wagen, Reiter und Wanderer mit denen sie sich die Straße teilen sie zu verunsichern. Und so hat Arwen sie vom Wagen gehoben und vor sich in den Sattel gesetzt. Sie würden von nun an ohnehin allenfalls im langen Schritt vorankommen, und da ist Rialinn vor ihr eben so sicher wie neben dem Fuhrknecht - und in der Nähe ihrer Mutter vor allem friedlicher. Gildin hat auf den letzten Metern die Männer wortlos, aber mit knappen Gesten dichter um die Wagen zusammengezogen, und es wie zufällig aussehen lassen, dass er Shur so abgedrängt hat, dass Arwen nun hinter ihm und Andovar reitet, flankiert von Männern im Silbergrau des Hauses Mitarlyr.
Vermutlich will er sie damit beruhigen, doch genau das Gegenteil ist der Fall. Es bestärkt Arwen nur in der Annahme, dass ihr Vater in seinem Brief das Wichtigste verschwiegen hatte. Ohne Grund hätte Gildin ganz sicher nicht vom ersten Tag ihrer Reise an darauf bestanden, dass Arwen ihr Kettenhemd trägt, und sogar ein winziges Kettenhemd aus Yalaris für Rialinn mitgebracht. Irgendetwas stimmt hier ganz und gar nicht, und anscheinend stimmt es hier, im Herzen Erryns noch viel weniger als in Talyra, was Arwen dazu veranlasst, sich zu fragen, warum er sie dann nicht einfach in Ruhe gelassen und sie ihr Leben hatte leben lassen. Was hat er verschwiegen? Was verschweigt Gildin mir? Ich will endlich wissen, was hier wirklich los ist! Am Tor gerät der Zug kurz ins Stocken, und es kommt zu einem Gedränge, als der Esel vor dem Karren eines Händlers sich ausgerechnet den Tordurchgang aussucht, um zu beweisen, warum man den Grautieren im Allgemeinen (und diesem im Besonderen) Sturheit nachsagt, und sich laut iahend weigert auch nur noch einen Huf vor den anderen zu setzen. Erst als ein Bauer mit einem verlockend wippenden Heubündel an seinem Leiterwagen vorbeirumpelt, ändert der Esel seinen Entschluss. Ob der nun von ihm eingeschlagene Weg allerdings derselbe ist, der dem Händler vorgeschwebt hat, ist bei dem Gezeter des Mannes allerdings mehr als fraglich.

Das große Südtor ist das einzige Tor in der Äußeren Mauer und in den Türmen, die es flankieren sind stets Einheiten bewaffneter Stadt- und Torwachen. Die Flügel des mächtigen Tores aus Steineiche sind mit Beschlägen aus Yalaris versehen und stehen an diesem Abend wie stets in Friedenszeiten weit offen. In früheren Zeiten standen sie auch den Barden und Gelehrten anderer Völker offen, doch heute passieren sie nur noch Angehörige der Elbenvölker. Auch ihr Tross hat das Tor unter den wachsamen Blicken der Wachen endlich passiert. Irgendwie fällt es Arwen schwer zu glauben, dass sie nun wirklich in Lomirion ist, >zu hause< wie Gildin es nennt, und dabei nicht bemerkt wie Arwens alte Unsicherheit erwacht und sie ihren alten Schutzpanzer aus Disziplin und Zurückhaltung samt ihrer Maske aus eisiger Selbstbeherrschung wieder anlegt. Auch Rialinn vor ihr ist still geworden, schmiegt sich eng an Arwen und beobachtet aus der Sicherheit des mütterlichen Mantels mit großen Augen alles um sich herum.

Die breiten Straßen der Stadt sind mit graublauen Steinen aus dem Mondsichelgebirge gepflastert und gesäumt von hochgewachsenen Bäumen, in deren Kronen der Wind flüstert. Sie durchqueren die Viertel der Handwerker und Händler, der Künstler und Gelehrten im Schatten der Äußeren Mauer und passieren die Garnisonen der Wachen und Waffenknechte. Häuser und Höfe mit blumenhellen Gärten reihen sich neben die Straßen, Türme und Dächer in tausenderlei Formen erheben sich gegen den Himmel, erbaut aus hellem Stein und weißem Marmor und mit kunstvollen Steinmetzarbeiten verziert. Immer wieder weiten sich die Straßen und Gassen zu Plätzen auf denen Springbrunnen stehen, an denen Händler und Handwerker auch jetzt noch ihre Waren feilbieten und Vögel im Geäst umstehender uralter Bäume ihre Lieder erklingen lassen. Die ganze Stadt scheint wie von endlosen Gärten durchzogen, voller Labyrinthe und Irrwege im Schatten von Zedern, Eiben und Kiefern, von Buchen und Steineichen, zu deren Füßen sich frühe Blumen aller Farben und Formen versammeln und in der Dämmerung fast schon betäubende Düfte verbreiten und sich über Quellwasser neigen, das durch kleine Kanäle in steingefasste Becken plätschert. Mit Einsetzen der Dämmerung und in den dunklen Stunden der Nacht flammen in den Bäumen überall kleine Lampen auf, deren Licht wie Sterne zwischen den Zweigen zu tanzen scheint und den bereits angebrachten bunten Bänderschmuck schon vor dem Inarifest leuchten und schimmern lässt..

Alle Straßen und Gassen führen schließlich auf die äußere Ringstraße und das Nord-Tor der Inneren Mauer zu. Das Holz der Steineiche wird von Angeln aus Yalaris gehalten und ist beschlagen mit bronzenen Stämmen und Ästen unvergänglicher Bäume. Das filigran wirkende Bildnis, dem Schmiedekunst die Form von Bäumen mit gewundenen Wurzeln und verschlungenen Zweigen gegeben hat, deren Blätter und Blüten sich ausbreiten, ist Zierde und Panzer zugleich. Stets gut bemannt ist es der einzige Zugang zu jenem Ring der Stadt, in dem die Hohen Häuser ihre Residenzen und Paläste haben und in dem sich die Tempelhaine mit den Götterhäusern und den großen Bibliotheken befinden. Großzügige Gartenanlagen umgeben die herrschaftlichen Bauten, deren Erker und Türme mit kostbaren Friesen aus Glasuren, Edelsteinen und Steinmetzarbeiten verziert sind. Wie Schneckenhäuser gewendelte Türme erheben sich über die Dächer und Skulpturen aus lebenden Bäumen scheinen die Parks und Gärten in der Dämmerung zum Leben zu erwecken, wenn der Gesang schlaftrunkener Nachtigallen durch die lichten Haine wispert.
Während die anderen großen Häuser die Stammsitze ihrer Familien außerhalb der Stadt in den verschiedensten Gegenden Erryns haben und hier nur Residenzen für ihre Aufenthalte in der Stadt unterhalten, hat das Haus des Truchsessen, das Haus Mitarlyr, seinen Palast und Familiensitz hier in Lomirion, an der Seite des Hauses Relavendis, in dessen Diensten es bereits seit dem Zeitalter der Dämmerung steht. Nachdem sie das Tor der inneren Mauer passiert haben, hält Gildin sich auf der großen Straße nach Westen, als folge er dem letzten Licht der untergehenden Sonne. Nicht mehr lange, dann haben sie das Ziel ihrer Reise erreicht. Doch neben aller Vorfreude ihren Vater wiederzusehen, ist da doch auch eine gehörige Portion Befangenheit in Arwen, und es fällt ihr schwer genug, Shur nicht herumzureißen, ihm die Zügel frei zu geben, die Stadt so schnell es geht wieder zu verlassen und… die Flucht zu ergreifen. Flucht. Das trifft das Gefühl ziemlich genau, das wie ein Eisklumpen auf Arwens Herz lastet, purer Fluchtinstinkt. Sie holt tief Luft, legt einen Arm fest um ihre Tochter, lässt Shur zwischen Gildin und Andovar Tritt fassen und hält auf das mit Schildwachen bemannte Tor zu, das den Zugang zum Anwesen ihres Vaters markiert.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Soraya am 22. Mai 2006, 18:23 Uhr
Mit entrückter Miene und den Gedanken jenseits der unmittelbaren Realität legt sie Norntha den Sattel auf den Rücken, zieht ihn ein wenig nach vorne über den Rist und lässt ihn dann geschickt wieder zurückgleiten, damit er in der richtigen Position liegt. Ihre Finger arbeiten, ohne dass sie ihnen zu grosse Aufmerksamkeit zukommen lassen muss und so kann ihr Bewusstsein sich weiterhin im Nebel des Chaos baden, der ihre innere Unruhe stetig mehr steigen lässt. Arininar ist noch nicht zurück, obwohl es bereits nach Mittag ist und eine dunkle Vorahnung sagt ihr, dass er entweder erwischt wurde, oder keine Möglichkeit gefunden hat, den Brief zu übergeben. Das jedoch beide Vermutungen gleichzeitig der Wahrheit entsprechen könnten erfährt sie nur wenige Augenblicke später, als Norntha warnend wiehert und den jungen Eindringling, der in diesem Herzschlag durch die Türe gehetzt kommt, mit ihrem erbosten Gehabe, über diese Störung, zum Anhalten zwingt. „Still“, flüstert Soraya der Stute zu und duckt sich dann, um unter dem schwarzen, sehnigen Hals hindurch den Störenfried zu begutachten, der es wagt, hier die Pferde in ihren Boxen so aufzuscheuchen, die unruhig mit den Hufen scharren und die Köpfe in die Höhe werfen. Alles was sie jedoch noch zu Gesicht bekommt, sind fliegende Beine und ein blonder Schopf, der flink hinter einer schweren Eisenholztruhe verschwindet, die sich in den Schatten einer Stallecke schmiegt. Diese wenigen Anhaltspunkte genügen jedoch vollkommen, damit sie weiss, wer sich hier gerade versteckt und dann spürt sie bereits die drohende Gefahr in Form zweier wütender Männer, die zügig Schritt auf den Stall zuhalten. „Gan’ir, versorg Norntha“, wirft sie einem der vier Stalljungen, die gerade damit beschäftigt sind die Ställe auszumisten, hastig zu und eilt dann auf den Ausgang zu. Gerade noch rechtzeitig, denn kaum hat sie den Vorplatz erreicht, stehen ihr auch bereits zwei hochgewachsene Männer gegenüber, beide in die goldweisse Uniform der Stadtgarde gewandet und allein dieser Anblick genügt, damit sie begreift. Kein Brief... Die beiden halten respektvollen Abstand, was verrät, dass sie wissen, wen sie vor sich haben und mit einem Blick aus schmalen Augen entdeckt sie, dass die beiden augenscheinlich ohne Erlaubnis der beiden Torwächter in das Anwesen eingedrungen sind. „Verzeiht unser Eindringen Lady Zedernherz, doch blieb uns keine Zeit um Erlaubnis zu bitten. Wir sind auf der Suche nach einem Dieb, den wir bis auf euer Grundstück gejagt haben.“ Arininar. Ihre Schultern versteifen sich und ihre Mundwinkel senken sich in bittere Tiefe, derweil sie den Sprecher aus kalten Augen mustert. Es sind beide ausgezeichnete Gardisten, doch einfach so einzudringen, ist auch ihnen nicht gestattet und mit einer raschen Handbewegung deutet Soraya auf das Tor, um den Herren den Weg zu weisen. „Ein Dieb, wie?“ Ihre Züge werden noch eine Spur abweisender und in ihrer Stimme schwingt ein dunkler, leiser Ton mit, den die beiden Gardisten nicht überhören, doch lassen sie sich davon nicht beeindrucken. „Ja, ein Dieb“, setzt der dunkelhaarige von Beiden erneut an und beachtet ihre Aufforderung, das Anwesen augenblicklich zu verlassen, mit keinem Deut. Stattdessen sieht er ihr unverwandt in die Augen und scheint zu überlegen, ob und wie er vorgehen sollte, ohne dabei zu vergessen, auf wessen Grund und Boden er sich befindet. Soraya schüttelt den Kopf und verschränkt gemächlich die Arme vor der Brust, den Torwächtern mit einem Nicken zu verstehen gebend, dass sie zurück an ihre Plätze sollen.

„Und wie soll dieser Dieb bitteschön auf das Grundstück gelangt sein? Ihr seht die Männer vor dem schmiedeisernen Tor, sie werden einen Taugenichts schon von unseren Stallknechten unterscheiden können. Die Mauer ist mit Giftsummach bewachsen. Kein Dieb wird so dumm sein und dort hinauf klettern... ausser er möchte den Rest der Woche in einem schmerzlindernden, kalten Bad liegen. Wie soll der so genannte Dieb also hier hinein gelangt sein?“, fragte sie mit einem halben, indignierten Lächeln in den Mundwinkeln, obwohl sich ihr Magen gerade quälend langsam auf den Kopf kehrt und ihr dabei einen schalen Geschmack nach Erbrochenem in den Mund jagt. Die Männer wechseln einen flüchtigen Blick miteinander und sie kann die Unsicherheit spüren, die sich in ihren Gegenüber breit macht. Dass es in der Mauer sehr wohl zwei, oder drei Ritzen gibt, die man für ein schnelles Versteck missbrauchen kann, lässt sie ungesagt und sieht den Angesprochenen dafür abwartend an. „Was hat er denn gestohlen, und wie sieht er aus?“ Nun ist es der Blonde, der zu einer Erklärung und schnellen Auflösung dieses Problems ansetzt: „Ein Junge, silberblondes, kurzes Haar, blasse Haut, drahtig, schmal, trägt ein blaues Hemd und braune Hosen, keine Schuhe und er hat einer Magd ein Hemd entwendet.“ „Wie bitte?“ Ein irres Gelächter bahnt sich seinen Weg Sorayas Kehle hinauf und nur mit äusserster Anstrengung kann sie es sich verbeissen. Noch immer schmerzt jeder Knochen in ihrem Leib von der Prügelei, Strähnen haben sich aus ihrem Zopf gelöst und umrahmen ihr Gesicht und sie trägt noch immer die Schutzrüstung, die bedeckt ist vom Sand des Übungsplatzes auf der anderen Seite des Stalles. „Ihr wollt mir weismachen, ihr rennt einem Burschen hinterher, weil er jemandem ein Kleidungsstück entwendet hat? Und was glaubt ihr Narren, wie viele blonde Burschen da draussen herumlaufen und wie viele sich davon alleine hier auf dem Anwesen meines Vaters Seressher Zedernherz befinden?“ Unwillkürlich schnaubt sie und ein grollendes Geräusch kommt zwischen ihren zusammengebissenen Lippen hervor, bevor sie missmutig erneut auf das Tor verweist und scharf befiehlt: „Geht und sucht euren Bengel dort draussen. Ich wünsche euch viel Glück.“ Dieses mal folgen die Männer, wobei sie ihr noch eine knappe Entschuldigung zuwerfen, die Soraya jedoch bereits nicht mehr hört. Stattdessen starrt sie den Beiden mit leerem, gefühlslosem Blick hinterher und wendet sich dann steif wie ein Brett wieder dem Eingang des Stalles zu. Die Umgebung verschwimmt wie ein See aus schillernden Farben ineinander und nur die Kälte, die langsam ihre Beine herauf kriecht hält sie aufrecht. Dort wo eben noch ihre Eingeweide gesessen haben, herrscht gähnende Leere, die jeden klaren Gedanken auffrisst und es unmöglich macht alles zu verstehen. Ihre Schritte tragen sie ruckartig bis in das dämmrige Innere, wo Gan’ir sich noch immer mit Norntha abmüht, deren riesige Hufe schwer über den Boden scharren. „Ruhig Mädchen.“ Es ist nicht mehr als das gebrochene Flüstern einer verendenden Krähe, doch die Stute spitzt automatisch die Ohren und stösst den Jungen im nächsten Augenblick mit einem unwilligen Schnauben gegen die nächste Boxentür. Augenblicklich ist ein zweiter Stallbursche zur Stelle, um seinem Kameraden zu Hilfe zu eilen. Soraya hingegen verharrt an Ort und Stelle, schenkt dem Aufruhr keinen Funken Aufmerksamkeit und sieht schliesslich zu der Eisenholztruhe hinüber, in welcher sich allerlei Utensilien für den Stallbedarf befinden. Sie kann seine Anwesenheit fühlen, aufgewühlt und unruhig und der schwache Hauch von Schuldbewusstsein, der in dem Durcheinander, das Arininar umgibt, auflodert, droht ihr den Atem zu nehmen. Zögerlich und mit hastig umherhuschenden Augen taucht er schliesslich aus den Schatten auf, wie ein Reh, dass nach dem Jäger Ausschau hält. Als er jedoch entdeckt, dass anscheinend niemand mehr hier ist, der ihm gleich wegen Diebstahls die Hände abhacken möchte, wagt er sich ein wenig mehr in das verräterische Licht und Soraya entdeckt in seinen Fingern den hellen Umschlag… ungeöffnet.

„Ich habe es versucht Herrin, doch es war mir nicht möglich. Sie haben mich erwischt und fast hätten sie mich gefangen, aber ich ko…“ Mit einer unwirschen Geste fällt sie ihrem Laufboten ins Wort und presst schwerfällig ein tonloses: „Gib mir den Brief… und verschwinde“, hervor. Vor ihrem inneren Auge sieht sie die Farben um sich herum zu dunklen und hellen Flecken verblassen und als sie endlich das vertraute Gewicht des Pergaments in ihren Fingern fühlt, leicht zerknittert, jedoch ansonsten unberührt, ist ihr, als hätte ihr jemand mit einer Keule den Schädel eingeschlagen. Krampfhaft zuckt sie unter dem dumpfen Schmerz zusammen und ihre Faust schliesst sich eisern um den Brief. Das Knacken des Siegels ist zu hören und sie kann Arininars Furcht fühlen, wie er vor ihr zurückweicht. Fast panisch ringt sie um Luft, versucht zu verhindern, dass die Tränen, die heiss unter ihren Liedern brennen, über ihre Wangen rinnen. Ruckartig lässt sie den Jungen schliesslich hinter sich und eilt schnell und ohne sich umzusehen, auf das Haupthaus zu, nicht bemerkend, wie die Männer auf dem Platz, die unter Fehràls Führung weiter ihren Übungen nachgehen, ihr flüchtige Blicke zuwerfen. Sie kennt jeden von ihnen persönlich und manche sogar sehr gut: Lajado, der zu gerne Finte mit Parade verwechselt, Mi’neo, dessen Fingerfertigkeit sich nicht nur auf die Handhabung seines Schwertes bezieht, Taihn, der stets weiss, wie man die Aufmerksamkeit der weiblichen Anwesenden fängt, Eyoema, die sich als Frau in der Gefolgschaft besser zu schlagen weiss, als mancher Mann und auch all die anderen. Sie kennt sie, viele von ihnen seit Jahrhunderten und doch ist ihr heute, als wären all diese Elben Fremde, als wäre sie ihnen so fern, wie selten zuvor. Als sie das grosse Eichenholzportal aufstösst, prallt sie beinahe mit einer Dienerin zusammen, die mit einem riesigen Berg an Wäsche, gerade über den Flur schlendert. Mühsam quetscht Soraya eine Entschuldigung hervor, umrundet die erschrockene Frau und hastet dann über den breiten, leeren Gang in den linken Seitenflügel des Anwesens, über verschlungene Wege bis zu ihrem Zimmer. Das hämmernde Geräusch, als hinter ihr die Türe ins Schloss fällt und sich erdrückende Stille um sie schlingt, trifft sie hart und sie erwischt gerade noch den kalten Marmor eines Ecktisches, auf dessen sauberer Oberfläche eine schmale Vase mit ein paar milchhellen Lilien steht. Ihre Brust hebt sich Schlag für Schlag, obwohl sich ein paar eiskalte, dünne Hände um ihre Kehle schlingen und sie zu erwürgen drohen. Vor Entsetzen blind taumelt sie auf die andere Seite des Zimmers, wo ihre Finger sich zitternd um den Kopf eines winzigen, nachgebildeten Wasserspeiers schlingen, der sich am Rand des Kamins emporwindet. Seine spitzen Zähne graben sich in ihre Haut, doch ihn los zu lassen, würde bedeuten zu fallen. Jegliche Farbe ist aus ihrem Gesicht gewichen und das Gewicht des Briefes lastet schwer zwischen ihren Fingern, bis sie ihn mit einem aufgewühlten und abgrundtief hasserfüllten Knurren in den schwarzen Schlund des Kamins wirft, wo nur ein schwacher, goldroter Glimmer noch die tote Asche erhellt. Dieser winzige Funke genügt jedoch um sofort eine gierig züngelnde Flamme auferstehen zu lassen, als das trockene Pergament die Glut berührt. Starr verfolgt Soraya, wie das Feuer das helle Pergament zuerst braun färbt, dann schwarz und es schliesslich in weiche, graue Asche zerfallen lässt, vergangen, wie ein Schatten unter dem gleissenden Licht Shenras. Nach Sauerstoff schnappend presst Soraya ihre Hände gegen ihre Brust und sinkt in den Sessel zurück, nicht mehr fähig sich gegen den Schmerz zu wehren, der sie verschlingt und ihr Versagen mit hämischem Gelächter begleitet.
Er weicht nur langsam und sie hört das Klopfen und Bitten ihrer Dienerin nicht, die dreimal an der Türe erscheint und um Einlass fragt, sie nimmt nicht wahr, wie das helle Tageslicht mehr und mehr ergraut und dem klaren Blauschimmer des Abends weicht, sie bemerkt nicht einmal, wie Arininar für einen Moment durch das Fenster in ihr Zimmer schleicht und sich dann wieder stumm abwendet. Die Zeit verrinnt klebrig und zäh zwischen ihren Fingern, dümpelt an ihr vorbei und hinterlässt nur brache Leere, die sich durch nichts aufzufüllen scheint.

Als der fahle Geruch nach kalter Asche den Raum erfüllt, erhebt sie sich schliesslich in einer fahrigen Bewegung, die mehr dem Mechanismus einer Puppe gleicht. Ein dumpfes Ziehen fährt durch ihren Rücken und mit steifen Fingern entledigt sie sich der Lederrüstung, den Arm- und Beinschienen und untersucht flüchtig die blauen Flecken, die ihre Hüfte und Rippen bedecken, doch anscheinend fehlt ihr nicht mehr als ein wenig Ruhe. Ohne sich umzuziehen oder sich sonst wie zurecht zu machen, stopft sie das Hemd zurück in den Hosenbund und ringt sich zu einer Entscheidung durch. Ihr Kopf ist erfüllt von einem hohen Summen und während sie über die Gänge wieder aus dem Haus hinaustritt, beachtet sie niemanden. Mit stillschweigendem Trübsinn holt sie Norntha aus dem Stall, sattelt sie und steigt auf. Die Wachen lassen sie passieren, ohne zu fragen wohin des Weges und die Strassen liegen so leer und verlassen vor ihr, als wären sie ausgestorben. Dunkelgelbe Lichter fallen durch die Fenster auf die hellen Pflastersteine, zeichnen gewundene Schatten und schillernde Flecken auf den Boden. Sie dirigiert Norntha energisch an der grössten und prachtvollsten, der vielen Bibliotheken vorbei, dessen alabasterweisse Türme sich wie gewundene Schneckenhäuser in den samtblauen Himmel erheben. Der ganze Bau ist von einem silbernen Schein umgeben, der ihn einhüllt und das Mondlicht spiegelt. Hinter blausilbernen Weiden und schlanken Pappeln lässt sie zu ihrer Rechten das Haus Arièn zurück, passiert inmitten einer herrlichen, grünen Parkanlage, mit blutroten und sonnengelben Blumenbeeten eine schmale, hölzerne Brücke, die über einen leise plätschernden Flusslauf führt. Das Donnern von Nornthas Hufen auf dem dünnen, weissen Holz hallt gespenstisch in der nächtlichen Stille wieder und verfängt sich in den königlichen Wipfeln der Goldtannen, die den dunklen Kiesweg säumen und schwarze Schatten über das hohe Smaragdgras werfen. Ihr Weg ist nicht lang, doch je näher sie dem Hause Mitarlyr und dem Truchsess des Königs, Tianrivo Morgenstern, kommt, desto gleichgültiger wird ihre Miene und desto mehr wächst der Hass in ihr. „Das Wohl des Volkes ist das höchste Gut, das es zu wahren gilt“, intoniert sie noch einmal kaum hörbar und erstickt beinahe am grauenvollen Klang dieser Worte. Ein bitterer Zug schleicht sich in ihre Mundwinkel, gräbt sich tief ein und als schliesslich die doppelt mannshohen, aschgrauen Mauern des Anwesens vor ihr aufragen, ist die Leere in ihrem Herzen von einer Abscheu erfüllt, die sich mit aller Kraft gegen sie selbst wendet. „Zum Wohle des Volkes Vater… Ich verfluche jenen, der diese Worte einst in den Mund nahm.“ Und noch mehr verfluche ich mich selbst, dass ich es wage, auf sie zu hören. Sie versucht nicht leise zu sein, doch als das überwältigende Tor aus verschlungenem, glänzendem Eisen vor ihr auftaucht, dessen Werk alleine schon ein Künstler geschaffen haben muss, hält sie trotzdem inne und mustert die zwei Schildwachen, die nun plötzlich ihre Hellebarden fester greifen und die Köpfe wenden. Soviel Aufmerksamkeit, schiesst es ihr fragend durch den Kopf. „Wer da?“ Die Stimme des einen Wächters, auf dessen Brust das hoheitsvolle Zeichen seines Hauses prangt, reisst sie aus ihren Gedanken. Der riesige Adler über dem achtzackigen Stern auf silbernem Grund. Sie kennt den Mann und treibt Norntha ein wenig vorwärts, damit das spärliche Licht der Fackeln ihr Gesicht erhellen kann, aus dem der letzte Rest an Farbe gerade schwindet. Der Abend ist zu warm, als dass ein Umhang nötig gewesen wäre, obwohl es erst Ende des Voshor ist. „Einen schönen Abend Rivilor.“ Der Wächter sieht zu ihr auf und verneigt sich dann respektvoll, dem zweiten Mann in einer unmerklichen Geste Entwarnung gebend, doch geht dies keineswegs ungeachtet an Soraya vorbei. Trotzdem kümmert es sie momentan nicht, was hier vor sich geht, nicht in diesem Augenblick. „Ich möchte mit meinem Onkel, dem Truchsess des Königs, Tianrivo Morgenstern sprechen und zwar jetzt. Ich habe eine dringende Botschaft an ihn, die keinen Aufschub duldet“, spricht sie mit ernster Stimme und sieht dabei eindringlich auf den Mann hinunter, der flüchtig einen Blick über die Schulter zurückwirft und dann nickt: „Ihr könnt passieren.“ Als sie das Tor, welches sicherlich Platz für drei nebeneinander schreitende Pferde bietet, durchschreitet, wird sie das Gefühl nicht los, dass eine Spannung in der kühlen Abendluft liegt, die nichts mit dem Inarifest zu tun hat. Ich werde Tianrivo selbst fragen, sobald ich mit ihm sprechen kann.
Gelegenheit dazu erhält sie all zu schnell, denn kaum läuft Norntha über den hellen, sandfeinen Kies, der den Weg bis zum Haupthaus bedeckt, hinunter, kann Soraya im Dämmerlicht bereits eine hochgewachsene, schlanke Gestalt in der Nähe des Monuments entdecken, welches den Adler des Hauses Mitarlyr darstellt.

Verblüffung bemächtigt sich ihrer, als sie ihren Onkel erkennt, den Blick stier auf sie gerichtet, als erwarte er, dass gleich Kyrom persönlich ihm einen Besuch abstatte. Langsam nähert sie sich ihm und als er entdeckt, wer ihm entgegen kommt, ist ihr, als würde sich seine Miene ein Stückweit verfinstern, doch wirklich zu erkennen ist dies nicht, denn wie immer ist Tianrivo Morgensterns Gesicht eine jahrhundertealte Maske, die sich nur selten eine wirkliche Regung erlaubt. Ein wenig zu abrupt bringt sie Norntha zum Stehen, welche ob der rüden Behandlung ein beleidigtes Wiehern von sich gibt und wie ein kleines Fohlen aufstampft, nur das ein Fohlen bei weitem nicht solchen Schaden mit seinen kleinen Hufen anrichten könnte, wie Norntha. Die Stute steht nicht still, während Soraya sich mit der Behändigkeit eines Maulwurfs aus dem Sattel hievt und die Zügel hart ergreift, um ihr keine Möglichkeit zu geben, sich irgendwie vollkommen daneben zu benehmen. „Einen schönen Abend wünsche ich euch Tianrivo“, begrüsst Soraya den hochgewachsenen Hochelben, der bereits bei ihr angekommen ist und dabei wie immer unnahbar und fremd wirkt, obwohl sie seine Nichte ist, wenn auch nicht in direkter Blutlinie. Tianrivo ist noch grösser als sie selbst und trotz dessen, das er nicht muskulös wirkt, trägt er eine Kraft in sich, die ihn stets kühl und autoritär wirken lässt. Eine Strenge, vor der ich mich niemals gefürchtet habe, doch wenn ich könnte, würde ich nicht mit ihm sprechen. Sie mag ihren Onkel sehr wohl, doch  kann sie mit seiner distanzierten, beherrschten Art, die etwas Immerwährendes, Eisiges an sich hat, nichts anfangen. Beruhigend tätschelt sie Norntha den grossen Schädel und wendet sich dann wieder Tianrivo zu, der sie ohne Mienenspiel ansieht und wohl auf eine Erklärung ihrerseits wartet. Der Kloss in ihrem Hals wird augenblicklich zu einem riesigen Geschwulst, dass ihr die Stimme verwehrt. Stumm betrachtet sie ihn und will gerade zu einer notdürftigen Erklärung ansetzen, als das Klappern von Hufen erklingt und Tianrivos Aufmerksamkeit sich augenblicklich dem Tor in ihrem Rücken zuwendet. „Was...“, entfährt es ihr verdutzt, doch ihr Onkel läuft bereits an ihr vorbei, direkt auf die Gruppe Reiter zu, die den Kiesweg gerade erreicht. Verblüfft mustert Soraya die Ankömmlinge, erkennt trotz der fahlgrauen Dunkelheit, die sich über die Stadt gelegt hat, Gildin und Andovar, sowie sicherlich ein dutzend weiterer Männer Tianrivos, bis ihr eine weitere Gestalt unter den anderen auffällt. Hoch aufgerichtet, mit einem winzigen, greinenden Bündel vor ihr im Sattel, sitzt dort eine Elbe in einen Mantel gehüllt und wirkt wie das vollkommene Ebenbild einer Frau, die sie vor langer Zeit gekannt hat. Es vergehen mehrere Herzschläge, bevor ihr Verstand begreift. Das ist nicht möglich... nein... Götter... Ihre Beine geben beinahe nach, als Schemen zu Umrisse und Umrisse zu einer Gestalt werden, zu einer Person, die sehr wohl jene ist, an welche sie gedacht hat. „Arwen“, haucht sie leise und ihre Kehle fühlt sich mit einem Male heiss und trocken an, kratzt und schmerzt, ohne dass sie wüsste warum. Sie kann sich nicht regen, versucht noch immer zu ergründen, ob es die Wahrheit ist, was sie sieht und spürt nicht einmal wie Norntha unwillig schnaubt und sie in den Rücken stupst. Als wäre sie betrunken, stolpert Soraya zwei Schritt nach vorne und starrt dann mit vollkommen entgleister Miene, die zwischen heillosem Unglauben und vollkommener Bestürzung schwankt, zu dem Tross hinüber. Die Männer steigen von ihren Pferden, Gildin schnappt sich kurz das kleine Bündel vor Arwen, um seiner Schwester zu ermöglichen abzusteigen und dann ist auch schon Tianrivo bei ihnen. Das Gefühl des Ueberrumpeltseins will nicht weichen, ebenso wenig wie der vage Stich von Hohn, der sich in ihrem Herzen einnistet, der nun aufbrandet, wo Arwen einfach so unvermittelt hier auftaucht. Schwer schluckend versucht sie sich wieder zu fangen, lässt ihre Miene stumpf und leblos werden, und weiss doch keinen Weg wie sie gegen all die aufkeimenden Gefühle – Freude, Wut und Furcht – ankommen soll. Krampfhaft vergräbt sie ihre Finger in der kurzen Mähne ihrer Stute und weicht nicht von der Stelle, kann sich nicht rühren, angesichts der Tatsachen, dass Arwen so urplötzlich aus dem Nichts heraus hier auftaucht, nach mehr als fünf Jahrhunderten. Soviel Zeit ist vergangen, soviel unnötige Zeit. Er wusste die ganze Zeit, wo sie war!

Der wirkliche Grund, warum sie überhaupt das Anwesen betreten hat, ist längst dem Wirrwarr gewichen, der sie nun übermannt. Sie kann nur noch das Gesicht Arwens betrachten, das glanzvolle, ernste Antlitz mit den dunklen Augen, die sie warm und funkelnd in Erinnerung hat, die nun jedoch müde und auf gewisse Weise gehetzt wirken. Im dem schwarzen Haar hat sich der Staub einer langen Reise verfangen und auch der Rest der Gruppe sieht mitgenommen aus. Arwen scheint sich zwar äusserlich kaum verändert zu haben, doch beschleicht Soraya trotzdem die vage Ahnung, dass diese Frau nicht mehr viel mit jener Elbe zu tun hat, die sie damals als ihre Freundin betrachtet hat. Die Familie scheint sich gerade zu begrüssen, auch wenn die frostige Stimmung deutlich macht, dass hier keineswegs nur eitler Sonnenschein der Grund für das Wiedersehen ist. Mit mühsamer Fassung lässt sie es nicht zu, dass sie Arwen sofort vor lauter Freude über ihr Hiersein um den Hals fällt, sondern wartet ab und steigt schliesslich in den Sattel zurück. Die Stute tänzelt unruhig, wenn es bei ihr auch nicht gerade elegant wirkt und Soraya lässt sie gewähren, für einen Augenblick lang einfach nur stumpfsinnig die silbernen Spiegelungen in dem goldroten Metall des Adlers betrachtend, als könnten diese ihr verraten, wie sie mit dieser Wendung des Schicksals umgeben soll. Behutsam treibt sie Norntha ein Stück voran und zügelt sie erst kurz vor der Gruppe. Grüssend neigt sie den Kopf in Richtung Gildin und Andovar, bevor sie sich stumm Arwen zuwendet. Ihr Blick schweift musternd über deren mitgenommene Erscheinung - obwohl sie selbst kaum besser aussieht, doch davon bekommt sie nichts mit - und bleibt kurze Zeit an dem Kind in Arwens Arm hängen, dass ihr Mutter gleicht wie ein Zwilling. Wie Arwen es bereits ihrer Mutter getan hat. Der Fluch... „Willkommen Arwen“, bringt sie schliesslich mit rauer Stimme hervor und hebt die Hand in einem flüchtigen Aufbäumen ihrer Freude an, nur um sie dann sofort wieder sinken zu lassen. Sie weiss schlichtweg nicht, was sie sagen soll, denn viel zu viel Wasser ist seit ihrer letzten, noch von Freude erfüllten Begegnung zwischen Amurs Finger hindurch geflossen. Was war das Letzte, was ich zu ihr gesagt habe? ... Wir sehen uns bald wieder...

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Arwen am 28. Mai 2006, 12:40 Uhr
Die letzten Pferdelängen bis zum Tor des 'Adlerhorstes', wie das Anwesen der Mitarlyrs von seinen Bewohnern oft genannt wird, sind in wenigen Augenblicken zurückgelegt. Die Schildwachen in den grauen Wappenröcken mit dem Adler auf der Brust nehmen wie auf ein unausgesprochenes Signal hin Haltung an und treten zur Seite um sie das Tor passieren zu lassen. Sowohl das schmiedeeiserne Gitter als auch das eigentliche Tor aus beschlagener Steineiche stehen weit offen, und so reitet Arwen zwischen ihrem Bruder und Andovar an den Männern vorbei. Rialinn in ihrem Arm ist inzwischen ruhiger geworden, ganz gleich wie groß ihre Neugier auch sein mag, die Müdigkeit ist größer, und so drängt sie sich nur fest in den Arm ihrer Mutter und gibt auch nur noch gelegentlich ein Jammern von sich, das wie das Wimmern eines Katzenjungen klingen. "Schsch, min Lia, wir sind ja da, nur noch ein paar Schritt. Und dann bring ich dich ins Bett. Schhhhschhhh… nicht doch, nicht weinen, min Lora… ja, du darfst heute Nacht auch zu mir ins Bett…" Leise flüsternd beruhigt Arwen ihre Tochter auf den letzten Schritten, und nimmt das Knirschen der feinen Kieskörner unter Shurs Hufen nur am Rande wahr, während die Reiter in enger Formation weiter auf den Innenhof mit dem Bronzeadler zuhalten.
Ein Mann kommt ihnen mit raschen Schritten entgegen, ein hochgewachsener Elb mit hellen mit kupfernen Strähnen durchsetzten, braunen Haaren und silbriggrünen Augen, den Arwen nur zu gut kennt, und den sie vor drei Jahresläufen zuletzt gesehen hat. Sein Gesicht ist so beherrscht wie immer, doch als er mit raschen Schritten auf sie zueilt und dabei einen Besucher einfach stehen lässt, hebt sich für einen kurzen Augenblick die Maske der Disziplin und Arwen kann in den Augen ihres Vaters jene Sorgen wie eine offene Flamme lodern sehen, die sie auch schon zwischen den Zeilen des Briefes gefunden hatte, den er Gildin für sie mitgegeben hatte. "Eamo." Der kurze Blick, den sie auf die offensichtliche Besorgnis ihres Vaters werfen konnte, hat ihre Befangenheit ebenso schwinden lassen wie ihren Zorn über die Einmischung in ihr Leben. Und nicht zuletzt ist sie erschöpft von der langen Reise und hat ein Kind im Arm, das vor lauter Müdigkeit nicht einmal mehr weiß ob es lieber weinen oder schlafen soll. In diesem Moment ist sie ausnahmsweise einmal mehr als einverstanden damit, dass jemand anderes das Kommando übernimmt, Entscheidungen trifft und Anordnungen erteilt. Sie ist müde, sie wünscht sich ein heißes Bad, ein ausgiebiges Abendessen und mindestens drei Tage Ruhe in denen sie ihr Bett nicht verlassen muss... und dass sie sich einfach wortlos in den Schutz der Arme ihres Vaters flüchten könnte. Letzteres wird aber wohl ein Wunsch bleiben müssen.

Gildin ist als erster aus dem Sattel und auch sofort bei ihr. Arwen hebt Rialinn aus dem Schutz ihres Mantels und reicht sie Gildin, der das sich ungnädig windende Kind sicher im Arm hält bis Arwen selber auch vom Pferd gestiegen ist. Etwas, dem nach all den langen Wochen im Sattel die steifbeinige Eleganz eines Storchs anhaftet. Götter, früher hat es mir nichts ausgemacht, wochenlang im Sattel zu sein. Aber seit ich in Talyra lebe, bin ich was das angeht eindeutig aus der Übung gekommen… Ganz abgesehen davon, dass ich früher auch nicht mit Wachen, zwei Fuhrwerken und einem Kind unterwegs gewesen bin. Rialinn beruhigt sich erst wieder, als Gildin sie ihrer Mutter in den Arm legt. Und dann steht sie vor Tianrivo und für einen Augenblick schwebt Schweigen zwischen Arwen und ihrem Vater, das erst von Rialinn gebrochen wird, die mit kleinen, müden und rotverquollenen Augen aus dem Mantel ihrer Mutter hervor blinzelt. "Io îhiot te, Eama?"  Wer ist das, Mama? "Das," sie hebt Rialinn etwas höher und lehnt sie an ihre Schulter, damit ihr Vater mehr von seiner Enkeltochter sehen kann als einen zerwühlten schwarzen Haarschopf, "ist Tianrivo, dein Großvater." "Was ist ein Großvater?", nuschelt es aus Arwens Armbeuge zurück, rangelt hin und her, ist im einen Augenblick hier und im nächsten schon in Trance, nur um im übernächsten Moment wieder die Augen aufzuschlagen. Völlig übermüdet und gleichzeitig viel zu überdreht um Ruhe zu finden driftet Rialinn an der Grenze zwischen Ruhen und Wachen umher und kann keine von beiden Seiten wirklich erreichen. Die kleinen Arme um Arwens Hals gelegt und den heißgeliebten Bären fest an sich gepresst fängt sie schließlich an zu jammern. Arwens Stimme ist sanft und leise während sie gleichzeitig versucht ihre Tochter mit leisem Wiegen zu beruhigen und ihrem Vater einen Blick auf sein Kindeskind zu gewähren. "Und das ist Rialinn Siranfaêr, deine Enkeltochter, Eamo."  Als sie fortfährt mischt sich ein Vibrieren in ihre Stimme, das zu gleichen Teilen aus Erschöpfung, dem Drang vor Erleichterung zu weinen und einem mittlerweile fast erloschenen Zorn über die Einmischung in ihr Leben besteht. "In Deinem Brief hast Du mir nicht alles gesagt, vermutlich nicht einmal die Hälfte Deiner Befürchtungen auch nur angedeutet… "Ihr Vater senkt kurz den Blick. Eine keine Geste nur, aber Arwen kennt ihren Vater gut genug um zu wissen, dass dies sein Eingeständnis ist, dass ihm sehr wohl bewusst ist, sich mehr in ihr Leben eingemischt zu haben, als ihm das Recht dazu zusteht. "Was auch immer Deine Gründe waren… Wir sind heil und sicher angekommen, Eamo, jetzt möchte ich die Wahrheit wissen, und zwar die ganze Wahrheit… gleich nach einem heißen Bad, frischen Kleidern und einem Abendessen." "Ja, wir werden reden, Arwen. Auch wenn ich fürchte, dass dir nicht gefallen wird, was Du hören wirst." In meinem Leben gab es schon vieles, das mir nicht gefallen hat, Eamo, was mich aber trotzdem nie davor bewahrt hat, es zu erfahren….

>Willkommen Arwen< Eine raue Stimme kommt von oben und unterbricht Tianrivos weitere Worte. Das Durcheinander um sie herum hat sich nicht gelegt, sondern ganz im Gegenteil in den letzten Momenten eher noch zugenommen. Die Ritter und Waffenknechte sind abgesessen, ein gutes Dutzend Stallburschen und Pferdeknechte ist erschienen um sich der Reittiere anzunehmen, die müde und mit hängenden Köpfen einfach dort stehen wo sie ihrer Reiter ledig geworden sind. Die Fuhrknechte versuchen vergeblich in dem Durcheinander mit Rufen Platz für die Gespanne zu schaffen um sie heraus aus dem Gedränge lenken zu können. Von irgendwoher tauchen obendrein Mägde, Hausburschen, Knappen, Zofen, Pagen und Knecht auf um die Wagen abzuladen und die Truhen, Kisten, Körbe, Pakete und Beutel ins Haus zu schaffen. Und so nimmt Arwen die Person erst jetzt bewusst wahr, die neben ihnen auf einem unruhig tänzelnden Pferd hält. Die Stimme kommt ihr irgendwie bekannt vor, und dann doch auch wieder nicht, der Klang ist fremd, so rau und gepresst, bar jeden melodischen Klangs, und doch ist da etwas, das an ihren Erinnerungen zupft wie an den Saiten einer Harfe. Sie hebt den Kopf, wendet sich etwas zur Seite, und schaut in ein Gesicht, das sie nur zu gut kennt, auch wenn sie es viele hundert Jahrestänze nicht mehr gesehen hat.
"So-… raya?" Arwen ist völlig überrumpelt. Mit vielem hat sie ja gerechnet, aber nicht damit, jene Elbe hier und jetzt zu treffen, die ihr vor langer Zeit eine Freundin gewesen ist. Oder zumindest eine der wenigen Personen, bei denen Arwen zu jener Zeit so etwas wie Nähe und Freundschaft überhaupt zuzulassen gewagt hatte. Sie macht einen Schritt auf die Frau zu, verharrt dann mitten in der Bewegung, als die nicht die geringsten Anstalten macht, vom Pferd zu steigen. Verwirrt huscht Arwens Blick über das Gesicht Sorayas, sucht nach einer Spur von Erkennen oder Freude über das Wiedersehen oder einfach nach Erinnerungen an ihre Freundschaft von früher. Doch da ist nichts, nur trübe Schatten in den topasfarbenen Augen und ein vor mühsam aufrecht erhaltener Beherrschung erstarrtes Gesicht. Das silberbraune Haar ist zu einem Zopf geflochten, eine andere Frisur kennt Arwen auch nicht an der Elbe, doch der Zopf ist zerzaust und einige Strähnen haben sich gelöst. Die hohen Stiefel sind ebenso verstaubt wie die Hosen, das Leinenhemd ist nur flüchtig in den Hosenbund gesteckt und obendrein an der einen Schulter eingerissen. Alles in allem macht die Elbin den Eindruck, als sei sie völlig überstürzt hierher bekommen. Befangenheit und Unsicherheit machen sich schlagartig in Arwen breit, lassen eine eisige Hand sich um ihr Herz legen und machen ihr das Atmen schwer. Was?... Sie sieht aus, als habe sie mit jemandem gekämpft… Was geht hier vor? Hat das mit dem zu tun, warum Vater mir befahl heimzukommen? Die Freude über das Wiedersehen mit ihrer… nun ja... einst ist sie ihre Freundin gewesen. Aber ob sie das immer noch ist oder wieder sein wird, es überhaupt wieder sein kann, wüsste Arwen in diesem Augenblick nicht zusagen. "Soraya! Îhiot varl ti rilaer, waêl fior koiron Yor."  Es ist schön Dich zu sehen, nach so langer Zeit.
Ein zögerndes Lächeln begleitet ihre Begrüßung, während sich Erinnerungen aus der abendlichen Dämmerung anschleichen, Erinnerungen an einen Abschied im Schutz der Nacht und bei strömendem Regen, der dauernd die Laternen hatte verlöschen lassen, einen Abschied mit dem Versprechen, sich bald wieder zu sehen. Götter, das ist so lange her… 'Auf bald.', das waren ihre letzten Worte zueinander gewesen als Arwen Dùne verlassen hatte um mit ihrem Lehrer Naurgol erst zur Tempelstadt Tianmen und dann weiter in die Shironthares, die heiligen Berge im Götterhain zu gehen. Dort, auf heiligem Boden hätte sie ihre Ausbildung beenden und endlich die Auswirkungen des Fluches beherrschen lernen sollen. Nun, geendet hat meine Ausbildung dort auch, nur das WIE hatte keiner kommen sehen. Elben mögen ja ein vollkommen anderes Verhältnis zur Zeit haben als die Sterblichen, aber auch sie meinen mit 'bald' nicht mehrere hundert Jahresläufe. Freundinnen sind sie und Soraya damals gewesen. Doch wenn Arwen die Elbe jetzt so ansieht, wird ihr mehr als deutlich bewusst, dass nicht nur sie selber sich in all den Jahren verändert hat, sondern auch Soraya hat sich verändert, und zwar mehr als dass sich nun eine Narbe von der Stirn durch die Braue bis hin zur rechten Schläfe zieht, die Arwen nicht von früher kennt. Wie es aussieht haben wir beide die vergangenen Jahresläufe nicht ohne Narben überstanden, Haut und Seele tragen ihre Narben. Manche kann man sehen, andere nicht, aber das ändert nicht das Geringste daran, dass es sei gibt.

Das Durcheinander um sie herum löst sich nach und nach auf, als die Pferde zu den Ställen gebracht werden und sich auch die Männer ihres Geleitschutzes auf den Weg zum Waffenhof und den dort liegenden Gebäuden mit ihren Unterkünften und dem Badehaus machen. Gut gelaunte Wortfetzen fliegen zwischen den Dienstboten umher, die sich der beiden Wagen annehmen, sie abladen und die Sachen ins Haus tragen. Doch leider sind sie wohl nicht alle mit ihren Gedanken ganz bei der Sache. Die beiden Burschen, die eine der Truhen tragen, passen nicht ganz auf, wohin sie ihre Füße setzen, weichen erst im letzten Augenblick einem neugierigen Kater aus, der aufmerksam inspiziert, was sich da in seinem Revier abspielt. Einer der Jungen verliert den Halt an der Truhe, sie entgleitet ihm und poltert direkt neben den noch angeschirrten Zugpferden zu boden. Die Truhe selber bleibt heil, doch das Pferd neben dem sie auf dem Boden aufgeschlagen ist, steigt erschrocken wiehernd, bringt damit auch das zweite Pferd aus der Ruhe und dem Gleichgewicht und lässt den ganzen Wagen einen Ruck zur Seite machen. Erschrockenes Rufen des Knechtes oben auf dem Wagen, das Wiehern der Pferde… der plötzliche Lärm lässt Arwen herumfahren und schreckt Rialinn aus ihrer Halbtrance, die auch sofort lautstark anfängt zu weinen, nach ihrem Bett verlangt, eine heiße Honigmilch will, und ins Bett, und nach hause, sofort und auf der Stelle, und bei ihrer Mutter bleiben, und...
Ein weinendes, völlig verstörtes Kind auf dem Arm, auf dem Pferd vor ihr Soraya, die sie noch immer so starr ansieht als glaube sie eine Erscheinung vor sich zu haben und kein Wort heraus bringt und die unheilschwangeren Andeutungen ihres Vaters noch im Ohr, steigen nun auch Arwen Tränen in die Augen, die sie nur noch mit größter Mühe beherrschen kann. Sie ist müde, erschöpft um es genau zu sagen, und das in einem Grad, den sie nie für möglich gehalten hätte. Die Anspannung, die sie die letzten Tage, und vor allem die letzten Stunden aufrecht und im Sattel gehalten hat, verlässt ihren Körper so schlagartig, dass sie sich nur noch mit Mühe auf den Beinen halten kann. Gildin stützt sie, als ihr für einen Moment die Knie nachzugeben drohen. Plötzlich geschieht soviel auf einmal, und nichts davon ist dazu angeraten, die Situation zu entspannen oder zu beruhigen. Nur noch wie durch Watte hört sie die Stimme ihres Vaters, der ihr Rialinn abnimmt und erklärt, er würde sie beide jetzt erst einmal ins Haus bringen, wo sie eigentlich schon längst hingehören. Rialinn allerdings hält absolut gar nichts davon, von ihrer Mutter getrennt zu werden - schon gar nicht wenn sie dafür auf dem Arm eines Mannes landet, den sie nicht im geringsten kennt - und fängt an zu schreien wie eine leibhaftige Todesfee. Mühsam fängt Arwen sich wieder, löst sich aus dem Arm ihres Bruders und nimmt Tianrivo ihre Tochter wieder ab, die sich heftig weinend an ihre Mutter klammert.
Arwen kommt sich vor, als stünde sie neben sich und betrachte das alles von außen. Sie schwankt innerlich zwischen weinen und schreien, ein hysterischer Anfall wäre durchaus auch noch eine Überlegung wert - für einen kurzen Moment bedauert sie, das sie für letzteres überhaupt nicht der Typ ist, aber vielleicht würde es helfen, dass sie wieder frei atmen kann und diese eisige Hand ihr Herz freigibt. Irgendjemand legt den Arm um ihre Schultern und führt sie über einige Treppen ins Haus und in die große Halle ihres Vaterhauses. Es ist ihr Vater, allerdings braucht sie einige überraschte Herzschläge, bis ihr das klar wird, denn solche Nähe hat sie von ihm nur höchst selten erlebt. Eine Elbe erscheint, die Arwen nicht kennt. Die Schlüssel an dem Gürtel, der das Kleid im lichten Grau des Hauses Mitarlyr hält, und ihre ganze Haltung weisen sie jedoch deutlich als jemanden aus, der hier im Haus trotz der respektvollen Verneigung vor Tianrivo und Gildin durchaus das eine oder andere Wort zu sagen hat. "Shu'ra Arwen. Ich bin Njarda Silberblatt, die Haushofmeisterin hier." Wieder eine Verneigung, in der neben dem berechtigten Stolz auf die eigene Stellung ebenso der Respekt vor der heimgekehrten Tochter ihres Dienstherren liegt. "Eure Zimmer sind bereits hergerichtet, und auch heißes Wasser für ein Bad wird gleich bereit sein. Wenn Ihr mir bitte folgen wollt." Arwen ist noch immer damit beschäftigt, ihre Tochter wenigstens etwas zu beruhigen. "Wie?.. Oh, entschuldigt. Njarda." Arwen kommt sich vor, als wate sie durch zähflüssigen Honig, während alles und alles um sie herum sich wenigstens doppelt so schnell bewegt. Nur mit Verzögerung dringen die gesprochenen Worte in ihr Denken vor, und brauchen auch dann noch einen Herzschlag, ehe Arwen ihren Sinn begreifen kann und die Begrüßung der Frau mit einem Neigen des Kopfes erwidert. Sie ist schon auf dem Weg, der Elbe zu folgen, als ihr bewusst wird, dass Soraya nicht bei den anderen in der Halle steht, und sie stehen bleibt. "Soraya. Sie ist noch… ich muss…" Weiter kommt sie nicht. Aber ihr Vater scheint zu verstehen, und bedeutet ihr, dass er sich um Arwens Base kümmern und sie zum Bleiben einladen wird. Fast schämt Arwen sich, aber sie ist erleichtert, dass sie das nicht selber tun muss, dass es ihr jemand abnimmt. Schweigend folgt sie Njarda aus der Halle, über Treppen und durch Flure bis hin zu einer Tür, die ihr so vertraut ist, dass ihre Hand zögert, ehe sie nach der Türklinke greift um sie zu öffnen.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Mitarlyr am 29. Mai 2006, 09:42 Uhr
Sein Sohn hatte einen Boten voraus geschickt, als sie das Tor der Stadt erreicht hatten, hatte ausrichten lassen, dass sie bald da wären. Und nun wartet Tianrivo schon so lange im Hof des Familienanwesens, dass es ihm wie Stunden vorkommt. Ungeduld gehört normalerweise nicht zu seinen Wesenszügen, eher im Gegenteil. Doch an diesem Abend ist das anders. Zu viele Wochen voller bangen Wartens sind vergangen seit er die drei Schneeraben auf den Weg geschickt hat und nur einer von ihnen mit Nachrichten zurückkehrte; mit Nachrichten von seiner Tochter, einem Brief von deren Obersten Magd, und in Begleitung eines Rubinraben, der den Brief eines Rabenbotners aus jener Stadt bei sich trug, in der seine Tochter sich vor einigen Jahren niedergelassen hatte. Und was er in den Briefen gelesen hatte, trug weder zu seiner Beruhigung bei, noch hat es ihm das Warten leichter gemacht. Dämonen in Talyra… Götter… Arwen verletzt… Bei dem Gedanken, dass seine Tochter zu jenen gehört hat, die sich dem Diener des Dunklen gestellt haben, wird ihm jetzt noch ganz anders. Vor allem, weil sie selber in ihrem Brief kein Wort davon erwähnt hatte und er davon nur aus der Nachricht Cassandras weiß.  Aber was hast du erwartet? Sie ist Priesterin, und obendrein unleugbar Amithras Tochter. Sie könnte und würde niemals dem Treiben eines Dämons tatenlos zusehen, ganz gleich, wie wenig es dir gefallen mag. Wirklich beruhigen wird er sich aber vermutlich erst, wenn er seine Tochter heil und sicher in den Mauern seines Hauses weiß, sie und ihre Tochter.

Das Klappern beschlagener Hufe vor dem Tor lässt ihn den Kopf heben und in die aufkommende Nacht spähen. Doch nicht der Tross mit seiner Tochter nähert sich, sondern nur der Hufschlag eines einzelnen Pferdes. Das Gesicht des Reiters, oder genauer der Reiterin, kann er nicht sofort erkennen, dafür jedoch das Pferd, das bei den Torwachen gezügelt wird. Soraya? Was will sie hier? Zu dieser Stunde? Nicht, dass er etwas gegen den Besuch seiner Nichte hätte, aber es kommt nur selten vor, dass sie ihn aufsucht, und zu so später Stunde ist es noch sehr viel ungewöhnlicher. Der Gedanke, mit dem ihn die Torwache informiert, dass die Tochter seines Schwagers eine dringende Botschaft für ihn habe, die keinen Aufschub dulde, bestärkt ihn noch in der Annahme, dass etwas ernstes oder unheilvolles passiert sein muss. Ansehen kann man ihm seine Befürchtungen allerdings nicht, wie stets weiß Tianrivo sie hinter einer Maske aus distanzierter Beherrschtheit zu verbergen. Soraya zügelt ihr Pferd hart vor ihm und steigt steifbeinig aus dem Sattel, während das Pferd sich zu Recht mit einem empörten Wiehern über die rüde Behandlung beschwert und unruhig tänzelt. Was ist passiert? Ich habe noch nie erlebt, dass sie eines ihrer Pferde so behandelt hat, und so unruhig wie ihr Pferd reagiert möchte ich lieber nicht wissen, wie es in ihrem Inneren aussieht… "Soraya, Khel'Anar. Was ist es, das keinen Aufschub duldet und dich zu so später Stunde noch aus dem Haus und hierher zu mir treibt?" Seine Stimme ist ruhig und besonnen, wie stets, aber innerlich wappnet er sich schon für die Antwort, die kommen wird, und von der er absolut nicht abschätzen kann, was es sein wird. Doch zu einer Antwort kommt sein unerwarteter Gast nicht mehr. Wieder dringt Hufgeklapper durch die Dunkelheit, und diesmal ist es eindeutig eine größere Gruppe, und er kann das Knarren von Fuhrwerken und das helle Klingeln von Zaumzeugen und Geschirren hören. Schlagartig wird seine ganze Aufmerksamkeit zum Tor im Rücken der Elbin gezogen, und er eilt mit raschen Schritten von der Treppe an der sie stehen auf den Hof. "Entschuldige, Soraya, ich muss…" Und schon ist er an der Elbin vorbei und auf dem Weg zu seinen Kindern.

>Eamo< Dieses einzelne Wort genügt, um Tianrivo wie angewurzelt stehen bleiben zu lassen. Schweigend sieht er zu, wie Gildin aus dem Sattel steigt und zu seiner Schwester geht, um der mit dem Kind zu helfen, das sie vor sich im Sattel hat. Und dann steht seine Tochter endlich vor ihm, und das Schweigen, das sich zwischen sie schiebt, lässt sein Herz sich schmerzhaft zusammenziehen. Liebend gerne würde er sie samt ihrer Tochter einfach in seine Arme ziehen, einfach um sich zu vergewissern, dass es wirklich und wahrhaftig wahr ist und die beiden hier bei ihm und in Sicherheit sind. Doch er lässt es, will seine Tochter nach den langen Jahren der Trennung nicht durch so etwas in Verlegenheit bringen. Die Idee, dass es aber genau das wäre, worauf seine Tochter gehofft hat, kommt ihm nicht für den Bruchteil eines Augenblicks. >Io îhiot te, Eama?< bricht die leise Stimme eines Kindes schließlich das Schweigen, und aus dem zerzausten Haarschopf unter Arwens Mantel wird der Kopf eines Kindes. Schwarze Haare, tiefgrüne Augen mit einem silbernen Ring um die Pupillen, sein Enkelkind sieht aus wie eine jüngere und kleinere Ausgabe seiner Mutter. Und seiner Großmutter… Götter, warum tut ihr uns und dem Kind das an? Warum? Die Stimme, mit der Arwen ihm den Namen ihrer Tochter nennt ist sanft und leise. Seine Tochter hatte schon immer etwas Sanftes an sich gehabt, aber mit der Mutterschaft scheint es noch ausgeprägter geworden zu sein. "S'Ijea, Rialinn." Seine Antwort bekommt das Kind jedoch anscheinend gar nicht mehr mit, denn es klammert sich halb wach und halb in Trance jammernd an seine Mutter, die mit leiser Stimme Erklärungen von Tianrivo verlangt, die er ihr bisher nicht hatte geben können, nicht in der Rabenbotschaft und auch nicht in dem Brief den er seinem Sohn für sie mitgegeben hatte. Er weiß, dass er sich mehr in ihr Leben eingemischt hat, als es ihm zusteht, immerhin ist sie eine erwachsene Frau, Mutter eines Kindes und hat ein eigenes Leben. Beschämt senkt er kurz den Blick, nicht nur, weil sie ihm zurecht seine Einmischung vorwirft (wenn auch ohne es auszusprechen), sondern auch um sich seine Betroffenheit nicht anmerken zu lassen, als er das Vibrieren in ihrer Stimme hört und merkt, wie nahe seine Tochter an die Grenze ihrer Belastbarkeit gerät. "Ja, wir werden reden, Arwen. Auch wenn ich fürchte, dass dir nicht gefallen wird, was Du hören wirst." Vor allem will er sie jetzt aber ins Haus bringen, damit sie endlich zur Ruhe kommen und sich erholen kann. Doch das scheint ihm vorerst nicht vergönnt zu sein.

Soraya taucht plötzlich neben ihnen auf, allerdings nicht zu Fuß und das Pferd am Zügel, sondern wieder im Sattel und hoch zu Pferde. >Willkommen Arwen< Die Begrüßung ist… fast schon frostig zu nennen, und im Gesicht der Elbin zeigen sich noch weniger Regungen als in dem Tianrivos, nur sieht man ihr dafür an, wie verzweifelt sie sich zur Beherrschung zwingen muss. Arwen dafür kann ihre Überraschung über die Anwesenheit ihrer Base nicht verbergen, sie steht ihr offen ins Gesicht geschrieben. Und sie ist wenigstens ebenso verwirrt wie Tianrivo über die merkwürdig kühle Begrüßung. Aber viel Zeit um sich weiter darüber zu wundern, bleibt ihm nicht, als plötzlich viel zu viel auf einmal geschieht: Ein Bursche lässt eine der Truhen fallen, erschreckt damit eines der Zugpferde, das prompt im Geschirr steigt und damit sich selber, das andere Pferd und den Wagen aus dem Gleichgewicht bringt und dazu den Knecht oben auf dem Wagen. Sie alle fahren erschreckt herum um zu sehen, was da passiert ist, und Arwens Tochter, die sich endlich in eine Art Halbtrance weggedöst hat, ist schlagartig wieder wach und fängt zu weinen und zu jammern an. Arwen steht vielleicht zwei Schritte von ihm entfernt, als er einen Wirbel aus Schwärze in ihr aufsteigen spürt und sie halten will, ehe ihr wirklich die Sinne schwinden, Doch sein Sohn steht dicht neben ihr und hat schon den Arm um seine Schwester gelegt, ehe Tianrivo auch nur den ersten Schritt in ihre Richtung getan hat. "Wir haben lange genug hier draußen herum gestanden. Ich bringe euch beide jetzt erstmal ins Haus, da gehört ihr nämlich eigentlich schon längst hin. Ein heißes Bad, etwas zu essen und einige Stunden Ruhe, dann sieht die Welt gleich ganz anders aus." Behutsam nimmt er seiner Tochter das weinende Kind aus dem Arm - und löst damit gleich die nächste Katastrophe aus. Seine Enkelin strampelt wie wild, windet sich wie ein Aal und schreit wie eine verbrühte Katze. Erst als sie wieder bei ihrer Mutter ist, an deren Hals sie sich heftig weinend festklammert, beruhigt Rialinn sich wieder. Es trifft Tianrivo mehr als er je zugeben würde, dass seine Enkelin derart panisch auf ihn reagiert. Und so fasst er Arwen sacht an den Schultern und führt sie über den Hof, die Stufen der Treppe hinauf und hinein ins Haus.

Im Haus werden sie bereits von Njarda, der Haushofmeisterin erwartet, die sich nach einer kurzen Begrüßung auch sofort Arwens annimmt um sie zu ihren Zimmern zu bringen. Doch wie es scheint sind Arwens Gedanken noch immer bei Zedernherz' Tochter, die ihnen nicht ins Haus gefolgt ist und bei deren höchst merkwürdigen Verhalten. Als sie sich umwendet, um wieder hinaus zu gehen, winkt er nur ab. "Geh Du ruhig nach oben, Arwen. Ich kümmere mich um Soraya." Schweigend sieht er seiner Tochter hinterher, als sie die Halle verlässt. Erst das leise Räuspern seines Sohnes reißt ihn aus den Gedanken, die ihn für einen Augenblick mit sich fort getragen haben. "Ich bin froh euch alle heil wieder zurück zu wissen, Gildin. Und ihr habt weniger Zeit für den Weg gebraucht, als ich schon befürchtet hatte. Ich weiß, du willst noch nach Shae'ria sehen, ehe Du selber ein Bad nimmst. Dem Pferd geht es übrigens gut, die Wunde ist gut verheilt, besser als die Heiler es erwartet haben. Wenn Du zu den Ställen gehst und Soraya noch da ist, dann sag ihr bitte, dass sie natürlich eingeladen ist, mit uns zu essen."

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Mitarlyr am 29. Mai 2006, 20:13 Uhr
Wenn Gildin gedacht hat, er käme zur Ruhe, wenn er seine Schwester sicher nach hause gebracht hat, dann hat er sich getäuscht. Rialinn, am Morgen noch ein zufriedenes, neugieriges Kind, ist zu dieser späten Stunde verständlicherweise übermüdet und entsprechend quengelig und unleidig. Er hat zwar keine eigenen Erfahrungen mit Kindern, aber es scheint ihm nur zu verständlich, dass sie jetzt bei niemandem außer ihrer Mutter bleiben will. Und folglich auch mit entsprechend heftiger und lautstarker Ablehnung auf jeden fremden Arm reagiert, der sie halten will, seinen Vater Tianrivo eingeschlossen. Ihm selber geht das Durcheinander auf dem Hof ebenfalls gehörig an die Nerven, und seiner Ansicht nach wäre es für alle Beteiligten besser, wenn man die Begrüßung endlich ins Haus verlegen würde. Was allerdings erst geschieht, nachdem seiner Schwester beinahe die Beine nachgeben und Klein-Rialinn beweist, dass ihr Geschrei durchaus einer Todesfee Konkurrenz machen kann wenn sie will - und momentan will sie offensichtlich. Aus dem Verhalten seiner Base allerdings ist er auch noch nicht wirklich schlau geworden, als sie sich endlich alle in der Halle befinden, und Arwen mit Njarda in Richtung zu ihren Zimmern verschwunden ist. Seinem Vater und seiner Schwester scheint es da nicht viel anders zu gehen. Soraya zählt nicht zu den häufigen Gästen im Haus seines Vaters, was sich alleine schon durch die Entfernung zwischen Carvallen und Lomirion ergibt, und eine überschwängliche Persönlichkeit ist sie nie gewesen, aber derart eisig-beherrscht wie eben im Hof hat er sie nie zuvor erlebt; und wenn, kann er sich nicht daran erinnern. Was ist los mir ihr? Sonst kann doch nichts ihre Fröhlichkeit trüben.

Als sie endlich im Haus sind und Arwen sich auf dem Weg zu ihren Räumen befindet, kann auch er endlich erleichtert aufatmen. Sie ist heil im Haus ihres Vaters angekommen, ist in Sicherheit - was immer das auch heißen mag - und damit ist eine große Verantwortung von seinen Schultern genommen. Doch schon im nächsten Augenblick spürt er, dass es ein Fehler war, sich der Erleichterung hinzugeben, denn die Müdigkeit scheint nur auf diesen Augenblick der Schwäche gewartet zu haben und macht sich schlagartig in jedem Muskel und jeder Sehne seines Körpers breit. Mit einem kaum unterdrückten Stöhnen versucht er die verspannten Muskeln im Rücken zu dehnen. Sein Kettenhemd ist aus leichtem Yalaris gefertigt, aber im Moment scheint es mit dem Gewicht einer drachenstählernen Plattenrüstung auf ihm zu lasten. Ein heißes Bad ist ein höchst verlockender Gedanke, aber zuvor will er noch in den Stall und nach seinem Pferd sehen. Shae'ria hatte sich wenige Tage vor seinem Aufbruch verletzt, und die Heiler hatten ihm nicht viel Hoffnung machen wollen, dass die Wunden des Hengstes ohne nachhaltige Folgen verheilen würden. Mehr als zwei Mondläufe ist das nun schon her, und die meiste Zeit davon ist er fern der Elbenlande gewesen. Seinem Vater hört er nur mit halben Ohr zu, ein Teil seines Denkens ist schon im Stall und ein nicht geringerer Teil noch weiter in der Zeit vorausgeeilt und bei den Verlockungen eines heißen Bades.  >Wenn Du zu den Ställen gehst und Soraya noch da ist, dann sag ihr bitte, dass sie natürlich eingeladen ist, mit uns zu essen.<  Den Auftrag, seine Anverwandte zum Essen einzuladen, bekommt er aber trotzdem noch mit.

Mantel und Waffengurt überlässt er einem der Knappen, der sie in seine Gemächer bringen würde, und verlässt das Haus wieder. Soraya wartet noch immer im Hof. Obwohl… 'warten' ist nicht das richtige Wort, sie scheint eher wie angewurzelt dort zu verharren, so als könne sie sich nicht zwischen gehen und bleiben entscheiden. Vorsichtig nähert er sich ihr, er kann nicht einschätzen, in welcher Stimmung sie ist, und um keinen Preis will er sie erschrecken. "Soraya?" Er tritt an ihr Pferd heran und greift mit ruhigen Bewegungen mit einer Hand nach den Zügeln, die seine Base aus der Hand und auf den Rist des Pferdes gelegt hat. Die andere Hand lässt er sacht über die feinen Knochen unter dem glatten Fell und über samtige Nüstern gleiten. "Was ist los mit Dir? So kenne ich dich gar nicht." Seine Stimme ist ruhig, auch ein wenig müde von der Reise, aber in ihr klingt auch der vertraute Ton mit, den er mit seiner Verwandten schon immer gepflegt hat. "Schön dich wiederzusehen Gildin, es ist eine Weile her..." Ein hauchdünnes Lächeln schimmert kurz in den Mundwinkeln der Elbin auf. "Es scheint, als hättet ihr eine lange Reise hinter euch und... Hör zu Gildin, ich weiss... ich denke zumindest, dass ihr heute Abend viel zu tun habt und euer Wiedersehen feiern wollt, doch es ist wichtig, dass ich mit deinem Vater spreche. Es duldet keinen Aufschub, nicht auf später und nicht auf morgen." Die drängende Unruhe in der Stimme Sorayas lässt Gildin wachsam werden und in ihren Augen erfolglos nach dem Grund suchen. "Wenn es so dringend ist, dann komm herein und iss mit uns. Vater erwartet dich in der Halle…. Und Arwen würde sich sehr freuen, dich zu sehen."Er kann sagen was er will, aber es scheint die Elbin nicht wirklich zu erreichen. Ihre Miene bleibt so unbewegt wie das Gesicht einer Steinstatue. So beherrscht sie auch ist, wird Gildin doch das dumpfe Gefühl nicht los, dass irgendetwas alles andere als in Ordnung ist. Die Einladung zum Essen lehnt sie dankend ab, während sie in ihrer Gürteltasche nach etwas zu suchen scheint. Sie sei eigentlich gekommen, um mit Tianrivo etwas wegen des Inarifestes zu besprechen, habe aber wie es scheint die benötigten Pergamente vergessen. Es ist eine Ausrede um den wahren Grund nicht nennen zu müssen, und sie beide wissen es. Aber immerhin steigt sie wieder vom Pferd und überlässt es für kurze Zeit einem der Knechte, der es jedoch auf einen Wink von ihr nicht zu den Ställen sondern lediglich zu einem Grasflecken in der Nähe des Tores führt.
Dann wechselt Soraya abrupt das Thema. Allerdings wird es Gildin damit auch nicht angenehmer. "Gildin", Ihr Gesicht wird noch eine Spur ernster, und echte Sorge schwingt in ihrer Stimme mit, die da eben noch nicht gewesen ist. "Was ist geschehen? Warum ist Arwen hier und weshalb all diese Ritter, ich meine... Ist sie in Gefahr?" Eigentlich wäre es jetzt an Gildin, nach einer Ausrede zu suchen, um die wahren Hintergründe nicht nennen zu müssen. Aber er weiß, dass Arwen und Soraya einmal so etwas wie Freundinnen gewesen sind. Und über kurz oder lang würde sie es ohnehin erfahren, entweder von Arwen oder sie würde eines der Gerüchte in den Straßen hören und sich ihren eigenen Reim darauf machen. Da ist es ihm schon lieber, seine Base erfährt es von ihm. Er senkt die Stimme, und zwingt Soraya damit unbewusst, noch einen Schritt näher an ihn heran zu treten. "Vater hat Arwen zurückgeholt, weil… " Er findet keine Worte, um es zu beschönigen und die Elbin anlügen will er nicht. "weil wir fürchten, dass sie in Talyra nicht mehr sicher ist, sie nicht und ihre Tochter nicht. Khelenar," er spuckt den Namen fast aus, "hat schon mehrfach versucht bei Shu're Sessair vorstellig zu werden, wegen Rialinn, Arwens Tochter. Bisher haben wir es verhindern können, da der Hohe König glücklicherweise einer Meinung mit Vater ist, was das angeht. Aber wir trauen diesem Khelenar nicht weiter als ich einen Oger werfen könnte." Schweigen ist die Antwort, die er auf seine Erklärung erntet, und das stumme Versprechen in den hell topasfarbenen Augen, diese Angelegenheit für sich zu behalten.  Schließlich winkt Soraya den Knecht mit ihrer Stute heran, nimmt die die Zügel und sitzt wieder auf. Zum Abschied bittet sie ihn noch, seinen Vater und Arwen zu grüßen und seiner Schwester außerdem auszurichten, dass sie sie in den nächsten Tagen besuchen würde, wenn die sich von der Reise erholt und wirklich hier angekommen sei. Gildin kann ihr nur kopfschüttelnd hinterher schauen, als Soraya das Tor passiert und wenige Augenblicke später von der Dunkelheit verschluckt wird.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Arwen am 03. Juni 2006, 15:34 Uhr
Die Tür schwingt von ihrer Hand leicht und leise nach innen und gibt den Blick auf ihre Räume frei. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, nach all den Jahren wieder in ihrem Zimmer zu stehen, und Arwen kann nicht das Geringste dagegen tun, dass ihr die Tränen in die Augen steigen. Sie hat damit gerechnet, dass sie auf die Rückkehr in das Haus ihres Vaters reagieren würde, immerhin war sie damals nicht ganz freiwillig von hier fort gegangen. Aber sie hat nicht erwartet, dass es ihr so nahe gehen würde. Von Rialinn kommt ein ungnädiges Maunzen, als Arwen unbewusst die Arme fester um sie legt in dem Versuch sich an sich selber festzuhalten. Im Kamin brennt ein kleines Feuer gegen die frühlingshafte Abendkühle, und der Duft von erst kürzlich aufgetragenem Bienenwachs steigt von den hölzernen Möbeln auf. Das Kaminfeuer spiegelt sich flackernd im bernsteinfarbenen Holz der blankpolierten Bodendielen und der würzige Geruch des brennenden Holzes mischt sich mit dem der Bienenwachskerzen in den Wandleuchtern und dem Duft der Blumen in den tiefen Fensternischen. Kerzen und Kaminfeuer tauchen den ganzen Raum in ein flackerndes, bernsteingoldenes Licht, das den wandernden Schatten an den Wänden weiche Konturen verleiht. "Ayares… " Es ist kaum mehr als Flüstern, und Arwen macht nur wenige Schritte in den Raum hinein, ehe sie wie angewurzelt stehen bleibt. Es hat sich nichts verändert… in all den Jahrestänzen... es sieht aus, als sei ich gestern erst gegangen…
Wirklich, ihr Zimmer ist nahezu unverändert. Vor den hohen Bogenfenstern und der deckenhohen Sprossentür hinaus auf den Balkon bewegen sich durchscheinende Vorhänge aus sandheller Gaze im sachten Lufthauch der offenen Zimmertür, deren Säume fleißige Hände und Nadeln mit winzigen Ranken und Blüten bestickt haben. In der Ecke steht noch immer ein großer, geschwungener Diwan aus geflochtenen Wasserhyazinthen, bedeckt mit weichen, sahnefarbenen Polstern und sicher einem Dutzend Kissen in allen Größen und Formen, deren Bezüge in lichten Grün-, Gelb- und Rottönen wirken, als habe jemand buntes Laub darüber verstreut. Da sind die beiden altbekannten Truhen, die die Tür flankieren wie stumme Wächter und der Hochschrank neben der Tür die hinaus auf den Balkon führt. Die Farben auf dem honigfarbenen Holz sind zwar ein wenig verblasst in all den Jahren, aber sie haben nichts von ihrer Ausstrahlung verloren; terrakottafarbene Rankenornamente auf vanillegelbem Grund werden von lindgrünen Rahmen eingefasst. Dann ihr Schreibtisch vor dem Fenster, die Intarsien aus dunklem und hellem Holz wirken, als würden sich Ranken um Beine, Laden, die Schreibfläche und die Aufsätze winden. In der tiefen Fensternische dahinter blühen Orchideen in hell glasierten, runden und gewundenen Schalen und die bunten Farben der Blüten werden vom Kerzenlicht wie mit Gold überzogen. Gläserne Tintenfässchen für verschiedene Farben stehen sicher in den Vertiefungen eines Tabletts und in den Haltern davor warten fein säuberlich gespitzte Federkiele nur darauf, dass eine Hand nach ihnen greift, um einen Bogen aus der Pergamentmappe in einem der Schubfächer zu holen und ihn mit den geschwungenen Runen des Shidar zu bedecken.

Wie in Trance verharrt Arwen lange Augenblicke mitten im Raum. Sie bemerkt weder, dass die Zimmertür hinter ihr noch immer offen steht, noch dass Njarda schweigend neben ihr darauf wartet, dass sie etwas sagt oder tut. Doch Arwen kann weder etwas sagen noch etwas tun. Ihr Blick wandert Halt suchend durch den Raum, über jedes Möbel, jeden Leuchter an der Wand, die Blumenschalen und Vasen in den Fensternischen, jede Einzelheit der Decken und Kissen, der Vorhänge, der in einem sandhellen Goldton gestrichenen Wände und das seidene Tuschebild über dem Diwan. Und während sie ihr Zimmer betrachtet, schiebt sich immer wieder ein anderes Bild vor ihre Augen. Ihr Zimmer, wie es damals ausgesehen hatte, als sie Lomirion hatte verlassen müssen. Groß ist der Unterschied zum Hier und Jetzt nicht, und das beschwört mehr Erinnerungen herauf, als Arwen lieb ist oder sie in diesem Moment bewältigen könnte. Das Herz schlägt hart in ihrer Brust, ein dicker Kloß im Hals macht ihr das Atmen schwer, und den Kampf gegen die Tränen hat sie schon längst verloren. Kein Laut kommt über ihre Lippen, stumm rinnen die Tränen über die hohen Wangenknochen, und Arwen wäre wohl noch endlos so stehen geblieben, wenn Rialinn sich nicht in ihrem Arm geregt hätte. "Eama," jammert es in den Stoff ihrer Tunika, "ich will mein Bett.. und… und… " hicksend und schluchzend vergräbt sie das kleine Gesicht an der Schulter ihrer Mutter, und das 'Hunger' und 'Durst' kann Arwen allenfalls erahnen. Aber es genügt, um sie aus ihrer Starre zu reißen. "Ai, min Lora." Sie drückt ihrer Tochter einen sachten Kuss auf die zerzausten Haare und als sie den Kopf wieder hebt, steht Njarda da und hat bereits den Vorhang zurückgebunden, der weiter ins Arwens Schlafzimmer führt.
Kurz zögert Arwen, scheut das, was sie dort erwartet, denn sie ist sich sicher, dass sich auch dort nichts verändert haben wird, dass alles so sein wird, wie sie es zurückgelassen hat. Aber sie muss sich zusammenreißen, sie kann sich jetzt nicht um die Vergangenheit kümmern und in Erinnerungen... nun ja 'schwelgen' wäre ob der Art der Erinnerungen sicherlich das falsche Wort. Ihre Tochter ist mehr als nur müde und hat zu Recht Durst und Hunger, denn die Zeit für das Abendessen ist längst vorüber. Das sind Dinge, um die sie sich jetzt vorrangig zu kümmern hat - Dinge, mit denen sie umgehen kann und die keine sich heimlich anschleichenden Erinnerungen bergen. Als sie durch den Vorhang aus feinem Leinen tritt, wird sie allerdings gewahr, dass hier nicht alles ganz so ist, wie sie es verlassen hat: Arwens Bett mit dem Himmel aus lindgrüner Gaze hat Gesellschaft bekommen, jemand hat für Rialinn ein Kinderbett dazu gestellt. Der Boden in diesem Raum ist bedeckt mit weichen Fellen und gewebten Decken. Aus einem Kohlebecken am Fenster steigen feine Rauchfäden auf, die mit sich den sommerlichen Duft der Blüten tragen, die jemand gerade erst in die Glut gestreut haben muss. Der süße, einschläfernde Geruch von Blumen und Kräutern unter heißer Sommersonne. Gibt es denn hier nichts, nicht einmal ein Kohlebecken, an dem keine Erinnerungen kleben...  
Ein leises Räuspern und der fast lautlose Schritt weicher Sohlen auf den Fellen verhindern, dass Arwen sich wieder in Gedanken verliert. Eine junge Elbin, kaum älter als vierzehn oder fünfzehn Sommer ist aus dem angrenzenden Ankleidezimmer gekommen und steht abwartend neben dem Durchgang. Aus dem Raum dahinter kann sie die unverkennbaren Geräusche von Taschen und Körben hören, die jemand öffnet, auspackt und die Sachen anschließend in Schränke und Truhen räumt. "Shu'ra… Ich bin Yamarnar Silberblatt. Das heiße Wasser ist jetzt bereit. Wenn ihr möchtet, kümmere ich mich um eure Tochter, während ihr ein Bad nehmt." Aufmerksam mustert Arwen das Mädchen, dem Namen nach eine Verwandte der Haushofmeisterin, vielleicht sogar deren Tochter. Wache, hellgraue Augen sehen sie offen an, das sandhelle Haar ist am Oberkopf zu einem Zopf geflochten und fällt ihr lang und glatt auf den Rücken, und ihr Kleid im gleichen lichten Silbergrau wie das von Njarda wird teilweise von einem Überwurf aus ungebleichtem Leinen verdeckt, der das Kleid anscheinend vor dem Wasser schützen sollte, das nun deutlich sichtbare dunkle Flecken hinterlassen hat. "Danke, Yamarnar, aber das wird nicht nötig sein. Rialinn kennt euch noch nicht, und so müde, wie sie ist, würde sie nur das Weinen anfangen, wenn ich sie aus dem Arm gebe. Ich nehme sie mit mir ins Bad, dann kann ich sie auch gleich waschen. Aber ihr könnt bitte etwas zu essen für sie besorgen. Honigmilch mit etwas Lavendel darin und Haferbrei mit geriebenem Apfel."

Es dauert nicht all zu lange, bis Arwen samt ihrer Tochter gebadet hat und wieder im Ankleidezimmer steht. Unsichtbare, fleißige Hände haben unterdessen anscheinend bereits einen Großteil ihres Gepäcks ausgepackt und in die Schränke und Truhen geräumt. Yamarnar ist gerade dabei, die letzten Windeln in eine halbhohe Kommode zu räumen, als Arwen die Tür hinter sich schließt und noch immer versucht Rialinn zu erklären, dass es für ihren Pelzbären ganz bestimmt besser ist, wenn er nicht mit ihr badet, sondern im Trockenen auf sie wartet. Etwas, das ihre Tochter eben nur unter Protest geduldet hat, und auch jetzt noch nicht wirklich einsehen will, und prompt fragt, ob die Bären im Wald sich denn auch alle vor Regen verstecken oder wie sie denn die Fische fangen, wenn sie nicht nass werden dürfen. Ihren müden Punkt von vorhin scheint sie immerhin überwunden zu haben, und nun ist Fragestunde angesagt. Arwen hofft insgeheim, dass ihre Tochter nach dem Essen wieder müde wird und sie das Kind schlafen legen kann. Ihr ist nur zu klar, dass eine wache Rialinn sie nicht ohne Tränen würde gehen lassen - ganz abgesehen davon, dass sie selber das Kind nicht wach und alleine in der fremden Umgebung lassen würde, selbst wenn das hieße auf das Essen mit ihrem Vater verzichten zu müssen. "Huch!" Einen kurzen Moment nicht aufgepasst, und schon hat Rialinn an dem Leinentuch gezogen, in dem Arwen ihre Haare eingeschlagen hat, nein hatte. Denn nun hat Rialinn das Tuch in der Hand, und die Haare fallen Arwen lang und nass auf den Rücken und färben das dünne Hauskleid dunkel, das sie sich nach dem Bad übergestreift hat. Die schmutzige Kleidung ist längst in Weidenkörben Richtung Waschküche verschwunden, das Kettenhemd hängt ordentlich über einer hölzernen Standpuppe neben dem großen Schrank und der Waffengurt mit Virincala hängt direkt daneben an einem der blattförmigen Haken an der Wand. "Du kleiner Lausefratz, na warte." Rialinn ist, eingewickelt in das weiche Laken, nicht wirklich beweglich, und so kann Arwen sie mit der freien Hand kitzeln bis Rialinn vor lauter Lachen nach Luft schnappt und sich schließlich wieder an Arwens Schulter kuschelt. "Müde, Eama, und Durst." Arwen streicht ihrer Tochter über die feuchten Haare, die sich wild in alle Richtungen kringeln. "Ja, min Lora, ich weiß. Wir ziehen dir jetzt erstmal wieder was an, dann gibt es was zu essen und auch was zu trinken. Und dann kommst du ins Bett… Nein," sie winkt das Mädchen zurück, das bei diesen Worten die Decken auf dem Kinderbett zurückschlagen will, "Rialinn schläft heute Nacht bei mir, in meinem Bett." Das Mädchen nickt nur und richtet Arwens Bett so her, zieht Decken und Kissen zur Seite, dass sich dort Platz für die kleineren Kissen und Decken Rialinns findet.

Aller Müdigkeit zum Trotz kann Rialinn ihrer Neugier dann doch nicht widerstehen und beobachtet aufmerksam, was da um sie her passiert während ihre Mutter sie in Ermangelung eines passenden Tisches oder einer Kommode kurzerhand auf dem Bett wickelt. Auch das Bett selber wird aufmerksam inspiziert. Es besteht aus dem gleichen honigfarbenen Holz wie alle Möbel in Arwens Gemächern und ist mit kunstfertig geschnitzten Pflanzen aller Art verziert. Efeuranken und Stängel mit gerundeten Blättern winden sich von den Blumenbüscheln aufwärts, die die Füße eines Bettes in der Form eines schlichten Seerosenblattes bilden, Kreuzblumen in Form von Pinienzapfen zieren die hohen, in sich gedrehten Pfosten, die mit einem spinnwebfeinenen Himmel und Bahnen aus schimmernder, lindgrüner Seidengaze drapiert sind, auf die kleine, wie verstreut wirkende Sternblüten und Blattmuster gestickt sind und die im Sommer die Stechmücken fern halten sollen. Yamarnar glättet die Decken, schüttelt Kissen aus und summt dabei eine leise Melodie, die nicht nur Rialinn wie gebannt innehalten lässt, auch Arwen stutzt. "Was ist das, was Du da summst?" "Oh, nichts Besonderes - nur ein altes Wiegenlied, das mir meine Großmutter immer vorgesungen hat. Ich singe es immer, wenn ich die Betten mache. Wahrscheinlich ist es dumm, aber ich glaube fest daran, dass die Leute besser ruhen, wenn ich ein Schlaflied auf ihren Kissen zurücklasse. Es tut mir leid, Shu'ra, ich wollte euch nicht stören." Ein Wiegenlied? Ich kann mich nicht erinnern, dass mir jemand Wiegenlieder vorgesungen hat als ich klein war. Aber die Melodie kommt mir trotzdem so bekannt vor, als hätte ich sie schon oft gehört. "Ich finde, das hört sich alles andere als dumm an," antwortet Arwen, und versucht sich selber am Grübeln zu hindern. "Würdest du es uns ganz vorsingen? Rialinn scheint es zu gefallen." Und sie tatsächlich zu beruhigen und müde zu machen.  Die junge Elbin schaut erst verblüfft und dann erfreut. "Wenn Ihr es wünscht, sehr gerne." Sie beginnt zu singen, mit einem dünnen Sopran, keinem Vergleich mit einem ausgebildeten Barden, aber die Stimme passt zu dem schlichten, trillernden Lied. Der Text ist von genau der Art, die Kinder bezaubert, er handelt von verschiedenen Vögeln und Tieren, die alle schlafen, und Arwen glaubt sich dunkel zu erinnern, dass es zahllose Strophen gibt, so zahllos wie die Geschöpfe auf Rohas weitem Rund. Als Yamarnar endet, dankt Arwen ihr mit einem Lächeln. Rialinn ist tatsächlich schon halb in Trance geglitten und bekommt kaum noch mit, wie Arwen ihr ein sauberes, weiches Hemdchen überstreift. Zwei oder drei Löffel mit Brei schluckt sie noch, die Honigmilch würdigt sie keines Blickes, aber den lauwarmen Tee, der eigentlich für Arwen bestimmt ist, den trinkt Rialinn mit gierigen Schlucken, ehe sie sich von ihrer Mutter ins Bett legen lässt. Der kleine Kopf hat das Kissen noch nicht richtig berührt, da ist sie auch schon in tiefer Trance, zusammengerollt wie eine kleine Katze und den dunkelbraunen Bären fest in den kleinen Armen. Es versetzt Arwen einen kleinen Stich, denn so übermüdet und verstört wie an diesem Abend hat sie ihre Tochter noch nie erlebt, und sie gibt sich selber die Schuld daran.

Eine knappe Stunde, nachdem sie ihren Vater in der großen Halle verlassen hat, ist Arwen auf dem Weg zum kleinen Kaminzimmer. Dort und nicht im großen Speisezimmer erwartet ihr Vater sie und Gildin zum Essen. Und bei dem Gedanken wird Arwen nicht unbedingt wohler in ihrer Haut. Sie weiß aus den Berichten Andovars und ihres Bruders, dass ihr Vater unter normalen Umständen, die Mahlzeiten zusammen mit seinen Rittern und Vasallen einnimmt. Wenigstens Rialinn liegt im Bett und ruht friedlich…  Es ist eine nicht unerhebliche Beruhigung für Arwen, zu wissen, dass Njardas Tochter bei Rialinn geblieben ist, damit die nicht in der unbekannten Umgebung alleine ist, falls sie doch noch einmal aufwachen sollte.
Leises Stoffrascheln begleitet jede ihrer Bewegungen, fast ebenso beruhigend wie das Wiegenlied vorhin, als sie durch die Flure geht, die ihr auch nach all den Jahren in der Ferne noch mehr als vertraut sind. Mit der Auswahl ihres Kleides hat sie nicht viel Aufhebens gemacht, sondern sich einfach ein bequemes Kleid aus feinem, mit weicher Seide versponnenem Kattun genommen, dessen schwarzer Stoff von einem Gürtel aus kleinen bronzenen Efeublättern gehalten wird, und dessen geschlitzte Schleppärmel fast auf den Boden reichen. Die Tür zum Kaminzimmer steht einen Spalt offen und wirft helles Licht in einem handbreiten Streifen in den Gang hinaus. Stimmen sind keine zu hören, aber Arwen kann die leisen Schritte einer ungeduldig hin und her laufenden Person hören. Und sie spürt die unverkennbare geistige Präsenz ihres Vaters in diesem Raum. Nahezu lautlos bewegt sich die Tür in den Angeln als Arwen sie öffnet, den Raum betritt und wortlos den Blick ihres Vaters sucht, der mitten im Schritt inne gehalten hat. Sie ist plötzlich von einer wachsamen Anspannung erfüllt, deren Ursprung sie nicht ergründen kann und forscht in seinem Gesicht nach einer Erklärung. Sie versucht, seine Stimmung zu lesen, wie sie es als Kind immer getan hat - damals wie heute ohne Erfolg.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Mitarlyr am 05. Juni 2006, 21:42 Uhr
Das Warten darauf, dass seine Kinder zum Essen erscheinen führt Tianrivo einmal mehr vor Augen, wie subjektiv die Empfindung von Zeit ist - und dass eine Stunde durchaus eine kleine Ewigkeit sein kann. Arwen ist mit ihrer Tochter in ihren Gemächern verschwunden um das Kind zu versorgen und selber auch ein Bad zu nehmen. Wirklich ansehen hat er sich seine Enkeltochter noch nicht können, bloß einen schwarzen Haarschopf und grüne Augen in einem verweinten Gesicht hat er im Schutz von Arwens Mantel ausmachen können. Und als er das Kind kurz auf dem Arm gehabt hat, ist er vor Schreck über das fast schon panische Schreien Rialinns auch nicht dazu gekommen sie sich näher anzusehen. Es ist ja schon etwas, her, dass Gildin und Arwen so klein waren, aber ich dachte immer das verlernt man eigentlich nicht. Wenn ich nur wüsste, warum Rialinn so geschrieen hat. Das war nicht nur, weil sie nicht mehr bei Arwen war. Sie hat geschrieen als würde ihr jemand ans Leben wollen…  Die Tatsache, wie seine Enkelin auf ihn reagiert hat, hat Tianrivo doch tiefer getroffen, als er sich selber einzugestehen bereit ist. Seine Gedanken wandern weiter zu Soraya und deren merkwürdigem Auftauchen kurz vor Arwens Ankunft. Irgendetwas schien sie beunruhigt zu haben, und das so sehr, dass sie in einem ziemlich aufgelösten Zustand bei ihm erschienen war. Kopfschüttelnd unterbricht er sein Umherlaufen an einem der hohen Fenster und sieht hinaus in den nachtdunklen Garten. Seine Sorgen sind mit der Ankunft seiner Tochter hier bei ihm nicht verschwunden, ganz gleich wie sehr er sich das auch wünschen mag. Aber die anscheinend dringenden Dinge, die seine Nichte hatte besprechen wollen, und genau dieses Gespräch dann doch geflohen war, bieten ihm eine nur zu willkommene Ablenkung von der schon fast zur schlechten Gewohnheit gewordenen Grübelei der letzten Wochen. Was ist so dringend gewesen, dass es erst keinen Aufschub geduldet hat? Und was hat sie dann davon abgehalten zu bleiben und mit mir zu reden?... Und überhaupt.. ich wüsste ja zu gerne, was zwischen ihr und Arwen passiert ist, dass sie sie derart frostig begrüßt hat… Gildin hat auch kein Licht in das Verhalten Sorayas bringen können, als er noch einmal zu ihr in den Hof zurückgekehrt war. Und sein Sohn hat mit seiner Meinung zu der fadenscheinigen Ausrede für das verschobene Gespräch auch nicht hinter dem Berg gehalten, ehe in seinen Zimmern verschwunden ist.

Das leise Knarren der Tür lässt ihn den Kopf heben und ihn sich vom Fenster ab und zurück in den Raum wenden. Für einen Augenblick kann er seine Tochter nur schweigend ansehen. Das schlichte, schwarze Kleid wirkt auf den ersten Blick streng, aber auf den zweiten unterstreicht es ihre zurückhaltende Art mit seiner schlichten Eleganz. Besorgt bemerkt er allerdings auch, dass der dunkle Stoff noch betont, dass Arwen nicht einfach nur die helle, durchscheinende Haut aller Shida'ya hat, sondern dass sie vor Anspannung und Müdigkeit so blass ist wie eine frisch gekalkte Wand. Für einen Moment fürchtet er, sie könne jeden Augenblick zusammenbrechen, schilt sich dann aber einen Narren, denn ihr Blick, der den seinen sucht, lässt ihn unschwer erahnen, dass sie es sich schlicht nicht gestatten würde zusammenzubrechen, ehe sie nicht von ihm alles erfahren hat, was sie wissen will. Und was danach geschieht, mögen allein die Götter wissen. "Arwen." Mit raschen Schritten ist er bei ihr, und zum ersten Mal an diesem Abend zeigt sich ein offenes Lächeln in seinem Gesicht, das auch seine Augen erreicht. "Ich bin so froh, dass du endlich hier bist." Kurz zögert er, streckt dann die Arme aus und ergreift die Hände seiner Tochter, um sie näher an sich zu ziehen als die zwei Schritt Abstand, die sie von ihm hält. "Kind.. ich… du…"
Soviel also zu seiner viel gerühmten Disziplin, oder dem Gerücht, dass es nichts gäbe, das Tianrivo aus der Fassung bringen könne. Hier, in diesem Augenblick wird beides auf einen Schlag widerlegt. Selbst nach den Strapazen der Reise und blass vor Anspannung ist seine Tochter ebenso schön wie ihre Mutter einst in den Gärten der Himmelsinseln und sie gleicht ihr auf fast schon erschreckende Weise. Sie hat Amithra schon immer geglichen wie eine Schwester, aber jetzt, wo sie selber Mutter ist, hat sich irgendetwas an Arwens Aura verändert, das sie ihrer Mutter noch mehr gleichen lässt als früher schon. Lange Augenblicke fehlen Tianrivo einfach die Worte, um auszudrücken, was ihn bewegt und was er empfindet. Und dann ist der Moment vorüber, in dem er sie hätte aussprechen können - wie schon so oft. "Du musst müde sein. Komm, setzen wir uns an den Kamin. Es kann nicht mehr lange dauern, bis Gildin da ist, und auch das Essen aufgetragen wird." Mit leisem Bedauern lässt er die Hände Arwens los und deutet dann auf die großen, runden Sessel am Kamin. Auf einem niedrigen Tisch davor warten bereits fein geschliffene Kelche aus Rauchglas neben dunklen Tonkrügen mit Wein und kühlem Wasser und daneben Teller mit kleinen Vorspeisen um die Wartezeit bis zum Essen zu überbrücken: Blättriger Teig mit einer würzigen Fleischfüllung, kleine Brotscheiben die mit Ziegenkäse und Honig überbacken wurden und eingelegtes Gemüse. Schweigend füllt er Kelche für Arwen und sich mit Wein und Wasser und setzt sich ihr dann gegenüber. Ausnahmsweise ist das Schweigen zwischen ihnen nicht lastend, sondern von einer erleichterten Friedlichkeit erfüllt. Er weiß, dass sie auf Erklärungen von ihm wartet, aber er möchte das Thema nicht vor dem Essen ansprechen, es würde ihnen allen bloß den Appetit verderben. "Ich kann mir  lebhaft vorstellen, dass Du Antworten von mir haben willst, Arwen. Aber... vorhin hast Du gesagt, Du willst die Wahrheit erst nach einem Bad, sauberen Kleidern und dem Essen hören. Ich wäre nicht böse, wenn wir damit tatsächlich bis nach dem Essen warten können, auch wenn mir klar ist, dass Du entsetzlich müde sein musst. Die Reise war lang. Und mit einem kleinen Kind bestimmt nicht eben einfach." Der Blick, den er erntet, hätte jeden anderen zusammenzucken lassen, Tianrivo nimmt ihn reglos als berechtigte Strafe für seine Heimlichtuerei hin. Wenn das der einzige Preis ist, den ich für ihre Sicherheit zahlen muss, soll es mir recht sein…  "Rialinn ist… Ayares… Selbst nachdem, was Therlas berichtet hat, hätte ich nicht gedacht, dass sie dir so sehr gleicht, Arwen. Sie sieht aus wie Du, als du in dem Alter warst." Wehmut klingt leise in seiner Stimme mit, zusammen mit dem Echo uralter Erinnerungen. Das Licht des Kaminfeuers bricht sich schimmernd in dem Medaillon, das seine Tochter an einer silbernen Kette über dem Stoff ihres Kleides trägt und zieht seinen Blick wie magisch an. Er hat gewusst, dass sie das Medaillon wieder vereint und den Fluch gebrochen hat, immerhin hat sie die Geburt überlebt und eine gesunde Tochter zur Welt gebracht, die vorhin ziemlich lautstark bewiesen hat, dass sie quicklebendig ist. Aber etwas vom Verstand her wissen, und es mit eigenen Augen sehen, sind zwei völlig verschiedene Paar Stiefel. Tochter und Enkeltochter zusammen zu sehen ist ihm schon wie ein Geschenk der Götter erschienen. Aber das Medaillon jetzt mit eigenen Augen zu sehen, hat noch einen ganz anderen Wert.

Er kann sich noch erinnern, wie er das Medaillon zum ersten Mal in Händen gehalten hatte, am Tag bevor Amithra seine Hohe Gemahlin geworden war. Einen Juwelen-Schmied der Kheleda'ya hatte er aufgesucht und dort eine Fassung aus Yalaris für einen Smaragd in Auftrag gegeben, dessen Feuer nur von den Augen der Frau übertroffen wurde, die er zur Gemahlin begehrte. Und der Schmied hatte sich als wahrer Meister seiner Kunst erwiesen, hatte eine einzigartige Verbindung aus den Symbolen der Elemente, den Runen der Archonen Anukis' und dem Wolfskopf der Hüterin der Wälder mit dem Adler seines Hauses geschaffen. Er hatte Amithra die Kette und das Medaillon in einem unbeobachteten Moment am Abend vor der Hochzeit überreicht. Und sie hat es getragen, als wir die zwölf heiligen Gelübde abgelegt haben… Und er kann sich auch an den Tag erinnern, als das Medaillon zerbrochen war, und das besser als ihm lieb ist. Acht Monate später war seine Tochter geboren worden. Tianrivo erinnerte sich nur zu gut daran, wie er die besinnungslose Amithra in seinen Armen gewiegt hatte, wie bleich und zerbrechlich sie ausgesehen hatte, wie eine Blume, die im kalten Wind erfror. Er hatte gewusst, dass sie im Sterben lag, und dass es nichts gab, was er oder irgendjemand tun konnte um es zu verhindern. Und er hatte gewusst, dass ein Teil von ihm mit ihr sterben würde. Und anschließend hatte er Stunden gebraucht, um seine Tochter das erste Mal im Arm halten zu können, ohne dass es ihm beim Anblick des weichen schwarzen Haarflaums und der grünen Augen die ihn anblinzelten das Herz zerriss. Er war tagelang er wie erstarrt gewesen vor Trauer, unfähig zu ruhen, zu denken, an seinen Platz im Dienst des Hauses Relavendis zurückzukehren oder sich um seine Kinder zu kümmern, er war vor der Pflicht und dem Leben geflohen. Und in so mancher durchwachten Nacht muss er sich bis heute die Frage unbeantwortet lassen, ob seine Tochter davon weiß. Er hatte immer darauf geachtet, dass in ihrer Gegenwart nicht darüber geredet wurde, wie und warum ihre Mutter gestorben war, hatte jedes Gerede über Dämonen und Flüche von ihr fern gehalten. Wenn er sich seine Tochter jetzt so ansieht, muss er sich eingestehen, dass Gildin vermutlich Recht hat, wenn er sagt, dass das einer der größten Fehler war, den er je in seinem langen Leben begangen hat. Ich hätte viel früher mit ihr reden sollen. Es gibt viele Wahrheiten, die sie längst hätte erfahren sollen, und die ich nie ausgesprochen habe. Aber nicht jetzt, nicht heute abend. Das was heute zu bereden ist, ist schon mehr als genug. Alles andere kann warten, bis sie sich erholt hat. Wieder, wie so oft schon, schiebt er diese Gespräche vor sich her. Und er weiß nur zu genau, dass er sich selber belügt, wenn er meint, es sei für Arwen besser: Er verschiebt es nicht ihretwegen, sondern seinetwegen.


Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Arwen am 10. Juni 2006, 23:31 Uhr
Trotz des Kaminfeuers ist der Raum weder stickig noch übermäßig warm, was Arwen fast erleichtert aufatmen lässt, denn all die unheimschwangeren Andeutungen ihres Vaters machen ihr ohnehin schon das Atmen schwer. Schweigend und auch ein wenig abwartend steht sie vor ihm, und obwohl sie hier alleine und unbeobachtet sind, hält irgendetwas sie davon ab, wirklich seine Nähe zu suchen. Und dann ist ihr Vater bei ihr, nimmt sie bei den Händen und zieht sie auf weniger als eine Armlänge an sich heran. Und lässt damit eine Nähe zu, die sie selten, fast nie bei ihm erlebt hat, und die sie seit ihrer Kindheit so schmerzlich vermisst. Gerade, als sie Überraschung und Zurückhaltung soweit überwunden hat, dass sie diese Geste erwidern und sich wirklich in die Arme ihres Vaters flüchten will, lässt der ihre Hände wieder los und führt sie zu den großen, geschwungenen Sesseln am Kamin. Den Wein verdünnt sie mit Wasser, so übermüdet wie sie ist, würde vermutlich sonst ein einziger Schluck Sommerwein genügen, um sie augenblicklich der wachen Welt entschwinden zu lassen. Momente lang schwebt Schweigen zwischen ihnen, in dem Arwen einen Schluck von ihrem Wein trinkt und sich eines von diesen mit Honig überbackenen Käsebroten nimmt. Bei sich zuhause, auf Vinyamar, hätte sie jetzt die Schuhe abgestreift, ihre Beine neben sich auf die Sitzfläche gezogen und sich gemütlich in die Polster zurückgelehnt. Aber hier, im Haus ihres Vaters mag sie das nicht tun. Ganz gleich, was sie sich auch einzureden versucht, sie fühlt sich hier eher wie bei einem Besuch, als wie zuhause. Selbst bei Niniane im Baum habe ich mich heimischer und ungezwungener gefühlt als hier bei meinem Vater… muss sie sich schweren Herzens eingestehen, und hofft nur, Tianrivo würde es nicht bemerken, oder es einfach auf die besonderen Umstände ihrer Heimkehr schieben.

"Ja, ich bin müde, Eamo. Und von Rialinn will ich gar nicht erst reden, du hast sie gesehen, als wir angekommen sind, wie sehr sie geweint hat. Aber jetzt ruht sie, den Göttern sei dank. Und Yamarnar ist bei ihr, für den Fall, dass sie aufwacht." Sie stellt den Weinkelch zurück auf den kleinen Tisch. "Da hast du allerdings Recht, einfach ist so eine Reise mit einem kleinen Kind im Windelalter ganz bestimmt nicht." Ihre fast schon erloschene Wut über die Einmischung in ihr Leben ist plötzlich wieder da. Zum Glück ist sie zu müde, um ihrem Vater lange Vorwürfe oder eine wütende Szene zu machen, aber stillschweigend hinnehmen kann sie seine Handlungsweise auch nicht. "Und ich hätte sie bestimmt weder mir noch Rialinn angetan, wenn Du mich nicht quasi nach hause befohlen und unter Bewachung gestellt hättest, Eamo." Ihr Vater erwidert kein Wort auf diesen Vorwurf, aber er tut ihr wenigstens den Gefallen, für einen kurzen Moment zu erbleichen. Dann wechselt er das Thema, kommt auf Rialinn und ihre Ähnlichkeit mit Arwen zu sprechen. Ich wusste nicht, dass du mich damals oft genug angesehen hast, um mein Aussehen zu bemerken.  Gerade eben noch gelingt es ihrem müden Geist, diesen Gedanken für sich zu behalten und ihn nicht auszusprechen. Sie weiß, dass Krieg herrschte, als sie geboren wurde, dass es zahllose Pflichten gab, die ihren Vater immer wieder von Haus und Kindern fort riefen, und dass er trotzdem so oft es irgend ging zuhause bei ihnen gewesen ist. Sie weiß, dass ihre Gedanken in gewisser Weise ungerecht sind, aber sie wurzeln in den Erinnerungen eines kleinen Kindes, das ohne Mutter aufwuchs und viel zu früh begriff, dass sein Vater seinetwegen weinte, wenn er es auf dem Arm trug. Innerlich schüttelt sie den Kopf über sich, über ihre Gedanken und die aufkommenden Erinnerungen. Es drängt sie, sich ihrem Vater anzuvertrauen, mit ihm darüber zu sprechen, doch dann siegt ihre lebenslange Gewohnheit, und sie zieht sich in sich selbst zurück, umgibt sich mit ihrem Schutzwall aus distanzierter Beherrschtheit - und fühlt sich mit einem mal so einsam, dass sie am liebsten geweint hätte. Leise Schritte hinter ihrem Sessel und die ruhige Stimme ihres Bruders durchbrechen die aufkommende Stille, ehe die Stimmung sich endgültig in schmerzlichen Erinnerungen verlieren kann. "Gildin. Wo ist… ich dachte... nun ja… nachdem Soraya nicht hier war, hatte ich gehofft, sie käme mit dir." Enttäuschung liegt in Arwens Stimme und kurz legt sich ein grauer Schleier über ihre Augen. "Warum war sie hier? Und warum ist sie nicht zum Essen geblieben?" Ich hätte so gerne mit ihr geredet…

Die Antwort ihres Bruders muss allerdings warten, denn in diesem Moment erscheinen Pagen unter den wachsamen Augen Njardas und tragen das Essen auf. Wortlos erheben sie sich alle Drei von den Sesseln und folgen der stummen Geste Tianrivos zu Tisch. Keiner von ihnen sagt ein Wort, sondern sie setzen sich an den Tisch, auf dem sich nun kleine Schüsseln mit einer Suppe finden, deren Farbe die Möhren darin verrät, während der Duft unleugbar an Orangen erinnert. Möhren, Orangen und… und Ingwer… ist Arwen sich sicher. Auf Platten daneben finden sich gedämpfter Fisch mit einer dunkelgrünen Sauce aus gemischten Kräutern, kaltes  honigglasiertes Brathuhn, kleine Päckchen aus dünnen Eierkuchen, deren Duft auffallend an die Brote mit dem Ziegenkäse und dem Honig erinnert, nur dass sich hier noch ein anderes, harzigeres Aroma dazu gesellt. Rosmarin… ? Körbe aus kunstvoll geflochtenem Bronzedraht mit duftendem Shenrah-Brot, Schüsseln mit kleinen, goldbraun gebackenen Kartoffeln und buttergedünstetem Gemüse, Schalen mit kühler Butter und Teller mit den verschiedensten Käsesorten und schlussendlich zimt- und zuckerduftendes Apfelgebäck, süßer Rahm und dunkler Beerenmus. Im ersten Moment ist Arwen wie erschlagen von der Vielfalt an Aromen die auf sei einströmen. Und es sind verlockende Gerüche, die ihren Magen schlagartig wieder 'Hunger' melden lassen, und das ziemlich vehement.
Während sie sich alle ihren Suppenschalen und der Suppe darin widmen, sind alle Fragen vorerst zurückgestellt, doch anschließend bekommt Arwen dann endlich Antworten auf ihre Fragen nach Soraya, auch wenn ihr das, was ihr Bruder erzählt nicht wirklich gefallen will. Egal, Lomirion ist zwar beileibe kein Dorf, aber nun auch wieder nicht so groß, dass ich Soraya nicht finden könnte. Das Haus Zedernherz' wird sich kaum in Luft aufgelöst haben… Und wenn sie wirklich etwas so wichtiges mit Vater besprechen wollte, wird sie ganz bestimmt wiederkomme, und das schon bald. Ich darf sie dann halt nur nicht verpassen.  Die warme Suppe lässt langsam die Lebensgeistern Arwens erwachen, zumindest einen Teil von ihnen, und langsam entwickelt sich ein reges Gespräch bei Tisch - was allerdings keinen von ihnen davon abhält, sich die größte Mühe zu geben, alle Teller, Schüsseln, Schalen und Körbe auf dem Tisch zu leeren. Und so erfährt sie zwischen Fisch in Kräutersauce und Honigkrustenhuhn von den Vorbereitungen für das Inarifest und wer bereits oder noch in der Stadt ist, den sie von früher kennt, bei Brot und Käse wer wen in den letzten Jahrhunderten geheiratet hat und wem Kinder geboren wurden und während sie sich süßen Rahm über Beerenmus und Apfelgebäck gibt dann noch, wer in welche Ämter berufen oder aus ihnen entlassen wurde. Fast scheint es ihr so, als sei ihr Vater froh, dass vorerst keine persönlichen Themen berührt werden, und sie weiß nicht, ob sie selber darüber erleichtert, enttäuscht oder gar wütend sein soll (oder will).

Aber auch diese Schonzeit ist irgendwann vorbei, und als sie sich nach dem Essen zu dritt wieder in den Sesseln am Kamin niederlassen, gibt es weder Ausflüchte oder Ausreden mehr. Und Arwen hat auch nicht vor, ihren Vater aus seinem Wort zu entlassen. Sie will endlich Antworten, und sie will sie jetzt. Den Weinkelch in der hand, dessen Inhalt im Schein des Kaminfeuers schimmert wie flüssiges Gold streift sie schließlich doch die Schuhe ab und zieht ihre Beine neben sich auf die Sitzfläche um sich tiefer in die Polster zu drängen und für das zu wappnen, was auch immer ihr Vater nun wohl sagen wird. "Nun denn.. ich habe gebadet und frische Kleider an, Rialinn ruht, es gab etwas zu essen. Jetzt möchte ich Antworten von Dir, Vater. Was ist so dramatisches passiert, dass ich und Rialinn Talyra angeblich nicht mehr sicher sind? Und was hat das mit Khelenar zu tun? Und was mich am meisten interessiert: Gab es wirklich keine andere Möglichkeit, als mich nach Lomirion zu beordern?"

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Mitarlyr am 12. Juni 2006, 17:27 Uhr
Das Essen vergeht zwar lange nicht so unbefangen und entspannt, wie Tianrivo sich das gewünscht hätte, aber er weiß auch, dass das in Anbetracht der Umstände ohnehin nur ein Wunschtraum gewesen ist. Und so drehen sich ihre Gespräche um möglichst unverfängliche Themen, um Hochzeiten, Geburten und wer welche Ämter innehat, seit er Arwen vor drei Jahren zuletzt gesehen hat. Alles Dinge, die er ihr in den mehr oder weniger regelmäßigen Briefen nicht hatte mitteilen können oder wollen. Und jetzt, wo seine Tochter wieder zurück in den Reichen der Elben und in seinem Haus ist, möchte er, dass sie so gut es geht darüber informiert ist, welche Geflechte an Beziehungen, Informationen und damit auch Macht sich durch die Stadt ziehen. Je mehr sie darüber weiß, desto einfacher wird sie den ihr zustehenden Platz wieder einnehmen können. Und gleichzeitig verschafft es ihm die erhoffte Galgenfrist, bis er Arwen wie versprochen die Gründe für sein Handeln erklären muss, worüber er auch alles andere als traurig ist. Irgendwann ist dann aber der letzte Bissen gegessen, der letzte Schluck Wein oder Wasser bei Tisch genommen, und sie finden sich zu dritt in den Sesseln am Kamin wieder.
Arwen lehnt sich mit angezogenen Beinen in ihrem Sessel zurück und hält ihren Weinkelch in der Hand, den sie unterdessen aber nur noch mit Wasser füllt. Aber wirklich entspannt will ihre Haltung dabei nicht wirken. Und wie nicht anders zu erwarten fordert sie auch umgehend die versprochenen Erklärungen von ihm ein. Ihre letzte Frage allerdings bringt ihn etwas aus dem Konzept. Hatte es wirklich keine andere Möglichkeit gegeben? Oder hatte er nur die Gelegenheit genutzt um einen Vorwand zu haben, seine Tochter zurück nach Lomirion zu holen? Eine Kombination aus beidem... muss er sich nach einigen Augenblicken kritischer Beurteilung seiner Motive eingestehen.

"Ob es einen andere Möglichkeit gab, als Dich und Deine Tochter zu mir zu holen?" Bei der Erkenntnis, dass er die Frage seiner Tochter bloß wiederholt, weil er noch immer versucht, Zeit zu schinden, schleicht sich ein nachdenkliches Lächeln in sein Gesicht. "Ja und Nein. Eine Antwort, die vermutlich weder Dir noch mir gefällt, ich weiß. Dich und Rialinn hierher zu holen schien mir die beste Lösung zu sein, die einzige Alternative dazu, ein Dutzend meiner Männer zu Dir nach Talyra zu schicken um dort für eure Sicherheit zu sorgen. Und was Du davon hältst, dass ständig Wachen bei Dir sind, hat Gildin mir vor drei Jahren mehr als nachdrücklich ausgerichtet." In seinen Augen spiegeln sich für einen kurzen Moment die bitteren Erinnerungen an das, was damals geschah, und was er nicht hatte verhindern können. "Noch ist nichts passiert, und wenn es irgendwie geht, habe ich vor, dafür zu sorgen, dass das auch so bleibt, Arwen. Aber trotzdem fürchte ich um Deine Sicherheit und um die von Rialinn." Ein stummes Seufzen begleitet die ruhigen Handgriffe mit denen er sich Wein nachschenkt. "Khelenar,… Falcons Onkel hat wie zu erwarten war die Nachfolge als Oberhaupt des Hauses Lyr'Aris angetreten. Du kannst Dir vermutlich denken, dass Falcons Tod zu einer Menge Gerede geführt hat, nicht zuletzt von Leuten die der Meinung waren und sind, dass er unnütz in einem Krieg gestorben ist, der nicht der seine war. Dass er gekämpft hat um die Stadt zu schützen, in der er zuhause war und es somit sehr wohl auch sein Krieg war, das wollen diese Leute nicht sehen. Das ist das eine. Das andere ist die Tatsache, dass Falcons Ehe mit Dir annulliert wurde, und was dazu geführt hat. Es ließ sich nicht gänzlich verheimlichen, weder die Flucht der Verräter, noch was sie euch antaten, oder dass Shu'ra Niniane Tyalo gerichtet hat, wie es unsere Gesetze vorsehen. Ich habe versucht, was in meiner Macht stand, aber es ist mir nicht gelungen. Dass Normander unter jenen waren, die euch gerettet haben, wissen allerdings nur wenige ausgewählte Personen. Es hätte die Emotionen nur noch höher kochen lassen als sie es ohnehin schon taten. Khelenar und mit ihm das, was vom Haus Silberstern noch übrig ist werden seit dem von nicht wenigen misstrauisch beobachtet, und Khelenar ist sich dessen auch bewusst. Es wurden und werden Stimmen laut, dass man das Haus Lyr'Aris mit dem Tod seines Gründers in Ehren hätte enden und in die Geschichte eingehen lassen sollte, da weder Falcon noch Khelenar einen Erben hätten und letzterer im Gegensatz zu Falcon seine Treue gegen das Haus Arien und die Shida'ya ohnehin besser erst einmal beweisen solle.

Und genau da liegt die Wurzel meiner Sorgen. Khelenar braucht einen Erben... oder eine Erbin. Und wenn nur die Hälfte von dem stimmt, was mir zu Ohren gekommen ist, dann hat er vor, die Aufhebung der Ehe für ungültig erklären zu lassen, weil Du damals aus nur zu verständlichen gründen nicht ganz bei dir gewesen seiest und nicht wusstest, was Du tust und außerdem Gildin und Niniane als Zeugen für den Widerruf der Vermählung nicht als unbefangen gelten können. Damit könnte er versuchen Rialinn zumindest vor dem Gesetz zur Erbin des Hauses Silberstern erklären zu lassen. Und ehrgeizig wie er ist," das Wort 'rücksichtslos' kann Tianrivo sich gerade noch verkneifen um Arwen nicht noch mehr zu beunruhigen als es unvermeidlich ist, "würde er vermutlich anschließend versuchen, Rialinn zu seinem Mündel erklären zu lassen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendeiner unserer Richter Dir das Kind wegnehmen und ihm zusprechen würde. Aber... wie dein Bruder es immer so malerisch ausdrückt... ich traue Khelenar nicht so weit, wie ich einen Oger werfen könnte. Was die Richter entscheiden könnten, wenn Du tot und  Rialinn und eine Waise wäre, kann ich nur schwer einschätzen. Ganz abgesehen davon, dass ich mir diesen Fall nicht einmal vorstellen will. Aber so lange Du in Talyra warst, hatte ich die Befürchtung, er könnte versucht sein, Tatsachen zu schaffen, die unumkehrbar sind. Immerhin weiß ich, dass er bereits mehrfach bei Tenn'ro Sessair um eine Audienz in einer Familienangelegenheit nachgesucht hat. Bisher allerdings ohne Erfolg und mit dem von ihm sicher nicht berücksichtigten Nebeneffekt, dass er damit So'tar Blaufalke übergangen und düpiert hat.

Allerdings weiß niemand mit Sicherheit zu sagen, wie viele Anhänger der AnCu noch den wirren Ideen Tyalos folgen, und meineidig wurden, als sie abgeschworen haben und ihre Eide auf das Haus Lyr'Aris leisteten. Kann sein, dass diese Männer in Wegesend wirklich die Letzten waren, alle die der Verräter noch um sich scharen konnte und dass ich mir unnötige Sorgen mache. Himmel, ich wünschte es wäre so, Arwen. Aber es ist auch eben so gut möglich, dass es noch mehr gibt und Du hier in Lomirion zwar sicherer als in Talyra aber auch nicht vollkommen sicher bist, ehe wir nicht eine Lösung gefunden haben die es Khelenar unmöglich mach Dir oder Rialinn schaden zu können. Und ich will absolut kein Risiko eingehen. Drei meiner besten Raben hatte ich mit Nachrichten zu Dir geschickt, Arwen. Und nur die Götter wissen, warum bloß einer Dich erreicht hat. So oder so halte ich es für kein gutes Omen." Für einen Augenblick liegt ein Schweigen über dem Raum, in dem das Knacken der Holzscheite im Kamin überlaut klingt. Tianrivos Blick sucht den seines Sohnes, der die ganze Zeit aufmerksam zuhört aber kein Wort von sich gibt und wandert dann weiter zu seiner Tochter, sucht etwas in deren Blick, was er selber nicht recht benennen könnte. "Als Vater habe ich bisher nicht gerade geglänzt, " Genau genommen war ich wohl eher ein ziemlicher Versager, "Ich war nie da, wenn Du in Not warst. Aber die Götter mögen meine Zeugen sein, Arwen, ich werde nicht zulassen, dass Dir oder Rialinn etwas geschieht. Jetzt nicht und in Zukunft nicht. Und wenn es das Letzte sein sollte, das ich auf Roha weitem Rund tue."

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Arwen am 14. Juni 2006, 21:21 Uhr
Schweigend folgt Arwen den Worten ihres Vaters, lässt ihn reden ohne ihn zu unterbrechen und zwingt sich zur Ruhe. Sie hatte während ihrer Reise oft überlegt, was sie zu ihrem Vater sagen würde, und versucht, sich Szenen vorzustellen, die von wütend bis kalt reichten, und jetzt im Ernstfall sind sie alle verschwunden. Allerdings ist das was er ihr eröffnet auch problemlos dazu geeignet, sie sprachlos zu machen. Sie hatte sich so manchen Grund ausgemalt, den ihr Vater gehabt haben könnte, um zu derart drastischen Maßnahmen zu kommen, aber das was ihr Vater ihr da eröffnet, darauf wäre sie im Leben nicht gekommen. Nachdem ihr Vater schließlich geendet hat, schweigt sie lange Augenblicke in denen sie versucht ihre durcheinander tobenden Gedanken einzufangen, sie zu sortieren und zu so etwas wie vernünftigem Denken zusammenzusetzen, was ihr aber nur ansatzweise gelingen will. Rialinn… Rialinn… Rialinn… Der Name ihrer Tochter hämmert im Rhythmus ihres Herzschlags durch ihr Denken. Schon Tyalo war es damals neben seiner Rache an Falcon nicht um Arwen gegangen, zumindest nicht vorrangig, sondern um das Kind, das sie unter ihrem Herzen trug. Es fällt ihr unendlich schwer, einen klaren Gedanken zu fassen, so als würde ihr Denken durch tiefes Wasser waten.

"Khelenar." Der Name kommt ihr nur schwer über die Lippen. Früher hatte sie sich gefragt, warum die AnCu sie und Falcon nicht einfach ihr Leben in Frieden leben lassen konnten. Nach Wegesend und dem Tod Falcons hatte sie gedacht, sie hätte diesen Abschnitt ihres Lebens endlich hinter sich gelassen und wäre frei zu leben wie sie es will. Aber das scheint sich nun als Irrtum herauszustellen. "Phhh… Wisst ihr,, ich… seit ich ihn das erste Mal sah, zur Hochzeit damals… er hat mir nie direkt etwas getan, oder etwas gesagt, worin ich es begründen könnte, aber etwas in mir hat sich vom ersten Tag an geweigert, ihm den Namen Lyr'Aris zuzugestehen, er war und ist für mich immer ein AnCu geblieben. Frag mich nicht warum, ich kann es dir nicht sagen." Gedankenverloren dreht sie das Glas in ihren Händen hin und her. "Rialinn ist es also, um die es ihm geht, und in Wirklichkeit nicht einmal Rialinn selber. Er würde zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, nicht wahr? Er hätte eine Erbin für das Haus Silberstern und er hätte geschafft, was Tyalo misslang: Die Linie der Töchter von Winterwinds Blut zu unterbre-" Wut kocht völlig unvermittelt in ihr hoch und lässt ihre Stimme mitten im Wort brechen. Für einen Moment muss Arwen die Augen schließen, um sich wieder zu fangen, und damit niemand hinein sehen kann. Ihre Fäuste hat sie unbewusst so fest geballt, dass die Adern von den Fingerknöcheln bis zum Unterarm vorspringen, was man aber dank der langen Kleiderärmel nicht sehen kann. Langsam, ganz langsam entspannt sie ihre  Hände und öffnet die Augen wieder. "Verdammt! Ist es denn zuviel verlangt, dass ich einfach nur in Ruhe und Frieden mein eigenes Leben leben will?" Sie ist ohnehin schon blass an diesem Abend, doch jetzt werden ihre Wangen erst so weiß wie frisch gefallener Schnee, als so nach und nach all das in ihren Verstand sickert, was ihr Vater gesagt hat. Ihr Denken krallt sich verzweifelt an dem fest, was Khelenars Absichten für Rialinn bedeuten können, um nicht dazu gezwungen zu sein, sich mit dem auseinander zu setzen, was es für Arwen bedeuten würde. Nur leider funktioniert diese Taktik weder besonders gut noch besonders lange. Steter Tropfen höhlt bekanntlich den Stein, und so nach und nach begreift Arwen die ganze Tragweite, und sie begreift es so schlagartig, dass es ihr die Luft aus den Lungen treibt, als habe sie ein Fausthieb direkt unterhalb des Brustbeins getroffen. Mit einem entsetzen Keuchen sieht sie ihren Vater an, sucht in seinen Augen nach einem Funken Hoffnung, dass er die Dinge schwärzer gemalt hat sie es sind. Doch sie findet diesen Funken nicht, in seinen Augen steht nur die große Sorge um sie und ihre Tochter und daneben die Entschlossenheit, sie um jeden Preis zu beschützen. Die eisige Hand, die sich um Arwens Herz gelegt hat, löst ihren Druck und schmilzt wie Schnee in der Frühlingssonne. Wäre der Anlass nicht so bitter, könnte Arwen sich vielleicht auch darüber freuen, dass ihr Vater zum ersten Mal wirklich erkennen lässt, wieviel ihm an seiner Tochter liegt, und an der Enkelin, die er bisher noch kaum gesehen hat. Aber so reicht es nur für Erleichterung, die ihr allerdings das Herz wärmt. Egal was Khelenar auch vorhaben mag, sie würde sich dem nicht alleine stellen müssen.

"Khelenar meint also, ich war nicht bei mir und wusste nicht, was ich tat, als ich die Ehe annullieren ließ? ... Hmpf." Mit einem abfälligen Schnauben unterbricht sie sich selber. "Er sollte besser hoffen, dass ich immer weiß was ich tue und mich nicht vergesse, falls er sich Rialinn auf weniger als zwei Schritt nähert." Ein kaltes Glitzern liegt unvermittelt in ihrem Blick, und wäre besagter Elb jetzt hier, würde er vor dieser rücksichtslosen Entschlossenheit schleunigst das Feld räumen. Arwen würde ihre Tochter um jeden Preis vor Khelenar beschützen, selbst um den Preis ihres eigenen Lebens wenn es nötig sein sollte, und das sollte dieser Elb besser nicht einen Moment unterschätzen. "Ich nicht bei Sinnen, Niniane und Gildin keine gültigen Zeugen? Glaubt er wirklich, dass er damit durchkommt? ... Aber das ist es gar nicht, was ihr wirklich befürchtet, oder? … Ihr denkt, das ist alles nur eine Finte, er will davon ablenken, dass… Wie hast Du es genannt, Eamo? Er wird versuchen unabänderliche Tatsachen zu schaffen."   Er wird versuchen mich auszuschalten, damit er Rialinn in seine Gewalt bekommt. Götter, wenn er auch nur halb so skrupellos ist wie sein Bruder, dann wird er vor nichts zurückschrecken um an sein Ziel zu gelangen. Da ist sie wieder, die kalte Hand, die nach ihrem Herzen greift, es zusammendrückt und aus dem Takt bringt. Mit geschlossenen Augen lässt Arwen den Kopf zurück gegen die Polster sinken um die aufsteigenden Tränen zurückzuhalten. Die Reise war lang und anstrengend. Aber noch viel mehr zehrt es an ihr, dass über ihr und ihrer Tochter eine Bedrohung schwebt, die wie das schlechte Spiegelbild dessen scheint, mit dem das Haus AnCu schon seit Jahren versucht ihr das Leben zur Hölle zu machen. Und so langsam geht das Arwen an die nervliche Substanz. Ihre Arme liegen auf den Armlehnen, die Hände hängen schlaff an den Gelenken Arwens. Es scheint so, als habe ihre Selbstbeherrschung schließlich doch ihre Grenze erreicht, sie sogar überschritten und als sei schlagartig jede Kraft aus Arwen gewichen. Sie ist entsetzt, wütend, zornig, völlig entgeistert… und entsetzlich müde. Ihre Zähne presst Arwen so fest aufeinander, dass die Kiefermuskeln sichtbar arbeiten und kann ihre Anspannung trotzdem nur unter Aufbietung aller Willenskraft beherrschen um sich davon abzuhalten aufzuspringen, zu ihren Gemächern zu laufen und nachzusehen, ob Rialinn auch wirklich sicher in ihrem Bett liegt und ruht. Reiß dich zusammen! ermahnt sie sich selber bei allem Ehrgeiz und aller Skrupellosigkeit, nicht einmal Khelenar wäre so dumm, irgendetwas hier in Vaters Haus zu versuchen. Dass sie es einmal mehr als das Haus ihres Vaters und nicht als das ihre betrachtet, bemerkt sie nicht einmal.

Lange sitzen sie nicht mehr zusammen. Arwen ist schlicht und ergreifend am Ende und nicht in der Lage nur noch irgendeinen vernünftigen Gedanken zu fassen. Davon, eine Lösung zu finden, wie man Khelenar den Wind aus den Segeln nehmen kann ganz zu schweigen. Sie fallen in ein geselliges Schweigen, alle drei zu müde zum Sprechen und zu sorgenvoll, um allein sein zu wollen. Es hat etwas sehr angenehmes, das Feuer knistert und draußen scheint der Wind aufzufrischen, und aus dem Wispern der Blätter wird ein Flüstern von Ästen und Zweigen. Es ist schon nach Mitternacht, als Arwen sich dann in ihre Räume zurückzieht und Yamarnar mit einigen leisen Worten ebenfalls ins Bett schickt. Rialinn liegt eingerollt wie eine kleine Katze in dem für sie alleine viel zu großen Bett, und als Arwen unter die Decken kriecht und sich zu ihr legt, schmiegt sie sich mit einem unverständlichen Murmeln eng an ihre Mutter ohne auch nur ansatzweise wach zu werden. Und es dauert nur wenige Herzschläge, bis auch Arwen die wache Welt verlässt und in tiefe Trance gleitet.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Soraya am 19. Juni 2006, 21:16 Uhr
"So-… raya?" Die bleierne Müdigkeit und der raue Unterton schwingen wie düstere Wolken in der Stimme mit, welche Soraya als angenehm und samtschwer in Erinnerung hat. Sie spürt ihr eigenes Herz stocken, als Arwen unsicher einen Schritt vormacht, innehält und mit verletzt wirkender Unsicherheit zu ihr aufschaut, mit dunklen Augen nach etwas suchend, dass Soraya ihr nicht geben kann. Die Gefühle in ihrem Inneren sind beinahe gänzlich einer bitteren Leere gewichen, hin und wieder heimgesucht von dem Drang Arwen in die Arme zu schliessen, oder zumindest die Mundwinkel krampfhaft zu einem Lächeln zu verziehen, doch nichts kann die Mauer aus mühsam beherrschter Ruhe überwinden. Eine eiserne Fassade, derer sie kaum mächtig ist, denn der Schreck dieses Abends, mit all seinen winzigen einsamen Momenten, steckt tief in ihren Gliedern. "Soraya! Îhiot varl ti rilaer, waêl fior koiron Yor." Gerne hätte Soraya gelacht, Tränen der Freude vergossen und Arwen so behandelt, wie sie es vor Jahrhunderten getan hat, doch alles was sie zu Stande bringt, ist ein mageres Lächeln, dass sich auf dem Weg zu ihren Augen in kummervolles Nichts verliert. „Te Shira îhiot ôndo ail mino Caîe.“ Die Freude ist ganz auf meiner Seite. Jedes Wort bringt sie tonlos und ebenso herzlos hervor, die wenige Wärme, die sich darin verfangen hat, verschwindet in der angehenden Kühle der Nacht. Ihre Lippen zittern, derweil sich ihre Finger krampfhaft um das harte Leder der Zügel schlingen und ihr Blick unverwandt auf dem bleichen, vertrauten Antlitz Arwens verharrt. Ihr ist, als würde sie in das Gesicht eines Geistes starren, einer Illusion, die sich mit der kleinsten Regung ihrerseits in flirrenden, silbernen Nebel auflösen würde und ob dieser Angst setzt ihr Herz einen winzigen Schlag lang aus. Niemand hat mir gesagt, wo sie ist… niemand hat mir gesagt, dass sie noch lebt, nachdem, was alles geschehen war. Die schemenhaften Erinnerungen nehmen mit erschlagender Schnelligkeit Genauigkeit an und nur mit einem unmerklichen Würgen, kann sie die Flut an Bildern, die über sie hinwegschwemmt stoppen und das summende Durcheinander hinter ihrer Stirn ein wenig zur Ruhe mahnen. Doch ist ihr, als würde sie in den dunklen, grünen Augen Arwens fast das Gleiche erblicken, vermischt mit einer Unruhe, die einen harten Kloss in ihrer Kehle wachsen lässt. Mit einem Male ertönt ein lauter Knall, dicht gefolgt von einem Scheppern und einem schrillen Wiehern und Norntha unter ihr, durch all die aufgewühlten Gefühle bereits nervös und angespannt, macht einen Satz zur Seite, auf den Soraya nicht gefasst ist. Mit zusammengebissenen Zähnen und brennenden Liedern kann sie sich gerade im letzten Augenblick noch an der Mähne der Stute festkrallen, bevor sie wie ein nasser Sack einfach aus dem Sattel gerutscht wäre. Schief im Sattel hängend, kämpft sie darum Norntha durch leise Worte zum Stillstehen zu zwingen, doch die Stute tänzelt verwirrt durch die plötzliche Gewichtsverlagerung schnaubend in alle Richtungen gleichzeitig und wirft dabei wiehernd ihren Kopf in den Nacken, mit rollenden Augen auf dem Mundstück kauend und an den Zügeln zerrend. Soraya spürt jeden ihrer Knochen schwer und schmerzlich in sich, als sie es endlich schafft sich mit einem erleichterten Ächzen wieder gerade auf den Rücken des Tieres zu bugsieren. Der Kampf hat Spuren hinterlassen und statt Blut scheint Blei durch ihre Adern zu fliessen, so träge und unbeweglich fühlen sich ihre Glieder an, zerschlagen von Féhrals Schwert und Ausdauer.

Eine milde Briese streift ihr Gesicht, derweil der kräftige Pferdeleib unter ihr bebt und zittert und Norntha empört die Lippen schürzt, ungeduldig und immer noch aufgebracht mit den Hufen über den hellen, silbern schimmernden Kies scharrend. Die Aufregung legt sich, doch Soraya selbst hört ihr Herz vor Schreck hart gegen ihre Lippen schlagen, so laut, dass sie fast einen ängstlichen Blick in Richtung der Anderen riskiert hätte, um zu sehen, ob auch sie es hören. Doch das Kind in Arwens Armen zieht sämtliche Aufmerksamkeit mit halbersticktem Weinen, roten Wangen und Rinnsälen an schimmernden Tränen auf sich, die dünnen Ärmchen fast panisch um den Hals ihrer Mutter schlingend und mit kläglichem Gewimmer lauthals nach ihrem Zuhause krakeelend. Soraya kann den Blick nicht von dem Kind abwenden, das trotz des spärlichen Lichtes, eine erschreckende Ähnlichkeit mit seiner Mutter aufweist. Die gleichen, klaren Züge, die katzenhaften, grossen, grünen Augen, das dichte, schwarze, glatte Haar, die selbe helle Haut und beide wirken sie mitgenommen und müde, am Ende ihrer Nerven. Entsetzt hat sich Soraya bereits halb erhoben, als sie spürt, wie die Kraft aus Arwens Beinen weicht und die Schwärze sie zu übermannen droht, doch bevor sie abspringen kann, ist Gildin bereits an der Seite seiner Schwester und stützt sie mit zärtlichem Griff. Mit vor Tränen verschleiertem Blick klammert sich Soraya an den Sattelknauf, wie eine Ertrinkende an ein Stück Treibholz, eine Hand in einer hilflos wirkenden, helfend gemeinten Geste nach Arwen ausgestreckt, zieht sie jedoch schnell wieder zurück, als hätte sie sich an dem Geschehen die Finger verbrannt. Götter, bei allen Göttern, das kann nicht sein, lasst dies nicht geschehen. Niemals war sie schwach… Niemals so sehr. Was ist geschehen? In ihrer Brust brennt ein Kampf, der ihr den fahlen Geschmack nach Übelkeit in den Mund jagt. Sie möchte an Arwens Seite eilen, ihr die Freundin sein, die sie vor so langer Zeit einst war, doch ist ihr, als würde dort nur ein trüber Schatten der Vergangenheit stehen und schwanken und zugleich lastet der Grund ihres Hierseins noch schwerer auf ihren Schultern, je mehr Zeit vergeht und die Wahrheit unausgesprochen bleibt. Bereits spürt sie wie der Mut und der mühsam erhaltene Weg bröckeln, wie die Möglichkeit Tianrivo darin zu unterrichten, was dem Reich drohen könnte, unter lähmender Angst, sehnsüchtigem Schmerz und tiefer Sorge schwindet. Erst als sie den metallenen Geschmack nach Blut auf der Zunge schmeckt, süss und bitter zugleich, stellt sie mit milder Verwunderung fest, dass sie sich auf die Lippe gebissen hat und der feine, ziepende Schmerz lässt sie mit erschreckender Klarheit auf den Boden der Realität zurückfallen. Deutlich sieht sie, wie Tianrivo sich seiner Enkelin annimmt, diese jedoch augenblicklich schreiend wieder nach ihrer Mutter verlangt, wie Tianrivo sie schnellstens wieder an Arwen zurückreicht, an deren Brust sich das Mädchen herzzerreissend schluchzend zusammenkringelt, das winzige Gesichtchens schutzsuchend am schlanken Hals bergend.

Als Arwen von ihrem Vater mit einer, für Tianrivos ansonsten so disziplinierte Art, äussert liebevollen Geste fortgeführt wird, eine quengelnde, hicksende Tochter auf dem Arm, dicht gefolgt von Gildin, und die Menge sich mehr und mehr zerstreut greift eine eisige Faust der Einsamkeit nach Sorayas Innerem und mit einem lautlosen Keuchen ringt sie erstickt nach Luft, fühlt den winzigen Funken an Hoffnung, der sich bei Arwens Anblick trotz aller unheilvollen Gedanken, in ihr breit gemacht hatte, klirrend zerspringen und heiss fliehen die Tränen über ihre langen Wimpern. Hastig wischt sie diese mit dem staubbedeckten Ärmel ihres Hemdes von ihrem schreckbleichen Gesicht und kämpft verzweifelt darum, nicht lauthals in die veilchenblaue, klare Dunkelheit der stillen Nacht hinauszuschreien, um dem Druck, der ihren Brustkorb zu zersprengen droht, nachzugeben, so sehr sie es auch möchte, so sehr sie danach giert, all den Sorgen und Ängsten der letzten Tage und dem Schrecken der letzten Momente Luft zu machen. Norntha unter ihr gebärdet sich wie Mais in der Pfanne und nur mit äusserster Willensanstrengung schafft Soraya es, sich selbst so weit zu beruhigen, dass sie sich mit weichen Worten, die in ihren Ohren wie das aufgewühlte Krächzen eines Raben klingen, an die Stute unter sich wenden kann. Es dauert jedoch eine Weile, bevor sich die Stute dazu herablässt, nicht mehr wie vom Hafer gestochen in sämtliche Richtungen zugleich fliehen zu wollen und nur noch der laute, beleidigt klingende Atem, der ihren Bauch bläht hält an. Soraya selbst sieht zu dem halbrundem Tor hinüber, hinter welchem die Familie Mitarlyr verschwunden ist und ist sich nicht sicher, ob sie ihnen hinterhereilen, oder lieber sofort vom Anwesen verschwinden soll, was der Höflichkeit wahrlich nicht noch mehr Abbruch tun könnte. Ihr Blick verliert sich in dem warmen, gelben Licht, dass sich plötzlich über die halbhohen, weissen Treppen ergiesst, als ein Türflügel erneut geöffnet wird. Ein Umriss tritt hinaus, verharrt flüchtig und kommt dann auf sie zu, bis sie erkennt, dass es Gildin ist. Stumm mustert Soraya Arwens Bruder, fühlt erneut Tränen unter ihren Lidern brennen und doch bleibt ihr Gesicht im Gleichmut und Unscheinbarkeit erstarrt. Erst als Gildin vorsichtig nach Nornthas Zügel greift, die augenblicklich unwillig ihren Schädel hochwirft und den Elben aus hastig umherhuschenden Augen beobachtet, regt Soraya sich und nickt ihm wie in Trance versunken unmerklich zu. Unter Gildins Berührung beruhigt sich die schwarze Stute, bis sie schliesslich mit einem zufriedenen Blähen ihrer Nüstern den Kopf senkt und sich genüsslich den Schopf zwischen den wippenden Ohren kraulen lässt. "Was ist los mit Dir? So kenne ich dich gar nicht." Seine Stimme ist sanft und fast schon ist sie dazu geneigt abwehrend die Hände zu heben und lächelnd zu versprechen, dass nichts wäre, doch kennt sie ihn und er sie lange genug, damit solche Spielchen keinen Boden fassen könnten. Stattdessen zwingt sie flüchtig ein fadenscheiniges Lächeln auf ihre gepressten Lippen, nur ein Bruchteil dessen, was sie sonst für ein Wiedersehen mit ihm gegeben hätte und flüstert dann, während der vage Schein bereits wieder von ihrem Gesicht verschwindet, kaum hörbar: „Schön dich wieder zu sehen Gildin… es ist eine Weile her…“

Er nickt, augenscheinlich verwirrt, dass sie seiner Frage einfach so ausweicht und doch zu müde, um energischer nachzuhaken, was ihrem seltsamen Gebaren zu Grunde liegt. "Es scheint, als hättet ihr eine lange Reise hinter euch und... Hör zu Gildin, ich weiss... ich denke zumindest, dass ihr heute Abend viel zu tun habt und euer Wiedersehen feiern wollt, doch es ist wichtig, dass ich mit deinem Vater spreche. Es duldet keinen Aufschub, nicht auf später und nicht auf morgen." Nein, ich kann jetzt nicht mit ihm sprechen… und doch muss ich. Vater… Sie muss sich zwingen ihre Bitte zu Ende zu sprechen und nicht mitten drin abzubrechen und Gildin zu versichern, sie wäre nur für einen kurzen Höflichkeitsbesuch vorbeigekommen. Seine Antwort bekommt sie jedoch nur halb mit und die letzten Worte lassen sie nach Luft schnappen, derweil ein dunkler, bitterer Zug ihren Mund noch härter werden lässt und ein vorwurfsvoller Schimmer in ihren Augenwinkeln aufblitzt. „Arwen würde sich freuen?“ Sie kann gerade noch ein verletztes, hämisches Lachen unterdrücken und wendet den Blick ab, sucht in silbergrünen Blätterdächern und fahlem Mondschein nach Halt, bevor sie es schafft, ihre Miene wieder erstarren zu lassen und Gildin erneut anzusehen. Nachdem sie sechshundert Jahre lang verschwunden ist, nachdem sie sich all die Zeit niemals gemeldet hat, nachdem keiner von euch mir je ein Wort über sie verraten hat, nachdem ich mich schon beinahe mit der Wahrheit abgefunden habe, dass sie für mich gestorben war, soll ich mich damit begnügen, dass sie sich wohl freut mich zu sehen und das wo ich genug damit zu tun habe, mich zu einer Entscheidung durchzuringen, die mir den Boden unter den Füssen zerreisst. Doch sie schweigt über all die Gründe, die sie dazu bringen, sich so zurückzuziehen und stattdessen lässt sie den Kopf ein wenig sinken und bringt halblaut eine winzige Notlüge über die Lippen, um diesen hellen, schicksalsdurchwirkten Platz endlich verlassen zu können: „Ich merke gerade, ich habe die Pergamente vergessen. Es geht im Grunde genommen um einige Dinge bezüglich des Inarifestes… also werde ich in den nächsten Tagen noch einmal kommen, um mit deinem Vater darüber zu sprechen.“ Er weiss dass sie lügt, sie weiss es und sie macht keinen Hehl daraus, denn so mildert es ihr Schuldgefühl zumindest ein Stück weit. Mit einem leisen Aechzen steigt sie jedoch aus dem Sattel und lässt sich ungelenk zu Boden gleiten, auf Gildins fragend hochgezogene Augenbrauen nur mit einem lapidaren Schulterzucken antwortend: „Fehràl ist ein harter Gegner, wenn man ihn lässt.“ Kaum haben ihre Sohlen den Boden berührt, steht bereits aus dem Nichts heraus ein Knecht an Norntha’s Seite und will die Stute in Richtung der Stallungen führen, doch Soraya gebietet ihm mit wenigen Worten, das Tier nur bis zum nächsten Grasstück zu geleiten, damit ihre Unruhe sich vielleicht mit ein paar saftigen Grashalmen wieder legt. Erneut schweift Sorayas Blick in Richtung der geschlossenen Torflügel, die von den flackernden, verspielten Flammen zweier Fackeln erhellt werden und mustert Gildin plötzlich mit scharfer Aufmerksamkeit. Er trägt ein Kettenhemd, wie auch Arwen und wie auch der Rest der Ritter, die sie begleitet haben. Mindestens ein Dutzend, dazu noch Andovar… Schlagartig verdüstert sich ihre Miene und irgendwo in ihrem Inneren schrillt laut eine Alarmglocke, derweil ihr nun mit einem Male noch mehr Ungereimtheiten auffallen, die ihren Verdacht, dass Arwen von der stetigen Präsenz einer Gefahr umgeben ist, nur noch erhärtet.

„Gildin“, haucht sie leise, tritt noch einen Schritt näher an den schlanken Elben heran und legt eine Hand auf seinen Unterarm, eine winzige Geste des Vertrauens, die sie gerade noch zu Stande bringt. Sie kann die ernsthafte Sorge, die unheilvoll in ihrer Stimme mitschwingt jedoch nicht verbergen und fragt mit rauer Eindringlichkeit: „Was ist geschehen? Warum ist Arwen hier und weshalb all diese Ritter, ich meine... Ist sie in Gefahr?" In Gildins wachem Blick regt sich ein winziges Glitzern, das jedoch schnell wieder erlischt und mit zermürbten Miene, sowie Rost in der Kehle beginnt er zu erklären und doch dämmert es Soraya erst nach einigen Augenblicken. „Khelenar“, stösst sie mit reibeisener Stimme hervor und ihre Augen werden eine Spur schmaler. Sie kennt den Elben und sie mag ihn nicht. Falcon… Das verräterische Haus der AnCu. Bei allen Göttern… Falcon ist der Vater und… „Er hat es beim Hohen König versucht? Er scheint seine Grenzen nicht zu kennen… aber“, musternd versucht sie die Antwort auf ihre kommende Frage, in seinem ebenen Gesicht zu ergründen, doch er sieht sie nur stillschweigend mit eingefallenen Wangen und dunklen Augenringen an: „Weiss Arwen davon?“ Ein schwaches Kopfschütteln bestätigt ihr, warum Arwen so dermassen verunsichert und ratlos gewirkt hat, keine Eigenschaften, die sie an der Elbe kennt. Die Abschiedsworte fallen spröde aus, wobei ihr beharrliches Schweigen und ihre verlorene Haltung nicht wenig Schuld darin haben. Sie verspricht vage Arwen in den nächsten Tagen zu besuchen und Tianrivo dann ihre Bitte vorzulegen, bevor sie den Knecht mit Norntha wieder heranwinkt und aufsteigt. Als sie das Tor hinter sich lässt ist ihr Innerstes zu einem unförmigen Eisklumpen erstarrt und die Zügel entgleiten ihren Händen als sie sich krampfhaft an der Mähne ihres Pferdes festhalten muss, um nicht einfach aus dem Sattel zu rutschen. Mühsam ringt sie nach der kühlen, klaren Abendluft, wartet, bis der heftige, unerwartete Schmerz ihre Lungen verlässt und richtet sich dann langsam auf, um ihrer Gefühle Herr zu werden. Die Strassen ziehen als silberne Dunstschleier an ihrem Blick vorbei, der Mond ist ihr einziger Begleiter und erhellt den Weg mit seinem blassen Geisterlicht. Als sie endlich das Anwesen ihrer Familie erreicht, fühlt sie sich entkräftet und müde, dümpelt in schwammiger Unruhe und bringt es fast fertig, über ihre eigenen Füsse zu stolpern, als sie Norntha versorgt und den Stalljungen mit einigen harschen Befehlen wegschickt. Zu sehr damit beschäftigt dieser gähnenden Leere in ihrem Kopf entgegen zu wirken, entgeht ihr der bedrückte Gesichtsausdruck des Jungen, der unter ihren Worten zusammengezuckt ist wie ein Wiesel.

Kraftlos wuchtet sie den einfachen Sattel auf die dafür vorgesehene Halterung und will bereits aus dem Stall verschwinden, als ein herzzerreissendes, kaum hörbares Jaulen an ihre Ohren dringt und sie an die winzigen Fellbällchen des Mittags erinnern, zu der Zeit noch keine Stunde alt. In ihren Ohren summt es, wie in einem ganzen Wespennest und um sich abzulenken wendet sie sich mit einem leisen Seufzen dem Lager der Hündin mit ihrem Wurf zu. Doch anstatt der frischgebackenen Mutter und ihren fünf Welpen, findet sie nur kaltes Stroh und dunkle, verlassene Schatten… Zu sehr Wolf, um vertrauensvoll genug zu sein. Ihre Schritte sind schleppend, als sie in das Haupthaus zurückkehrt und sich dort zu ihrem Zimmer aufmacht, nur kurz der Haus- und Hofmeisterin noch zu verstehen gebend, dass sie am nächsten Tag das Frühstück nicht wie sonst mit ihrem Vater und seinen Rittern einnehmen würde. Ihre zitternden Finger rutschen an der blanken, blattförmigen Klinke der Türe ab und erst ein zweiter, schlafwandlerischer Versuch zeigt Erfolg. Milchigweisses Mondlicht durchflutet ihre Gemächer, in welchem sich noch immer ungeöffnete, eisenbeschlagene Truhen, Lederbeutel in verschiedenen Grössen, sowie zwei einfache, etwas schlankere Kisten stapeln und Schatten werfen. Noch hat sie keine Zeit gefunden, sich hier wieder häuslich einzurichten und so starren die cremefarbenen Wände mit der zimtfarbenen Bordüre sie noch immer nackt an, abgesehen von einem Bild, welches sie vor langer Zeit gemalt hat. Zerklüftete Felsen und schwarze Berge, die sich vor dunklem, goldgrünem Wald erheben und den sturmblauen Himmel zerreissen mit ihrer Schärfe. Auf den Seiten verlieren sie sich in der Weite und dafür beginnt dort die wogende, graue See, ebenso verrucht, wie das Land, an welchem er seine Ufer findet. Es ist kein sonderlich getreues Abbild, schon alleine weil ihre Fähigkeiten, was das Malen anbelangt, beschränkt sind, doch als sie es ansieht, füllt sich ihre Brust plötzlich mit einer Woge an Gefühle, die sie übermannt und beinahe erschlägt. Arwens Ankunft hat bereits eine Flut von Erinnerungen ausgelöst, doch dieses leblose Bild aus Oel und Leinwand bricht das letzte Schloss, das sie tief in ihrem Herzen gehortet hat, wie der Schlüssel zur Pforte der Unterwelt. Ihr wird kalt und mit einem Röcheln taumelt sie vor und ihre Finger schliessen sich klammerartig um die hohe, samtüberzogene Lehne des wuchtigen Sessels, vergraben sich in dem weichen Stoff, als wäre es das Letzte, was sie vom Wahnsinn fern halten könnte. Unter ihrer honiggoldenen Haut treten helle die Knöchel hervor und das Blut weicht aus ihren Fingerspitzen. Die Bilder schwemmen über sie hinweg, Jahre der Freude, der Ausgelassenheit, des Stolzes, der Freundschaft, der Trauer, des Entsetzens, der Schatten, Momente in denen sie das Glück wie Sonnenlicht in ihrem Herzen prickeln gespürt hat, anderen in denen ihre Seele längst den Weg zu Sithechs Hallen hatte gehen wollen und dazwischen immer wieder Blicke zu verborgenen Augenblicken, die ihr mit Arwen vergönnt gewesen waren. Sie erinnert sich an ihre erste Zusammenkunft, als sie kaum den zweistelligen Zahlen entwachsen war, sieht wie ein Zelt in sich zusammenfällt und Arwen mit verwirrt entsetztem Blick davor steht und sie selbst breit grinsend über den Rücken ihrer Cousine schielt, derweil Gildin, Andovar ihre zwei Brüder sowie Milyaris versuchen unter dem schweren, in sich zusammengesackten Leder hervor zu kriechen und dabei laut fluchend ihrem Aerger Luft machen.

Erstickt stösst Soraya ein flehendes, von ihrer Stimme raues und aufgewühltes: „Nein, bitte nicht…“ hervor, und schliesst die Augen, als könne die Dunkelheit etwas ändern. Doch erst nach und nach endet die Tortur und sie schnappt nach Luft, wie eine Ertrinkende, schluchzt und spürt erst jetzt die Tränen, die haltlos über ihre geröteten Wangen rinnen. Rüde wischt sie diese mit dem Handrücken fort, glitzernder Regen blitzt in der Luft auf, und hin und her gerissen zwischen Ohnmacht und Hilflosigkeit, verdammt zu elendem Nichtstun und Unwissenheit schleift sie ihren ohnehin bereits zermarterten Körper zu ihrem Bett, streift geistesgegenwärtig noch die Stiefel ab und lässt sich in die Spinnseidendecken fallen, welche sie sich eine unstetige Wolke ausblähen und sich dann an ihre Haut schmiegen, zärtlich kühl und angenehm weich. Obwohl so manche Stelle an Armen, Beinen und Oberkörper ziept, surrt oder pocht holt die Trance sie kurze Zeit darauf.
Der Morgen zahlt es ihr heim, denn als ein Geflecht warmen Sonnenlichts auf ihrer Haut zu kribbeln beginnt und sie schlaftrunken die Augen aufschlägt, fühlt sich jeder Sekhel ihres Leibes an, als wäre er an den steilen Nordklippen zerschellt. Mit steifen Gliedern müht sie sich aus den Laken, blinzelt in den goldenen Dunst des Tages und schleppt sich dann mit steifen Bewegungen bis zum Fenster, um in den Hof hinaus blicken zu können. Shenras Antlitz strahlt mit weisser Helligkeit auf das Anwesen, wirft lange Schatten von Bäumen und Elben und erleichtert atmet sie auf. Noch nicht allzu spät, jedoch spät genug. Trotzdem bleibt sie stehen, beobachtet Mýrnith Khorshanur, Rabenstolz und Lelsdo’res aus dem Hause Calarelis, zwei Ritter ihres Vaters, dabei, wie sie hoch aufgerichtet mit ihren Pferden am Zügel aus dem Tor schreiten und blickt ihnen so lange nach, bis ihre grünen Umhänge hinter einer weissgetünchten Hausmauer verschwunden sind. Ihre Gedanken schweifen ab, verirren sich zum gestrigen Abend, zu Arwens unerwartetem Erscheinen, dem schwachen Schein von Verletztheit von Schmerz in Arwens dunklen Augen, als sie nicht vom Pferd gestiegen war, zu Gildins warnenden und besorgniserregenden Worten und ihre Beine werden schlagartig weich wie Brotpudding, derweil ihre Augen brennen vor Müdigkeit und Tränen. Nicht ein Brief, nicht eine Nachricht, ein Gespinst aus Lügen und nun soll ich all das vergessen, und mich über sie freuen? Wir waren Freundinnen, sie war mir beinahe eine Schwester und dann ist sie verschwunden, weit weg, fort und der Krieg brach über uns alle herein… Danach wusste niemand mehr, wo sie war.Soraya weiss um die Dinge, die vor Arwens plötzlichem Verschwinden geschehen sind, doch es ist das letzte, kleine Lebenszeichen gewesen, dass sie selbst mitbekommen hat. Und gestern stand sie vor mir, lebendig, wenn auch müde… mit einer Tochter. Der Fluch wurde gebrochen und die Familie ist frei, sie hat es geschafft. Trotz all der verworrenen Gefühle, die sich um ihr Herz spinnen, wogt tiefe Freude über diesen Umstand in ihr auf, ein erwartungsvolles Kribbeln erfüllt sie von den Zehen bis zu den Haarspitzen und ein warmes Lächeln umspielt für einen Herzschlag ihre Mundwinkel, bevor es wieder verblasst und grüblerischen Ernst zurücklässt. Wie ein geprügelter Hund schleppt sie sich zu Porzellanschale und Wasserkrug und beginnt sich ihrer schmutzigen Kleidung zu entledigen, um sich zu waschen und ihr Haar von Staub, Dreck und Stroh zu befreien. Derweil sie mit dem weichen Schwamm, voll gesogen mit herrlichem kaltem Wasser, über ihre Haut wischt, sind ihre Gedanken weit fort, fliehen in der Zeit umher und ihr Blick führt in eine Leere, die niemand ausser ihr zu sehen vermag.

Der Tag schleppt sich so zäh dahin, wie dickflüssiger Honig und Soraya schleicht mit verschlossener, grimmiger Miene von einer seltsamen Unruhe erfasst im angenehmen Halbdunkel des Hauses umher, hinterlässt tiefe Sorgenfalten im Gesicht ihres Vaters, dem sie jedoch nur ein beruhigendes, bröckelndes Lächeln, sowie einige abwehrende Gesten schenkt, um sich dann mit der Erklärung, sich um irgendwelche Dinge kümmern zu müssen, in den Stall zurückzieht. Wie ein Geist wandelt sie durch die Gänge, verharrt für einen Augenblick mal in diesem, mal in jenem Zimmer, blättert in Büchern, ohne wirklich zu lesen, beginnt halb damit ihre Truhen und Kisten auszuräumen, hält mitten im gröbsten Durcheinander inne, lässt Kleider Kleider und Habseligkeiten Habseligkeiten sein, verlässt das Anwesen und durchstreift Strassen und Gassen auf der Suche nach irgendwas, dass ihr Ablenkung beschaffen und sie davon abhalten könnte, schnurstracks wieder zu Arwen zu hetzen und sie zur Rede zur Stellen. Auch der eigentliche Grund, warum sie Tianrivo aufgesucht hat, hängt wie eine düstere, schwarze Wolke stetig über ihr, verdeckt Shenras bernsteindunkles, von funkelnden Kupferfunken erhelltes Antlitz und verschwindet nicht einmal, als sie die unleidige Aufgabe von Fehràl übernimmt, den neuen Rekruten dieses Jahres einen ganzen Nachmittag lang trockene, langweilige Schrittfolgen für den Gebrauch eines Schwertes beizubringen. Doch ihr finsterer Gesichtsausdruck hat zumindest den positiven Nebeneffekt, dass niemand es wagt ihr zu widersprechen oder mit besserwisserischen Das-geht-doch-aber-eigentlich-so-Vorschlägen aufzutrumpfen und als sie schliesslich den jungen Reolair Linkshand mit einem vernichtenden Blick, sowie der kühlen Mahnung, es doch besser als Waschweib zu versuchen, vom Übungsplatz zum nächsten Waschzuber schickt, hat ihre Laune den Nullpunkt weit überschritten und in ihr wächst mehr und mehr der Wunsch, sich einfach in den Boden einzugraben und dort in der Kälte der Erde bis ans Lebensende zu verweilen. Mürrisch widmet sie sich dem Geschirr ihrer Pferde, putzt es mit rauen Bürsten und weichen Tüchern sauber, schmiert es mindestens dreimal mit Fett übergründlich ein, bis ihre Arme sich anfühlen, als würde sie gleich abfallen, versichert sich zwei dutzend mal, dass eine vierte Schicht nicht nötig ist und verstaut dann alle gebrauchten Utensilien fein säuberlich an ihrem abgestammten Platz. Der Abend bricht mit einem pflaumenfarbenem, von rosa Schlieren durchzogenen Himmel über die Stadt herein, die so unruhig ist, wie ein brodelnder Wasserkessel und die Abendluft ist dermassen stickig, dass es eine Wohltat ist, das Innere aufzusuchen. Inarianar… Dann sehe ich sie wieder. Geschafft schleicht sie in die Küche, wo nur die Köchin Tielleren gerade dabei ist ein köstliches Abendessen mit buttergefüllten Pilzen, gewürztem Käse, süssen, in Honig gedrehten Teigröllchen, sowie frischgebackenem Brot zusammenzustellen und Soraya läuft alleine bei Anblick der dampfenden Schüsseln das Wasser im Munde zusammen. „Ah, Shu’ra“, spricht die Silberelbin mit wohlklingender Stimme zusammen mit einem sanften, ruhigen Lächeln und wendet weisses Fischfleisch über dem Herd, um auch die zweite Seite goldbacken werden zu lassen. „Naiorna sagte mir, jemand warte auf euch in euren Gemächern, doch er liess sich nicht dazu bringen, zu verraten, was er wollte.“ Die Köchin prüft flüchtig das gedämpfte Gemüse, welches sich auf einem der unzähligen Schalen stapelt und Soraya nickt, nicht fähig die Freundlichkeit mit einer Geste, oder gar einem Wort zu erwidern. Wer es wohl sein mag?

Das Wiedersehen mit Milyaris fällt ihr dann umso überraschender in den Schoss, als das sie dachte, er hätte genug damit zu tun, als Gardist der königlichen Stadtwache, seine Runden in den rumorenden Strassen Lomirions zu drehen. Er erklärt ihr grosszügig, dass auch ein vielbeschäftigter Mann, wie er, sich hin und wieder eine Pause gönne und lachend lädt Soraya ihn zu einer Karaffe fruchtigem Sommerwein ein, der an diesem bitteren Tag gleich doppelt so gut schmeckt. Sie unterhalten sich über nichtige und wichtige Dinge, erzählen von all den kleinen Besonderheiten, die seit ihrem letzten Treffen angefallen sind und Soraya’s Kummer löscht sich die kurze Zeit ihrer Unterhaltung in faseriges Nichts auf, derweil ihr Gesicht glüht vor Wärme und sie mit Händen und Füssen über die letzte Jagd erzählt. Milyaris lauscht ihr mit einem breiten Grinsen, neckt sie mit ihrer störrischen Stute und beginnt dann seinerseits von dem Trubel zu erzählen, der den meisten Männern der Stadtgarde, den letzten Nerv raubt. „Die Stadt ist jetzt schon ein brodelnder Hexenkessel. Gaukler, Narren, Spielleute, Diebe und anderes Tunichtgute, sowie natürlich der ganze adelige Sumpf bringt uns noch um den Verstand. Nicht eine Nacht herrscht Ruhe und ich will bei allen Göttern nicht wissen, wie erst das Sommerfest dieses Jahres ausfallen wird. Die Gerüchteküche läuft fast schäumend über und ich wünschte mir plötzlich, ich hätte am Inarianar Dienst.“ Die Tatsache, dass er stattdessen jedoch frei hat, ärgert ihn nur halb so viel, wie er vorgibt und sie versprechen sich gegenseitig, am inneren Mauerbogen, bei den Tischen, die man dort voll beladen mit Köstlichkeiten würde auftreiben können, auf einander zu warten. Keiner von ihnen bemerkt, wie schnell die Zeit vergeht und erst als Najorna, ihre Kammerzofe, sie zum Essen ruft, erinnert sich auch Milyaris, dass er noch einiges zu erledigen hätte. Lachend verabschieden sich die beiden, doch das muntere, unbeschwerte Gefühl weicht jedoch augenblicklich, kaum hat sie einen Fuss in den Esssaal gesetzt, wo ihr Vater am Kopfende des Tisches sitzt, zu seiner Rechten Din’aris, sein erster Ritter. Der linke Platz ist frei und sie ist froh zu erkennen, dass sie nicht die Letzte ist, die fehlt, denn hinter ihr kommt gerade noch mit stolzem Schritt Galanros angelaufen. Während dem Essen herrscht bedrückende Stille und sie spürt den Blick ihres Vaters schwer auf sich ruhen, doch wagt sie es nicht einmal ihn anzusehen, denn er würde viel mehr erkennen. Auch sämtliche seiner Versuche ein Gespräch zu beginnen, wehrt sie ab und widmet sich dafür mit ganzer Aufmerksamkeit ihrem Essen, indem sie lustlos mit ihrer Gabel in Putenfleisch und frischen Erbsen herumstochert. Der Rest der Tage, bis zum Inarianar geht sie ihrem Vater so weit möglich aus dem Weg, kümmert sich um die Männer, um ihre Pferde und um die jungen Welpen, welche bisher nicht viel mehr ausser Schlafen und Trinken im Sinn haben und von sämtlicher, jüngerer Dienerschaft, sowie deren Freundeskreis in der Stadt verhätschelt und verwöhnt wird, bis es der Mutter zuviel wird und sie mit gefletschten Zähnen klar macht, dass jetzt Ruhe angesagt ist für den Nachwuchs. Auch als Serassher ihr Zimmer aufsucht und sie fragt, ob ihr Handeln etwas mit Arwens Ankunft zu tun hat, schweigt sie und vertröstet ihn auf später, was beinahe auf eine handfeste Auseinandersetzung hinausläuft, bis ihr Vater mit herrischer Miene, die seine Ratlosigkeit unterdrückt, verschwindet. Mit allen Mitteln versucht Soraya ihren Gedanken keine Möglichkeit zu geben, sich in Sorgen und Ängsten zu verlieren und läst ihren Gefühlen oft freien Lauf, indem sie mit Fehràl eine Stund nach der anderen übt, bis der Silberelb sie auf dem Platz stehen lässt und ihr den Rat gibt, sich ein kaltes Bad zu gönnen und sich jemanden zu suchen, der am Inarianar gerne mit dick eingebundenen Schultern und Beinen, sowie ein paar gebrochenen Rippen das Bett hüten möchte. Als der Morgen des Festes anbricht hat sie, wie sämtliche Nächte davor ebenfalls, nur wenig Ruhe gehabt und um ihre Augen liegen tiefe Schatten.

Müde und mit fahrigen Bewegungen wäscht sie sich, flechtet wie gewohnt ihr Haar zu einem strikten Zopf und denkt keine Sekunde daran, sich, wie viele andere, in ein schönes Gewand und ein noch engeres Mieder zu zwingen, oder sich sonst wie dazu zu bekennen, dass heute ein Feiertag ist. Um zumindest nicht gänzlich auszusehen, wie frisch vom Stall ausgespuckt, lässt sie dieses Mal ihre bequemen, schwarzen Stoffhosen im Schrank liegen und wählt stattdessen ein Paar, welches aus samtweichem, ebenfalls schwarzem Wildleder besteht und sich perfekt an ihre Figur anpasst. Dazu ein schwarzes Leinenhemd, an dessen Kragen- und Ärmelsäumen silberne, winzige Runen eingestickt sind. Es fällt locker bis zu den Knien und ihr wird wohl kaum zu warm werden davon, da sich die Ärmel bequem hoch rollen lassen. Schliesslich schlüpft sie zufrieden in ein Paar enger, weicher Schaftstiefel und schlingt den Waffengurt um ihre Hüfte, um gleich darauf Virintuil, ihre beinahe fünf Fuss lange, schimmernde, durchscheinende Klinge, daran zu befestigen, sowie einen Geldbeutel. Da es sehr früh am Morgen ist und ein frischer Wind durch die Stadt streift nimmt sich Soraya noch einen leichten, aus einfacher, dünner Wolle hergestellten Mantel, ebenfalls schwarz und ohne jegliche Verzierung. Als sie den glatten Knauf ihrer Tür in die Hand nimmt, hält sie jedoch inne und schluckt leer, spürend, wie die alte Unsicherheit sie erneut umfängt und ihr die Kehle zuschnürt. Ich muss mit ihr reden… mit ihr und Tianrivo, ich muss. Sie hatte es sich lange überlegt, jede Stunde damit verbracht ihr Gehirn damit zu martern, doch immer wieder war nichts geblieben ausser dem Wunsch, auf der Stelle zu Arwen zu reiten und sie zu schütteln, bis sie endlich eine Antwort auf all die unzähligen Fragen erhalten hätte, die ihr auf der Zunge brennen. Ihre Knöchel treten weiss unter ihrer Haut hervor, als sich ihre Finger stetig fester um das halbrunde Holz schliessen und rüde stosst sie die Türe auf, um gleich darauf mit festem Schritt und verschlossener Miene zum Stall hinaus zu laufen und ihrer Kammerzofe, der sie unterwegs noch kurz begegnet – was ein Wunder ist, da ihr in den letzten Tagen die meisten Anwesenden aus dem Weg gegangen sind- zu erklären, zu wessen Haus sie geht.  
Noch nie ist ihr der Weg so lang vorgekommen und das Gewusel und Durcheinander auf den Strassen verstärkt diesen Eindruck noch. Sie reitet zwischen hüpfenden Elbinnen hindurch, zwischen tatkräftig beschäftigten Handwerkern, zwischen kreischenden und balgenden Kindern, zwischen Marktweibern und Stadtherren, grüsst die Garde und lässt ansonsten einfach Norntha sich ihren Weg zwischen all den Leibern hindurch schneiden, lässt unfertige Stände und noch ungedeckte Tische hinter sich und betrachtet dafür den Himmel, dessen pflaumenfarbener Horizont bereits von schimmernden, goldglitzernden Schlieren durchzogen ist und von einem schönen Tag kündet. Die Luft ist erfüllt von den summenden, pochenden und trillernden Klängen des anstehenden Festes und der Duft nach Lilien, Rosen, Mandelblüten und Tulpen hängt wie eine dicke, bleisüsse Wolke in der Luft, alles und jedem den Verstand vernebelnd. Als Soraya Norntha endlich vor dem Anwesen der Mitarlyr’s zügeln kann, hat sie den grössten Aufruhr ein stückweit hinter sich gelassen und nickt den Schildwachen knapp zu. Sie gewähren ihr Einlass, ohne zu fragen und das ist gut so, denn alles in Soraya ist so angespannt, wie eine Bogensehne kurz vor dem Schuss. Ihre Nasenflügel beben, als sie die Lippen aufeinander presst und sich mit kurzen Atemstössen daran erinnert, dass es nur noch wenige Schritt sind, bis zum Unvermeidlichen.

Als sie jedoch schliesslich wirklich vor Arwens Türe steht – sie weiss nicht wirklich, wie sie hierher gekommen ist – werden ihre Beine so weich wie Grütze und ihr Gesicht ist blass. Jetzt bin ich hier. Und habe Angst. Das hat sie sogar sehr und sie fühlt erneut die Woge brennender Verletztheit in sich aufbranden, zwingt sie jedoch mit eiserner Hand wieder unter Kontrolle und nur ihr stockender Herzschlag, der dumpf gegen ihre Rippen hallt, bleibt als Rest übrig. Ich habe Jahrhunderte darauf gewartet und nun… nun kann ich nicht einmal anklopfen, aus Angst, sie ist nicht da. Als ob sie dagegen etwas tun könne, lauscht Soraya und schüttelt dann in Verärgerung über sich selbst den Kopf, das Holz der Türe mit ihren Blicken durchbohrend. Hinter ihr huscht eine Dienstmagd vorbei, die aus niedergeschlagenen Lidern zu ihr hinüberlinst, doch Soraya beachtet sie nicht, sondern hebt schliesslich, zuerst noch kurz ihre Lungen mit der kühlen, herrlich duftlosen Luft des Ganges füllend, die Hand und lässt sie nach anfänglichem Zögern gegen die Türe fallen. Der hohle Klang erschüttert ihre Stirn, wie ein Donnern und das Gefühl der Angst macht etwas anderem Platz, etwas, das sich zart windet und dann seine Flügel ausbreitet, etwas, nach dem sie sich die ganze Zeit gesehnt hat. Ich freue mich. „Arwen?“

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Arwen am 22. Juni 2006, 22:05 Uhr
Es ist noch früh am Morgen, als Arwen zum wer-weiß-wievielten Mal hinter ihrer Tochter her ist, um den kleinen Wirbelwind einzufangen, der an diesem Morgen nicht zu bremsen ist und schon wieder versucht, über Stuhl und Schreibtisch in die Fensternische mit den pfirsichfarbenen Orchideen zu klettern. "Hab ich dich!" Sie schnappt sich das Kind und dreht sich im Kreis, während sie Rialinn hochhebt. "Sag mal, kleine Dame, wer hat dir heute Hallo-Wach in die Milch getan?" Kichernd und vor Begeisterung quietschend zappelt das Elbenkind in Arwens Armen bis sie es sich auf die Hüfte setzt. "Nochmal!" kräht es sie von der Seite an. "Oh nein, jetzt nicht, später, wenn du angezogen bist." Es fällt Arwen mehr als schwer, dem Lachen ihrer Tochter zu widerstehen, immerhin hat sie es tagelang nicht gehört. Nach ihrer Ankunft in Lomirion hatte Rialinn in den ersten Tagen nur wenig mehr getan, als zu ruhen, hatte sich nur zu den Mahlzeiten wecken lassen, um dann später mit ihrer Mutter im Garten wieder in Trance zu versinken. Arwen war es allerdings auch nicht viel anders gegangen. Die Reise hatte sie selber mehr Kraft gekostet, als sie für möglich gehalten hatte, und war für Rialinn noch ungleich anstrengender. Erst in den beiden letzten Tagen sind die Lebensgeister ihrer Tochter langsam wieder erwacht - und zusammen damit eine endlose Flut neuer Fragen. Am meisten trifft Arwen jedoch die allabendliche Frage, wann sie denn wieder zurück nach hause gehen. Sie hat keine Antwort darauf, weder auf das 'Wann' noch auf das 'Ob überhaupt'. Und wenn sie Rialinn erklärt, dass sie doch gerade erst angekommen sind, und ihr Großvater sie gerne noch etwas hier hätte, kommt sie sich vor wie eine Lügnerin, immerhin wäre sie selber auch nur zu gerne wieder zurück auf Vinyamar. Doch das scheint vorerst unmöglich. Und den Gedanken, dass sie vielleicht nie zurückkehren werden will Arwen gar nicht erst zulassen.

"So, meine Kleine." Arwen setzt ihre Tochter auf das Bett. "Nein, hier geblieben." Rialinn kann anscheinend an diesem Morgen nicht einen Augenblick still sitzen bleiben, und ist schon wieder auf dem Weg runter vom Bett und in den Wohnraum. Kurzerhand hält Arwen sie fest und setzt sie sich auf den Schoß. "Niiiicht, Mama, ruuunnter, ich muss-" "Nein, du musst jetzt erst mal gar nichts, außer hier sitzen bleiben. Es wird Zeit, dass wir dich anziehen, du kannst nicht die ganze Zeit ohne… oh." Rialinn versteckt ihr Gesicht an Arwens Schulter und nuschelt unverständliches, während Arwen sich das Malheur ansieht. "Stimmt, du musst." Sie hat Rialinn nach dem Baden noch nicht wieder gewickelt, sondern ihr nur ein dünnes Kittelchen angezogen gehabt, und das ist nun wohl in die Hose, oder vielmehr auf Arwens Kleid gegangen. Das kommt davon, wenn man nicht auf seine Tochter hört. schmunzelt Arwen in sich hinein. "Tja, wie es aussieht, müssen wir uns jetzt wohl beide neu anziehen, oder? Und zu allererst kriegst du eine Windel an."
Ziemlich kleinlaut - und für den Moment in ihrem Übermut gebremst - klettert Rialinn von Arwens Schoß und hält sich auf dem Weg zum Bad an der Hand ihrer Mutter fest. Das Waschen dauert nicht lange, die nassen Kleider verschwinden rasch in einem Weidenkorb im Ankleidezimmer und unter Rialinns kritischem Blick sammelt Arwen Windeln, Hose, ein dünnes Hemd und ein hellgrünes Leinenkleid für ihre Tochter zusammen. Sie selber streift vorerst nur ein dünnes Hauskleid aus rauchblauem Seidenbatist über, ankleiden kann sie sich hinterher, wenn sie Rialinn gewickelt und angezogen hat - sofern sie ihren kleinen Wildfang denn so lange gebändigt bekommt, dass sie überhaupt dazu kommt ein Kleid aus dem Schrank zu suchen und es anzuziehen. Himmel, und gefrühstückt haben wir auch noch nicht. Rialinn allerdings hat ihren Übermut längst wiedergefunden  und macht das Wickeln mit ihrem Gezappel und Gequietsche zu einer echten Gedulds- und Geschicklichkeitsübung für ihre Mutter. Aber dann hat Arwen auch das geschafft, und ihre Tochter sieht aus wie aus dem Ei gepellt in ihrem hellen Kleid mit der dunkelgrünen Borte am Saum, das dunkle Haar ist für den Moment glatt gekämmt. Wenn ich nur wüsste, wo sie … die Schuhe suche ich nachher, erstmal kann sie barfuss laufen. "Rialinn, komm her, sei brav und setz dich einen Augenblick hier hin ohne Unfug anzustellen, ja?" Sie hebt das Kind auf den Diwan und setzt es zwischen die bunten Kissen. "Mama muss sich auch noch anziehen, und dann gehen wir frühstücken." Der Schalk tanzt dem Kind allerdings derart offensichtlich in den Augen, dass bei Arwen alle Alarmglocken zu schrillen anfangen "Nein, du wirst weder auf den Tisch noch in die Fensternische klettern. Und die Truhen bleiben zu und werden nicht ausgeräumt, sonst-"
Ein Klopfen an der Tür unterbricht Arwen im Satz. Und bei der Stimme, mit der ihr Name gedämpft und fragend durch die Tür klingt, stolpert Arwens Herzschlag für einen Augenblick. Soraya! Ihre Freundin aus Jugendtagen war nicht wie angekündigt wieder im Haus ihres Vaters erschienen um was auch immer mit Tianrivo zu besprechen, und Arwen selber hatte auch noch keine Gelegenheit gefunden, sich auf den Weg zum Hause ihres Oheims zu machen. "Ai, delios-te nos ara, Soraya." Komm doch herein.  Unbewusst nimmt sie Rialinn wieder auf den Arm als sie sich der Tür zuwendet. Sie ist nervös und weiß nicht recht, warum. So etwas wie freudige Erwartung lässt ihr Herz schneller schlagen. Sie hat Soraya so lange nicht mehr gesehen, kann nur ahnen, was ihre Freundin von früher seither alles erlebt und durchgemacht hat. Es gäbe soviel zu fragen und zu erzählen. Aber nach der Begegnung neulich im Hof, ist da auch die bange Sorge, dass die Jahrhunderte von ihrer Freundschaft nichts gelassen haben außer Erinnerungen.

Die Tür dreht sich leise in den Angeln und öffnet sich, erst nur einen Spalt und dann ganz. Und die Silhouette, die dort in der Tür steht, lässt Arwen für einen Moment hart schlucken. Wäre nicht die Stimme zuvor gewesen, hätte sie bei der schwarzen Kleidung mit den dezenten Silberstickereien, den zum Zopf geflochtenen hellen Haaren und dem schlanken Schwert fast denken können, Falcons Geist stünde dort im Türrahmen. Aber es ist nicht der Geist des Templers, sondern ihre Cousine, lebendig und aus Fleisch und Blut. Und was Arwen viel wichtiger ist: Diesmal ist sie nicht so eisig beherrscht, sondern ein warmes Lächeln schimmert in den hellen Augen und spielt ihr um die Lippen. Unhörbar atmet Arwen auf. Vielleicht hat ihre Freundschaft die vergangenen Jahrhunderte ja doch überlebt.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Soraya am 23. Juni 2006, 00:10 Uhr
Arwens Stimme erklingt dumpf durch das helle Holz: "Ai, delios-te nos ara, Soraya." Doch Sorayas Finger weigern sich für einen Herzschlag, den Knauf zu drehen und einzutreten, so wie erwünscht und sie lässt im Stillen noch einmal kurz Revue passieren, wie sie die ganze Woche herumgeschlichen war, nur weil ihr die Angst im Nacken gesessen hatte, Arwen zu begegnen. Ich bin hier und ich will mit ihr sprechen. Ich muss mit ihr sprechen. Dieser kleine Vorwand ist nötig, damit sie die schattenhafte, unsichtbare Mauer überwinden und eintreten kann. Langsam öffnet sie die Türe und Sonnenlicht fliesst über den Boden, milchigweiss und sattschwer von der trägen Morgenröte. Ein Flattern geht durch die aufkeimende Freude, als sie der schlanken Gestalt gewahr wird, die mitten im Zimmer steht, in nichts mehr gekleidet, als schimmernden, halbdurchsichtigen, rauchblauen Seidenbatist, die Füsse nackt, das lange, rabenschwarze Haar fällt glatt und feucht über ihren Rücken hinunter und glänzt, als hätte sich ein Geflecht von abertausenden Diamanten darin verfangen. Shenras träge Finger werfen zarte Schatten auf Arwens Gesicht, welches sowohl angespannt, als auch erleichtert gleichzeitig wirkt und Sorayas Lächeln wird wärmer und breiter, während sie vollends eintritt und die Türe hinter sich lautlos schliesst. Als sie die Schultern strafft, treffen sich ihre Blicke und Schweigen breitet sich aus, jedoch liegt darin weder Anspannung noch Unsicherheit, sondern das stille Einverständnis, diesen Augenblick einfach vergehen zu lassen, um sich über die Worte im klaren zu werden. Sogar Rialinn, ansonsten wohl das aufmüpfigste, lebensfrohste und ungebändigste Kind, scheint zu spüren, dass etwas in der Luft liegt, so dicht, dass es beinahe greifbar ist, und sie bleibt still. Soraya spürt ihre runden, grossen, samtgrünen Kinderaugen neugierig auf sich ruhen und kann sich gerade doch nur einen Wimpernschlag lang von Arwens Anblick losreissen, um das kleine Mädchen in seinem grünen Leinenkleid zu betrachten. Doch es genügt und der Moment verfliegt, zusammen mit ihrer Furcht, all dies würde sich als ein schöner Traum herausstellen, der gleich in sich zusammenfallen wird, wie eine Nebelwolke, und nur triste Erinnerungen zurücklässt. Doch all dies geschieht nicht und von einem plötzlichen Freudentaumel heimgesucht, schnappt sie hörbar nach Luft und die unscheinbare Glut in ihren Augen fängt Feuer. „Arwen.“ Ihr Stimme klingt zwar rau, doch hat sie die frühere Kraft inne und zum ersten Mal in den letzten Tagen, scheint es ihr, als würde sie all die lästigen Sorgen und Gedanken von sich abstreifen und einfach glücklich sein können, ohne ständig an ihren Vater, den Brief und den Hochkönig denken zu müssen. Mit geschmeidigem Schritt überwindet sie die wenigen Fuss zwischen sich und Arwen und hält nur eine Armlänge vor der Elbe inne, mit einem Male nicht mehr wissend, welche Worte genügen könnten, um jetzt ausgesprochen zu werden. Es gibt sie nicht, bei allen Göttern. Es kann keine geben. Ihr Herz klopft kreuz und quer durch sämtliche Gefühle, die sich in ihr aufstauen, bis sie schliesslich einfach nach Arwens Hand greift und ihre schmalen, langen Finger mit den ihren umfasst, da ihr eine Umarmung durch das Kind verwehrt wird.

Arwens Hand fühlt sich warm und weich an, vertraut und doch scheint es Soraya, als hätte sie mehr damit gewerkt, als jemals zuvor und einmal mehr wird ihr bewusst, wie viel Zeit bereits den Farnafaris hinuntergeflossen ist. „Ich“, beginnt sie, hält inne und lacht dann fast verlegen auf, sich gerade noch davon abhalten könnend, sich wie ein errötender Jüngling am Hinterkopf zu kratzen. „Es tut gut dich zu sehen Arwen, auch wenn unser erstes Treffen… alles andere als fröhlich ausfiel.“ Ich habe kaum ein Wort gesprochen und wenn, dann war mir, als würde ich mich gleich übergeben. Doch von diesen Empfindungen, die sie an jenem Abend heimgesucht haben, ist nichts mehr übrig geblieben, ausser ein schaler Nachgeschmack von der ganzen Wut über alle und sich selbst. Eine flapsige Stimme in ihrem Kopf, versucht zwar, ihr zu versichern, dass sie vollkommen im Recht gewesen ist, doch hier und jetzt siegt ihre Vernunft und ihre Einsicht und ohne sich dafür rechtfertigen zu wollen, akzeptiert sie trotzdem, dass ihr Verhalten keineswegs hilfreich gewesen ist. Ich durfte wütend sein, auf jeden, doch leere Worte bringen niemandem etwas. Erneut sucht sie den dunklen, tiefgründigen Blick Arwens und nickt dann, mit etwas leiserer Stimme erneut sprechend, doch dieses mal kann sie den leichten Unterton von Zweifel nicht herausfiltern: „Arwen… ich dachte, ich würde dich nie wieder sehen, ich dachte…“ Obwohl sich das Glück mehr und mehr in ihr ausbreitet und sie von den Zehen bis zu den Haarspitzen wärmt, huscht ein Schatten von Traurigkeit und Schmerz über ihre Züge und nistet sich in ihren Mundwinkeln ein, deren Lächeln nun ein wenig verloren wirkt. Hilfesuchend und Zeit schindend schnappt sie nach Luft, öffnet den Mund, schliesst ihn wieder und schüttelt dann den Kopf, als könne diese unmerkliche Geste etwas bewirken oder alles erklären. Es braucht einige Sekunden, bis sie sich gefangen hat und ihr Herz nicht mehr so laut gegen ihre Rippen hämmert, dass sie Angst haben muss, es springe jeden Augenblick aus ihrer Brust. „Ich war so oft hier, bei deinem Vater und habe nach dir gefragt Arwen, so viele Male, unzählige Male und doch habe ich nie etwas von dir erfahren. Ich dachte… bei allen Göttern, Arwen, ich dachte du wärst vielleicht tot und dann tauchst du plötzlich eines Abends einfach auf, einfach so, lebendig und mit einer Tochter.“ Der ganze Wortschwall sprudelt so heftig aus ihr hervor, dass sie selbst erschrocken den Blick schweifen lässt, auf der Suche nach etwas, dass ihr helfen könnte, den Faden wieder aufzunehmen, doch erst Rialinns leises Quengeln schafft es, den trüben Sud von Verworrenheit zu durchdringen und endlich Klarheit zu schaffen. „Ich habe dich vermisst Arwen, so schrecklich und nach all den Dingen, die geschehen sind, habe ich mir so oft gewünscht, dich an meiner Seite zu wissen.“ Es gibt so vieles zu sagen, so vieles zu erzählen. Arwen, meine Brüder, Chendarion, meine Mutter, der kleine Gel’laihr, Edallan, Niuyn, sie sind alle nicht mehr da, Dúne existiert nicht mehr, der Hass meines Vaters… und du. Du bist Mutter, du hast den Fluch gebrochen, mit wem, wie, wann? Fragen über Fragen türmen sich hinter ihrer Stirne, doch drängt sie diese beiseite, obwohl die Unruhe in ihr sich wie ein gefangener Vogel regt, bis sie schliesslich mit hochgezogener Augenbraue Rialinn ansieht und fragt: „Seit wann ist der Fluch gebrochen Arwen? Und… überhaupt, was ist dir geschehen in der langen Zeit? Was ist passiert?“

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Arwen am 23. Juni 2006, 19:59 Uhr
Im ersten Moment, als Soraya ins Zimmer tritt, sich angespannt umschaut und dann ihre ganze Haltung strafft, scheint sie Arwen als erwarte sie ein Urteil - und kein besonders günstiges. Aber dann gewinnt das Lächeln im Gesicht ihrer Cousine eindeutig die Oberhand und das Schweigen der nächsten Augenblicke hat etwas erleichtertes, so als sei eine dringende Frage beantwortet worden, ohne dass sie Worte oder Gedanken getauscht hätten. Rialinn auf Arwens Arm ist von einem Moment auf den anderen ruhige geworden, hält sich an ihrer Mutter fest und beäugt die Fremde da in ihrem Zimmer aus großen Augen, die Momente lang zwischen ängstlich, skeptisch und neugierig schwanken. Neuerdings ist sie Fremden gegenüber höchst zurückhaltend, allerdings sind es auch eine ganze Menge an neuen Gesichtern mit denen sie im Haus ihres Großvaters konfrontiert wird, und es fällt dem Kind sichtlich schwer, damit umzugehen. Io îhiot te, Eama? flüstert es in Arwens Geist, als die Neugier ihrer Tochter schließlich die Oberhand gewinnt. In einer Mischung aus Staunen und Freude sieht sie ihre Tochter an. Senden kann Rialinn schon länger, auch sehr zielgerichtet, aber sie tut es nur selten wenn noch jemand außer Arwen anwesend ist, aber erst seit wenigen Tagen beherrscht sie es auch, ihre geistige Stimme zu modulieren und erst vorsichtig Kontakt aufzunehmen, ehe sie sendet. "Te îhiot Soraya, min Lora," antwortet sie ihrer Tochter, während ihre Gedanken sie sacht berühren, das gedankliche Äquivalent zu einem Streichen über die Haare. "Soraya ist deine… " Sie stockt, als sie darüber stolpert, eine möglichst kindgerechte Beschreibung für eine Großcousine zu finden, "Tante." Ein entschuldigendes Lächeln huscht zu der hellhaarigen Elbin, die noch immer mitten im Zimmer steht. Aber 'Tante' ist ein Begriff, den Rialinn schon kennt, genau wie 'Onkel', und mit dem sie etwas anfangen kann.

Und dann, mit einem hörbaren Luftschnappen Sorayas  ist von einem Augenblick auf den anderen alle Anspannung, alle Skepsis verschwunden, die noch in den Tiefen der topasfarbenen Augen geschlummert hat. >Arwen.< Die Stimme ist so rau wie am Abend von Arwens Ankunft, aber sie klingt lebendiger und das eisige Raspeln ist daraus verschwunden. Die restlichen Schritte durch das Zimmer sind rasch durchquert und sie verharrt kaum eine Armeslänge vor Arwen. Ein scheues, fragendes Lächeln ist alles, was die beiden Frauen zuerst wechseln, beide erfolglos auf der Suche nach den rechten Worten für diesen Augenblick des Wiedersehens. Sie können es einander in den Augen lesen, dass sie sich am liebsten umarmt hätten, doch mit einem kleinen Kind auf dem Arm ist das nur schwer möglich, und so muss vorerst die Berührung der Hände genügen, um den Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Es ist eine sachte Berührung, in der sich ihre Finger für einige Herzschläge umeinander schließen, die behutsame Berührung zweier Elben, denen wohl bewusst ist, das bei einer solchen Berührung nicht selten auch mehr an Gedanken und Empfindungen ausgetauscht wird, als vielleicht beabsichtigt ist. Kurz verstärkt Soraya den Druck ehe sie Arwens Hand loslässt und wirkt mit einem Mal wie ein Kind, das jemand mit der Hand im Bonbonglas erwischt hat, es fehlt bloß noch, dass sie rot anläuft oder die Haare um den Finger wickelt. "Oh bitte, Soraya, vergiss das neulich einfach. Ich war kaum noch wirklich wach, und Rialinn hier war schon jenseits von allem. Ich wollte dich nicht so da stehen lassen, im Hof. Aber ich weiß bis heute nicht, wie ich ins Haus gekommen bin. Aber plötzlich stand ich da in der Halle. Und als ich zurück wollte um dich zu holen, hat mein Vater gemeint, er würde sich um dich kümmern."

>Arwen… ich dachte, ich würde dich nie wieder sehen, ich dachte…< Die Elbin stockt, öffnet und schließt den Mund, als wären da plötzlich mehr Gedanken, Worte und Emotionen als sich in Worte fassen lassen. Trübe Schatten huschen durch die eben noch strahlenden Augen, Erinnerungen an alten Schmerz und alte Traurigkeit. >Ich war so oft hier, bei deinem Vater und habe nach dir gefragt Arwen, so viele Male, unzählige Male und doch habe ich nie etwas von dir erfahren. Ich dachte… bei allen Göttern, Arwen, ich dachte du wärst vielleicht tot und dann tauchst du plötzlich eines Abends einfach auf, einfach so, lebendig und mit einer Tochter.< Der so abrupt hervorsprudelnde Wortschwall überrascht Arwen, und sie findet ihre eigene Aufkommende Unsicherheit in den Augen Sorayas widergespiegelt, deren Blick unstet durch den Raum huscht als suche er Halt. Rialinn mit ihrem untrüglichen Sinn für wandernde Aufmerksamkeit, schlingt ihre kleinen Arme um Arwens Hals, schmiegt sich an ihre Mutter und nuschelt unverständliches in den graublauen Stoff, ehe sie die fremde Elbin mit ihrem unwiderstehlichen Augenaufschlag anblinzelt und die hochgezogene Augenbraue einfach ignoriert, die sie mit ihrer Frage "Kommst du auch mit uns feiern?" erntet. In dem Lächeln, mit dem Arwen ihre Tochter ansieht, ist die Liebe der Mutter nicht zu übersehen. >Seit wann ist der Fluch gebrochen Arwen? Und… überhaupt, was ist dir geschehen in der langen Zeit? Was ist passiert?< Neben offenen Fragen klingt in dem Wortschwall eine deutliche Spur Sorgef mit, die Arwen für einen Moment irritiert. Ich bin bestimmt nicht aus lauter Jux bei Nacht und Nebel verschwunden. Ein Spaß ist es sicherlich nicht, von jetzt auf gleich völlig alleine in den Landen der Menschen zurechtkommen zu müssen.  Energisch drängt Arwen die aufkommenden Erinnerungen an Naurgol und seinen Tod zurück.

Mit einer wortlosen Geste bittet sie Soraya mit sich zum Diwan, auf dem die bunten Kissen im frühen Morgenlicht wie strahlende Blüten schimmern. Sie macht es sich in den weichen Polstern und Kissen bequem, zieht die Beine an sich und lässt Rialinn sich auf ihrem Schoß wie in einem Nest einrollen. "Was mir alles geschehen ist? Sehr viel, mehr als ich dir an einem Tag erzählen könnte, fürchte ich." Das Lächeln, das diese Worte begleitet kann den Schmerz nicht verhehlen, den manche ihrer Erinnerungen mit sich tragen. "Der Fluch… es ist jetzt etwas über zwei Götterläufe her, dass er gebrochen wurde." Ihre Finger spielen unbewusst mit dem Medaillon, das sie seit jenem Tag in den Weißen Grotten nicht mehr abgelegt hat. "Am… am Tag nachdem Falcon beigesetzt wurde. Es war… ich war nicht alleine, Andovar war bei mir und drei sehr gute Freunde. Und das war auch verdammt gut so, alleine hätte ich es nicht überlebt, mich diesem Dämon zu stellen. Aber für so einen strahlenden Tag ist das wirklich nicht das rechte Thema, davon werde ich dir ein anderes Mal erzählen." Es klopft leise an der Tür, und der blonde Schopf Yarnamars schiebt sich herein, sie kriegt ihre Überraschung über den unerwarteten Besuch allerdings rasch in den Griff und ist fast sofort wieder verschwunden um wie aufgetragen das Frühstück für sie alle drei hier im Zimmer anstatt in der Halle bei den anderen aufzutragen.
"Mein Vater konnte dir nicht erzählen, wo ich war, nachdem… nachdem ich die Elbenlande verlassen hatte, Soraya. Er wusste es bis vor vier Jahresläufen nämlich selber nicht. Erst als ich mich in Talyra niedergelassen hatte," sie bemerkt den ratlosen Blick ihrer Freundin und ergänzt, "in Ildorien, den Herzlanden. Erst da habe ich ihm eine Nachricht geschrieben wo ich bin… und dass ich noch lebe." Ein schiefes Lächeln begleitet ihren Nachsatz. "Nachdem ich damals aus Dùne fort musste und bei Naurgol in den Shironthares war… viel haben wir dort nicht mitbekommen, von dem grauenhaften Krieg, der bei euch im Norden getobt hat… Mein Vater hat mir vieles lange Zeit verschwiegen, was mit deinen Brüdern passiert ist, mit deiner Mutter, und dass du…" Sie bricht im Satz ab, als ihr abrupt klar wird, dass sie an Erinnerungen rührt, die Soraya tief treffen müssen. "Entschuldige, ich wollte nicht an alten Wunden rühren… Weißt du, es hatte etwas Befreiendes, dort in den Menschenlanden war ich einfach irgendeine Elbin, und nicht Amithras verfluchte Tochter. Nun ja, zumindest immer so lange, bis der Fluch sich erneut regte und ich wieder verschwinden musste. Nicht besondern mutig, nach Naurgols Tod einfach bei Nacht und Nebel zu fliehen, ich weiß. Aber das war einfach zuviel, es war der Tropfen, der das Fass endgültig zum überlaufen brachte. Um keinen Preis wollte ich, dass noch irgendjemand um meinetwillen zu Schaden oder gar ums Leben kommt. In der Nacht, als ich die Mondtore hinter mir ließ, habe ich geschworen, dass ich die Reiche der Elben nicht wieder betreten werde, ehe der Fluch nicht gebrochen ist. Ich war der irrigen Meinung, dass es für meinen Vater und Gildin besser ist, ich bin für sie verschollen oder tot, als dass sie sich weiter unter mir und dem was der Fluch den Mitarlyrs antut leiden müssen." Rialinn hat erstaunlich still zugehört, und entgegen ihres bisherigen Bewegungsdranges sogar reglos in Arwens Schoß gelegen. Jetzt allerdings klettert sie vom Diwan, verschwindet mit kleinen Schritten im Schlafzimmer und kommt nach kurzen Rumrumoren mit ihrem Bären zurück, den sie nun neben sich zwischen die Kissen des Diwans platziert. "Mama, ich hab Hunger." "Ja, mein Schatz." Arwen streicht ihr eine der sich vorwitzig ringelnden Strähnen aus der Stirn. "Yamarnar bringt gleich das Frühstück." Sie wendet sich wieder an Soraya. "Naja, und von dem Verrat der Ancus, wie Falcon das Haus Lyr'Aris gegründet hat und von der Hochzeit zu der mein Vater mit seinem gesamten Gefolge nach Talyra kam ist vermutlich so viel hier in Erryn und vermutlich den anderen Reichen auch geredet worden, dass ich dir davon nichts erzählen muss. Und vor einundzwanzig Monden wurde dann Rialinn geboren." Und bei den Mächten der Zwölf, sie ist das Beste, was mir in meinem Leben passiert ist.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Soraya am 27. Juni 2006, 17:20 Uhr
"Kommst du auch mit uns feiern?" Soraya ist von der Frage des Maedchens einigermassen ueberrascht und weiss im ersten Moment nicht was sie sagen soll, die kleine Elbe mit hochgezogener Augenbraue beinahe ein wenig skeptisch betrachtend. Ihr Umgang mit Kinder war niemals ueber das kurze, distanzierte Betrachten eines Neugeborenen hinaus gegangen und mit Kinder in Rialinns Alter hat sie wohl am wenigsten zu schaffen. „Nun“, wirft Soraya Zeit schindend ein, auf der Suche nach einer kindgerechten und Neugierde stillenden Antwort: „Ich denke ja...“ Fast ein wenig hilflos sucht sie Arwens Blick, bei deren Miene Soraya sicher ist, dass sie sich koestlich ueber die Situation amuesiert, ob ihrer augenscheinlichen Inkompetenz, was den Umgang mit Kleinkindern anbelangt. Ich hatte nie, den Goettern sei dank, soviel mit Kindern zu tun, woher soll ich ploetzlich wissen, wie man ihre Fragen zufriedenstellend beantwortet. Arwen schweigt fluechtig und Soraya neigt sachte den Kopf, ihren Gegenueber nicht aufdringlich jedoch klar musternd. Sie kann sehen wie es hinter der hohen, alabasterhellen Stirn arbeitet und fuehlt einen Herzschlag lang die alte Unsicherheit in sich aufsteigen, bevor Arwen sich ein Stueckweit umdreht und sie stumm mit einer unmerklichen Geste bittet, auf dem Diwan mit den bunten Kissen Platz zu nehmen. Mit einer steifen Bewegung lasst sich Soraya in den weichen, federnden Polstern nieder, die vom hellen Morgenlicht umflutet werden und laechelt nur verbissen gequaelt, als Arwen sie fragend ansieht. „Nichts, einige kleine Auseinandersetzung und Begegnungen mit Ferahls Uebungsschwert“, entschuldigt sie hastig ihre ungelenken Bewegungen und hoert gleichzeitig ihre Knochen klappern. Ich schaetze das werde ich noch in zehn Jahren spueren. Vorsichtig laesst sie sich zuruecksinken, nachdem sie sich ihres Schwertes entledigt und die lange Klinge fein saeuberlich neben dem Divan angelehnt hat, sicherheitshalber so weit von Rialinns Fingern fort, dass sie im Notfall schnell reagieren kann, sollte das Elbenkind eine zu gefaehrliche Neugierde fuer die Waffe entwickeln. Doch Rialinn denkt noch nicht einmal daran sich jetzt zu erheben. Stattdessen rollt sie sich wie eine kleine Katze im Schoss ihrer Mutter zusammen und beaugt Soraya aus halbgeschlossenen Lidern unter langen dunklen Wimpern hervor. Dieser durchdringend gruene, unvoreingenommene Kinderblick haftet wie ein Fleck kalten Lichts auf Sorayas Haut und schon alleine das ungewohnte Bild von Arwen mit ihrer Tochter laesst Soraya leicht unruhig die Finger verschraenken.

"Was mir alles geschehen ist? Sehr viel, mehr als ich dir an einem Tag erzählen könnte, fürchte ich." Augenblicklich horcht Soraya auf und nickt verstehend, auch wenn ihr die versteckt schwelende Bitterkeit unter dem halben Laecheln auf Arwens Lippen ueberhaupt nicht gefaellt. Darin verborgen scheinen soviele unglaubliche Gefuehle und Erinnerungen, dass Soraya von dem winzigen Hauch, der sie davon erreicht, sich schon fast erschlagen fuehlt. Ohne darueber nachzudenken legt sie erneut ihre Hand auf jene Arwens, nur ein zartes Zugestaendnis, das wahrscheinlich hunderte von Jahre zu spaet kommt. "Der Fluch… es ist jetzt etwas über zwei Götterläufe her, dass er gebrochen wurde." Soraya kann ein Entsetzes “Nur”, gerade noch im Keim ersticken, doch ihre Augen weiten sich ein wenig und der kalte, klebrige Kloss in ihrem Hals nimmt sofort wieder Konsistenz an und fuellt ihren Mund mit einem fahlen, ekelhaften Geschmack. Ein kaltes Glitzern lodert in ihrer Iris auf und sie schlaegt den Blick nieder um die Wut und den Zorn jenem Wesen gegenueber, das einst die Schuld an dem Fluch trug, jetzt nicht hervortreten zu lassen. Es ist vorbei. Endgueltig. Ich brauche nicht jedesmal in Hasstiraden auszubrechen, wenn wir darueber reden. Doch so leicht, wie sie es sich vornimmt, gelingt ihr die Aufgabe nicht und um Arwen nicht mit dieser alten, kalten Glut zu konfrontieren, fasst sie so lange die gegenueberligende, helle Wand ins Auge, bis der Augenblick verueber und das brennende Gefuehl von Abscheu verschwunden ist. Der Nachhall von Hilfosigkeit jedoch bleibt bestehen und irgendwo in ihrem Inneren ist sich Soraya sicher, ihn niemals los zu werden. Ich hab ihr einst geschworen ihr zu helfen... und als es soweit war, da kaempften andere an ihrer Seite. Unausgesprochen liegt die Frage nach dem „Wem“ in ihrer Miene, doch ausser Andovar erfaehrt sie keine Namen und obwohl sie sich fragt, warum Arwen den Rest ihrer Gefaehrten im Kampf gegen den Fluch nicht namentlich erwahnt, bleibt sie still und laesst ihre Freundin sprechen. Das Klopfen an der Tuere schreckt sie jedoch auf und mit unbewegter Miene verfolgt sie, wie ein goldenblonder Haarschopf im Tuerspalt auftaucht, unter dem ein Paar dunkler Augen hervoblitzen, die jedoch respektvoll den Grund als Richtlinie nehmen, als sie des Besuchs gewahr werden. Arwen ordert, dass sie ihr Fruestueck hier in diesem Zimmer einnehmen und Soraya nickt dankbar, denn obwohl sie heute Morgen nicht einen Gedanken an Essen verschwendet hat, so vergeltet ihr Magen das nun mit einem hungrigen Grummeln. Als die Dienerin wieder verschwunden ist, erzaehlt Arwen mit ruhiger Stimme weiter, auch wenn Soraya spuert, dass sie alles andere als gefasst ist hinter der starken Fassade. Rialinn sieht abwechslungsweise von ihrer Mutter zu ihrer „Tante“ und scheint dem Gespraech konzentriert zu folgen, doch nach und nach beginnt sie doch lieber damit an ihrem Kleid zu zupfen und ihre Sitzposition immer wieder zu veraendern. Als Arwen Talyra erwaehnt rutscht Sorayas Augenbraue fragend in die Hoehe. Zum einen, weil sie sich nicht sicher ist, ob sie Talyra auf den richtigen Platz auf einer Karte der Immerlande setzen wuerde und zweitens, weil sie vage in Erinnerung hat, dass diese Stadt den Ruf einer Sammelstelle fuer saemtliche auffindbaren Rassen Rohas hat. Was Arwen an einem solchen Ort wollte, ist ihr schleierhaft und erschliesst sich fuer sie erst, als ihre Freundin forfaehrt.

„Mein Vater hat mir vieles lange Zeit verschwiegen, was mit deinen Brüdern passiert ist, mit deiner Mutter, und dass du…" Automatisch straffen sich Sorayas Schultern und angespannt zieht sie die Luft ein, versuchend den aufsteigenden, alles erstickenden Schmerz, der sie einzuholen droht, nicht Ueberhand gewinnen zu lassen, doch wie immer ist sie machtlos, wenn die Erinnerungen ueber sie herfallen. Die Haut spannt sich ueber ihre hohen Wangenknochen und ihr Blick frisst sich tief in ein weinrotes Kissen, als koenne ihr das banale Stueck Stoff genug Halt geben, um nicht endueltig in diesem Sumpf an Verlusten zu versinken. Fuer wenige Augenblicke sind ihre Gedanken so fern, dass sie nicht hoert, wie Arwen weiterspricht und erst als langsam zu ihr durchdringt, dass Arwens Lippen sich bewegen, kann sie sich in die Realitaet zurueckkaempfen. “…wollte ich, dass noch irgendjemand um meinetwillen zu Schaden oder gar ums Leben kommt. In der Nacht, als ich die Mondtore hinter mir ließ, habe ich geschworen, dass ich die Reiche der Elben nicht wieder betreten werde, ehe der Fluch nicht gebrochen ist. Ich war der irrigen Meinung, dass es für meinen Vater und Gildin besser ist, ich bin für sie verschollen oder tot, als dass sie sich weiter unter mir und dem was der Fluch den Mitarlyrs antut leiden müssen." Der letzte Satz bewirkt, dass Sorayas Zuege ihrem Willen entfliehen und vollkommen entgleisen, waehrend sich ihre Finger in den federweichen Samt des Divans krallen. „Du dachtest was?“, bringt sie trocken hervor und der drohende Ton von Vorwurf liegt fuer einen Herzschlag fast greifbar in der Luft zwischen ihnen, bevor Soraya tief tie einatmet und entschuldigend den Kopf schuettelt. „Tut mir leid“, murmelt sie betreten und mit leicht verzeifelter Beherrschung, waehrend sie versucht Verstaendniss fuer Arwens Verhalten aufzubringen, auch wenn ihr das mehr als schwer faellt. „Ich war nicht in deiner Position, ich kann nicht ueber dein Handeln urteilen, bitte verzeih.“ Rialinn sieht aus, als waere sie aeusserst gelangweilt, von dem ewigen Gefasel der zwei Erwachsenen und mit einem Unmutslaut windet sie sich mit rudernden Armen aus Arwens Schoss und verschwindet im naechsten Zimmer, nur um gleich darauf mit einem pelzigen, knopfaeugigen Stoffbaeren zurueckgetappst zu kommen und mit hoher Stimme nach Essen zu verlangen.

Arwen erklaert guetig, dass es gleich Fruehstueck gaebe und fuer den Bruchteil einer Sekunde zeigen Sorayas und Rialinns Gesicht den gleichen, erleichterten Ausdruck, bevor Arwen von denjenigen Neuigkeiten erzaehlt, die auch hier in den Elbenlanden wie ein Lauffeuer die Runde gemacht haben. Langsam richtet sich Soraya ein Stueck auf, betrachtet die tanzenen goldgruenen Lichtflecken auf dem Boden und lehnt sich vor, als muesse sie ueber all das, was gerade erzaehlt worden war, gedanklich ein Protokoll fuehren.
„Ja“, bemerkt sie schliesslich tonlos und nickt ungewollt: „Ich habe von all den Dingen um das Haus AnCu und was mit Falcon geschah gehoert... aber ich schaetze, ich habe stets verdraengt, dass dein Name dabei auch fiel. Oder ich redete mir ein, es waere eine andere Arwen, auf jeden Fall begriff ich erst wirklich, dass du noch lebst, als du durch das Tor deines Hauses geritten kamst, muede und bleich, mit einem quengelnden Kind im Arm.“ Vage hebt Soraya ihre Haende, schlank, aber kraeftig mit deutlichen Schwielen und stuetzt ihr Kinn auf ihren Fingerspitzen ab, Arwen aus den Augenwinkeln heraus still und mit einer Mischung aus Glueck, Waerme und Zuneigung beobachtend. Als sie sich jedoch schliesslich in einer kraftvollen Bewegung erhebt verschwindet das weiche Laecheln unter einem ernsten Zug, der ihren Mund hart und unerbittlich erscheinen laesst und mit kleinen Schritten beginnt sie den Raum zu durchqueren, wissend, dass sie keine Sekunde laenger still sitzen kann, ohne nervoes und fahrig zu wirken. „Als wir uns verabschiedeten, glaubte ich noch, dass die Trennung nicht lange dauern wuerde.“ Die abschaetzige Erkenntnis, dass sie falsch gelegen hat, verheimlicht sie nicht in ihrem Tonfall. „Dann kam der Krieg und ich hatte keine Zeit mehr darueber nachzudenken wo du bist, auch wenn ich mich in stillen Momenten gerne an die Zeit mit dir erinnerte. Doch als ich freigelassen von den...“ Trotz der langen Zeit, die vergangen ist, schafft sie es kaum das Wort auszuspucken, ohne mit der Zunge vor Aufgewuehltheit darueber zu stolpern, auch wenn laengst nicht mehr soviel inbruennstiger Zorn darin liegt, wie einst. Vernehmlich holt sie Luft, zwingt sich selbst ein wenig zur Ruhe und faehrt anschliessend fort: „Freigelassen von den Nordmannen in die Elbenlande ziehen musste, existierte fuer mich lange Zeit nur der Schmerz, die Wut und der lodernde Hass, sowie der Wunsch, all jenen, die meinem Vater, mir und all den Anderen dieses unsaegliche Leid zugefuegt hatten, zu toeten.“ Das Ende ist nur noch gehaucht, schon alleine um das aufkeimende Beben in ihrer Stimme zu verschleiern und ausserdem um Rialinn nicht allzusehr zu irritieren, was jedoch schon alleine durch die Tatsache, dass Soraya tunlichst vermeidet ihre Gefuehle fuer das Kind spuerbar werden zu lassen, keine all zu grosse Gefahr darstellen sollte.

„Die Elbenlande waren... und sind nicht meine Heimat. Diese hab ich verloren, als Dune unterging und als meine Mutter, meine Brueder... und...“ Ihre raue Stimme erstirbt schlagartig und ihre Zuege werden so kalt wie Kenens Atem, als sie schliesslich hervorbringt: „Chindarion starben. Es gaben so viele ihr Leben in diesem verfluchten Krieg, dass ich mich nicht einmal mehr an alle Namen und Gesichter erinnern kann, nicht einmal an jene, die neben mir zugrunde gingen. Aber auch das ist nichts, worueber wir jetzt sprechen sollten, schon alleine um Rialinns Willen.“ Als das Kind seinen Namen hoert sieht es mit grossen Augen auf und unwillentlich beginnt Soraya zu schmunzeln, obwohl ihr bei dem Gedanken als „Tante“ bezeichnet zu werden, ueberhaupt nicht wohl ist in ihrer Haut.
„Auf jeden Fall wollte ich mit dir sprechen... nein, ich wollte dich sehen. Wissen dass es dir den Umstaenden entsprechend gut geht. Ja, ich weiss ungefaehr was los ist. Gildin hat es mir erzaehlt und ich dachte, oder ich hoffte, wir koennten reden. Nur wahrscheinlich hab ich mir dafuer den falschen Tag ausgewaehlt, wie?“, gesteht sie schlussendlich mit einem fast schuldbewussten Grinsen und zuckt mit den Schultern. „Nun, Rialinn hat schon gefragt ob ich mit euch feiern moechte. Falls du nichts dagegen hast, wuerde ich dich gerne zum Fest begleiten, du scheinst dich ja gerade dafuer zurecht gemacht zu haben, als ich einfach so hereingeplatzt bin.“

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Arwen am 28. Juni 2006, 22:58 Uhr
>Doch als ich freigelassen von den… Freigelassen von den Nordmannen in die Elbenlande ziehen musste, existierte fuer mich lange Zeit nur der Schmerz, die Wut und der lodernde Hass, sowie der Wunsch, all jenen, die meinem Vater, mir und all den Anderen dieses unsaegliche Leid zugefuegt hatten, zu toeten< Nach außen hin ist Arwens Gesicht so beherrscht wie stets. Aber innerlich zuckt sie bei diesem Satz zusammen, denn er erinnert sie an den unversöhnlichen Hass ihres Oheims auf die Menschen im Allgemeinen und die Normander im Besonderen. Dass sie zuvor nicht erwähnt hat, wer außer Andovar bei ihr gewesen ist, als sie sich dem Dämon gestellt hatte, hat seinen Grund nicht zuletzt darin gehabt, dass Arwen sich alles andere als sicher ist, wie weit Soraya auch heute noch den Hass Serasshers teilt. Zwar hofft sie, dass dieses 'existierte' bedeutet, dass zumindest Soraya den Normandern weniger feindselig gegenüber steht, aber ehe sie sich dessen nicht sicher ist, wird sie ihr trotz aller alter Freundschaft nicht erzählen, dass es sowohl in Wegesend als auch in Serershen So'tar neben Niniane stets auch Normander gewesen sind, die Arwen zur Seite gestanden haben. Das Beben in der Stimme ihrer Freundin ist nur schwach, aber trotz der vielen Jahre die sie sich nicht gesehen haben, kennt Arwen die Elbin doch gut genug, dass ihr nicht entgeht, dass diese angestrengt ihre Empfindungen vor Arwen und vor allem vor Rialinn verbirgt. Kurz hebt sie die Hand, will sie beruhigend auf Sorayas legen, zögert dann aber mitten in der Bewegung und zieht sie dann unverrichteter Dinge wieder zurück. Diese Gefühle, Hass und Schmerz sind zu alt und sitzen zu tief, als dass eine bloße Berührung sie heute noch lindern könnte, keine Geste und kein Wort könnten da helfen. Und so schweigt Arwen für Augenblicke, und bietet doch mit ihrem Schweigen die Gewissheit, dass sie sie nicht drängen, aber da sein und zuhören wird, falls Soraya je darüber würde reden wollen. Rialinn bemerkt zwar anscheinend, wie aufgewühlt ihre "Tante" ist, denn sie sieht die Elbin mit einer fragenden Aufmerksamkeit an, aber zum Glück ist sie noch zu klein um zu begreifen, worüber die beiden Frauen gerade reden.
>Die Elbenlande waren... und sind nicht meine Heimat. Diese hab ich verloren, als Dune unterging< Kurz muss Arwen den Blick senken, damit Soraya ihr nicht in die Augen sehen kann, nicht in ihnen lesen kann, was ihr bei diesem Satz durch den Kopf geht. Dùne war auch die einzige Heimat, die Du gekannt hast, Soraya. Du wurdest während der Schiffsjahre geboren, du hast die Tian'Sidha nie gekannt. Diese Heimat haben wir Elben schon vor sehr langer Zeit verloren, und du bist nicht die einzige, die unter dem Verlust der Heimat leidet und hier in den Immerlanden nicht heimisch werden kann. Ich konnte es hier in Erryn auch nicht. Ein wirkliches Zuhause habe ich erst in Talyra gefunden. Aber das würdest du vermutlich noch viel weniger verstehen.
>…Chindarion starben. Es gaben so viele ihr Leben in diesem verfluchten Krieg, dass ich mich nicht einmal mehr an alle Namen und Gesichter erinnern kann, nicht einmal an jene, die neben mir zugrunde gingen.< "Chindarion ist… tot?" Für einige bange Herzschläge kann Arwen nur betroffen schweigen. Davon hatte ihr Vater ihr nie etwas gesagt, und sie ist stillschweigend davon ausgegangen, dass der Gemahl Sorayas auch hier in Lomirion ist, und den beiden Frauen bloß ein erstes Treffen alleine lassen will, ehe er auf dem Fest zu ihnen stößt. "Davon wusste ich nichts, das hat mein Vater mir nie erzählt, und Gildin auch nicht. Heilige Götter, Soraya, das auch noch… es tut mir so leid für dich." Und auch nachdem ich damals fort bin, scheinen sie keine Kinder gehabt zu haben, so wie sie Rialinn anschaut und mit ihr umgeht… und ich würde darauf wetten, dass sich nicht wenige das Maul darüber zerrissen haben und mir die Schuld daran geben. Ein wehmütiges Lächeln begleitet die Erinnerungen an die Vermählung von Soraya und Chindarion damals auf dem Amberstein. Das war zwei Dekaden bevor Naurgol mich in die Shironthares gebracht hat. Es hatte ganz schön Gerede gegeben, als bekannt wurde, dass ich Sorayas Trauzeugin sein sollte. Ich weiß noch, wie Vater fragte, ob ich mir das wirklich antun will, die Tuschelei, das Sticheln und Gerede und die offene Ablehnung mancher ach so besorgter "Freunde" des Hauses Dùne: 'Die Verfluchte' als Trauzeugin, das könne ja nur Unheil über die Ehe bringen, die unter diesen Vorzeichen ganz bestimmt kinderlos bleiben werde. Und dass sich nicht wenige in ihren Unkenrufen bestätigt gesehen haben werden, kann Arwen sich nur allzu lebhaft vorstellen.

"Da hast du Recht, Soraya, dieser Tag ist viel zu schön, um mit solchen Themen dunkle Schatten und Erinnerungen heraufzubeschwören. Diesmal werden aber aus 'bald' nicht mehrere hundert Jahrestänze, ehe wir uns wieder treffen. Und dann können wir über all das reden, was passiert ist, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben, irgendwo draußen im Garten, wo es keine neugierigen Ohren gibt." "Was sind neugierige Ohren, Mama?" Da hat sie was angerichtet mit dem Ausdruck, denn ihre neugierige Tochter will das natürlich s-o-f-o-r-t erklärt bekommen. "Das, kleiner Naseweis, sind Ohren, die alles alles alles hören wollen, auch solche Sachen, die gar nicht für sie bestimmt sind. So etwas wie die hier," zieht sie sacht an den Ohrenspitzen Rialinns, die sich prompt kichernd und quietschend in den Kissen zu verstecken versucht, als Arwen anfängt sie zu kitzeln. >Auf jeden Fall wollte ich mit dir sprechen... nein, ich wollte dich sehen. Wissen dass es dir den Umstaenden entsprechend gut geht. Ja, ich weiss ungefaehr was los ist. Gildin hat es mir erzaehlt< Von einem Moment zum anderen wird Arwen schlagartig ernst und lässt Rialinn wieder los. "Ja, den Umständen entsprechend geht es uns gut. Wenn ich davon absehe, dass Gildin und mein Vater sich aufführen wie Glucken, und mich nicht ohne mindestens eine bewaffnete Begleitung aus dem Haus lassen. Am liebsten würden sie mich vermutlich gar nicht aus dem Haus lassen… Ich meine... ich kann ihre Sorge ja verstehen, und mir ist die Situation auch nicht geheuer, aber ich komme mir dabei vor wie ein kleines Kind. Und ganz wehrlos bin ich ja nun auch wieder nicht. Egal. Heute ist Inaris Hochtag, und ich habe nicht vor mir den Festtag vermiesen zu lassen, auch nicht von diesem Khelenar. Ich würde mich sogar sehr freuen, wenn du uns begleitest."  Und ich hoffe, dass nicht mein Vater mit seiner Sorge um Rialinns und meine Sicherheit dafür verantwortlich ist, dass du selbst an einem Hochtag der Götter dein Schwert trägst, min Ija.
Für einen Augengblick kommt die Unterhaltung ins Stocken, als Yamarnar mit einem Tablett mit dem Morgenmahl herein kommt, einen niedrigen Tisch vor den Diwan stellt und alles darauf herrichtet. Nur wenig später sind sie wieder alleine, und Arwen muss erst einmal dafür sorgen, dass Rialinn sich das Kleidchen nicht sofort mit dem Haferbrei bekleckert, den sie heißhungrig aus ihrer kleinen Schüssel löffelt. An diesem Morgen weigert sie sich standhaft, sich füttern zu lassen, immerhin ist sie ja schon sooo groß und kann das alleine - dafür muss sie dann aber hinnehmen, dass Arwen ein Leintuch holt und es ihr als überdimensionales Lätzchen umbindet. Aber Rialinn bekommt das erstaunlich gut hin, der Latz muss nicht viel auffangen und so kommt Arwen ebenso wie Soraya selber auch zum Essen. >Nun, Rialinn hat schon gefragt ob ich mit euch feiern moechte. Falls du nichts dagegen hast, wuerde ich dich gerne zum Fest begleiten, du scheinst dich ja gerade dafuer zurecht gemacht zu haben, als ich einfach so hereingeplatzt bin.< "Zurecht gemacht? Du meinst hoffentlich nicht DAS hier." Mit einem prüfenden Blick über das dünne Hauskleid, das sie gerade trägt wird aus einem Schmunzeln erst ein Grinsen und dann ein herzliches Lachen. "Das ist mein Hauskleid, und ich glaube kaum, dass Vater mich so vor die Tore des 'Adlerhorstes' ließe - oder Gildin. Nein. Ich hab das schnell übergezogen, nachdem Rialinn ein kleines Malheur passiert ist, und wir uns beide nochmal waschen mussten. Ich hatte bloß noch keine Zeit, etwas passenden anzuziehen, und das Kleid hier lag grade griffbereit. Und dieser kleine Wirbelwind hier," zärtlich zerzaust sie Rialinn die Haare, "hat mich heute morgen so sehr auf Trab gehalten, dass ich noch nicht einmal dazu gekommen bin, überhaupt ein Kleid heraus zu suchen, geschweige denn mich umzuziehen."

Die nächste Stunde vergeht mit zahllosen Weißt-Du-Nochs, dem Kramen in Kleidertruhen und Schränken, Rialinn aus eben jenen wieder heraus fischen, aber irgendwann hat Arwen es dann doch geschafft und ist fertig angekleidet, auf dringenden Wunsch ihrer Tochter in jenem rosafarbenen Schleierkleid, dass ihr Vater ihr vor drei Jahresläufen als Geschenk mitgebracht hatte. Ein letzter prüfender Blick in den Spiegel, und das was sie sieht wird von Rialinn mit einem zufriedenen "Schön!" quittiert: Ein leichtes Kleid aus zartrosa Spinnenseide mit aufgestickten silbernen Rosenranken auf dem Mieder. Der bodenlange Rock aus einem Dutzend Lagen hauchfeiner Feenseide im selben Rosa wie Kleid und Mieder. Nur schwach sind die Silhouetten ihrer Beine durch die wehenden Röcke zu erkennen. Die Säume der überlangen Ärmel aus zwei Lagen Feenseide sind mit winzigen Perlen aus Bergkristallen und Rosenquarz bestickt, ebenso der tiefe halbrunde Ausschnitt des Kleides, der Arwens Schultern entblößt. In die Flechten ihrer hochgesteckten Haare sind silberne und seidene Bänder gewoben. Und der einzige Schmuck, den sie außer dem Siegelring der Sternenadler trägt, ist das Medaillon ihrer Mutter.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Soraya am 29. Juni 2006, 14:32 Uhr
"Da hast du Recht, Soraya, dieser Tag ist viel zu schön, um mit solchen Themen dunkle Schatten und Erinnerungen heraufzubeschwören. Diesmal werden aber aus 'bald' nicht mehrere hundert Jahrestänze, ehe wir uns wieder treffen. Und dann können wir über all das reden, was passiert ist, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben, irgendwo draußen im Garten, wo es keine neugierigen Ohren gibt." Soraya will schon zu einer Antwort ansetzen, als klein Rialinn prompt entscheidet, sich jetzt auch wieder zu Wort zu melden und wenn schon, denn schon gleich mit einer Frage. Sind alle Kinder so neugierig? Mit einem Gemisch aus Unsicherheit und Amusement verfolgt Soraya das Geplaenkel ziwschen Arwen und ihrer Tochter, die gleich darauf prustend und giggelnd in den grossen, weichen Kissen versinkt, von ihrer Mutter an den Seiten gekitzelt und quietschend ihrer Froehlichkeit freien Lauf laesst. Vage kann Soraya sich erinnern, dass es eine Zeit gab, wo die Vorstellung ein eigenes Kind zu haben, ihr gar nicht so fern gelegen hat und ihre Stirn wird von Schatten umwoelkt, als sie ein unmerkliches Seufzen unterdrueckt und versucht den Anblick von Rialinns laechelndem Gesicht aus ihren Gedanken zu verbannen. Es ist so lange her und heute ist kein Tag, um sich daran zu erinnern. Doch das unbeschwerte Lachen des Maedchens traegt sih in ihren Ohren trotz allem einen bitteren Nachhall mit sich, obwohl Soraya sehr wohl weiss, das Kindermuender nicht luegen, schon gar nicht wenn sie damit beschaeftigt sind, sich lauthals krakeelend aus den Armen ihrer Eltern zu winden, um den Kitzeleien zu entkommen. Und ich hoffe, dass nicht mein Vater mit seiner Sorge um Rialinns und meine Sicherheit dafür verantwortlich ist, dass du selbst an einem Hochtag der Götter dein Schwert trägst, min Ija. Ein wenig ueberrascht von der ploetzlichen Sendung sieht Soraya fragend zu Arwen auf, laesst ihren Blick dann mit gerunzelten Brauen zu Virintuil schweifen und fuer einen Herzschlag lang fehlt ihr jegliche Luft um zu antworten. Wann habe ich die Klinge das letzte Mal nicht getragen? Sie weiss es sehr genau und mit einer fahrigen Geste hebt sie zu einer Erklaerung ansetzend die Hand, laesst sie jedoch gleich darauf wieder sinken und schuettelt mit einem halben, von dumpfen Schmerz erfuellten Laecheln auf den Lippen den Kopf. Nein Arwen, nicht wegen dir. Das letzte Mal als ich dieses Schwert nicht trug, war, als meine Mutter es noch ihr Eigen nannte. Soraya ist grenzenlos froh, als die drohenden, duesteren Gedanken von einem zaghaften Pochen an der Tuere, sowie einem herrlich duftenden Fruehstueck unterbrochen werden, welches gleich darauf auf einem schimmernden Tablett serviert wird.

Schmunzelnd beobachtete Soraya, wie sich Rialinn mit Haenden und Fuessen dagegen wehrt, gefuettert zu werden und vergraebt ihre Nase hastig in einem Metbecher, als Rialinn von Arwen einen Latz verpasst bekommt, den sich die kleine Dame einmal ganz um ihren Koerper haette wickeln koennen. Doch auch Arwen scheint sich ein Lachen verkneifen zu muessen. Gleich darauf sind sie jedoch erstmal damit beschaeftigt frisches, goldbraunes Brot, suessen Honig, erbeerrote Marmelade, cremige Butter und einige harte Eier zu verspeisen, bis jeder von ihnen satt ist und die Dienerin zurueckkehrt, um das Tablett wieder mit sich zu nehmen und den kleinen Tisch zur Seite zu rauemen. Zufrieden, dass ihr Magen nicht lenger dazu genoetigt wird, knurrend herumzumaulen, lehnt sich Soraya auf dem Diwan zurueck. Auf ihre Aussage bekommt Soraya von Arwen jedoch zuerst nur ein belustigtes Grinsen und dann ein herzliches, helles Lachen, das den Raum ausfuellt und ihn gleich noch einmal viel freundlicher und gemuetlicher wirken laesst und fuer einen Augenblick liegt die Frage: „Wann hast du zum letzten Mal gelacht min Ija?“, Soraya schon auf der Zunge, doch sie schluckt diese unverrichteter Dinge wieder hinunter und geniesst es schlichtweg, dass die Anspannung von eben nun engueltig fuer den heutigen Tag, oder zumindest die naechste Zeit hoffentlich verschwunden ist. Was dann jedoch folgt erscheint Soraya fast wie ein Narrenspiel und so manches Mal beisst sie sich in die Hand, um nicht lauthals loszulachen ueber Rialinn, oder etwas, dass ihnen wieder eingefallen ist. Als Arwens Tochter dann jedoch ploetzlich gaenzlich im Schrank verschwindet und gleich darauf in eine wallende Wolke, gruenblauen Seidentaft gehuellt wieder herauskrabbelt, treten Soraya Traenen in die Augen vor lachen und fuenf Minuten lang sind sie beide mit aller Kraft damit beschaeftigt Rialinn davon abzubringen, mit Mamas huebschem Kleid hinauszuwackeln und die Strassen unsicher zu machen. Schlussendlich scheint Arwen jedoch ein Kleid gefunden zu haben und Sorayas Blick wird weich und mild, als sie ihre Freundin in dem Traum aus rosa Feenseide und glitzernden und funkelnden Steinchen betrachtet, die der Elbe vorzueglich stehen und ihre Schoenheit auf jegliche Weise und Weise nur noch verstaerken. „Du warst schon immer schoen Arwen, aber ich schaetze seit du Mutter bist, ist deine Schonheit noch gewachsen“, gibt Soraya neidlos und ernst zu, sich selbst aufraffend, damit es losgehen kann. Leider jedoch kommt sie keine drei Schritt weit, als das freche Ding von Elbenkind sich ploetzlich breitbeinig vor ihr aufbaut, mit einem Finger und vorwurfsvollem Blick auf sie zeigt und dann laut meint: „Aber Tante Soraya muss auch noch ein Kleid haben.“

„Wa... was?“, bringt Soraya verdattert hervor und sieht hilfesuchend zu Arwen, bevor sie sich am Hemdsaum schon in Richtung des Schranks gezogen fuehlt. Natuerlich wehrt sie sich nicht dagegen, sonst haette Klein-Rialinn so manche Muehe, sie auch nur einen Schritt zu bewegen, doch so sieht sich Soraya ploetzlich vor leuchtenden, kostbaren Gewaendern in den schillerndsten und schoensten Farben wieder, bevor sie es endlich schafft die Stimme zu heben und dem verrueckten Treiben vielleicht Einhalt zu gebieten. Mit einem verstaendnisvollen Laecheln, sowie der Hoffnung, diesem Kind die Flausen vielleicht austreiben zu koennen, laesst sich Soraya auf ein Knie nieder und sieht Rialinn eindringlich an, als wolle sie eine Schlange beschwoeren: „Hoer mal meine Kleine, T...“ Sie stolpert ueber das Wort, weil es sich doch sehr ungewohnt anfuehlt in ihrem Mund und eine ihrer Augenbrauen schiesst in die Hoehe: „Hoer mal, deine Mutter sieht wundervoll aus in einem Kleid, aber ich, mir steht ein Kleid nicht, verstehst du? In einem Kleid wuerde sich aussehen wie... wie... „ Gibt es fuer den Zustand ueberhaupt eine kindgerechte Beschreibung?, aechzt Soraya innerlich auf und meint dann hoffnungsvoll: „Ich wuerde aussehen wie eine Kartoffel in einem Seidenkleid.“ Einen Moment lang herrscht erwartungsvolles Schweigen, bevor Rualinn ploetzlich zu strahlen beginnt, sich umdreht, hastig zum Bett laeuft und dort den Stoff eines blassgruenen Taftkleides ergreift, nur um dann mit stolzer Miene ein: „Das hier ist schoen“, zu praesentieren. Sorayas Gesichtsausdruck verliert jegliche Kraft und zeigt nur noch vollkommene Hilflosigkeit und Unverstandniss. „Wie, bei allen Goettern, kann jemand so stur sein?“, keucht sie leise. Doch Klein-Rialinn gibt nicht nach, besteht bockig darauf, dass ihre Tante auch ein Kleid anzuziehen hat und ignoriert dabei jeglichen, leisen – und in Sorayas Ohren viel zu amuesiert klingenden – Einwand ihrer Mutter, bis Soraya sich schlussendlich doch dazu herniederlaesst ein Kleid anzuprobieren, um endlich Ruhe zu schaffen. Rialinn hat aus irgendeiner Truhe in der hintersten, verlassensten Ecke eines hervorgekramt, das zu Sorayas Glueck doch ein wenig schlichter scheint, als all die Anderen, leider jedoch nicht minder wertvoll und freizuegig. „Aehm, und du bist sicher, dass...“ Rialinn nickt nur kraeftig und haelt ihr das zimschwarze Ding mit dem goldenen Stickzierrat mit ihrem unwiderstehlichen, absolut unschuldigen Augenaufschlag unter die Nase.

Kurze Zeit spaeter hat Soraya es an, dreht sich einmal, bekommt von Rialinn ein schoen, laechelt und will es wieder ablegen, um endlich wieder in ihre Kleidung schluepfen zu koennen und loest damit ungeahnt lauten Widerstand aus. Rialinns Protestgeschrei und ihre vor Entsetzen geweiteten, grossen, runden Augen lassen Soraya sofort in ihrem Vorhaben innehalten und voller Verzweiflung Hilfe suchend nach Arwen Ausschau halten. Kurze Zeit darauf hat sie ihre alte Kleidung wieder an, sehr zu Rialinns Leidwesen und legt sich nur noch Virintuil um, bevor sie loskoennen. Die kleine Dame ignoriert sie schmollend und um sich nicht fuer ewig ihre Missbilligung aufzuhalsen, verspricht Soraya ihr, wenigstens am Sommerfest ein Kleid zu tragen. Zum Glueck vergessen Kinder schnell. Als sie die Tuere aufmacht, um Arwen mit Rialinn auf dem Arm durchzulassen, prallt sie beinahe mit Gildin zusammen, der wohl gerade die Absicht hegte, sie zu fragen, was sie so lange treiben. Warnend verdreht Soraya die Augen und fluester ihm im Vorbeigehen mit einem breiten Grinsen zu: „Huete dich davor in die Naehe irgendwelcher Kleiderschraenke oder Truhen zu kommen, solange deine Nichte da ist, sonst siehst du dich jeden Moment in einem Kleid dastehen Onkel Gildin.“

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Mitarlyr am 02. Juli 2006, 20:11 Uhr
Eigentlich hat er nur nachsehen wollen, wie weit Arwen und Rialinn mit dem Ankleiden sind. Von einem der Pagen weiß er, dass Arwen sich das Morgenmahl für sie und einen Gast auf das Zimmer hat bringen lassen. Nur wer der Gast ist konnte der Bursche nicht sagen. Aber dass es lustig zugeht, das weiß Gildin, denn als er aus dem Bad gekommen ist, das er sich mit seiner Schwester teilt hat er fröhliches Lachen durch die Tür zu Arwens Ankleidezimmer dringen hören. Etwas, das ihn gefreut hat, denn Arwen hat seit ihrer Ankunft in Lomirion weder ihre Anspannung noch ihren immerwährenden Ernst abgelegt, sie nicht ablegen können. Nur wenn sie mit ihrer Tochter zusammen ist, kann man sie unbeschwert erleben. Allerdings müsste man auch schon ein verhärtetes Herz haben, um dem Lachen seiner Nichte überhaupt widerstehen zu können. Er selber kann es nicht, wie sich überhaupt kaum ein Angehöriger seines Volkes dem Zauber eines Kindes entziehen kann, und auch seinem Vater scheint es unmöglich zu sein, seiner Enkelin und deren unwiderstehlichem Augenaufschlag etwas abzuschlagen, wie sich Gildin schmunzelnd erinnert, wenn er an das gestrige Abendessen denkt, als Rialinn darauf bestanden hatte, während des Essens auf dem Schoß ihres Großvaters zu sitzen. Die Tür zu Arwens Zimmer öffnet sich, ehe er anklopfen kann, und er sieht sich unvermutet seiner Cousine gegenüber.

"Soraya!" Das Geheimnis um Arwens Besuch hat sich damit dann auch geklärt. "Schön Dich zu sehen. Dann bist Du also der Besuch, der Arwen vom gemeinsamen Frühstück mit uns abhält." In seiner Stimme liegt kein Vorwurf, nur die Fröhlichkeit eines anstehenden Festtages. Die warnend verdrehten Augen der Elbin lassen ihn allerdings stocken, und ihre Worte verschlagen ihm vorerst die Worte. Kleider? Truhen? …  Ich? … Was soll ich in einem Kleid? Und warum betont sie das 'Onkel' so? Es braucht etwas, bis er begreift, aber dann hört er Rialinn maulen, dass ihre Tante ja sooo gemein sei, und muss schmunzeln. "Ah ja, verstehe, Tante Soraya," prompt erntet er einen drohenden Blick aus turmalinfarbenen Augen, "Rialinn hat versucht, Dir ein Kleid anzuziehen, richtig? Leider vergeblich wie ich sehe." Bei dem Gesichtsausdruck seiner Base muss er nun doch lachen, und sein Versuch, das mit einer grüßenden Verneigung zu kaschieren ist von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Eigentlich schade. Ich habe sie seit ewigen Jahren nicht in einem Kleid gesehen, genau genommen zuletzt bei ihrer Hochzeit damals. Und sie sah in einem Kleid alles andere als unansehnlich aus... Er hat keine Worte um zu beschreiben, wie seine Schwester aussieht. Er hat sie überhaupt nie zuvor in etwas Vergleichbarem gesehen, und es verschlägt ihm schlichtweg die Sprache. Und nicht nur ihm wie es scheint, denn er hört jemanden neben sich vernehmlich die Luft anhalten. Andovar. Auch seinen Freund scheint der Anblick gelinde gesagt zu überraschen. Gildin sieht sie zum ersten Mal in diesem Kleid, und er weiß auch nicht, dass sein Vater es ihr damals mit nach Talyra gebracht hatte. "Ja, Andovar, wir kommen schon. Auch wenn ich nicht weiß, ob Vater Arwen noch aus dem Haus lässt, wenn er sie so sieht," versucht Gildin seine Überraschung zu überspielen.
Für einen Moment ist er versucht, seine Schwester zu bitten, sich doch besser umzukleiden und das schlichte schwarze Kleid anzuziehen, das sie am Abend ihrer Ankunft zum Essen getragen hatte. Doch schon im nächsten Augenblick schilt er sich einen Dummkopf. Wie es scheint muss er erst wieder lernen, wie es ist, der ältere Bruder zu sein. Zu lange hatte er in der Annahme gelebt, seine Schwester sei möglicherweise nicht bloß verschollen, sondern sogar tot. Und obwohl er seit jetzt vier Jahren weiß dass Arwen lebt und wo sie ist, hat er sie in der ganzen Zeit doch nur einmal gesehen, vor etwas mehr als zwei Jahresläufen, nach den unseligen Ereignissen in diesem Wegesend. Ich habe dich nie schöner gesehen, Syllanar. Syllanar... Lorsylla in Gedanken nennt er sie fast schon zärtlich bei den beiden Kosenamen, mit denen er sie gerufen hatte, als sie beide noch jung waren, und sie seine kleine Schwester, die er stets hatte beschützen wollen, vor allem und jedem - etwas, das heute noch nicht viel anders ist. Und er wird sich im nächsten Moment bewusst, WIE lange das schon her ist. Auf den Tian'Sidha, in einer anderen Welt, in einem anderen Zeitalter... Nein, meine 'kleine' Schwester ist sie nicht mehr, ganz bestimmt sogar nicht. Nicht nur, dass sie älter geworden ist. In all den Jahren... Jahrhunderten, in denen wir uns nicht gesehen haben, hat sie sich verändert. Sie ist gewachsen, in ihrer ganzen Art, gewachsen an Erfahrungen die ich nicht würde teilen wollen. Sie ist stärker geworden, als ich sie je gekannt habe, vielleicht sogar stärker als sie selber es weiß. Und sie verfügt über Mächte, die ich mir allenfalls ansatzweise vorstellen, geschweige denn sie wirklich begreifen kann. Und trotz allem ist ihr eine Sanftheit zu eigen, die man kaum glauben kann, wenn man weiß, was sie in ihrem Leben schon erlebt und durchgemacht hat. Erst als er den prüfenden Blick seiner Schwester bemerkt, wird ihm klar, wie gedankenverloren er sie angestarrt haben muss, und neigt entschuldigend den Kopf. Entschuldige, Arwen. Ich musste nur gerade daran denken, wie lange es her ist, dass ich dich mit Fug und Recht als meine kleine Schwester bezeichnen durfte.

Rialinn begrüßt ihn begeistert quietschend und streckt die kleinen Arme nach ihm aus. "Giildiiiiin!" Er hat alles andere als etwas dagegen, und so erfüllt er seiner Nichte nur zu gerne den Wunsch und nimmt seiner Schwester das Kind ab. Gemeinsam gehen sie zu fünft hinunter in die Halle, wo Tianrivo und Therlas bereits auf sie warten. Die Männer tragen alle Festkleidung, und als sei es abgesprochen sogar alle das Silbergrau der Mitarlyrs, aber keiner von ihnen trägt einen Wappenrock, die Adler auf den Gürtelschließen von Gildin und seinem Vater sind der einzige Hinweis auf das Wappen ihres Hauses. Soraya ist auch die einzige die ein Schwert trägt. Denn trotz aller Sorgen die sie sich um die Sicherheit Arwens und Rialinns machen, trägt keiner der Männer mehr als einen Dolch am Gürtel. Die allgemeine Begrüßung ist rasch vorüber, und Gildin entgeht der Blick seines Vaters nicht, als der Soraya begrüßt. Die Disziplin des Truchsessen ist nicht umsonst schon fast sprichwörtlich, und so kann er in Tianrivos Blick deutlich erkennen, dass der sich sofort mit ihr in sein Schreibzimmer zurückziehen würde, sollte Soraya das neulich nicht zustande gekommene Gespräch jetzt führen wollen. Und Gildin kann ebenso sehen, dass seiner Schwester der Blickwechsel zwischen ihrem Vater und Soraya nicht entgeht, was sie allerdings lediglich mit dem kurzen Heben der Augenbraue quittiert als würde es sie nicht sonderlich wundern. Was hast Du anderes erwartet? Arwen steht Vater in ihrem Sinn für Disziplin und Pflicht in nichts nach. Aber schließlich brechen sie dann doch alle zusammen auf, treten aus der schattigen Kühle der Halle hinaus in die fast schon sommerliche Wärme die Shenrahs Antlitz an diesem Tag verbreitet und verlassen den 'Adlerhorst' durch das offen stehende Tor. Zwei Männer sind wie stets zur Wache eingeteilt. Zwei von einem halben Dutzend Männer, die an diesem Tag nicht ihres Dienstes ledig sind wie alle anderen Männer und Frauen im Dienst des Hauses Mitarlyr, und die damit das Schicksal jener sechs Männer teilen, die zur Unterstützung der Stadtwachen abkommandiert sind. Denn so wie seit Alters her die Tempel an diesem Tag dafür Sorge tragen, dass alle Tische mit köstlichen Speisen und Getränken gedeckt sind und niemand hungrig oder durstig das Fest verlassen muss (außer er will es selber so), ist es seit Langem Tradition, dass jene Hohen Häuser, die an Inaris Festtag in der Stadt weilen Männer zur Unterstützung der Stadtwachen abstellen.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Arwen am 02. Juli 2006, 22:09 Uhr
Arwen hat nur mit Mühe an sich halten können, als Rialinn mit einer unerwarteten Vehemenz durchgesetzt hat, dass Soraya eines der Kleider wenigstens anprobiert. Etwas, das Arwen nicht für möglich gehalten, ihre Tochter aber tatsächlich geschafft hat. Dafür ist das Geschrei allerdings auch umso größer, als Soraya das Kleid wieder ablegt um ihre eigenen Sachen anzuziehen. Sie scheint sich in Hemd und Hosen sichtlich wohler zu fühlen als in dem Kleid. Außerdem kann Arwen nicht umhin, es insgeheim befremdlich zu finden, dass ihre Cousine selbst an Inaris Hochtag das Schwert nicht ablegt. Rialinn hat sich unterdessen auf schweigendes Schmollen verlegt, und ignoriert ihre 'Tante' nach besten Kräften. Und erreicht damit immerhin, dass sie das Versprechen erhält, Soraya werde ganz bestimmt zum Sommerfest ein Kleid tragen. Sie sieht das spekulative Glitzern in den Augen ihrer Base und kann sich ein Schmunzeln gerade noch verkneifen. Falls Soraya auf die Vergesslichkeit Rialinns spekuliert, könnte sie im Sonnenthron eine Überraschung erleben. Viel weiter kommt sie mit ihren Überlegungen allerdings nicht, denn vor ihrer Tür stoßen sie beinahe mit Gildin zusammen, der sie anscheinend abholen kommt. Bei den Blicken, die er und Andovar ihr dann allerdings zuwerfen, merkt sie, wie ihr das Blut ins Gesicht steigt. Himmel, ich muss aussehen wie eine frisch geerntete Tomate., nur um im nächsten Moment Gildins nachdenklichen Blick auf Sorayas dünnen Mantel aus schwarzem Tuch zu bemerken. Der Blick mit dem er sie mustert, so als zöge er ernsthaft in Betracht, sie in diesen Mantel zu hüllen, lässt sie ihn drohend anfunkeln. Denk nicht einmal daran! Die Bemerkung, ihr Vater könne sie so möglicherweise nicht aus dem Haus lassen lässt sie dann allerdings lächeln. "Da er mir dieses Kleid geschenkt und mich darin bereits auf dem Sommerfest in Talyra gesehen hat, kann er wohl unmöglich etwas dagegen haben, dass ich es heute auch trage. Oder?"
Der zärtliche Gedanke ihres Bruders tut ihrem Selbstbewusstsein so gut, als habe jemand Balsam auf einen wunden Punkt ihrer Seele gestrichen, von dem sie bisher nichts gewusst hat. Sie hat sich selber nie als schön angesehen, tut es bis heute nicht. Und an einem Punkt ganz tief in ihrem Inneren, den sie vor jedem anderen bis auf den heutigen Tag verborgen hat, fragt sie sich schon seit dem Morgengrauen, ob es ein guter Einfall ist, auf dieses Fest zu gehen. Früher hat sie größere Elbenansammlungen wegen des Fluches gemieden, und so ganz geheuer sind sie ihr noch immer nicht. Ganz so, als gehöre ein gerüttelt Maß an Scheu einfach zu ihr. Gleichzeitig ist sie aber aufgeregt wie ein junges Mädchen, das zu seinem ersten Inarifest geht. In gewisser Weise ist es das ja auch, mein erstes Inarifest. Erst war ich zu jung um daran teilzunehmen. Und dann, als ich alt genug war, habe ich mich wegen des Fluches entweder in Vaters Haus oder in einem der Tempel verborgen bis das Fest vorüber war, um niemanden in Gefahr zu bringen. Das erste Inarifest, das ich wirklich gefeiert habe, war in Talyra. Rialinn wechselt von ihren auf Gildins Arm, worüber Arwen nicht böse ist, denn so hat sie besser eine Hand für den Korb frei, in dem sich all das befindet, was sie in den nächsten Stunden für Rialinn brauchen könnte - einschließlich des Pelzbären, den ihre Tochter seit der Sithechnacht nicht mehr aus den Augen gelassen hat. Unten in der Halle werden sie bereits erwartet und ihr Vater hat entgegen Gildins Befürchtungen nicht das Geringste dagegen, dass Arwen so das Haus verlässt. Eher im Gegenteil, wenn sie sich das stolze Funkeln in seinen Augen nicht eingebildet hat.

Als sie durch das Tor auf die Straßen hinaus treten, bietet sich ihnen ein Anblick, der nur noch wenig Ähnlichkeit mit der Stadt hat, die Arwen vor nicht ganz einem Siebentag betreten hat. Hatten da nur hier und da einige bunte Bänder in den Bäumen oder an Häusern ahnen lassen, dass sich ein Fest ankündigt, so scheint sich nun die ganze Stadt in einen einzigen Farben- und Blütenrausch gestürzt zu haben. Bunte Bänder schmücken die Bäume, wiegen sich sacht in der lauen Brise, flattern an jedem Hausgiebel, jeder Tür und jedem Tor. Girlanden aus Blumen, jungem Laub und bunten Blüten spannen sich über die Straßen und winden sich um Brunnen und die Masten, mit denen die Sonnensegel in lichten Farben gespannt werden. Wirkt die Stadt auch ansonsten schon wie ein einziger großer Garten der von Häusern durchzogen ist, so verstärkt sich dieser Eindruck an diesen Tag noch. Nur dass die ganze Stadt heute ein einziges großes Picknick zu sein scheint. Wo immer die Bäume an den Straßen etwas zurückweichen und freie Rasenflächen entstehen, finden sich Decken und stabile, hölzerne Bretter, die als Tischersatz herhalten müssen. Auf den zahllosen Plätzen der Stadt mit ihren Brunnen und Fontänen sind Tische und Bänke unter den sacht flatternden Bahnen der Sonnensegel aufgebaut und für die Bürger und Besucher Lomirions für das wie jedes Jahr mit Spannung erwartete Festmahl gedeckt. Überall finden sich Gaukler, Akrobaten, Musikanten und Puppenspieler um die Elben zu unterhalten und die zeit des Wartens auf den großen Festzug zu verkürzen. Viel fahrendes Volk ist in der Stadt, das im Jahreslauf sonst zumeist durch die größeren und kleineren Dörfer und Weiler zieht um seine Kunst dort zu präsentieren. Aber zu den Hohen Festtagen zieht es sie immer auch in großer Zahl in die Städte. Auf einem der Plätze, unweit des 'Adlerhorstes' haben Schausteller ihren bunt bemalten Wagen abgestellt, eine Seite wie eine Bühne herabgelassen und lassen dort filigrane Puppen an Fäden tanzen, singen und Geschichten erzählen. Nicht weit davon entfernt steht ein Elb in so schreiend bunten Hosen, dass selbst der Regenbogen daneben verblassen würde und jongliert mit Bällen und Fackeln und allem was ihm die Zuschauer reichen. Auch mit einem rohen Ei, das ihm ein Scherzbold zuwirft, und dann fast schon enttäuscht aussieht, als er es heil und unzerbrochen zurück erhält.

Rialinn ist unterdessen wieder bei Arwen auf dem Arm, in dem Gedränge, mit all den Leuten scheinen die mütterlichen Arme ein sichererer Ausguck zu sein, als die ihres Onkels. Und es gibt so viel zu schauen. Unablässig plappert es an Arwens Schulter und ein "Mamamama, guck mal! Guck mal da! Und da! Du sollst gucken." jagt das andere. Die freudige Festtagsstimmung vibriert durch die Straßen der Stadt und steckt jeden an. Überall sieht man Männer, Frauen und Kinder lachen, scherzen und zu den Klängen vorbeiziehender Musikanten tanzen. Und jeder wirbelt mit seinen Schritten weitere Wolken aus Blütenblättern auf: Rosenblätter in allen Farben, weißer Yasmin, rosa Mandelblüten und die Knospen von Kirsch- und Apfelblüten in einem Rausch von weiß und rosarot. Den uralten Satz, dass Inari auf Blumen wandelt, kann man an diesem Tag ganz wörtlich nehmen, so dick liegt der Teppich aus Blütenblättern in allen Straßen und Gassen, dass man das Steinpflaster nicht einmal mehr erahnen kann. Wie ein weicher, duftender Teppich liegt die Straße unter den dünnen Sohlen von Arwens Schuhen und dämpft jeden Schritt zu absoluter Lautlosigkeit. Eine Gruppe kichernder Inarinovizinnen huscht an ihnen vorbei, die feenzarten Gewänder gerafft um im Laufen nicht darüber zu stolpern werfen sie Gildin und Andovar neckende und lockende Blicke zu und tun so, als wären Arwen und Soraya gar nicht vorhanden.

Etwas erstaunt sieht Arwen ihren Vater an, als der sie nicht zum großen Platz beiderseits des Nordtores in der Inneren Mauer führt, dorthin, wo die Festtafel für die Hohe Priesterschaft, den Hohen Rat und die Angehörigen des Hauses Relavendis aufgebaut ist, dorthin, wo auch der Segen gesprochen und das Feuer entzündet werden würden, Statt dessen schlägt er eine kleine Straße ein, in der etwas weniger Trubel herrscht, und die sie zu dem offenen Platz vor dem Tor zum Palastbezirk führt. Aber ehe sie ihn fragen kann, warum er das tut, stehen sie auch schon im Schatten der Bäume, die den Platz umgeben. Für einen Moment bleibt Arwen sprachlos stehen. Der Platz steht nicht wie die anderen voller Tische und Bänke. Der Brunnen in der Mitte, gleich neben einem kleinen, blumenbekränzten Holzstapel ist mit Rosenranken geschmückt, selbst im Wasser schwimmen Rosenblüten. Unter den Bäumen an seinem Rand, im schattigen Gras stehen überall niedrige Tische an denen weiche Kissen und Decken mit dem Blumenschmuck darum zu wetteifern scheinen, wer die leuchtenderen Farben vorzuweisen hat. Eine kleine Gruppe von Musikanten hat sich unter einer alten Zeder niedergelassen und erste Harfenklänge wispern über den Platz wie Vogelgesang. "Vater? Warum hier? Willst Du denn nicht zum großen Festplatz?" Vorsichtig lässt sie Rialinn runter, hält den kleinen Wirbelwind aber sicherheitshalber an der Hand fest, während sie ihrem Vater fragend in die Augen sieht und versucht dort den Grund für sein Handeln zu finden. Doch mehr als ein beredtes Schweigen und ein lächelndes Kopfschütteln bekommt sie erst nicht, und hört dann seine leise Stimme neben sich. "Ich dachte mir, der Trubel dort auf dem großen Platz wäre dir vielleicht zuviel, und für Rialinn auch. Hier am Westtor feiern immer jene, denen es auf dem Festplatz am Feuer zuviel ist, die sich aber auch nicht in die Stille der Tempelhaine zurückziehen wollen. Aber wenn Du lieber dorthin willst, es ist noch nicht so spät, dass wir dort keinen Platz mehr an der Tafel bekämen." "Nein, Vater," ein Lächeln schleicht sich langsam in Arwens Augen. "Das hier ist schon genau richtig." Kurz sucht ihre Hand die ihres Vaters und drückt sie zaghaft. "Also… welcher Tisch soll es denn sein?" Ihr Blick wandert fragend von einem zum anderen, bis Gildin unter Rialinns Führung schließlich einen Tisch ansteuert, der ihnen einen schönen Blick über den Platz gewährt, und zu Arwens Erleichterung auch an einer Seite so von einem niedrigen Ginsterbusch begrenzt wird, dass sie dort in der Ecke Rialinn zur Ruhe legen könnte, sollte die zwischendurch müde werden.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Soraya am 19. Juli 2006, 15:54 Uhr
Tante, schießt es ihr ein Mal mehr durch den Kopf und allein der ungewohnte Klang des Wortes zaubert ein verhaltenes Schmunzeln auf ihre Lippen, während sie zur Seite tritt, um Arwen in ihrem rauschen Kleid aus dem Zimmer treten zu lassen. Doch ihre Cousine kommt nicht dazu auch nur einen Schritt über die Türschwelle hinaus zu tätigen, denn die Blicke Andovars unter ins besondere Gildins scheinen sie sofort wieder zurück bugsieren zu wollen, bis sie sich etwas übergeworfen oder etwas gänzlich anderes angezogen hat. Um ein breites Grinsen zu unterdrücken, hebt Soraya die Hand vor ihren Mund  und wendet den Blick ab, damit Arwen das höchst belustigte Glitzern in ihren Augenwinkeln nicht sehen kann. Als jedoch beide Männer keine Anstalten machen, sich langsam ihres Benehmens zu erinnern, stößt sie Andovar sachte mit dem Ellenbogen an und wirft ihm unter zusammengezogenen Augenbrauen eine gespielt ernste Mahnung zu, die der Elb jedoch nur halb wahrnimmt, denn gänzlich scheint er seine Konzentration nicht von Arwen nehmen zu wollen. Kein Wunder denkt Soraya im Stillen und verliert sich flüchtig im sanften, warmen Glühen im
Innern der unzähligen Rosenquarze auf den Schleierstoffen. Sie war schon immer schön. Aber mit diesem Kleid wird sie die Männer um ihren Verstand bringen. Bei diesem Gedanken muss Soraya sich schleunigst umwenden, um Arwen nicht mit einem verräterisch, neckischen Augenaufschlag zu bedenken und nachdem Gildin sich schlussendlich doch noch davon hat überzeugen lassen, kein anderes, etwas mehr geziemtes Kleid, oder zumindest Sorayas leichten Mantel als Bedeckung zu fordern sind sie bereit für den Aufbruch.
In der großen Eingangshalle warten auch ihr Onkel Tianrivo, sowie Therlas, ein Elb, mit dem sie bisher keine nähere Bekanntschaft gemacht hat. Als sie sich jedoch ihres Onkels gewahr wird, überrumpelt die Erinnerungen ihren letzten Besuch in diesem Haus sie so heftig, dass sie für einen Herzschlag lang in ihrem Schritt stoppt und den Knoten in ihrer Brust erst lösen muss, bevor sie weiter gehen und ihrem Onkel mit einem freundlichen Lächeln, das sich jedoch auf dem Weg zu ihren Augen verliert, begrüßen kann. In seiner Miene entdeckt sie das Angebot, das verpasste Gespräch nachzuholen, und ein harter Zug schleicht sich auf ihre Lippen. Denk nicht einmal daran, Onkel, diesen Tag mit irgendwelchen geschäftlichen Gesprächen unterbrechen zu wollen. Arwen hat etwas anderes verdient.. Dass sie so unverfroren mit ihm spricht, kommt wahrlich nicht oft vor, im Grunde genommen schon lange nicht mehr, seit  sie ihre störrischen Kleinkindjahre hinter sich gelassen hat, doch dass er es wirklich wagt auch nur einen einzigen Gedanken daran zu verschwenden, eine wertvolle Sekunde dieses wundervollen Tages damit zu verbringen, über irgendwelche Probleme zu sprechen, verärgert sie, besonders angesichts dessen, dass sie der Meinung ist, er hätte es in den letzten Jahren genug versäumt, an der Seite seiner Tochter zu sein. Das spricht sie jedoch nicht laut aus, noch wagt sie es, dies in ihren Gedanken verlauten zu lassen.

Als sich das Tor in den Hof öffnet und prickelnde, goldene Fäden Sonnenlichts das Innere fluten, genießt Soraya einen Moment lang die feine Umarmung von Shenrahs strahlenden Fingern, die es fast schaffen, die noch immer anwesenden, trüben Gefühle in ihrem Kopf zu verdrängen und nur einen leichten Nachhall davon zurückzulassen. Nun denn, auf ins Getümmel. Milyaris wartet.  Als sich das schwere, schmiedeiserne Tor jedoch öffnet, die Schildwachen Stellung beziehen und somit freie Sicht auf die gefüllten Straßen geben, ist Soraya, obwohl sie diesen Anblick schon so oft gesehen hat, von neuem überwältigt und wird von Ehrfurcht erfasst., während sie den Blick über alles und jeden schweifen lässt, was ihr über den Weg läuft. Hauchzarte, durchscheinende Tücher flattern in einer sommerlichen, warmen Brise und werfen tanzende, halbdunkle Schatten auf die Köpfe der feiernden Menge unter sich, derweil Shenrahs Licht durch die aufgespannten, hellen Sonnenplanen tropft, wie flüssiges Gold. Bunte Blütenwirbel verschleiern die Sicht und gleiten durch die Luft, aufgeworfen von eiligen Füßen und raschelnden Stoffbahnen und so manche Robe lässt sogar Soraya auflachen, auch wenn nichts davon an Arwens Schleierkleid heranreicht, welches so manchen anzüglichen und bewundernden Blick, ob Mann oder Frau auf sich zieht. Einige jung, ungestüme Elben, die sich anscheinend nicht bewusst sind, wen sie da mit Stielaugen anglotzen, nehmen sich sogar heraus, ihr scherzhaft einige Tanzangebote für den späteren Abend zuzuwerfen, die von Arwen lächelnd abgelehnt werden. Soraya tauscht einen Blick mit ihrer Cousine und fast gleichzeitig beginnen sie herzhaft zu lachen. Als einige leicht bekleidete, langhaarige und unverschämt hübsche Inarinovizinnen mit einem verführerischen Lächeln, sowie spitzem Gekicher barfuss an ihnen vorbeischarwenzeln und sowohl Gildin, als auch Andovar mit einem umwerfenden, unschuldigen Augenaufschlag anblinzeln, kann Soraya schlichtweg nicht mehr anders, als die beiden damit aufzuziehen: „Vielleicht wäre es besser gewesen, ihr hättet euch in Sack und Asche gekleidet. Denn wenn weitere Meuten von lauernden Novizinnen auf uns warten, kommen wir nie vorwärts.“ Dass niemand sie selbst beachtet, fällt ihr sehr wohl auf, doch kann sie nicht behaupten mit diesem Umstand unzufrieden zu sein und wundern tut es sie schon gar nicht, ebenso wenig wie manch skeptischen Blick, der auf die schlanke Klinge an ihrer Seite fällt.  Schwarz gewandet wie sie ist, in Hemd und Hose, mit einem schlichten Zopf und ohne Schmuck, hätte sie ebenso gut auf dem Weg zum alltäglichen Markt sein können.
Der ganze Trubel hat zumindest etwas Gutes, nämlich dass Klein-Rialinn prompt vergisst, dass sie eigentlich böse auf ihre Tante hatte sein wollen. Statt mit einem schrecklich süßen Gesichtchen vor sich hin zu schmollen, schwenkt sie ihre Arme in alle Richtungen gleichzeitig, was Arwen einiges an Balance abverlangt, um ihre kleine Tochter nicht fallen zu lassen, die hier und dort ausruft, dieses und jenes findet, den und das sieht, bis sie mit runden Augen an einem grüngoldenen, schwarzhaarigen Schellentänzer klebt, der ihr eine Kusshand zuwirft, um gleich darauf mit großem Tamtam einige akrobatische Höchstleistungen zum besten zu geben und die Menge damit in Verzückung zu versetzen.

Soraya fühlt sich mitgerissen  von den Leuten, hört das Blut vor Aufregung in ihren Ohren rauschen und hat sich seit langem nicht mehr  so lebendig gefühlt wie heute. Die Euphorie der Leute, die sie umspült und sie einmal nach rechts und einmal nach links treibt, schwingt auf sie über und ihr Herz springt vor Begeisterung fast im Kreis, und das so laut, dass sie sich nur knapp davon abhalten kann, verstohlen nach allen Seiten zu linsen, um zu sehen, ob jemand es hört. Musik erschallt, leise, laut, hoch und locker. Pfeifen, Flöten, Lyra, Zither und Glocken und von irgendwo her glaubt sie sogar den sachten, zärtlichen Klang einer Leier zu vernehmen, doch kann sie durch den Geräuschepegel beim besten Willen nicht sagen woher. Hin und wieder müssen sie Musikantengruppen ausweichen, die frisch und fröhlich mitten auf der Straße spielen und sogar schon einige frühe Tänzer gefunden haben, welche lachend und singend über den dicken, samtweichen Blütenteppich schweben, sich drehen und winden und die Umstehenden in einen Rausch versetzen, der süßer ist als jeder Wein. Manchmal passieren sie weite, goldgrüne Grasflächen, auf denen niedrige Tische mit riesigen, schrecklich bequemen Kissen in allen möglichen Farben zu finden sind, oftmals unter dem Schutz einer mächtigen, smaragdenen Krone, die dunstigen grauen Schatten, spendet und mit ihrem alten, knorrigen Stamm so manchen eine Anlehnmöglichkeit bietet. Als Soraya jedoch erkennt, dass Tianrivo einen anderen Weg, als jenen zur Innenmauer und zum Hauptplatz des Geschehens einschlägt huscht ein Funke von Misstrauen über ihre Züge und ihre Finger gleiten schon fast instinktiv zum Knauf ihres Schwertes, bis ihr Gildiun zum Glück mit einem entwarnenden, beruhigenden Kopfschütteln zu verstehen gibt, dass hinter dieser Entscheidung kein bedrohlicher Ursprung lauert. Trotzdem kann sie alles Misstrauen nicht gänzlich abstreifen und bleibt wachsam, während sie mit katzenhaften Bewegungen den Leuten ausweicht und sich dicht an Andovar hält, um die Gruppe im wogenden Gewühl nicht zu verlieren. Schließlich lichtet sich die Traube der drängenden ein wenig und Soraya sieht sich einem fast ruhig zu nennenden, herrlichen Platz gegenüber, von dem sie verblüfft feststellt, dass sie nicht gewusst hat,  dass es ihn in dieser Stadt gibt. Genüsslich zieht sie den umwerfenden Duft nach Rosen, Lilien, Apfel und Mandelblüten in ihre Nase, der so dick in der Luft liegt, dass man ihn fast wie weiche Butter schneiden könnte. Kurzerhand schließt sie zu ihrer kleinen Gruppe auf, tippt Gildin auf die Schulter und flüstert ihm leise zu: „Ich komme gleich zurück. Milyarias wartet am inneren Mauerbogen auf mich. Er dachte, er würde mich und euch dort treffen.“ Gildin nickt und dankbar lächelt sie ihn an, bevor sie sich umwendet und sich durch eine Schar edler Herren drängt, die von einer unsichtbaren Wolke herrlich riechendem, süßem Apfeltabak umgeben ist. Auf ihrem Weg trifft sie hier und dort jemanden, den sie kurz grüßt und einmal hält sie sogar inne, um einige Worte mit zwei jener vom Schicksal geschlagenen Männern zu führen, die leider heute bis spät abends Dienst haben und sich trotzdem glücklicher schätzen als jene, die erst vom Abend bis zum Morgen würden arbeiten müssen.

Nach einigem hin und her hat sie doch noch die richtige Richtung gefunden und kann über die hüpfende, summende Menge, die schon gut dabei ist, irgendwelche Trinkgefäße zu schwenken, irgendwo in einer hinteren Ecke einen silberblauen Schopf ausmachen, der verdächtig demjenigen Milyaris gleicht. Wie sich herausstellt, hat sie nicht schlecht geraten und lachend klopft sie ihm auf die Schulter, während er mit heroisch ernstem Gesicht und Grabesstimme erklärt, dass dieser ganze Tumult zuviel wäre für sein armes Herz. „Nun komm, Gildin und der Rest warten bereits“. Schon will sie sich umdrehen, als seine Finger sich nicht hart, jedoch bestimmt um ihren Arm schließen und ihre Augenbrauen fragend in die Höhe rutschen lassen. Er scheint einen Augenblick lang mit sich selbst zu ringen, bevor er leise fragt: “Ist Arwen wirklich zurück?“ Ihre Mundwinkel zucken fröhlich in die Höhe und ein schwaches Nicken ist die einzige Antwort, die er erhält, bevor sie ihn kurzerhand hinter sich her zieht, um ihm den Weg zu dem netten Plätzchen zu weisen, welches ihr Onkel irgendwie, wissen die Götter WIE, in dem ganzen Durcheinander und Chaos gefunden hat. Die Scharen von Inarinovizinnen, in ihren Kleidchen aus durchscheinender Feenseide, lassen sie fast gequält die Augen verdrehen, während Milyaris hinter ihr den meisten von ihnen fast schon spitzbübisch hinterher sieht. „Charmeur!“, wirft sie ihm irgendwann über die Schulter zurück und bekommt dafür ein absolut überraschtes und zutiefst getroffenes: “Ich? Niemals!“, geschenkt, was ihre Erheiterung nur noch steigert. Obwohl die ganze Stadt auf den Beinen ist, wird ihr Unterfangen, einen der ansonsten so zahlreichen Laufburschen aufzutreiben, zu einem komplizierten, mittleren Desaster und als sie schließlich einen der rotwangigen Bengel am Kragen erwischt, hat sie einen Laufmarathon hinter sich. Kurzerhand trägt sie ihm auf, ihrem Vater Nachricht zu bringen, wo er sie finden kann und mit wem, und drückt dem Burschen zur Sicherheit eine Münze extra in die kleine Hand, damit er sich auf dem Weg nicht doch plötzlich dafür entscheidet, lieber irgendwelchen Elbinnen hinterher
zu rennen.
Irgendwie schaffen sie es heil und unversehrt und ohne einer jener ebenso bekannten, wie gefürchteten Novizinnenblumengirlanden den Vorplatz zu erreichen und gleich darauf entdeckt Soraya Arwen nicht weit entfernt, im Schatten einer Goldesche, die sich stolz und robust neben ein paar kleineren und unscheinbar wirkenden Büschen erhebt, und zielsicher steuert Soraya darauf zu. Ein runder, heller Tisch, der von allerlei Köstlichkeiten bedeckt ist, erhebt sich inmitten der kleinen Gruppe und die rot glänzenden Erdbeeren, die sich dort in einer hölzernen Schale stapeln, lassen selbst Soraya das Wasser im Munde zusammenlaufen. Doch erst einmal beginnt eine neue Begrüßungsrunde, als Milyaris, der hinter ihr ankommt, feixt und Gildin mit einem lapidaren: “Meine Güte, wie lang ist das jetzt her?“, in die Mitte des Geschehens rückt. Soraya verfolgt lächelnd die Begrüssung und lässt sich zufrieden neben ihrer Nichte auf dem Boden nieder, nachdem sie Virintuil fein säuberlich abgelegt hat. Kichernd stubbst sie Rialinn in den weichen Bauch, die sich quietschend zusammenkugelt und nach ihren Händen grabscht, um sie lautstark davon abzuhalten, sie weiter zu kitzeln.

Mit einem warmen Lächeln beobachtet sie, wie Milyaris sich schliesslich neben Andovar und Gildin niederlässt, einmal in sämtliche Gesichter blickt und dann fast schon nostalgisch spricht: “Wie lang ist das nun her, seit wir das letzte Mal so zusammen sassen?“ Blicke schwirren umher und Erinnerungen breiten sich aus, bis Soraya schliesslich ein wenig zurücklehnt und mit einem verhaltenen Schmunzeln spricht: „Das letzte Mal war zur Zeit meiner Hochzeit. Nach der Zeremonie, als wir auf dem Turm standen, bis uns der aufkommende Sturm zurück ins Innere trieb.“ Sie hatte erwartet, es würde ihr schwer fallen, darüber zu sprechen, aber stattdessen beginnt ein gleichmässiges, zufriedenes Gefühl sich in ihr auszubreiten und sie nickt gedankenverloren: „Damals sassen wir zum letzten Mal alle zusammen und haben gelacht und in meinem Falle auch geweint. Ich weiss noch genau, wie überwältigt ich von diesem Tag, von jenem Moment war, dass ich vor lauter Tränen kaum mehr etwas gesehen habe.“ Ein leises Lachen schüttelt ihre Schultern und sie sucht Arwens grünen Katzenblick, an dem sie sich kurz festhält, um gleich darauf Rialinn anzusehen: „Die Zeit ist vergangen und neue, sowie altbekannte Gesichter füllen die Runde und ich bin glücklich darüber, also von daher...“ Kurzerhand greift sie nach einem Becher Wein, der in der Zeit ihrer Abwesenheit wohl gebracht worden ist, und hält ihn in die Höhe, wartend, dass auch die anderen ihre Becher ergreifen. „Lasst uns auf Arwen und Rialinn trinken, auf die Vergangenheit und die Zukunft und auf eine schöne Zeit.“

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Arwen am 20. Juli 2006, 18:11 Uhr
Sie sind gerade dabei, sich alle ihre Plätze auf Kissen und Polstern zu suchen, als Arwen bemerkt, dass Soraya nicht mehr bei ihnen ist. Suchend schaut sie sich nach ihrer Base um und kann sie doch nirgendwo entdecken. Erst als ihr Blick den ihres Bruders trifft, erfährt sie, dass Soraya sich kurz von ihnen getrennt hat, um Milyaris, einen alten Bekannten suchen zu gehen, mit dem sie wohl am großen Festplatz verabredet gewesen ist. Während sie noch dabei ist, den Korb mit Rialinns Sachen in der Nische neben dem Ginsterbusch zu stellen und ihre Tochter davon abzuhalten, eben jenen Busch einer genaueren Inspektion zu unterziehen, trefen nach und nach immer neue Gruppen von Festbesuchern auf dem Platz ein, mal Familien mit Kindern, dann wieder Paare die schon jetzt nur noch verliebte Blicke für einander haben und um sich herum nichts wahrnehmen und auch die eine oder andere Gruppe mit Elben unterschiedlichsten Alters. Nur eines scheint ihnen allen gemein zu sein, der Trubel auf dem großen Festplatz ist für sie an diesem Tag ebenso wenig eine Verlockung wie die Stille der Tempelhaine.
Rialinn ist nach ihrem morgendlichen Bewegungsdrang erstaunlich ruhig geworden. Zwar gibt es noch immer tausend und eine Sache, die ihr unbekannt ist und die sie ihrer Mutter und allen anderen Anwesenden unbedingt zeigen muss, aber sie weicht nie mehr als einen Schritt von Arwens Seite. Und die ist darüber alles andere als unglücklich, schon deshalb, weil immer wieder auch Elben erscheinen, die ihren Vater kennen und begrüßen, und bei der Gelegenheit natürlich auch einen Blick auf seine heimgekehrten Tochter und das Enkelkind werfen wollen. Und bei all den mehr oder weniger fremden Personen ist Arwen froh, dass Rialinn freiwillig an ihrer Seite bleibt und sie sich mit ihr im Hintergrund halten kann. Sicher, die meisten der Elben mit denen sie freundliche Grüße tauscht und höfliche Konversation betreibt sind in ihrer Freude über die Rückkehr Arwens in das Haus ihres Vaters und den offensichtlich gebrochenen Fluch aufrichtig. Aber Arwen würde jede Wette eingehen, dass so mancher von ihnen auch bloß deshalb aufgetaucht ist, um sich hinterher mit Spekulationen, Halbwahrheiten oder schlicht Erfundenem an der allgemeinen Gerüchteküche zu beteiligen. Rialinn wird es mit all den fremden Gesichtern schon bald zuviel und sie verschwindet schutzsuchend hinter den Röcken ihrer Mutter um das Geschehen aus sicherer Entfernung zu beobachten. Als ihre Tochter dann außerdem noch Durst und Hunger bekommt, ist das für Arwen ein nur zu willkommener Grund, um sich samt Tochter aus dem Staub, oder besser dem Schatten zu machen. Das Kind an der Hand schiebt sie sich im Rücken ihres Vaters vorbei, der sich gerade in den Fängen eines höchst redseligen Vasallen befindet um sich nach jenen Tischen umzuschauen, auf denen im Allgemeinen vor dem eigentlichen Festessen schon Getränke und kleine Speisen zu bekommen sind.

Allerdings hat sie Rechnung ohne ihren Bruder und dessen Freund gemacht. Denn Gildin und Andovar bekommen sehr wohl mit, dass Arwen sich gerade samt Tochter zu verdrücken versucht. Ehe sie auch nur "Huch!" sagen kann, sind die beiden bei ihr und wollen sie par tout nicht alleine gehen lassen. Wenigsten einer von ihnen soll sie begleiten, am besten sogar beide. Noch vor wenigen Tagen hätte Arwen sich darüber entsetzlich aufgeregt, doch heute ist sie wild entschlossen, sich den schönen Tag nicht verderben zu lassen, auch nicht von überbesorgten Verwandten. "Gildin, bitte! Was soll denn hier passieren? Ihr glaubt doch nicht ernsthaft, jemand wäre so dreist, den Frieden von Inaris Hochtag zu brechen, oder?" Wen sie mit 'jemand' meint, muss Arwen nicht näher erklären, sie alle wissen es auch ohne dass es einer ausspricht. Das Schweigen der beiden Männer verschlägt dann allerdings Arwen die Sprache, denn wie es scheint, trauen sie Khelenar sogar das zu - oder wollen sich zumindest nicht darauf verlassen, dass er es nicht tut. Ohne, dass weitere Worte gewechselt werden, bleibt Andovar am Tisch bei seinem Vater zurück, und Gildin begleitet Arwen und Rialinn über den Platz. Da das Kind wenig Spaß daran hat, sich Beine und Röcke anzusehen, dauert es nicht lange, bis Rialinn allem Selbst-Laufen-Wollen zum Trotz dann doch lieber auf den Arm ihres Onkels will, wo die Aussicht deutlich besser ist. Vor allem die Sicht auf die Gaukler, die sich eingefunden haben und in einem Reigen um den Brunnen herum mit regenbogenbunten Bällen jonglieren. Hände bewegen sich so rasch, dass man ihnen kaum folgen kann, Bälle kreisen in der Luft in den aberwitzigsten Bahnen, fliegen so hoch, das man glauben möchte, Vendis hätte sie sich geholt, kehren dann aber doch in die Hände der Akrobaten zurück, fliegen von einem zum anderen, quer über den Brunnen hinweg, kreuz und quer, nach links, nach rechts, von einem zum anderen und weiter zum nächsten. Rialinn ist vollkommen fasziniert von dem Schauspiel, hat den kleinen Mund vor Staunen offen stehen und alles um sich herum vergessen, auch das Trinken, das sie eben noch so dringend verlangt hat. Erst als auch der letzte Ball wieder eingefangen und in seinem Stoffbeutel verschwunden ist und die Akrobaten sich mit tiefen Verneigungen bei ihrem Publikum für den Beifall bedanken, ist das Elbenkind bereit, seine Aufmerksamkeit wieder auf das nahe liegende zu wenden: Essen und Trinken.

Am westlichen Ende des Platzes stehen lange Tische, an denen Novizen aus den Tempeln zusammen mit Burschen und Mägden aus den Gasthäusern und Tavernen Lomirions Getränke ausschenken und man sich die eine oder andere Kleinigkeit holen kann, um die Zeit bis zum Festessen zu überbrücken. Sie sind gerade dabei, sich glasierte Tonkrüge die jemand zur Kühlung gewässert hat mit Sommerwein und Quellwasser füllen zu lassen, als eine Stimme in ihrem Rücken Arwen und Gildin herumfahren lässt. "Gildin! Wo hast Du die letzten Monde gesteckt? Einfach so zu verschwinden und niemandem zu sagen, wohin, das ist nun wirklich nicht die rechte Art." Das offene Lachen im Gesicht des Elben, dem sie sich so plötzlich gegenüber sehen, straft dessen barschen Ton allerdings sofort Lügen. "Und kaum bist Du wieder da, hast Du Frau und Kind? Wie hast Du das so schnell geschafft? Zur Sithechnacht warst Du noch unbeweibt. Oder hast Du sie bloß die ganze Zeit vor Roha versteckt und uns ihren Anblick vorenthalten?"
Etwas überrumpelt und verwirrt von dem unablässig auf sie einprasselnden Wortschwall nimmt Arwen ihrem Bruder Rialinn wieder ab, deren Mund angesichts des redseligen Fremden schon bedenklich zu zittern anfängt. Und das Letzte was Arwen jetzt erleben möchte, wäre eine weinende und schreiende Tochter. Gildin fängt sich rasch wieder, wirft seiner Schwester einen kurzen amüsiert-verzweifelten Blick und ergreift die Flucht nach vorne und in Förmlichkeiten. "Wenn ich bekannt machen darf… Ydal Steinfalke, Aufseher der königlichen Jagdhunde, und, wenn man nicht aufpasst, Jäger sämtlicher Weiberröcke, die sich  nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen," der kurze Blickwechsel zwischen den beiden Männern macht Arwen klar, dass die beiden derartige Geplänkel öfter zu führen scheinen, "… und das sind Arwen Liasiranis, meine Schwester, und ihre Tochter Rialinn." Nun ist es an Ydal, überrascht drein zu schauen. "Shu'ra." Er überspielt es allerdings geschickt mit einer Verneigung und eine Geste der Entschuldigung für seine zuvor so lockeren Worte. Schmunzelnd wendet Arwen sich von den Männern ab um zusammen mit Rialinn die schwere Entscheidung zu treffen, welchen Sirup die für ihr Wasser haben möchte. Und die Auswahl ist entsetzlich groß: Granatapfel, Zitrone, Tamarinde. Holunderblüten oder vielleicht doch lieber Orange. Die Qual der Wahl ist entsetzlich, auch noch nachdem Klein-Rialinn von jedem Sirup etwas mit ihrem Finger probieren durfte. Letztendlich wird es dann der Granatapfelsirup, weil der so schön rot ist. Auf dem Rückweg zum Tisch im Schatten der Mauer und der Goldesche tragen Arwen und Gildin die Krüge mit Wein und Wasser, dazu jeder in frische Blättermatten eingewickelte kleine Köstlichkeiten. Und während ihr Bruder außerdem noch eine Schale mit rot glänzenden Erdbeeren balanciert, wacht Arwen mit Argusaugen über ihre Tochter, die mit vor Konzentration zwischen die Lippen geklemmter Zunge einen Tonkrug vor sich her trägt, der für die kleine Menge Sirup darin viel zu groß ist (dafür aber sicherstellt, dass der rote Sirup nicht auf das hellgrüne Kleid kleckern kann). Trotzdem ist Arwen erleichtert, als sie heil und unbekleckert zurück bei Tianrivo und den anderen sind und ihre Fracht auf dem Tisch verteilt haben.

Sie lässt sich mit Rialinn auf einem der großen Kissen nieder, mischt in einem der Becher kühles Wasser mit süßem Sirup und hilft ihrer Tochter, den für die kleinen Kinderhände viel zu großen Becher zu halten. Der erste Durst ist gestillt, und Rialinn kaut zufrieden auf einem mit Nüssen und Honig gefüllten Brötchen herum, als auch Soraya wieder auftaucht, einen Elben im Schlepptau, dessen Gesicht Arwen vage von früher bekannt ist, dessen Namen sie aber nicht gewusst hätte, wenn Gildin ihr nicht vorhin gesagt hätte, wen Soraya suchen geht. Wieder werden Worte der Begrüßung getauscht - wie schon viel zu oft an diesem Tag, wenn es nach Arwen geht -  doch da die Runde nun anscheinend vollständig ist, sucht sich jeder einen Platz und alle lassen sich auf den Kissen am Tisch nieder. Als Milyaris nach einem Blick in die Runde die Frage aufwirft, wie lange ihr letztes Zusammentreffen in dieser Runde her ist, herrscht für einen kurzen Moment betretenes Schweigen. Jedem von ihnen ist klar, dass es vor Arwens Verschwinden aus den Elbenlanden gewesen sein muss, und dann braucht man nicht viel weiter in der Zeit zurück zu gehen um am Tag von Sorayas Vermählung mit Chindarion anzugelangen. Glücklicher Weise ist es Soraya selber, die es schließlich ausspricht, den Tag nennt und die höchst denkwürdige Runde, die sich damals aus dem Festsaal für einige unbeobachtete Momente hinauf auf den höchsten Turm des Ambersteins gestohlen hatte. Dass ihre Cousine bei der Erinnerung an jenen Tag das Lachen nicht verliert, lässt Arwen erleichtert lächeln, und in dem kurzen Blick, den sie beide tauschen, kann jede in den Augen der anderen die Erinnerungen an diese Hochzeit lesen. Vor allem an das Gerede, als bekannt wurde, dass Arwen die Trauzeugin für Soraya sein sollte. Die meisten hatten es schlicht nicht glauben wollen und es bis zuletzt für ein Gerücht gehalten, bis Arwen neben das Brautpaar getreten war um die Eheschließung zusammen mit einem Verwandten des Bräutigams zu bezeugen.
Soraya hebt ihr Glas zu einem Trinkspruch, und rasch werden die letzten Gläser und Kelche gefüllt und erhoben. "Auf die Zukunft," kommt es von allen Seiten zurück, selbst von Rialinn, die ihren Becher mit beiden Händen festhält, und anschließend Arwen am Ärmel zupft um zu fragen, was das heißt 'Auf die Zukunft' und warum man die Becher dabei hochhebt. Während Arwen also ihrer Tochter leise zu erklären versucht, was ein Trinkspruch ist und warum man dabei die Becher und Gläser hochhebt, erzählt Gildin zur allgemeinen Erheiterung von ihrer Begegnung mit Ydal und dass der ihm Arwen gleich als Gemahlin und Rialinn als Kind hat andichten wollen.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Soraya am 27. Juli 2006, 17:32 Uhr
Am Inarifest


Freundlich nickt sie Ydal zur Begrüssung zu. Sie kennt ihn und seinen Ruf, doch allen Göttern sei dank scheint er genau den in ihrer Nähe immer zu vergessen - jedefalls hat er noch nie einen auch nur halbherzigen Versuch in diese Richtung unternommen. Wird wohl am fehlenden Rock liegen. Hosen verkomplizieren das Ganze ja oft ein wenig. Oder es liegt einfach an mir. Zu gross, zu hässlich... zu unweiblich. Himmel, seine Oberarme sind dünner als meine... und mein Kreuz ist auch breiter. Verstohlen schielt sie an sich selbst hinunter und betrachtet ihren nicht sehr grossen Vorbau, der unter dem schwarzen Hemd fast gänzlich untergeht. Und das zählt wohl nicht.Was solls. Schulternzuckend wendet sie sich davon ab, sich mit dem grössten Schürzenjäger Lomirions zu vergleichen. Die Tatsache, dass Ydal Arwen für Gildins Ehefrau gehalten hat, entlockt ihr nur eine hochgezogene Augenbraue. Das "Ist das die neue Art, herauszufinden, welche Frau für den Abend frei ist?", kann sie sich gerade noch so verkneifen. Hätte Gildin geheiratet, wäre diese Nachricht wie ein Lauffeuer in Lomirion herumgegangen, aber vielleicht hatte Ydal mit dem Wort Weib, auch eher die Bezeichnung Geliebte nicht öffentlich aussprechen wollen. Einerlei. Er wird bald beschäftigt sein, genug Röcke sind ja vorhanden. Nur kurz verfolgt sie das Geplänkel zwischen Arwen und Rialinn, die einmal mehr mit ihrer Neugierde ihre Mutter in Atem hält, und wendet sich dann Myliaris zu, um sich mit ihm ein wenig unverbindlich über Yaêlyolì´s Wurf zu unterhalten, der sich in der letzten Zeit gut gemacht hat. Amüsiert erzählt sie ihm, wie der Hündin irgendwann der Gedulsfaden gerissen war und sie den nächstbesten Stallburschen mit eindeutigem Knurren vertrieben hatte. Myliaris erklärt ihr im Gegenzug, dass das Sommerfest ihnen jetzt schon Kopfzerbrechen bereite und er an dem Fest wohl zur Wache eingeteilt sei. Nickend nimmt sie einen Schluck des fruchtigen Weines und schweigt, ihre eigenen Gedanken in Richtung des grossen Festes treiben lassend, das bald Einzug halten würde in Lomirions Strassen. Die Eiderneuerung. Unwillentlich beginnt sie nachzudenken, über ihren Vater, ihr Wissen und die Möglichkeiten, die ihr bleiben, um sowohl das Reich, als auch ihre Familie zu schützen, und besonders um das Gesicht Seresshers zu wahren. Wenn er es an die Öffentlichkeit bringt, wird es Aufruhr und Unruhen geben. Nichts, was das Volk gebrauchen kann... nichts was wir möchten. Ihre Miene bleibt regungslos, während sie darüber sinnt, wie sie vorgehen könnte, um dieses Problem weitgehen still und leise zu regeln. Im Grunde genommen könnte ich zum Hohen König gehen und es ihm berichten, doch wahrscheinlich hätte er keine andere Wahl, als es mit Anderen zu besprechen. Erneut zu viele Zungen, die es verbreiten könnten. Tianrivo... Ihr Blick schweift über ihren Onkel, der sich mit Gildin und Ydal unterhält, doch wird ihr klar, dass auch dieser Weg nicht funktionieren würde. Tianrivo ist dem König mehr als alle anderen verpflichtet. Er würde kein Schweigen wahren. Wie sollte er auch. Ich muss jemanden oder etwas finden, womit mein Vater gezwungen wäre zu schweigen. Das Wort *Zwang* entlockt ihr ein innerliches Seufzen und leicht überrascht stellt sie fest, dass sie den trockenen Grund ihres leeren Bechers betrachten kann. Als sie nach dem Tonkrug greift, hält ihn Myliaris ihr bereits entgegen und meint fast entschuldigend: "Für den letzten Weinkug, den ich dir verdorben habe." Sie braucht nicht lange, um sich an den angenehmen Abend vor einigen Tagen zu erinnern, an dem Myliaris sie nach langer Zeit der Trennung wieder einmal aufgesucht und zum Glück davor bewahrt hatte, ihre Sorgen erst einmal in schwerem Weisswein zu ertränken.

Mit einem leisen Danke lässt sie sich nachschenken, und betrachtet dann das Treiben um sich herum. Verliebte Pärchen, die sich mit Blicken verschlingen und doch nur still nebeneinander sitzen und das helle, goldweisse Licht der hohen Sonne auf ihrer Haut geniessen. Einige tanzen in formlosen Reigen und ihre Bewegungen verschwimmen in der Schnelligkeit, während die Gaukler und Barden mit ihren kunstvollen Instrumenten die Musik zum Leben erwecken. Über allem hängt jedoch eine gewisse Ruhe, wie ein unsichtbarer, schwebender Mantel, der so leicht ist, dass man ihn fast nicht spürt, und ein unerwarteter Gedanke kommt sie aus dem Nichts: Arwen war bei den Menschen... Wie wohl die Menschen Inarianar feiern? Auch so ruhig und ernst? Die Geschichten, die man hört, klingen anders, aber ob das der Wahrheit entspricht? Beinahe fühlt sie sich dazu verleitet, dieser Frage nachzugehen, verdrängt die vage Neugierde dann jedoch und trinkt einen weiteren Schluck. Der Mittag weicht dem Nachmittag und sie unterhalten sich über unzählige Dinge, die meisten davon aus weiter Vergangenheit, bis sie gar bei dem Punkt angekommen sind, wo Arwen und Soraya sich zum ersten Mal wirklich kennen gelernt haben. "Ssartar, Syla’ndeyon und Gildin befanden sich im Zelt, wo sie auf dich, Tianrivo, warteten um ihre Aufgaben entgegen zu nehmen. Es war keine zwei Tage nach der Ankunft." Der dunkle Ton in ihrer Stimme verrät, wie viel Bedeutung in diesem Wort wirklich liegt, und einen Herzschlag lang herrscht Schweigen, weil wohl jeder sich erinnern kann, was jener Tag für alle Elben auf den Schiffen bedeutet hatte: Küste und grünes Land zu sehen, nach Jahrhunderten der Schiffsreise, von denen sie selbst nur die Hälfte miterlebt hat. Soraya geniesst es, die alles mitreissende Freude, die damals in ihr geherrscht hatte, noch einmal zu fühlen, wenn auch nur noch als blassen Abglanz vergangener Tage. "Ich habe mit Freude dafür gesorgt, dass die Zeltplane über ihren Köpfen zusammengebrochen ist." Damals war ich noch ungestüm genug. "Leider war darüber keiner erfreut und am wenigsten Arwen, über deren Schulter ich zu dir und meinen Brüdern hinuntergelächelt habe. Ich glaube, sie hat es mir sehr lange nicht verziehen." Sie sieht ihre Cousine an, diesesmal ohne den Anflug eines Lächelns, denn Arwens Anblick, das was in deren Augen geschrieben steht - Und wahrscheinlich auch in den Meinen - zeigt ihr einmal mehr, dass sechs Jahrhunderte selbst für Elben keine Zeit sind, die man einfach unter den Tisch kehren kann, als wäre nichts gewesen. Wir haben uns beide sehr verändert, auch wenn wir dies vielleicht nicht wahrhaben möchten. Doch als wir uns das letzte Mal gesehen haben, gab es noch keinen Krieg, noch keine Nordmander und noch keinen gebrochen Fluch. Länder sind untergegangen, während wir verschiedene Wege nahmen und sie auf unsere Weise meisterten. Das blutrote Flackern auf der Oberfläche ihres Weines fängt ihren Blick und sie ist sich im klaren darüber, dass kein Weiser der Welt, damals hätte voraussehen können, was geschehen würde. Und es ist gut so.

Irgendwann bittet eine junge, goldhaarige Elbin mit grossen Katzenaugen Andovar um einen Tanz und auch Gildin, Myliaris und Ydal ernten interessierte Blicke. Der königliche Jägermeister scheint auch nicht abgeneigt zu sein, jedes der jungen Mädchen einmal zur Musik zu führen und schon bald hat er den Platz mit einigen höflichen Worten verlassen und dreht sich mit einer überaus hübschen Inarinovizin in der Mitte der Wiese, wo sich auch schon andere Paare eingefunden haben, zu den silbernen Klängen einer Harfe.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Mitarlyr am 29. Juli 2006, 17:26 Uhr
~ Kurz vor Mittag, am Tag des Inarifestes ~
(Tianrivo)



"Andovar war übrigens auch in diesem Zelt, Soraya, und auch derjenige, der es dann wieder aufgebaut hat. Ja, ich erinnere mich an den Tag." Und an die Nacht, dier ihm voraus ging. Unbewusst sucht sein Blick den seiner Tochter, findet ihn, und in deren Augen die selben Erinnerungen. Ich hatte entsetzliche Angst um dich, in dieser Nacht. Angst, dich an den Fluch zu verlieren. Blitzschnell ziehen die Bilder der Erinnerugn an ihm vorbei:
Es war längst dunkle Nacht gewesen, und ein Gewittersturm hatte wütend über die Bucht und durch das Lager getobt, als Arwen sich still und leise aus dem Zelt geschlichen hatte. Tianrivo selber war nur aufgewacht, weil der Wind ihr die Plane aus der Hand gerissen hatte und ein Schwall Regen ins Zelt gedrungen war. Erst hatte er sich nur gefragt, was um aller Götter Willen Arwen in der Nacht und bei diesem Wetter draußen suchen wollte, bis ihm aufgefallen war, sie sich bewegt hatte. Er kannte diese steifen, hölzernen Bewegungen an seiner Tochter, leider. So bewegte sie sich immer dann, wenn der Fluch sich regte und sie versuchte, sich so rasch wie möglich von allen Elben zu entfernen. Er hatte Gildin geweckt, und sie waren ihr gefolgt ohne auf Wind und Wetter zu achten oder sich noch lange mit dem Suchen nach Mänteln aufzuhalten. Erst am Rand des Lagers, im Schutz eines kleinen Pinienhaines hatten sie sie einholen können. Und der Blick Arwens, als sie sie gesehen hatte, war wie ein Dolchstoß ins Herz gewesen. So voller Panik hatte er sie nie zuvor erlebt gehabt. Sie hatte verzweifelt versucht ihn und Gildin von sich fort zu schicken, doch sie waren nicht gegangen. Auch dann nicht, als sie ihnen erklärt hatte, dass die Essenz, die der Nimrod-Priester ihr gegeben hatte um die Auswirkungen des Fluches wenigstens zu dämpfen nicht gewirkt hatte. Und das obwohl sie anstatt der vorgesehenen Menge von einem Dutzend Tropfen fast die ganze Phiole geleert hatte. Irgendwann, am Anfang der Schiffsjahre, hatte einer der Anukispriester auf ihrem Schiff, der sich Nimrod Schattenjäger verschrieben hatte eher durch Zufall herausgefunden, wie sie die Ausbrüche des Fluches bei Arwen wenigstens soweit dämpfen konnten, dass sie keine Gefahr mehr für sich und ihre Umgebung darstellte. So lange sie nicht wach und bei Sinnen war, schüttelte der Fluch seine Tochter nur mit Krämpfen. Schwere Krämpfe, die sie hinterher oft für Tage erschöpft auf ihr Lager zwangen, aber immer noch besser als die unkontrollierte Ausbrüche von Blitz, Eis und Hagel, die alles und jeden um sie herum in Gefahr brachten. Und so hatte der Priester einen Sud gebraut, der stark genug war, um Arwen fast augenblicklich in tiefe Trance zu versetzen, sobald sie zwölf Tropfen davon zu sich genommen hatte. Doch in dieser Nacht hatte der Sud nicht helfen wollen. Er war bei Arwen geblieben, bis Gildin mit dem Nimrodpriester wieder zurückkam. Doch vergeblich. Das dunkle Toben in seiner Tochter hatte in dieser Nacht die Kräfte des Priesters überstiegen. Ein Hohepriester war ihre letzte Hoffnung gewesen, doch die Zeit einen zu holen blieb ihnen nicht. Nicht, so lange sie Arwen nicht irgendwie in Trance versetzen konnten. Auf den Vorschlag des Priesters, dann müssten sie Arwen eben niederschlagen, Hauptsache sie sei besinnungslos, hatte er nur ungläubig starren können. Sein eigenes Kind niederzuschlagen war ihm unmöglich gewesen. Allein der Gedanke hatte ihn entsetzt. Gildin allerdings hatte den Vorschlag als geringen Preis für das Leben seiner Schwester erachtet und sie unter den entsetzten Blicken seines Vaters mit einem kurzen, trockenen Schlag an den Kopf niedergestreckt. Es war ihm wie eine Ewigkeit erschienen, bis Gildin mit einem Hohepriester der Faêyris zurückgekehrt war. Ewigkeiten, in denen er seine sich in Krämpfen windende Tochter mit aller Kraft an sich gepresst hatte, damit die sich nicht selber verletzte. Und nachdem Arwen wieder zu sich gekommen war, hatte es die Kräfte der beiden Priester fast bis an die Grenzen beansprucht, um das dunkle Toben in ihr zumindest für diesen Tag zu bannen. Die Sterne waren schon im Verblassen gewesen, als das dunkle Toben des Fluches seine Tochter endlich aus seinen Klauen gelassen hatte und Arwen erschöpft in seinen Armen zusammengebrochen war. Ja, und am nächsten Morgen, als Soraya dann das Zelt zusammenbrechen ließ, konnte das keiner von uns wirklich komisch finden.

"Ihr müsst nämlich wissen, dass Soraya damals beileibe kein kleines Kind mehr war, von dem man solche Streiche erwartet hätte." Mit einem leisen Schmunzeln prostet er seiner Nichte zu. "Soweit ich mich erinnern kann, hat Arwen dir damals eine Standpauke gehalten, die sich gewaschen hatte, oder? Darüber, wie sich eine Tochter aus einem der Hohen Häuser in jenem Alter zu benehmen habe. Was sie sonst noch alles so gesagt hat, habe ich allerdings nicht mehr mitbekommen. Ob ich damit etwas verpasst habe, kannst nur Du mir sagen, Soraya.... Aber wirklich böse war sie dir nicht, und wir anderen auch nicht. Zum einen waren wir alle viel zu erleichtert, endlich Land erreicht zu haben. Und zum anderen war es bei vielen der während der Schiffsjahre geborenen Kindern so, dass sie viel länger Kinder zu bleiben schienen. Eigentlich kein Wunder in Anbetracht der Umstände unter denen sie bis dahin aufgewachsen waren. Und dann, an Land schienen sie auf einen Schlag alles nachholen zu wollen... und zum Leidwesen aller Älteren auch die Dummheiten und Streiche für die es auf den Schiffen nie Raum und Gelegenheit gegeben hatte." Für einen kurzen Moment kann man in seinem Gesicht ganz offen die Wehmut der Erinnerungen so vieler Jahre erkennen, ehe ein offenes Lächeln sie vertreibt, das auch seine Augen erreicht. "Aber das ist alles lange her, und inzwischen seid ihr beide mehr als erwachsen... Auf die bemerkenswerten Frauen, zu denen ihr geworden seid..." Er neigt kurz den Kopf vor Soraya und seiner Tochter, und hebt dann seinen Kelch in Richtung Gildins und Andovars. "... und die Männer." Den Gedanken, dass ihm seine Nichte in den letzten Tagen meist noch ernster und beherrschter erscheint als seine Tochter, den behält er so sehr für sich, dass ihn ihm niemand ansehen oder auch nur erahnen könnte.

Das Tagesgestirn bewegt sich langsam seinem Höchststand zu, und aus den ebenso melancholischen wie heiteren Weißt-Du-Nochs werden angeregte und von häufigem Lachen unterbrochene Unterhaltungen über dieses und jenes. Und es dauert auch nicht lange, bis sich die eine oder andere Elbin findet, die Milyaris, Andovar oder Gildin für einen Tanz von der Tafel entführen. Dass er selber und Therlas nicht aufgefordert werden, wundert Tianrivo nicht wirklich. Und sie sind beide auch schon zu alt, um daran einen Gedanken zu verschwenden oder sich gar deswegen den Kopf zu zerbrechen. Aber dass auch Soraya und Arwen nicht tanzen, trübt seine Stimmung schon ein wenig. Gut - oder eher nicht gut - seine Nichte in ihrer düsteren Aufmachung kann er sich auch nur schwer vorstellen, wie sie sich am Arm eines Mannes zu Harfen- oder Flötentönen dreht. Wann habe ich sie überhaupt das letzte Mal tanzen sehen? Abgesehen von ihrer Hochzeit damals? Aber seine Tochter kann er sich sehr gut dabei vorstellen, und bedauert es, dass sich niemand findet, der sie zum Tanz führt. Allerdings macht er sich hier unnötige Gedanken, wie er nur wenig später feststellt, als Gildin und Andovar Soraya und Arwen zum Tanz bitten. Arwens funkelnder Blick, als er Rialinn kurzerhand zu sich auf den Schoß nimmt (und Arwen damit auch die letzte Ausrede, warum sie nicht mit Andovar tanzen könne) beantwortet er lediglich mit einem fast schon schelmisch Lächeln, während er zusammen mit seiner Enkelin den wehenden rosa Röcken hinterher schaut. Das Kind hat ihn zwar im ersten Moment höchst skeptisch beäugt, sich dann aber anscheinend entschieden, dass es sicher Schlimmeres gibt, als bei seinem Großvater zu sitzen und dem die Erdbeeren vom Teller zu stibitzen.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Arwen am 29. Juli 2006, 22:24 Uhr
Ein Schmunzeln lässt Arwens Augen funkeln als Soraya von der Geschichte mit dem einstürzenden Zelt erzählt, ehe ein blasser Schatten über ihr Gesicht huscht und so schnell verschwindet wie Eis in der Goldglanzsonne. Sie hatte ihrer Cousine die Sache tatsächlich recht übel genommen. Es war der dritte Sonnenaufgang gewesen, seit sie die Planken der Großen Schiffe verlassen und wieder festen Boden unter die Füssen genommen hatten. Ihr Blick trifft den ihres Vaters, und sie kann in seinen Augen ihre eigenen Erinnerungen wiedergespiegelt sehen. Götter. Das ist so unglaublich lange her, Vater. Und es ist nur noch eine Erinnerung. Der Fluch ist gebrochen und hat keine Macht mehr über die Töchter von Siranvendis' Blut. Kurz senkt sie ihren Blick auf Rialinn, die ihre Mutter so aufmerksam ansieht, als teile sie die Erinnerungen Arwens. Ich hätte es Soraya damals nicht so sehr vorwerfen sollen. Sie konnte nicht wissen, was... was in der Nacht zuvor passiert war. Aber... sie war so... so anders als ich. Sie war längst großjährig, aber manchmal ließ sie sich damals zu Unfug hinreißen, als sei sie keine zehn Sonnenläufe alt. Für einige lange Herzschläge stehen die Tage von einst glasklar vor ihr, so als würde es gerade erst passieren. Während der Schiffsjahre hatte Arwen nur wenig mit Soraya zu tun gehabt, sie genau genommen nicht einmal wirklich kennen gelernt. Was aber weniger an ihrer Base als an Arwen selber gelegen hatte. Die Schiffe der Rhaskeda'yawaren groß und geräumig gewesen, und trotzdem hatte eine Enge geherrscht, die es Arwen nicht leicht gemacht hatte, sich und andere vor dem Fluch und seinen Folgen zu schützen. Zwar hatten sie nach einigen Zwölfmonden eine Möglichkeit gefunden es zumindest teilweise zu beherrschen, aber wirklich leichter war das Leben damit auch nicht für sie geworden. Ihr Blick wandert umher und verhakt sich dann in dem ihrer Cousine. Das ist alles so lange her. Soviel ist seitdem passiert. Reiche wurden gegründet und gingen wieder verloren, Kriege geführt und verloren. Eide wurden geleistet und gebrochen. Ehen wurden geschlossen und wieder aufgehoben... und ein Fluch wurde gebrochen. Allein seit unserem 'Auf bald' ist soviel passiert, dass es für mehrere Leben reichen würde. Viele Wege trennen sich, aber manche sind dazu bestimmt, sich erneut zu treffen, und wenn die Götter den Grund kennen, ist es mir mehr als Recht, wenn sie dieses Wissen für sich behalten. Der Blick, mit dem Soraya sich in den Anblick ihres Weinkelches vertieft, lässt Arwen sie aufmerksam mustern. Irgendetwas bedrückt dich, Soraya, auch wenn du kein Wort darüber verlierst. Von deiner oft so überbordenden Lebensfreude ist nicht mehr viel mehr geblieben, vielleicht gar nichts. Aber als Erbin und Heerführerin Dùnes, nach Krieg und Gefangenschaft ist das vermutlich nicht einmal sonderlich ungewöhnlich. Schade ist es trotzdem.

"Ich weiß glaube ich noch ziemlich gut, was ich ihr alles erzählt habe, und sonderlich freundlich war ich an dem Morgen wirklich nicht. Aber böse war ich dir auch nicht." Sie sieht ihre Cousine wieder an und kann sich ein Schmunzeln bei den Erinnerungen die sich jetzt aus den Tiefen befreien nicht verkneifen. "Und bei dem, was ich ihr alles an den Kopf geworfen habe, hast du ganz bestimmt NICHTS verpasst, Vater. Was du allerdings verpasst hast, war die Vergeltung, die Ssartar  und Syla’ndeyon noch am selben am Abend für die unfreiwillige Übung zur Selbstbefreiung aus klatschnassen Zeltbahnen geübt haben. Wir waren alle zusammen ein Stück den Shannar hinauf gelaufen, um uns einen Platz etwas abseits des Lagers zum Baden zu suchen. Soraya ist von ihren Brüder kräftig getaucht worden. Ich anschließend übrigens auch, nachdem die drei sich schnell wieder vertragen hatten und sich darin einig waren, dass ohne mich niemand herausgefunden hätte, dass es Soraya gewesen war, die die Zeltschnüre gekappt hatte. Und die Familienehre des Hauses Dùne musste natürlich umgehen wiederhergestellt werden. Da ich Gildin und Andovar aber quasi als Geleitschutz hatte, ist daraus in eine ziemlich heftige, ziemlich alberne Wasserschlacht geworden." Freudige Wehmut lässt Silberfunken in Arwens Augen tanzen, als sie sich an jenen Abend erinnert. Für einige unbeschwerte Stunden war es völlig gleich gewesen, wer, was oder wessen Tochter sie war oder ob es einen Fluch gab, der sie zur Gefahr für jeden in ihrer Nähe machen konnte. Die Enge der Schiffe hatte ein Ende gehabt, sie mussten nicht mehr alle jeden wachen Moment daran denken, sich bloß zusammenzunehmen und sich in jeder Situation zu beherrschen um den fragilen Frieden in der Enge der Schiffe aufrecht zu erhalten. Sie waren alle sechs mit nassen Haaren und Kleidern die nur mit sehr viel gutem Willen noch als trocken bezeichnet werden konnten ins Lager zurückgekehrt. "Ja, Vater, ich denke da hast du etwas verpasst, an jenem Abend... das war als wir eigentlich nach wilden Zwiebeln und essbaren Kräutern hatten suchen sollen. Ich weiß gar nicht mehr, wie wir uns heraus geredet haben, dass wir keine mitbrachten, denn wilder Lauch und Rote Melde wuchsen dort überall."

Es wird noch viel geredet, in alten wie neuen Erinnerungen gekramt und gelacht während die Zeit vergeht und Shenrahs Auge immer höher am Himmel steig. Die Musiker habe sich längst zu einer Gruppe zusammengefunden und spielen ein ums andere Lied mit dem sie die ersten Tänzer um den Brunnen locken. Auch die jungen Männer aus ihrer Runde werden bald von Elbinnen zum Tanz gebeten. Einige der Frauen in Gewändern, die das öffentliche Geheimnis, dass alle nackt in ihren Kleidern stecken wahrlich nicht für sich behalten. Bei dem silberhaarigen Wesen, dass Gildin allerdings jetzt gerade um einen Tanz bittet, verschlägt es Arwen dann doch die Sprache. Gegen diese Elbin wirken selbst die Inari-Priesterinnen in ihren durchsichtigen Kleidern aus Feenseide so verhüllt und verschleiert wie die Schweigenden Schwestern der Sithech-Tempel. Es ist Rialinn, die ihren Onkel vor der Verlegenheit bewahrt, sich eine Ausrede für eine Ablehnung ausdenken zu müssen, während er der Elbin schon fast krampfhaft ins Gesicht sieht. Die Kleine hat nämlich beschlossen, dass es bei Mutter und Tante langweilig wird, wühlt sich aus den Kissen und wackelt mit kleinen Schritten zu ihrem Onkel, klettert auf dessen Schoß und verlangt "Erzähl mir was!" Worauf die Elbin erst Gildin und das Kind reichlich konsterniert anschaut und dann wortlos hocherhobenen Hauptes abrauscht. Arwen und Soraya sehen sich schweigend an und kämpfen heldenhaft um ihre Selbstbeherrschung, um nicht in lautes Lachen auszubrechen, als sie Gildins Gesicht sehen. Immerhin gelingt es ihnen fast, das verschluckte Kichern hinter vorgehaltener Hand könnte durchaus auch als Husten durchgehen – oder als Atembeschwerden. "Armer Gildin," kann Andovar sich das Frotzeln nicht verkneifen, "das kommt davon, wenn man als eine der besten Partien in der Stadt gilt. Du weißt doch: Zu Inari gilt die Jagd als eröffnet."  Der drohend geschwungene Bär den Arwens Bruder sich kurzerhand von Rialinn ausleiht, wirkt allerdings eher putzig als bedrohlich. "Ich weiß, ich weiß. Letztes Jahr ist es schon das gleiche gewesen." Er sieht Arwen an und setzt erklärend nach, "Seit bekannt wurde, dass du den Fluch gebrochen hast, bin ich nämlich auch wieder in den Kreis potentieller Heiratskandidaten gerückt worden." Arwens Bruder erntet einige mehr oder weniger ernst gemeinte Worte des Bedauerns ob seiner entsetzlichen Lage. Doch mit Rialinn auf dem Schoß scheint er tatsächlich eine Verschnaufpause gegönnt zu bekommen, und am Tisch breiten sich wieder rege Gespräche aus, und die Teller mit den Vorspeisen leeren sich zusehends.

Als die Spielleute dann die Einleitung zu einem bekannten Tanz anstimmen, fühlt Arwen sich von Andovar auf die Füße gezogen, der unumwunden erklärt, dass sie ihm diesen Tanz unmöglich abschlagen könne. Und in einem Akt männlicher Verschwörung nimmt ihr Vater ihr Rialinn aus dem Arm, die sich auch sofort mit Erdbeeren bestechen lässt und nicht zurück zu ihrer Mutter will. So um jedes Argument gebracht, warum sie nicht tanzen könne, bleibt Arwen gar nichts anderes übrig, als Andovar auf den Platz am Brunnen zu folgen, wo schon andere Paare in Reihen für den Tanz Aufstellung genommen haben. Was aus Soraya wird, die von Gildin ebenfalls zum Tanz aufgefordert wird, kann sie nicht mehr sehen, da sie sich irgendwo in der Mitte der Tanzenden wiederfindet. Kaum haben sie ihren Platz erreicht, da setzt auch schon die erste Strophe der Sänger den eigentlichen Tanz in Gang. Zum Glück ist es ein langsames Stück, bei dem ein kleiner Tambour gleichmäßig den Takt schlägt, während die Violen in der kleinen Musikertruppe sich die Hauptmelodie mit den Harfen gegenseitig zuspielten wie die Jongleure vorhin die Bälle. Das verschafft Arwen die Zeit, ihre Füße zu sortieren und sich an die Schritte für diesen Tanz zu erinnern, den sie seit einer halben Ewigkeit nicht mehr getanzt hat Die Tänzer standen sich in zwei Reihen gegenüber, verneigten sich und bewegten sich dann zur Mitte, um sich die Hände zu reichen. Der feste, ruhige Griff Andovars beruhigt sie wenigstens etwas, und mit leisen Gedanken zeigt er ihr immer welche Schritte als nächstes folgen. Vier Schritte in Richtung auf die Musikanten zu... dann die Knie beuge ... wieder vier Schritte machen... erneut an den Händen fassen... gemeinsam einen Kreis abschreiten bis man sich auf dem Platz des Tanzpartners befindet. Arwen atmet erleichtert auf, als sie die erste Schrittfolge ohne größere Peinlichkeiten wie Stolpern, Hinfallen oder jemandem auf Fuß oder Rocksaum treten absolviert hat und schenkt Andovar ein zögerndes Lächeln. Und dann geht es wieder von vorne los, die gleichen Schrittfolgen, nur dieses Mal in die entgegengesetzte Richtung, mit dem Rücken zu den Musikanten. Es wirkte beruhigend und unkompliziert, wie sie die Seiten wechseln und der Tanz in seinem langsamen Rhythmus hin und her wogt. Nach einigen Wiederholungen findet Arwen tatsächlich Gefallen an diesem Tanz. Schließlich verklingt die Musik, und der Tanz endet mit einer letzten Verneigung der Tänzer vor ihren Partnern. Andovar legt Arwens Hand auf seinen Arm und führe sie zu ihrem Tisch zurück wie Arwen erleichtert feststellt, denn die Musik, die nun aufkommt, ist deutlich schneller.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Soraya am 01. Aug. 2006, 23:13 Uhr
"Ihr müsst nämlich wissen, dass Soraya damals beileibe kein kleines Kind mehr war, von dem man solche Streiche erwartet hätte." Sorayas Gesicht verzieht sich zu einem breiten Grinsen, als sie mit zwei Finger nach ihrem Weinbecher angelt, doch seine maßregelnden Worte versetzen ihr auch einen leisen Stich. Als ob nur Kinder ein wenig lebensfroh und ausgelassen sein dürften... "Ach weisst du, Onkelchen," erwidert sie honigsüss und mit einem unschuldigen Augenaufschlag: "Es kann ja nicht jedes Elbenkind gleich erwachsen und mit mahnend erhobenem Zeigefinger auf die Welt kommen... und ich war eben ein Wildfang."
"Soweit ich mich erinnern kann, hat Arwen dir damals eine Standpauke gehalten, die sich gewaschen hatte, oder? Darüber, wie sich eine Tochter aus einem der Hohen Häuser in jenem Alter zu benehmen habe. Was sie sonst noch alles so gesagt hat, habe ich allerdings nicht mehr mitbekommen." Für einen Moment klebt Sorayas Zunge am Gaumen fest und der Wein in ihrem Mund verwandelt sich in Essig. "Wie sich eine Tochter aus Hohem Haus zu benehmen hat, darüber hatten wir schon immer sehr verschiedene Vorstellungen, Tianrivo," antwortet sie förmlich. Sie kennt die starken Prinzipien ihres Onkels, doch seine Art, sie mit der Nase darauf zu stoßen, was er offenbar von ihrem Benehmen hält, erscheint ihr hier und jetzt - und eingedenk der Tatsache, dass diese Ereignisse und ihre gesamte Unbeschwertheit hunderte von Jahren zurückliegen -, mehr als fehl am Platz.

"Ob ich damit etwas verpasst habe, kannst nur Du mir sagen, Soraya.... Aber wirklich böse war sie dir nicht, und wir anderen auch nicht. Zum einen waren wir alle viel zu erleichtert, endlich Land erreicht zu haben. Und zum anderen war es bei vielen der während der Schiffsjahre geborenen Kindern so, dass sie viel länger Kinder zu bleiben schienen." Soraya dreht ihren Weinkelch nachdenklich in den Fingern und beobachtet das Glitzern des Sonnenlichts auf seinem silbernen Rand. Das heißt dann wohl durch die Blume gesprochen, dass ich auch nie erwachsen wurde... "Eigentlich kein Wunder in Anbetracht der Umstände unter denen sie bis dahin aufgewachsen waren. Und dann, an Land schienen sie auf einen Schlag alles nachholen zu wollen... und zum Leidwesen aller Älteren auch die Dummheiten und Streiche für die es auf den Schiffen nie Raum und Gelegenheit gegeben hatte." "Keine Gelegenheit für Streiche?" Ihr bittersüßes Lächeln wird eine Spur offener. "Das würde ich so nicht sagen. Ich weiß ja nicht, wie es auf Eurem Schiff zuging, Onkel, aber auf der Schweigen war ich der Schrecken, der alle in Atem hielt," sie beugt sich ein wenig vor, um mit verschwörerischer Miene in die Runde zu lächeln: "Und dabei waren Krebse in den Hängematten, bemalte Segel, Butter auf den Planken und versteckte Werkzeuge noch das kleinste Übel. Und die Standpauke von Arwen war nichts im Vergleich zu den Strafpredigten, die ich mir von der Ältesten und Höchstgeehrten anhören durfte. Allen Göttern sein Dank, konnte ich mich dabei gelegentlich wenigstens hinter Tenn'ra Ninianes Rockzipfeln verstecken." Sie legt die Hand auf die Brust und verkündet theatralisch: "Nur deswegen lebe ich noch." Als ihr Onkel einen Tost auf sie und Arwen spricht, stimmt sie nicht mit ein. Erst als Tianrivo auch Gildin und Andovar einbezieht, hebt sie ihren Becher und prostet den Beiden beiläufig zu.

"Und bei dem, was ich ihr alles an den Kopf geworfen habe, hast du ganz bestimmt NICHTS verpasst, Vater. Was du allerdings verpasst hast, war die Vergeltung, die Ssartar  und Syla’ndeyon noch am selben am Abend für die unfreiwillige Übung zur Selbstbefreiung aus klatschnassen Zeltbahnen geübt haben. Wir waren alle zusammen ein Stück den Shannar hinauf gelaufen, um uns einen Platz etwas abseits des Lagers zum Baden zu suchen. Soraya ist von ihren Brüdern kräftig getaucht worden. Ich anschließend übrigens auch, nachdem die drei sich schnell wieder vertragen hatten und sich darin einig waren, dass ohne mich niemand herausgefunden hätte, dass es Soraya gewesen war, die die Zeltschnüre gekappt hatte. Und die Familienehre des Hauses Dùne musste natürlich umgehend wiederhergestellt werden. Da ich Gildin und Andovar aber quasi als Geleitschutz hatte, ist daraus in eine ziemlich heftige, ziemlich alberne Wasserschlacht geworden."
"Wurde sie ja auch. Die Familienehre, meine ich. Wenn ich mich recht entsinne, sahen du und deine... Eskorte ziemlich... nass aus." Ein spöttelndes Funkeln schimmert durch Sorayas Blick, doch obwohl Myliaris sie fragend ansieht, erzählt sie nicht weiter. Erinnerungen an längst vergangene Tage gut und schön, doch im Hier und Jetzt gibt es genug, dass ihre Gedanken ganz anderweitig beschäftigt und nicht sonderlich zum Lachen ist. Abgesehen davon... hatte der Morgen noch viel Ausgelassenheit und Unbeschwertheit versprochen, ist ihre Freude an dem Fest mittlerweile reichlich getrübt. Die Unruhe, die sich nicht mehr abschütteln lassen will und der Ärger, den sie über Tianrivos Worte und diese... Beurteilung ihrer Selbst verspürt, gewinnen langsam die Oberhand. Auch als der Nachmittag vorbeizieht und mit ihrem Scharen von leichtbekleideten Mädchen, die allesamt den Männern in ihrer Runde schöne Augen machen, hält sich Soraya also weitgehend aus den lustigen Gesprächen um lustige Situationen in ihrer aller Vergangenheit heraus. Stattdessen verfolgt sie, wie sich das strahlende Blau des Himmels erst mit goldenen, dann mit rosafarbenen Dunststreifen überzieht, bis sich über die Häuserdächer hinweg die dunkelblauen Schleier der Nacht ankündigen.

Die fröhliche Musik ist ein wenig wilder geworden, statt Harfe und Leier spielen nun trillernde Flöten und rollende Trommeln, deren Klang den Takt der Tänze untermalen. Als Gildin von einer silberhaarigen, nackten - oder fast nackten - Elbin zum Tanzen aufgefordert wird, verhindert Rialinn prompt jegliche Annäherung, indem sie sich frech einfach auf den Beinen ihres Onkels niederlässt und die verführerische Schönheit mit missbilligendem Blick betrachtet. Soraya kann gerade noch eine Hand vor ihren Mund halten, um das spöttische Kichern wie ein unterdrücktes Husten zu verwandeln, als Gildin dem erbosten, silberhaarigen Wesen anscheinend immer noch mit verschlagener Sprache hinterherstarrt. "Seit bekannt wurde, dass du den Fluch gebrochen hast, bin ich nämlich auch wieder in den Kreis potentieller Heiratskandidaten gerückt worden." Das reißt selbst Soraya aus ihren Gedanken, die immer noch unablässig um Wissen, von dem sie allmählich wünscht, es nie erlangt zu haben, ihren Vater und seine möglichen Vorhaben kreisen. Oh Gildin, bitte... Sie weiß nicht, welcher Dämon sie in diesem Augenblick reitet, aber sie kann einfach nicht anders, als sich zu Gildin hinüberzulehnen und ihm so leise, dass nur er sie hören kann, zuzuraunen: "Gildin, geliebter Cousin, ich sage dir das nur sehr ungern, aber..." sie schüttelt sacht den Kopf,  lässt ihre Wimpern in kokettem Klimpern über ihre Augen tanzen und blinzelt ihn treuherzig an, "das hatte wirklich nichts mit Arwens Fluch zu tun... " Als Gildin sie daraufhin prompt zum Tanzen auffordert, ist sie überrascht, hätte sie doch eher damit gerechnet, für ihre schmeichelhaften Worte seinen Ellenbogen zwischen die Rippen zu bekommen.

Um ihr Erstaunen zu überspielen setzt sie zuerst ihren leeren - und mittlerweile fünften - Weinbecher ab und beobachtet wie Andovar Arwen an einer Hand zum Tanzboden führt, wo sich die Paare in zwei geraden Reihen aufstellen. Sie kennt die Musik, sie kennt die Schritte und sie ist gewiss keine miserable Tänzerin, doch... Nein. Ich sollte besser gehen. Mit einem entschuldigenden, halben Lächeln legt sie den Kopf in den Nacken und sieht zu Gildin auf, der wartend neben ihr sitzt und sie aufmerksam betrachtet: "Ich bin abgeneigt eurem Ersuchen die Einwilligung zu erteilen..." näselt sie höchst vornehm. "Das heisst Nein." Der spöttelnde Unterton in ihrer Stimme ist nicht zu überhören, doch dann wird sie ernst. "Ich gehe lieber, Gildin, ich hätte besser gar nicht herkommen sollen." Myliaris neben ihr wendet abrupt den Kopf und ein vorsichtiges Senden seinerseits kribbelt hinter ihrer Stirn, doch sie sperrt sich dagegen und lässt die gedankliche Botschaft ungehört. Mit einer fließenden Bewegung erhebt sie sich, hebt Virintuil vom Grund auf und befestigt es an ihrem Gurt, ohne auf die Blicke der anderen zu achten. Als sie die Klinge sicher festgeschnallt hat, blickt sie zu ihrem Onkel, wendet sich dann ein Stück um und sucht Arwen in der tanzenden Menge. "Wie gut, dass mir in den letzten Jahrhunderten ein so unbeschwertes Leben beschieden war," bemerkt sie kühl. "Da habe ich doch glatt fast mein ganzes Kindsein verloren." Sie wartet nicht mehr auf Widerspruch oder Fragen oder womöglich noch eine Maßregelung, schenkt Myliaris und Gildin, sowie Therlas noch ein flüchtiges Nicken und geht dann ohne sich noch einmal umzusehen über die Wiesen in Richtung Straße davon.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Mitarlyr am 05. Aug. 2006, 19:58 Uhr
Gespannt verfolgt Gildin den Wortwechseln zwischen seinem Vater und seiner Base, und es fehlt nicht viel, dass er skeptisch eine Augenbraue hebt. Immerhin ist es Soraya gewesen, die von dieser uralten Zeltgeschichte angefangen hat und davon, wie wenig Arwen damals darüber lachen konnte. Allerdings scheint ihr die Richtung, in die sich das Gespräch nach diese Anekdote weiterentwickelt alles andere als zu gefallen.  Was hat sie erwartet? Dass wir die Wasserschlacht vergessen hätten?... Himmel, wir haben so sehr gelacht an jenem Abend, auch Arwen, die sonst immer so ernst war. Das werde ich wohl nie vergessen... Warum sie sich jetzt so aufführt, als habe ihr jemand besagte Ermahnungen von diesem längst vergangenen Morgen eben gerade erst erteilt, weiß vermutlich nur Soraya selber. Auf die Idee, seine Cousine könnte die Äußerungen seines Vaters womöglich als dessen Meinung zu ihrem momentanen Verhalten interpretieren, käme er nicht im Entferntesten. Ganz abgesehen davon, dass die Soraya der Gegenwart (und jene, die ihrem Vater im Kampf um das Reich Dùne als Heerführerin gedient hat) nur noch höchst wenig mit jener unbekümmerten, jungen Elbin zu tun hat, die damals die Zeltleinen gekappt hatte.
Als sie dann von dem Unfug erzählt, den sie während der Schiffsjahre auf der 'Schweigen' zu Zeiten getrieben hatte, hat sie so manches leise Lachen und Schmunzeln auf ihrer Seite.  Sie alle können sich nur zu gut vorstellen, wie Nir'ialyras Strafpredigten ausgefallen sind, und dass deren Tochter Niniane sicher nicht der schlechteste Schutz vor einem solchen Donnerwetter gewesen ist. In Gedanken muss er seiner Cousine allerdings Recht geben, wenn er an die Schiffsjahre zurückdenkt. Du weißt wirklich nicht, wie es damals bei uns auf der 'Erinnerung' zuging, Soraya. Nachdenklich taucht sein Blick in den goldenen Sommerwein in seinem Becher, so als könne er dort die Bilder der Erinnerung gespiegelt sehen. Auch bei uns habe die Kinder nicht mit mahnend erhobenem Zeigefinger das Licht Rohas erblickt. Und die Götter wissen, es waren wenige genug, die geboren wurden. Jedes einzelne von ihnen war uns so kostbar, dass jeder an Bord alles getan hat, damit sie so unbeschwert aufwachsen, wie es irgend möglich war. Vater ist zwar ein ernster Mann, manchmal vielleicht auch etwas zu ernst. Aber er war mehr als nur einmal das Ziel irgendwelcher Streiche auf unserem Schiff.... Und so selten es auch vorkommt, er konnte – und kann – sehr gut über sich selber lachen. Nur mit einem hast Du Recht, liebe Cousine, solche Dinge wie Butter auf den Planken oder Krebse in den Hängematten sind so gut wie nie passiert. Dazu war die Sorge um die Dauer der Reise und ob die Vorräten, Lebensmitteln und Futter für die Tiere so lange reichen würden einfach bei allen zu groß. Und DAS haben selbst die Kinder früh gelernt. Ebenso wie alle, Erwachsene wie Kinder, nicht lange gebraucht haben, um das schätzen zu lernen, was Amurs Reich uns an Nahrung gab.

Als Tianrivo das Glas zu einem Trinkspruch auf Arwen und Soraya erhebt, seine Cousine aber zuerst nicht einmal Anstalten macht, überhaupt zu ihrem Kelch zu greifen, wird Gildins Blick ernst. Durchdringend mustert er seine Base. Fast ist er versucht, sie sich zu schnappen und in einer stillen Ecke ein erstes Wort mit ihr zu reden, um zu erfahren, was dieses merkwürdige Benehmen soll, lässt es dann aber.  Die Gespräche wenden sich schnell wieder fröhlicheren Erinnerungen zu als den Schiffsjahren und Arwen wird nach und nach über all die größeren und kleineren fröhlichen Ereignisse in Kenntnis gesetzt, die in den letzten Jahren Stadtgespräch in Lomirion gewesen sind. Nicht alles davon bekommen Gildin und Andovar mit, denn immer wieder werden sie zum Tanzen aufgefordert. Und nur selten gelingt es ihnen, dieses so abzulehnen, dass sich niemand zurückgewiesen oder gar beleidigt fühlt. Und Solche Hilfe wie von Rialinn bei jenem silberhaarigen Wesen erhält er leider viel zu selten. Der Kommentar seiner Cousine zu den von ihm vermuteten Gründen, warum er sich seit letztem Jahr wieder in der Liste möglicher Schwiegersöhne findet, verschlägt ihm allerdings die Sprache und lässt den Schluck Wein in seinem Mund sich umgehend in Essig verwandeln. Sein Gesicht ist so unbewegt wie das seines Vaters, der die Worte ebenso gehört hat und seine Nichte ernst ansieht. Doch Gildin kostet es sichtlich mehr Anstrengung, diese Maske zu wahren. Nur sein Vater kann am Grund seiner Augen ein wütendes Funkeln erahnen, und Gildin sieht aus den Augenwinkeln die beschwichtigende Geste seines Vaters, und neben mitfühlendem Verstehen auch Mahnung in dessen Blick, jetzt nicht die Beherrschung zu verlieren. Musste das sein, Soraya? Ly'relara ist erst vor drei Sonnenläufen in die Stille von Sithechs Hallen eingegangen . Und du kannst Dir so gut wie jeder andere denken, dass der Fluch der Grund war, warum ihre Familie nicht in eine Vermählung einwilligen wollte... Mühsam schluckt er jede Erwiderung herunter, die ihm auf der Zunge brennt und folgt Andovars Beispiel. Dankbar, dass sein Freund Arwen keine Gelegenheit lässt, über das eben gehörte nachzudenken oder gar Fragen zu stellen zu der vor ihr bisher verschwiegenen Geschichte um Gildin und Ly'relara, fordert er seine Cousine kurzerhand ebenfalls zum Tanzen auf. Nur um sich postwendend einen Korb zu holen. Und den noch auf eine derart gedrechselt formulierte Art, dass sich sein Mund ungewollt zu einem schiefen Schmunzeln verzieht. Ein Schmunzeln, dass sich bei den Worten mit dem Soraya sich erhebt und ihre Runde verlässt allerdings umgehend in Nichts auflöst. Ernst sieht er ihr hinterher, einem dunkel gewandeten Rücken, der unter all den hellen, farbenfrohen Gewändern mehr auffällt als ein Pfau. Ich weiß nicht, was mit dir los ist, Cousine, was dich bedrückt... aber.. vielleicht wäre es wirklich besser gewesen, du wärest heute nicht gekommen. Was du brauchst ist kein Festtag, sondern einen Sandsack, an dem du was auch immer abreagieren kannst.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Arwen am 06. Aug. 2006, 22:34 Uhr
Als Arwen und Andovar wieder bei ihrer Familie am Tisch unter den Bäumen anlangen, sitzt Gildin dort, als habe er den Tisch gar nicht erst verlassen. Und Soraya ist nirgends zu sehen. Ihr fragender Blick bleibt nicht unbemerkt, und wird von ihrem Bruder auch umgehend beantwortet. "Soraya ist gegangen. Gleich nachdem sie mir einen Korb gegeben hat. Sie meinte, sie hätte besser gar nicht hierher kommen sollen. Tja, wie es scheint gehöre ich nicht zu ihren bevorzugten Gesellschaftern." Die Gedanken ihres Bruders, dass ihre Cousine anscheinend auch noch mit ein paar anderen Dingen so ihre Probleme gehabt habe, und das eine oder andere Wort besser für sich behalten hätte, sind so intensiv, dass Arwen nicht umhin kann, sie wahrzunehmen. Sie hat bis zu diesem Moment keinen Grund gehabt, ihre geistige Wahrnehmung über das übliche Maß hinaus abzuschirmen. Etwas, das sie jetzt augenblicklich ändern und ihr ganzes Denken und Fühlen gegen ihren Bruder abschirmt, zu persönlich, zu privat ist das, was sie ungewollt aufgefangen hat. Kurz senkt sie den Blick um sich wieder zu fangen und lässt sich dann von Andovar an ihren Platz führen, wo Rialinn sie auch schon sehnsüchtig erwartet und erklärt, dass sie schon wieder (oder noch immer? ) Hunger habe. "Hunger? Schon wieder?" Arwens Blick huscht zu der unterdessen leeren Schale in der vor dem Tanz zu dem sie Andovar entführt hatte noch lauter glänzende Erdbeeren gelegen haben. "Du hast doch gerade erst die Erdbeeren gegessen. Wie kannst du da schon wieder Hunger haben, Rialinn?" Ihre Tochter vergräbt den Kopf an ihrer Schulter, und das undeutliche Gemurmel soll wohl so was wie "Der Bär hat alle gegessen" heißen. Nur kurz wendet sie den Blick von ihrer Tochter ab und schaut in den Himmel. Der Tagesstern hat seinen höchsten Stand schon ein wenig überschritten, lange kann es nicht mehr dauern, bis die Prozession der Inaripriester sich auf den Weg macht und dann auch das eigentliche Festmahl eröffnet wird. "Nicht mehr lange, min Lora, dann gibt es lauter feine Sachen zu essen. Hmm? Bist du schon so groß, dass du noch ein wenig warten kannst?" Ein wenig Hin und her, und etwas Bestechung mit Granatapfelsaft später lässt sich Klein-Rialinn dann doch davon überzeugen, dass sie noch ein wenig warten kann. Aber nur, wenn sie dann auch ganz bestimmt was zu essen bekommt.

Lange dauert es dann allerdings wirklich nicht mehr, bis mit einem dumpf nachhallenden BADUMMUMMUMMM der großen Trommel auf der Inneren Mauer der Aufbruch der Prozession am Inaritempel verkündet wird. Auf diesen Laut hat die ganze Stadt seit dem Morgengrauen hingefiebert, und jetzt, als er endlich über die Stadt und durch die Straßen vibriert, scheinen alle und alles den Atem anzuhalten. Für einen Herzschlag lang verstummen Lachen und Reden, Lieder und Musik, Vogelzwitschern und Feenlachen, selbst der Wind flüstert nicht mehr über Sonnensegel und durch Blütenblätter. Nur um im nächsten Moment als erwartungsvolles Vibrieren bis in die letzte Gasse zu dringen. Ganz leise, von fern noch, kündigen leise Zimbeln, Harfen und silbrige Flötentöne das Nahen der Prozession an. Doch die fernen Töne werden immer voller, mischen sich mit dem Flirren zahlloser Schellenkränze und dem Rollen der Handtrommeln zu einem aufwühlenden Klang, der wohl kaum einem nicht unruhige Schmetterlinge in der Magengrube beschert. Überall auf dem Platz rascheln Stoffe, huschen beschuhte wie bloße Füße über kühles Gras als sich nach und nach alle erheben um einen Blick auf den geschmückten Wagen mit der Inaristatue zu erhaschen und der Göttin der dieser Tag geweiht ist, die erste Referenz zu erweisen. Stimmen mischen sich unter die Instrumente, intonieren die sakralen Gesänge zu Ehren Inaris, denen auch die höchst sinnlichen Texte nichts von ihrer Heiligkeit nehmen können. Ein ganzer Schwarm Feen mit schimmernden Flügeln und regenbogenbunten Kleidern schwirrt heran und ihnen folgen die Schleiertänzerinnen. Es ist ein wirbelnder Reigen aus Schleiern in Zinnober, Rubin, Purpur, Karmesin und Gold, der die schlanken Körper der Tänzerinnen umspielt, hauchzarte Röcke, die Blütenblätter aufwirbeln und den Duft von Rosenblüten und Jasmin aufsteigen lassen. Hüften wiegen sich, Augen funkeln vor Vergnügen, Lachen mischt sich unter die Gesänge, rot gefärbte Füße blitzen auf. Mit jedem wiegenden Hüftschwung, den schlangengleichen Bewegungen der Arme und dem lockenden Spiel der Augen und Hände verströmen die Tänzerinnen eine ansteckende Sinnlichkeit und Lebenslust. Maskentänzer mischen sich unter die Schleiertänzerinnen und huldigen ihrer Göttin mit Akrobatik in der sich schlanke Körper biegen wie junges Schilf im Wind und mit Sprüngen so hoch, als wollten sie den Vögeln ihr Reich streitig machen.
Rotfüßige Novizinnen in Schleierröcken umgeben den Wagen, der nun auf den Platz einbiegt und goldgegürtete Novizen führen die Grauschimmel, die den Wagen mit der Statue Inaris ziehen. Ein wahres Meer aus Orchideen hüllt den Wagen in einen fast betäubenden Duft, und einige Ranken winden sich noch an der halb in einer aus feinstem Harchamarmor gearbeiteten Orchideenblüte verborgenen Statue empor. Die Figur einer unbekleidete Elbin von höchster Schönheit zeigt ein Lächeln jener geheimnisvollen Art, das alles und nichts verspricht. Zu Füßen der Statue kniet der Hohepriester des Inaritempels, ein muskulöser Elb mit honiggoldener Haut, silberblonden Haaren und smaragdgrünen Augen die fast ebenso geheimnisvoll-versprechend sind wie die der Statue über ihm. Zeremonielle Muster in leuchtendem Rot ziehen sich über seine glänzende Haut, und das Gold der Armreifen schimmert ebenso wie die goldgewirkte Schärpe die das einzige Kleidungsstück ist, das er an diesem hohen Festtag trägt. "INARI!" ruft er die Göttin mit unerwartet sonorer Stimme an. Priester, Novizen, Tänzerinnen und mit ihnen alle Musiker und Feiernden auf dem Platz antworten ihm, in dem sie singend den Namen der Herrin von Liebe und Lust ebenso wiederholen wie die ihrer Archonen. Auch wenn die Wollust sicher an diesem Tag, und noch viel mehr in der Nacht ihren Platz hat, so ist doch den meisten immerhin bewusst, dass es hier um sehr viel mehr geht: Um die Erneuerung des Lebens in seinem ewigen Kreislauf und die Beschwörung der Fruchtbarkeit Rohas und seiner Geschöpfe. In keiner Nacht des Jahreskreises schlägt der Puls des Lebens lauter und wilder als in der Nacht die jenen Mondlauf eröffnet, der nicht ohne Grund Inari geweiht ist. Die Prozession verlässt den Platz am Palasttor und zieht weiter durch die Straßen der Stadt. Und nicht wenige, die zuvor noch die relative Abgeschiedenheit dieses Platzes gesucht haben, folgen nun dem Wagen und den Priestern, die einen, um mit einer Berührung des Wagens oder einem Segen der Priester Glück in Liebesdingen zu erlangen, die anderen um eine der Tänzerinnen im Kreis zu wirbeln und vielleicht sogar einen Kuss zu erhaschen.

Schellenklang, Harfen, Flöten und Zimbeln vermischen sich mit dem zeremoniellen Sprechgesang der Priester, entfernen sich langsam und sind dann nur noch ein vibrierender Nachhall in der Luft. Ein kaum hörbares Raunen geht über den Platz, so als hätten alle für kurze Zeit den Atem angehalten und würden es jetzt erst bemerken. Sogar Rialinn ist ganz ruhig geworden, hat die ganze Zeit vom Arm ihrer Mutter aus großen Augen das bunte Treiben um sich her beobachtet, zu Trommeln und Zimbeln gewippt und versucht eine der Feen zu erhaschen, die überall herumschwirren. Auch Arwen fällt es nicht leicht, dem lockenden Ruf der Trommeln zu widerstehen, dem Drang sich zu bewegen und zu tanzen. Und das ist auch nicht unbemerkt geblieben, denn nachdem die Prozession weitergezogen ist, wird sie von ihrem Vater gefragt, ob sie doch lieber auf den großen Festplatz möchte. "Nein, Eamo. Der große Festplatz wäre... das wäre nicht... er wäre nicht das richtige für mich... zu viel... zu viele Leute." Ihr Blick wird scheu bei der doch reichlich gestammelten Erklärung, die trotzdem nicht annähernd beschreibt, welches Unbehagen Arwen alleine der Gedanke bereitet, sich in einer solchen Elbenansammlung zu bewegen. Aber im Blick ihres Vaters findet sie nur wortloses Verständnis, was ihr ein erleichtertes Lächeln entlockt.
Gerade als Rialinn wieder anfängt nach dem Essen zu fragen, sie habe doch jetzt gewartet, breitet sich wieder erwartungsvolle Stille über der Stadt aus, erlischt das stetige Summen aus Gesängen, Lachen, Jubel, Flüstern und Reden. Die Predigt und die Segensworte des Hohepriesters können sie hier nicht hören, aber die von Tausenden wiederholten Namen der Göttin und ihrer Archonen werden von den Hauswänden zurückgeworfen und breiten sich Straßen und Gassen aus wie Wellen auf dem Meer. Und dann folgt dem Echo zahlloser Stimmen goldener Dunst, der über dem großen Festplatz aufsteigt, sich herabsenkt wie sanfter Nebel in einem Tempel. Doch dieser Nebel duftet nicht nach Weihrauch sondern nach Orchideen, ist so golden wie Sommerwein und geht einem zu Kopf als habe man von eben jenem Wein getrunken ohne einen wirklich trunken zu machen. Und er breitet sich aus, immer weiter, über den großen Festplatz, hüllt jedes Haus und jedes Gebäude ein, weht durch Straßen und Gassen und hüllt schließlich die ganze Stadt ein. Ein sichtbares Zeichen dafür, dass Inaris Segen auch in diesem Jahr mit Lomirion und seinen Bewohnern sein würde.

Der Golddunst hat sich kaum verzogen, als sich die Tische wie aus dem Nichts mit den köstlichsten Speisen füllen: Brote, salzige und süße neben gesäuerten und ungesäuerten, hauchdünne Fladen, dunkles und weißes Brot neben goldenem Shenrahbrot. Flusskrebse mit wildem Spargel in Orangensauce, in Milch gesottenes Zicklein, gebratene und gedünstete Hühner, gebackene Wachteln, gedämpfte Mangoldröllchen mit Fisch, gebutterte Schnecken und gebackene Muscheln um die Arwen einen großen Bogen macht, junges Gemüse in Butter geschmort oder überbacken, kleine Pfannkuchen mit süßen und pikanten Füllungen, Lammragout mit Aprikosen, gefüllte Hühner, Juwelenreis, Kartoffeln wahlweise gedämpft, gebacken oder geröstet, Salate aus Gurken und Granatapfelkernen, aus Weizenschrot mit Petersilie, Minze und Zitronensaft oder aus Möhren und Orangen, geräucherter Schinken und goldener Räucherfisch, Rinderlende in dunkler Sauce, Fisch in Kräuterpaste, geschmortes, gesottenes, Gebratenes und Gerilltes, geröstete oder gewürzte Nüsse, Obst und Früchte in großer Auswahl, neben den von Rialinn so geliebten Erdbeeren sogar die kostbaren Baelfrüchte, unzählige Käsesorten, Purpur-Reis, gestoßenes Eis mit süßem oder saurem Sirup, Honig, kandierte Früchte und Veilchen, Honigkugeln, süße Reisbällchen, Gelee aus Rosen- und Orangenwasser, süße Mandelmilch mit feinen Streifen der herben Orangenschale und noch andere süße Nachspeisen. Kurz gesagt, es ist für jeden etwas dabei, und wer nichts nach seinem Geschmack findet oder gar hungrig bleibt, ist es selber schuld.

Das allgemeine Stimmengemurmel rund um den Platz nimmt zwar etwas ab, während sich alle eine Platz suchen und damit beginnen sich aus der Vielzahl der Speisen etwas auf ihre Teller zu füllen, doch so ganz verstummen die Gespräche nicht, ebenso wenig wie die Musik. Sachte Melodien sind es, in denen sich Violen und Harfen die Töne abwechselnd mit den Flöten zuspielen, untermalt von dem ruhigen Takt eines Tamburins - kein Vergleich mit den treibenden, aufwühlenden Rhythmen der Maskentänzer vorhin, aber zum Essen deutlich angenehmer. Und es ist unschwer zu erraten, dass zu späterer Stunde Musik und Tänzer wieder erheblich lebhafter sein werden. Arwen selber kommt anfangs gar nicht zu essen, sondern ist vollauf damit beschäftigt, ihrer Tochter beim Aussuchen des Essens, dem Füllen des Tellers zu helfen und anschließend möglichst unauffällige Unterstützung bei Rialinns "Ich bin schon groß und kann alleine essen"-Aktion zu leisten. Immerhin hat sie in weiser Voraussicht das große Leintuch vom Morgen eingepackt, das sie ihrer Tochter jetzt wieder umbindet um das hellgrüne Kleid vor einem bunten Muster aus Sauce, Buttergemüse, Honigkugeln und Granatapfelsaft zu bewahren.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Arwen am 20. Aug. 2006, 09:20 Uhr
Nachdem ein letzter Bissen geschmorter Rinderlende Rialinns bunten Reigen aus Schmorfleisch, Orangengelee, Fischröllchen, Honigkugeln, Shenrahbrot mit Frischkäse und nicht zu vergessen der Erdbeeren beendet hat, ist das Kind nicht nur satt, sondern auch müde. Etwas, worüber Arwen alles andere als böse ist, denn so kann sie ihre Tochter samt Kuschelbären in ein rasch aus Kissen und Decken zusammengeschobenes Nest im Schutz des Ginsterbusches zur Ruhe legen. Erst jetzt kommt sie selber auch dazu, etwas zu essen. Um die Schalen mit Muscheln und Schnecken macht sie einen großen Bogen, dafür hat sie sich noch nie erwärmen können. Aber das Flusskrebsfleisch mit dem grünen Wildspargel in sahniger Orangensauce, das hat es ihr angetan. Sie alle lassen sich ausgiebig Zeit mit dem Essen und rege Gespräche begleiten das Festmahl. Es wird erzählt und gelacht, in Erinnerungen gekramt und über die Zukunft spekuliert. An Khelenar und die von ihm verursachten Sorgen verschwendet vorerst keiner von ihnen einen Gedanken. Mit einem Lächeln setzt Arwen sich ein wenig zurück und lässt den Blick über die Runde aus Familie und vertrauten Freunden wandern während sie aus einer Holzschale in ihrer Nähe von den dunkelroten Frühkirschen nascht. Diese lebendige Unbeschwertheit, die sie alle umgibt hätte sie gerne in eine Schachtel gesteckt und für immer aufbewahrt.

Ohne, dass sie es bemerkt, verliert sich Arwens Blick in den Blumenranken am Brunnen. Obwohl... Sie sieht weder den Brunnen selber noch die sich um ihn im Tanz drehenden Paare wirklich an, ihr Blick geht durch all das hindurch in gedankenverlorene Ferne. Die Gespräche um sie herum verstummen nicht, und trotzdem weckt sie nach einer Weile ein leises Kribbeln hinter der Stirn aus ihren Gedanken. Ein Kribbeln, wie sie es manchmal verspürt, wenn jemand sie beobachtet. Aber sie fühlt sich nicht im Geringsten unwohl oder gar bedroht. Und als sie den Blick wieder vom Brunnen zurück in die Tischrunde lenkt, sieht sie direkt in Therlas' Gesicht und in ein sachtes, entschuldigendes Lächeln. "Therlas." Arwen erwidert das Lächeln des Elben. Sie kennt ihn schon fast so lange wie sie sich zurückerinnern kann: Erster unter den Rittern ihres Vaters, Heerführer und Waffenmeister das Hauses Mitarlyr, und derjenige, der ihr einst die Feinheiten im Umgang mit Schwert und Bogen beibrachte. "Ihr seht mich so an als hättet ihr eine Frage... oder... als hätte ich von den Kirschen Flecken im Gesicht." Eigentlich sollen diese Worte nur ein Scherz sein, doch Therlas nimmt sie für bare Münze, hebt in einer abwehrenden Geste die Hände und sieht sie erschreckt an. "Himmel, nein! So war das nicht gemeint. Verzeiht, Tennra, ich wollte euch nicht anstarren." Arwen kann gar nicht so schnell reagieren und den Elben in seinem Redefluss unterbrechen, wie der verlegen die Worte hervorsprudelt. "Therlas, nicht. Nein. Hört auf, Ihr braucht... Nun lasst doch... Himmel, Gildin, hilf mir, ihm zu erklä-" Doch ihr Bruder scheint nicht gewillt zu sein, ihr aus der Verlegenheit zu helfen, sondern sieht von einem zum anderen und amüsiert sich offensichtlich wunderbar. Schließlich weiß Arwen sich schließlich nicht mehr anders zu helfen, als Therlas schweigend und ernst anzusehen bis dem regelrecht die Worte der Entschuldigung im Hals stecken bleiben. Und es kostet sie fast ihre ganze Selbstbeherrschung, dabei wirklich ernst zu bleiben. Aber sie hat damit zumindest den Erfolg, dass sie endlich zu Wort kommt. "Therlas, bitte, hört sofort auf, eine Frage, die ich im Scherz gestellt habe so entsetzlich ernst zu nehmen und euch zu entschuldigen, wo es keinen Grund dafür gibt. Und lasst dieses 'Tennra'. Ich kenne euch, seit ich ein kleines Kind war. Schlimm genug, dass euer Sohn mich hier in Lomirion neuerdings nur noch mit Shu'ra anredet und anscheinend meinen Namen vergessen hat, aber fangt Ihr bitte nicht auch noch damit an."
Götter im Himmel, da hat sie was angerichtet. Therlas'  Blick richtet sich fast augenblicklich auf seinen Sohn, die offene Frage im Blick, was ihm da eingefallen sei die Tochter seines Lehnsherrn einfach nur mit ihrem Namen anzureden. Heilige Mächte!  Manchmal ist Therlas noch pflichtbewusster als Vater... und noch strenger was Umgangsformen angeht. Sie nimmt dem Elben seine Art nicht übel, dazu kennt sie ihn zu lange und weiß nur zu genau, wie eng er ihrem Vater verbunden ist. Die beiden Männer haben Dinge gemeinsam durchgestanden, die sie mehr verbinden als heilige Eide es je vermöchte. Aber wenn sie nicht will, dass ihre unbedachte Wortwahl für Andovar noch in dieser Nacht eine ernste Ermahnung nach sich zieht (und vermutlich obendrein noch einen längeren Vortrag darüber, wie man sich gegenüber der Tochter des Truchsessen zu benehmen hat), dann muss sie das so schnell wie möglich klarstellen. "Therlas, bitte... als Andovar bei mir... als Gildin ihn zu meinem Schutz in Talyra bleiben ließ... sind wir einander..." Es fällt ihr schwer, die richtigen Worte zu finden. Und um Zeit zu schinden nimmt sie erst einmal einen Schluck von ihrem Wein. "Er hat mir geholfen, als ich mich um die Beisetzung des Templers kümmern musste." Fast drei Jahre sind vergangen, aber es fällt ihr noch immer schwer, seinen Namen auszusprechen. "Es war dabei, als der Fluch gebrochen wurde, hat mit mir eines dieser entsetzlich steifen Festessen des Stadtrates zum Inarifest ertragen und hat mir beigestanden, als Rialinn geboren wurde. Es gibt Dinge, die kann man nicht tun, ohne sich dabei sehr nahe zu kommen, Therlas, und enge Freundschaft zu schließen. Und sagt nicht, ihr würdet das nicht kennen." Arwens Blick wandert mit einem sachten Lächeln von Therlas zu ihrem Vater und wieder zurück. "Und solche Freundschaften lassen dann keinen Platz mehr für Unwichtigkeiten wie Titel und Anreden.... zumindest dann, wenn man unter sich ist. Am Sommerfest, zur Eiderneuerung in der Halle der Tausend Säulen, dann könnt ihr soviel Wert auf Zeremoniell und Titel und Etikette legen, wie ihr nur wollt, aber nicht hier und heute.... bitte." Der Klang ihrer Stimme und das offene Lächeln, das auch ihre Augen erreicht lassen bei aller Fröhlichkeit keinen Zweifel daran, dass Arwen nicht gewillt ist an diesem Tag steife Umgangsformen zu akzeptieren.

"Also Therlas, was wolltet ihr mich fragen?" Sie sieht die Blicke, die Therlas und Andovar sich zuwerfen, spürt Gedanken über den Tisch wandern, weiß, dass sie nicht für sie bestimmt sind und versucht gar nicht erst, sie aufzufangen. Die Tatsache, dass Therlas erst spricht, nachdem Andovar mit einem leisen Nicken sein Einverständnis gegeben hat, macht Arwen allerdings höchst neugierig. Was hat er vor, dass er für eine Frage die Zustimmung seines Sohnes braucht? Ihr Blick huscht zu Gildin und weiter zu ihrem Vater, doch keinem von beiden ist anzusehen, ob sie wissen oder ahnen, was Therlas fragen will. Auch in ihren Gesichtern ist wie bei Arwen so etwas wie gespannte Neugier zu erkennen. "Nun ja, Shu- ... Arwen... Ihr habt es schon selber angesprochen. Andovar war mehr als einen halben Jahreslauf bei euch in den Herzlanden. Aber was er darüber erzählt hat, ist wenig mehr, als das was ihr eben gesagt habt. Er beharrt stets darauf, dass es euer Leben sei, und er nicht darüber reden werde. Es würde mich nicht einmal wundern, wenn er selbst eurem Vater nicht mehr erzählt hat." Als Therlas, die Anspannung bemerkt, die sich in Arwens eben noch so fröhlichen Blick schleicht, hebt er beschwichtigend die Hände. "Oh, versteht mich nicht falsch. Ich habe nicht vor, mich in euer Leben einzumischen, der Himmel bewahre. Nein. Aber wie ihr wisst, war ich nur selten jenseits der Grenzen der Elbenreiche, und wenn, dann im Auftrag eures Vaters. Ich wüsste gerne mehr über die Sterblichen und die Art wie sie leben... und feiern," lächelt er. "Aber auch darüber schweigt mein Sohn sich hartnäckig aus. Und das, obwohl er die Sithechnacht, Inarianar und Shenrahs Hochtag bei euch in Talyra verbracht hat... Wie begehen die Sterblichen die Hochtage der Zwölf? Den heutigen Tag zum Beispiel... Begehen sie die Nacht zu Ehren Inaris ebenso wie wir?" Die Richtung in die die Fragen des Elben gehen, überraschen Arwen ein wenig. Allerdings ist sie heimlich erleichtert, dass es sich eher um allgemeine Fragen dreht und nicht um Angelegenheiten, die sie als ihre höchst persönlichen ansieht.
Wie die Sterblichen Inarianar feiern? Die Frage bringt sie dazu, einige Augenblicke zu schweigen und darüber nachzudenken, was sie eigentlich über die Menschen und deren Art zu feiern weiß. Denn bis vor wenigen Jahresläufen hat sie selbst sich von Festen mit größeren Personenansammlungen stets fern gehalten. "Wie die Sterblichen Inarianar feiern?... Ich denke, verallgemeinern kann man das nicht, nicht über alle Völker der Immerlande hinweg. Ganz abgesehen davon, dass ich über viele Völker wenig bis gar nichts weiß, außer ihren Namen - wenn überhaupt. Ich habe... es ist erst wenige Jahre her, dass ich überhaupt an solchen Festen teilnehme. Seit ich in Talyra bin, genau genommen. Ich kann also nur erzählen, wie man dort feiert. Und Talyra trägt nicht ohne Grund den Beinamen 'Weltenstadt'. In ihr kommen die unterschiedlichsten Völker und Wesen zusammen, und sie alle haben ihre Sitten und Bräuche mitgebracht. Es gibt sicher Gegenden, in denen es undenkbar wäre, Inari derart offen zu huldigen, wie es bei uns hier völlig selbstverständlich ist. Das Fest zu Ehren Inaris in Talyra ähnelt sehr dem hier in Lomirion. Zumindest soweit ich darüber noch etwas weiß, wie hier gefeiert wird. Immerhin war ich sehr lange nicht mehr hier, und habe früher die Festtage oft im Tempelbezirk verbracht." Sie kann ihrem Vater ansehen, wie sehr ihn diese letzten Worte treffen. Doch ihr Blick sucht seinen, findet ihn und während sie kurz die Lider senkt berührt sie ihn in Gedanken. Nein, Vater, das war nicht deine Schuld, das war meine eigene Entscheidung, an jenen Tagen dorthin zu gehen. Und es war besser so, für mich... und für euch... Die Musikanten stimmen das nächste Lied an, und rund um den Brunnen finden sich Paare zu einem schnellen Tanz mit wirbelnden Reigen ein. Für einen Augenblick wird Arwens Blick davon wie magisch angezogen, ehe sie sich mit einem Lächeln wieder der Tischrunde zuwendet.
"In Talyra wird Inarianar recht ausgelassen gefeiert. In der Karawanserei und dem auf dem Platz der Händler herrscht das bunte Durcheinander von Händlern aus allen Ecken Rohas, nachdem die ersten Karawanen angekommen sind. Gaukler, Musiker, Artisten, Puppenspieler, Feuerspucker... schon Tage vor dem eigentlichen Fest gibt es dort tausend und eine Sache zu bestaunen. Die ganze Stadt, Häuser, Gassen, Wege und Stege, alles schmückt sich mit Blättern, Blumen und bunten Bändern. Und an Inarianar selber werden auf dem Marktplatz im Herzen der Stadt unzählige Tische und Bänke aufgebaut. Ich weiß nicht, wie sie es schaffen, aber es gibt buchstäblich für JEDEN Festbesucher einen Platz an den Tafeln für das Festessen. Und Talyra ist gewiss keine kleine Stadt. Es ist also nicht ganz so wie hier, wo sich das Festessen wie ein Picknick über die ganze Stadt verteilt. Und es wird getanzt, sie haben einen großen Tanzboden auf dem Platz errichtet. Der Stadtrat und die von ihm geladenen Gäste feiern... bisher haben sie in einem prächtig hergerichteten Saal der Stadthalle gefeiert. Letztes Jahr bin ich nicht dort gewesen, aber ich habe gehört, dass sie da eine besondere Tafel für die Räte und geladenen Edlen auf dem Platz gedeckt hatten. Und dieses Jahr.. ich weiß nicht..." Für einen Augenblick wandern ihre Gedanken zu all den Freunden, die sie in Talyra zurückgelassen hat, und die sich vermutlich alle an diesem Festtag an der großen Tafel getroffen haben, um zusammen zu feiern. Wehmut schleicht sich heimlich an, und sie wäre lieber dort als hier in Lomirion - auch wenn sie das an einem Tag wie diesem nie laut vor ihrem Vater aussprechen würde.

Es wird noch viel erzählt an diesem Nachmittag: Von den Inarifesten in Talyra, der Prozession der Hohepriesterin, dem Entzünden des großen, blumengeschmückten Scheiterhaufens nach Einbruch der Nacht. Von den Sommerfesten und den Turnieren, die in Talyra dann abgehalten werden und die Ritter und Kämpfer sogar aus Normand anziehen, von dem Bogenturnier vor drei Jahren, an dem sogar ein Zentaur teilnahm. Von Faunen und Ogern im Dienst der Stadtwache. Von der Hochzeit des Lord Commanders mit einer Elbin der Riathar'ya bei der Arwen die Trauzeremonie vornahm, und wie Andovar vorher endlose Male mit ihr das Zeremoniell durchgehen und üben musste. Während sie von Kizumus Hochzeit erzählt, hofft Arwen inständig, dass die Gerüchte über deren Weggang aus Talyra und dass sie Mann und Kinder verlassen hätte wirklich nur Gerüchte sind und nicht die bittere Wahrheit. Zwar ist es Arwen, die erzählt, aber es ist kein Monolog, den sie hält. Ihr Vater ergänzt Dinge, die Arwen schon so selbstverständlich sind dass sie sie nicht erwähnt, die ihm aber bei seinem Aufenthalt in der Weltenstadt aufgefallen sind. Und Andovar, für den es der erste Aufenthalt außerhalb der Elbenlande gewesen ist, erzählt von all den Merkwürdigkeiten und unbekannten Traditionen der Sterblichen, denen er sich reichlich unvorbereitet gegenüber sah. Wie es scheint nimmt er die Tatsache, dass Arwen so bereitwillig erzählt, als Erlaubnis sein bisheriges Schweigen über seine Monde in den Landen der Sterblichen zu brechen. Es ist ein reges Hin und Her an Fragen, Erklärungen, neuen Fragen, Geschichten und Anekdoten, das noch munterer wird, als Rialinn ihren Mittagsschlaf beendet hat, auf den Schoß ihrer Mutter klettert und sich mit ihrem nahezu unstillbaren Wissensdurst an dem Fragespiel beteiligt. Es fallen einfach zu viele Worte und Begriffe, die sie nicht kennt und die sie natürlich umgehend erklärt haben will. Und weil dem Kind dabei ein ums andere Mal der Wortschatz ausgeht, plappert es in einem unbefangenen Mischmasch aus Shidar und der Gemeinsprache der Sterblichen drauflos, das allen in der Runde ein Lächeln ins Gesicht zaubert.

Shenrahs Antlitz bewegt sich über das Himmelszelt und der Tag vergeht mit Erzählen und Lachen, mit Musik und Liedern, mit Tänzen, zu denen Arwen sich von Gildin und Andovar "überredet" sieht, mit gemeinsamem Naschen von Süßspeisen und Erdbeeren mit Rialinn. Und als das Tagesgestirn in einem flammenden Rausch aus Rot und Gold hinter dem Horizont versinkt, legt sich gespannte Erwartung wie eine bebende Decke über die Stadt und alle ihre Bewohner. Selbst hier auf ihrem doch etwas abgeschiedeneren und ruhigeren Festplatz ist es zu spüren, dieses Warten auf das Entzünden des großen Feuers auf dem Festplatz am großen Tor der Inneren Mauer, jenem Feuer, dem unzählige kleinere hier in der Stadt folgen würden, und das sich mit den Feldfeuern wie ein Schwarm Glühwürmchen über die Reiche der Elben ausbreiten würde.
Das ferne Echo gesungener Gebete ist hier bei ihnen kaum zu erahnen, dafür ist der sich verbreitende Golddunst nicht zu ignorieren. Ebenso wenig wie der flammende Schein des schlagartig hoch in den nachtdunklen Himmel fauchenden Feuers und der aufbrandende Jubel, der sich vom Festplatz aus über die ganze Stadt ausbreitet. Und es dauert auch nicht lange bis einer der Inarinovizen hier bei ihnen auf dem Platz am Brunnen erscheint. An einer langen Stange aus mehreren in sich gedrehten Bronzestäben hängt ein Feuerkorb, dessen filigranes Muster nahezu in der Glut untergeht. Die Musikanten unterbrechen ihre Melodie, die Tanzenden lösen die Reihen, zu denen sie sich eben erst gefunden haben, weichen zurück und machen dem jungen Elben Platz, und wer eben noch unter den Bäumen gesessen hat, erhebt sich um Zeuge zu werden, wie der Novize die Glut des großen Inarifeuers auch hierher an den Brunnen trägt und den kleinen Scheiterhaufen entfacht, der sich bis zu diesem Moment in Blumengebinden und Blütenblättern gehüllt hat. Es ist ein schlichtes Gebet, dass der Novize zu Ehren seiner Göttin im anstimmt, und ihm fehlen die Macht und die Ausstrahlung eines Hohepriesters, aber mit den Stimmen rund herum, die das Gebet aufnehmen und es wie ein Echo zurückgeben gewinnt es an Kraft. Und mit dem letzten Ton, einer letzten Anrufung des Namens jener Göttin, der dieser Tag geweiht ist, senkt sich der Feuerkorb herab, lässt zarte Blütenblätter sich kräuseln und zu Asche werden und entzündet dann die ölgetränkten Holzscheite. Hell lodernd schlagen die Flammen empor und erleuchten den ganzen Platz um den Brunnen herum. Für einige Herzschläge herrscht Schweigen, und nur das Prasseln des Feuers ist zu hören, dann löst sich die Spannung und leise Freudenrufe kommen auf. Einige wenige Paare treten mit Fackeln an das Feuer heran, um sich ihre eigene Flamme vom Inarifeuer mitzunehmen und verlassen dann den Lichtkreis des Festplatzes um Inari in trauter Zweisamkeit zu huldigen. Andere wenden sich den Resten des Festessens zu, und wieder andere verlassen den Platz um sich auf den Heimweg zumachen. Und zu letzteren gehören auch Arwen und ihre Familie.

Rialinn ist zwar noch wach, oder genauer gesagt wieder, denn zwischenzeitlich hat sie sich im Arm ihrer Mutter immer mal wieder in eine leichte Trance weggedöst. Aber das Kind ist müde, rangelt hin und her, weiß nicht, ob es bei Arwen, doch besser bei Gildin oder vielleicht sogar lieber bei seinem Großvater auf den Arm will, findet das Feuer schön, will es sich von nahem ansehen, dann doch wieder nicht, will mit seinem Bären ins Bett und Mama soll mitkommen. Schließlich endet es in einem kläglichen "Ania lât Sanjana, Eama" Ich will ins Bett, Mama endet. Es braucht nicht lange, bis Arwen Rialinn in die helle Decke aus Seidenwolle gehüllt im Arm hält, einen keinen Arm haltsuchend um ihren Hals gelegt, während der andere den braunen Bären umklammert hält. Ihr Vater hat sich die Tasche mit Rialinns Sachen genommen und so machen sie sich auf den Rückweg. Arwens Erklärung, dass Gildin und Andovar ihretwegen das Fest nun wirklich nicht auch verlassen müssen (vor allem in Anbetracht all der Rotfüße, die ihnen nun enttäuschte Blicke hinterher werfen), stößt auf taube Ohren. Und Arwen hat das Gefühl, dass sie damit bei ihrem Bruder irgendeinen wunden Punkt berührt hat, von dem sie nichts weiß, den sie aber besser unangetastet gelassen hätte.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Soraya am 27. Aug. 2006, 13:11 Uhr
Noch ist es relativ ruhig, als Soraya sich durch die gefüllten Strassen windet, um nach Hause zu gelangen. Schon bald würden die Trommeln ihr dumpfes Grollen durch die Stadt gleiten lassen und der Hohepriester in einem Hauch aus Nichts seine Ansprache auf dem grossen Innenplatz halten. Soraya hat weder die Lust noch die Geduld, diesem Treiben noch länger zuzusehen, oder gar in dessen Mitte zu sitzen und es stillschweigend zu ertragen. Die Worte ihres Onkel hängen ihr nach, als ob der Wein einen besonders bitteren Nachgeschmack gehabt hätte, und obwohl sie Tianrivo schon lange kennt, ist ihr selten so stark aufgefallen, wie verschieden ihr Denken eigentlich ist. Mit einem entschuldigenden Lächeln quetscht sie sich durch eine Schar wohlgekleideter Elbinnen, die in grossen Gruppen die Wege versperren. Eine Duftwolke aus Mandelmilch und Ambar umhüllt sie für einen Herzschlag und lässt sie beinahe trunken werden durch seine Süsse. Der Teppich aus zarten, farbigen Blütenblättern reicht hier beinahe bis zu den Knöcheln und verschluckt jedes Geräusch, auch das trotzige Stampfen einiger Kinder, die von ihren Eltern wohl gerade beschieden bekommen, dass sie spätestens nach den Trommelschlägen nach Hause müssen. Flüchtig verfolgt Soraya diese kleinen Geplänkel und ein sachtes Schmunzeln geht über ihr ernstes Gesicht, als sie schliesslich weiterläuft, still in sich hineinlächelnd. Dass Myliaris ihr kurz darauf folgt, bemerkt sie erst, als er ihr vorsichtig eine Hand auf die Schulter legt, gerade als sie um eine weitere Ecke biegen will. In der Erwartung einen tanzfreudigen Festtagsbesucher im Rücken kleben zu haben, sieht sie mit gleichgültiger Miene über die Schulter zurück und macht schon den Mund auf, um dem zweiten Kandidat an diesem Tag eine Abfuhr zu erteilen. Was auch immer dir auf dem Herzen liegt, und etwas ist da sehr wohl, das kannst du nicht leugnen, ich bin da, falls du mich brauchst. Sie sieht ihn nicht an, sondern geniesst den warmen Klang der Worte und lässt erst einige Herzschläge verstreichen, bevor sie mit festem Sinn zurück sendet: Ich weiss und wenn es so weit ist, werde ich vielleicht darüber sprechen, doch jetzt ist nicht die Zeit. Soraya weiss, dass er nicht weiterfragen wird, löst sich von ihm und läuft weiter, seinen Blick wie ein feines Kribbeln in ihrem Nacken spürend, bis sie vollends in der summenden Menge verschwunden ist. Zwar geht ihr sein Angebot noch einige Augenblicke durch den Kopf, doch noch während sie es ihm gesendet hat, ist ihr klar geworden, dass sie es nicht annehmen zu kann. Myliaris würde schweigen, das steht ausser Frage, doch geht es ihn nichts an, es geht niemanden etwas an, ausser sie selbst, ihren Vater und jemanden, der helfen könnte, ohne dabei die Aufmerksamkeit des Hochkönigs, oder gar des Volkes auf sich zu ziehen.

Unwillentlich schweifen ihre Gedanken ab, wieder und wieder alle Möglichkeiten durchspielend, wie sie größeres Aufsehen verhindern könnte, ohne dabei den Namen ihres Vaters aufs Spiel zu setzen.Tianrivo schliesse ich nun aus. Auch dem Höchkönig persönlich kann ich mein Anliegen nicht unterbreiten. Er wäre gezwungen das Volk davon in Kenntnis zu setzen, oder zumindest seine Berater. Obwohl sie sich dagegen sträubt und den Ansatz dieser Überlegung ansonsten bereits im Keim erstickt, fragt sie sich einmal mehr, ob sie nicht einfach Stillschweigen bewahren und den Dingen ihren Laufe lassen soll. Vater würde es öffentlich machen, egal auf welche Art… und dann gäbe es niemanden, der ihn noch beschützen könnte. Nein, ich muss eingreifen, bevor so etwas geschieht. Ihr Kopf ist schwer von diesen ständigen Grüblereien und der Wein erledigt den Rest, weswegen sie sich vornimmt, zu Hause ein wenig über die Bücher zu gehen und danach ein kaltes Bad zu nehmen. Gerade als sie die weissgetünchten Mauern ihres Anwesens erreicht, erschallt ein schwerer Schlag, wie der ferne Klang großer Trommeln, das sich vibrierend zum Himmel erhebt und die Menge erschauern lässt. Nur kurz hält sie inne, lässt die Anspannung ein wenig von ihr Besitz ergreifen, dieses Gefühl von Erregung und Aufruhr, als würde der Boden unter ihren Füssen erbeben und die Luft um sie herum zum Schwingen kommen. Ein aufgeregtes Raunen geht durch die Massen, die jeden Winkel der Stadt ausfüllen, und macht dann einem erwatungsvollen Schweigen Platz. Vor ihrem Inneren Auge kann sie sich vorstellen, wie der Hohepriester in seiner golddurchwirkten, blutroten Schärpe und mit Haar, dass wie flüssiges Silber glänzt, sich nun erhebt und den heiligen Segen über das Volk spricht. Seine Bewegungen, kraftvoll und anmutig wie die einer Katze, die Stimme stark und hypnotisierend, zieht er die Scharen der Elben, die sich zu seinen Füssen sammeln, um der Zeremonie beizuwohnen, in seinen Bann und huldigt Inari mit rituellen Gesängen und Worten. Die Besucher stimmen in das hohen Singsang mit ein, lassen es anschwellen und lautstark an den Wänden und Mauern widerhallen. Fast ist sie gewillt hier stehen zu bleiben, und sich den Ritus bis zum Ende anzusehen, doch als die Elben um sie herum beginnen, sich zu Pärchen zu finden, und sich in Richtung der Ölgetränkten, nun entzündeten Scheiterhaufen zu bewegen, versucht sie, sich gegenüber diesem angenehmen Kribbeln in ihrem Magen und dem verlockenden Goldstaub, der sich schleierartig über alle Köpfe senkt, zu verschliessen. Dieses glanzvolle Inarifest werde ich so schnell nicht mehr vergessen. Langsam verschwindet sie im Innern des Hofes und begibt sich erst kurz zu den Ställen, um sich nach den Welpen zu erkundigen, die in den letzten Tagen kräftig gewachsen sind. Trotzdem wirken sie mit ihren kleinen Schnauzen und ihrem unerträglich hilflosen Winseln immer noch wie flauschige Pelzknäuel auf vier Beinen und so gut wie nie sind sie wirklich alleine. Irgendwo lauert immer einer der Stallburschen, um sich die Welpen, sobald die Mutter das Nest kurz verlässt, neugierig anzusehen. Die Hündin zeigt jedoch kein Mitleid mit jenen, die ihrer Meinung nach ihrem Wurf zu nahe kommen.

Den Rest des Abends verbringt Soraya mit einer kleinen Öllampe über den Büchern, geht noch einmal die Bestellungen durch, schreibt den Sold der Männer für diesen Mond auf, rechnet noch einmal nach, bestimmt, wer weiter wann zu arbeiten hat und sieht nicht einmal von ihrem Tun auf, als draussen helles Gelächter erklingt, das von Freude und Begierde zugleich spricht. Als die Nacht bereits samtblau über die Stadt hereingebrochen ist und die Fassaden und Mauern der Häuser nur noch von den Inarifeuern erhellt werden, klappt sie das Buch fein säuberlich zu, räumt Feder und Tinte zur Seite und lehnt sich zurück. Im Haus herrscht erträgliche Stille und durch das offene Fenster weht eine sachte Sommerbrise, gerade richtig, um der schwülen Hitze ein wenig entgegen zu wirken. Einmal mehr kreist ihre ganze Aufmerksamkeit um die eine Frage und einmal mehr, kommt sie zu keiner Lösung.
Als jemand an ihre Türe klopft, fährt sie aus dem Sud ihrer komplizierten Gedanken auf und braucht erst einige Momente, um zu registrieren, dass ihr Vater im Türrahmen steht und sie betrachtet. Ein schwaches Lächeln schleicht sich auf ihre Züge und gemächlich lehnt sie sich zurück, sich mit einer Hand über die Augen streichend, um die aufkeimende Müdigkeit daraus zu verbannen. „Wie lange stehst du dort schon?“ Ihr Vater schliesst geräuschlos die Türe hinter sich und lässt sich gleich darauf, noch immer in seiner Festtagsgewandung, im Sessel am kalten Kamin nieder. Der Schein der einzigen Lichtquelle wirft lange Schatten auf sein Gesicht, dessen scharfe Züge fast amüsiert wirken. Wie immer, in der letzten Zeit, versteckt sich hinter dem halben Lächeln, das wie so oft auf seinen Lippen liegt, jedoch ein Hauch von Ernst. Und ich kenne den Grund dafür. Stumm erhebt sie sich, geht zu einem nahe stehenden, feingliedrigen Kasten aus dunklem Eichenholz und holt daraus zwei Becher, sowie eine Flasche hervor. Wein aus dem Grünen Tal von Erryn, fruchtig und erfrischend in seinem Geschmack und längst nicht mit solch verheerenden Folgen gesegnet, wie der Inariwein, der diese Nacht noch in Strömen fliessen würde.
„Hier.“ Sie übergibt ihrem Vater den einen Becher und lässt sich mit dem zweiten gleich daneben, auf einen herbeigezogenen Stuhl, sinken. Ihr Blick verliert sich in der grauen Asche und weilt in weiter Ferne, und eine Zeit lang herrscht angenehme Ruhe in dem grossen Gemach. Von draussen erklingen angeheiterte Stimmen und einige restlos verstreute Gaukler haben sich anscheinend zu einem letzten Ständchen zusammengerafft. Ihr Gesang klingt wie das Rascheln der Blätter, wenn der Wind sich in den Kronen der Bäume verfängt und er hat etwas Einschläferndes an sich. Den Becher zwischen den Finger drehend, verstreichen die ersten Sekunden wortlos, bis sie aus den Augenwinkeln wahrnimmt, wie ihr Vater sich ein wenig vorbeugt und sie still ansieht. Unwillentlich muss sie schmunzeln und ihrem Vater scheint es nicht anders zu gehen. Mit einem leisen Lachen wendet er den Kopf ab und sieht aus dem Fenster in den verlassenen Hof, wo nur der blasse Dunst des Mondes die Dunkelheit schemenhaft erhellt.

„Hattest du ein angenehmes Fest?“, fragte er irgendwann, ohne sich zu ihr umzuwenden. Trotzdem nickte sie und antwortete mit einem Hauch von feinfühligem Spott: „Ich kann sogar behaupten, es war ein gelungenes Fest. Zumindest aus meiner Sicht. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob Tianrivo das auch so sieht.“ Doch dann ist der flüchtige Spass auch schon verblasst und mit etwas leiserer, dünner Stimme setzt sie hinterher: „Mir ist nie aufgefallen, wie sehr Tianrivos Denken, sich von dem Unseren unterscheidet. Wahrscheinlich habe ich mich, für seine Begriffe, heute zu weit aus dem Fenster gelehnt, was das Benehmen einer Tochter aus Hohem Haus anbelangt.“  Das Lachen ihres Vaters ist warm und rau und es füllt den Raum angenehm aus. Die Anspannung, die sie eigentlich bei seinem Eintreten erwartet hat, ist erst gar nicht aufgekommen und fast ist alles so, wie immer, wäre da nicht das feine Ziepen in ihrem Hinterkopf: Die ständige Ermahnung an das Problem, das sie überall hin verfolgt. Nun ist es jedoch in den Hintergrund getreten und hat der Erholung und dem friedlichen Beisammensein Platz gemacht. Ihre Worte erheitern ihren Vater sichtlich, der noch einen herzlichen Schluck nimmt und dann spricht: „Ich habe Myryamer und So’tar getroffen. Lharva, Ninive und Saharsha waren auch dabei. Meine Nichten haben allenthalben von dem bevorstehenden Sommerfest gesprochen und man kam nur selten zu Wort.“ Soraya kann sich bildlich vorstellen, was ihr Vater meint und feixt: „Es genügt eine allein, um nicht zu Wort zu kommen… drei legen die ganze Gesellschaft lahm.“ „Ich werde mich in der nächsten Zeit um die Verträge und die Bewilligung kümmern. Vielleicht bin ich auch ein paar wenige Tage, oder zwei bis vier Siebentage nicht da. Ich wäre froh, würdest du in dieser Zeit das Training übernehmen und dich um den Erwerb der Pferde kümmern.“ „Wohin wirst du gehen min Eamo?“, murmelt sie in  ihren Wein hinein und ihre Finger schlingen sich bei der dunklen Vorahnung, es könnte wieder mit der Sache zusammenhängen, fester um den Holzbecher. Ein feiner Hauch streift ihre Gedanken, doch bevor sie ihn fassen kann, ist er längst wieder verschwunden und es bleibt still. Schweigen breitet sich nach und nach aus, bis ihr Vater schliesslich doch noch antwortet: „Ich reite vielleicht nach Winterhall, damit wir die Pergamente unterzeichnen können.“

Warum er wirklich geht, ist ihr so klar bewusst, dass es sie verletzt. Sie kann sich an Zeiten erinnern, da hätte er offen mit ihr auch über solche Wagnisse, solche Vorhaben gesprochen, doch bereits seit langem gehen ihre Meinungen auseinander. Was die Normander betrifft besonders. Mein Vater hat den Hass bewahrt, den ich nach und nach ablegte, aber noch immer weiss ich, wie es sich anfühlt. Das macht es mir auch so schwer. „… Mýrnith wird mich begleiten, und sich dann auf den Weg nach Carvallen begeben, um die Anweisungen auszuführen, die ich ihm gab.“ Ihr ist nicht ganz klar, in welchem Zusammenhang er gesprochen hat, doch scheint es nichts sehr Wichtiges zu sein. „Ja, Mýrnith…“ Für den Bruchteil eines Augenblicks stolpert ihr Herz blindlings, bevor sie sich schon gefangen hat und seelenruhig fortfährt: „… ist eine gute Wahl. Er hielt noch niemals viel von grossen Festen und von den Eiderneuerungen noch viel weniger, wobei es auch sein könnte, dass Divar’a daran Schuld hat.“ Während sie spricht, erhebt sie sich langsam, sowohl um den Rest des Weines zur Seite zu stellen, als auch um die Tatsache zu verschleiern, dass ihr nun aufgefangen ist, wer der zweite Mann im Gespräch gewesen ist, dass sie, vor weniger als einem Mond, unfreiwillig mit angehört hat. Mýrnith… wie mein Vater hat er längst nicht vergessen, geschweige denn verziehen. Aber wer war der Dritte im Bunde? Wer war die Frau? Sie sitzen noch eine Weile beieinander, ohne zu reden und nur stillschweigend die hereingebrochene Ruhe der Nacht geniessend. Irgendwann geht ihr Vater und sie selbst begibt sich nach einer flüchtigen Katzenwäsche in ihr Bett.  

Die Wochen nach dem Inarifest sind gefüllt mit Arbeit, obwohl man meinen könnte, hier auf dem wesentlich kleineren Anwesen, als sie es in Carvallen besitzen, sei nicht viel zu tun. Die Ställe werden einmal gänzlich gründlich ausgemistet, die Pferde auf eine Weide ausserhalb Lomirions gebracht und nach einer stillen Nacht, in welcher niemand auch nur den kleinsten Mucks gehört oder bemerkt haben will, liegt in der Box ihrer eigenen Stute ein winziges, schlohweisses Füllen. Hin- und her gerissen zwischen den Welpen, die mit ihrer Tollpatschigkeit jeden zum Lachen bringen, und dem schlaksigen Fohlen, dass zu Beginn sehr wackelig auf seinen Beinchen steht, sieht man die Stalljungen einmal dort und einmal da kleben. Einige der Junghengste werden verkauft, andere neu erworben, doch den Grossteil der Stunden verbringt Soraya mit den jungen Anwärter, oder aber den mit nach Lomirion gereisten Rittern und Kriegern ihres Vaters, um selbst zu üben, oder den armen Lehrlingen beizubringen, was es heisst, sich zu verteidigen. Ausfallschritte und Paraden werden geübt, bis sie blau und grün geprellt sind, komplizierte Schrittfolgen trichtert sie ihnen so lange ein, bis kein einziger, und sei es noch so ein geringfügiger, kleiner Fehler mehr zu erkennen ist. Kein Tag vergeht, an denen die Rekruten nicht erschlagen von den Übungen vom Platz humpeln, manche davon noch immer in ihrem Stolz verletzt, weil Soraya sie, wenn es nötig war, ohne Mitleid einmal quer über den Platz gejagt hat. Doch zeigt das Training auch die erwünschten Erfolge und als ihr Vater Mitte Sanjar aufbricht, um nach Winterhall zu reisen, ist sie zwar nicht zufrieden mit den Ergebnissen, aber sie sind annehmbar. Tianrivo ist sie fern geblieben, ebenso Arwen, wenn auch aus ganz anderen Gründen. Gerne wird sie mit ihrer Base reden, sobald nicht ständig Hast und Hetz die Tagesordnung bestimmt, doch momentan weilt Soraya, sobald die täglichen Arbeiten verrichtet sind, lieber allein in ihrem Zimmer, kümmert sich um die ankommenden Briefe, oder reitet mit Norntha aus. Hin und wieder zusammen mit Myliaris, wenn dieser keinen Dienst hat, doch das ist selten. Es ist ein später Abend, als sie sich schliesslich dazu durchringt, einen Schritt weiter zu gehen, als das sie je zu denken gewagt hätte und während sie durch die Gänge des Anwesens in den zweiten Stock läuft, fühlt sie einen Stich von Schuldgefühlen, die an ihre Vernunft appellieren und ihr vorhalten, dass er immer noch ihr Vater ist und sie nicht tun könne, was sie vorhat.

Jeder Schritt wird schwerer, doch schliesslich steht sie vor der verschlossenen Eibenholztüre zum Gemach ihres Vaters, welches er in der Zeit seiner Abwesenheit stets der Gewohnheit halber verschlossen hält. Sicherlich traut er niemandem in seinem Haus zu, ihn zu bestehlen, doch nur selten findet man den Eingang offen, wenn er nicht da ist. Der einzige Schlüssel, den es noch gibt, hat sie selbst und obwohl sie in diesen Räumen sonst ein und ausgeht, als wären es ihre Eigenen, fällt es ihr dieses Mal unglaublich schwer das Schloss zu öffnen und einzutreten. Kurz fühlt sie sich wie ein Eindringling, schiebt dann jedoch alle lästigen, hinderlichen Hirngespinste resolut beiseite und tritt an den fein gearbeiteten Sekretär heran, der wie immer aufgeräumt ist. Langsam beginnt sie die Schubladen zu öffnen und sie nach Pergamenten, Notizen, Briefen, oder anderen Beweisen zu durchsuchen, die das Gehörte und ihre Vermutungen fest untermauern können… und es vielleicht auch schaffen den letzten Rest ihrer Zweifel, so sehr sie ihnen auch glauben möchte, aus dem Weg zu räumen. Das kratzige Rascheln der Papiere hallt unnatürlich laut in dem leeren Raum wieder, doch als sie fertig ist, hält sie nichts in den Händen was ihr weiterhelfen könnte. Sorgsam achtet sie darauf, alles so zu hinterlassen, wie sie es vorgefunden hat und will sich schon abwenden, um ihr elendes Tun endlich zu beenden, da fällt ihr eine Kleinigkeit auf. Stets hat sie gedacht, die Möbel ihres Vaters auswendig zu kennen, sass sie selbst doch oft genug hier. Bisher habe ich mir aber auch nie die Mühe gemacht, etwas zu finden, das verborgen ist. Ihre Augen haften an der ersten Schublade, die gleich unterhalb der Tischplatte liegt. Oder besser gesagt, ihr Blick liegt auf der linken Kante der Schublade, die sich mehr im Innern zu befinden scheint, als die Rechte. Feinfühlig tastet sie mit flinken Fingern darüber hinweg, drückt ein wenig und zieht sowohl an der Schublade, als auch an der eigentlich festsitzenden Holzwand. Es regt sich nichts. Wachsam die Ränder des einfachen Holzstücks, hinter dem sich eigentlich nur ein leerer Hohlraum direkt über der ersten Schublade an der Seite befinden sollte, musternd, geht sie in die Knie und sucht die Verschnörkelungen und Holzmaserungen nach irgendwelchen empfindlichen, oder auffälligen Erhebungen und versteckten Vertiefungen ab. Ein schwaches Zittern geht durch ihre Fingerkuppe, als der Blattstiel eines kunstvoll eingearbeiteten Zweiges dem Druck plötzlich nachgibt und ein hauchfeines Knirschen durch den Sekretär schwingt. Es fährt ihr wie das verletzte Miauen einer Katzenwaise mitten ins Herz.

Im nächsten Moment schiebt sich eben jenes unscheinbare Stück Holz, dass eigentlich nur platzfüllend sein sollte, ein wenig nach vorne und legt das verborgene Fach offen. Soraya jedoch wagt es nicht, die Hand danach auszustrecken. Ich verfluche bereits mein jetziges Wissen… Im Grunde genommen will ich es nicht auch noch fest auf einem Pergament geschrieben sehen. Ihr Atem verschnellert sich unmerklich, als sie langsam vor dem dunklen Spalt, in dem vielleicht das auf sie wartet, was sie längst befürchtet hat, zurückweicht. Durch die Fenster scheint Shenras blassgoldenes Antlitz und das Gelächter Anininars und einiger seiner Freunde erfrischen den Tag, doch in dem Gemach ihres Vaters sinkt die Temperatur, als wäre der Winter hinein gedrungen. Wie lange sie dort steht, weiss sie später nicht mehr, doch als sie endlich einen Schritt nach vorne macht und die verborgene Schublade öffnet, sind die Stimmen der Jungen verstummt und von den knappen, präzisen Befehlen Feràhls ersetzt worden, immer wieder unterbrochen von dem Klirren der Übungsschwerter. Sie findet nicht viel, doch was dort liegt, genügt, und als sie die Türe zum Gemach ihres Vaters wieder verschliesst, muss sie für einen Moment innehalten und wie ein Ertrinkender nach Luft schnappen, nicht wissend wohin mit dem dumpfen, schmerzlichen Pochen in ihrer Brust. Vater. Willst du das wirklich für das Volk tun, oder geht es dabei nur um dich? Ihre Hände ballen sich zu Fäusten und ihre Lippen werden zu einem schmalen Strich in ihrem Gesicht, während sie wieder und wieder die gebündelten Briefe vor sich sieht, alle kurz, jedoch eindeutig. Alle Zweifel sind hinfort gefegt worden, mit einem Schlag, der sie bis in die Grundmauern ihres Glaubens erschüttert und einen bitteren Nachhall hinterlässt. Mühsam entfernt sie sich von den Gemächern ihres Vaters und lässt nicht zu, dass auch nur eine der vielen Emotionen, die sie heimsuchen, sich auf ihrem Gesicht zeigt. Es hätte ebenso gut aus Stein gehauen sein können und hätte dann noch mehr Mimik gezeigt. Elleanie, einst Bewohnerin des Reiches Dúne, nun Dienerin des Hochkönigs. Verflucht sollst du sein. Ein Funken kalter Wut flackert in ihr auf, als sie an das freundliche Gesicht der Elben denkt und sich gleichzeitig an die vielen Besuche ihrerseits hier auf ihrem Anwesen, oder in Carvallen erinnert.

Erneut verstreichen zwei Siebentage und der Sommer bricht angenehm mild über die Elbenlande herein. Der Weizen steht golden auf den Feldern, die Bauern sind höchst zufrieden mit der baldigen Ernte und es sieht aus, als würde nichts das bevorstehende Sommerfest trüben können. Obwohl es noch eine Weile hin ist, bis zu dem grossen Ereignis, strömen bereits jetzt viele Besucher in die Stadt, sind sie nicht gleich seit dem Inarifest geblieben. An das Inarianar erinnern nur noch einige, leicht zerrupfte Girlanden, ansonsten hat das alltägliche Leben wieder Einzug gehalten. Soraya beginnt langsam, noch spielerisch mit dem Training der Wolfsmischlinge, stets in Begleitung der Hündin, die ihre Winzlinge nur selten aus den Augen lässt. Ausserdem werden neue Vorräte bestellt und einige Arbeiten am Anwesen selbst vorgenommen. Der Zwinger für die Hunde wird komplett erneuert, die Unterkünfte für das Gesinde muss vollkommen geputzt und die Innenwände neu gekalkt werden, zwei Fenster verlangen eine neue Glasscheibe, die Unsummen kosten und zu guter letzt hat Soraya damit angefangen Arininar und seinen Freunden, die allesamt auf ihrem Anwesen arbeiten, ein wenig die trockene Theorie der Schwertkunst beizubringen. Sie hegt die Befürchtung, dass den Jungen irgendwann die Zunge aus dem Mund fällt, während dem Zusehen des Trainings der Erwachsenen und Halbwüchsigen.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Arwen am 27. Aug. 2006, 14:56 Uhr
~ noch in der Inarinacht ~



Rialinn wacht den ganzen Weg zurück zum Anwesen der Mitarlyrs nicht wieder auf, nachdem sie im Arm ihrer Mutter vertrauensvoll in tiefe Trance gelitten ist. Tianrivo führt sie durch die gleichen ruhigen Seitengassen zurück, die er sie auch schon am Morgen auf dem Weg hin zum Festplatz genommen hatten. Nur wenige Elben begegnen ihnen auf ihrem Weg, und noch weniger davon sind zu dieser Stunde alleine unterwegs. Geredet wird fast gar nicht auf ihrem Weg, doch das Schweigen hat nichts unangenehmes an sich. Der Weg zurück ist nicht weit, und schon bald kommen die Mauern und das Tor des 'Adlerhorstes' in Sicht. Fackeln in eisernen Haltern neben den Torflügeln lassen Licht und Schatten unstet wandern. Wie zu jeder Stunde des Tages stehen Wachen beiderseits des Tores, auch an einem Festtag wie diesem. Der Dienst während der Inarinacht gehört sicher nicht zu den beliebtesten, doch wie Arwen aus den Erzählungen Gildins weiß, achten ihr Vater und  Therlas penibel darauf, dass es nicht jedes Jahr die gleichen trifft, sondern jeder einmal in die Pflicht genommen wird. Die Nacht ist angenehm lau für die Jahreszeit, doch als sie das Tor passieren und den großen Vorhof überqueren, spürt Arwen die Nachtluft kühl über ihre Schultern und durch die losen Haare im Nacken streichen. Und im Vergleich zu dem warmen, schlafenden Kind in ihren Armen lässt der Luftzug sie frösteln. Im Inneren des Hauses erwartet sie eine ungewohnte Stille. Weder Stimmen sind zu hören, noch ist die geistige Präsenz all der Personen wahrzunehmen, die sonst in einem Haushalt dieser Größe stets anwesend sind. Ein ungewohnter Zustand, aber auch ein angenehmer, wie Arwen sich eingesteht. Niemandes Gedanken, vor denen oder gegen die sie ihren Geist abschirmen muss. Selbst von den Schwingungen die Liebe und Lust in einer Inarinacht unweigerlich mit sich bringen ist im ganzen Haus nichts zu spüren. Viel geredet worden ist auf dem Rückweg nicht, und auch jetzt in der Halle verabschiedet man sich mit wenigen Worten ehe jeder seinen eigenen Räumen zustrebt. Gildin hat seine ohnehin direkt neben ihren, und da auch ihr Vater seine Räumlichkeiten im selben Flügel hat wie seine Kinder, begleitet er Arwen bis zu deren Zimmer ehe er sich mit leisen Wünschen für eine ruhige Nacht von seinen Kindern trennt und am Ende des Ganges durch die Türen zu seinen Zimmern verschwindet.

Mit einem leisen Klicken fällt die Tür hinter Arwen ins Schloss, und für einen kurzen Moment lehnt sie sich mit einem leisen Seufzen gegen das Holz  Der Tag ist lang gewesen, schön und voller Erzählen und auch Lachen, aber lang, und damit für Rialinn auch anstrengend. Ihre Tochter ruht so tief in Trance, dass sie weder merkt, dass ihre Mutter sie auszieht um ihr für die Nacht ein Hemd aus leichtem Leinen überzustreifen, noch, dass Arwen sie frisch für die Nacht wickelt. Den dunkelbraunen Pelzbären noch immer fest im Arm, rollt sie sich in ihrem kleinen Bett zusammen wie eine Schnecke und scheint nicht einmal zu merken, wie ihre Mutter sie sacht zudeckt. Leise nimmt Arwen sich die Tasche mit Rialinns Sachen und schiebt den Vorhang nur ein wenig zur Seite, der ihr Schlafzimmer vom Ankleidezimmer trennt. Sie weiß nur zu genau, was ihr Bruder dazu sagen würde, dass sie Rialinns Sachen in die Truhen räumt und die schmutzige Wäsche in den stets bereit stehenden Weidenkorb legt: Sie solle die Tasche einfach auf die Kommode stellen, die Mädchen würde sich am nächsten Tag schon darum kümmern. Aber das ist noch nie Arwens Art gewesen, Dinge liegen zu lassen, die sie mit wenigen Handgriffen schnell selber erledigen kann, bloß weil Dienstboten im Haus sind. In ihren Augen gibt es wichtigeres, als das bisschen Wäsche wegzuräumen. Überhaupt geht es ihr gehörig gegen den Strich, dass sie anders als zu hause auf Vinyamar sich hier in Lomirion überhaupt nicht an der Arbeit in Haus und Garten beteiligen kann. Etwas, über das Njarda noch strenger wacht als Cassandra, dass Arwen 'den Mädchen nicht die Arbeit wegnimmt'. "Pffhh... die Arbeit wegnehmen... wenn nach Njarda ginge.. ach egal..." So und ähnlich leise vor sich hin schimpfend streift sie die Schuhe von den Füßen und macht sich daran, die Nadeln und Bänder aus den aufgesteckten Haaren zu lösen.
Sie ist seit dem Morgengrauen auf den Beinen, aber den Gedanken, sich zur Ruhe zu legen, hat Arwen schon auf dem Weg durch das dunkle, stille Haus verworfen. Aus irgendeinem Grund ist sie noch viel zu unruhig um Ruhe finden zu können. Und dabei habe ich weder den Inariwein angerührt noch mehr als zwei Becher Sommerwein getrunken... das muss an diesem Golddunst liegen. Ungeduldig zieht sie an den Schnüren des Mieders, deren Knoten sich einfach nicht lösen lassen will. Als ob ich Grund hätte, mich davon in Unruhe versetzen zu lassen. Mich würde viel mehr interessieren, was mit Gildin los ist. Irgendwas verschweigen er und Vater mir. Und ich habe das Gefühl, dass ich es besser wissen sollte, damit ich nicht in noch mehr Fettnäpfe trete. Himmel, als ich ihm vorgeschlagen habe, er solle doch einen der Rotfüße erhören, die ihn so anhimmeln, hat er mich angesehen als hätte ich ihm vorgeschlagen sich den Schwertarm abzuhacken. So langsam verwünscht sie ihre Kleiderwahl vom Morgen. Der Knoten will sich einfach nicht lösen lassen, und da das Mieder im Rücken geschnürt ist, kann sie nicht einmal sehen, warum die Schnüre sich so widerspenstig geben. "Verdammt. Ich hätte ein anderes Kleid aussuchen sollen, eines bei dem das Mieder vorne geschnürt wird, damit ich wenigstens sehen kann, was sich da verheddert hat. Oder gleich ein Kleid ohne Mieder, oder.. noch besser... so wie Soraya, Hosen und eine Tunika mit einem einfachen Gürtel. Dann stünde ich jetzt nicht so dumm da." So langsam ist Arwen kurz davor, ihre Geduld zu verlieren, sich eine kleine, schlanke Klinge zu suchen, und die Schnüre kurzerhand durchzuschneiden.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Arwen am 03. Sept. 2006, 12:19 Uhr
~ Lomirion, Anfang des Sanjar ~



Seit dem Inarifest sind mehrere Siebentage ins Land gezogen und frühsommerliche Wärme liegt über Stadt und Land. Gärtner und Bauern sind es zufrieden, denn noch erhört Amitari ihre Gebete und es gibt stets die richtige Menge Regen zur rechten Zeit. Wenn es so bleibt, was alle hoffen, dann steht einer guten Ernte in diesem Jahreslauf nichts im Wege. Es ist früher Morgen, kurz nach Sonnenaufgang, als Arwen auf dem Balkon steht und wie an vielen Tagen zuvor dem glühenden Farbenspiel der aufgehenden Sonne zusieht. Es sind stille Momente, und die einzigen Zeit des Tages, die sie wirklich alleine für sich und ihre Gedanken hat. Mit einem leisen Seufzen wandern ihre Gedanken kurz zu der Tatsache, dass ihr Vater sie außerhalb von Mita'Rôin nicht ohne Begleitung lässt. Vor einigen Tagen hat ihr Vater unerwarteter Weise keinen seiner Männer zu ihrer Begleitung abgestellt gehabt. Eine Elbin in den grauen Gewändern der Hausmädchen war bei ihr erschienen, und Arwen hatte erleichtert angenommen, dass ihr Vater endlich verstanden hatte, wie sehr sie die ständige Begleitung durch bewaffnete Wachen stört. Doch schon nach wenigen Schritten durch die Straßen wusste Arwen, dass diese Elbin alles andere als eine der Hausmägde ist. Ihre Haltung und Art der Bewegung, einfach ihre ganze Art lässt Arwen keinen Zweifel daran, dass diese Frau zur Ritterschaft der Mitarlyrs gehört. Und sie hatte es ihrem Vater entschieden übel genommen, dass er ihr gegenüber zu solchen Täuschungen greift. Sie kann die Sorgen ihres Vaters verstandesmäßig nachvollziehen, das ändert aber nichts daran, dass ihr die ständige Wachsamkeit kaum dass sie das Anwesen verlässt auf den Nerv geht und sie sich eingesperrt fühlt.
Aber sie hat einen Weg gefunden, sich dem zu entziehen und sich einen Freiraum zu schaffen. Seit dem Inarifest hat sie jeden Tag den Tempel Anukis' aufgesucht. Ein Ort, an dem ihre wandernden Gedanken zur Ruhe kommen können, lichte Haine voller Vogelstimmen und Hallen deren grüngoldener Dunst ihr so vertraut sind, dass Arwen oft das Gefühl hat, erst dort wirklich frei atmen zu können. Rialinn ist immer bei ihr, so wie sie es auch in Talyra immer gewesen ist, wenn Arwen im Tempel gewesen ist. Die Umgebung eines Tempels ist dem Kind so vertraut, dass die sakrale Heiligkeit der Hallen Rialinn nicht in Ehrfurcht erstarren lässt. Ein Tempel ist für sie einfach ein zutiefst vertrauter Ort, an dem sie sich völlig sicher fühlen kann. Und Arwens Tochter hat nicht die geringsten Hemmungen, an jedem Ort dort zu spielen oder ihrer Mutter auszureißen, sich zu verstecken und den Novizen beim Gesangsunterricht zuzuhören. Oder sie sitzt einfach still bei ihrer Mutter und hört scheinbar aufmerksam zu, wie die sich von den Priestern und Gelehrten unterweisen lässt. Arwen selber genießt die Stunden im Tempel geradezu, kann sie sich doch dort einfach als Gleiche unter Gleichen bewegen. Nun ja, soweit wie sie als Priesterin unter Novizen eben als Gleiche unter Gleichen gelten kann.

Mit einem Lächeln sieht Arwen den Vögeln zu, die sich zu der frühen Stunde an einem der Brunnen auf der Rasenfläche nahe des Hauses tummeln und unter lautem Gezwitscher und Getriller ihr allmorgendliches Bad nehmen. Der Himmel ist hoch und blau und der Tag verspricht eben so strahlend und sonnig zu werden wie die vergangenen. Ihre Gedanken wandern über viele Tausendschritte nach Osten, über die Mondsichel, über den Caidwyn Anmenladires, den Großen Weg der Weißen Schwerter, der Logren durchquert und zu den Mondtoren führt, weiter und immer weiter, bis nach Talyra. Wie das Wetter dort ist, ob Amitari auch dort ihre segnende Hand über die Felder und Gärten hält, wie es um Vinyamar steht, ob Cassandra endlich einen Knecht und eine Magd finden und in Dienst nehmen konnte, ob sie es in diesem Jahr noch einmal mit der alten Muttersau versucht oder ob sie auf dem Viehmarkt doch besser eine neue gekauft hat, wie sie dort die Erntearbeiten schaffen wollen, falls es wieder nicht gelungen ist, jemanden für das Gesinde zu finden, ob das Getreide den langen Winter gut überstanden hat, wo es doch fast doppelt so lange unter Schnee lag, wie sonst, wie der Garten Vinyamars jetzt wohl aussehen mag, ob all die Pflanzen, die sie letzten Herbst neu gesetzt haben auch angewachsen sind und jetzt blühen. Tausenderlei Dinge gehen Arwen durch den Kopf, während ihr Blick auf einen Punkt in unbestimmter Ferne gerichtet ist und sie von der Welt um sie herum nichts mehr mitbekommt.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Mitarlyr am 03. Sept. 2006, 14:34 Uhr
Dass er zu so früher Morgenstunde schon auf ist, ist bei Gildin nichts Ungewöhnliches. Und wie er schon seit seinem ersten Besuch in jener Stadt der Sterblichen weiß, auch bei seiner Schwester nicht. Nur hat er sie dort nie so gedankenverloren den Sonnenaufgang beobachten sehen wie hier in Lomirion. Und ehrlich gesagt macht ihm genau das Sorgen. Auch an diesem Morgen steht seine Schwester wieder stumm und reglos auf dem Balkon der sich entlang des ganzen Flügels des Hauses erstreckt und die Gemächer der Familie miteinander verbindet und sieht nach Osten. Als er es das erste Mal bemerkt hatte, hatte er sich noch nichts dabei gedacht. Dann war es ihm immer öfter aufgefallen, und er hatte sich gedacht, dass sie vielleicht einfach die Morgenruhe und das sanfte Glühen der aufgehenden Sonne für eine stille Andacht nutzt. Doch irgendwann ist ihm klar geworden, dass Arwen jeden Morgen so dort steht und in den Sonnenaufgang sieht, und dass sie nicht im Geringsten den Anschein erweckt, als sei sie in Andacht oder Gebet vertieft. Viel eher wirkt es auf ihn, als erlaube sie zu diesen Stunden einer Sehnsucht sich zu zeigen, die sie sonst den ganzen Tag tief in sich vergräbt.

An diesem Morgen ist er ebenso früh aufgestanden wie seine Schwester, um zu sehen ob sie wieder dort stehen und in die Ferne sehen würde, und um mit ihr zu reden, wenn es denn so ist. Sehr zu seinem Bedauern ist es so, und neben dem ungerichteten Blick in weite Ferne ist da auch wieder diese Melancholie in Arwens Ausstrahlung, die sie wie ein Schleier umgibt. Sie hat es nie auch nur mit einem Wort erwähnt, aber irgendwie sie wirkt nicht, als sei sie hier zu hause wirklich glücklich oder könne es werden.  Leise tritt er aus seinem Zimmer hinaus auf den Balkon, spürt das noch nachtkühle Holz durch die weichen Sohlen seiner Stiefel und nähert sich seiner Schwester. Vorsichtig berührt er Arwen am Arm um sie nicht mit unerwartet gesprochenen Worten zu erschrecken, und erreicht damit dann doch genau das, was er eigentlich vermeiden wollte. Entschuldigend und friedeheischend hebt er die Hände. "Entschuldige, ich wollte Dich nicht erschrecken, Arwen." Für einen kurzen Moment scheint so etwas wie Widerwillen in ihren Augen aufzublitzen, als sie sich vom Sonnenaufgang ab und ihm zuwendet. Doch im nächsten Augenblick ist er sich schon nicht mehr sicher, ob er sich das nicht bloß eingebildet hat. Die Geste, mit der sie ihre Arme um sich selber schlingt, kann er beim besten Willen nicht einordnen. Sie kann ebenso gut abwehrend sein, oder auch nur ein Zeichen, dass ihr in dem dünne Hauskleid aus rauchblauem Seidenbatist schlicht kühl ist.
"Du stehst jeden Morgen hier und siehst Der Sonne zu, wie sie über den Horizont steigt, nicht wahr?" Auch wenn er es als Frage formuliert, ist es doch eigentlich eher eine Feststellung. "Ja, ich habe dich schon ein paar Mal dabei beobachtet," gibt er mit einem deutlich schuldbewussten Lächeln zu. "Ich... ich kann mich ja täuschen, Arwen, aber wenn Du morgens hier stehst und in den Sonnenaufgang schaust, dann siehst Du so alleine und verloren aus. Jemand, der zu hause glücklich ist, sieht anders aus... Ist es das? Bist Du unglücklich hier bei uns?" Bei dem Gesichtsausdruck seiner Schwester wünscht Gildin sich fast, er hätte diese Frage nicht gestellt, doch nun ist es zu spät, die Worte sind gesagt, und er kann sie nicht zurücknehmen. Und er muss mit der Reaktion und der Antwort seiner Schwester leben. "Ist das der Grund, warum Du Dich mehr im Tempel aufhältst als hier auf Mita'Rôin?" Einen kurzen Moment zögert er, ehe er noch eine Frage nachschiebt. "Wirst Du den Tag heute auch wieder dort verbringen?"

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Arwen am 04. Sept. 2006, 08:04 Uhr
Als eine Hand sie sacht am Arm berührt, fährt Arwen herum und quietscht wie eine aufgescheuchte Fledermaus - das kommt davon, wenn man schreien will, obwohl einem das Herz im Hals schlägt. "Gildin! Götter im Himmel!" Ihr schlägt das Herz so hart gegen die Rippen, dass sie sich sicher ist, dass man es mehrere Schritt weit hören können muss. "Musst Du mich so erschrecken? Deinetwegen bleibt mir noch das Herz stehen." Soviel zu ungestörter Ruhe am Morgen...Mit einem leisen Bedauern wendet sie sich gänzlich von dem Farbenspiel am Horizont ab und sieht ihren Bruder aufmerksam ins Gesicht. Der Morgenwind frischt etwas auf, und lässt Arwen in ihrem Hauskleid frösteln. Aber die Arme hat sie nicht nur um sich geschlungen um sich zu wärmen, sondern auch um sich gegen das zu wappnen, was auch immer Gildin ihr mitteilen will. Denn sie geht nicht davon aus, dass ihr Bruder sie zu so früher Stunde aufsucht, bloß um mit ihr die Schönheiten einen frühsommerlichen Sonnenaufgangs zu erörtern. Sie muss auch nicht lange warten, bis ihr Bruder mit dem heraus rückt, das ihn so früh schon zu ihr führt. Und sie kann wirklich nicht behaupten, dass ihr gefällt, was sie hört. "Ja, ich bin jeden Morgen hier." Zu erfahren, dass ihr Bruder sie schön öfter dabei beobachtet hat, und zu wissen, dass sie es nie bemerkt hat, verstärkt Arwens Frösteln nur noch. Und es ärgert sie, macht sie wütend. Das schuldbewusste Lächeln ihres Bruders ändert daran nicht das geringste. Entsprechend schnippisch fällt ihre Antwort auch aus. "Ich wüsste nicht, dass Vater es auf die Liste jener Betätigungen gesetzt hätte, die mir untersagt sind, oder die ich nur unter bewaffneter Aufsicht ausüben darf." Mit dem was er dann sagt, berührt Gildin allerdings etwas in Arwen, dass ihr Gesicht augenblicklich zur Maske erstarren lässt. Himmel, Gildin, als ob Du nicht wüsstest, dass ich alles andere als freiwillig hier in Lomirion bin.

"Ob ich hier glücklich bin?" Für einen Moment schweigt sie wieder. "Du fragst das im Ernst, nicht wahr? Ich bin hier, weil Vater es so befohlen hat. Aus Sorge um meine Sicherheit, ja, ich weiß. Nur warum hat es dann den Anschein, als sei ich hier mehr in Gefahr als in Talyra? Dort konnte ich mein Haus jederzeit ohne bewaffnete Begleitung verlassen. Ich bin eine gehorsame Tochter, also bin ich hier. Aber gefallen muss es mir deshalb noch lange nicht." Kurz stockt sie, sucht nach den rechten Worten, und ist sich unsicher, ob sie dass, was ihr auf der Zunge brennt auch aussprechen soll. "Allein und verlassen... ja, manchmal fühle ich mich auch so... Ich habe im Prinzip mein Leben dort in Talyra zurückgelassen, das Leben, das ich mir selber aufgebaut hatte, Vinyamar, alle meine Freunde sind dort. Hier in Lomirion... genau genommen kenne ich doch hier nur dich und Vater, Andovar und Therlas. Soraya habe ich seit dem Inarifest nicht mehr gesehen, und so seltsam wie sie war, habe ich mich ehrlich gesagt auch nicht getraut, sie zu besuchen. Und all die anderen, die ich früher gekannt habe... ich weiß doch noch nicht einmal, wer von denen noch hier in der Stadt lebt, ob sie überhaupt noch leben." Ihr Bruder kann seine Reaktion auf ihre Worte nicht aus seinem Gesicht verbannen, und es schmerzt Arwen, seine Betroffenheit zu sehen. Aber sie kann ihn nicht anlügen, oder ihm die Wahrheit verschweigen, nicht jetzt, wo sie einmal angefangen hat zu reden. "Nein, Gildin, wirklich glücklich bin ich hier nicht. Und ich weiß nicht, ob ich es je sein werde." Das zaghafte Lächeln, mit dem sie ihrem Bruder eine Haarsträhne aus dem Gesicht streicht um ihm in die Augen sehen zu können, hat etwas gequältes. "Mita'Rôin." Ihr Lächeln wird weicher. "Adlerhorst... Weißt Du noch? Damals? Wir waren noch nicht lange hier in den Immerlanden, und von dem Haus hier stand noch nicht einmal ein ganzer Flügel, eigentlich noch nicht einmal der. Irgendjemand hatte die Ansammlung aus Zelten und Holzhütten in denen wir gelebt haben im Scherz 'Adlerhorst' genannt. Niemand wollte es gewesen sein oder wusste zu sagen, wer es gewesen war. Aber der Name hatte sich schnell verselbständig, und dann ist es dabei geblieben." Arwen sieht die Erinnerungen an diese lange vergangene Zeit in den Augen ihres Bruders aufblitzen, als schlüge grauer Stahl Funken aus Feuerstein.

"Und was den Tempel angeht... Natürlich werde ich auch heute wieder dorthin gehen." Es ist ein merkwürdiges Gefühl, sich dafür rechtfertigen zu müssen, dass sie sich täglich im Tempel Anukis' aufhält, immerhin ist sie Priesterin. "Was ist daran so ungewöhnlich? Ich bin Priesterin, Gildin, und das nicht erst seit gestern. Naurgol hat mich zwar in vielen Dingen unterwiesen, und lange Zeit habe ich bei ihm in den Shironthares gelebt, aber ich habe nie die Ausbildung der Novizen absolviert. Obwohl ich das Zeichen der Priesterschaft schon mehrere Jahre trage, gibt es da noch so vieles, das ich noch lernen muss. Und daran ändert es auch nichts, dass es bei meiner Berufung hieß, alles Wissen, das ich je brauchen würde, sei in mir und würde erwachen, wenn ich es brauche." Zwischen den letzten Worten stockt Arwen immer wieder. Hodor ist der einzige gewesen, mit dem sie je über das gesprochen hat, was sie gesehen und gehört hatte, als Anukis' Ruf sie erreichte. Sie will noch mehr sagen, will ihrem Bruder erklären, wie wichtig diese Unterweisungen im Tempel für sie sind, doch dazu kommt sie vorerst nicht. Rialinn tappst in ihrem leinenen Nachthemd heran, kaum richtig wach, ihre sahnegelbe Decke an einem Zipfel hinter sich her schleifend und ihren Bären fest im  Arm. Gildin wird von ihr nur irritiert angeblinzelt, so als wolle sie fragen 'Wer ist das denn?' , reckt sie ihrer Mutter die kleinen Arme entgegen und nuschelt trancetrunken "Eama, Tur." Mit einem zärtlichen Lächeln beugt Arwen sich zu ihrer Tochter hinab, schnappt sich die Decke aus Seidenwolle und hebt ihre Tochter darin eingewickelt hoch. "Delios-te fa, min Nar." Zusammen setzen sich Mutter und Tochter in einen der großen, runden Stühle aus geflochtener Weide, und es dauert nur wenige Augenblicke, bis Rialinn sich auf dem Bauch ihrer Mutter ausstreckt, den kleinen Kopf an deren Schulter legt und eingewickelt in ihre Decke wieder in Trance gleitet.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Mitarlyr am 11. Sept. 2006, 21:22 Uhr
Natürlich weiß Gildin, dass seine Schwester nicht freiwillig nach hause zurückgekehrt ist. Dass sie es nur getan hat, weil es eine Anordnung ihres Vaters gewesen ist, hatte sie ihm noch am Abend seiner Ankunft mehr als deutlich zu verstehen gegeben. Aber er hat nicht einmal ansatzweise geahnt, wie unglücklich seine Schwester tatsächlich hier in Lomirion und im Haus ihres Vaters ist, oder dass sie sich durch die Vorsichtsmaßnahmen ihres Vaters derart gegängelt fühlt. Das Stocken in Arwens Stimme, als sie von ihrer Berufung zur Priesterin spricht, entgeht ihm nicht. Und es ruft ihm ins Gedächtnis zurück, dass sie weder ihm noch sonst jemandem von dem er wüsste je von dem wo und wie erzählt hat. Ob sie Hodor davon erzählt hat? Oder brauchte sie ihm nicht davon erzählen, weil er dabei war? Immerhin war er Anukis-Templer. Was gäbe ich davon, mehr darüber zu wissen, mehr über Arwen. Denn wohl oder übel muss er sich eingestehen, wie wenig er eigentlich über das Leben seiner Schwester weiß, über das, was sie bewegt, ihre Hoffnungen und Wünsche. Es ist eine bittere Erkenntnis, und sie wird ihm auch nicht dadurch erträglicher, dass er bis vor wenigen Jahresläufen nicht einmal wusste, ob seine Schwester überhaupt noch lebt.
Das Auftauchen seiner kleinen Nicht unterbricht dann allerdings die Unterhaltung für einige Momente. Das Kind ist kaum wirklich wach und bringt seine Decke und den unvermeidlichen Bären auch gleich mit. Wenige Augenblicke später sitzen Mutter und Tochter in einem der korbähnlichen Sessel und Rialinn liegt eingekuschelt in den Armen Arwens. Gildins Blick wird weicher und sanfter, als er die beiden so beobachtet, und schließlich zieht er sich einen der anderen Sessel heran, um sich neben seine Schwester zu setzen.

"Das weiß ich, dass Du nicht freiwillig hierher zurückgekommen bist.“ Den Ausdruck 'nach hause’ vermeidet er eher unbewusst. "Aber ich wusste nicht, dass Du hier so unglücklich bist, Arwen." Für einen Augenblick kommt Schweigen auf, als sie beide einem kleinen Vogel zusehen, der unbefangen auf der hölzernen Balustrade herumhüpft und sich zu fragen scheint, was die merkwürdigen, federlosen Zweibeiner da machen. "Wir dachten… Vater hat es zwar letztendlich entschieden, aber er hat sich vorher mit mir beraten. Und mal ganz losgelöst von allem, was wir wegen Khelenar befürchten, sind wir davon ausgegangen, dass Du gerne hierher zurückkehren würdest. Nach all den langen Jahren, die Du quasi in freiwilliger Verbannung fern der Elbenlande verbracht hast… Ziemlich dumm und vermutlich viel zu sehr von unserem eigenen Wunsch geprägt, Dich wieder hier bei uns zu haben. Aber das wird mir erst jetzt klar."

Rialinn murmelt unverständliches in den Stoff von Arwens Kleid, rangelt ein wenig umher und findet dann anscheinend eine bequemere Haltung. Mit einem Lächeln schaut Gildin dem Kind zu. "Weißt Du, in dem Alter hast Du ganz genauso ausgesehen, Arwen. Sie ist Dir wie aus dem Gesicht geschnitten. Und Du… Wirf jetzt bitte nichts nach mir, auch wenn man es Dir vermutlich schon hundertfach gesagt hat und Du es nicht mehr hören kannst… Weißt Du, gestern, als Du mit Rialinn geschimpft hast, weil sie absichtlich die Schale mit den Kirschen herunter gestoßen hat, da dachte ich für einen Augenblick, ich würde einen Blick zurück durch die Zeit werfen und Mutter stünde vor mir… Du bist Mutter schon immer ähnlich gewesen. Aber jetzt, wo Du Rialinn hast, da ist es noch deutlicher geworden. Nicht nur vom Aussehen her, auch Deine ganze Ausstrahlung ist ihrer so ähnlich, dass es manchmal fast schon beängstigend ist…und gleichzeitig bist Du so ganz anders als Mutter. Ich rede Unsinn, ich weiß, aber ich weiß nicht, wie ich es besser erklären soll." Er unterbricht sich kurz selber, sucht in den Augen seiner Schwester nach einem Anzeichen dafür, dass sie aus seinen wirren Worten schlau geworden ist.

"Es wundert mich nicht wirklich, dass es Dich in den Tempel zieht, Schwesterherz," lächelt er. "Schon während der Schiffjahre bist Du dem Priester oft gefolgt wie ein Schatten und hast alles an Büchern regelrecht verschlungen, was er Dir zu lesen gab. Du weißt schon, der von dem wir diese Tropfen für Dich hatten und der sich Nimrod verschrieben hatte,… wie hieß er bloß… ach ja, Neduro. Damals war es so, dass wir eigentlich immer damit gerechnet haben, dass Dich der Ruf eines der Zwölf erreicht. Aber es ist nie passiert… Erst jetzt, so viele Jahre später. Aber wirklich wundern tut es mich nicht, dass Du Priesterin geworden bist. Aber was ich nicht verstehe, Arwen, was sind das für Unterweisungen, zu denen Du immer in den Tempel gehst? Du trägst bereits das Zeichen der Priesterschaft, Du bist längst keine Novizin mehr. Da ist es doch nicht verwunderlich, dass Vater sich Gedanken macht. Wobei… 'Gedanken' ist das falsche Wort. Er macht sich Sorgen, Arwen. Er befürchtet, dass Du dich von der Welt zurückziehen und ganz in den Tempel gehen könntest. Auch wenn er es niemals aussprechen oder zugeben würde… Er hat Angst Dich zu verlieren, Arwen."

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Arwen am 12. Sept. 2006, 21:06 Uhr
Nachdem Rialinn es sich in ihren Armen bequem gemacht hat lehnt Arwen sich in dem Sessel zurück, legt den Kopf gegen die weichen Kissen und schaut zu ihrem Bruder empor. Das Schweigen zwischen ihnen ist nicht unangenehm, und es dauert auch nicht lange an. Entweder es behagt ihrem Bruder nicht, dass er nun so auf sie herab schauen muss, oder das Licht der aufgehenden Sonne blendet ihn. Wie dem auch sei, er zieht sich einen der anderen Sessel heran und setzt sich neben sie, kaum eine Armlänge entfernt und wieder auf gleicher Augenhöhe. Und der Blick mit dem er seine Nicht betrachtet, lässt Arwen lächeln. Die Überlegungen, warum ihr Bruder weder eine Gemahlin noch eigene Kinder hat, verdrängt sie dabei rasch wieder. "Unglücklich ist vielleicht zuviel gesagt. Aber glücklich, wirklich glücklich ist auch etwas anderes," gesteht sie schließlich ein. "Ganz falsch lag eure Vermutung ja auch nicht. Himmel, in all den Jahren, wie oft habe ich mir da gewünscht, ich könnte zurück zu euch. Aber jetzt, wo ich hier bin, da… da fühlt es sich nicht richtig an. Ich weiß nicht einmal wirklich, woran es liegt. Weil nicht ich es entschieden habe, sondern Vater? Oder ist es der Grund aus dem ich zurückgekehrt bin? Eine Mischung aus beidem?" Rialinn treibt für einen Moment an der Grenze zwischen Ruhen und Wachen entlang, bewegt sich träge, murmelt unverständliches und versinkt dann mit einem entspannten Seufzen wieder in den Tiefen der Trance. Sacht streicht Arwen ihr eine der nachtwirren Haarsträhnen aus dem Gesicht.

Als ihr Bruder allerdings von der auffallenden Ähnlichkeit zwischen Arwen und ihrer Tochter anfängt, und dann auch noch davon, wie sehr Arwen ihrer eigenen Mutter gleicht, erstarrt Arwens Gesicht zu einer reglosen Maske, in der sich nicht das geringste Gefühl erkennen lässt. Obwohl das eigentlich mehr über ihre Gefühle aussagt, als es jede Mimik könnte. Nichts nach dir werfen? Dein Glück, dass hier nichts ist, dass ich werfen könnte Um Rialinns Willen, die so nah bei ihr ist, vergräbt Arwen den Wust aufgewühlter Gefühle tief in sich und bemüht sich, ihrer Stimme einen vollkommen ruhigen Klang zu geben. Aber es kostet sie ein großes Maß an Selbstbeherrschung, und sie beißt die Zähne einige Herzschläge lang derart fest zusammen, dass die Muskeln ihrer Wangen fast zu zittern beginnen. "Ich.Bin.Nicht.Amithra." Ihre Stimme klingt gepresst vor lauter krampfhafter Beherrschung. Und für einen kurzen Moment wünscht sie sich, ihre Tochter wäre jetzt nicht hier bei ihr, sondern würde friedlich in ihrem Zimmer im Bett liegen. Dann müsste sie sich jetzt nicht so zusammenreißen, sondern könnte ihren Gefühlen nachgeben und ihren Bruder anschreien um dieser hochkochenden Wut in ihr Luft zu machen. Sie presst die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen, denn mit einem Mal wird ihr klar, warum sie sich hier in den Elbenlanden nicht heimisch fühlt, sich vielleicht nie heimisch gefühlt hat. Ihr Blick hält den ihres Bruders fest, zwingt ihn, ihr nicht auszuweichen, sondern sich das anzuhören, was sie ihm zu sagen hat - und von dem sie nicht weiß, ob sie es ihrem Vater sagen könnte..
"Dein Glück, dass ich Rialinn auf dem Arm habe und sie nicht wecken will, Gildin. Denn wenn sie nicht hier wäre, und ich etwas in Reichweite hätte, dann würde ich es nach dir werfen." Sie muss ich einen Herzschlag lang sammeln, um die gewetzten Messer, die in ihrer Stimme mitklingen wieder einzusammeln. "Ihr merkt es schon gar nicht mehr, oder? Winterwinds Blut. Amithras Tochter. Die Verfluchte. Tochter des Truchsessen. Verdammt, meine Person wird immer nur über meine Abstammung definiert. Die Götter mögen mir verzeihen, aber es gibt Augenblicke, Augenblicke wie diesen hier, da hasse ich meine eigene Mutter. Ich habe sie nie gekannt, aber mit ihrem Namen und ihrem Erbe überschattet sie schon mein ganzes Leben. Nie geht es darum, wer ICH bin oder was ICH will. Immer geht es nur darum, von wem ich abstamme, wer meine Mutter war und ob es gelingt, Winterwinds Fluch zu brechen." Das ist eine Lektion, die sie schon als kleines Kind besser gelernt hat als ihr heute lieb ist. Ich war nie mehr als das übrig gebliebene Anhängsel meiner Mutter. Es sind uralte und sinnlose Selbstzweifel, wird ihr bewusst. Zweifel, die sie längst überwunden hatte - zumindest hat sie das bis eben geglaubt. Nicht überwunden... nur verdrängt… Es kostet sie einige Augenblicke, um den Kloß in ihrem Hals herunter zuschlucken, der ihr das Atmen schwer macht und die Stimme abzuschnüren droht.
"Wann hört das endlich auf? Wann hört IHR damit auf? Ich bin ein eigenständiges Wesen. Eine eigene Person. Ich habe ein eigenes Leben, Wünsche und Hoffnungen, die mir ganz alleine gehören." Sie holt tief Luft ehe sie fortfährt. "Wenn es hier wäre wie in Talyra, vielleicht könnte ich dann wieder heimisch werden. Nur das ist es nicht, und ich weiß nicht ob es das je sein wird. Dort bin ich einfach ich. Arwen. Nicht mehr und nicht weniger. Es interessiert niemanden, wer mein Vater ist oder wer meine Mutter war. Verstehst Du jetzt, warum ich zurück will nach Talyra? Hier, in Lomirion würde der Schatten Amithras sich nicht nur weiterhin über meinem Leben ausbreiten, selbst jetzt noch wo der Fluch gebrochen ist, hier würde er auch auf Rialinns Leben fallen. Und das werde ich um keinen Preis zulassen. Sie soll unbeschwert aufwachsen, ohne die Schatten einer Vergangenheit, die schon Zeitalter zurück liegt." Den Gedanken, der dahinter steckt, den spricht sie nicht aus. Sie soll auf Bäume klettern und in Matschpfützen springen, wenn ihr danach ist, ohne dass ihr dauernd jemand erklärt, dass sich das für eine Tochter aus dem Haus des Truchsessen nicht schickt. Sie soll lachen können wenn sie sich freut und es nicht verlernen aus lauter Angst die Trauer eines anderen zu stören. Und wenn sie traurig ist oder Angst hat, soll sie sich nicht mit ihren Tränen verstecken müssen, sondern einfach kommen und sich trösten lassen können… Sie soll nicht so aufwachsen wie ich. Sacht streicht sie ihrer Tochter über den Rücken und findet dabei auch zu ihrer eigenen Ruhe zurück. Es dauert eine Weile, aber es gelingt ihr schließlich, und sie kann ihrem Bruder auf das antworten, was er sie über ihre Berufung in den Dienst Anukis' und ihren Aufenthalte im Tempel fragt.

"Die Priesterschaft ist nichts, das man sich 'aussucht', Gildin, oder das man erlernt wie... wie ein Zimmermann sein Handwerk. Wenn die Götter einen erwählen, dann ist es in einem, vom Augenblick der Geburt an. Aber nur wer glaubt und wer sich entscheidet, den Weg der Götter zu beschreiten, den erkennen sie. Dann, und nur dann, kann man die  Kräfte formen und nutzen, die die Götter einem anvertrauen. Wer nicht glaubt, dem bleiben diese Mächte verschlossen. Die Macht der Priester kommt direkt von den Göttern, und mit ihr das Wissen um die Magie, die sie im Namen ihrer Gottheit wirken können. Man könnte sie nie aus Büchern lernen. Darum gibt es auch keine Aufzeichnungen über die Zauber der Priester." Arwens Blick bekommt für einen kurzen Augenblick etwas schmunzelndes, als sie sich an Gildins Worte bezüglich ihres Wissensdurstes und Bücherhungers während der Schiffsjahre erinnert. "Aber andere Dinge, die kann und muss man lernen, auch aus Büchern. Dinge, die ein Priester wissen muss um den Mächte die ihm anvertraut werden auch gewachsen zu sein. Denn er kann nur soviel nutzen, wie sein Geist ertragen und sein Körper beherrschen kann. Versagen Körper oder Geist oder schwindet gar der Glaube, versiegt die Macht. Und dann sind da all die anderen Dinge, die ein Priester wissen und können muss um seinen Pflichten und Aufgaben im Dienst an den Göttern nachkommen zu können. Pflanzenkunde. Heilkunde. Die Historie Rohas und seiner Völker. Das Wirken der Zwölf und ihrer Archonen. Geburtshilfe. Übungen zur Konzentration und Meditation. Die heiligen Gesten, Formeln und Rituale. Gesänge. Die Worte der Macht. Und noch so vieles mehr. Ein Priester lernt nie aus, selbst nach seiner Weihe noch lernt er immer weiter. Denn mit jedem weiteren Kreis, der sich ihm erschließt, wächst seine Macht und muss er mehr wissen und können, um diese auch beherrschen und nutzen zu können. Naurgol war ein guter Lehrer und hat mir vieles beigebracht. Nicht weniges davon deckt sich mit dem, was auch Novizen lernen. Aber er war kein Priester, und es gibt vieles, was er mir nicht beigebracht hat, nicht beibringen konnte. Und das hole ich jetzt nach."

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Mitarlyr am 28. Sept. 2006, 21:59 Uhr
Kaum dass er es ausgesprochen hat, bereut Gildin es auch schon, die Rede überhaupt auf ihre Mutter gebracht zu haben. Im Ausdruck von Arwens Augen sieht er kurz eine Ahnung dessen aufschimmern was in ihr vorgeht. Schon unter normalen Umständen ist sie stets beherrscht, doch jetzt erstarrt ihr Gesicht geradezu. Eine Totenmaske hätte vermutlich mehr Regung gezeigt als das Gesicht seiner Schwester. Und ihre Stimme ist von einer derart eisigen Beherrschung, dass Gildin erahnen kann, wie viel Kraft diese Selbstkontrolle sie kosten muss. Er streckt die Hand nach ihr aus um sie zu besänftigen, ihr zu sagen, dass es so nicht gemeint war wie sie es aufgenommen hat. Doch dann zieht er die Hand wieder zurück ohne sie berührt zu haben. Es bricht aus Arwen heraus, als habe er mit seinen Worten einen Damm eingerissen, den seine Schwester über viele Jahrhunderte um ihr Innerstes aufgebaut hat. Gibt es eigentlich überhaupt etwas, das ich wirklich über Arwen weiß? Sie hat nie auch nur ahnen lassen, dass sie so unter dem Erbe unserer Mutter leidet, geschweige denn, dass sie auch nur ein Wort darüber verloren hätte. Schweigend folgt er den Worten seiner Schwester. Unbeschwert…. Ich gebe es ja nur ungern zu, aber unbeschwert bist du wirklich nicht aufgewachsen, Arwen. Aber wie auch? Du wurdest geboren als der Krieg der Götter erst wenige Monde alt war, eine Kindheit im Krieg, dann die Schiffsjahre und die Ausbrüche des Fluches… nein, unbeschwert ist wirklich etwas anderes. Mit leisem Bedauern wird ihm klar, dass seine Schwester auch dann, wenn sie es hätte sein können, beispielsweise in der relativen Sicherheit der Schiffsjahre, nie unbeschwert gewesen ist, stets war sie ernst, zurückhaltend und verschlossen. Und die Gelegenheiten, bei denen er sie offen hatte lachen sehen, könnte er vermutlich an einer Hand abzählen. Wenn er denn bereit wäre, sich dieser bitteren Wahrheit zu stellen. Er ist es nicht, nicht nur um seinetwillen, sondern auch weil es nichts bringt, diese längst vergangenen Zeiten zu bedauern. Das Hier und Jetzt ist wichtig, und er will, dass seine Schwester wenigstens jetzt glücklich und zufrieden ist. Etwas, das sie augenscheinlich hier in ihrem Vaterhaus nicht ist. Nur jetzt nicht ist, hofft er. Vielleicht nie sein wird, befürchtet er allerdings. Denn auch wenn Winterwinds Fluch gebrochen ist, so wird doch die Geschichte von Amithra Siranvendis und ihrem Kampf mit einem Dämonen der Altvorderenzeit immer mit den Erinnerungen an die Himmelsinsel verbunden sein. Und diese Erinnerungen werden weder Arwen noch das Haus der Sternenadler je hinter sich lassen können. Und Rialinn auch nicht…keiner von uns…

Er will ihr noch etwas darauf antworten, kommt dann aber doch nicht dazu, da Arwen ihm fast ohne Luft zu holen erklärt, was es mit ihren Aufenthalten im Tempel auf sich hat, warum sie trotz ihrer bereits erfolgten Priesterweihe noch an den Unterweisungen der Novizen teilnimmt. Er hat zwar gewusst, dass Novizen viele Dinge in ihrer achtjährigen Novizenzeit lernen müssen. Auch dass seine Schwester sowohl im Haus ihres Vaters als auch später während der Schiffsjahre eine sehr umfassende Erziehung erhalten hat, weiß er. Und nicht zu vergessen all die Jahresläufe, in denen sie bei Naurgol ausgebildet wurde. Doch so, wie sie es jetzt darstellt, scheint sie trotz der Jahre in Talyra und im dortigen Tempel noch einiges lernen zu müssen.
"Ich wusste nicht, dass da noch so viel ist, das Du lernen musst, Syllanar. Gut, ich weiß, dass Du nie die Novizenzeit durchlaufen hast, aber ich habe irgendwie immer gedacht, dass Du bei all den Lehrern die wir hatten und in den Jahren in den Shironthares eigentlich alles gelernt hättest, was Du wissen musst… Ich komme mir gerade ziemlich dumm vor, dass mir nicht klar gewesen ist, dass die Novizenzeit nicht ohne Grund acht Jahre dauert."  Rialinn zuckt in Trance mit ihrer kleinen Nase, und Gildin streicht behutsam eine von Arwens Haarsträhnen zurück, die seine kleine Nichte kitzelt. "Was ich vorhin über unsere Mutter gesagt habe… nein, Arwen, sieh mich nicht gleich wieder so eisig an… es tut mir leid, ich hatte keine Ahnung, wie sehr Du darunter leidest. Überhaupt muss ich heute Morgen feststellen, dass ich nur sehr wenig von Dir weiß, Schwesterherz. Und das ist weder einfach noch angenehm. Aber ich möchte, dass Du mir eines unbedingt glaubst, Arwen: Wenn wir einen Weg gefunden haben, dass Khelenar für Dich und Rialinn keine Bedrohung mehr ist, dann bringe ich  Dich und Rialinn zurück nach Talyra. Ich weiß nicht, ob es noch in diesem Jahreslauf sein oder wie lange es dauern wird, aber Du wirst nach hause zurückkehren, und Rialinn auch. Das verspreche ich Dir." Ich habe zwar nicht die geringste Ahnung, wie ich das Vater erklären soll, aber ich werde einen Weg finden.

Sie sitzen noch eine ganze Weile zusammen dort, sehen dem aufgehenden Tagesgestirn zu wie es sich langsam über den Horizont erhebt und reden. Oft schweigen sie auch nur lange Momente gemeinsam. Wie es scheint, müssen sie beide erst wieder lernen, wie es ist einen Bruder oder eine Schwester zu haben und unbefangen miteinander umzugehen. Aber das Schweigen zwischen ihnen hat nichts Unangenehmes. Mit wem man nicht schweigen kann, mit dem soll man auch nicht reden… Vater hatte recht mit diesem Satz... Und es gibt so vieles, was sie einander zu erzählen haben, aus all den Jahrhunderten, in denen sie sich nicht gesehen haben. Und so erfährt er vieles, was Arwen während ihrer Wanderjahre in den Landen der  Sterblichen gesehen und erlebt hat, vor allem, was in den letzten Jahren in Talyra geschehen ist. Und im Gegenzug erzählt er seiner Schwester davon, wie sich sein Leben entwickelt hat. Irgendwann wacht Rialinn auf, reibt sich die nur halbwachen Augen und nuschelt an Arwens Schulter, dass sie Hunger habe. Nachdem er seiner Schwester das Versprechen abgenommen hat, dass sie sich an diesem Morgen die Zeit für ein ausgiebiges Frühstück gemeinsames Frühstück in der großen Halle nehmen wird, lässt er Mutter und Tochter alleine, damit die sich in Ruhe der Morgentoilette widmen können.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Arwen am 30. Sept. 2006, 15:37 Uhr
Mittag ist schon längst vorüber, als Arwen die Reichsarchive und den Palastbezirk im Herzen der Stadt wieder verlässt. Schweigend, völlig in ihre Gedanken versunken und ohne über das 'Wo' oder 'Wohin' nachzudenken geht sie durch die Straßen Lomirions. Dyania, jene Elbin aus Ritterschaft ihres Vaters, die sie seit Tagen überall außerhalb des Hauses begleitet, folgt ihr auch heute wie ein Schatten. Die junge Frau gibt sich die größte Mühe, Arwen durch ihre Anwesenheit so wenig wie irgend möglich einzuengen. Still und zurückhaltend, so als wisse sie wie wenig Arwen einverstanden mit der Anordnung ihres Vaters ist. Und Arwen weiß das sehr zu schätzen. Und wie auf eine wortlose Absprache hin ist Dyania stets am Rand des Tempelbezirks zurückgeblieben und Arwen nicht in den Tempel Anukis' gefolgt, was die ihr hoch anrechnet. Die junge Frau hat die ungewöhnliche Fähigkeit, derart in ihrer Umgebung aufzugehen, dass sie in ihrer Unscheinbarkeit fast unsichtbar wird. Und ganz egal, zu welcher Stunde Arwen den Tempel wieder verlassen hat, ist ihre Begleiterin wie aus dem Nichts wieder an ihrer Seite. Die ersten Male hat dieses plötzliche Auftauchen Arwen noch erschreckt, aber jetzt ist sie daran gewöhnt, und kann auch eine gewisse Sympathie für diese ungewöhnliche Elbin nicht verleugnen, deren Zurückhaltende Art ihrer eigenen so ähnlich ist.

Ihre Gedanken wandern zurück zu dem Gespräch mit ihrem Bruder am Morgen, und ein lautloses Seufzen begleitet die Erinnerung daran. Gildins unerwartetes Auftauchen hat sie völlig unvorbereitet angetroffen. Und seine Fragen haben direkt und bei allem Verständnis für sie trotzdem unerbittlich den Kern dessen getroffen, was Arwen hier in Lomirion nicht zur Ruhe kommen, sie nicht wirklich zu hause ankommen lässt. Sie hat ihm Dinge offenbart, die sie bis zu diesem Morgen tief in sich verborgen gehalten hat, die sich aber nicht mehr zurückhalten lassen wollten, nachdem sie einmal angefangen hatte darüber zu reden. Ihr Bruder hatte ihr versprochen, dass er sie zurück nach Talyra bringen wird, und das hat den Druck der auf ihr lastet wie ein unsichtbarer Fels ein wenig gemindert - auch wenn er ehrlich genug war einzugestehen, dass er nicht weiß, wann das sein wird. Seinen Vorschlag, dass sie darüber auch mit Tianrivo reden solle, hat sie allerdings entschieden zurückgewiesen. Bei all dem Kummer, den sie ihrem seit dem Tag ihrer Geburt bereitet hat, kann sie ihm unmöglich sagen, wie unglücklich sie hier in Lomirion ist.
Sie haben noch lange zusammen geredet und geschwiegen, so lange, bis Rialinn aufgewacht ist und Hunger reklamiert hat. Und sie hat dabei so manches erfahren, dass Gildin ihr bisher verschwiegen hat. So zum Beispiel den Grund, warum Gildin so merkwürdig auf ihren Vorschlag zu Inarianar reagiert hatte, doch einen der Rotfüße zu erhören, die ihm den ganzen Abend schöne Augen gemacht haben. Manchmal sind die Muster, das Llaeron in unser Schicksal webt nur schwer zu verstehen… und noch schwerer zu akzeptieren… Es hatte eine Frau im Leben ihres Bruders gegeben, der er den Hof gemacht hatte, und die seine Gefühle wohl auch erwidert hatte. Doch als er bei ihrer Familie um sie anhielt, hatte deren Vater sein Ansinnen mit der Begründung zurückgewiesen, dass er seine Tochter nicht sehenden Auges mit dieser Heirat einem Fluch ausliefern würde, der ihr mit dem ersten Kind den Tod bringt. Dass sich der Fluch, wenn überhaupt, erst wieder bei Töchtern der beiden manifestieren würde, hatte er nicht glauben können oder wollen. Den Umgang mit seiner Tochter hatte er Gildin nicht verboten, aber ihm untersagt, ihr weiterhin den Hof zu machen, denn einer Verbindung der beiden werde er erst zustimmen, wenn der Fluch gebrochen sei. Es entbehrt nicht einer zutiefst bitteren Ironie, dass diese Elbin dann vor wenigen Jahresläufen das Werben eines anderen erhörte und noch vor Ablauf des ersten Ehejahres im Kindbett mit ihrem Kind starb. Jetzt weiß Arwen auch, warum ihr Bruder damals nicht zusammen mit ihrem Vater nach Talyra kam. Die Frau, die er geliebt hatte, war erst kurz zuvor zu Grabe getragen worden.

Erst als die Wachen am Tor sie mit einem höflichen Neigen des Kopfes grüßen, wird Arwen bewusst, dass sie den Inneren Stadtring durchquert haben und sich dem Markt nähern, der täglich auf dem großen Platz stattfindet, und sich über die Ringstraße und den breiten gepflasterten Weg zum Haupttor bis in die Viertel der Handwerker und Händler hinein erstreckt. Entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit, jede größere Ansammlung von Elben zu meiden, genießt Arwen diese Besuche des Marktes regelrecht - trotz Gedränge und Durcheinander - denn es erinnert sie an die regelmäßigen Einkäufe, die sie immer zusammen mit Cassandra erledigt hat. Aber nicht nur deshalb ist sie heute hier. Der Vorsteher des Skriptoriums hat einige Bücher aus den Archiven des Palastes entliehen gehabt, um Abschriften für den Gebrauch im Tempel anzufertigen. Diese Arbeiten sind nun erledigt und die Bücher sollen zurück ins Archiv. Die Gelegenheit hat Arwen genutzt um ohne Aufmerksamkeit zu erregen selber etwas in den Archiven zu erledigen, und sich angeboten, die Bücher zurückzubringen. Rialinn hat sich in den hohen Räumen mit endlosen Regalreihen voller Bücher, Pergamente und Urkunden trotz aller Neugier nahezu mustergültig ruhig verhalten, dass Arwen ihr zur Belohnung versprochen hat, dass sie hinterher auf den Markt gehen werden. Sie weiß nur zu gut, wie sehr ihre Tochter das bunte Durcheinander dort fasziniert. Ebenso wie die Aussicht auf eine von den nach Vanille und Honig duftenden Waffeln, denen Arwen selber nicht widerstehen kann.
Entsprechend aufgeregt hüpft Rialinn neben ihr auf und ab, als Arwen kurz hinter dem Tor bei einem der zahlreichen Straßenbäcker der Stadt anhält um drei dieser süßen Backstücke zu erstehen. Rialinn bekommt zuerst nur eine halbe Waffel in die Hand, die kleinen Augen sind nämlich oftmals größer als der Magen. Aber sie haben alle drei seit dem Morgen nichts mehr gegessen, und entsprechend Hunger. Und so ignoriert Arwen auch einfach Dyanias Geste mit der die ihre Waffel ablehnen will. "Nichts da, Dyania. Versucht nicht, mit weiszumachen, ihr hättet keinen Hunger." Das Lächeln in Arwens Augen nimmt den Worten ihren Ernst. "Falls ihr nichts süßes mögt und lieber etwas von diesen Teigtaschen mit Käse mögt, dann sagt es mir… Nein, das Stück gehört Dir nicht, Rialinn, das gehört Dyania," unterbindet Arwen den spekulativen Blick ihrer stets hungrigen Tochter. "Das hier ist deine andere Hälfte." Und dann wieder an Dyania gewand, "Mit der Waffel ist Rialinn erst einmal zufrieden, damit haben wir genügend Zeit, uns an einer der Garküchen etwas zu suchen, das eher einem Mittagessen entspricht… auch wenn das Njarda überhaupt nicht gefallen wird." Das kurze Aufblitzen eines Schmunzelns in den Augen ihrer Begleiterin bestätigt Arwen in ihrer Vermutung, dass die resolute Haushofmeisterin ihres Vaters auch über Ritter, Knappen, Pagen und Knechte ein strenges Regiment führt. Keiner von ihnen braucht noch lange, um die süßen Waffeln spurlos verschwinden zu lassen. Die feste Mappe mit den Urkunden, deren Abschriften Arwen im Archiv hat beglaubigen lassen reicht sie kurz an ihre stets schweigsame Begleiterin weiter, um Rialinn die klebrigen Finger abwischen zu können. "Komm her, kleiner Fratz. Wie ich dich kenne, klebst du wieder bis hinter die Ohren, hm?" Kichernd lässt Rialinn es sich gefallen, dass ihre Mutter ein noch sauberes Leintuch aus der Gürteltasche hervorholt, sich von einem vorbeikommenden Wasserträger etwas Wasser geben lässt und anschließend Gesicht und Hände einer gründlichen Reinigung unterzieht. "So. Jetzt bist du wieder sauber, mein kleiner Dreckspatz." Mit einem Schwung richtet Arwen sich wieder auf und hebt auch gleich ihre Tochter hoch. Von ihrem Arm aus kann sie zum einen besser sehen, was um sie herum passiert und sie selber muss sich nicht den kleinen Schritten des Kindes anpassen. Und zum anderen ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis das Kind nach dem Vormittag und dem für es doch recht weiten Weg durch Lomirion aller freudiger Neugier zum Trotz müde werden wird. "Also, Rialinn, wo lang? Links oder rechts?" Ihre Tochter sieht sie einen Augenblick fragend an, schaut in die eine Gasse, dann in die andere, zuckt kurz mit den Schultern und entscheidet dann: "Sîr!" Da! und streckt ihren keinen Arm in die gewählte Richtung.

Es ist die Gasse der Instrumentenbauer, in die sie ihr Weg als erstes führt. Und was man am späten Abend oder nachts für mit großen Läden verschlossene Fenster halten könnte, erweist sich tagsüber als breite Maueröffnungen mit Ladentischen davor. Hinter den Ladentischen kann man die Handwerker an ihren Werkbänken sehen. Die Gerüche von Holz, Öl und Harz steigen in die Luft, begleitet von den Geräuschen der Stemmeisen und Feilen und dem gelegentlichen Klang eines Instrumentes: Einer Pfeife, einer Harfe oder einer Viole, die gespielt oder gestimmt werden. Die Sonne steht hoch am Himmel und brennt sommerlich herab. Doch die Überstande der geschwungenen Dächer werfen ausreichend Schatten, dass die Luft in der Gasse nicht stickig wird. Ein paar Ecken weiter passieren sie in die Tuchergasse ein, wo statt Musikinstrumenten Stoffballen auf den Tischen liegen und der Klang der Musikinstrumente vom Klappern der Webrahmen und dem Surren von Spindeln und Spinnrädern abgelöst wird. Wieder eine Ecke weiter stehen sie in der Nähnadelgasse. Die Schilder über den Türen zeigen hier Bilder fertiger Kleidung, oder eine leuchtend goldene Nadel vor einem braunen Hintergrund, die wie Arwen im Vorbeigehen feststellt auf einen Laden für Stickereien hinweist. Und wo eben noch Stoffballen ausgelegt wurden, hängen nun Hemden oder Überwürfe, manche mit Stickereien verziert, dann feine, fast durchsichtige Blusen, aber nur fast, daneben aber auch festere, praktischere. Einige Schneider haben sogar angezogene Holzpuppen vor ihr Geschäft gestellt. Einige in eindeutig festlicher Aufmachung, gehüllt in schimmernde Spinnenseide und durchsichtige Feenseide, andere in praktischere Kleidung für den täglichen Gebrauch aus strapazierfähigeren Stoffen. Schuh-, Gürtel- und Handschuhmacher schließen sich den Wäschenäherinnen an. Es gibt soviel zu sehen, dass sich Rialinns kleiner Kopf unablässig hierhin und dorthin wendet. Arwen ist vor einiger Zeit bereits einmal alleine hier gewesen, und es hat sie schon da trotz aller Andersartigkeit unweigerlich an die Gasse der Webstühle in der Weltenstadt erinnert. Nur dass der Schneider zu dem sie gegangen ist nicht einmal annähernd so anstrengend war wie Meister Dornenbeutel.

Sie verlassen das Gewirr der kleinen Gassen und Wege und kehren zurück auf den eigentlichen Marktplatz. Gleich an der Gassenmündung hat ein fahrender Glasbläser seinen Platz, und sein Freiluftofen verbreitet eine solche Hitze, dass jeder unwillkürlich noch einen Schritt zurückweicht. Überall auf dem Platz haben Bauern aus dem Umland neben fahrende Händlern und Handwerkern ihre Wagen und Stände unter hellen Sonnensegeln aufgebaut. Die eine oder andere Stadtwache ist auf Rundgängen zu sehen, doch insgesamt herrscht hier fröhliche Betriebsamkeit und höfliches Feilschen und Handeln. Unterschiedlichste Messer aus gutem Stahl werden hier ebenso angeboten wie solche aus geschliffenem Stein, sogar einige Klingen aus dem kostbaren Obsidian kann Arwen entdecken. An einem anderen Stand gibt es gemusterte Fächer aus Papyrus, die besonders in der Hitze der nahenden Sommermonde begehrt sein werden. Und gleich daneben farben- und musterreiche Tuche und Stoffe aus allen nur erdenklichen Materialien, strohgepolsterte Körbe und Kisten mit Tellern, Schüsseln und Schalen aus hauchfeinem Porzellan durch das man fast hindurch sehen kann neben  Geschirr aus glänzend schwarz lackiertem Holz. Bei all den Stimmen, Farben und Gerüchen überwältigt es Arwen fast, aber es ist zugleich auch belebend und befreiend.
Etwas am Rand findet sich ein Algenhändler aus dem Süden, der getrocknete und hauchdünn gepresste Seepflanzen zu handlichen Bögen schneidet, die man entweder so mitnehmen oder sich gleich hier an Ort und Stelle mundgerechte Reisportionen mit Fisch oder eingelegtem Gemüse darin einwickeln lassen kann, die Ishuê genannt werden. Der gleiche Händler bietet auch Ibêlin an: Wassergras das von den wasserüberspülten Steinen der Julfares gesammelt, dicht an dicht, Faser für Faser auf Bambusmatten ausgelegt und dann mit einer Sauce aus Tamarinde beträufelt und mit hauchfeinen Scheiben von Knoblauch, Tomate und Sesamsaat bestreut wird, ehe man es zum Trocknen einen Tag in die Sonne legt. Diese gewürzten Wassergrasmatten sind nicht nur bei den Elben im Süden beliebt, um darin frischen Fisch erst kurz zu dämpfen und dann über heißer Glut zu ende zu garen. Und der Einfall, die schmackhafte Verwendung seiner Waren gleich hier vorzuführen und als kleine Mahlzeiten anzubieten beschert dem Händler gute Geschäfte; sowohl bei den getrockneten Waren als auch bei seiner kleinen Garküche.

Rialinn schaut zwar reichlich skeptisch, als Arwen nach einem kurzen Blickwechsel mit Dyania auf diesen Stand zusteuert, aber die Neugier überwiegt dann doch. Getrocknete Algen oder Ibêlin für den Vorrat will Arwen zwar nicht kaufen, sie wird sich hüten, sich in Njardas Vorratsplanung einzumischen, aber die Waffel vorhin hat keinen von ihnen richtig satt gemacht, der Nachmittag ist nicht mehr jung, und es wird Zeit, dass sie etwas Vernünftiges in dem Magen bekommen. Arwen lässt ihre Tochter vom Arm herunter und stellt sie vor sich auf den Boden, als sie bei dem kochenden Händler angelangt sind. Rasch hat sie sich eine Kostprobe einmal quer durch das Angebot an Algen-Päckchen ausgesucht, mit Reis, frischem, rohen Fisch, sauer eingelegtem Gemüse, frischem Gemüse, geräuchertem Fisch, geröstetem Frischkäse, dazu zwei kleine in Ibêlin gebackene Fische und einen kleinen Brotfladen, der so frisch ist, dass er noch nicht einmal ganz abgekühlt ist. Mal sehen, was Rialinn zu dem gesäuerten Reis sagen wird… Insgeheim ist Arwen mehr als gespannt, wie ihre Tochter auf dieses doch recht ungewohnte Essen reagieren und ob es ihr schmecken wird. Das Essen auf festen, großen Blättern balancierend suchen sie sich einen Platz am Rand des Marktes, wo tatsächlich ein grüner Grasflecken im Schatten hoher Bäume unbelegt ist. Eines von Rialinns Leintüchern muss für ihr ungeplantes Picknick als Deckenersatz herhalten, und Rialinns Neugier auf das so ungewohnt riechende Essen ist immerhin groß genug, dass sie ungeduldig auf Arwens Schoß klettert und sich die Ishuê genauer betrachtet.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Soraya am 07. Okt. 2006, 23:31 Uhr
„Und Ausfall.“ Der Junge vor ihr stockt, sortiert hastig seine durcheinander geratenen Füsse und blinzelt im nächsten Augenblick verdattert, als ihr Schwert auf seiner Schulter ruht. „Tot“,  kommentiert sie kühl und scheucht ihn vom Uebungsplatz, das verhaltene Kichern der anderen Burschen ignorierend. Wahrscheinlich hätten zehn weitere von ihnen genau das gleiche Problem gehabt, und wären ihr regelrecht in die Spitze hineingestolpert, doch für heute sind es genug blaue Flecken und mit einem Handwink gibt sie der müden Meute zu verstehen, dass die Stunde beendet ist. Feràhl löst sich aus dem Schatten des Stalls und kommt mit verschränkten Armen auf sie zu, auf dem Gesicht eines seiner seltenen Lächeln, die bei ihm alles und nichts bedeuten können. Soraya übergibt ihr eigenes Uebungschwert einem der Jungen, der es fachgerecht an seinem Platz versorgen würde, legt dann den Kopf in den Nacken und geniesst die warme Sommersonne auf ihrer Haut. „Sie lernen schnell.“ Ausgelaugt von dem langen Training, dass sie seit Sonnenaufgang auf den Beinen gehalten hat, kippt ihr Kopf nach vorne und sie blinzelt Feràhl zwischen halbgeschlossenen Lidern zufrieden an: „Ja, Ehrgeiz  und Freude sind noch immer der beste Lernantrieb, und von beidem haben die Jungen genug.“ Feràhl nickt und winkt dann seine eigenen Rekruten heran, die bereits im Halbdunkeln des Stalleingangs auf den Beginn ihrer Übung gewartet haben, hin und wieder das Treiben der Jüngeren mit einem schwachen Lächeln quittierend. Mi’neo wagt es sogar spöttelnd über manche Ungeschicklichkeit zu witzeln, verstummt aber, als Feràhl ihn einmal mehr daran erinnert, wie er das letzte Mal selbst schwächlich wegen eines Schrittfehlers in den Sand gefallen war. Soraya lacht leise auf und zieht sich dann vom Steinplatz zurück, um sich einer Katzenwäsche zu unterziehen. Zwar liegen noch einige Unterlagen zur Bearbeitung bereit, doch heute ist ihr mehr nach einem kurzen Spaziergang, die Papiere werden schliesslich nicht davon laufen. Gemütlich schlüpft sie aus ihrer verschwitzten Kleidung, wäscht den Staub und den Schweiss aus ihrem Haar, zieht ein leichtes Hemd und eine lockere Stoffhose über und macht sich auf in die Stadt, um so neben ihrer persönlichen Erholung, auch noch gleich einige persönliche Dinge auf dem Markt zu besorgen. Ihr Vater wird sich in zwei Siebentagen auf den Rückweg machen, um rechzeitig zum grossen Sommer- und Eidfest wieder in der Stadt zu sein und es gilt mehrere Vorbereitungen für dieses grosse Ereignis zu treffen, so auch beim nahegelegenen Schneider vorbei zu sehen und die Festtagsgewandung ausbessern zu lassen. Natürlich gibt es einige Dienerinnen, deren Finger ebenso geschickt sind, doch Soraya kennt und vertraut auf den weisshaarigen Illionere, dessen Kunst in der ganzen Stadt geschätzt und hoch gelobt wird.  

Die Strassen sind gefüllt mit Leben und Soraya gibt sich dem Treiben ein wenig hin, lässt sich mal in diese, mal in diese Richtung mitziehen und vergisst kurze Zeit die Anstrengungen der letzten Stunden. Schon bald steigen ihr die verführerischsten Düfte in die Nase, doch sie schafft es den Verlockungen zu widerstehen und bahnt sich resolut einen Weg bis zum inneren Stadtring, wo sich die Blüte des Marktes befindet. Hin und wieder grüsst sie jemanden, oder bleibt kurz stehen, um einige Worte zu wechseln, doch nie zu lange, bis sie schliesslich in das dichte Gedränge im  Herzen der Stadt gerät. Händler und Käufer vermischen sich, diskutieren, tauschen und werden sich über den Preis nicht einig, andere verlassen mich höchstzufriedenen Gesichtern die Stände, Einzelne blicken leicht verärgert. Soraya selbst ist froh sich nicht in dieses Durcheinander stürzen zu müssen. Stattdessen bewegt sie sich langsam am Rande entlang, weicht Karren und Gruppen aus und erreicht schliesslich, nachdem sie das Hauptgeschehen durch zwei kleinere Gassen verlassen hat, das erwünschte Ziel. Schneiderei Illoniere prangt in verschlungenen silbernen Lettern auf einer hellen Holztafel in Form eines Fingerhutes, das über der schlichten Eingangstüre an silbernen Ketten hängt.  Als sie eintritt, erklingt ein helles Klingeln von einem Glöckchen, doch das Geräusch wird von der verstaubten Luft, die brach das Zimmer erfüllt, fast verschluckt. Das einzige Licht, das die vier weissen Wände mit den unzähligen Regalen erhellt, dringt durch halbhohe, blattförmige Fenster von aussen hinein und gewährt dem Besucher einen Blick auf das vorderste Zimmer des Hauses. Gemütlichkeit hängt hier in zwischen schweren Stoffballen und auserlesenen Kunstwerken, die er zur Ausstellung seines Könnens benutzt. Einen Moment nimmt sie sich Zeit, um mit ihren Fingern über zwei verschiedene Samtstoffe zu streichen, die aus einer Truhe herausblitzen und im schweren Goldlicht teuer schimmern. Gleich daneben findet sie Ceresdorerseide, die man mit Gold aufwiegen kann, aber keinen Schritt weiter stapeln sich bergweise handfestes Linnen, weiche Wolle und reissfester Jute, bei deren Anblick sie erleichtert aufatmet. Den ganzen erlesenen Tand kann sie sich zwar leisten, doch ist er nicht nützlich und stapelt sich bei ihr höchsten im Schrank, oder in irgendwelchen Kisten in den Ecken ihres Zimmers.  

Vorsichtig setzt sie den grossen Beutel mit ihrer Last ab, gerade als leichte Schritte erklingen und aus dem hinteren Teil des Ladens eine etwas kleinere, schmale Gestalt schält, deren Augen freundlich funkeln. „Shu’ra Soraya, es ist schön euch wieder zu sehen.“ Soraya erwidert die respektvolle Begrüssung des Schneiders mit einem Kopfnicken: „Es ist schön wieder einmal euer Haus aufzusuchen Meister Illoniere“, und schiebt ihm dann den Sack mit den sorgfältig zusammengelegten Kleidungstücken über den Tresen hin. Der Elb nimmt ihn an sich und breitet mit abschätzender Miene jedes Teil mit geschickten Fingern vor sich auf dem glatten Holz aus. „Für das Sommerfest, nehme ich an?“, fragt er, während er sich ein wenig vorbeugt und an der Stickerei eines Wams herumzupft, der an der Naht einzelne Löcher aufweist. „Ja, für das Sommerfest. Jemand wird die geflickten Stücke drei Tage vor dem Fest holen, wenn ihr denn Zeit dafür habt.“ Ein ernster Blick aus grauen Augen trifft sie unvermittelt, senkt sich jedoch gleich darauf wieder auf abgenutzte Stoffecken und ausgefranste Säume: „Ich wäre ein schlechter Schneidermeister, wäre dem nicht so.“ Soraya lächelt schwach, neigt ihren Kopf zum Abschied und verlässt die Schneiderei dann mit dem Gefühl, den Rest des Tages wirklich für sich selbst nutzen zu können. Doch freie Zeit bedeutet auch Zeit um nachzudenken, weswegen sie im Kopf sämtliche Dinge durchgeht, die noch anstehen könnten und beschliesst dann sich mit dem Vorsteher ihres Hauses, Yaleicos Arisrîl, zusammenzusetzen, um den Rückritt nach dem Fest bereits ansatzweise zu besprechen.  Zwar ist es noch weit bis dahin, doch ist ihr, als wäre früher besser als später.  
Während sie sich zwischen vollbepackten Elbinnen hindurch windet und vereinzelten, noch vom Inarianar übrig gebliebenen Feen ausweicht,  schweifen ihre Gedanken zu Arwen ab, die sie seit dem Fest nicht mehr gesehen hat. Was damals geschehen ist, erscheint ihr heute wie ein längst verblasstes Ereignis, dass bereits vor unzähligen Jahren hätte stattfinden müssen und leider erst vor kurzer Zeit einen Ausbruch gefunden hat. Ich habe Gildin verletzt und ich habe Tianrivo getrotzt, doch manchmal glaube ich, dass sie glücklicher sein könnten, würden sie leben und nicht schwelgen. Bisher solche Überlegungen verdrängt, plagen sie Soraya jetzt umso stärker und nachdenklich lässt sie sich am Rande eines Brunnens nieder, wo auch andere bereits die Wärme des Mittags mithilfe des kalten, frischen Wassers ein wenig lindern.

Im Grunde genommen geht es sie nichts an und kümmert sie auch nur am Rande, doch Gildin ist noch immer ihr Cousin und Tianrivo ihr Onkel, der sie seit Kindheitsjahren kennt und Arwen… Wer ist Arwen? Ruhig stützt sie sich mit dem Rücken an eine Randfigur, die einen glitzernden Strahl Wasser aus ihrem Mund speit, und betrachtet mit ernster Miene die vorbeiziehende Menge. Die Vorfreude auf das grosse Sommerfest ist jetzt schon zum Greifen nahe, doch Soraya selbst verbindet mit diesem bevorstehenden Ereignis nur dunkle Vorahnungen, weswegen sie sich nicht so entspannen kann, wie es andere Besucher ganz offensichtlich vorhaben. Gerade dabei ein wenig Wasser des Brunnen zu schöpfen, um ihren Durst zu stillen, sieht sie fragend auf, als sich vor ihr die Menge kurz lichtet und ihr so einen Blick auf einen ein wenig abgelegenen Schattenplatz gewährt. Wer dort ganz offensichtlich mal wieder dabei ist sein hungriges Plappermäulchen zu stopfen, erkennt Soraya selbst auf diese Entfernung und ihre Blick bleibt solange an Arwen hängen, bis eine Traube von wild lamentierenden Kobolden, sowie ein Schwall junger Elben sich zwischen sie und ihre Cousine schieben. Für einen Moment möchte Soraya sich erheben und sich nach Hause begeben, doch noch während sie diesen Gedanken von sich schiebt, weiss sie, dass sie irgendwann doch gerne wieder mit Arwen reden möchte. Wenn möglich noch vor dem Fest. Ich sollte mit ihr sprechen.
Es dauerte nicht lange bis sie sich durch die Suchenden geschlagen hat und den Rand des Grases erreicht, wo unter dem goldgrünen Schatten einiger Weiden Arwen mit Rialinn auf dem Schoss, sowie eine andere Elbin zusammen auf einem Tuch sitzen und sich an etwas genüsslich tun, dass Soraya erschreckend an Ibêlin erinnert, etwas, dass sie noch nie gern hatte. „S'ljea Arwen. Wie ich sehe hat Rialinn es geschafft, dich aus dem Tempel zu locken“, begrüsst sie ihre Cousine schliesslich freundlich und nickt ihr mit einem warmen Lächeln zu. Das Tianrivo Morgensterns Tochter in der letzten Zeit häufig, oder eigentlich jeden einzelnen Tag im Anukistempel verbracht hat, hat sich schnell herumgesprochen und auch nicht vor den Mauern ihres eigenen Anwesens Halt gemacht.  

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Arwen am 13. Okt. 2006, 21:52 Uhr
Rialinn ist höchst skeptisch, was dieses seltsame Essen angeht, das ihre Mutter da auf kräftigen, dunkelgrünen Blättern auf dem hellen Leintuch ablegt. Auch das Blatt wird intensiv beäugt, und man kann ihrem Gesicht ansehen, wie sehr das keine Hirn arbeitet um sich darüber klar zu werden, ob das hier einer der sonst üblichen blattförmigen Teller ist, die sie aus dem Haus ihres Großvaters kennt, oder ob die Teller bloß so aussehen wie diese Blätter. "Blatt. Kein Teller." Lautet schließlich das Ergebnis ihrer Überlegungen, dass sie strahlend verkündet. "Stimmt, min Lora. Das ist ein Blatt. Aber eines, das wir als Teller benutzen," erklärt Arwen ihrer Tochter, während sie das Kind etwas auf ihrem Schoß zurecht setzt und mit spitzen Fingern vorsichtig die Hülle aus Wassergras um den gebratenem Fisch aufbricht. "Und weißt du, welchen Vorteil diese Blätter haben?... So ein Blatt ist ein hervorragender Teller, weil man ihn nach dem Essen nicht abspülen muss." Ihre Tochter schaut nur etwas verständnislos, aber von Dyania kommt ein Geräusch, dass nur mit sehr viel gutem Willen als Husten durchgehen könnte. Die Elbin kann ihr Lachen über die Erklärung zu den Blättern nur mit Mühe verbergen. Für eine Weile verstummen alle Gespräche, als sie sich über die Ishuê und den Fisch hermachen. Was die Algenpäckchen angeht, bleibt Rialinn auch nach den ersten Bissen noch höchst skeptisch und hält sich lieber an das saftige, weiße Fleisch des Fisches. Das allerdings ausgiebig.

Arwen ist gerade dabei, ihrer Tochter eine Gräte aus dem Fischfleisch zu ziehen, als eine bekannte Stimme sie ablenkt. "Soraya!", erwidert sie den unerwarteten Gruß ihre Base. "S'ljea." Unter anderen Umständen wäre sie vermutlich aufgesprungen, um die Elbin richtig zu begrüßen, aber mit einem Kind auf dem Schoß und fischklebrigen Händen vom Grätenzupfen, geht das nicht so recht. Die Anspielung auf Arwens tägliche Anwesenheit im Tempel Anukis ist sie versucht zu übergehen. Unbewusst wandert Arwens Blick kurz zu dem aufgestickten Wolfskopf auf ihrem Kleid. Ich bin Priesterin. Was ist so ungewöhnlich daran, dass ich mich im Tempel meiner Göttin aufhalte? Und warum werde ich das Gefühl nicht los, dass sich alle möglichen Leute daran stören, dass ich meinen Pflichten als Priesterin nachkomme?... Ob sie sich bei Amithra auch so daran gestört haben? Für einen Moment züngelt kalte Wut in Arwen auf, hat sie es satt, sich wegen etwas rechtfertigen zu müssen, das für sie völlig normal ist. Doch dann schiebt sie es weit von sich, wild entschlossen, sich den Tag und das strahlende Wetter nicht davon verderben zu lassen. "Also wenn eine Priesterin, die ihren Dienst im Tempel versieht das aufregendste ist, über das die Klatschfinken Lomirions zu berichten wissen, dann sind wir dem Zustand absoluten Friedens so nahe, wie man ihm in den Immerlanden nur kommen kann," schmunzelt sie Soraya an. "Ich war im Archiv des Valonva Shaer um zwei Bücher zurückzubringen, die die Scriptoren im Anukistempel zur Leihe erhalten hatten. Und um dort einige Abschriften beglaubigen zu lassen." Kurz huscht Arwens Blick zu der Mappe aus festem Leder, die zwischen ihr und Dyania im Gras liegt. Die Elbin erhebt sich gerade und zieht sich mit ihren Ibêlin einige Schritte zurück, um Soraya ihren Platz zu überlassen. Arwen ist versucht, die junge Frau zurückzuhalten, zum einen, weil sie weiß, dass Tianrivo ihr aufgetragen hat immer in Arwens Nähe zu bleiben, und zum anderen, weil sie sich nicht vorstellen kann, dass sie mit Soraya etwas reden könnte, dass sie zu verheimlichen hätte. Doch dann lässt sie es, und dank Dyania nur mit einem Lächeln für deren Rücksichtnahme.

"Setz dich doch zu uns, Soraya. Wir waren den ganzen Tag unterwegs und sind bisher nicht richtig dazu gekommen, etwas zu essen. Nein Rialinn, nicht auswickeln, wenn man die Ishuê auswickelt, wird das bloß Schmierkram." Geduldig windet sie ihrer Tochter ein halb ausgewickeltes Stück der Algenrolle aus der Hand und wischt die Klebreisverschmierte Hand mit einem kleinen Leintuch sauber. "Hier, nimm' das. Das Stück hat die richtige Größe für dich." Arwen nimmt ein neues Stück, beißt selber etwas davon ab, damit der Rest genau die rechte Größe hat, um mit einem Happen von ihrer Tochter geschluckt werden zu können und schiebt das Stück dann in den erwartungsvoll aufgesperrten Mund ihrer stets hungrigen Tochter. "Du bist ein kleiner Nimmersatt, weißt du das…" Kichernd und kauend gleichzeitig versteckt Rialinn ihr Gesicht an der Schulter ihrer Mutter. Und verlangt, kaum dass sie geschluckt hat nach dem nächsten Happen. "Mehr!" Zufrieden auf dem ihrem Mittag herumkauend strahlt Rialinn ihre Tante an als hätte jemand in ihrem Gesicht eine kleine Sonne angeknipst, mustert die vor ihnen stehende Elbin aufmerksam von unten bis oben, und verkündet dann mit dem ganzen Ernst ihrer achtzehn Monate. "Kein Kleid." Etwas verwundert sieht Arwen ihre Tochter an und braucht etwas, bis sie den Zusammenhang versteht, und sich an die Kleiderausprobierszene am Inarifest erinnert. "Stimmt, Soraya hat wieder kein Kleid an, Rialinn. Aber heute ist auch kein Festtag. Ein Fest ist erst wieder im Sommer… Aber Inarianar ist das richtige Stichwort. Wie ist es Dir seit dem ergangen, Soraya? Du warst auf dem Fest so plötzlich verschwunden, und seit dem… nun ja… irgendwie habe ich es immer vorgehabt, und trotzdem ist immer etwas dazwischen gekommen, wenn ich zu dir wollte…" Ein beschämtes Lächeln begleitet ihre Worte.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Soraya am 17. Okt. 2006, 15:42 Uhr
"Also wenn eine Priesterin, die ihren Dienst im Tempel versieht das aufregendste ist, über das die Klatschfinken Lomirions zu berichten wissen, dann sind wir dem Zustand absoluten Friedens so nahe, wie man ihm in den Immerlanden nur kommen kann.“ Soraya bringt nur ein dünnes Lächeln zustande ob dieser Aussage und ihr Blick wandert flüchtig zu ihren Fingern, die ineinander verschlungen an ihrem Gurt ruhen. Oder wir entfernen uns gerade wieder von ihm. "Ich war im Archiv des Valonva Shaer um zwei Bücher zurückzubringen, die die Scriptoren im Anukistempel zur Leihe erhalten hatten. Und um dort einige Abschriften beglaubigen zu lassen." Arwen sieht zu einer braunen Ledermappe hinüber und Soraya braucht nicht lange um den Zusammenhang zwischen diesen Beglaubigungen und dem Grund für Arwens Anwesenheit in Lomirion zu erkennen. Das Schmunzeln auf ihren Lippen erstirbt komplett, erscheint jedoch keinen Herzschlag später wieder, als Rialinn sich erst füttern lässt, um dann mit fester Stimme ihre Kleidung zu kommentieren. „Ganz richtig“, bestätigt Soraya ihre kleine „Nichte“, kniet sich nieder und verschränkt die Arme: „Kein Kleid und das wird auch so bleiben. Kleider sind nichts für deine Tante.“
Noch während Arwens Dienerin sich erhebt, um sich zu entfernen, will Soraya sie bitten zu bleiben. Die Hand schon zum Wink erhoben, hält jedoch im letzten Moment inne und besinnt sich. In Anwesenheit einer Fremden würde sie niemals frei reden können, nicht einmal wenn diese Frau Arwens Vertrauen besässe und so lässt Soraya sie schliesslich gewähren, ihr nickend Dank erweisend für den frei gewordenen Sitzplatz. Ihr Schwert neben sich ins Gras legend, lässt sie sich auf der ausgebreiteten Decke nieder und sieht ihre Cousine an, als diese zum Sprechen ansetzt: "Stimmt, Soraya hat wieder kein Kleid an, Rialinn. Aber heute ist auch kein Festtag. Ein Fest ist erst wieder im Sommer… Aber Inarianar ist das richtige Stichwort. Wie ist es Dir seit dem ergangen, Soraya? Du warst auf dem Fest so plötzlich verschwunden, und seit dem… nun ja… irgendwie habe ich es immer vorgehabt, und trotzdem ist immer etwas dazwischen gekommen, wenn ich zu dir wollte…" Inarianar... Ein geräuschloses Seufzen hebt Sorayas Schultern, bevor sie leise, aber bestimmt antwortet: „Arwen, ich möchte mich bei dir entschuldigen, dass ich dich auf dem Fest einfach so alleine liess, doch war es besser. Sowohl für mich, als auch für euch. Und ich bin gewissermassen auch froh, dass du mich nicht besuchen konntest, es wäre keine gute Zeit gewesen.“

Der Geruch nach Fisch steigt ihr in die Nase, zusammen mit dem eigentümlichen Geruch der Algen und der Sauce, weswegen sie den Kopf ein wenig wegdreht und die Menge betrachtet, die unbehelligt an ihnen vorbeizieht. „Ich habe viel zu tun, nein, eigentlich bin ich froh, wenn ich, wie jetzt, mal ein wenig Zeit für mich finde, irgendwie“, fügt sie mit einem breiten Grinsen ein, das sauber den Hauch von Ernst überspielt, der in ihren Worten mitschwingt. In den letzten Wochen hat sie nichts anderes getan als zu arbeiten, zu schuften, ihre eigenen Grenzen auszutesten, nur um sich ständig mit irgendetwas von den trüben Gedanken ablenken zu können, die sie überall hin verfolgen. „Mein Vater ist nach Winterhall geritten, um die Jagdverträge zu diskutieren, weswegen ich unser Anwesen momentan führe, aber er soll in den nächsten Tagen wieder zurückkehren. Der Verkauf einiger Hunde und Pferde, sowie die Zucht von fünf Jungwelpen und natürlich das Training der angehenden Soldaten hält mich auf Trab, ganz zu schweigen von meiner kleinen Meute von Hausburschen, denen ich hin und wieder Schwertunterricht gebe.“ Sie kann sich ein amüsiertes Lachen bei der Erinnerung an zehn staubverdreckte Burschen mit Holzschwertern und leuchtenden Augen nicht verkneifen. Egal was sich ihnen in den Weg gestellt hatte, und wäre es der schlimmste Sturm dies- und jenseits der Elbenlande gewesen, die Jungen standen jeden Morgen bei Sonnenaufgang mitsamt ihrer spärlichen Ausrüstung und ungewaschenen Gesichtern auf dem Uebungsplatz, begierig darauf wartend, endlich mit dem Training beginnen zu können. Langsam krempelt sie die Ärmel ihres Hemdes nach oben, denn der Tag ist angenehm warm und verlockt geradezu zu einem Bad unter der Sonne. Einen Moment lang geniesst Soraya das wunderschöne Wetter, dann jedoch beugt sie sich ein wenig vor und meint so leise, dass nur Arwen es hören kann: „Du bist schon eine ganze Weile in der Stadt… Was ist mit Khelenar. Es scheint nicht“, Sorayas Blick schweift kurzzeitig zu dem Ledereinband, in dem Arwen wohl die Abschriften verwahrt: „als wäre die Sache geklärt worden.“

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Arwen am 20. Okt. 2006, 22:36 Uhr
Äußerlich wirkt ihre Base so ruhig und gelassen wie stets, doch die Art und Weise, wie sich ihre Finger ineinander verschränken und in den Schwertgurt verhaken deuten auf eine innere Anspannung hin, die Arwen irritiert. >Arwen, ich möchte mich bei dir entschuldigen, dass ich dich auf dem Fest einfach so alleine ließ, doch war es besser. Sowohl für mich, als auch für euch. Und ich bin gewissermaßen auch froh, dass du mich nicht besuchen konntest, es wäre keine gute Zeit gewesen< Prüfend mustert Arwen die Elbin die sich unterdessen ihr gegenüber niedergelassen hat durch die Wimpern hindurch. Irgendetwas hast du, Soraya, irgendetwas, das du vor allen und vielleicht auch vor die selber verbirgst… und es war an Inarianar auch schon da. Ich habe es nur in dem ganzen Trubel des Festtages nicht gemerkt… Und hier ist auch nicht der rechte Ort, um über so etwas zu reden. Ihre Cousine redet weiter, erzählt von all den Pflichten und Aufgaben, die ihre Tage ausgefüllt haben - es wohl auch die nächsten Tage noch tun werden -  und das unerwartete lachen, das die Gesichtszüge der Elbin gleichsam aus einem Eispanzer befreit, lässt auch Arwen lächeln - und sie vergessen, ihrer Base zu erklären, dass Entschuldigungen unnötig sind. "Schwertunterricht für Hausburschen? … Interessante Überlegung. Aber ich glaube auf Mita'Rôin würde mich unsere Kastellanin in die tiefste aller Höllen wünschen, wenn ich ihre Hausburschen von der Arbeit abhalten und am Schwert ausbilden würde." Für einen Moment kommt Schweigen auf, aber kein unangenehmes Schweigen, in dem sie alle nur die warmen Sonnenstrahlen genießen. Sogar Rialinn, die sonst zu allem und jedem etwas zu plappern weiß, nagt ruhig und zufrieden auf einem Stück Brot herum.

Die nächsten Worte sind so leise, dass Arwen sie gerade eben noch hören kann, und das auch nur, weil Soraya sich zu ihr herüber gebeugt hat. Es gelingt Arwen nur schwer, sich nicht anmerken zu lassen, dass alleine die Erwähnung dieses Namens genügt, um Schatten und Erinnerung zu wecken, die Arwen am liebsten für immer vergraben wüsste. "Khelenar?" Ihre Stimme vibriert leise als sie den Namen ausspricht. "Ich bin ihm noch nicht begegnet, seit ich hier bin. Und ich kann nicht behaupten, dass ich es bedauern würde." Sie spricht nicht weniger leise als Soraya zuvor, und ihr Lächeln bekommt etwas Gezwungenes. "Nein, geklärt ist noch gar nichts. Ich weiß nicht warum, doch in den letzten Wochen hat er keine neuen Versuche unternommen, welcher Art auch immer… Aber ich traue dem Frieden nicht." Mit einem Nicken deutet sie auf die Ledermappe neben sich. "Ich habe mir im Archiv des Valonva Shaer Abschriften beglaubigen lassen, die Eheurkunde ebenso wie die Annullierung, und Hodors letzte Verfügungen. Vater hat noch keine Lösung, wie wir Khelenars… Ambitionen… ein für alle Mal vereiteln können. Aber wenn die Urkunden beglaubigt sind, dürfte er es zumindest deutlich schwerer haben, sie anzufechten." Rialinn hat sich unterdessen in ihrem Schoß zusammengerollt wie eine zufriedene Katze und ist dabei, sich in Trance zu dösen. Behutsam streicht Arwen ihrer Tochter eine der widerspenstigen Haarsträhnen aus dem Gesicht. "Aber vielleicht braucht mein Vater auch keine Lösung zu finden. Ich habe einen Raben mit einer Nachricht zu Niniane geschickt, und sie um ihre Hilfe gebeten. Jetzt warte ich auf ihre Antwort. Wenn sie zustimmt, dann weiß ich vielleicht einen Weg, wie ich verhindern kann, dass Khelenar Ansprüche auf Rialinn erhebt." Wirklich unsicher ist Arwen sich nicht, ob Niniane ihrer Bitte zustimmen wird, immerhin hat sie der Halbelbin diese Frage schon einmal gestellt - wenn auch im Angesicht der Bedrohung Talyras durch einen halbelbischen Dämonenprinzen - , und da hatte sie eingewilligt. Und diese Zuversicht ist sowohl Arwens Stimme anzuhören, als auch ihrem Gesicht anzusehen. "Ganz gleich wie schwach diese Ansprüche wären, und wie gering die Wahrscheinlichkeit, dass auch nur einer der Hohen Richter ihnen entsprechen würde, so lange auch nur noch ein Mitglied des Hauses Mitarlyr am Leben ist. Aber er könnte damit eine Menge Staub aufwirbeln und Unruhe verursachen. Und das würde ich Rialinn und mir nur zu gerne ersparen… Und meinem Vater." Dass sie Niniane erwähnt, ohne auch nur einen der ihr zustehenden Ehrentitel zu verwenden, ist Arwen gar nicht bewusst. In ihrer Zeit in der Weltenstadt ist die Halbelbin ihr eine Freundin geworden, haben sie Dinge gemeinsam durchgestanden, die einfach keinen Platz mehr lassen für so etwas unnötiges wie höfische Anreden und Ehrentitel. Dass das hier in Lomirion vermutlich viele anders sehen würden, kommt ihr allerdings nicht für einen Augenblick in den Sinn.

Die Sonne schummelt ihre Strahlen durch das Laubdach der Bäume und mit geschlossenen Augen überlässt Arwen sich für einige Augenblicke einfach dieser Illusion, von warmen Lichtfingern berührt zu werden, ehe sie sich einen der letzten Ishuê nimmt. Dass sie Soraya auch etwas von Ishuê und Ibêlin angeboten hat, geschieht eher aus Höflichkeit, denn sie kann sich noch gut erinnern, dass Fisch nicht gerade zu den Leibspeisen ihrer Cousine zählt. "Aber das sind alles Dinge, die nicht für die unzähligen neugierigen Ohren hier auf dem Markt bestimmt sind. Wie sieht es mit Deiner Zeit aus, Soraya, rufen dich Pflichten zurück nach hause? Oder hättest Du Zeit und Lust mit zu kommen? Ich muss heute nicht mehr zurück in den Tempel. Wir könnten uns also die Köchin überreden, uns einen kleinen Korb zu packen… ohne Fisch," ein neckender Unterton schleicht sich in Arwens Stimme, "und uns einen ruhigen Nachmittag bei uns im Garten machen. Da hätten wir dann auch endlich Zeit und Gelegenheit, um in Ruhe zu reden."

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Soraya am 23. Okt. 2006, 23:18 Uhr
"Schwertunterricht für Hausburschen? … Interessante Überlegung. Aber ich glaube auf Mita'Rôin würde mich unsere Kastellanin in die tiefste aller Höllen wünschen, wenn ich ihre Hausburschen von der Arbeit abhalten und am Schwert ausbilden würde." „Der Sohn unserer Kastellanin ist auch darunter“, fügt Soraya hinzu und lässt Arwen dabei nicht aus den Augen: „Und sie lässt gönnt den Kindern diese kurze Freude, bevor sie sich mit Küchen-, Putz- und Stallarbeit abmühen müssen.“ Dass es bei euch anders ist, wundert mich nicht Arwen. Dunkel hallt die Stimme ihres Onkels in ihrem Kopf wieder, wie er die Erzählung ihrer streicherfüllten Kindheit durch die Blumen hindurch als unnötig und unpassend deklariert hat. Zu manchen Zeiten hat sich Soraya gefragt, ob Tianrivo schon mit seinem harten Wesen auf die Welt gekommen ist, oder ob er so geworden ist, weil man ihm in seiner Kindheit jegliches Spielen verboten hat. Keiner ihrer Gedanken lässt sich ob ihrer Züge erahnen, die in ein amüsiertes Lächeln ausgewichen sind. Ihre muntere kleine „Nichte“ ist schon wieder dabei, mit grossen, runden Augen gierig eines der Häppchen auf der Decke zu verschlingen und das auserwählte Stück muss natürlich auf schnellstem Weg in ihrem hungrigen Mund verschwinden.
"Khelenar?" Soraya kann den Umbruch der Stimmung in der Luft so deutlich spüren, als trüge die sanfte Sommerbriese kalten Schnee mit sich. Allein der Name scheint zu genügen, um aus dem netten Nachmittagspicknick ein Desaster werden zu lassen und fast tut es Soraya leid, überhaupt gefragt zu haben. Arwens Stimme wird rau, doch sie behält ihre gefasste Maske, dieses steinerne Gesicht, dass sie nur zu wenigen Zeiten jemals abgelegt hat. Also ist der Konflikt noch nicht aus der Welt geschafft, denkt Soraya sich mit Sorge und Arwen bestätigt ihren Verdacht.
"Nein, geklärt ist noch gar nichts. Ich weiß nicht warum, doch in den letzten Wochen hat er keine neuen Versuche unternommen, welcher Art auch immer… Aber ich traue dem Frieden nicht." „Was erwartet ihr Arwen?“ Gemächlich setzt Soraya sich gerade auf, die Hoffnung auf ein paar geruhvolle Stunden erst einmal weit von sich schiebend und ihre Cousine ernst ins Auge fassend. „Glaubt ihr Khelenar wird dir Rialinn auf offener Strasse entreissen? Er ist vielleicht kein Ehrenmann, aber deswegen noch lange nicht dumm. Immerhin“, dabei huscht ihr Blick hinüber zu der Dienerin, die in respektvollem Abstand ihren Ishuê verzehrt: „Bist du gut bewacht, zu jeder Tages- und Nachtzeit und im Tempel, wo du dich ja am meisten aufhältst, kann er dir noch weniger etwas anhaben, als hier in der Stadt. Aber ich schätze“, eine milde, verständnisvolle Wärme spiegelt sich in Sorayas Blick: „Du wirst nicht für ewig hier bleiben wollen. Dein Zuhause… ist wohl nicht Mita’Rôin.“

Arwen, längst weiter mit ihren Gedanken, berichtet von ihren Erfolgen im Archiv, ihre Tochter dabei geduldig mit kleinen Häppchen fütternd, um den kleinen Naseweis so wahrscheinlich von ihrer ansonsten so resoluten Neugierde abzulenken. Doch schon bald ist ihr Hunger gestillt und die Müdigkeit überkommt das kleine Elbenmädchen. "Aber vielleicht braucht mein Vater auch keine Lösung zu finden. Ich habe einen Raben mit einer Nachricht zu Niniane geschickt, und sie um ihre Hilfe gebeten. Jetzt warte ich auf ihre Antwort. Wenn sie zustimmt, dann weiß ich vielleicht einen Weg, wie ich verhindern kann, dass Khelenar Ansprüche auf Rialinn erhebt." Schon drauf und dran nachzuhaken, was [I]genau Arwen in der Nachricht geschrieben hat, wird Soraya erst im Moment danach klar, welchen Namen ihre Cousine da erwähnt hat. Ta… Lady Niniane? Offenes Erstaunen schleicht sich in ihre Augenwinkel und fast rutscht ihr ein lapidares: „Wo ist sie?“, über die Lippen, gerade als es hinter ihrer Stirn „Kling“ macht und ein Kupferling, in Form des Wolkenthrons, gefallen ist. Tante Nan! Natürlich, bei allen Göttern und ihren Archonen, DAS ist die Lösung. Sie wird mir helfen können, sie hat die Möglichkeit mir zu helfen. Innerhalb weniger Augenblicke, in denen Sorayas Stirn sich erst in angestrengte Falten legt, nur um dann in bestürzte und erleichterte Glätte zugleich überzugehen, manifestiert sich in ihren Gedanken ein schwacher, nur durch Hoffnung gestützter Plan. Ihr Herz pocht schwer und dumpf gegen ihre Rippen und ein halb säuerliches, halb bitteres Grinsen vertieft ihre Mundwinkel, lässt ihre Lippen zu schmalen Strichen werden, als sie sich mehr und mehr klar wird, was sich da hinter ihrer Stirn zusammenbraut. Als Arwen schweigt, sieht Soraya auf, nicht gewillt diesen so schemenhaften Ankerpunkt, den sie dank ihrer Cousine so unverhofft gefunden hat, irgendwie auch nur anzudeuten. Der Zeitpunkt würde kommen, aber während eines Picknicks inmitten von schattenspendenden Bäumen bei einer – wohlriechenden – Mahlzeit Fisch, ist ihr nicht danach, über die tiefste Sorge zu sprechen, die sie momentan beschäftigt.

Rialinn ist in zufriedene Trance entglitten und eine Locke hängt ihr in das blasse Gesichtchen. Soraya streicht sie nicht zur Seite, doch sie betrachtet die rosigen Wangen, die halbmondförmigen Schatten auf der perlengleichen Haut und den kleinen Mund, aus dem sehr eindringliche Töne kommen können. So glücklich hab ich auch geschlafen, in den Hängematten der Schweigen, wenn ich nicht gerade mit den anderen Kindern dabei war, den gröbsten Unfug auszuhecken.
"Aber das sind alles Dinge, die nicht für die unzähligen neugierigen Ohren hier auf dem Markt bestimmt sind. Wie sieht es mit Deiner Zeit aus, Soraya, rufen dich Pflichten zurück nach hause? Oder hättest Du Zeit und Lust mit zu kommen? Ich muss heute nicht mehr zurück in den Tempel. Wir könnten uns also die Köchin überreden, uns einen kleinen Korb zu packen… ohne Fisch," Sorayas Augenlid zuckt und sie wirft Arwen aus halbgeöffneten Augen einen vorwurfsvollen Blick zu. Sie hat keineswegs das amüsierte Gelächter der Geschwister Mitarlyr ob ihres Gezeters vergessen, als Ssartar und Sila’ndeyon sie während eines Abendmahls mithilfe einer heimtückischen Täuschung wirklich dazu gebracht hatten, von diesem grauenhaften Essen zu probieren. Die Übelkeit danach war auch auf ihr Konto gegangen, hatte aber nicht die, von Soraya damals erhofften, Schuldgefühle zur Folge gehabt, sondern nur die Tatsache, dass ihre Brüder sie seitdem immer mit ihrem kleinen, schwachen Magen aufgezogen hatten. „Pff, immerhin vertrag ich jetzt schon den Viertel einer Forelle, ohne das mir schlecht wird“, erwidert sie, hebt stolz ihr Kinn und es glitzert hell im Schatten ihrer Wimpern.
"Und uns einen ruhigen Nachmittag bei uns im Garten machen. Da hätten wir dann auch endlich Zeit und Gelegenheit, um in Ruhe zu reden."
„In Ruhe reden?“ Augenblicklich wird ihre Miene wieder gefasst und ihre Schultern spannen sich an, auch wenn das Lächeln nicht gänzlich aus ihren Mundwinkeln verschwinden will. In diesem Moment befürchtet Soraya, dass Arwen all die Gefühle in ihrem Innern entdecken könnte, die sich schwach in ihren Augen widerspiegeln. Daher neigt sie den Kopf und verfolgt flüchtig, wie zwei Gardisten in ihren weissgoldenen Uniformen passieren. In Ruhe Reden. Niniane...

„Nein, ich habe keine Pflichten mehr zu erfüllen. Meine kleine Hausgarde muss sich vom Training heute Morgen erholen und die blauen Flecken auskurieren. Gerne nehme ich das Angebot an.“ Ein wenig milder fügt sie dann hinzu: „Falls wir es schaffen die kleine, schlafende Maus zu wecken.“ Das müde Bündel ist dann aber schnell wieder auf den Beinen, als das Soraya „Hoppla“, sagen kann, als es heisst, es ginge zurück zum Adlerhorst. Das Essen darf aber natürlich nicht zurückgelassen werden, sondern wird fein säuberlich verpackt und der Tante in die Hände gedrückt. „Tragen“, bestimmt Rialinn resolut und hievt sich selbst ein etwas kleineres Paket, das aber nicht minder nach Fisch stinkt, in die Arme, während ihre Mutter die Decke zusammenrollt und die Dienerin den Abfall wegschafft. „Aehm… ja“, verschluckt Soraya eine etwas andere Ausdrucksweise für ihre scharfe Abneigung gegenüber jeglicher Art von nach Fisch riechendem Essen und hält das Blattpaket mit spitzen Fingern weit von sich gestreckt. Die Dienerin eilt ihr gleich darauf rettend zu Hilfe und befreit sie von ihrer kleinen Last. Dankbar nickt Soraya ihr zu und dann machen sie sich gemeinsam auf den Weg durch die Strassen zu Arwens Anwesen Mita’Rôin. Die Wege sind verschlungen und werden immer grüner, bis sie den zweiten Ring der Stadt passieren und sich die Umgebung lichtet. Grosse Wiesen, helle Parkanlagen und mächtige, alte Bäume zieren die schmalen Kieswege und die breiten, gepflasterten Strassen, dazwischen immer wieder einzeln das stille Anwesen eines der hohen Häuser der Elben. Derweil sie zwischen Silberweiden und Goldbirken hindurch schlendern und Rialinn jeden vorbeilaufenden Elben höchst taktvoll kommentiert, schweifen Sorayas Gedanken in weiter entfernte Gefilde ab. Niniane… Einmal mehr erhellte der bronzene Klang des Namens ihren Kopf und legt sich wie ein beruhigender Schleier über die stetige, gärende Angst, die sie seit Beginn ihres Wissens nie mehr wirklich aus seinen Klauen gelassen hat.

Ihre vermeintliche Nichte in Spe reisst sie aus ihren Überlegungen, indem sie an Sorayas Hemdsärmel zupft und fragt: “Bist du Priesterin wie Eama?“
„Priesterin?“, schreckt Soraya auf und lacht ironisch: „Sämtliche Tempel Rohas würden es den Göttern ziemlich übel nehmen, wäre ich Priesterin geworden. Nein“, seufzend schüttelt sie den Kopf: „Mein Schicksal liegt nicht im Glauben, sondern im Kampf.“ “Kampf?“, tönte es sofort mit neugierig gespitzten Ohrchen zu ihr herüber und belustigt betrachtet Soraya Rialinn: „Ja, im Kampf, in meinem Schwert, aber ich glaube, um das zu verstehen, bist du noch zu jung. Hm… lass mich versuchen, es anders auszudrücken. Irgendwann, wenn du grösser bist, wirst du merken, wofür deine Hände geschaffen wurden. Ob für die Magie, für die freien Künste, für das Priestertum, oder für eine Waffe und es wird dir Halt geben im Leben.“ Früher musstest du den Weg einer Priesterin gehen, um dein Leben zu schützen. Ist dieser Weg dir noch immer ein nötiges Übel, oder hat er sich in der langen Zeit, in der wir uns nicht gesehen haben, in eine mögliche Zukunft verwandelt? Wie selbstverständlich schützt sie ihr Senden vor den Köpfen Rialinns und der Dienerin, die ihnen wie ein durchsichtiger Schatten auf dem Fuss folgt.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Arwen am 27. Okt. 2006, 14:06 Uhr
"Mir Rialinn auf der Straße entreißen? Nein, für so dumm halte ich ihn ganz gewiss nicht. Und ganz gleich, was mein Vater und Gildin auch denken, ich traue ihm auch nicht zu, dass er den Frieden eines Hochtages zu Ehren der Götter brechen würde." Arwen nimmt Rialinn das Paket mit den restlichen Fischstücken ab und reicht es an Dyania weiter, damit sie ihre Tochter an die Hand nehmen kann. "Ob er tatsächlich so weit gehen würde, wie mein Vater befürchtet… ich weiß es nicht sicher, aber ich will einfach nicht glauben, dass er dazu fähig wäre. Ganz abgesehen davon, dass er damit nie davon käme." Eine Weile schweigen sie gemeinsam, als sie sich dem Tor zum inneren Ring der Stadt nähern und damit auch der Betrieb auf der breiten, gepflasterten Straße zunimmt. Niemand behelligt die drei Frauen, oder hält sie auf um nach Woher und Wohin zu fragen.  Die Stadt ist an sich schon sehr weitläufig, und überall von Rasenflächen, Bäumen, Blumen und Brunnen durchzogen. Doch der innere Ring, dort wo die Hohen Häuser der Elben ihre Anwesen haben, gleicht eher einem riesigen Park in dem sich hier und dort Anwesen befinden, als einer Stadt. Sie haben das Tor kaum passiert, als Rialinn wie nicht anders zu erwarten müde wird und die Arme nach ihrer Mutter ausstreckt. "Eama, Tur." Mit einem sanften Lächeln bleibt Arwen stehen und hebt ihre Tochter hoch. "Müde?" Die einzige Antwort ist ein jammerndes 'mmhmmm'. "Kein Wunder, soviel, wie deine kurzen Beine heute schon gelaufen sind. Na, dann komm mal her, min Nar."

Sie brauchen nicht lange um vom westlichen Tor der inneren Mauer zum 'Adlerhorst' zu gelangen. Weiden und Pinien werfen weiche Schatten, und für eine kleine Weile ist jedes Gespräch zwischen ihnen erstorben, als jeder seinen eigenen Gedanken nachhängt. Es ist ein angenehmes Schweigen - und Rialinn unterbricht es mit einer der für sie so typischen Fragen. Was ihre Tochter auf die Idee gebracht hat, dass Soraya eine Priesterin sein könne, ist Arwen schleierhaft. Die Antwort ihrer Base verwirrt Arwen aber fast noch mehr als die Frage ihrer Tochter. Dein Schicksal liegt im Kampf?... Fast hätte sie erschreckt die Augen aufgerissen. Götter, ich hoffe, dass sich dein Schicksal nicht im Kampf erfüllen wird. Erinnerungen an Hodor und den Weg, den der Templer gewählt hatte - seinen Tod im Kampf - kommen wieder hoch, und Arwen hofft inständig, dass sich das Schicksal ihrer Cousine nicht in eine ähnliche Richtung entwickeln wird. Rialinn ist glücklicherweise noch viel zu jung um den Sinn dieser Worte zu verstehen und will nur erklärt bekommen, was Kampf ist. Gespannt, mit großen Augen und offenem Mund lauscht sie den Ausführungen ihrer Tante darüber, dass jeder in seinem Leben an den Punkt gelangt, an dem sich ihm offenbart wofür seine Hände geschaffen wurden. Nachdenkliches Schweigen lässt den sonst unablässig fragenden Mund still stehen, und Rialinn betrachtet eingehen ihre Hände, dreht und wendet sie, so als würde sich ihr dabei in flammenden Lettern auf der Haut das vorherbestimmte Schicksal offenbaren.

Die Schildwachen stehen nicht mehr vor dem Tor. Auf Arwens eindringliche Bitte hat ihr Vater sich einverstanden erklärt, die Wachen so wie sonst im Inneren zu postieren. Und als sie jetzt mit Soraya das Tor erreicht, lassen die beiden Männer in der Waffentracht des Hauses Mitarlyr sie mit einem wortlosen Gruß passieren. Überall herrscht reges Treiben: Stallburschen sind dabei, ein Fuhrwerk mit Hafersäcken abzuladen und alles in die Futterspeicher oberhalb der Ställe zu schaffen. Vom Stallhof ist das laute Wiehern eines Pferdes zu hören, dem es überhaupt nicht gefallen will, neue Hufeisen angepasst zu bekommen. Und vom Waffenhof ist das rhythmische Geräusch hölzerner Übungsschwerter zu hören, die die Knappen unter Therlas' scharfen Augen in immergleichen Schritt- und Bewegungsfolgen aufeinander treffen lassen. Lauter Geräusche, die Arwen in den letzten Wochen vertrauter geworden sind, als ihr lieb ist.
Dafür ist die Halle des Hauses erfreulich still, kaum ein Laut dringt von draußen herein, und die starken Mauern halten die frühsommerliche Wärme fern. Nur leise, undeutlich Geräusche sind zu hören, jene Laute, die so eine große Halle von sich gibt, wenn man ganz still dasteht und lauscht - das Seufzen eines Luftzuges an einem halb geöffneten Fenster und das Knarren einer Holztreppe, über die flinke Füße huschen. Sie durchqueren die Halle mit ihrer hohen Decke und den hellen Wänden, vorbei an geschnitzten Säulen und gewölbten Bogengängen, die einen kunstvoll geschnitzten Balkon tragen, der die ganze Halle auf Höhe des oberen Stockwerkes einfasst. Ohne zu zögern tritt Arwen in den Schatten dieses Balkons und wendet sich jenem Gang zu, der von der Eingangshalle zu den Wirtschaftsräumen des Hauses führt, dorthin, wo sich auch die Küche befindet. Schon aus der Ferne ist das Klappern von Töpfen und Pfannen zu hören, die Anweisungen von Aiweron dem Küchenmeister an die Küchenmägde, die Burschen und die Köchinnen, die alle damit beschäftigt sind, das Nachtmahl vorzubereiten, das wie jeden Tag von allen Engehörigen des Haushaltes gemeinsam eingenommen werden würde. Sie kommen an den Türen der verschiedenen Vorratskammern vorbei, an dem Abgang zu den Kellern, und erreichen schließlich die Küche selbst. Gerade als sie in der Tür stehen, hören sie Aiweron einem der Burschen die Leviten lesen, weil der nicht aufgepasst hat und mit den Holzscheiten die er anscheinend geholt hat den großen Tontopf umgestoßen hat, in dem seit dem Morgen Bohnenkerne eingeweicht werden. "Wie es scheint, gibt es heute abend nun kein Bohnenmus," flüstert Arwen so leise, dass wenn überhaupt Soraya sie hören kann, als sie den See aus Bohnenkernen und trübem Wasser sieht, der sich neben einer der Feuerstellen über den Boden ergießt. Dass sie über diese Aussicht betrübt ist, kann sie allerdings nicht ehrlichen Gewissens behaupten. Aber Rialinn hat es bisher immer wenn es auf den Tisch kam mit Heißhunger gegessen. "Außer, Aiweron kann sich entschließen, es aus frischen Bohnen zu machen."

Die Küche ist ein riesiger,  hoher Raum. Es gibt zwei große Feuerstellen, eine an jedem Ende des lang gestreckten Raumes, und jede groß genug, um darüber einen Ochsen zu braten, wenn es sein muss. Dazu zwei große Öfen, die in ihrer Form an einen Bienenkorb erinnern und drei lange Tische in der Mitte, an der fleißige Küchenmägde sitzen und Gemüse putzen. Blank poliertes Kochgeschirr hängt an den Wänden und stapelt sich säuberlich geordnet auf der langen Anrichte unter den Fenstern hinaus zum Küchengarten.
Als der Küchenmeister allerdings bemerkt, dass seine Küche Besuch erhalten hat, erspart das dem Knaben weitere Vorhaltungen. Mit einem knappen "Mach das sauber und sieh zu, was noch zu retten ist" wendet er sich ab und eilt auf Arwen und Soraya zu. "Shu'raes," begrüßt er die beiden Frauen mit einem Lächeln und einer leichten Verneigung. "Was führt euch zu mir?" Arwen kann sich nicht erinnern, ihn überhaupt je ohne dieses ehrliche Lächeln und den offenen Blick erlebt zu haben. Nichts, so wird oft getuschelt, kann ihn überraschen oder aus der Fassung bringen, vermutlich würde er selbst den Hohen König, sollte er in seiner Küche erscheinen mit der gleichen freundlichen Frage begrüßen. "Hunger, Maester Aiweron," lächelt sie also zurück. "Hunger führt uns zu euch." "Hunger!", echot Rialinn auf ihrem Arm auch prompt und bringt damit den Küchenmeister zum Lachen. "Ich weiß, kleines Fräulein, du hast immer Hunger." Dann mustert er Arwen mit einem kurzen, prüfenden Blick, der eher besorgt als vorwurfsvoll ist. "Ihr wart wieder den ganzen Tag im Tempel…" Wieder dieser prüfende Blick. "Wenn ihr nicht aufpasst, Shu'ra, dann seid ihr bald nur noch Haut und Knochen… Hunger also… ich lasse euch etwas bring- … ihr wollt in den Garten, gut. Gut. Ein Picknick also. Schönschön… Einen Korb also, dann kalten Braten und Brot, wir haben heute morgen frisch gebacken, gebutterte Brote, dazu Beeren… und ja, haben wir noch, Kirschen. Und …"
Kaum hat er das Wort 'Picknick' ausgesprochen, ist er auch schon voll in seinem Element und scheint keine der Frauen noch recht wahrzunehmen. Burschen und Mägde werden hierhin und dorthin geschickt um all die Dinge zusammen zu suchen und herzurichten, die seiner Meinung nach für diesen Ausflug in den eigenen Garten passend und erforderlich sind. Erstaunlich schnell ist tatsächlich ein Korb mit lauter leckeren Sachen gepackt, dessen Auswahl und Umfang sogar Cassandra zu hause zufrieden gestellt hätte. Etwas unschlüssig steht nun die Köchin vor ihnen, die alles in den Korb gepackt hat und weiß nicht so recht, wem sie den denn nun in die Hand drücken soll. Arwen hat ihre Tochter auf dem Arm, Soraya scheint ihr auch nicht die Richtige zu sein, und dass Dyania zwar aussieht wie eine der Zofen, eigentlich aber zur Ritterschaft gehört, ist der Frau sehr wohl bewusst. Und das bringt sie nun in Entscheidungsnöte. Dyania klärt die Situation ehe sie wirklich auffällt und nimmt der Elbin kurzentschlossen den Korb aus der Hand.

Eine kurze Verabschiedung noch, dann überlassen sie den Küchenmeister wieder seinen Töpfen und Pfannen und verlassen die Küche durch die Tür hinaus in den Kräutergarten. Eine sachte Brise geht durch den Garten, streicht über die Blätter in den Beeten und wirbelt eine Duftmischung auf, die tausend und eine Erinnerung in Arwen weckt. Über schmale, kiesgedeckte Wege zwischen den Pflanzen umrunden sie das Haus und gelangen an das Gartentor. Ein Zaun aus geflochtenen, lebenden Weidenruten, von denen zwei zu Bäumen erwachsen sind und ihre Kronen über dem Weg wie zu einem Tor vereint haben. Kaum hindurch getreten und auf weichem Gras statt Kies, zögert Arwen im Schritt und will Dyania den Korb abnehmen. Doch die will davon zuerst nichts wissen. "Um diese Stunde unterweist Andovar die Bogenschützen, und ohne mich-" Doch die Elbin lässt sie nicht einmal ausreden. "Nein, Shu'ra. Euer Hoher Vater hat angewiesen, dass ich-" Diesmal ist es Arwen, die jedes weitere Wort mit einer knappen Geste unterbindet. "Ich weiß, was mein Vater angeordnet hat, Dyania," ein Seufzen kann Arwen sich nur schwer verkneifen, sie hasst es, dass andauernd jemand meint über sie bestimmen zu können - ganz gleich wie gut die Absichten sein mögen. "Er hat euch angewiesen, euch jederzeit zu meinem Schutz und meiner Verfügung zu halten. Aber," und jetzt funkeln kleine silberne Sterne in ihren Augen, als sie die Anordnungen ihres Vaters so dreht, wie sie ihr gefallen, "das bedeutet auch, dass ich euch Anweisungen erteilen kann." "Aber-" "Kein 'Aber'. Ich weiß, wie gut ihr mit dem Bogen umgehen könnt, Dyania. Und ich erteile euch hiermit die Anweisung, dass ihr euch umgehend bei Shu're Andovar und den Bogenschützen meldet. Da ich das Anwesen nicht mehr verlassen werde, benötige ich eure Dienste für heute nicht mehr." Die Elbin steht für einen Moment wie versteinert da, sieht Arwen an als glaube sie nicht, was sie da gerade gehört hat, und beginnt dann langsam zu begreifen und lässt sich von Arwen widerstandslos den Korb aus der Hand nehmen. "Min Caris, Shu'ra." Mit strahlenden Augen verneigt sie sich erst vor Arwen, dann vor Soraya und ist auch schon um die Hausecke verschwunden.

"Hier, du kannst es dir aussuchen: Rialinn oder den Korb?" Ohne eine Antwort wirklich abzuwarten drückt sie ihrer Cousine den Korb mit Aiwerons Köstlichkeiten in die Hand und schlendert gemütlich weiter in den Garten hinein, bis zu einer kleinen Rasenfläche inmitten von blühenden Bäumen in der Nähe der Wassermauer. Ein helles Sonnensegel ist zwischen den Zweigen der umstehenden Fliederbäume gespannt, deren Blüten sich vereinzelt bereits lösen und im Wind treiben wie der schwere Duft des Flieders. Auf dem Boden neben einem kleinen Brunnen, der in eine Vogelränke mündet, liegen dicke Decken in sanften Grüntönen und darauf weiche Kissen und Polster in den Farben von jungen Schilftrieben, zarten Veilchen und den Blüten des Rosmarins. Bienen schwirren um die Blüten und immer wieder finden sich Vögel auf dem Rand des Brunnens ein, um ihren Durst zu stillen oder ein kurzes Bad zu nehmen ohne auf die Elben in ihrer Nähe zu achten. Arwen streift ihre Schuhe ab ehe sie auf die Decken tritt und lässt sich mit Rialinn in den Kissen nieder. Sie genießt die Ruhe und Stille um sich herum, den Duft der Blumen und Gräser und antwortet erst jetzt auf die Frage, die Soraya ihr auf dem Weg nach Mita'Rôin gestellt hat.
"Den Weg der Priesterin... Weißt du, Soraya, ich habe diesen Weg erst vor kurzem als den meinen erkannt. Früher," dieses kleine Wort umfasst eine solche Zeitspanne, dass Arwen tatsächlich kurz ins Stocken gerät, als es ihr bewusst wird. "Früher kennst du mich tatsächlich nicht anders, als in der Nähe von Priestern, damals auf den Schiffen und auch später, als wir in den Immerlanden angekommen waren, oder als ich eine zeit lang in Dúne gewesen bin. Hat es wirklich so ausgesehen, als würde ich den Weg der Priester gehen? Das ist mir nie bewusst gewesen. Aber es stimmt schon, dass ich jenes Leben so führen musste, Leben zu schützen. Nicht nur mein Leben, sondern auch das der anderen in meiner Nähe. Der Fluch hatte während der Schiffsjahre einfach zuviel Macht über mich gewonnen, als dass ich es ohne den Schutz eines Priesters gewagt hätte, mich unter die Leute zu begeben. Und so waren sie meist gleichzeitig meine Lehrer, einfach weil es sich anbot und auch einfacher war. Und dass ich mich so oft in den Tempeln aufgehalten habe, hatte noch einen anderen Grund: Dort hatte der Fluch keine Macht über mich, dort konnte ich auch ohne ständige Aufsicht und Bewachung sein, ohne für mich und andere zur Gefahr zu werden. Die Stunden dort, so selten sie auch waren, sie waren für mich so etwas wie eine Befreiung. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie es ist, wenn dir auf Schritt und Tritt jemand folgt oder dich beaufsichtigt." Und jetzt, hier bei meinem Vater, ist es wieder fast genau so wie damals, ständig ist jemand um mich herum um mich zu bewachen.
"Aber ich hatte nie vor, Priesterin zu werden. Nicht, dass ich das bewusst entschieden hätte, der Gedanke war mir einfach völlig fern. Möglich, dass ich unbewusst einfach nicht noch mehr zu dem werden wollte, was ohnehin schon alle in mir sahen - und sehen: Amithras Erbin, ihr Spiegelbild… Aber man kann sich weder seinem Erbe noch seinem Schicksal entziehen." Ein sachtes, melancholisches Lächeln begleitet Arwens Worte. "Vor vier Jahresläufen dann erreicht mich der Ruf Anukis'. In einer Situation, in der ich alles eher erwartet hätte, sogar meinen Tod, als mich plötzlich im Angesicht der Hüterin wiederzufinden. Aber es ist passiert. Sie hat mich gerufen, und ich bin dem Ruf gefolgt. In jenem Moment wusste ich, dass es richtig war, dass der Weg der Priesterschaft tatsächlich für mich bestimmt war. Nicht für Amithras Tochter, sondern für mich. Ich habe eine ganze Weile gebraucht, um mich in dieser Aufgabe zurecht zu finden und mit der Macht umzugehen, die einem damit anvertraut wird. Und ich lerne immer noch. Ich habe nie die Novizenjahre durchlaufen. Das ist auch der Grund, warum ich so oft im Tempel bin, ganz abgesehen von den Pflichten dort. Ich muss einfach noch so viel lernen, ehe ich wirklich alle Aufgaben einer Priesterin wahrnehmen kann. In sofern hast du Recht. Es hat mir nicht nur die Macht verliehen, die ich brauchte um den Fluch brechen zu können und die Ketten der Vergangenheit abzustreifen, es ist mir auch eine Zukunft geworden." Während sie geredet hat, ist Rialinn von Arwens Schoß geklettert und hat aufmerksam beobachtet, was ihre Mutter da alles aus dem Korb auspackt.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Soraya am 07. Nov. 2006, 21:31 Uhr
Obwohl sie das Anwesen kennt und mit dessen Grundriss vertraut ist, kann Soraya nicht behaupten unglücklich darüber zu sein, dass Arwen sie führt. Das die einstigen Schildwachen verschwunden sind, fällt ihr auf, doch schweigt sie sich darüber aus, was sie davon hält.
Still folgt sie Arwen durch das Tor und in die grosse, helle Halle, wo jeder Schritt an den Wänden dumpf widerhallt. Es ist wunderschönes, sonniges Wetter draussen und träge, goldene Flecken sprenkeln den Boden, doch hier drin wird es merklich kühler und leichter Schatten hängt in den Ecken und Winkeln schlanken Säulen. Kurzzeitig huscht Sorayas Blick zu dem majestätischen Balkon über ihren Köpfen, wo gerade ein Dienstbote leisen Fusses hindurchhuscht, anscheinend im Glauben nicht gehört zu werden und flüchtig hält sie inne, die geschwungene Brüstung betrachtend. Die vage Vermutung, dass sie hier drin, egal wo, niemals alleine sein würden, drängt sich ihr auf und fast möchte sie Arwen vorschlagen, doch einfach einen Ausritt zu machen, um so allen neugierigen Augen, die nicht dringend nötig wären zu Arwens Schutz, zu entkommen. Mach dich nicht lächerlich Soraya Zedernherz. Kopfschüttelnd über diese unsichere Art mit der Tatsache umzugehen, dass dieses Anwesen einfach viel zu gross für ihren Geschmack ist und sie sich viel zu viele Gedanken um ihr Hiersein macht, folgt sie Arwen schliesslich stillschweigend. Diese führt sie alle vier geradewegs zur Küche, wo augenscheinlich gerade die Bemühungen für ein gutes Abendessen laufen… und dabei wohl zum Teil schief gegangen sind. Ihr Blick schweift über die grüne, dickflüssige Bescherung, die träge über den Boden fliesst. Einige Dienerinnen sind schon dabei das Unglück mit kleinen Schaufeln und Löffeln, sowie jeder Menge Lappen wegzuräumen und der Unglücksrabe, der dies verschuldet hat, muss gerade dem Küchenmeister Rede und Antwort stehen. Fast tut Soraya der Bursche leid, der unter den Belehrungen seines Vorstehers immer kleiner und kleiner wird und dabei gar nicht weiss, wie viele Entschuldigungen er noch herunterrattern soll. Soraya hält sich hinter Arwen, die ebenfalls das Chaos betrachtet und dann leise wispert: "Wie es scheint, gibt es heute Abend nun kein Bohnenmus." Ein vages Schmunzeln umspielt Sorayas Lippen. Höre ich da etwa Erleichterung? Sie hat noch genug vom Fischgeruch und denkt daher nicht an etwas zu Essen, ob nun Morgen-, Mittag- oder Abendessen.
Schliesslich bemerkt der Küchenchef die Anwesenheit der dreieinhalb Frauen und kommt wohl zum Entschluss, dass die Gäste Vorrang hätten vor den hochheiligen Lehren der Kochkünste und des Benehmens.

Der Junge flitzt davon, als hätte ihn etwas in seinen Hintern gebissen und leise lacht Soraya auf bei dem rechtschaffen empörten Blick, den der Kleine noch über die Schulter zurückwirft. Ein kleiner Rebell im Haus erspart das Chaos.
Höflich nickt sie dem Küchenmeister zu, der sie mit einem Lächeln begrüsst und den Kopf neigt. Sein formvollendetes Benehmen passt zu diesem Haus und seinen Einwohnern, denn jeder hier kennt den Wert von Sittlichkeit und Respekt, egal wer er ist. In ihrem eigenen Haus ist das nicht anders, zumindest nicht was den Umgang untereinander anbelangt, aber vielleicht ist es die Art, mit der man sich im alltäglichen Leben begegnet. Arwens Anwesen ist so gross, dass es Soraya nicht verwundert, wenn sich Schildwache und Magd nicht kennen und bei ihr zu Hause, in Carwallen im „Wurzelstumpf“, ist es auch nicht anders. Aber im Virin'ydor kennen sich alle, denn es ist einiges kleiner als Mita'Rôin, schon alleine, weil Virin'ydor nicht durch das ganze Jahr von ihrer Familie beansprucht wird. Es ist nur ihre Residenz, während ihres Aufenthalts in der Königstadt.
"Shu'raes, Was führt euch zu mir?", fragt der Küchenmeister schliesslich und blickt dabei zu Arwen, die amüsiert erwidert, dass es der Hunger wäre. Kaum ist das Wort verklungen, hebt Rialinn, eben noch in angenehme, kindliche Gedanklichkeit versunken, den Kopf und wiederholt krähend die Antwort ihrer Mutter, dabei begierig mit ihren Augen in Richtung eines Topfes schielend, aus dem hauchzarte Dampfwaben aufsteigen und sich zur Decke hinkringeln. Ihr Heisshunger scheint dem Küchenmeister aber schon bekannt und er neckt spielerisch ihren nimmersatten Magen, der besser zu einem ausgewachsenen, vor Kraft strotzenden Krieger passen würde. Das breite Grinsen, dass sich auf Sorayas Gesicht breit machen will, erstirbt aber schon im Ansatz, als Aiweron Arwen einen Blick zuwirft, der dem ausgelassenen Tun seiner selbst Lügen straft. Nicht einmal in der Küche kann man diesem gluckenhaften Schutz entkommen, denkt sich Soraya, einen Funken Verärgerung nicht unterdrücken könnend und als Arwen einmal mehr beschieden wird, dass sie auf sich aufpassen müsse, seufzt Soraya lautlos und fällt dem Küchenmeister dann freundlich, aber bestimmt ins Wort: „Meister Aiweron, bitte, richtet uns doch einfach etwas zu essen, Belehrungen braucht Arwen keine, so gut sie auch gemeint sein mögen.“

Der Elb nickt nur, geschickt verschleiernd, was er von ihrem Eingreifen hält, aber in manchem Gesicht kann sie Verwunderung, oder sogar Skepsis lesen, das sie schlicht akzeptiert.
Kurz darauf ist ein riesiger Weidenkorb mit allerlei Köstlichkeiten gefüllt worden, die eine ganze Armee verköstigen könnten und Soraya wagt zu bezweifeln, dass sie alles verzehren werden. Wobei wir Rialinn bei uns haben. Als es dann aber darum geht den Korb zu überreichen, herrscht für eine Sekunde lang Unschlüssigkeit, gerade lange genug um Soraya verwundert eine Augenbraue heben zu lassen. Noch während die Dienerin, wohl eine Art Schatten Arwens, sich den Korb nimmt, ist Soraya klar geworden, was hier vor sich geht und sie bedenkt die Frau mit einem nüchternen Blick. Also doch keine Magd. Ein Wort darüber zu verlieren, kommt ihr aber nicht in den Sinn. Ohne weiter auf die Kleinigkeit einzugehen, folgt sie Arwen aus der Tür. Sofort steigt ihr eine würzige Kräutermischung in die Nase, von der Wärme der Sonne noch verdichtet und das Rascheln winziger Kräuter in den Beeten unterstreicht diese gemütliche Atmosphäre noch mit eigenem Klang. Doch kaum haben sie den Hausgarten hinter sich gelassen und folgen einigen verschlungenen Pfaden, hat anscheinend Arwen selbst den Einfall, sich jetzt endlich mal richtig Ruhe zu verschaffen und das tut sie auch prompt. Soraya kann nicht behaupten, dass sich bei ihr keine Erleichterung einstellt, aber zufrieden mit dem Verhalten Dinayas ist sie deswegen doch nicht. Die Elbe hat ihre Anweisungen – den Schutz Arwens zu garantieren – und das kann sie nicht, wenn sie sich irgendwo weit entfernt mit Bogenschiessen vergnügt. „Es“, will Soraya den Anweisungen Arwens widersprechen, da hat sich Dinaya schon respektvoll und mit einem erfreuten Strahlen von ihnen verabschiedet und hastet in Richtung der Ställe davon. Soraya blickt ihr mit einem harten Zug in den Mundwinkeln hinterher, hält sich jedoch davon ab, Dinaya für diese Unzuverlässigkeit in Frage zu stellen und widmet sich Arwen, die mit Korb UND Kind eindeutig zu viel zu tun hat. Soraya nimmt sich also des Essens an, das ihr von ihrer Cousine auch einfach in die Arme gedrückt wird und läuft dann an Arwens Seite weiter dem Kiespfad entlang. Sie schlendern durch goldgrünen Schatten und sattes Sonnenlicht, entlang weiter Wiesen, die von hohen, blühenden Sträuchern gesäumt und zu grossen Teilen von herrlich duftenden, kunterbunten Blumen überwachsen sind. Inmitten eines kleinen Paradieses, das ausgestattet ist mit Kissen und Decken und einem Sonnensegel entledigt sich Arwen schliesslich ihrer Schuhe und hebt Rialinn auf ihren Schoss. Das Plätschern des Wassers vermischt sich mit dem leisen Gesang der Blätter, die im Takt der lauen Briese leise wispern. Ein paar Vögel machen sich einen Spass daraus Ringelreihe um den kleinen Brunnen zu spielen und fast könnte die Stimmung ungetrübt sein, würde nicht Sorayas Frage noch immer unbeantwortet zwischen ihnen hängen.

"Den Weg der Priesterin... Weißt du, Soraya, ich habe diesen Weg erst vor kurzem als den meinen erkannt. Früher… Früher kennst du mich tatsächlich nicht anders, als in der Nähe von Priestern, damals auf den Schiffen und auch später, als wir in den Immerlanden angekommen waren, oder als ich eine zeit lang in Dúne gewesen bin. Hat es wirklich so ausgesehen, als würde ich den Weg der Priester gehen?“
„Nein, hat es nicht“, erwidert Soraya deutlich auf die Nachfrage, schweigt dann aber, um ihrer Cousine die Möglichkeit zu geben, fort zu fahren. Insgeheim aber erinnert sie sich an die damalige Zeit und es sind bei weitem nicht nur schöne Erinnerungen, wenn auch vom Glück der Ankunft an Land erhellt. Es hat niemals ausgesehen, als würdest du das freiwillig tun. Egal wie sehr du dich unter Kontrolle hattest, der Weg einer Priesterin war damals nicht der Deine. „Und dass ich mich so oft in den Tempeln aufgehalten habe, hatte noch einen anderen Grund: Dort hatte der Fluch keine Macht über mich, dort konnte ich auch ohne ständige Aufsicht und Bewachung sein, ohne für mich und andere zur Gefahr zu werden. Die Stunden dort, so selten sie auch waren, sie waren für mich so etwas wie eine Befreiung“ Nachdenklich nickt Soraya, gleichzeitig den Korb öffnend und bereits ein paar der Leckereien hervorholend, um Rialinn nicht länger warten zu lassen. “Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie es ist, wenn dir auf Schritt und Tritt jemand folgt oder dich beaufsichtigt." Viel geändert hat sich nicht, will es ihr schon fast über die Lippen kommen, aber sie kann sich zurückhalten, wissend, das solch eine Aussage zwar wahr, aber nicht erwünscht wäre. Mit einem Lächeln drückt sie Rialinn einen Apfel in die Finger, nimmt aber auch für sich selbst und für Arwen einen aus dem geräumigen Innern des Korbes, der noch ganz andere verführerische Düfte verströmt. "Aber ich hatte nie vor, Priesterin zu werden. Nicht, dass ich das bewusst entschieden hätte, der Gedanke war mir einfach völlig fern. Möglich, dass ich unbewusst einfach nicht noch mehr zu dem werden wollte, was ohnehin schon alle in mir sahen - und sehen: Amithras Erbin, ihr Spiegelbild… Aber man kann sich weder seinem Erbe noch seinem Schicksal entziehen." Gerade noch damit beschäftigt ein wenig Saft zu richten, entgleiten sowohl Deckel, als auch Krug fast Sorayas Hände, als Arwen über ihre Mutter spricht. Dann atmet sie zischend ein und ein „Es genügt“, entfährt ihr, schärfer als beabsichtigt. Rialinn zuckt auf dem Schoss ihrer Mutter zusammen und sieht aus grossen Augen auf, jedoch nur einen Moment, dann widmet sie sich wieder nagend ihrem Apfel. Behutsam setzt Soraya das Gefäss auf die Decke, bevor sie Arwen ernst ansieht. Hörst du dich eigentlich selbst sprechen Arwen? Du klingst wie jemand anders, der du gar nicht bist und das bist allein du, die das tut, niemand sonst. Natürlich sehen sie in dir einen Schatten Amithras, sie war schliesslich deine Mutter, aber niemals, Arwen, niemals hält dich jemand für ihr Spiegelbild und von wegen sich in sein Schicksal und sein Erbe einfügen. Vollkommener Unsinn! Du bist nicht dein Erbe. Hast du dir eigentlich einmal überlegt, dass viele, die dich mögen, deine Mutter gar nicht mehr kennen, oder nie gut gekannt haben? Hast du dir einmal überlegt, dass sie dich noch nie mit deiner Mutter verglichen haben? Gedanklich nach Luft schnappend, mahnt sie sich nicht zu sehr die Ruhe zu verlieren, schüttelt dann aber doch sichtlich den Kopf. Es geht um Tianrivo und Gildin, nicht wahr? Obwohl Arwens hübsches Gesicht sich nicht ein wenig verändert, noch immer makelloser Stein, hat Soraya das Gefühl genau ins Schwarze getroffen zu haben.

Arwen, ich bin mit deinem Vater oft nicht einer Meinung und unsere Vorstellungen gehen in vielen Bereichen so weit auseinander, wie es nur möglich ist, doch auch er… auch er hält dich nicht für Amithra. Du bist seine Tochter, nicht seine Frau und das weiss er und deswegen liebt er dich, nicht weil er in dir seine Frau wieder erkennt. Er liebt dich für das, was du bist und nicht für das, was du glaubst sein zu müssen… oder glaubst zu sein. Die Härte ihres Sendens hat sich nach und nach verloren, unbemerkt von Rialinn, die sich eifrig durch den Essenbestand schnabuliert. „Und hart gesagt Arwen… es gibt einen grossen Unterschied zwischen dir und deiner Mutter, einen Unterschied den du dir vielleicht nicht wünschst, durch den du aber ihr Erbe längst überwunden hast. Du lebst… sie nicht.“ Der letzte Teil ihrer sicherlich brutalen Erinnerung verpackt sie nicht in einen sanften Tonfall, um Arwen so zu schonen oder nicht zu nahe zu treten, aber sie dämpft die Lautstärke ein wenig und hält Arwens Blick stand, um ihr zu zeigen, dass sie selbst von diesem Thema nicht unberührt bleibt. Ganz im Gegenteil und erst jetzt bemerkt Soraya, dass sich ihre Finger in die Decke gekrallt haben und Falten entstanden sind. Sorgsam streicht sie diese wieder glatt, leise zu dem bereits Gesagten noch hinzufügend: „Väter sehen in den Töchtern immer die Mutter, wenn sie diese verloren haben. Bei dir ist es noch verständlich, weil du ihr annäherungsweise ähnlich siehst, aber auch bei mir war es so, obwohl ich mit meiner Mutter nur charakterlich etwas gemeinsam habe.“ Es ist ein schwacher Versuch für Trost, doch vielleicht würde es genügen, um Arwen ein wenig der Last, die anscheinend auf ihren schmalen, hellen Schultern ruht, zu nehmen.
Kurz breitet sich Stille aus, dann fragt Soraya vorsichtig: „Und warum bist du nun so oft im Tempel?“ Arwen erklärt, dass sie die Ausbildung einer Priesterin nachholen müsse und deswegen verpflichtet wäre, Dinge zu erlernen, die sie zu ihrer Zeit einfach wegfallen lassen hatten. Soraya beisst derweil in ihren Apfel, im Schneidersitz ihrer Cousine und ihrer „Nichte“ gegenüber und den Ausführungen lauschend. „Und was hast du Ten’ra Niniane für eine Nachricht nach Talyra geschickt?“, hakt sie dann plötzlich aus dem Nichts heraus nach, einen Vogel beobachtend, der sein Gefieder badet und dann Arwen ansehend: „Es wird wohl einen guten Grund geben, warum du gerade sie um Hilfe bittest und ich mache mir Sorgen, dass es etwas mit Rialinn zu tun haben könnte… oder mit dir.“

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Arwen am 11. Nov. 2006, 15:55 Uhr
Die Art und Weise, wie Soraya sie geradezu zurechtweist, verschlägt Arwen für einen Augenblick die Sprache. Was…? Die Hand mit dem Apfel verharrt auf halbem Weg zum Mund, doch sie merkt es nicht einmal. Für einige Augenblicke herrscht völliges Schweigen zwischen ihnen, nur das Zwitschern der Vögel und deren Plantschen im Wasser ist zu hören, und Arwen versucht ihre tobenden Gedanken unter Kontrolle zu bekommen. Tausend und eine Erwiderung liegen ihr auf der Zunge, und nicht wenige davon sind weder freundlich noch beherrscht. Ich klinge als sei ich nicht ich selber? Das geistige Äquivalent eines Schnaubens begleitet den Gedanken. Als ob das ein Wunder ist. Seit ich denken kann, wurde mein Leben immer von anderen bestimmt. Und wenn sich sonst niemand in mein Leben eingemischt hat, dann war da immer noch der Fluch… So vieles brodelt abrupt in ihr hoch, dass es Arwen einen Großteil ihrer Beherrschung kostet, es ihrer Cousine nicht an den Kopf zu werfen. Nicht ständig mit ihrer Mutter verglichen zu werden, ist eine eitle Hoffnung, die sie schon vor langer Zeit begraben hat. Erinnerungen können täuschen, doch manchmal kommt es ihr so vor, als sei sie als Kind öfter 'Winterwinds Tochter' gerufen worden, als bei ihrem Namen. Nicht von ihrem Vater oder von Gildin, nicht ein einziges Mal, da ist sie sich sicher. Ihr Vater hatte immer peinlichst darauf geachtet, dass in seinem Haus alle seine Tochter behandelten als gäbe es solche Dinge wie den Fluch nicht.

"Nein, Soraya, es geht nicht um Gildin und meinen Vater. Zumindest nicht direkt. Und in gewisser Weise haben die, die mich mit meiner Mutter vergleichen sogar recht, so wenig mir das auch gefallen mag. Es gibt kein Bild von meiner Mutter, ich wusste nie, wie sie aussah. Mein Vater meint, ich würde ihr sehr ähnlich sehen, heute noch mehr als früher schon. Als ich Gildin während der Schiffsjahre einmal gefragt habe, wie sie denn ausgesehen habe, meinte er, ich solle einfach in einen Spiegel schauen, nur ihre Augen seien dunkler gewesen als meine, eher wie Moosachat als wie Jade. Ich habe es nie glauben wollen, bis…" Das auszusprechen, was aus den Tiefen ihrer Erinnerungen empor drängt, fällt Arwen schwer. Aber es nicht auszusprechen ist ihr unmöglich. "Bis… Götter im Himmel, ich habe das noch niemandem erzählt… Nachdem Kalmir… Als Niniane und die anderen uns gefunden hatten, bevor er sich zum Kampf gestellt hat, hat er mich niedergestochen. Der Dolch war vergiftet. Sechmeths Tränen. Es hat mich… Ich wäre beinahe gestorben. Und als ich am Ufer des Skyrr darauf gewartet habe, dass Kyrom mich mit seinem Boot nach Aêyoliria holt, da kam er nicht alleine. Ich dachte, ich würde in einen Spiegel sehen, und als ich dann begriff, WEM ich da ins Gesicht sehe, da war es als hätte mir jemand einen Kübel Eiswasser über den Kopf geschüttet." Ich wüsste zu gerne, wie sie es geschafft hat, dass sie Kyrom begleiten durfte… Für einen Moment macht sich Schweigen zwischen ihnen breit. "Von einem Moment auf den anderen wusste ich, warum in den Augen meines Vaters immer etwas zu zerbrechen schien, wenn er mich ansah. Ich gleiche meiner Mutter tatsächlich beinahe wie ein Zwilling…. Und was den Unterschied angeht, dass ich lebe, und sie nicht, den hätte es beinahe nicht gegeben…. Nicht, Rialinn, komm her, das ist doch viel zu viel für dich." Ihre Tochter findet die Unterhaltung der beiden Elbinnen anscheinend höchst langweilig denn sie hat den Rest ihres Apfels beiseite gelegt und inspiziert eingehen den restlichen Korbinhalt. Eine Scheibe gebuttertes Brot und der kalte Braten haben es ihr angetan. Behutsam windet Arwen ihr die viel zu große Brotscheibe aus der Hand und bricht einen Teil davon ab, der besser in die Hand Rialinns passt. "Hier, das ist für dich, und das auch." Mit dem Mundmesser schneidet Arwen auch ein kleines Stück von dem kalten Braten ab.
"Es mag ja sein, dass von all denen, die mich kennen kaum einer meine Mutter gekannt hat. Aber beinahe jedes Kind kennt die Geschichte von Amithras Kampf mit dem Dämonen, oder genauer die Legende, die daraus geworden ist, und von dem Fluch, der über das Haus Mitarlyr kam. Te Lansunjadaita, die Verfluchte… was meinst du, wie man sich fühlt, wenn man diesen Beinamen trägt? Wenn man begreift, was sich dahinter verbirgt? Aber der Fluch ist gebrochen. Ich bin frei, und meine Tochter mit mir. Nun ja, frei von dem Fluch zumindest. Mit der Sorge meiner Familie um meine Sicherheit sieht es da noch etwas anders aus." Den letzten Satz begleitet ein sanftes, fast schon zärtliches Lächeln. Sie kann die Sorge ihres Vaters nur zu gut verstehen; sie selber würde nicht anders handeln, wenn sie an seiner Stelle wäre und es um Rialinn ginge.

Die nächste Frage Sorayas scheint völlig aus dem Zusammenhang gerissen zu sein, aber gleichzeitig vibriert etwas in deren Stimme mit, das Arwen aufhorchen lässt. "Niniane?" Erinnerungen an Vinyamar, das Ufer des Ildorel und den Baum der Waldläuferin huschen vorbei und lassen Arwens Augen glitzern. "Ja, es hat mit Rialinn zu tun… und auch mit mir. Aber es ist kein Grund, sich Sorgen zu machen." Rialinn hat aufgegessen und klettert vom Schoß ihrer Mutter um den Brunnen näher in Augenschein zu nehmen. "Ich weiß, dass Gildin dir von Khelenar und seinem Versuch erzählt hat, die Annullierung meiner Ehe mit Hodor für ungültig erklären zu lassen, womit er glaubt einen Grund zu haben, um Rialinn zur Erbin des Hauses Silberstern zu machen. Nach Ansicht meines Vaters hat er vor, es damit zu begründen, dass ich nicht bei Sinnen gewesen sei, als ich die Aufhebung erklärt habe, und dass Gildin und Niniane als Zeugen dafür nicht unvoreingenommen gewesen seien…. Phhhh... als ob nach dem, was vorher passiert war irgendjemand unvoreingenommen hätte sein können." Mit einer fahrigen Geste streift sie eine Haarsträhne zurück, die sich hartnäckig vor ihre Augen ringelt. "Die Unterschrift und das Siegel Ninianes anzweifeln zu wollen ist schon ein starkes Stück. Ich weiß nicht, ob ihm klar ist, was er da tut. Ich glaube kaum, dass er jemanden finden wird, der ihm zustimmen und erklären wird, dass Niniane keine rechtmäßige Zeugin gewesen sei, weil sie mit mir befreundet ist... ich meine, sie war auch mit Hodor befreundet. Ganz abgesehen davon, dass sie ihm den Vasalleneid abgenommen hatte, und ihm dadurch ebenso zu Vertrauen, Schutz und Loyalität verpflichtet war, wie er ihr…. Wie auch immer… In Talyra habe ich Freunde, für die der Fluch, die Geschichte meiner Familie oder der Rang meines Vaters völlig bedeutungslos sind, sofern sie überhaupt davon wissen. Dort bin ich einfach ich, Arwen Liasiranis. Nicht mehr und nicht weniger. Dort ist auch Vinyamar, ein Anwesen, das mir gehört, und für das ich ebenso die Verantwortung trage wie für die Menschen die ich in meine Dienste genommen habe. Und genau dorthin will ich mit Rialinn zurück. Ich denke, nach über dreitausend Jahreskreisen in denen der Fluch auf die eine oder andere Weise stets und ständig mein Leben bestimmt hat, habe ich ein Recht, mein eigenes Leben zu führen, es zu führen wo ich will und wie ich will. Aber so lange sie hier wie dort um unsere Sicherheit fürchten, werden weder mein Vater noch Gildin uns gehen lassen. Sie vergessen manchmal, dass ich längst nicht mehr so wehrlos bin. Aber vielleicht geht es auch allen Vätern und älteren Brüdern so, dass sie in der jüngsten Tochter immer das kleine, hilflose Mädchen sehen, egal wie alt man ist."  Ihr Blick wandert kurz von ihrer Cousine hinüber zu Rialinn, und das Lächeln, das sich trotz  - oder gerade - wegen des ernsten Themas ihrer Unterhaltung in Arwens Gesicht hält, wird noch sanfter. Ihre Tochter sitzt rohavergessen vor dem Brunnen, schaut den Vögeln bei ihren Wasserspielen zu und hat sogar das letzte Stück Brot in ihrer Hand völlig vergessen. Etwas, das nun ein besonders mutiger von diesen hüpfenden Federbällen derart verlockend findet, dass er sich schon bis auf einen Schritt an das Kind heran gewagt hat.

"Bisher hat keiner eine Lösung gefunden, wie wir Khelenar jedwede Grundlage für seine… dynastischen Ambitionen…  nehmen können. Bis ich vor einigen Tagen die Mappe mit den ganzen Urkunden wieder in der Hand hatte. Eigentlich wollte ich sie dem Skriptor meines Vaters geben, damit der sie sicher im Archiv verwahrt. Aber dann kam mir plötzlich eine Idee, wie wir Khelenars Pläne durchkreuzen können, und das ein für alle Mal. Ich habe Loquarn Abschriften anfertigen lassen, von beiden Urkunden, der von der Heirat ebenso wie von der Annullierung, und von dem Testament, das Hodor hinterlassen hat. Und um mir die Echtheit der Urkunden und die Richtigkeit der Abschriften beglaubigen zu lassen, war ich heute im Archiv des Valonva Shaer. Aber die Urkunden sind nur ein Teil, der kleinere, genau genommen. Mein Vater befürchtet, dass Khelenar im Falle meines Todes danach streben wird Rialinn als Mündel zugesprochen zu bekommen, da sie von Hodors Blut und somit seine Erbin ist - zumindest in seinen Augen." Je länger sie redet, desto mehr lässt Arwens Anspannung nach, lässt sie die Maske steter Beherrschung fallen, die ihr sonst in Gegenwart aller außer ihrer Tochter zur zweiten Natur geworden ist. Man kann ihr in diesem Moment unschwer ansehen, was Arwen von solchen Gedankengängen hält, und dass sie entschlossen ist, sie niemals wahr werden zu lassen. "Auch wenn ich hoffe, dass ich noch lange nicht in Sithechs Hallen gerufen werde, werde ich mein Testament aufsetzen und darin Verfügungen für den Fall treffen, dass ich sterbe, ehe Rialinn großjährig ist. Sollte ich in den Elbenlanden sterben, möchte ich, dass Gildin sie als seine Tochter annimmt. Da ich aber vorhabe, nach Talyra zurückzukehren, muss ich auch für den Fall Vorsorge treffen, dass ich nicht in die Elbenlande zurückkehre." Und sei es nur, weil ich mir wieder einbilden sollte, mich mit einem Dämonenprinzen anlegen zu wollen, der die halbe Stadt einäschern will. In dem Gedanken schwingen sowohl bittere Erinnerungen als auch ein Hauch Selbstironie mit. Anscheinend liegt es nicht nur meiner Mutter im Blut, sich mit Dämonen und anderen Ausgeburten der neun Höllen anzulegen. Wie ein Echo ihrer Gedanken stiehlt sich ein bittersüßes Lächeln auf ihre Lippen. "Niniane und ich haben Dinge gemeinsam erlebt und überlebt, die… aus denen eine enge verbindung entstanden ist. Und ich verdanke ihr in mehr als einer Hinsicht mein Leben. Nicht zuletzt hat sie mir geholfen, den Fluch zu brechen. Ich habe einen Raben zu ihr geschickt um sie zu fragen, ob sie für den Fall, dass mir etwas zustößt Rialinn als ihr Mündel annehmen und aufziehen würde."

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Soraya am 17. Nov. 2006, 23:44 Uhr
Sie hat Arwen an einem sehr empfindlichen Punkt getroffen, denn deren schlanke, helle Hand verharrt mitten auf dem Weg zu ihrem Mund und auch wenn ihr Gesicht weiterhin eine gläserne Maske bleibt, so kann Soraya die Wut in ihrer Cousine spüren, so durchdringend ist das Gefühl. Mit einem lautlosen Seufzen stellt sie den Krug ab und bereitet sich innerlich auf die sicherlich noch folgenden Widerworte vor. Und was folgt ist eine angespannte Levitenlesung, die in aller Ausführlichkeit noch einmal darauf zurückgreift, dass Arwen ihrer Mutter sehr ähnlich sehe. Woher willst du das wissen Arwen? Die Leute reden, mag ja sein, aber du… Doch ihre Cousine unterbricht ihre Gedanken brachial, als sie mitten in ihrer lauter werdenden Erklärung stoppt und plötzlich mit den Worten ringt. Instinktiv sucht Soraya nach anderen Begebenheiten, wo Arwen dermassen unsicher und zögerlich gewirkt hat und stellt nicht unbedingt verwundert fest, dass sie diese an einer Hand abzählen kann. Gleichzeitig weckt diese Erkenntnis Misstrauen und obwohl damit beschäftigt, Rialinn nun doch einen Becher einzuschenken, lässt sie Arwen nicht aus den Augen, ebenfalls nicht gänzlich verbergen könnend, dass ihr dieser plötzliche Gefühlsumschwung im Gemüt ihrer Cousine nicht gefällt. Es kann schlichtweg nichts Gutes bedeuten, wenn Arwen sich in hilflosen Floskeln verliert und nach einem geeigneten Fortsatz sucht. Was dann aber folgt, fühlt sich für Soraya an, wie ein dumpfer Tritt in den Magen und ihre Lippen werden schmal. "Bis… Götter im Himmel, ich habe das noch niemandem erzählt… Nachdem Kalmir… Als Niniane und die anderen uns gefunden hatten, bevor er sich zum Kampf gestellt hat, hat er mich niedergestochen. Der Dolch war vergiftet. Sechmeths Tränen. Es hat mich… Ich wäre beinahe gestorben. Und als ich am Ufer des Skyrr darauf gewartet habe, dass Kyrom mich mit seinem Boot nach Aêyoliria holt, da kam er nicht alleine. Ich dachte, ich würde in einen Spiegel sehen, und als ich dann begriff, WEM ich da ins Gesicht sehe, da war es als hätte mir jemand einen Kübel Eiswasser über den Kopf geschüttet." „Sechmeths Tränen“, spuckt Soraya den Namen des Giftes aus, dass mehr als alle anderen für Hinterhältigkeit und Trug bekannt ist, doch dann dämmert ihr, was Arwen eigentlich mit ihren Worten gemeint hat und der Becher in ihren Händen zittert für einen Augenblick so fest, dass sie fast den Wein verschüttet. „Sie ist… zurückgekehrt?“ Dass ihre Stimme voller Unglauben ist, merkt Soraya nicht einmal, dafür umso mehr die Reue, die sich ihr, ob dieser sicherlich unangenehmen Frage, aufdrängt und mit einer stummen Entschuldigung senkt sie den Blick. Das Schweigen, das sich darauf hin zwischen ihnen ausbreitet, empfindet Soraya alles andere als angehnehm, doch gleichzeitig ist ihr, als wäre jedes weitere Wort unnütz. Dass Arwen weiss, wie ihre Mutter aussieht, ändern vieles in Sorayas Augen… Und gleichzeitig bleibt alles gleich. Ob sie es nun weiss oder nicht, das ändert nichts an der Tatsache, dass sie nicht ihre Mutter ist.

Schon fast dabei, Arwen genau das zu sagen und deren Zweifel, die sich türmen, wie ein endloser Berg, damit zu zerstreuen, schliesst Soraya ihren Mund unverrichteter Dinge wieder, als ihre Cousine fortfährt mit ihrem bisher so gut gehüteten Geheimnis. “Von einem Moment auf den anderen wusste ich, warum in den Augen meines Vaters immer etwas zu zerbrechen schien, wenn er mich ansah. Ich gleiche meiner Mutter tatsächlich beinahe wie ein Zwilling…. Und was den Unterschied angeht, dass ich lebe, und sie nicht, den hätte es beinahe nicht gegeben…. Nicht, Rialinn, komm her, das ist doch viel zu viel für dich." Kurz überdenkt Soraya die Antwort ihrer Cousine und sagt dann strikt, ohne auf Vorhergegangenes einzugehen: „Aber es gibt ihn“, und das in einem Tonfall, der alle Wenns und Abers davon wischen sollte. „Ich verstehe warum dich das so plagt Arwen“, fügt sie ein wenig sanfter, aber nicht minder ernst hinzu: „Aber warum bist du dann hier?“ Wohl wissend, dass diese Frage nur Ratlosigkeit heraufbeschwören wird, fährt sie sogleich fort: „Wenn Ten’ra Niniane, deine Freundin, in Talyra wohnt und diese Stadt dein Zuhause und das deiner Gefährten ist, warum bist du dem Ruf deines Vaters dann gefolgt? Langsam glaube ich nämlich, dass du dort, wo man dich kennt und liebt, besser aufgehoben wärst, als hier, wo dich nebst den Sorgen um deine Tochter, auch noch alte Geschichten und Erinnerungen plagen.“ Arwen nimmt diese flüchtige Unterbrechung zwar an, setzt dann jedoch noch einmal zu einer ausführlichen Erklärung an, die Soraya stillschweigend und nur hin und wieder an ihrem Becher nippend anhört. Manchmal muss sie sich zusammenreissen, um Arwen nicht ins Wort zu fallen, doch der dunkle Zug, der bei der Erwähnung des alten Namens ihrer Cousine durch ihre Augen huscht, ist deutlich zu sehen. Ebenso wie der Ausdruck ihres Gesichtes immer härter wird und obwohl Arwen schlussendlich doch noch ausspricht, was Soraya sich erhofft hat, kann sie das sanfte Lächeln ihrer Gegenüber nicht erwidern. „Te Lansunjadaita“, wiederholt Soraya ungerührt, nimmt dann jedoch einen Schluck Wein, als wolle sie den bitteren Nachgeschmack des Wortes von ihrer Zunge spülen. Sorgsam stellte sie ihren Becher auf die Decke und greift sich nun selbst ein wenig vom Schinken und vom Brot, denn seit dem Morgen hat sie nichts gegessen und längst knurrt ihr der Magen. Eine zeitlang herrscht Schweigen, nur durchdrungen vom Geräusch ihrer Münder, die eifrig dabei sind den Inhalt des Korbes zu verzehren, Rialinns kleiner Schmollmund allen voran.

„Nein“, sagt Soraya plötzlich und fängt sich einen verwirrten Blick von Arwen, die anscheinend nicht weiss, was sie mit diesem Satzfragment nun anfangen soll. Das hauchdünne Schmunzeln auf Sorayas Lippen ist gekennzeichnet von einem Hauch von Bitterkeit: „Du hast Recht. Ich weiss nicht wie es ist „Te Lansunjadaita“ genannt zu werden…“ Die Schatten unter ihren Augen werden dunkler, als sie leicht den Kopf nach vorne neigt und den Mund zu einem spöttelnden, kühlen Lächeln verzieht: „Aber vielleicht wäre es besser du hörst endlich auf dir ständig Gedanken über etwas zu machen, das du hinter dir hast. Das Leben ist längst weiter gegangen Arwen und auch wenn uns die Ewigkeit beschieden ist, so ist jeder Tag, den du in deiner vergangenen Pein schwelgst, für die Zukunft verloren.“ Und vielleicht solltest du bedenken, dass du nicht die Einzige bist, die lange Zeit ihres Lebens damit verbracht hat, mit etwas fertig zu werden, dass dir überlassen wurde. Um den Ansatz dieser Aussage im Keim zu ersticken, hebt Soraya den Becher hoch und trinkt ihn aus, bitter erkennend, dass der Wein nun schmeckt, als wäre er mit kalter Asche angereichert.
Erst als Arwen Ninianes Name ausspricht, sieht Soraya sie wieder an, sich unmerklich aufrichtend und lauschend. "Ich weiß, dass Gildin dir von Khelenar und seinem Versuch erzählt hat, die Annullierung meiner Ehe mit Hodor für ungültig erklären zu lassen, womit er glaubt einen Grund zu haben, um Rialinn zur Erbin des Hauses Silberstern zu machen.“ Nickend bestätigt Soraya dieses Wissens, sich an den Tag zurück erinnernd, als Arwen so unverblümt in Lomirion aufgetaucht war, mitten in der Nacht, hinter sich ein Gefolge von ein Dutzend miytarlischer Ritter. Gildin hatte besorgt geklungen, genug um Soraya aufmerksam werden zu lassen und sich nach besagter Ausführung auf die Lippen zu beissen, um nicht abfällig zu werden. “Nach Ansicht meines Vaters hat er vor, es damit zu begründen, dass ich nicht bei Sinnen gewesen sei, als ich die Aufhebung erklärt habe, und dass Gildin und Niniane als Zeugen dafür nicht unvoreingenommen gewesen seien…. Phhhh... als ob nach dem, was vorher passiert war irgendjemand unvoreingenommen hätte sein können." … was vorher passiert war… Natürlich, auch Soraya hat die Gerüchte vernommen, die lange Zeit in den Haushalten Lomirions die Runde gemacht hatten, doch ihnen nie besonderes Gehör geschenkt, schon alleine, weil nur noch ein kleines Stück der ganzen Geschichte bis nach Carvallen gedrungen war.

Viel eher jedoch wird sie aufmerksam, als Arwen Niniane als Zeugin für die Aufhebung ihrer Ehe aufzählt und dann entfährt sogar Soraya ein Hartes: „Wie bitte?“. Tenn’ra Ninianes Worte anzweifeln? Ihre Autorität mit einer Widerlegung des Unterzeichneten untergraben? Wie kann er es wagen?, faucht sie in Gedanken und erwürgt kurzzeitig den Becher zwischen ihren Fingern. Es dauert, bis sie über die Einsicht hinweg ist, dass es solche respektlose Verrückte anscheinend wirklich gibt und ihre ganze Aufmerksamkeit wieder ihrer Cousine zuwenden kann. Diese ist selbst schon dabei über den Wagemut Khelenars zu lamentieren, wechselt dann aber das Thema und beantwortet Sorayas Frage, ob ihrer Heimat. Was die Erinnerungen an Talyra bei Arwen bewirken, stimmt Soraya milde und sie füllt ihre beiden Becher nach, Rialinns Krächzen nach mehr Saft ebenfalls nachkommend. “ Aber vielleicht geht es auch allen Vätern und älteren Brüdern so, dass sie in der jüngsten Tochter immer das kleine, hilflose Mädchen sehen, egal wie alt man ist." Es ist nur ein kurzes Innehalten im Einschenken, was Sorayas Gefühle verrät. Ihr ist, als würde ihr Magen sich zusammenziehen, wie zerknittertes Papier und mit einem Male ist ihr nicht mehr nach frischem Brot und süssen Äpfeln. Ohne sich den inneren Kampf anmerken zu lassen, zieht sie ihre Beine leicht an und legt den Kopf in den Nacken, versuchend sich zu entspannen, um dem Druck in ihrem Innern zu entkommen. Es ist so lange her, seit sie sich von ihren Brüdern und ihrem Vater hat beschützen lassen, so viele Jahre sind dahin, seit sie zum letzten Mal von Syla’ndeyon und Ssartar in die Mangel oder den Arm genommen wurde, aber allein die Erinnerung daran ist noch so überwältigend, dass ihr jedes Mal für einen Herzschlag lang der Atem fehlt. Sie lässt einzelne Bilder vorbeiziehen, mahnt sich dann jedoch selbst, wieder ins Hier und Jetzt zurückzukehren und folgt Arwens Blick, der zärtlich an einem schmalen Kinderrücken hängt. Rialinn beobachtet fasziniert die Vögelchen, wie sie sich ein Wasserbad gönnen, um dann unter hellem Gezwitscher das Weite zu suchen, als das neugierige Mädchen seine Hand nach dem goldglänzenden Gefieder ausstreckt.
Soraya kann nur nachvollziehen, wie Arwen sich fühlt und ist mit ihr vollkommen einer Meinung was den Verräter Khelenar angeht, doch eine bessere Lösung, als diese, die Arwen ihr ausführlich schildert, kann auch Soraya nicht aus dem Ärmel schütteln. Ein Funken Misstrauen schleicht sich aber in ihr Herz, als Arwen von ihrem eigenen Tod und den nachhaltigen Folgen spricht, als wäre es etwas längst Vorherbestimmtes. Sicherlich könnte Khelenar sie töten und Rialinn dann als Mündel verlangen, doch nach allem, was er getan hat, wird der Blindeste und Dümmste ohne Richterspruch davon ausgehen, dass Khelenar selbst die Ermordung Arwens angeordnet hat. Das ist Rialinn doch… Sie kann das Ende des Gedankengangs gerade noch unterdrücken, wird sich jedoch gleichzeitig bewusst, dass an ihrer Frage eigentlich etwas dran ist.

Auch Arwen sieht aus, als wäre sie in Erinnerungen oder Überlegungen versunken, weswegen Soraya weiterhin schweigt und den Wein, der süss ihre Kehle hinunter rinnt, geniesst. "Niniane und ich haben Dinge gemeinsam erlebt und überlebt, die… aus denen eine enge verbindung entstanden ist. Und ich verdanke ihr in mehr als einer Hinsicht mein Leben. Nicht zuletzt hat sie mir geholfen, den Fluch zu brechen. Ich habe einen Raben zu ihr geschickt um sie zu fragen, ob sie für den Fall, dass mir etwas zustößt Rialinn als ihr Mündel annehmen und aufziehen würde." Dieser Vormund ist klug gewählt. Wer, ausser einem dummen wie Khelenar, würde es schon wagen, Tenn’ra Ninianes Anrecht anzuzweifeln, ganz zu schweigen von dem Versuch, IHR das Kind wieder wegzunehmen. Ich hab mich auch lieber mit der Ältesten und Höchstgeehrten angelegt als mit Ta… Tenn’ra Niniane persönlich und bei mir ging es nur um ein paar beschmierte Bretter. „Ich finde dies eine gute Entscheidung Arwen. Wer, wenn nicht Niniane, könnte Einspracherecht erheben.“ Sie wohnt also in Talyra. Einen Boten hinzuschicken würde zu lange dauern, einen Raben? Das Sommerfest steht vor der Tür, es gibt genügend Trubel in der nächsten Zeit, nein, ich muss warten, mich gedulden. Und das wird ihr mehr als schwer fallen, dass weiss sie bereits jetzt, denn es geht um weitaus mehr, als nur einen Namen… um viel mehr. Dabei kenne ich nicht einmal den genauen Weg nach Talyra und ein Bote könnte nicht erklären, was ich zu sagen habe. Und wenn sie hierher kommt ist es mit meinem Geheimnis aus. Ich muss sie in Talyra selbst aufsuchen… aber wie… wie… Ein innerer Stoss lässt ihren Blick zu Arwen schweifen. Sechshundert Jahre… Kannst du noch immer schweigen?
„Arwen?“ Der raue Tonfall ihrer Stimme, vielleicht auch die Schärfe darin, lassen ihre Cousine aufsehen. Zur Sicherheit tastet Soraya mit ihren Sinnen um sich, denn was sie zu sagen hat, ist für niemandes Ohren bestimmt. Eigentlich nicht einmal für ihre. Doch wenn ich zu Tenn’ra Niniane möchte, brauche ich ihre Hilfe… Zu Tenn’ra Niniana, das bedeutet aus den Elbenlanden… zu den Menschen. Eine feine, eisige Kälte tastet mit dünnen Fingern nach ihrem Herz und nur mit Mühe schafft sie es ihre Miene zu wahren: „Ich brauche deine Hilfe.“
Langsam setzt Soraya sich aufrecht hin, die Hände im Schoss faltend und sich im Kopf bereits die richtigen Worte zurecht legend, doch je mehr sie sucht, desto eher wird ihr klar, dass es keine Erklärung auf dieser Welt gibt, die das ausdrücken könnte, was sie bedrückt und ihr die Trance raubt. Lautlos holt sie Luft und spricht dann mit fester Stimme: „Ich muss zu Tenn’ra Niniane Arwen und zwar bald. Am Besten gleich nach dem grossen Eidesfest. Stelle bitte keine Fragen Arwen, noch nicht, und rede mit niemandem darüber. Besonders“, die Betonung des Wortes ist leise, jedoch eindringlich: „Besonders der König darf nichts erfahren, er darf nicht einmal ahnen, dass ich Tenn’ra Niniane aufsuche, genauso wenig wie mein Vater. Ich bitte dich Arwen, führe mich nach dem Sommerfest zu Tenn’ra Niniane, damit ich mit ihr sprechen kann. Du kannst mir vertrauen, es ist von äusserster Wichtigkeit und duldet nur wenig Aufschub.“

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Arwen am 18. Nov. 2006, 22:35 Uhr
"Ja, das stimmt, im Gegensatz zu meiner Mutter lebe ich noch." Irgendwie wird Arwen das Gefühl nicht los, dass ihre Cousine nicht wirklich versteht, was sie ausdrücken will, oder sie sich nicht recht so ausdrücken kann, dass Soraya es verstehen kann. Oder wie kommt sie sonst darauf, sie würde in den bitteren Erinnerungen ihrer Vergangenheit schwelgen? Bloß weil sie sie nicht verdrängt, sondern sich ihnen stellt und sie als Teil ihres Lebens zu akzeptieren gelernt hat und über den sie auch spricht? Einen ungeliebten Teil, zugegeben, aber er gehört nun einmal zu ihr. "Und dafür bin ich dankbar, denn hätte der Verrätersohn sein Ziel erreicht, wäre auch Rialinn nicht geboren worden. Und bei allen Göttern, sie ist wahrhaftig das Beste, was mir in meinem Leben passiert ist…" Die Vögel sind nach einem kurzen Ausreißer vor Rialinns neugierigen Fingern wieder auf dem Rand des Brunnenbeckens gelandet und widmen sich ihrer täglichen Gefiederpflege. Rialinn scheint das aber nicht mehr allzu spannend zu finden, denn sie rappelt sich hoch und kommt schnurstracks zu ihrer Mutter gelaufen, ganz so als habe sie verstanden, dass da gerade von ihr geredet wird, und krabbelt auf Arwens Schoß, wo sie sich einrollt wie eine kleine zufriedene Katze.
"Und sie ist auch der Grund, warum ich dem Ruf meines Vaters gefolgt bin, als er Gildin geschickt hat, um mich von Talyra hierher zu holen. Er fürchtete, dass wir dort in Gefahr sind, dass jemand versuchen könnte, Fakten zu schaffen die man nicht mehr ungeschehen machen kann. Und über eine solche Entfernung wäre es ihm unmöglich gewesen sicherzustellen, dass uns nicht geschieht. Und er wusste nur zu gut, dass ich es niemals dulden würde, dass er mir ein Dutzend seiner Ritter als ständige Bewachung schickt. Wäre es nur um mich gegangen, ich wäre in Talyra geblieben, und nicht nach Lomirion gekommen. Aber es geht auch um Rialinn. Und auch wenn ich nicht wie mein Vater mit der Gabe der Vorausschau bedacht bin, so weiß ich doch genug über Khelenar, um ihn niemals zu unterschätzen. Bei aller Macht, die mir gegeben ist, ich wollte das Risiko für Rialinn nicht eingehen. Ganz abgesehen davon, dass ich eines mit Sicherheit weiß: Ohne einen sehr triftigen Grund hätte mein Vater nicht Gildin und Andovar mit einem Dutzend seiner Ritter und mit Waffenknechten auf den weiten Weg nach Talyra geschickt um mich zu holen." Und die Hälfte dieser Ritter gehört zur Adlergarde. Warum, Vater, warum nur werde ich das Gefühl nicht los, dass da noch immer etwas ist, das Du mir nicht erzählt hast?

Arwen ist nicht entgangen, dass das Gerede um ihren möglichen Tod Soraya unangenehm berührt. Und irgendwie kann sie es auch nachvollziehen. Der Tod ist etwas, das die Elben nur selten trifft. Wenn die Last der Jahre zu groß wird und sie ihre Körper aufgeben um Frieden in den Hallen des Herrn über Tod und Winter zu finden. Oder wenn ihrem Leben mit Gewalt ein Ende gesetzt wird. Mehr als ein Zeitalter ist vergangen, seit Arwen geboren wurde, aber das Leben ist ihr keine Last, im Gegenteil. Doch wenn sie auf die letzten Jahre zurückblickt, seit sie sich in Talyra niedergelassen hat, dann hat sie in der Zeit mit mehr Ausgeburten der neun Höllen zu tun gehabt, als in all den Jahrhunderten zuvor. Niemand kann sagen, ob sich das auch in Zukunft so fortsetzen wird, und damit bleibt die Möglichkeit, dass sie getötet wird. "Bitte, Soraya, sieh mich nicht so an, als habe ich vor, mich zum Sterben niederzulegen und willentlich meinen Körper zu verlassen." Arwens Lächeln wird weicher und lässt kleine Silberfunken im Grün ihrer Augen aufschimmern. "Ich habe nicht vor zu sterben, im Gegenteil. Rialinns Namenstag jährt sich in neun Tagen erst zum zweiten Mal, und ich habe vor, sie aufwachsen zu sehen. Ist es vermessen, wenn ich die Hoffnung habe, eines Tages sogar ihre Kinder aufwachsen zu sehen? ... Keiner kann wissen, welches Muster Llaeron für uns gewebt hat, und wie weit der Faden noch reicht. Und für den Fall, dass mich der Ruf Sithechs erreicht, will ich für Rialinn vorgesorgt haben, so gut es irgend geht. Das ist alles."

Der Klang von Sorayas Stimme, als sie völlig unerwartet das Thema wechselt und sie um Hilfe bittet, lässt Arwen abrupt aufblicken. Schärfe und Ernst liegen darin, vermischt mit fast schon verzweifelter Dringlichkeit. Das Lächeln weicht schlagartig aus ihrem Gesicht, und sie sucht für einen Herzschlag in den Augen ihrer Base den Grund für diese Bitte. Dabei braucht sie den Grund gar nicht zu kennen. Soraya ist ihre Base, und auch wenn die Jahrhunderte sie etwas entfremdet haben mögen, sind die Bande der Freundschaft doch nicht gänzlich zerrissen. Sie will schon antworten, dass sie selbstverständlich helfen wird, wenn es in ihrer Macht steht, als Soraya sich aufrecht hinsetzt und ihre Hände im Schoß faltet, als wüsste sie nicht, wie sie sie sonst davon abhalten solle, unruhig über Decken oder Kissen zu fahren. Ein tiefes Luftholen ist für einen Augenblick der einzige Laut zwischen ihnen, und dann folgt mit fester Stimme die eigentliche Bitte an Arwen, und es verschlägt ihr für einen Augenblick die Sprache. >…zu Tenn’ra Niniane … bald...  Eidesfest … rede mit niemandem …der König darf nichts erfahren… von äußerster Wichtigkeit… < Die Worte hallen dröhnend in Arwen nach, und es dauert einige stolpernde Herzschläge, bis sie deren Sinn begreift. "Von äußerster Wichtigkeit und duldet keinen Aufschub?" Die Worte kommen ihr merkwürdig vertraut vor, so als habe sie sie schon einmalgehört. Und dann weiß sie es wieder, Gildin hatte so etwas erzählt. "Deswegen warst du auch eigentlich am Abend meiner Ankunft bei meinem Vater und wolltest ihn sprechen, nicht wahr? Nicht wegen Niniane, aber es geht um das gleiche. Und es ist der gleiche Grund, der dir schon zu Inarianar die Ruhe geraubt hat, oder?" Verwirrt versucht Arwen, ihre durcheinander stolpernden Gedanken zu sortieren und sich von all den wispernden Schatten loszureißen, die sich hinter der mit drängender Stimme vorgetragenen Erklärung für die Bitte verstecken. "Entschuldige, ich wollte nicht… Ich vertraue Dir, und ich werde keine weiteren Fragen stellen… Wenn der König nichts erfahren darf, dann schließt das sicherlich meinen Vater mit ein." Arwens Stimme ist ruhig und ihre Hand streicht wie von selbst über Rialinns wie immer zerzausten Haare um sie zu glätten, während das Kind in ihrem Schoß sich nach dem langen Tag und dem langen Umherlaufen satt und zufrieden in Trance gleiten lässt. "Nach der Eiderneuerung? Ich will Dir nichts versprechen, was ich dann nicht halten kann, Soraya, weil ich nicht weiß, wie schnell ich Antwort von Niniane erhalte, und wie schnell ich dann alles andere geregelt bekomme. Aber sobald ich alles geregelt habe, was ich regeln muss, werde ich nach Talyra zurückkehren. Und wir werden einen Weg finden, wie Du uns dann unbemerkt begleiten kannst."

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Soraya am 20. Nov. 2006, 13:13 Uhr
Das Sommerfest und die Eiderneuerung


"Deswegen warst du auch eigentlich am Abend meiner Ankunft bei meinem Vater und wolltest ihn sprechen, nicht wahr? Nicht wegen Niniane, aber es geht um das gleiche. Und es ist der gleiche Grund, der dir schon zu Inarianar die Ruhe geraubt hat, oder?“ Soraya nickt lediglich als Antwort, denn jedes Wort mehr, könnte bereits eines zuviel sein und das Letzte was sie will, ist Arwen oder sonst jemanden in etwas hineinziehen, bei dem sie selbst noch nicht weiss, ob Gefahr drohen könnte. Ein Gedanke schlingert hinter ihrer Stirn hindurch und lässt ihr Herz stolpern. Wenn Vater erführe, dass jemand von seinen Geheimnissen weiss, dann würde er umgehend öffentlich machen, was er schon so lange mit sich trägt. Das muss ich verhindern... jetzt und auch in Zukunft. Sie schiebt den Drang aufzustehen und mit einigen Schritten ihrer inneren Unruhe Platz zu machen von sich und sieht Arwen an. "Entschuldige, ich wollte nicht… Ich vertraue Dir, und ich werde keine weiteren Fragen stellen… Wenn der König nichts erfahren darf, dann schließt das sicherlich meinen Vater mit ein." „Arwen, ich vertraue deinem Vater, doch ich weiss, dass es seine Pflicht gewesen wäre zu melden, was ich ihm zu sagen gehabt hätte und das kann ich nicht zulassen.“ Ungewollt ist ihr Tonfall härter geworden und lässt kein weiteres Argument mehr gelten, gleichzeitig aber haben sich ihre Züge entspannt und der blasse Schimmer von Erleichterung schleicht sich in ihren Blick. So lange plage ich mich mit diesem Geheimnis herum und jetzt... nur durch einen Namen scheint eine Lösung in greifbare Nähe gewandert zu sein. Wenn mein Vater bis nach dem Eidesfest schweigt. Sie verbirgt nicht, wie sehr sie mit dieser Hoffnung kämpft, denn im Grunde genommen wäre gerade diese grosse, festliche Aktivität der ideale Schauplatz für die Offenbarung. "Nach der Eiderneuerung? Ich will Dir nichts versprechen, was ich dann nicht halten kann, Soraya, weil ich nicht weiß, wie schnell ich Antwort von Niniane erhalte, und wie schnell ich dann alles andere geregelt bekomme. Aber sobald ich alles geregelt habe, was ich regeln muss, werde ich nach Talyra zurückkehren. Und wir werden einen Weg finden, wie Du uns dann unbemerkt begleiten kannst." Danke Arwen, wispert sie in Gedanken und beobachtet dann, wie Rialinn höchstzufrieden in eine leichte Trance gleitet. Der Rest des Nachmittags verbringen sie damit alles zuvor Besprochene erst einmal zu vergessen, um das schöne Wetter und die – eigentlich – ausgelassene Stimmung zu geniessen. Neuigkeiten werden ausgetauscht, Soraya verspricht an Rialinns Jahrestag zu erscheinen, einmal kommt noch eine Dienerin vorbei, die nach weiterem Begehr fragt und als Rialinn schliesslich wieder erwacht, beginnt ein munteres „Hasch mich“ – Spielchen. Ihrer drei Lachen begleitet das Rascheln des Windes in den Blättern und entlockt so manchem, der vorbeigeht ein sanftes Lächeln. Als es schliesslich am Horizont schon dämmert und das helle Blau des Tageshimmels einem dunklen pflaumenviolett weicht, verabschieden sie sich voneinander und Soraya macht sich auf den Weg zurück nach Virin'ydor. Während sie durch den grünen Garten schlendert, der die hohen Anwesen umgibt und fast den Eindruck von unangetasteter Natur vermittelt, wird ihr bewusst, dass es lange her ist, seitdem sie zum letzten Mal die Sonne als so wärmend empfunden hat.

Ihr Vater kehrt zwei Tage nach dem fröhlichen Nachmittag nach Lomirion zurück, Mýrnith hingegen bleibt im „Wurzelstumpf“ und lässt damit das Misstrauen in Soraya wieder zum Leben erwachen. Zwar ist sie bisher noch davon überzeugt, dass es mehr um seine Frau Diva’ra geht, die bald ein Kind zur Welt bringen wird, aber eine kleine, bissige Stimme in ihrem Hinterkopf hält ihr auch immer wieder vor, was er – ohne ihre unbemerkte Aufsicht – tun könnte. Sie hält ihre Gefühle verborgen, vor jedem, der ihren Weg kreuzt und erledigt ohne Zaudern ihre Arbeit, vorgebend nichts von den gelegentlichen, geheimnisvollen Stunden ihres Vaters in seinem Zimmer zu bemerken. An Rialinns Geburtstag besucht sie Arwen auf Mita Rôin und hat – wohlgemerkt in letzter Sekunde – sogar ein Präsent für ihre kleine „Nichte“ dabei. Es ist nichts Besonderes, da Soraya nur wenig Ahnung von den Wünschen zweijähriger, kleiner Trotzköpfe hat. Die innere Erleichterung ist dafür umso grösser, als Rialinn mit strahlenden Augen nach dem Bernsteinkettchen grabscht und krähend verlangt, es sofort anziehen zu wollen. Lächelnd hilft Soraya ihr das Geschenk um ihr schmales Handgelenk zu legen und streicht ihr dann sanft durch die schwarzen Locken: „Zwar brauchst du niemanden der dich beschützt“, und ihr Blick huscht dabei zu Arwen hinauf: „Aber es soll dir Glück bringen.“ Dann ist der Moment der Ruhe auch schon vorbei und die Küche beweist einmal mehr, wie viele Köstlichkeiten sie innerhalb weniger Stunden zaubern kann, ohne dass die Arbeiter danach aussehen, als wären sie in ein mittleres Chaos geraten. Kuchen und allerlei Süssigkeiten stapeln sich auf gläsernen Platten, süsse Früchte locken als Nachtisch, der Hauptgang alleine reicht um eine ganze Armee über einen Mond hinweg zu ernähren und spätestens als filettierte Entenbrust mit Pilzen und Kartoffeln aufgetragen wird, lehnt Soraya aus Platzgründen dankend ab und schüttelt dann verständnislos den Kopf ob Rialinn, die immer noch eifrig alles Essen in ihren nimmersatten Mund schaufelt. „So einen Magen müsste man haben, da bräuchte man für den Hunger nicht mehr zu sorgen.“ Zustimmendes Gelächter schwillt an und selbst die Anwesenheit Tianrivos und Gildins üben keinen Druck mehr auf sie aus, denn allein das Wissen, dass Arwen ihr helfen wird zu Niniane zu gelangen, beruhigt ihr Gemüt. Und wenn sie nach dem Eidesfest keine Zeit hat, werde ich den Weg alleine finden. Irgendwann kommt jemand auf die wahnwitzige Idee Musik zusammen und sofort zücken einige ihre Instrumente und wecken damit in Rialinn den Wunsch nach einem sofortigen Tanz. Das ist der Zeitpunkt an dem Soraya sich entschliesst, schleunigst das Weite zu suchen, bevor auch sie noch zu einem Partneropfer ihrer kleinen „Nichte“ wird. Gerade schwingt Gildin das Tanzbein, natürlich vorsichtig genug, um der kleinen Dame nicht auf die Zehen zu treten, die wild herumwirbelt und dann kichernd durch die Gegend wankt. Soraya verabschiedet sich von allen mit einigen flüchtigen Worten und eilt dann zu nach Hause, um dort einen wild aufgebrachten Stallmeister vorzufinden, der zwei Burschen mit gesenkten Köpfen gerade wütend darauf aufmerksam macht, dass es ihre eigene Schuld sei und sie der Hündin und deren Nachwuchs nicht ständig auflauern sollen. Der eine hält sich dabei mit verweinten Augen die Hand, um die ein dickes Tuch gewickelt worden ist und als Soraya sich streng erkundigt, was passiert sei, sinken die Schultern der zwei Jungen noch weiter hinab. Sie sehen aus wie Katzen, die man noch nass vom Bad im Fluss an einen Haken gehängt hat. Anscheinend hat die Hündin einmal mehr ihren Wurf beschützt und dabei einen der Jungen als Warnung in die Hand gebissen. Nach einer kurzen Untersuchung stellt sich heraus, dass es nicht mehr als ein Kratzer ist und Soraya belehrt die beiden, von jetzt an besser die Finger von den Welpen zu lassen, sonst würde sie ihnen eigenhändig das nächste Mal ein paar Ohrfeigen verteilen.

Die darauf folgenden Siebentage verändern die Stadt so drastisch, dass Soraya sich jedes Mal beim Aufstehen fragt, ob sie überhaupt in Lomirion ist. Die Strassen füllen sich nach und nach, bis sogar das hinterletzte Wirtshaus bis auf das schäbigste Zimmer ausgebucht ist, nicht einmal mehr in Ställen und Scheunen findet sich Platz. Fast wirkt es, als hätten sich die ganzen Elbenlande versammelt und Soraya hütet sich davor ihr Anwesen – wenn nicht zwingend notwendig – zuviel zu verlassen, denn der ganze Trubel ist ihr zuviel. Lieber kümmert sie sich schweigend um die Bücher, anstatt mit anderen den Markt zu besuchen und sich all den Tand anzusehen, der golden und weiss die Häuser schmückt. Nachdem sie zum fünften Mal gefragt wird, ob sie beim Dekorieren und planen des Festes nicht mithelfen möchte, zieht sie sich gereizt auf den Übungsplatz zurück und widmet sich, versunken in vollkommener Konzentration, ihren Schwertübungen, die letztendlich aber in einer handfesten Auseinandersetzung mit Karaeon, einem Ritter ihres Vaters, der ihre Schritte kommentiert, enden. Ohne Mitleid schlägt sie ihn zurück, setzt ihn Schach Matt und faucht ihn danach an, sie jetzt gefälligst für die nächsten Tage, am besten bis nach dem Sommerfest, in Ruhe zu lassen und ihr aus dem Weg zu gehen. Dieser Ausfall hilft und nur noch wenige versuchen sie mit der eigenen, penetranten Festtagslaune anzustecken, für die sie meist nur ein zuckendes, fadendünnes Lächeln übrig hat.
Schlecht für die Rekruten, die ihre ganze Missbilligung gegenüber der Aufregung um das Sommerfest zu spüren bekommen und schon bald ob ihrer Strenge und Unbarmherzigkeit klagen. Doch sie selbst schont sich ebenso wenig, übt oftmals bis ins Delirium, geht spätabends zu Bett und krabbelt schon frühmorgens wieder aus den zersausten – oder oftmals auch fast unberührten – Decken. Mehr als eine Nacht schlägt sie sich um die Ohren, gefangen zwischen Unmut, einer dumpfen Furcht und schwellender Wut, die aus der Tatsache resultiert, dass ihr Vater ihr nicht vertraut. Er hat seine Gründe und die verstehe ich sogar. Ich hätte ihm, wäre ich an seiner Stelle und er an meiner, auch nichts erzählt. Die Einsicht lichtet den Nebel in ihrem Kopf aber nicht und sie beschliesst ihr Auge auf die Reise nach Talyra zu werfen, die nach dem Sommerfest anstehen würde. Es würde einiges an Vorbereitungen verlangen, ungesehen, oder besser gleich komplett unbemerkt aus den Elbenlanden zu gelangen, ohne jemandes Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
In die Menschenlande. Nach sechshundert Jahren zurück in die Menschenlande. Während sie darüber sinnt, was diese Begegnung auslösen könnte in ihr, streichen ihre Fingerkuppen zärtlich über den dunklen Einband eines grossen, schweren Buches, das auf ihren Knien ruht. Ihr Blick hängt an den Buchstaben, die in goldener Schrift auf dem Leder prangen und ihr Gedächtnis muss sich mehr als anstrengen, um den Titel entziffern zu können. „T... Taage... Tagebuh... Tagebusch...“ Der Klang des Wortes klingt vollkommen fremd in ihren Ohren. Rau und krächzend, nicht so schön und fliessend wie das elbische Äquivalent dazu. „Darestjaêmbe.“ Seufzend pustet sie den Staub von dem Menschenwerk und schlägt dann die erste der sicherlich über zweihundert vergilbten Seiten auf. Die Schrift des Mannes, der das Tagebuch geführt hat ist krakelig und schwer zu entziffern, für jemanden der die Sprache nur in der Theorie beherrscht noch eine zusätzliche Hürde und Soraya braucht für die erste halbe Seite eine geschlagene Stunde, obwohl sie jedes der Blätter sicherlich schon ein dutzend Mal gelesen hat. Zum Teil sind am Rand Notizen zu finden und das Aussehen des Buches beweist, dass es früher sehr oft benutzt wurde. Es wäre sicherlich nicht schlecht, würde ich zumindest einen kleinen Teil beherrschen.

Es ist ein klarer, etwas kühler Morgen, als schon früh das ganze Anwesen vor Geschäftigkeit und Aufgeregtheit summt und zittert, während draussen dem Lärm nach zu urteilen die Hölle los ist. Das matte Licht der Morgensonne sprenkelt die hellen Wände von Sorayas Anwesen mit milchigen Sprenkeln und tanz ihr widerlich warm auf dem Gesicht herum. Mit einem bleiernern Gefühl im Magen und einem fahlen Geschmack auf der Zunge – als hätte sie Asche im Mund – wacht sie auf und blinzelt ein, - zweimal in die Helligkeit, bevor sie sich grummelnd aus dem Bett wälzt. Noch vor dem Mittag würde die Zeremonie im Palast stattfinden und bis dahin muss noch viel, viel zu viel erledigt werden. In einfacher Leinenkleidung und handlichem Zopf kontrolliert sie in der Küche den Zeitplan, macht ihren Männern Beine, geht wiederholt mit Férahl die Liste für die eingeteilten Wachen durch, streicht einen raus, nimmt einen anderen dazu, ordert an das Anwesen noch einmal gründlich zu säubern, hilft gleich selbst mit, als Not am Mann herrscht und widmet sich erst ihrem eigenen Auftreten, als der Zeitpunkt der Zusammenkunft in greifbare Nähe gerückt ist. Ein Bad ist längst bereitgestellt worden und sie gönnt sich die Ruhe vor dem Sturm, räkelt sich in schwach duftenden Ölen und wäscht sich fein säuberlich das lange Haar aus, bis es sich silbern ihrem Rücken entlang windet. Skeptisch betrachtet sie sich kurzzeitig im Spiegel, denn trotz dessen dass sie mit der Schönheit der Frauen ihrer Art nicht viel gemeinsam hat, ist auch ihr ein Funke Eitelkeit eigen. Als sie sich aufmacht ihre Kleidung herauszusuchen, erinnert sie sich zwar daran, was sie Rialinn versprochen hat, entscheidet sich dann aber – zugunsten ihrer Autorität – doch lieber dafür ihre „Nichte“ auf ein anders Mal zu vertrösten, was den Gebrauch eines Rockes anbelangt. Dafür kleidet sie sich in schwarze, enge Wildlederhosen, ein Seidenhemd mit grünen Stickereien in derselben Farbe und kniehohe, glänzend geschrubbte Stiefel. Darüber kommt ein auf Hochglanz poliertes Yalariskettenhemd, verdeckt von einem dunkelgrünen, festlich bestickten Wams, auf dem das Wappen – der weisse Wolfskopf – des Hauses Dúne zu finden ist. Ihr Blick wird für einen Herzschlag lang weich, während sie das Emblem betrachtet und ihre Sorge wandert zu ihrem Vater, der ebenfalls gerade dabei ist sich zurecht zu machen. Gib mir noch ein wenig Zeit Vater. Tu es nicht heute... was auch immer du genau vorhast. Dann wischt sie alle störenden Gedanken entschlossen hinweg und kümmert sich um den verklemmten Verschluss des Umhangs und um einen akzeptablen Zopf. Als sie endlich fertig ist, wimmelt es draussen bereits vor Schaulustigen und Neugierigen. Ihre eigenen Angestellten erledigen ihre Aufgaben souverän, verstecken ihre Freude über diesen Festtag jedoch nicht, ganz anders Soraya, die nicht einmal etwas zu verstecken hat. Ein scharfer Stich durchfährt ihre Eingeweide, als sie auf ihren Vater trifft, der ebenfalls nicht aussieht, als würde er die Ausgelassenheit, welche die Luft schwängert, so ungehindert geniessen können, wie alle anderen. Erst als er ihr ein Lächeln schenkt verschwindet die Kochenfaust, die eben noch erbarmungslos ihr Herz erwürgt hat, wieder und sie steigt auf Nornthas Rücken. Die Stute ist unruhig und tänzelt umher, den Kopf in alle Richtungen gleichzeitig werfend und Soraya pariert sie zwar mit harter Hand durch, fühlt sich jedoch nicht dazu berufen, heute die ganze Zeit dafür zu sorgen, dass ihr Pferd keine Mätzchen macht.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Arwen am 25. Nov. 2006, 23:36 Uhr
Die Tage seit jenem denkwürdigen Nachmittag zusammen mit Soraya im Garten von Mita'Rôin sind auf erfreulich ruhige und gleichförmige Weise vergangen. Gildin war am nächsten Tag zusammen mit Andovar nach Lyrtaran aufgebrochen, um dort seinen Pflichten bei der Verwaltung von Elar Daemar nachzukommen, jenen Ländereien die dem Haus Mitarlyr als Lehen anvertraut sind. Für einen Moment hatte Arwen mit dem Gedanken gespielt, ihren Bruder zu begleiten, zum einen um alten Erinnerungen und neuen Schatten in Lomirion zu entgehen, zum anderen weil sie zu gerne wieder einmal an den Ufern des Dämmermeeres gestanden hätte. Getan hatte sie es dann doch nicht. Für Rialinn wäre der Ritt zu anstrengend gewesen, und alleine hätte sie ihre Tochter niemals zurückgelassen. Und viel Zeit wäre ihr selbst dann nicht in Lyrtaran geblieben, wenn sie ihren Bruder begleitet hätte, immerhin hätten sie bis zum Sommerfest und der Eiderneuerung an den Tagen zuvor wieder nach Lomirion zurückkehren müssen; alles in allem viel zu viel Aufregung und Anstrengung für ein Kind von knappen zwei Jahren. Also ist Arwen geblieben und hat ihre Ausbildung im Anukis-Tempel fortgesetzt. Wohl oder übel kümmert sie sich seit dem auch um all jene Dinge, die nach Ansicht der Kastellanin Njarda Silberblatt in ihre Zuständigkeit und Verantwortung fallen. Immerhin sei sie, Arwen, die Erste Dame des Hauses Mitarlyr so lange ihr Bruder sich nicht vermählt habe, und somit neben ihrem Vater die Hohe Herrin des Hauses. Ohne Luftholen, wenn oder aber folgten dieser bestechenden Logik auch gleich mehrere Dutzend Entscheidungen, die Arwen zu treffen habe, Aufgaben, die ihr zukämen, und, und, und. Äußerlich ungerührt, hatte Arwen sich mit einem gedanklichen Schmunzeln gefragt, ob diese besitzergreifend fürsorgliche Rücksichtslosigkeit  ein Grundmerkmal aller Obersten Mägde oder Haushofmeisterinnen ist, denn sie fühlt sich frappierend an Cassandra erinnert, während auf die Frage, wann denn die Pagen für die Feiern zu Rialinns Namenstag und das Fest zur Eiderneuerung eingewiesen werden sollen, auch schon die freundliche Ermahnung folgt, dass sie sehr wohl gemerkt habe, dass Arwen zum Morgenmahl mal wieder kaum eine Schale von dem süßen Hirsebrei gegessen habe, und dass sie besser auf sich achten und vernünftig essen müsse. Luft scheint die energische, junge Kastellanin zwischen ihren Worten scheinbar nicht holen zu müssen. In den folgenden Tagen war es Arwen dann jedoch gelungen, Njarda in den Zustand zeitweiser Sprachlosigkeit zu versetzen, in dem sie nach einer kurzfristig anberaumten Sichtung der Vorräte und Lager ziemlich konkrete Pläne und Anordnungen bezüglich der anstehenden Festlichkeiten getroffen hatte. Die letzten Jahre auf Vinyamar haben eben doch Erfahrungen mit sich gebracht, mit denen Njarda nicht gerechnet hat. Die Blicke, mit denen ihr Vater wahrnimmt, dass seine Tochter die Rolle der Hausherrin übernimmt, entgehen ihr dabei jedoch nicht. Und die Hoffnung, die sie dann immer hinter diesen Blicken erkennen kann, dass sie hier in den Elbenlanden bleiben und nicht nach Talyra zurückkehren würde, macht es Arwen nahezu unmöglich, mit ihrem Vater darüber zu reden, dass sie zwar jetzt diesen Pflichten hier nachkommen, aber trotzdem so bald wie möglich nach Talyra heimkehren wird, möglichst noch vor dem Winter. Und so schiebt sie dieses Gespräch jeden Tag wieder vor sich her, wohl wissend, dass sie es damit für sich und ihrem Vater nur immer schwerer macht.

Der Goldschein vergeht, ihm nach folgt der Sonnenthron und mit ihm Rialinns Namenstag. Rialinn hatte von all den Vorbereitungen für ihr Fest nicht das Geringste mitbekommen. Und somit sind die großen Augen, mit denen ihre Tochter sie anstrahlt, als sie Blumengirlanden an Fenstern und Türstöcken, Geschenke und Leckereien auf den Tischen entdeckt für Arwen ein Geschenk, dass sie nicht für alles Gold Rohas hergeben würde. Ihren heißgeliebten Bären fest unter den Arm geklemmt, ist das Elbenkind abwechselnd mit dem Naschen von süßen Kirschen, kandierten Baelstücken und dem Auspacken der Geschenke beschäftigt. Die Begeisterung, mit der sie sich über einen Beutel mit bunt bemalten Holzmurmeln von Dyania ebenso freuen kann wie über ein Festtagsgewand von ihrem Großvater ist geradezu ansteckend. Und in ihrer kindlichen Unschuld ist es Rialinn auch vollkommen unverständlich, warum Mutter, Onkel und Großvater höchst verlegen und beschämt auf den Bernsteinschmuck reagieren, den Soraya ihr schenkt. Ihr gefallen die honiggelben Steine, die in der Hand sofort warm werden, und die genau so aussehen wie die Steine, die ihre Mutter an einem Gürtel hat. Und woher soll das Kind auch um den Wert wissen, den die Elben diesen Steinen aus den Tränen längst vergangener Wälder beimessen. Die geflüsterten Feststellung ihrer Familie, dass Soraya schlichtweg verrückt sein müsse, dem Kind etwas so wertvolles zu schenken (und die von ihrer Tante mit einer knappen Handbewegung weggewischt werden), die bekommt das Geburtstagskind gar nicht mit, da es bereits wieder mit den Kirschen beschäftigt ist. Es ist ein entspannter, fröhlicher Morgen an dem viel gelacht und erzählt wird, und der Küchenmeister einen kleinen Vorgeschmack auf das bietet, wozu er und seine Helfer an hohen Festtagen fähig sind. Wie viel es Arwen bedeutet, dass ihr Vater sich den Vormittag von seinen Pflichten als Truchsess befreit hat und hier bei ihnen ist, ahnt der vermutlich nicht einmal. Als dann allerdings von irgendwo her Flöten und Handtrommeln auftauchen und Rialinn sich mit ihrem berühmt (und fast schon berüchtigten) Schmeichellächeln vor Gildin aufbaut und nach einem Tanzpartner verlangt, sucht Soraya nach einer raschen Verabschiedung das Weite, was Arwen wiederum hell auflachen lässt. Dass ihre Base eine derartige Scheu vor dem Tanzen hat, hat sie schon am Inarifest gewundert.

Einige Tage nach Rialinns Namenstag sorgt dann ein Botenrabe für einige Aufregung auf Mita'Rôin. Dass Arwen einen der Schneeraben mit einer Nachricht in die Menschenlande geschickt hat, ist kaum jemandem aufgefallen, genau genommen nur dem Rabenmeister. Auch die Rückkehr des Raben wäre unter normalen Umständen kaum jemandem aufgefallen. Nur fällt die Rückkehr des Raben leider nicht unter gewöhnliche Umstände, oder vielmehr ist der Rabe ungewöhnlich. Kein Schneerabe kehrt in den Rabenschlag zurück, sondern ein Rubinrabe landet zielstrebig auf dem Brunnen im Garten, verlangt abwechselnd nach 'Korrrn' und 'Arrrwen' und macht dem rasch gerufenen Rabenmeister schnabelhackend klar, dass er freiwillig außer der Elbin nach der er krächzend verlangt niemanden an die Nachricht lassen wird, die er mit sich trägt. Schneller als jemand 'huch' sagen könnte, ist einer der Burschen unterwegs zu Arwen, die bei Gildin im Stall ist um nach dessen Pferd zu sehen. Hastig sprudelt der Junge die Nachricht von dem Raben hervor, und stolpert dabei vor lauter Aufregung über die Worte. Rubinraben sieht man selten bis gar nicht in den Elbenlanden, und von diesem besonderen Raben weiß er, dass er Tenn'ra Niniane gehört und eigentlich im Valonva Shaer landen sollte, nicht hier auf Mita'Rôin. Im ersten Moment weiß Arwen mit dem gestotterten Bericht kaum etwas anzufangen, bis sie versteht, dass und welcher Rabe angekommen ist. Soviel also zu dem Versuch, das alles möglichst unbemerkt in die Wege zu leiten... Arwen ist nur zu bewusst, dass die Tatsache, dass Ninianes Rabe hier bei ihnen ist, sich schneller verbreiten wird als ein Buschfeuer. Ganz gleich wie sehr die Angehörigen des Haushaltes sich auch von Klatsch und Tratsch fernhalten mögen, der Rabe hat die halbe Stadt überflogen um hierher zu gelangen, und ein Rubinrabe fällt in den Elbenlanden nun einmal unweigerlich auf. Den fragenden Blick ihres Bruders, dem auch klar ist, wem dieser Rabe gehört, erwidert sie mit einem knappen Nicken. "Ja, ich habe Niniane eine Nachricht geschickt. Ich war nur davon ausgegangen, dass die Antwort mit dem Schneeraben zurückkäme, und nicht mit Shugorn." Ihrem Bruder ist nur unschwer anzusehen, dass ihm noch mehr Fragen auf der Zunge liegen, doch Arwen kommt ihm zuvor. "Ich weiß, was du mich fragen willst, Gildin. Aber ich kann es dir jetzt nicht erklären. Später. Heute Abend. Vater wird es auch wissen wollen... Oder glaubst Du, es würde ihm entgehen, dass Ninianes Rabe hier ist?" Rasch verlässt sie den Stall, gefolgt von ihrem Bruder, und lässt sich von dem Burschen zeigen, wo Shugorn auf sie wartet. Als sie endlich im Garten anlangen wartet dort neben dem Rabenmeister noch eines der Küchenmädchen mit einer Schale voller Fleischsteifen. Shugorns steter Hunger ist Arwen durchaus bekannt, und so wundert es sie nicht wenig, dass der Rabe zwar der gefüllten Schale immer wieder sehnsüchtige Blicke zuwirft, sich aber weder von dem Küchenmädchen noch vom Rabenmeister vom Brunnen herunter und zu der Schale locken lässt. Dem stets wiederholten 'Arrwen' haftet ein Unterton an, der deutlich macht, dass er sich nicht hereinlegen lässt, indem man ihn an die Futterschale lockt. Als er dann Arwen sieht, richtet er sich auf und nickt mit dem Kopf, während er sie mit knarrenden Lauten begrüßt und sich von ihr auch endlich die Hülse mit Ninianes Nachricht vom Bein lösen lässt. Die Antwort, die die feinen Pergamentstreifen ihr aus der Weltenstadt bringen, lassen Arwen unwillkürlich lächeln, was ihren Bruder nur noch fragender schauen lässt. Doch vorerst schweigt sie. Sie würde ihm alles erklären, später am Abend, wenn auch ihr Vater da ist.

Am nächsten Tag würden auf Mita'Rôin die Angehörigen der Vasallenhäuser ihre Eide erneuern, der Beginn der Eiderneuerung, die die Elben alle zwölf Jahre an den Tagen vor dem Hohen Fest zu Ehren Shenrahs begehen. Und das ist einer der Gründe, warum Arwen auf dem Weg zu Bator Taneel ist, jenem Schneidermeister, den ihr Vater und ihr Bruder immer dann aufsuchen, wenn es um mehr geht, als um Alltagsgewänder, die auf Mita'Rôin selber geschneidert werden. Sie hat zwar Kleider genug, vor allem, da sie ohnehin meistens ihr Priestergewand trägt, doch sie kann nicht leugnen, dass bis auf eines alle ihre Kleider von menschlichen Schneidern stammen, und man ihnen das auch ansieht. Nur ein einziges Schleierkleid elbischer Art gehört zu ihrer Garderobe. Und so hat sie schließlich Gildin zugestimmt, dass Taneel ihr angemessene Kleider für das Sommerfest schneidert. Rialinn hat sie in der Obhut ihres Bruders gelassen, der seiner Nichte hoch und heilig versprochen hat, mit ihr die Jagdhunde zu besuchen.
Der Geruch von Wolle, Seide und Leinen, vermischt mit Staub und dem Duft nach Yasmintee umwehte Arwen, als sie den Schneiderladen betritt. Die Gerüche lassen sie an ihre Kindheit zurückdenken, ihren ersten Besuch bei einem Schneider, weil sie zu ihrem Namenstag ein besonderes Kleid erhalten sollte, eines, in dem sie ihren Vater und ihren Bruder zur Eiderneuerung begleiten sollte. Das ist so lange her… Ein kräftiger Mann mit silberblonden Haaren steht an einem großen Schneidetisch und hält einen Seidenballen in der Hand, als überlege er, wie er ihn schneiden und in Falten legen solle. Der Schneidermeister ist ein kräftiger Mann, der eher wie ein Fuhrmann aussieht als wie ein Schneidermeister. Nur die Fasern und Fusseln auf seinem Ärmel deuten auf seine Beschäftigung hin. Jetzt hat er einen geistesabwesenden Gesichtsausdruck, den Blick eines Künstlers während des schöpferischen Aktes, und Arwen widerstrebt es, seine Konzentration zu stören. Doch der Schneidermeister hat ihre Anwesenheit gespürt, mit einem sichtlichen Ruck reißt er sich von dem Ballen und seinen Gedanken los und wendet sich zu ihr um. "Shu'ra," grüßt er sie mit einer freundlichen Verneigung. "Ihr kommt sicherlich, um euere Kleider ein letztes Mal anzuprobieren und dann mitzunehmen." "Bator Taneel," mit einem Lächeln erwidert Arwen die Begrüßung. Ganz gleich wie sehr sie anfangs gegen dieses Ansinnen ihres Vaters und ihres Bruders gewesen ist, sie ist nicht frei von Eitelkeit, und die bisherigen Anproben haben ihr eine fast schon diebische Freude bereitet. "Bei dem Geheimnis, das ihr aus dem letzten Kleid gemacht habt, wundert es euch, dass ich neugierig bin?" "Ich muss euch warnen, Shu'ra: ich werde mich in meine Schere stürzen, wenn euch das Kleid nicht gefällt." "Sei nicht albern, Taneel," unterbricht Arwen ihn. "Alles was ihr bisher für das Haus Mitarlyr genäht habt, war wundervoll. Niemand wird sich hier in irgendwelche spitzen Gegenstände stürzen."
Taneel verschwindet durch einen Vorhang in den hinteren Räumen, in denen sich wie Arwen unterdessen weiß nicht nur der Raum zum Maßnehmen und für die Anproben befindet, sondern auch die eigentliche Schneiderstube. Wenig später kehrt er zusammen mit einem seiner Lehrmädchen und mehreren in weißes Leder gehüllte Pakete zurück. Sie tragen sie auf den Unterarmen und bewegen sich, als transportieren sie etwas unsäglich Kostbares. Dann legen sie es auf den Schneidertisch und wickeln es langsam aus. Im hellen Tageslicht sieht Arwen auf den ersten Blick nur eine glitzernde Masse Messing in einem Bett aus Moosgrün. Dann hebt Taneel das erste Kleid auf, schüttelte es aus und streift es einer Kleiderpuppe über. Obwohl sie auf etwas sehr Schönes vorbereitet ist, stockt Arwen dennoch für einen Augenblick der Atem. Das ärmellose Unterkleid ist eine lange Säule aus messinggoldener Seide mit einem runden Ausschnitt. Es ist ziemlich schlicht, fast schon streng im Schnitt, und Arwen weiß, es würde sich wie eine zweite Haut anschmiegen. Die Säume des Kleides sind mit moosgrünen Seidenfäden in einem Muster aus winzigen Ranken und Blättern bestickt. Das Oberkleid ist aus einem feinen, moosgrünen Stoff, hat lange, weite Ärmel, die vorne gerafft werden, damit sie die Hände nicht verdecken. Es ist mehr als schlicht geschnitten und das Unterkleid mit den Stickereien würde unter dem seitlich geschlitzten Rock erst sichtbar werden, wenn die grüne Seide gerafft und am Gürtel festgesteckt würde. Arwen verliebt sich auf der Stelle in das Gewand und fragt sich zugleich, ob sie sie das richtige tut, indem sie ihrem Vater seinen Wunsch bezüglich der Eiderneuerung erfüllt. Mit einem kaum merklichen Kopfschütteln schiebt sie diesen Gedanken zur Seite.

"Taneel, es ist traumhaft! Es ist so schlicht, wie ich es wollte, ohne dabei streng zu werden." Taneels Lächeln funkelt in den hellen Augen und er kann seinen Stolz nicht verleugnen. "Ich bin froh, dass es Euch gefällt, Shu'ra. Es kommt nicht oft vor, dass ich gebeten werde, eine Ausstattung für die Herrin eines der Hohen Häuser zu fertigen, oder gar das Kleid für die hohen Tage des Sommerfestes. Ich lasse gleich um den Schuhmacher schicken, damit wir sichergehen, dass die Schuhe zu dem Kleid nicht zwicken. Ihr werdet bestimmt nicht in zu engen Schuhen laufen wollen." Fast hätte Arwen bei dem Eifer des Schneiders gelacht, kann sich dann aber zusammenreißen und schmunzelt nur. "Ihr habt an alles gedacht, Taneel. Aber-" Taneel nickt fast schon spitzbübisch. "Ich möchte, dass Ihr so schön gekleidet seid, Shu'ra, dass sich die Ritter eures Vaters darum streiten werden, wer im Turnier für eure Farben reiten darf." Jetzt muss Arwen doch gegen ihren Willen lachen. "Taneel! Ihr seid unmöglich… und ein Genie mit Nadel und Faden. Es muss eine fürchterliche Last für euch sein." "Bitte, Shu'ra," protestiert jetzt Taneels Frau, die aus der Nähstube nach vorne gekommen ist. "Ermutigt ihn nicht noch. Er ist schon schwierig genug." "Schwierig? Ich bin der netteste und geduldigste Mann, min Gweila. Und jetzt begleite Shu'ra Arwen bitte nach hinten und sieh nach, ob alles passt. Ich glaube, wir werden das Kleid ein wenig enger machen müssen. Ihr müsst wirklich mehr essen, Shu'ra." "Taneel, ihr fangt an, euch anzuhören, wie die Kastellanin und der Koch meines Vaters." Noch immer lachend folgt Arwen der Elbin durch den Vorhang. Im hinteren Teil des Ladens ist es deutlich wärmer als vorne. Teeduft steigt aus einem Kupferkessel in einem kleinen Kohlebecken auf  und macht Arwen den Mund wässrig. Sie hat gar nicht bemerkt, dass sie durstig ist, aber sie weiß auch, dass Tee und feine Seide nicht zusammengehen. Also legt sie das grüne Priestergewand ab, kleidet sich bis auf die Leibwäsche aus und lässt sich von der Schneiderin das messingfarbene Unterkleid mit der Innenseite nach außen überstreifen. Die Frau steckt entlang der Nähte Nadeln ein, wobei sie Arwen gelegentlich piekt. Arwen fühlt sich zum ersten Mal unbehaglich, und so als wäre sie wirklich zu dürr, wie Njarda und Aiweron hartnäckig behaupten. Gedankenverloren wackelt sie mit den Zehen in ihren Schuhen. Die Seide auf ihrer Haut ist angenehm, und eine ganze Weile lässt sie ihre Gedanken wandern und denkt an nichts Besonderes. Als die Frau mit den Änderungen zufrieden ist, streift sie Arwen - wieder verkehrt herum - das Oberkleid über, während sie leise vor sich hin murmelt. Sie hat den ganzen Mund voller Nadeln, deshalb ist eine Unterhaltung unmöglich, aber Arwen ist ohnehin nicht nach Reden zu Mute. Sie genießt auf eine fast sinnliche Art den stillen Augenblick. Hier will niemand etwas von ihr, oder schreibt ihr etwas vor. Sie lässt die Schultern ein wenig sinken, bevor ihr wieder einfällt, dass sie aufrecht stehen muss. "Ihr könnt jetzt zum Spiegel kommen, Shu'ra. Die volle Wirkung werdet Ihr zwar erst sehen, wenn das Kleid geändert ist, aber die Farben stehen euch hervorragend. Taneel meint, das Grün sei wie eure Augen." Zögernd tritt Arwen vor den Spiegel und mustert ihr Bild, blass und schwarzhaarig. Das Kleid sitzt wie angegossen, und als Arwen den Gürtel hervorholt, den sie zu dem Kleid tragen will, ihn anlegt und einen Teil des Rockes rafft und daran feststeckt, kann die Schneiderin ein überraschtes Luftholen nicht verbergen. Ein Gürtel, dessen Glieder aus in Silber gefasstem Bernstein bestehen, jener Gürtel, den sie die Goldschmiedin in Talyra aus den Beschlägen hatte fertigen lassen, die Teil des Geschenkes gewesen waren, das sie und Hodor vor drei Jahren von Caewlin bekommen hatten. "Ayares! Amber… Amber îr Aris…" Große Augen sehen Arwen an, dann schüttelt die Elbin nur noch den Kopf, was Arwen die Gelegenheit gibt, der Frau klarzumachen, dass sie das Kleid nicht soviel enger machen soll, damit es ihr im nächsten Sommer auch noch passt. "Ganz wie ihr wünscht. Ich ziehe euch das Kleid jetzt wieder aus. Möchtet ihr vielleicht einen Tee?" Noch während sie redet, beginnt sie damit, die Kleider über Arwens Kopf zu streifen und auf eine gepolsterte Kleiderpuppe zu ziehen. Während Arwen sich wieder ankleidet, gießt sie Tee in eine dickwandige Schale und tut einen kleinen Brocken Honig dazu. Der Tee ist heiß, aber nicht brühheiß und sehr süß, aber Arwen trinkt ihn vor Durst in einem Zug aus.
Zurück im vorderen Teil des Ladens ist dort unterdessen der Schuhmacher eingetroffen, ein kleines Bündel unter dem Arm. Arwen ist erleichtert, dass sie für diesen Teil der Anprobe sitzen muss und setzt sich auf eine Bank neben die Treppe hinauf zum Speicher. Sie probiert die neuen Schuhe an, bewegt die Zehen und stellt fest, dass die weichen Schuhe nicht drücken, stellt die Teeschale zur Seite, steht auf und macht ein paar Schritte. "Sie drücken nicht, aber mit der Sohle des Linken scheint etwas nicht zu stimmen, ich glaube, die Wölbung ist ein wenig zu flach." Sie wippt von den Zehen auf die Fersen und wieder zurück. "Ja, das ist es." "Ai, sehr schön. Ich wünschte, alle meine Kunden würden solche Dinge bemerken. Sie holen die Schuhe einfach ab, und dann beschweren sie sich, dass sie ihnen nicht passen, obwohl sie sich gar nicht die zeit genommen haben, sie anzuprobieren." Er schnalzt ungehalten mit der Zunge. "Ich habe schon vor langer Zeit gelernt, auf meine Füße zu achten, da ein drückender Schuh mir sehr schnell die Laune verdirbt." Arwen kehrt zur Bank zurück und sieht zu, wie der Schuhmacher ein kleines Lineal mit geheimnisvollen Markierungen hervorholt, an ihren Füßen maß nimmt und nickt. Schließlich ist er zufrieden, zieht Arwen die Schuhe wieder aus, um die ledernen Halbschuhe in einen weichen Stoffbeutel zu verstauen. Mit dem Versprechen, die Schuhe noch am Abend nach Mita'Rôin bringen zu lassen, verlässt er schließlich die Schneiderei. Und Arwen folgt seinem Beispiel nur wenig später, nachdem Taneel ihr versichert hat, dass er die Kleider alle am Abend bringen würde.


Zwei Tage später, am Morgen des Tages, da die Hohen Häuser ihre Eide gegenüber dem Haus Relavendis erneuern, ist Arwen schon vor Sonnenaufgang wach und auf den Beinen. Auch an diesem Tag lässt sie es sich nicht nehmen, den Tempel ihrer Göttin zum Frühgebet aufzusuchen. Die letzten Stunden der Ruhe und Besinnung vor der großen Eiderneuerung. Und Rialinn, die diesen Tagesablauf seit ihrer Geburt gewohnt ist, begleitet sie fröhlich plappernd. Auch ihre Tochter ist von dem ganzen Trubel der Vorbereitungen schon längst angesteckt und gebärdet sich die meiste Zeit wie ein Gummiball, der hierhin und dorthin hüpft, um nur ja nichts zu verpassen und jeden mit tausend und einer Frage zu löchern. Nun ja, nicht jeden, nur jeden den sie kennt, denn in den letzten Tagen sind so viele Besucher auf Mita'Rôin eingetroffen, dass das Kind kaum je den Schatten seiner Mutter verlässt. So auch am Tag zuvor, als die Oberhäupter der Häuser Valayar, Dardoveth, Tyrian, Nautaris und Nevisanar mit ihren Erben und engsten Familienangehörigen aus Mita'Rôin erschienen waren um ihre Eide gegenüber dem Haus Mitarlyr zu erneuern. Schon kurz nach dem Morgenmahl waren die Ersten eingetroffen, und es hatte nicht lange gedauert, bis sich auch die anderen Familien eingefunden hatten. In Anbetracht des Wetters (und zu Arwens großer Erleichterung) hatte ihr Vater die zeremonielle Eiderneuerung aus der großen Halle hinaus in den Garten verlegt. Ihr Bruder war als erster vorgetreten, wie es sein Recht als Erbe des Hauses Mitarlyr ist, und hatte das Gelöbnis erneuert, das er zuerst an jenem Tag geleistet hatte, da sein Vater ihn offiziell zu seinem Erben erklärt hatte. Die förmlichen, zeremoniellen Worte ihres Vaters klingen wie ein Echo in Arwens Gedanken nach, als sie sich für die heutige Eiderneuerung in der Halle der tausend Säulen ankleidet.
"Gildin Lyreldor aus dem Haus Mitarlyr von Lomirion, willst Du mir und dem Haus Mitarlyr deine Treue schwören und geloben ihm mit all Deiner Kraft, Deinem Wissen und Deinem Leben zu dienen? Willst Du die Ehre des Hauses in jeder gerechten Sache verteidigen und alles Unheil von ihm und allen die seinem Schutz und seiner Obhut anvertraut sind anwenden? Willst Du schwören, den Göttern und dem Hohen König gegenüber Deine Pflicht als Erbe des Hauses Mitarlyr zu erfüllen?" Und ihr Bruder hatte seinen Schwur nicht weniger förmlich erneuert. Nur wenige, sehr enge Vertraute, hätten an dem leisen Vibrieren seiner Stimme bemerkt, dass diese Eiderneuerung für Gildin mehr als bloß ein leeres Zeremoniell ist. "Ich schwöre es. Die Zwölf Götter und ihren Archonen mögen meine Zeugen sein. Arien, Yuna, Tauris - aêyol ie Lyres Auris." Ehre, Treue, Pflicht – ewig wie der Sterne Licht. Der Wahlspruch des Hauses Mitarlyr. Sie selber hatte keinen so umfangreichen Schwur geleistet wie ihr Bruder, als sie anschließend mit Rialinn vorgetreten war, sie hatte ihre Hände in die ihres Vaters gelegt und die Worte ihres Hauses gesprochen. Der Rest des Vormittags war damit vergangen, dass die Oberhäupter der Vasallenhäuser ihre Eide erneuert hatten. Fast alle von ihnen waren mit den Söhnen und Töchtern erschienen, die einst ihre Erben sein würden, die meisten sogar mit ihren ganzen Familien. Und nach den eidgebundenen Häusern waren all jene vorgetreten, die besondere Funktionen im Haus der Sternenadler wahrnehmen, ungeachtet dessen, ob sie einem der eidgebundenen Häuser oder, wie der Hauptmann der Adlergarde, keinem der Häuser angehören. Sie alle hatten ihre Dienst- und Treueide erneuert. Tianrivo war es, dem die Eide geschworen wurden. Doch ihr Vater hatte darauf bestanden, dass nicht nur Gildin als sein Erbe zu seiner Rechten stehen sollte, sondern Arwen hatte mit Rialinn zu seiner Linken ihren Platz gehabt. Ein unmissverständliches Zeichen, dass alle Eide sich ohne Einschränkung auch auf seine Tochter und deren Kind erstrecken. Irgendwann war dann endlich der letzte Eid geleistet, der letzte Schwur gesprochen worden, und die steife Förmlichkeit des Zeremoniells hatte sich von einem Moment auf den anderen in nichts aufgelöst. Der Rest des Tages war dann festlich-fröhlich vergangen, Aiweron hatte bewiesen, dass seine Küche zu recht einen ausgezeichneten Ruf genießt und erst mit der Dämmerung hatten sich die Gäste aufgemacht, den 'Adlerhorst' zu verlassen, hatten sich überall im Garten die größeren und kleineren Gruppen aufgelöst, in denen geredet, diskutiert, gesungen, gelacht und getanzt worden war.

Auch der heutige Tag würde wieder Zeremonien und Gelöbnissen bringen. Rialinn sitzt schon fertig angezogen auf dem Bett ihrer Mutter und schaut Arwen aufmerksam beim Ankleiden zu. Nach dem gestrigen Tag ist ihre Tochter auffallend ruhig, so ganz anders als die Tage zuvor, und Arwen wünscht, sie könnte Rialinn hier auf Mita'Rôin lassen, vielleicht sogar bei ihr bleiben, und sich das Zeremoniell der Eiderneuerung ersparen. Doch sie selber kann der Zeremonie nicht fernbleiben, und sie würde ihre Tochter selbst unter der Aufsicht der Adlergarde nicht alleine hier lassen. "Natie auch Sommerfest?" Die leise Frage ihrer Tochter reißt Arwen aus ihren wandernden Gedanken. "Ja. Natie und Cassandra werden auch das Sommerfest feiern. Aber sie feiern nicht hier, sie feiern zuhause, in Talyra." "Talyra." Ihre Tochter strahlt sie an, als habe jemand eine Sonne in dem kleinen Gesicht entzündet. "Nach hause? Wann?" Mit einer Hand die feine Kordel entwirrend, schließt Arwen die Schnürung ihres Kleides. "Ja, min Nar, nicht mehr lange, dann gehen wir zurück nach hause." Die Erleichterung, dass sie alles getan hat, was in ihrer Macht steht, um für die Sicherheit ihrer Tochter zu sorgen, kann Arwen kaum in Worte fassen. Ihr Vater war zuerst nicht begeistert gewesen, dass sie ohne ihn zu fragen Niniane mit in die Angelegenheit gezogen hatte. Aber nachdem sie ihm und ihrem Bruder ihr Vorhaben erklärt hatte, waren sie wider Erwarten sofort einverstanden. Innerlich hatte Arwen sich schon auf lange und kontroverse Gespräche mit ihrem Vater eingestellt gehabt. Loquarn, der Scriptor ihres Vaters ist seit jenem Tag zusammen mit einem Rechtsgelehrten dabei, die entsprechenden Schriftstücke für Arwens Testament so aufzusetzen, dass sie Arwens Wünschen entsprechen und gleichzeitig von niemandem angefochten werden können. Während Rialinn ihrem Bären eingehend erklärt, was sie zuhause dann alles machen würden, verknotet Arwen die Rückenschnürung ihres Kleides. Es ist ein schlichtes, silbergraues Kleid, zu dem sie jetzt noch den Zeremonialmantel anlegt. Ein Mantel aus silbergrauem Sammit, den auf dem Rücken ein Adler ziert, dessen gespreizte Schwingen von Schulter zu Schulter reichen und der so kunstvoll gestickt ist, dass das Schimmern der Seidenfäden ihn fast lebendig wirken lässt, wie er über einem achtstrahligen aus Yalarisgarn gestickten Stern schwebt. Dunkelgrüne Seidenstickereien zieren mit feinen Ornamenten die Säume des Mantels, der von zwei Wolfsköpfen geschlossen wird, zwischen die eine Kette aus Silber gehakt wird. "Na, dann komm mal her, mein kleiner Fratz. Dein Onkel und dein Großvater werden schon auf uns warten."

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Sessair Mondjäger am 06. Dez. 2006, 10:28 Uhr
Der Valonva Shaer


Das Herz Lomirions ist der Valonva Shaer, der Palast der Sonne, Sitz des Hohen Königs der Elben und des Hohen Hauses Relavendis. Die äußeren Mauern des weitläufigen Palastbezirkes erheben sich im Zentrum der Stadt zwölf Schritt hoch aus dem dunkelgrünen Smaragdgras. Sie sind glatt und fugenlos aus matt schimmerndem, goldweißen Stein erbaut, versehen mit schlanken Türmen, mächtigen Toren, Wehrgängen aus Eisenholz und stets gut bemannt mit Wachen in den Farben des Hauses Relavendis. Die Tore, ebenfalls aus Eisenholz und drei an der Zahl, gehen nach Osten, Süden und Westen, und sind mit je einer mannshohen, vielstrahligen Sonnenscheibe aus gehämmertem Yalaris mit Intarsien aus Gold und Feueropalen besetzt. Hinter den Mauern des Valonva Shaer liegt der Herzhain oder schlicht der Hain genannt, ein uralter Wald im Inneren Lomirions, welcher die Palastgebäude umgibt. Hier bedecken eine Jahrtausende alte Humusschicht, duftende Polster weichen Mooses und zarte, hohe Waldgräser den festen Boden um die knorrigen Wurzeln der mächtigen, alterslosen Bäume. Schmale Pfade aus glatten, hellen Natursteinen schlängeln sich zwischen den borkeumkleideten Riesen hindurch wie überwölbte, feingesponnene Gänge und die ausladenden Baumkronen bilden mit ihren ineinander verwobenen Ästen einen dichten grünen Baldachin. Hier und dort öffnen sich kleine Lichtungen, auf welchen Nachtschatten, Feenkelche und wilde Orchideen blühen, milchweißer Lotos auf stillen Waldteichen dahin treibt, oder aber schlanke, mit geschnitzten Erkern und geschwungenen Dächern versehene Palastgebäude, weitläufige Stallungen, Weiden und Gärten, geschnitzte Pavillons und verborgene, efeuüberwucherte Lauben aus hellem Stein und silbrigem Holz stehen – so geschickt und kunstfertig in ihre Umgebung eingefügt, dass sie beinahe wie unmittelbar aus dem Wald gewachsen erscheinen.  

Mitten durch den Palastbezirk - wie auch quer durch ganz Lomirion -, fließt die Silberwasser, ein kleiner, klarer rascher Fluss, der im Valonva Shaer von mehr als einem Dutzend zierlich wirkender Holzbrücken überspannt wird. Das Kernstück des Palastes bildet der Rhiad Shaer, eine langgestreckte Lichtung kurzen Grases, ein weites Feld zwischen den Bäumen, welches unmittelbar hinter dem Lanosthil, dem südlichen Eingang zum Palastbezirk, beginnt. Dieser Platz ist von mannshohen, goldweißen Mauern umgeben, die jedoch immer wieder durchbrochen und mit feingemeißelten Reliefs geschmückt sind, welche in anmutigen Bildern Geschichten aus der langen Vergangenheit des Elbenvolkes erzählen. Inmitten dieser ummauerten Lichtung erheben sich von Süden nach Norden der Reihe nach der Synon Valonva, der südliche Palast, welcher den Sitz des Truchsessen, Empfangshallen und die alltägliche Verwaltung beherbergt, dann die Asarida ty Lanos, die Halle des Königs, in welcher Recht gesprochen und Audienzen gewährt, Ratssitzungen abgehalten, Gesetze erlassen, Abgesandte anderer Völker untergebracht und die alltäglichen Staatsgeschäfte geführt werden. Nördlich der Königshalle, am Ende der Lichtung, liegt der Alte Palast, das älteste Gebäude des Valonva Shaer, in welchem früher die Königsfamilie lebte und in dem nun die Mitglieder der Sonnengarde und des königlichen Rates ihre Quartiere und Gemächer haben.  

Während östlich und westlich des Rhiad Shaer mit seinen drei Palästen Gebäude wie die königlichen Stallungen, Waffenplätze, das Haus der Schwerter, der Thaylonschrein, die Halle der Bücher, Archive Bäder und verborgene Gärten liegen, findet sich nördlich davon die Yenon Valonvaes, die privaten Heime und Gärten der königlichen Familie - und das eigentliche Herz des Valonva Shaer, die  Asarid'Ashara Veaes, die Halle der tausend Säulen. Umgeben von einem dichten Mantel aus Jasmin, Kamelien und Roseneibisch, deren Blüten wie ein Vorhang schimmernder, fallender Sterne die Mauern darunter verbergen, erhebt sich hier eine große, zum Himmel hin offene Halle. Smaragdgras bedeckt den Boden, dicht und weich wie Moos, und aus ihm erhebt sich ein Wald steinerner Bäume, so kunstfertig von seinen Baumeistern aus graugrünem Marmor und Jade gemeißelt, dass keiner dem anderen genau gleicht und sie fast lebendig wirken. Sie sind dicht mit dunklem Efeu und altem Grünregen bewachsen, der sich in armdicken Strängen an ihren säulenartigen Stämmen empor, und durch ihre ziselierten Kronen von Ast zu Ast windet. Die Kronen der steinernen Bäume sind mit fein verzweigten Ästen und durchscheinenden Blättern aus Jade, Smaragd, Turmalin und Moosachat versehen, und wölben, durchzogen von Efeuranken und Grünregen, einen dichten, immergrünen Baldachin über der Halle der Tausend Säulen, der sanft die Sonne filtert und alles Licht darunter in mildes, grüngoldenes Leuchten verwandelt. An den Stämmen der Bäume sind die Namen und Stammbäume, die Wappen und Wahlsprüche der Hohen Häuser der Elben und ihrer Vasallen aufgeführt, Hunderte von Namen, die der Lebenden wie der Toten – nur die Namen von Hochverrätern sind getilgt, die Bäume ihrer einstigen Tafeln überwuchert und leer. In der Mitte dieser Halle treten die steinernen Bäume zurück und öffnen sich zu einer rechteckigen Lichtung. Am Nordende der Lichtung steigt der Boden leicht an und bildet ein natürliches Podest, und auf ihm erhebt sich eine hohe, zwölfstrahlige Sonne aus silbergefassten, durchscheinenden Bernsteinscheiben aus dem Smaragdgras. Vor dieser Sonnenscheibe stehen zwei Hochsitze, der Thron des Hohen Königs aller Elben und seiner Königin, gefertigt aus goldweißem Marmor von den Hochelben selbst, aus Korallen der  Fa'Liar und aus Perlmutt der Windelben, aus Feenholz der Laikeda'ya und dem Mondstahl der Silberelben... ja selbst aus Blutbronze der Shebaruc. Hinter den Thronen auf ihrem Podest und hinter der bernsteinernen Sonne setzt sich der steinerne Wald fort bis ans Nordende der Halle der Tausend Säulen. Dort, verborgen in einem stillen Winkel, steht ein echter Baum von gewaltigen Ausmaßen. Es ist einer der Aêlinorsarnaes, ein Lebensbaum der Smaragdelben. In seinem gewaltigen Stamm sitzt tief in der Borke eine Tür mit einem schlichten, silbernen Knauf und blattförmige Fenster ziehen sich hinauf bis unter die ausladende Krone. Hier ist das Heim Nir’ialyra Sonnenfeuers, des einzigen noch lebenden Kindes Goldauge Thaylons, der Mutter der Erinnerung und einer der ältesten lebenden Elbinnen dieser Tage.


Der Tag der Eiderneuerung



Am Morgen des Eiderneuerungstages steigt die Sonne über Lomirion wie ein glühender Ball aus einem Meer weißen Dunstes auf, taucht die Welt in Licht und Farben und verwandelt den Nebel in mildes, goldenes Leuchten. Die ganze Welt scheint weich und gedämpft, doch über der Stadt, deren Banner sacht im aufkommenden Morgenwind flattern, liegt schon jetzt ein Summen wie von einem gewaltigen, emsigen Bienenstock. Sessair Mondjäger, Hoher König der Shida'ya und aller Elben, fast acht Fuß groß und von wesentlich kräftigerer, schwererer  Statur als die übrigen Männer seines Volkes, blond wie der Sommer und goldäugig wie sein Vorfahr, der Schwertarchon, ist schon lange vor der Sonne aufgestanden – samt seiner Hohen Gemahlin und seiner jüngsten Tochter Senai'su, die mitten in der Nacht mit einer Armada Stoffkätzchen und Puppen in ihre Bett geschlichen war und sich zwischen ihnen breit gemacht hatte. Zwei Stunden vor Sonnenaufgang hatte nämlich die gewissenhafte Dienerschaft an die Türen der westlichen Paläste, des Heims der königlichen Familie im nördlichen Teil des Valonva Shaer, geklopft, die Stille des innersten Bezirkes der Stadt mitleidlos beendet und sie alle aus dem Schlaf gerissen. Aryasaíris Himmelherz, Sessairs Gemahlin, war es gewohnt, an solchen Tagen gemeinsam mit ihm mitten in der Nacht aufzustehen – ihre zweijährige Tochter war es nicht. Nichtsdestotrotz war sie natürlich von dem Klopfen geweckt worden, und da sie die einzige der Familie ist, die morgens fröhlich aufwacht, war sie auch prompt im Bett gesessen, silberblond und zerzaust wie eine Pusteblume, und hatte glucksend verkündet, es "topfe" an der Tür.

Shu'ra Orenralae, die oberste Kammerherrin, auf der anderen Seite ihrer Schlafgemachtür hätten sie beide eine Weile ignorieren können, ihre Tochter bei ihnen im Bett, die ihnen krähend die kleinen Füße in die Rippen gehämmert hatte, nicht.  Sie hatten sich also auf die Beine gequält, erfolglos versucht, Senai'su zu wenigstens noch einer Stunde Schlaf zu überreden und sich dann seufzend in ihr Schicksal ergeben. "Ich sollte abdanken," hatte Sessair mit einem Blick aus dem Fenster in einen nächtlichen Sternenhimmel missmutig verkündet. "Dann könnte ich ausschlafen..." Seine Frau hatte allerdings nur ein müdes "Haha" für dieses Ansinnen übrig gehabt, ihm seine Tochter in die Arme gedrückt und ihn samt der Kleinen in die Badehäuser geschickt, sie würde sich um Shu'ra Orenralae, das Morgenmahl und das Aufwecken ihres Sohnes Seranor kümmern. Als nun die Morgensonne hochsteigt, den Nebel langsam auflöst und die Stadt mit ihrem Leuchten erhellt, öffnen sich die drei Tore des Palastbezirkes im Herzen Lomirions, um die Edlen der Hohen Häuser, ihre Erben und Vasallen einzulassen. Die größeren Wege durch den uralten Hain, welcher das weitläufige Gelände des Valonva Shaer bedeckt und die vielen Plätze, Haupt- und Nebengebäude des Palastes mit seinem grünen, lebendigen Mantel umgibt, sind von Rittern des Hauses Relavendis gesäumt, ebenso wie die Zugänge zur Halle der Tausend Säulen, dem eigentlichen Herzstück des Palastes. Das Summen und Murmeln unzähliger Stimmen, welches schon seit Tagen über der ganzen Stadt liegt, breitet sich nun auch hier in der grünen Dämmerstille unter den Bäumen aus, als die ersten Angehörigen der Hohen Häuser den Valonva Shaer betreten und zur Asarid'Ashara Veaes vor den Thron ihres Königs ziehen.

Die königliche Familie ist - bis auf Nir’ialyra Sonnenfeuer - bereits in der Halle der Tausend Säulen versammelt, ebenso wie die vollkommen in schneeweiße Rüstungen und Surcots gekleidete Sonnengarde, jene zwölf besten Ritter der Shida'ya, die geschworenen Schwerter Sessair Mondjägers und seiner Familie, und einige Mitglieder des königlichen Rates, wenn auch noch längst nicht alle – doch die Zeremonie würde auch frühestens in einer Stunde beginnen. Im Augenblick herrscht noch gelöste, wenn auch erwartungsvolle Stimmung und man steht in zwanglosen, kleinen Gruppen beisammen. Sessair selbst trägt ebenso wie sein Sohn Seranor, ein kräftiger, hochgewachsener Junge von sechs Jahren, der jedoch nach seinem Vater schlägt und sämtliche gleichaltrigen Elbenkinder um mindestens zwei Köpfe überragt, über einer schlichten, weißen Tunika die Farben seines Hauses, einen goldgelben Wappenrock, welcher an den Säumen mit orangeroten Stickereien verziert ist und auf der Brust die flammende, orangerote Sonne der Relavendis zeigt. Aryasaìris, Hohe Königin der Elben, schlank und groß, blass, zerbrechlich und silbern wie eine Mondlilie, hat Goldfäden und Bernstein in ihr langes, silberblondes Haar geflochten und trägt ein Schleiergewand in Gold und Rot, dessen Mieder mit winzigen Flussperlen bestickt und an Ausschnitt und Säumen mit Bernsteinen besetzt ist.... selbst Senai'sus kleiner Windelhintern steckt in einem rotgoldenen Sommerkleidchen aus leichtem Leinen und ihre widerspenstigen silbergoldenen Locken sind zu einem eingeflochtenen Zopf gebändigt.

Ansonsten hopst die Prinzessin der Shida'ya sorglos und barfuss im weichen Smaragdgras herum und bleibt mitnichten auf der Spieldecke, die ihr eine der Zofen neben dem Thron ihrer Hohen Mutter ausgelegt hat. Langsam und gemessen füllt sich die Halle der Tausend Säulen, deren steinerne Bäume im Morgenlicht schimmern, während sich das Sonnenlicht glitzernd in den Blättern aus Smaragden und Moosachaten fängt, die zwischen dem raschelnden Baldachin aus Grünregen und rankendem Efeu leuchten. Sessair, der eben noch mit Rittern seiner Königsgarde gesprochen hat, die wie stets als erste von allen gemeinsam das Knie beugen und den Eid erneuern würden, geführt von ihrem Hauptmann Tinranurn aus dem Haus Rhoyn'aris, tritt zu seiner Hohen Gemahlin und seinem Sohn. "Allmählich wird es Zeit, unsere Plätze einzunehmen, min Nar. Die ersten Hohen Häuser sind schon hier, die anderen werden bald folgen. Seranor, geh deine Schwester einfangen. Sie spielt mit Alondars Kindern zwischen den hinteren Bäumen verstecken, aber sie schläft ein, bevor die Hälfte des Zeremoniells vorbei ist, fürchte ich." Aryasaíris, in diesen Dingen praktischer veranlagt, schüttelt sacht den Kopf. "Lass sie ruhig, Sessair. Die Kinder haben letztes Jahr alle im hinteren Teil des Haines gespielt und niemanden gestört. Ich schicke ein paar von den jüngeren Zofen, um auf sie aufzupassen, es werden sicher noch mehr, wenn alle versammelt sind. Am besten, ich sende einige Mädchen und ältere Kinder an die Eingänge, um alle, die noch kommen gleich dort abzuholen, wenn ihre Mütter es erlauben."

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Mitarlyr am 11. Dez. 2006, 21:26 Uhr
Der Morgen ist noch jung und die Strahlen der Sonne reichen erste seit wenigen Stunden über den Rand des Horizonts, doch die wehenden Schleier der Morgennebel vergehen unter ihren Berührungen und geben den Blick auf einen Himmel frei, der sich hoch und blau über ihnen wölbt. Es verspricht ein strahlender Sommertag zu werden. Ein Tag, den Tianrivo lieber damit verbringen würde, seine Tochter von ihren Tempelpflichten loszueisen und mit ihr samt seiner Enkelin zu einem der kleinen Teiche zu reiten, die sich in den lichten Hainen westlich Lomirions befinden. Ein Tag, den er lieber damit verbringen würde, mit seiner Tochter zu reden, in aller Ruhe, ohne dass Pflichten oder Besucher sie stören, oder mit ihr zu schweigen, nicht weil einem die Worte fehlen, sondern weil man einander so nah ist, dass das Schweigen nicht unangenehm ist. Ein Tag, an dem er alle Zeit Rohas hätte, um mit seiner Enkelin zu spielen und ihr beim Spielen zuzusehen. Der Hain, der ihm vorschwebt, umgibt eine Lichtung mit einem kleinen Teich, dessen Grund so sanft abfällt, dass Rialinn dort gefahrlos am Ufersaum im Wasser plantschen könnte. Mit einem Schmunzeln über sich selber reißt Tianrivo sich von diesen Gedanken los und sieht zu seinem Sohn hinüber, der zusammen mit ihm in der Halle Mita'Rôins auf Arwen wartet. Derartige Überlegungen seine Pflichten zu vernachlässigen sind absolut untypisch für ihn. Götter, was ist das? Kündigt es sich so an, dass man das Alter erreicht hat, in dem man seine Aufgaben an seinen Erben übergeben sollte? Nicht, dass er Sorgen hätte, Gildin könnte dem Erbe und den Aufgaben, die auf ihn warten nicht gewachsen sein. Im Gegenteil, er ist vollkommen davon überzeugt, dass sein Sohn sowohl im Dienst des Hauses Relavendis als auch als Oberhaupt des Hauses Mitarlyr ein würdiger und vor allem fähiger Nachfolger sein wird. Aber er würde den Zeitpunkt der Nachfolge gerne noch weiter in die Zukunft schieben. Gildin hat schon viele Aufgaben von ihm übernommen, vor allem was Elar Daemar angeht, wo sein Sohn ihn schon seit vielen Jahren in allen Aufgaben als Oberhaupt der Mitarlyrs vertritt. Nein, das hat noch Zeit. Gildin hat mehr als genug Aufgaben und das wenige an Freiraum will ich ihm erhalten, so lange es geht. Er- "Ayaethanon Ayares." Er steht neben Gildin, in der Mitte der Eingangshalle des Adlerhorstes, als er seine Tochter sieht. Arwen kommt die Treppe aus dem Obergeschoss herab, ihre kleine Tochter - seine Enkeltochter - auf dem Arm, die langen Haare offen bis auf einen geflochtenen Kranz der ihr Gesicht umgibt. Für einen Augenblick raubt ihr Anblick ihm den Atem und die Worte. Er steht dort wie angewurzelt und kann seine Tochter nur ansehen. Seine Beine haben ihren Dienst aufgegeben ebenso wie seine Stimme. Schon einmal hatte er sich so gefühlt, und das ist viele tausend Jahresläufe her. "Amithra..." Es ist kaum mehr als das Flüstern des Windes, als er spricht. "Arwen... Götter, warum tut ihr uns das an?... Sie ist... sie ist das Ebenbild ihrer Mutter, mit jedem Tag den die Götter werden lassen gleicht sie ihr mehr..." Die Gedanken werden nur mühsam zu Worten und er bringt sie kaum über die Lippen. Nur langsam atmet er die Luft wieder aus, die er angehalten hat ohne es zu merken. Er kann sein Herz spüren, das hart und schmerzhaft in seiner Brust schlägt.

Mit einem sichtlichen Ruck gelingt es Tianrivo, sich aus seiner Erstarrung und fort von den lähmenden Gedanken zu reißen. "Arwen!" Mit einem strahlenden Lächeln geht er ihr entgegen und erwartet sie am Fuß der Treppe. "Du siehst wundervoll aus." In diesem Jahr wird nicht nur der Erbe des Hauses Mitarlyr neben mir stehen, wenn ich meinen Eid erneuere, in diesem Jahr wird mit Dir auch wieder die Erbin aus dem Haus der Sternenadler mit mir vor den Hohen König treten. Stolz und Zuneigung liegen offen in diesen Gedanken, die seiner Tochter eben so gelten wie seinem Sohn, der jetzt direkt neben ihm steht. "Wundervoll? Du untertreibst, Vater. Und das weißt Du auch. Zum Glück ist sie meine Schwester. Das gibt mir das Vorrecht, der Erste zu sein, der darum fragt, auf dem Turnier für ihre Farben reiten zu dürfen." Der verständnislose Blick Arwens lässt Gildin erst zögern und dann mit einem trockenen Lachen von seinem Vater zu seiner Schwester schauen. "Er hat es Dir nicht erzähl, oder?" Er kann sich nicht entscheiden, ob er lachen oder den Kopf schütteln soll - und tut beides. "Gestern, nachdem die Eide erneuert worden waren, während der Feier… Wie viele unserer Ritter waren es, Vater, die bei Dir um die Erlaubnis nachgesucht haben, für Arwens Farben reiten zu dürfen? Es muss fast die Hälfte gewesen sein. Nun schau nicht so entsetzt, Syllanar. Du hast noch den ganzen Tag Zeit, Dir zu überlegen, wem Du für den Turniertag deine Gunst gewähren willst." So und ähnlich zieht er seine Schwester noch eine Weile mit sanftem Spott auf, bis sich deren Stirn wieder glättet und sich doch tatsächlich ein offenes Lächeln in ihr Gesicht verirrt und nicht gleich wieder verschwindet. Rialinn ist deutlich ruhiger als die letzten Tage, doch das merkwürdige Gerede der Erwachsenen wird ihr sichtlich langweilig, sie dreht sich hierhin und dorthin, zupft an dem Band, das Arwen ihr in den Zopf geflochten hat und lehnt sich dann zu ihrem Großvater hinüber, um den am Mantel zu ziehen um dessen Aufmerksamkeit zu erlangen. Was ihr auch prompt gelingt, da sie so Tianrivo eine willkommene Ausrede liefert, damit er Arwen nicht erklären muss, warum er ihr nicht vom Ansinnen einiger seiner Ritter erzählt hat.

Nur wenig später erscheinen auch Therlas und Andovar bei ihnen in der Halle, Rialinn hat sich ausgiebig in dem neuen Kleid bewundern lassen, das sie zu ihrem Namenstag bekommen hat, und sie können sich auf den Weg zum Herzhain und der Halle der Tausend Säulen machen. Vor dem Haus warten Knappen mit den Pferden. Auch Shur wartet dort, nachdem Arwen sich vehement geweigert hatte, eine Sänfte zu nehmen, die sie und Rialinn zum Palast bringt. Sie würde Rialinn zu sich auf das Pferd nehmen, das hat sie Tianrivo und Gildin am Vortag mehr als deutlich gemacht, und so haben sie sich schließlich beide geschlagen gegeben. Während er seine Schwester auf Pferd hebt, muss sein Vater Rialinn erklären, warum das Pferd ihrer Mutter keinen Sattel trägt, sondern nur eine Schabracke, damit das schöne Kleid nicht zerdrückt wird. Die Adlergarde ist bereits aufgesessen und nachdem Rialinn sicher vor Arwen sitzt und auch die Männer aufgesessen sind, setzt sich die kleine Gruppe in Bewegung. Die Angehörigen der Vasallenhäuser würden sie erst im Valonva Shaer treffen.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Arwen am 14. Dez. 2006, 22:14 Uhr
Auf dem Weg zum Valonva Shaer ist Arwen höchst schweigsam. Das, was ihr Bruder ihr wegen des Turniers erzählt hat, hat ihr schlicht die Sprache verschlagen. Das ist einfach jenseits aller Vorstellungen, die sie sich je über den Verlauf des Sommerfestes gemacht hat. Eine leise Stimme wiederholt allerdings penetrant die Worte Taneels, als er ihr das Kleid für das Sommerfest gezeigt hatte >Ich möchte, dass Ihr so schön gekleidet seid, Shu'ra, dass sich die Ritter eures Vaters darum streiten werden, wer im Turnier für eure Farben reiten darf.< Wie es scheint, hat sich sein Wunsch erfüllt. Rialinn vor ihr findet es unglaublich spannend, ohne Sattel mit ihrer Mutter reiten zu dürfen, und ist entschieden der Meinung, dass der Weg bis zum Palastbezirk viel zu kurz ist. Am Westtor des Sonnenpalastes warten Knappen und Pagen und nehmen die Pferde in Empfang. Zu Fuß geht es weiter, und um Rialinns Zurückhaltung ist es geschehen. So unruhig wie Springkraut hüpft sie hierhin und dorthin, will sich jede Blume am Wegesrand und jeden der eingewachsenen Pavillons ansehen, die ihr vor die Augen kommen. Und erst die Ritter, die den hellen Pfad inmitten des dichten Smaragdgrases säumen, die scheinen das Kind ganz besonders zu faszinieren - nachdem ihre Tochter ihr wieder ausgebüchst ist, fängt Arwen sie gerade noch ein, ehe sie einen der Elben am Wappenrock ziehen oder sonst welchen Unfug treiben kann. Überall auf den größeren Wegen im Narlalaith sind die Angehörigen der Hohen Häuser und ihrer Vasallen, die sich zur Asarid'Ashara Veaes begeben. Das Wispern leiser elbischer Stimmen ist überall zu hören, und ein ums andere Mal unterbrechen sie ihren Weg, weil sie jemanden treffen, mit dem Grüße und höfliche Worte getauscht werden. Rialinn, die bei all den Fremden wieder die Sicherheit der mütterlichen Arme gesucht hat, beäugt jeden, der sich Arwen und ihrer Familie nähert höchst skeptisch. Mehr als einmal fürchtet Arwen, ihre Tochter würde das Weinen anfangen, doch bisher ist sie zwar scheu, fast schon ängstlich, aber sie weint nicht.

Auf halben Weg zwischen dem Westtor des Palastbezirkes und dem Zugang zur Halle der tausend Säulen treffen sie dann allerdings auf genau den Elben, den Arwen am liebsten im entferntesten Winkel Rohas wüsste: Khelenar Lyr'Aris. Begleitet von einer handvoll Männern in der gleichen dunklen Kleidung scheint er vom südlichen Tor her zu kommen, und aus einem unerfindlichen Grund nicht den südlichen Eingang zur Halle gewählt zu haben, sondern sie zu umrunden um den westlichen Eingang zu nehmen. Obwohl, eigentlich glaubt Arwen den Grund nur zu gut zu kennen, und es fällt ihr nicht leicht, äußerlich völlig unbeteiligt zu wirken. Khelenar! Sie fauchte den Namen in Gedanken geradezu. Ich hätte es mir denken können… An einem Tag wie diesem... Kann ich diesem Mistkerl nicht einfach sage, er soll sich in die tiefste aller Neun Höllen scheren? Tianrivo und Gildin sind neben ihr, kaum dass der erste Gedanke in Arwen Form angenommen. Gildins Hand legt sich sacht in ihren Rücken, die beruhigende Versicherung seiner Anwesenheit. Ebenso wie sein Vater trägt er den Zeremonialmantel der Sternenadler und über einer schlichten Tunika aus ungefärbtem Kattun einen Wappenrock in den Farben des Hauses Mitarlyr, silbergrau, die Säume eingefasst mit Stickereien in derselben Farbe und auf der Brust Adler und Stern. Noch beruhigender als die Berührung durch ihren Bruder ist für Arwen allerdings der Gedanke, mit dem ihr Vater sie im Geist berührt.
Aber, aber min Lia! Es ist wirklich nicht nötig, dass Du ihn hier beschimpfst und Dich auf sein Niveau herab begibst.. Man sieht doch, dass keiner der anderen hier auf den Wegen ihm überhaupt Beachtung schenkt -  sofern sie ihn nicht misstrauisch beäugen. Keiner hier hat vergessen, dass es noch nicht lange her ist, dass er einen anderen Namen trug. Einen Namen, der alle Ehre verloren hat und der getilgt wurde. In den Gedanken Tianrivos klingt deutlich Zufriedenheit über das lange Gedächtnis der Elben mit. Das ist mir egal! Was glaubt er denn damit zu bezwecken oder zu erreichen? Ungebetene Erinnerungen werden mit jedem Schritt geweckt, den Khelenar ihnen näher kommt, und alleine deswegen wünscht Arwen ihn in die tiefste aller neun Höllen. Sagen wir einmal, er unterhält gewisse Ziele, von denen er nicht weiß, dass wir davon wissen, und die er nicht erreichen wird, einverstanden? Ich weiß, dass Dir die Situation genau so wenig gefällt wie mir, Arwen, aber das muss sie auch nicht. Du musst sie nur für eine Weile noch ertragen. Eine zweite Hand legt sich auf Arwens Rücken, und für den Bruchteil eines Herzschlags zögert Arwen in ihrem Schritt. Solche Nähe zu ihrem Vater hat sie nicht erwartet, es ist ungewohnt, verwirrt sie für einen Moment, und füllt dann eine Lücke von der sie nicht gewusst hat, dass sie existiert. Natürlich, Eamo, wenn Du es wünschst. Ich werde mich bemühen, dich nicht in Verlegenheit zu bringen. Aber ich weiß nicht, ob ich ihm gegenüber höflich sein kann. Verzweiflung klingt leise in ihren Gedanken mit, sie will diesem Elben jetzt nicht begegnen. Trotz Eiderneuerung und Zeremoniell hat sie sich auf einen schönen Tag gefreut, und das Auftauchen von Hodors Onkel scheint angeraten zu sein, den ganzen Tag zu verderben. Du kannst mich gar nicht in Verlegenheit bringen, Arwen. Und ich erwarte auch nicht, dass Du höflich zu ihm bist. Es reicht, wenn Du Dich zivilisiert benimmst. Es sind nur noch wenige Schritte, bis sie Khelenar unweigerlich gegenüber stehen werden, und ganz unbewusst straffen sie sich alle drei in ihrer Haltung. Du meinst, ich darf die Nase rümpfen, als würde etwas schlecht riechen, so lange ich so tue, als wäre ich erfreut darüber. Probeweise lässt sie vor ihrem inneren Auge Bilder jener Dinge aufsteigen, mit denen sie ihre unerwünschte Begegnung vergleichen könnte und die unangenehm riechen. Genau. Diesmal liegt eindeutig ein Lachen in den Gedanken ihres Vaters, und sogar Gildin neben ihr, der dem stummen Wortwechsel gefolgt ist, scheint in Gedanken zu schmunzeln. Sie wüsste nicht zu sagen warum, aber genau das beruhigt sie mehr als alle Worte ihres Vaters zuvor. So lange ihre Familie der Situation, so unangenehm sie sein mag, noch mit Humor begegnen kann, so lange wird sie es auch können. Und sei es nur, um Khelenar nicht die Genugtuung zu lassen, dass er ihnen mit seinem Erscheinen Unbehagen bereiten kann. Sie stehen Schulter an Schulter da, Arwen, Gildin und ihr Vater, alle drei fast gleich groß, einander nicht berührend und doch innig vereint. Es fühlt sich vollkommen richtig an, und Arwen fühlt sich so beschützt, wie sie es sich ihr ganzes Leben lang gewünscht hat. Sie kann spüren, dass hinter ihnen die Männer der Adlergarde aufschließen, die sich bisher in einem Abstand von einigen Dutzend Schritt gehalten haben.

"Mina Ljar, Tennroes Mitarlyr. Tennra Arwen." Die Worte sind förmlich, und das Neigen des Kopfes kann man durchaus noch als höflich bezeichnen. Doch das Lächeln in Khelenars Gesicht erreicht dessen Augen nicht, und straft damit jene Freundlichkeit, die er in sein Gesicht zu zwingen scheint Lügen. "Ham lus mina Ljar, Khelenar. Was führt euch in den Westen des Narlalaith? Man sollte annehmen, dass ihr an einem Tag wie diesem euren Platz im Gefolge Tennro Ariens einnehmt und nicht schon vor der Eiderneuerung im Schatten der Bäume lustwandelt." Tianrivos Erwiderung des Grußes ist knapp und zwischen den höflich interessiert klingenden Worten liegt eine ganz andere Bedeutung: Ihr befindet euch im Herzhain des Valonva Shaer, überlegt euch gut, was ihr tut. Ihr solltet euren Platz nicht nur kennen sondern auch einnehmen und dafür Sorge tragen, dass niemand Grund hat daran zu zweifeln, dass ihr geschworene Eide ebenso einhalten werdet wie die Gesetze der Elben. "Bis zum Beginn der Zeremonie ist es noch genügend Zeit. Und da ich Tennro Blaufalke bereits meine Aufwartung gemacht habe, ist hier im Schatten der Bäume doch eine angenehmere Gelegenheit um euch und eure Familie zu begrüßen. Leider hatte ich noch keine Gelegenheit euch dazu zu gratulieren, Tennra, dass ihr den Fluch eurer Hohen Mutter brechen konntet. Und auch nicht zur Geburt eurer Tochter. Ich hoffe doch, dass sie nach ihrem Vater kommt und die schwere Krankheit zu Beginn des Jahres gut überstanden hat." Ist Arwen den Worten anfangs nur aufmerksam gefolgt ohne Khelenar selber eines Wortes zu würdigen, versetzen seine letzten Worte sie augenblicklich in größte Wachsamkeit. Wenn er von Rialinns Krankheit weiß, dann muss er jemanden in Talyra gehabt haben, der uns und Vinyamar beobachtet hat…
Irgendwie gelingt es Arwen, das Lächeln nicht zu verlieren, als sie Khelenar antwortet. "Mina Caris, Khelenar. Selbst mit dem Wissen aus dem Silberbuch, der Hilfe einer Freundin wie Shu'ra Niniane und dem Segen der Götter ist es alles andere als einfach einen Erzdämon der Altvorderen Zeit in jene Hölle zurück zu schicken, aus der er gekrochen ist." Aus einem unbewussten Reflex heraus und entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit verbirgt Arwen das Zeichen Anukis' auf ihrer Stirn nicht länger, sondern lässt jener Macht freien lauf, die dem grünen Wolfskopf Intensität und Kraft verleiht. Zusammen mit ihren Worten ist es eine klare Warnung an Khelenar: Sehrt euch vor, der Fluch ist gebrochen, ich bin längst nicht mehr so hilflos wie einst, und ich bin nicht allein, hier nicht und in Talyra auch nicht. Dann besinnt sie sich auf die Gedanken ihres Vaters zuvor, dreht das Ende von Rialinns Zopf zwischen ihren Fingern und betrachtet demonstrativ das glänzend schwarze Haar ihrer Tochter. "Ich fürchte, ich muss euch enttäuschen. Von ihrem Erzeuger scheint sie nichts bekommen zu haben-" Arwen hätte vielleicht noch mehr gesagt, doch Rialinn, die bisher alles um sich herum aufmerksam beobachtet hat, und für alles und jeden ein begeistertes Lachen gehabt hat, ist mit dem Auftauchen Khelenars auffallend ruhig geworden. Jetzt klammert sich ein Paar Arme fest um Arwens Hals und der kleine Mund zittert, als würde sie jeden Augenblick anfangen zu weinen. "Eama. Dunkler Mann mit rotem Vogel. Onaris, Eama." Angst, Mama... Das Flüstern ihrer Tochter lässt Arwen ihre Aufmerksamkeit ganz auf Rialinn richten. Gildin und ihr Vater haben ebenso gehört, auch wenn Rialinn sehr leise geredet hat. Selbst Khelenar scheint zumindest den Teil mit dem roten Vogel verstanden zu haben, denn er erbleicht sichtlich. Fest legt Arwen ihre Arme um ihre Tochter, birgt deren Gesicht an ihrem Hals und streicht ihr beruhigend über die Haare. Du brauchst keine Angst haben, min Lora, ich bin ja da. Keiner kann dir etwas tun. Und der dunkle Mann ist gleich wieder weg. Letzteres bewahrheitet sich schneller als Arwen gedacht hat. Die leisen Worte ihrer Tochter über dunkle Männer und rote Vögel veranlassen Khelenar fast sofort zu förmlichen Abschiedsworten, ehe er sich raschen Schrittes entfernt.

Das erleichterte Aufatmen aller ist fast greifbar, als sie ihren Weg zur Halle der tausend Säulen fortsetzen. Nur die Augen Tianrivos ruhen dunkel und unergründlich auf seiner Enkelin. Sie haben den steinernen Wald fast erreicht, als Arwens Vater das Schweigen bricht. "Was hatte das zu bedeuten, Arwen?" Einen Moment zögert sie mit der Antwort, nur zu gut erinnert sie sich noch an ihren eigenen Schrecken im Spätwinter. "Im Nannar, vor und nach Lichtweih, da sind auf Vinyamar fast alle schwer krank gewesen. So eine Erkältung hatte keiner von uns je zuvor. Und Rialinn hatte es mit am schlimmsten erwischt. Sie hatte so hohes Fieber, dass sie anfing wie im Fieberwahn zu reden. Zumindest dachte ich das, auch wenn es mir einen Höllenschrecken versetzt hat, als sie anfing von Männern mit roten Vögeln zu reden, die sie mir wegnehmen wollen. Und ich kann nicht behaupten, dass es mich beruhigt, dass sie sich an diese Dinge erinnert, und ausgerechnet Khelenar als einen davon zu erkennen glaubt." Arwens Stimme vibriert vor Sorge, und in ihren Augen liegt die unausgesprochene Frage, ob Rialinn womöglich die Gabe der Vorausschau besitzt, und ob die sich einst bei ihrem Vater auch schon in so jungen Jahren manifestiert hatte. "Ich weiß nicht, ob deine Tochter sie hat, min Linn, aber ich war deutlich älter, als sich diese Gabe bei mir das erste Mal gezeigt hat. Vielleicht war es bei Rialinn ein einmaliger Blick auf eine der Möglichkeiten, die in den Nebeln der Zukunft verborgen liegen. Oder sie hat ein Echo der Vergangenheit gesehen." Arwens fragender Blick wird von ihrem Vater mit einem leisen Lächeln beantwortet. "Nur weil wir uns die Zeit als geradlinigen Ablauf aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft einteilen, heißt das noch lange nicht, dass die Zeit selber das ebenso tut… Und jetzt Schluss mit diesen trüben Gedanken. Was sein wird, wird sein, wir können nichts daran ändern, wir können immer nur versuchen so gut es geht damit umzugehen, wenn es soweit ist. Und bis es soweit ist, danke ich den Göttern für die Kinder, mit denen sie mich gesegnet haben… und die einen alten Elben sehr stolz und glücklich machen."

Rialinn hat sich wieder beruhigt, genießt die Aussicht vom Arm ihrer Mutter aus. Aber als sie sich schließlich der Halle der Tausend Säulen nähern, wird sie ganz zappelig und will zurück auf den Boden. "Schnee! Schneesterne! Ganz viele!" quietsch es begeistert, und eine kleine ungeduldige Hand zieht an Arwen um schneller zu diesem Wall aus weißen Sternen zu kommen, der sich bei näherem Hinsehen als schneeige Blütenpracht aus Roseneibisch, Yasmin und Kamelien erweist. Der Blütenwall öffnet sich zu einem Durchgang über dem zwei schlanke Mondbuchen ihre Kronen zu einem lebendigen Portal verflochten haben und den Ritter in den Farben des Hauses Relavendis flankieren. Rialinn, eben noch wild darauf versessen, sich einen der weißen Blütensterne zu holen, bleibt vor dem Elben wie festgenagelt stehen und sieht ihn skeptisch an, so als sei sie sich nicht sicher, was passiert, wenn sie den Weg verlässt und eine der Blüten abzupft. Zusammen mit ihnen treffen immer mehr Elben ein und so entscheidet sie sich schließlich für den mütterlichen Ausguck, streckt ihre Arme aus und will zurück auf Arwens Arm. Doch bei der Entscheidungsfreudigkeit des Kindes ändert sich das schon gleich hinter dem Tor wieder. Junge Zofen und ältere Kinder erwarten die Ankömmlinge, von denen nicht wenige ihre Kinder bei sich haben, und bieten an, die kleinen Kinder während der Zeremonien im nördlichen Ende zu beaufsichtigen. Die Kinder könnten dort spielen nach Herzenslust spielen und wenn sie müde würden, auch schlafen. Gildin und Tianrivo wenden sich zögernd Arwen zu, so als wüssten sie nicht, ob sie Rialinn aus den Augen lassen wollen. Doch Arwen hat ihre Entscheidung schnell getroffen, als ihre Tochter sehnsüchtig den anderen Kindern hinterher schaut. "Wo soll sie je sicher sein, Vater, wenn nicht hier? Im Herzen des Narlalaith?" Ihre Worte sind so leise, dass nur ihr Vater und Gildin sie vernehmen können. Vorsichtig stellt sie ihre Tochter auf den Boden, und überlässt sie der Obhut einer jungen Zofe mit silbernen Haaren und grauen Augen.

Ein wenig seltsam ist Arwen dann aber doch zumute, als sie ihre Tochter aufgeregt plappernd zwischen den baumartigen Säulen verschwinden sieht, deren grüngoldenes Dämmern sie ebenso empfängt, je weiter sie in die Asarid'ashara Veaes hinein gehen. Gras bedeckt den Boden, so weich, das Arwen fast meint auf federndem Boden aus Waldmoos zu laufen. Familientafeln zieren die kunstvoll aus Stein geschnitzten Stämme, und die Wappen, die Arwen im Vorbeigehen sieht, sind ihr trotz den vielen Jahre ihres freiwilligen Exils noch immer vertraut. Im Vorbeigehen nimmt sie aus den Augenwinkeln einen Stamm wahr, bei dem nicht nur ein Name von der Tafel getilgt wurde, sondern von dem die gesamte Ahntafel entfernt wurde. Sie weiß, wessen Haus dort getilgt wurde, und sie wendet sich weder um, noch sieht sie genauer hin. Am Rand der Lichtung, die sich im Herzen des steinernen Waldes öffnet, steht auch der Baum, der die Tafel des Hauses Mitarlyr trägt. Vor diesem Baum bleibt Arwen stehen und fährt mit den Fingern die Schriftzeichen und Gravuren nach. Der fein geschnitzte Adler aus poliertem braunem Stein über dem silbernen Stern. Ehre, Treue, Pflicht – Ewig wie der Sterne Licht. Der Wahlspruch ihres Hauses. Lisdaran Schwarzfeder und Miryaid aus dem Haus Derdoveth, die Namen ihrer Großeltern, an die sie keine Erinnerungen hat, obwohl sie noch gelebt haben, als sie geboren wurde. Der Name ihrer Mutter, um den herum die Tafel ganz blank gescheuert ist, so als ob jemand sehr oft über den Namen gestrichen hat. Rialinn Siranfaêr. Mit einem Lächeln fährt Arwen über den Namen ihrer Tochter, dessen Gravur noch neu und hell ist. Eine neue Generation, das Versprechen einer Zukunft… Sie kann ihn nicht sehen, aber sie weiß, dass einige Dutzend Schritt weiter ein Baum die Tafel mit dem weißen Wolf Dúnes trägt, und sie hofft irgendwo zwischen all den Elben, von denen ihr die meisten fremd sind, Soraya zu sehen. Doch bisher kann sie den vertrauten silberblonden Haarschopf nirgends erblicken. Die kleinen Gruppen, die sich hier und dort in lockeren, stetig wechselnden Runden finden, lösen sich langsam auf. Die in weiße Surcots gewandete Sonnengarde scheint sich bereits zu sammeln; wie stets würden sie die ersten sein, die ihren Eid erneuern. Und auch Sessair Mondjäger kann sie sehen, den Hohen König der Elben, der mit seiner Königin Aryasaíris Himmelherz bereits vor dem Thron und der Sonnenscheibe steht. Den Knaben bei ihnen kennt Arwen nicht. Doch auch ohne den goldgelben Wappenrock hätte sie das Kind alleine an seiner Gestalt und den goldenen Augen als Prinzen von Erryn erkannt. Ein wenig unsicher wird Arwen nun doch, immerhin ist es mehrere hundert Jahresläufe her, dass sie an der Zeremonie der Eiderneuerung teilgenommen hat, und solche Ansammlungen vieler Personen sind ihr auch jetzt noch zutiefst unangenehm, daran hat auch das Brechen des Fluches nichts geändert. Gewohnheiten, die mehr als ein Zeitalter Bestand hatten, legt man nicht einfach so ab. Halt suchend schließen sich ihre Finger um das Amulett ihrer Mutter, und während ihr Blick auf der Suche nach ihrer Base über die Elben wandert, die sich am Saum der Lichtung und im Schatten der Bäume versammeln, huschen ihre Gedanken kurz zu ihrer Tochter.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Soraya am 17. Dez. 2006, 23:50 Uhr
Schweigend verlassen sie das Anwesen in Richtung Stadtzentrum, wo sich im morgigen Nebeldunst der Valon Shaer in seiner ganzen goldenen Pracht erhebt und den Himmel mit seinen Turmspitzen kitzelt. Sorayas Blick ist nach Innen gekehrt, während sie Norntha neben dem Hengst ihres Vaters herlenkt und versucht Ruhe zu bewahren. „Du bist sehr schweigsam min Lia“, flüstert Serassher plötzlich, seine Tochter aus den Augenwinkeln ernst betrachtend, doch es ist der Ansatz von Besorgnis, der ihr verbietet, ihm die Wahrheit, den wirklichen Grund für ihre Einsilbigkeit der letzten Tage zu erklären. Daher weicht sie aus, auf einen Punkt, der ihr eine fast schlaflose Nacht beschert hat und den sie zur Sprache bringen muss, bevor sie den Königspalast erreichen. Sorgsam strafft sie ihre Schultern und sieht ihren Vater an, der ihr ein Lächeln schenkt und dabei so natürlich stolz wirkt, dass sie sie einen Augenblick mit ihren Worten hadert, dann aber doch sachte den Kopf schüttelt und antwortet: „Ich habe nachgedacht min Eamo.“ Eine Schritte lang lauschen sie beide nur dem Klang der Hufe auf dem Boden und Serassher wartet geduldig bis seine Tochter fortfährt: „Und ich möchte dich um etwas bitten: Lass mich im Namen unserer Hauses, als Zeichen meines Erbes, den Eid vor dem König sprechen.“ Der warme Glanz in ihres Vaters hellgrünen Augen wird dunkel und seine Mundwinkel sinken langsam hinab, doch sie sieht ihn weiterhin an, innerlich bebend und zitternd, äusserlich so ruhig und gelassen, als wäre diese Bitte alltäglich. Der Trott des Hengstes wird unruhig, als er den Umschwung der Gefühle seines Reiters bemerkt und kurze Zeit ist ihr Vater damit beschäftigt sein Tier mit sachtem Nachdruck wieder zu Raison zu bringen, die Zügel dabei so fest haltend, dass Soraya nicht umhin kommt, die weiss hervortretenden Fingerknöchel zu bemerken. „Min Eamo“, beginnt sie erneut, ein lautloses Seufzen auf den Lippen und ihren Blick wieder auf den Weg vor sich richtend: „Ich möchte meinen Aufgaben als Erbin des Hauses Dúne nachkommen, ich habe mich lange genug zurückgezogen, dir lange genug zugesehen, wie du die Interessen unseres Namens vertrittst. Ich glaube es ist an der Zeit, dass auch ich zeige, wie viel mir an unserem Haus liegt min Eamo.“ Ob durch diese langatmige Rede nach so langem Schweigen erschlagen, oder einfach überrascht über den energischen Tonfall, erhält sie von Serassher erst einmal keine Antwort, doch das ist auch nicht nötig. Was sie gesagt hat, ist ihr vollkommener Ernst, nichts davon ist auch nur ansatzweise gelogen, doch bisher ist es ihr durchaus Recht gewesen, mit dem Königreich an sich und den Ritualen im Besonderen nichts am Hut zu haben, zumindest so wenig, wie es ihr Stand als Kind des Hüters des Weltenbaumstumpfes dies eben zugelassen hat. Heilig ist ihr die Ruhe gewesen, die im „Wurzelstumpf“ seit jeher alles einhüllt und jedem Bewohner das Gefühl vermittelt, geborgen und sicher zu sein zwischen den haushohen Wurzeln des einstigen Weltenbaums, von dem nur noch der namensgebende Stumpf geblieben ist. Doch dieses Leben, dieses stille Glück ist seit einigen Monden mit feinen Rissen versehen und ihr Wunsch den Eid zu sprechen nur ein weiterer Schritt, um Gefahren zu verhindern, um den Schneeball aufzuhalten, den ihr Vaters mit seinem verräterischen Tun ins Rollen gebracht hat. Sorayas Finger fahren zärtlich durch die dicke, schwarze Mähne ihrer Stute, die zufrieden schnaubt und ihren anmutigen Schädel verwirft, als wolle sie noch einmal verdeutlichen, wie sehr diese lahme Geschwindigkeit sie langweile. Bald wirst du schneller sein müssen als der Wind min Ija, also schone dich bis dahin, spricht Soraya in Gedanken mit Norntha und tätschelt den kräftigen Pferdehals, unter dessen glänzendem Fell sich gespannte Sehnen und harte Muskeln deutlich abzeichnen.

Als Soraya wieder aufsieht, blickt sie direkt in ihres Vaters Antlitz, der sie mit unbeweglicher Miene beobachtet und ein Kribbeln rinnt ihren Rücken hinab, als ihr klar wird, dass er, seit sie den Mund aufgemacht hat, ahnt, dass es nicht die ganze Wahrheit gewesen ist. Diese Erkenntnis lässt sie so schwach lächeln, dass es in einem angedeuteten Zucken ihrer Lider endet, was aber zu ihrem Glück unbemerkt bleibt. „Du wirst den Eid sprechen min Lia, sam min Lia îr sam Adjînola ty Comari'ye Dúne.“ Ein Herzschlag vergeht, bis Soraya versteht, doch alles was sie erwidert ist ein vages Kopfnicken, im rhythmischen Auf- und Ab der Reitbewegung kaum auszumachen, doch für ihren Vater anscheinend genug. Als sie ihn dieses Mal anschaut, liegt keine Vorsicht mehr in seinen Zügen, dafür schimmert Stolz wie goldene Funken in seinem Blick… der alleine ihr gilt und der sie mehr stärkt, als dass es ein weiteres Wort seinerseits jemals vermocht hätte. In diesem Moment spielt es keine Rolle, dass sie den Eid hauptsächlich nur sprechen möchte, um das Versprechen gegenüber dem Kaiser nicht von ihrem Vater zuhören: Er ist mit ihr einverstanden, das genügt um sie in ihrem Bestreben zu stärken. Ich werde nicht zulassen, dass etwas geschieht. Vielleicht werde ich gewisse Dinge ändern, aber nicht zum Schlechten. Mittlerweile haben sie das südliche Tor ins Innere des Valon Shaer passiert und einige Knappen eilen herbei, um sich um die Pferde der Gäste zu kümmern. Gemächlich steigt Soraya von Nornthas Rücken, drückt einem rothaarigen Jungen die Zügel in die Hände und ordnet an, Norntha in der Nähe des Hengstes Tennro Serasshers unterzubringen, da sie ansonsten randalieren würde. Wenn die Stute etwas nicht mag, dann ist es allein zu sein, weswegen sie sich normalerweise auch eine Box zusammen mit Taldrain, Sorayas zweitem Pferd, teilt.
Sorgsam richtet Soraya ein letztes Mal den Wolfsmantel und stellt sich dann an die rechte Seite ihrs Vaters und wie alle zwölf Jahre bei der Eiderneuerung wird sich Soraya bewusst, dass ihr dieser Platz nur aus einem Grund gebührt: Weil ihre Mutter und ihre älteren Brüder tot sind. Das leichte Befinden, dass sie in frührer Zeit ob dessen verspürt hat, ist aber längst verschwunden und heute füllt sie die Seite ihres Vaters, als hätte sie nie etwas anderes getan. Während sie über helle Wege laufen, um in die Asarid'Ashara Veaes, die Halle der Tausend Säulen zu gelangen, sagt niemand mehr etwas. Jeder zollt der Erhabenheit dieses Ortes den ihm gebührenden Respekt und selbst Soraya, im tiefsten Inneren von unruhigen, dunklen Überlegungen geplagt, kann sich dieser Eintracht, welche die Umgebung, der Palast an sich, ja selbst die goldweissen, im Sonnenlicht schimmernden Mauern an sich haben, nicht entziehen.

Das Herzstück des Palastes öffnet sich ihnen ins einer ganzen, einzigartigen Pracht, die einem Unwissenden schlichtweg die Sprache verschlagen würde und instinktiv verharren sowohl Soraya, als ihr Vater einen Augenblick lang auf der Schwelle des offenen Eingangs und betrachten die Ansammlung der Elben, die bereits eingetroffen sind. Es sieht aus, als wären alle gekommen. Nicht alle der Anwesenden kennt sie beim Namen, doch die Gesichter sind ihr bekannt und freundlich nickt sie einigen, die ihre Ankunft bemerkt haben, als Begrüssung zu. Ihr Vater, an ihrer Seite, lächelt unverbindlich und tritt dann ein, fast schon augenblicklich von einer hellhaarigen Elbin, die Soraya als ihre Tante Myriamer erkennt, zu einer kleinen Gruppe Frauen gerufen werdend. Bevor Soraya aber auch zu ihren Verwandten geordert wird, hat sie sich auch schon auf die Suche nach Arwen gemacht. Hie und da wechselt sie flüchtige Worte manchmal auch kurze Gesten, doch dann ist sie bereits vorbei, bis sie vor einer der vielen Säulen, den steinernen Bäumen, welche die Halle mit der Natürlichkeit eines mächtigen Waldrandes säumen, innehält. Die marmorne Tafel, die den kunstvollen Stamm ziert, trägt nicht viele Namen und hinter zu vielen prangt zusätzlich das schlichte Zeichen für den Tod. Die Inschriften werden trübe, je länger sie die feinen Linien ansieht, doch Soraya braucht nicht zu lesen, was dort steht. Sie könnte das Abbild der Tafel im Traum nachzeichnen und ein Moment voller Erinnerungen huscht vorbei. Sie hört einmal mehr das Lachen ihrer Brüder und sieht die wunderschöne Gestalt ihrer Mutter, Njar’da aus dem Haus der Silberlilie. Eama… Ich bitte dich, sende Vater deine Gabe der Milde, damit er vergibt und vergisst, ansonsten werde ich ihn zur Vernunft bringen müssen. Ssartar und Syl’ndeyon, wärt ihr hier, würde dies alles nicht geschehen. In ihrer innerlichen Stimme liegt kein Vorwurf, so sehr diese Aussage einen solchen auch in sich tragen könnte. Egal was ihre Brüder getan hätten, oder getan haben, Ärger oder gar Wut waren immer genauso schnell verraucht, wie die Beiden das Lachen wieder angefangen hatten.
Erst dann betrachtet Soraya eine weitere Abzweigung des Stammbaums, weitaus älter als ihre Eigene, aber ganz unten, frisch und noch klar, ohne abgerundete Linien, unter Arwen, der Name ihrer Tochter: Rialinn Siranfaêr. Soraya streckt ihre Finger aus, fährt mit den Kuppen über die neue Linie und lächelt. Dann dreht sie sich um und sieht zum Thron hinüber, wo sich der Hochkönig Sessair Mondbogen gerade erhebt, begleitet von seiner Gemahlin und seinem Sohn. Vom jüngsten Spross des Königshauses, der kleinen Prinzessin Senai’su ist nichts zu sehen, doch Soraya kann sich bildhaft vorstellen, dass eine solch formelle Zeremonie das Gemüt eines wilden Kindgeistes nicht zu bannen vermag.

Beim Anblick des Königs wird Sorayas Miene steif und hart, weswegen sie sich hastig abwendet und sich aufmacht, Arwen in der Menge zu suchen, die sich allmählich sammelt, damit die Eiderneuerung beginnen kann. Ihre Cousine findet sich dann verblüffend schnell. Nur wenige Schritte neben dem Baum der Familie Mitarlyr steht sie und Soraya mildert ihren Blick sofort, als sie Arwen entdeckt, die mit einer Hand das Amulett ihrer Mutter umschlungen hält. Sie ringt sich sogar zu einem akzeptablen höflichen Lächeln hindurch, doch die Festtagsstimmung, die vielen anderen anzusehen ist, will sich bei ihr schlichtweg nicht einstellen. „Tianrivo, Gildin“, begrüsst sie ihren Onkel und ihren Cousin, beiden zunickend und sich dann zu Arwen umwendend: „Arwen.“ Der Hauch einer Frage schwingt in der Betonung des Namens mit, doch mehr lässt Soraya nicht verlauten. Wenn Arwen sprechen will, wird sie es tun, doch es erscheint Soraya nicht passend, gerade hier, inmitten all dieser Elben, auf etwas zu sprechen zu kommen, was vielleicht nicht einmal einen Zehntel der Anwesenden etwas angeht. Dann ziehen sich Sorayas Augenbrauen kurzzeitig gefährlich nahe zusammen, als sie entdeckt, dass Rialinn fehlt, doch schnell hat sie den Gedanken, etwas könnte geschehen sein, von sich geschüttelt. Arwen wäre längst nicht mehr so ruhig… Ich möchte in niemandes Haut stecken, der ihr die Tochter wegnimmt. Die Götter seien dessen Seele gnädig, schmunzelt sie insgeheim und schenkt Arwen dann einen prüfenden Blick von oben bis unten. Was Arwen als Kleid trägt, ist ein Kunstwerk aus Stoffen und Farben, das die natürliche Schönheit seines Trägers nur noch unterstreicht und spöttelnd zwinkert Soraya ihrer Cousine zu: „Es würde mich nicht wundern, wenn sich die Ritter deines Vaters darum streiten werden, wer für deine Farbe reiten darf. Wobei…“ Noch einmal ein flüchtiges Mustern, dann verneigt sich Soraya gebührend vor ihrer Cousine und meint mit tiefer, durchaus ernsthafter Stimme: „Lasst mir doch bitte die Ehre zukommen, für eure Farbe zu reiten, Tennra Arwen, es wäre das höchste Glück, dass mich zu dieser Stund ereilen könnte.“ Einzig das verstohlene Grinsen in ihren Mundwinkeln spottet der Ernsthaftigkeit ein wenig Lügen. Zu einer Antwort kommt Arwen jedoch nicht mehr, denn das Gemurmel in Sorayas Rücken erstirbt plötzlich, als der Hochkönig Sessair die Hand hebt und so Ruhe gebietet.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Sessair Mondjäger am 19. Dez. 2006, 18:11 Uhr
Die Halle der Tausend Säulen füllt sich langsam, aber stetig - ein unablässiger Strom von in glänzende Gewänder gehüllten Elben und Elbinnen, von Rittern in schimmerndem Yalaris und bleichem Mondstahl, von Gelehrten, Magiern und Druiden in schlichten Roben oder buntscheckigen Kobolden und schillernden Feen. Die Königsfamilie wartet im milden Glühen der bernsteinernen Sonnenscheibe vor den Thronen der Shida'ya, umgeben von den Rittern der Sonnengarde, während die Hohen Häuser des Grünen Tals von Erryn sich nach und nach im Herzen des Valonva Shaer versammeln. Die Mitglieder des königlichen Rates, eben noch in zwanglosem Gespräch mit Sessair oder seiner Hohen Gemahlin, haben sich wieder zerstreut, um ihre eigenen Sippen aufzusuchen und später gemeinsam mit ihnen vor den König zu treten, um ihren Treueschwur zu erneuern. Die meisten der elf hohen Häuser des Grünen Tals von Erryn sind bereits vollzählig – die Venyataîths in Schwarz und Rot, mitten unter ihnen Tanubâshor, ein Elb so alt und weise, dass selbst der hohe König respektvoll vor ihm das Haupt neigt. Das Haus Shunjaril hat ebenfalls bereits seinen Platz um den steinernen Ahnenbaum der Familie eingenommen, ebenso die Amrahnars aus dem hohen Norden Erryns, ganz in Hellgrau und Rot. Das Haus Alyrion unter Ornèmalin Grünblatt, dem Flusslord vom Shannar, ein knappes Dutzend in Grün und Blau gewandete Elben mit der springenden, goldenen Forelle des Hauses auf Surcots oder Umhängen, sammelt sich gerade, unter ihnen auch Shu're Alondar Jend'hai, Waffenmeister Lomirions und Heerführer des Grünen Tals von Erryn, das lange, schneeweiße Haar zu einem einzelnen Zopf geflochten, hochgewachsen, schlank und streng, und von Kopf bis Fuß in geschwärztes Rauchyalaris gehüllt. Im Schatten unter den östlichen steinernen Bäumen mit ihren glitzernden Kronen nehmen die Häuser Rhoyn'aris, Nephelyr, Tianria und Tyrfar ihre Plätze ein, ein buntes durcheinander von Farben und Wappen – die silberne Harfe auf grünem Grund, Sterne über gekreuzten Silberklingen, orangerote Flammen auf noch dunklerem Rot, ein stilisierter Regenbogen auf Weiß... nur die Häuser Arien, Mitarlyr und Dúne sind noch nicht eingetroffen, doch noch ist Zeit und niemand wartet ungeduldig auf den Beginn der Zeremonie. Die meisten der versammelten Elben erweisen noch den Namen ihrer Ahnen Ehre oder finden sich zu kleinen Gruppen zusammen, um ein paar Worte zu wechseln. Ihr Wispern und Raunen, ihr Lachen und ihre halb geflüsterten Begrüßungen verweben sich mit dem unablässigen Rascheln der Schmetterlingsflügel in den Kronen der steinernen Bäume zu einem sanften Murmeln, einem an und abschwellenden Singsang gleich einer leisen, süßen Melodie. Sessair Mondjäger, Hoher König der Elben, blickt wartend und schweigend auf die versammelten Anführer seines Volkes, auf ihre Frauen und Töchter, ihre Schwestern, Söhne, Brüder und Väter... er spürt ihre Freude und ihre Erwartung, ihre Hoffnung und ihre Loyalität, und doch fühlt er auch ihre Schwermut und die Erinnerungen an einen anderen Ort und eine andere Zeit, die Gedanken an die untergegangene Heimat, die schon seit so vielen Jahrhunderten unwiderruflich verloren ist und der doch noch so viele nachtrauern.

Aryasaíris schiebt ihre um vieles schmälere Hand in seine und drückt sacht seine Finger... wie jedes Mal, wenn ihn die Melancholie der Älteren trifft und ihn dieser und ähnliche Gedanken heimsuchen... und wie jedes Mal bringt ihm ihre sachte Berührung Trost. Ach Rya... sie werden niemals hier ihr wahres Zuhause finden, wenn sie sich dem Land nicht hingeben, wenn sie in ihren Herzen stets Vertriebene und heimatlose Flüchtlinge bleiben. Wenn sie keine Wurzeln schlagen. Dieses Land ist gut. Es ist jung, stark und fruchtbar... und es singt zu ihnen schon so lange, aber sie hören einfach nicht zu.
Du kannst sie nicht zwingen zuzuhören.
Nein. Ich kann sie nicht zwingen. Aber ich kann sie auch nicht untergehen lassen.
Das wirst du nicht.
Nein. Nein, das werde ich nicht. Nicht wenn ich es verhindern kann.
In diesem Moment schwillt das Gemurmel der anwesenden Elben zu einem erwartungsvollen Flüstern an und am östlichen Ende der Halle der Tausend Säulen schimmert bernsteinfarbenes Licht auf. Aus dem schwachen Schimmer wird ein Glühen, als tanze Lichtschein zwischen den steinernen Bäumen und in dem blassen, goldenen Dunst bewegen sich hohe, schlanke Gestalten. Das Flüstern bricht so plötzlich ab, als habe es jemand mit einem Messer abgeschnitten und in der Stille, die sich herabsenkt, erscheint Nir’ialyra von jenseits des Meeres, Tochter Goldauge Thaylons des Schwertarchonen und eine der ältesten lebenden Elbinnen der Immerlande und Hohepriesterin Shenrahs. Sie trägt wie stets Trauerweiß, ein bodenlanges raschelndes Schleierkleid aus Spinnenseide, das mit winzigen Perlen und Mondsteinen verziert, und mit silbernen Rankenstickereien versehen ist. Ihr dichtes, rötlichblondes Haar ist zu schweren Zöpfen geflochten und aufgesteckt, gehalten von einem Netz haarfeiner Golddrähte – Nir'ialyra mag selbst nach den Maßstäben der Elben unantastbar, uralt und weise sein, über Eitelkeit ist sie keineswegs erhaben. Ihr folgen ein halbes Dutzend Mädchen und Kinder, allesamt junge Zofen oder Mündel der königlichen Familie, die an diesem Tag mit ihr in die Halle der Tausend Säulen einziehen. Wenn sie mit ihrem kleinen Gefolge vorübergeht, neigen sich ehrerbietig die Köpfe aller Versammelten und man zollt ihr, der Bewahrerin vergangener Tage und Mutter der Erinnerung mit tiefen Verbeugungen Respekt – etwas, das sie ebenso würdevoll wie gelassen entgegen nimmt.

Das Licht scheint sie zu umtanzen, als würde sie die Asarid'Ashara Veaes allein mit ihrem Auftauchen noch ein wenig wärmer und goldener werden lassen – doch noch bevor sie mit den Kindern das Podest und die Throne erreicht hat, und noch ehe irgendjemand auch nur ein Wort sagen kann, ist plötzlich leiser Aufruhr zu spüren. Sowohl Sessair, als auch seine hohe Gemahlin und vermutlich die meisten aller Anwesenden können spüren, wie ein dünner, leiser Misston in der Sinfonie aus gewisperten Worten, halblautem Lachen und herumschwirrenden Gefühlen ringsum aufsteigt. Alle Kinder des Morgens sind empathisch begabt, manche mehr, manche weniger, doch die meisten können die Stimmung ihrer Umgebung bis zu einem gewissen Grad erfassen... und irgendwo in dem vielschichtigen, komplizierten, verworrenen Netz aus Empfindungen das unweigerlich entsteht, wenn Hunderte von Elben sich auf engem Raum treffen, ist gerade ein Faden gerissen. Dann folgt ein Aufglühen priesterlicher Macht und ein kurzer, scharfer Klang, als zerbreche irgendwo etwas Gläsernes in tausend kleine Scherben. Nichts von diesem Zwischenspiel ist in der Halle der Tausend Säulen zu sehen, zu spüren ist der kurze Aufruhr am westlichen Tor sehr wohl... vielleicht nicht stark genug, um wirklich beunruhigend zu sein, aber immerhin heftig genug, um von den meisten beachtet zu werden und Unmut hervorzurufen. Auch wenn viele höfliche Zurückhaltung wahren und betont den Blick abwenden, Sessair kann von seinem erhöhten Platz aus sehen, wie sich nicht wenige Köpfe drehen und Ohren spitzen, um vielleicht das ein oder andere Wort aufzufangen. Der Frieden im Narlalaith wie im gesamten Valonva Shaer ist heilig und unverbrüchlich, und auch wenn keineswegs alle der Anwesenden immer gut miteinander auskommen, so ist das doch ein Gebot, an welches sich, gerade an Tagen wie diesen, alle zu halten haben... und dies für gewöhnlich auch tun. Heute nicht, wie es scheint... Sessairs Gesicht bleibt unbewegt, doch zwischen seinen scharfgezeichneten Brauen entsteht eine steile Falte, als er abwartend nach Westen blickt - und als Khelenar Lyr'Aris blass und ganz offensichtlich verstimmt durch die westliche Pforte in die Halle der Tausend Säulen tritt, und nicht - wie es eigentlich seine Pflicht wäre - im Gefolge der Ariens erscheint, tauscht der Hochkönig einen Blick mit seiner Gemahlin. Morgenstern ist mit seiner Familie hier. Er muss nicht gesehen haben, was draußen geschehen ist, um zu wissen, was Khelenars Gesichtsausdruck, und die Tatsache, dass sein Truchsess eben mit seinen beiden Kindern und Arwens kleiner Tochter durch den selben Eingang die Halle betritt, bedeutet. Keiner der Ritter der Königsgarde verzieht auch nur eine Miene, doch sie sind wachsam wie immer und Sessair fängt eine gedankliche, nur für ihn bestimmte Frage Tinranurns, ihres Hauptmanns auf. Min Shu'Lanore, firnaris…?
Nein. Aber ich werde später mit So’tar sprechen. Und mit Tianrivo ebenfalls.

"Denkst du, Lord Lyr'Aris wird irgendetwas provozieren?" Wispert Aryasaíris neben ihm, so leise, dass bestenfalls er und die nächststehenden Ritter der Sonnengarde sie hören können. Sessair schüttelt kaum merklich den Kopf. "Hier und vor meinen Augen? Er muss wissen, wie Morgenstern und ich zueinander stehen. Nein, min Nar. Für so dumm halte ich ihn nicht." Sie beobachten, wie die Mitarlyrs am Tor kurz innehalten und Arwens Tochter dann mit Kilirúen, einer der älteren Zofen und einigen anderen Kindern gehen lassen – in diesem Moment regt sich Nir'ialyra, noch etwa zehn Schritt entfernt, die den ganzen Zwischenfall schweigend und abwartend verfolgt hatte, mit einem seltsamen Lächeln auf den Lippen. Es braucht nicht mehr als einen kurzen, wortlosen Blick zwischen der Königsfamilie, dann sammelt die uralte Elbin ihr Gefolge wieder um sich, rafft so anmutig wie entschieden ihre Röcke und verschwindet ohne ein weiteres Wort in Richtung der spielenden Kinder in den nördlichen Teil des steinernen Waldes. Selbst Sessair kann ein belustigtes kleines Schnauben nicht unterdrücken, während seine Hohe Gemahlin Nir'ialyra noch leicht fassungslos hinterher blickt. "Das Protokoll hat sich gerade geändert, wie mir scheint. Ich wünsche Lord Lyr'Aris viel Freude bei was auch immer er vorhat... wenn er etwas vorhat. Und falls er das jetzt noch in Erwägung ziehen möchte." Gewisper und Gemurmel hebt von neuem an und steigt von der Menge der versammelten Elben zu den Kronen der steinernen Bäume auf, wo Schmetterlinge und Feenflügel unruhig rascheln, doch als nach einer Weile nichts weiter geschieht, außer dass auch die letzten Nachzügler die Halle der Tausend Säulen erreichen, unter ihnen auch das Haus Dúne mit seinen Vasallen, ebbt das Flüstern langsam wieder ab. Nun sind alle versammelt und es würde nur noch wenige Augenblicke dauern, bis sich alle Häuser wieder zusammengefunden haben, die Kinder, sofern sie nicht bei den königlichen Zofen sind und spielen, eingesammelt wurden, die Vasallen sich hinter ihre Lehnsherren eingereiht haben und allgemein alle bereit sind. Sessairs Blick schweift über die Elben zwischen den Bäumen und bleibt an einem bekannten Gesicht hängen – Soraya. Allerdings sieht ihn Zedernherz' Tochter mit derart versteinerter Miene an, dass Sessair demonstrativ eine Braue hebt. Ob Soraya diese stumme Aufforderung noch bemerkt oder nicht, sie wendet sich hastig ab und taucht in der Menge unter, und Sessair blickt ihr konsterniert nach. "Dalio â Jirril in Paêril, min Nar?" Wendet er sich seufzend an Aryasaíris neben ihm und spürt, wie irgendwo an seiner rechten Seite in zwei, drei Schritt Entfernung Irkolain von Cal'Anar, leise prustet.

"Haltung, mein schwarzes Schwert, Haltung. Die Garde stirbt oder sie ergibt sich, aber sie lacht niemals, und im Dienst schon gar nicht." Aus dem Prusten wird ein verzweifeltes Bemühen. "Heute ist tatsächlich nicht mein Tag. Meine Untergebenen sticht der Hafer und meine Ritter lachen mich aus. Habe ich es dir nicht bei Morgenmahl gesagt, Rya, ich hätte einfach im Bett bleiben sollen. Tinranurn, wir brauchen eine neue Aufnahmeprüfung für die Sonnengarde. Wer lacht, hat verloren und wird nicht aufgenommen." Tinranurn kämpft inzwischen selbst mit einem Grinsen, Aryasaíris kichert hilflos und Seranor grinst über das ganze Gesicht, während die sonst so gelassenen Ritter der Königsgarde sich recht vergeblich bemühen, ihr Lächeln zu verstecken oder ihre Heiterkeit im Zaum zu halten. Der einzige, der dem kleinen Scherz mit stoischer Unerschütterlichkeit zusieht, ist Banadar aus dem Haus Tyrfar, von Natur aus mit wenig Humor und einem – milde ausgedrückt - eher herben Gemüt gesegnet... allerdings wird auch Sessair rasch wieder ernst. "Tinranurn, sind deine Männer bereit?"
"Ai, Shu'Lanore."
"Gut, dann beginnen wir." Sessair hebt die Hand und augenblicklich senkt sich völlige Stille über die Halle der Tausend Säulen, nur die Königsgarde stellt sich ebenso lautlos wie geschmeidig in einem Halbkreis vor dem Podest auf.  Aryasaíris legt Seranor die Arme um die Schultern und tritt einen Schritt mit ihm zurück, während Sessair das gewaltige, zweihändige Schwert der Könige aus der Scheide auf seinem Rücken zieht. "Carradores ty Lanos," beginnt er die zeremoniellen Worte der Eidesformel und zwölf schneeweiße Ritter, die Gesichter ihrem König zugewandt, ziehen in vollkommen synchroner Bewegung ihre Schwerter und beugen die Knie. "Ritter des Königs, ihr tretet vor mich hin, um eure Leben, eure Schwerter und eure Ehre an mich und mein Haus zu binden?"
"Ai, Shu'Lanore," antwortet es aus einem Dutzend Kehlen und Sessair stellt sein Schwert, die Klinge Narsunjâdis, aufrecht vor sich, beide Hände am Griff. Licht läuft in Strahlen an der Schneide entlang, schimmert in den Riefen der langen Klinge und sammelt sich im faustgroßen Bernstein an seinem Knauf. "Dann nehmt eure Schwerter und leistet mir den Eid."
Die Ritter der Königsgarde intonieren einstimmig, gemessen und so feierlich als sprächen sie ein Gebet die althergebrachte Eidesformel: "Wir sind die Ritter des Thrones der Sonne, das Schild und das Schwert des Hohen Königs und seines Hauses. Wir schwören, den König und das Haus Relavendis mit Leib und Leben zu verteidigen. Wir schwören, ihre Ehre und ihr Ansehen zu schützen und allen Schaden von ihnen abzuwenden, jetzt und immerdar, so lange wir leben, bis unser Herr uns entlässt oder Sithech uns ruft. Schande, Tod und Verdammnis sollen uns ereilen, wenn wir unseren Schwur jemals brechen oder unsere Pflicht nicht erfüllen. So sei es."

"Ritter des Königs, ich nehme euren Eid an. Als euer Herr will ich euch schützen und für euch sorgen, euch stets einen Platz in meiner Halle und an meiner Tafel geben, euch mein Vertrauen schenken und eure Schwerter in meinem Dienst in Ehren halten. Ich werde Gefolgschaft mit Achtung, Treue mit Liebe, Eidbruch mit Strafe und Verrat mit dem Tod vergelten. Erhebt euch, Shu'res." So geschlossen, wie sie aufgetreten war, tritt die Königsgarde zurück und die Ritter nehmen ihre Plätze rund um die beiden Throne wieder ein, öffnen ihren Kreis jedoch nach vorn soweit, dass die Edlen ungehindert vortreten und ihrerseits ihre Eide erneuern können. Sessair bleibt wo er ist und verändert auch seine Haltung nicht, nur sein Gesicht trägt jetzt den gefassten, unergründlichen Ausdruck eines Herrschers, sein "Königsgesicht", wie Aryasaíris diese Miene oft genug nennt... seine Augen, rein und golden, sind jetzt hell und hart wie Messing und auf seiner Stirn brennt die rotgoldene Sonne, das Siegel Shenrahs. Irgendwo, unsichtbar für die versammelten Elben, erklingt ein langsamer, halblauter Trommelschlag, dunkel und warm wie der Schlag eines Herzens. "Shu'raes, Shu'res - wir sind hier versammelt, um die heiligen Eide und Schwüre, die uns aneinander binden, im Angesicht der Götter und ihrer Archonen zu erneuern und den Bund zwischen König und Edlen, zwischen meinem Haus und euren einmal mehr zu besiegeln. Im Namen der Zwölf und ihrer Archonen, ich, Sessair Mondjäger aus dem Haus Relavendis, Hoher König der Shida'ya und aller Elben, rufe das Haus Dúne."
Bewegung und Flüstern entstehen in der Menge, als die Dúner, das heißt Serassher Zedernherz und seine Tochter Soraya, sich ihren Weg zu den Thronen bahnen, hinter sich die Anführer ihrer Vasallenhäuser Shunja’Ninar, Calarelis, Nebrar, Tiamat und Lothelien... seit dem Untergang Dúnes ist ihr Haus klein geworden. Zu Sessairs Überraschung ist es jedoch nicht Serassher selbst, der als erster und an vorderster Stelle niederkniet, sondern Soraya.
"Soraya, Tochter Zedernherz', Erbin des Hauses Dúne, Ihr tretet vor mich hin, um Euer Haus und die Häuser Eurer Vasallen in Eid und Ehre an das meine zu binden?" Beginnt Sessair nach einem Moment schweigender Musterung. Das hier kommt unerwartet und ist so eigentlich nicht üblich, andererseits spricht auch nichts dagegen, also fährt er, als Soraya wortlos nickt, fort. "Dann nehmt das Schwert, das Euch gegeben wurde und leistet mir den Eid."

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Soraya am 19. Dez. 2006, 23:12 Uhr
Es ist die schimmernde Klinge Sessairs, dieses einzigartige Stück überragender Schmiedekunst, im satten Glühen des Lichtes friedvoll und doch gefährlich funkend, das ihren Blick bannt und ihr kurzzeitig den Atem raubt. Wie oft sie das Schwert in den Händen des Königs schon gesehen hat, will ihr nicht einfallen, doch niemals zuvor ist ihr dermassen bewusst geworden, wie tödlich sie sein kann. "Carradores ty Lanos." Kraftvoll erhebt sich die Stimme des Königs über die Halle und wenn zuvor noch vereinzelte Elben sich ausgetauscht haben, so herrscht nun eine ergreifende Stille, in der sogar das Rascheln der Kleidung verräterisch laut wirkt. Das spöttelnde Lächeln, dass eben noch Sorayas Züge erhellt hat, ist dahin und stattdessen werden ihre Lippen schmal und ihr Augen dunkel. Die Haut spannt sich über ihren Kiefer und sicherheitshalber dreht sie sich ein Stück mehr in Richtung der blütenweissen Königsgarde, die sich gerade stillschweigend in einem Halbkreis vor ihrem Herrscher aufbaut, um zu verhindern, dass Gildin, oder gar Tianrivo zuviel von ihrer Gefühlsregung sehen können. Es innerlich zu verheimlichen fällt ihr nicht weiter schwer. Die zwölf Ritter, Männer aus dem Leben und für das Leben, verneigen sich stolz und auch wenn Soraya ihre Gesichter nicht sehen kann, weiss sie, dass darin Erhabenheit und das stumme Versprechen ewig andauernder Treue geschrieben stehen. Die Zwölf erscheinen mit ihren prachtvollen Umhängen und Surcouts  wie ein verschmolzene Einheit aus Schnee und Gold und es ist weithin bekannt, dass sich in dieser Reihe Mut und Kraft, Wissen und Wille, sowie Alter und Jugend miteinander vermischen und verbinden, wie in keiner anderen Garde. Loyalität ist hier nicht gleichzusetzen mit Arbeit, es ist eine Aufgabe, die aus dem Herzen wächst und den Körper umfängt und Soraya neigt schon fast instinktiv den Kopf, als die Ritter den Eid im Chor mit tiefster Inbrunst erneuern. Als sie ihre Köpfe heben, fällt das strahlende Licht Shenras auf ihre Gestalten und badet sie in Golddunst, fast so, als halte er seine segnende Hand über diese Runde. Eine Sekunde lang hängt der eben gesprochene Schwur in der Luft, bis der Hochkönig würdevoll die traditionelle, uralte, heilige Antwort gibt und die Ritter auf diese Art und Weise gleich darauf entlässt. Gefasst nehmen sie wieder ihre Plätze zu beiden Seiten der Throne ein, hinter denen die blanke Sonnenscheibe prangt, während Sessair, den Blick erhoben, die vor ihm versammelte Menge betrachtet. Irgendwo in Soraya erklingt ein hauchdünne Klirren, nicht lauter als eine Schneeflocke, die zerbricht, und ihre uralte Zurückhaltung zerbricht in feine Splitter. So sei es. Für das Volk und für meinen Vater.

Ein dumpfer, rollender Laut holt sie aus ihren Gedanken und sie spürt das Vibrieren des unsichtbaren Klanges auf ihrer Haut, so fein prickelnd, wie der morgendliche Schauer, wenn das erste Glühen die Nase kitzelt. "Shu'raes, Shu'res - wir sind hier versammelt, um die heiligen Eide und Schwüre, die uns aneinander binden, im Angesicht der Götter und ihrer Archonen zu erneuern und den Bund zwischen König und Edlen, zwischen meinem Haus und euren einmal mehr zu besiegeln. Im Namen der Zwölf und ihrer Archonen, ich, Sessair Mondjäger aus dem Haus Relavendis, Hoher König der Shida'ya und aller Elben, rufe das Haus Dúne." „Im Angesicht der Götter…“, schnappt Soraya lautlos, atmet einmal tief ein und bahnt sich dann fliessend  einen Weg an jenen vorbei, die zwischen ihr und der anstehenden Aufgabe stehen. Auch ihr Vater gelangt von der gegenüberliegenden Seite, wo ihn Myriamer hin verschleppt hat, zusammen mit den Vasallenhäusern nach vorne. Beim Anblick der wenigen Männer und Frauen, die dort stehen, in ihrer Einigkeit ebenso verbunden, wie in ihrer Geschichte, kann Soraya einen letzten, zwischen gesenkten Wimpern funkelnden Blick, der alleine ihrem Vater gilt, nicht verhindern. Hinter der harten Maske, mit der sie sich vor dem König anmutig auf ein Knie sinken lässt, tobt ein Sturm von Gefühlen und dass Serassher nur wenige Schritte hinter ihr den Platz einnimmt, den sie zuvor stets besetzte, lässt ihre Kehle trocken werden. Geschlagene drei Sekunden lang, fragt sie sich ernsthaft, ob das hier das Richtige ist, wischt dann aber jeden Zweifel so energisch beiseite, als handle es sich um ein paar lästiger Steine, die ihr den Weg versperrten. Beizeiten, wenn dieser ganze Trubel hier vorbei ist und jeder wieder seines Weges geht – sie selbst vielleicht bereits weit fort -, dann würde Zeit genug sein, sich gegebenenfalls über diese ganze Situation zu ärgern. Es ist sogar sehr wahrscheinlich, dass es für einige der Anwesenden überraschend kommt, dass nicht Serassher, sondern seine Tochter die heiligen Worte intoniert, doch unangenehmen Fragen lässt sich leicht aus dem Weg gehen. Es gibt genug Gründe für eine Erbin anstelle ihres Vaters den Eid zu sprechen. Hätte ich auch nur einen von diesen, ich würde ihm den Schwur erneut überlassen. Ein kaum merkliches Zittern huscht über ihre Lippen, als Sessair sich an sie wendet: "Soraya, Tochter Zedernherz', Erbin des Hauses Dúne, Ihr tretet vor mich hin, um Euer Haus und die Häuser Eurer Vasallen in Eid und Ehre an das meine zu binden?" Nein, ich trete vor euch, um mein Haus vor Verrat und Schand, und meinen Vater vor dem Leid vieler Jahre zu bewahren und ich fürchte mich nicht. Doch ihre Gedanken bleiben im tiefsten Winkel ihrer selbst verborgen und ungehört. Wortlos nickt sie, den Blick Sessairs ohne Regung erwidernd und stumm ein inniges Gebet an alle Götter gleichzeitig entsendend. “Dann nehmt das Schwert, das Euch gegeben wurde und leistet mir den Eid." Ihre Finger schliessen sich fest um den kühlen, mit Leder gebundenen Griff Virintuils und mit einer schlichten Bewegung zieht sie den Einhänder aus der Scheide. Das Licht bricht sich auf silberhellem, uraltem Mondstahl, fällt in weichen Strahlen auf das Gras zu Sorayas Füssen und bringt den milchigweissen Opal im Innern des lilienförmigen Knaufs zum Strahlen, als wäre darin ein Stück des Mondes gefangen. Sicher führt sie das Schwert ihrer Mutter, stellt es mit der geschärften Spitze vor sich auf den Grund und umfasst die Griffe zu beiden Seiten mit harter Hand. Zu hart, denn ihre Knöchel treten hell unter der goldfarbenen Haut hervor, als einziges Zeichen für die schwellende Unruhe, die in ihrem Inneren gärt und nicht weichen will, ihrem Verstand und ihrem Sinn für klare Momente nun aber das Feld räumt.

In einem Augenblick der Stille besinnt sie sich, senkt ihr Haupt und leistet den Schwur, den sie niemals zuvor jemand in den Mund genommen hat. „Ich, Soraya aus dem Haus Dúne, gebe mich und die meinen, mein Haus und die Häuser meiner Vasallen in Eure Obhut und gelobe Euch und dem Haus Relavendis Gehorsam, Gefolgschaft und Lehnstreue.  Ich schwöre bei den Zwölf Göttern und ihren Archonen und im Namen ihrer heiligen Tempel, Euch und Eurem Haus wahrhaftig, treu und gewissenhaft zu dienen, Euch meinen Rat und meine Weisheit zuteil werden zu lassen und gegen all Eure Feinde und die Feinde des Hauses Relavendis zu stehen.  Mein Schwert sei das Eure, mein Schild Schutz und Schirm für Euch und die Euren, jetzt und immerdar bis Ihr mich aus Euren Diensten entlasst oder Sithech mich ruft.“ Kein einziges Zögern verrät die Beherrschung, die hinter dem Gesagten steckt. Der Eid kommt deutlich und respektvoll über ihre Lippen, geprägt durch ihre weiche, rauchige Stimme, in der nichts anderes als Ehrlichkeit mitschwingt und ein zartes Lächeln zupft an ihren Mundwinkeln. “Shu'ra Soraya, ich nehme euren Eid an. Als Euer Herr will ich euch schützen und für Euch sorgen, Euch stets einen Platz in meiner Halle und an meiner Tafel geben, Euch mein Vertrauen schenken und Eure Schwerter in meinem Dienst in Ehren halten. Ich werde Gefolgschaft mit Achtung, Treue mit Liebe, Eidbruch mit Strafe und Verrat mit dem Tod vergelten. Erhebt euch, Shu'ra Soraya.“ Verrat mit Tod… Verrat… Einen Herzschlag land zeigt sich eine steile Falte zwischen ihren Brauen, was zum Glück ungesehen bleibt, da sie noch stets den Kopf gesenkt hält. Dann steht sie auf, ohne den Blick zu heben, versorgt Virintuil an seinem Platz und tritt zurück, um so das nächste Haus durchzulassen.
Noch als Sessair feierlich die Familie Mitarlyr zu sich nach vorne ruft: "Im Namen der Zwölf und ihrer Archonen, ich, Sessair Mondjäger aus dem Haus Relavendis, Hoher König der Shida'ya und aller Elben, rufe das Haus Mitarlyr“, spürt Soraya einen Teil ihrer Anspannung weichen und erwidert den offenen Blick ihres Vaters mit einem feinen Lächeln. Irgendwann werde ich den Eid sprechen, um unseres Hauses Willen Eamo, irgenwann, verspricht sie ihm stillschweigend und wendet sich dann dem öffentlichen Geschehen zu.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Sessair Mondjäger am 21. Dez. 2006, 22:46 Uhr
Der rollende, dunkle Trommelschlag erklingt abermals und das Haus Dúne erhebt sich mit seinen Vasallen. Zedernherz Tochter hat ihren Eid klar und gefasst gesprochen... und ihre dunkle Stimme war gut zu vernehmen und ist in der Stille ringsum auch noch in die hintersten Winkel der Halle gedrungen. Und doch hat sie kein einziges Mal den Blick gehoben... und sie hat ihr Schwert förmlich erwürgt. Sessair blickt Sorayas schlankem Rücken lange nach, als sie sich im Kreis ihres Vaters und seiner Edlen zurückzieht... sie hält sich sehr aufrecht und sehr gerade, und doch scheint ihm, als laste etwas Bedrückendes auf ihren Schultern. Irgendetwas macht ihr zu schaffen oder ich bin ein Kobold. Hat Serassher ihr vielleicht zugesetzt, ihre Pflichten als seine Erbin endlich zu erfüllen? Soraya ist Zedernherz' einziges noch lebendes Kind, da seine Söhne gegen den Frostdrachen fielen, die Letzte eines klein gewordenen Hauses. Und die Dúner waren noch nie viele... hat er sie am Ende gedrängt, sich wieder zu vermählen? Sessair kennt Soraya schon ihr ganzes Leben, immerhin waren sie auf dem selben Schiff geboren worden – und es braucht seiner Meinung nach keine besonderen empathischen Fähigkeiten, um zu sehen, dass mit ihr irgendetwas nicht stimmt.... allerdings ist das letzte, woran er denkt, ein Meineid.

Ein paar gemessene Herzschläge lang ist das Rascheln des Grünregens und das Fächeln der Schmetterlingsflügel das einzige Geräusch in der Asarid'Ashara Veaes, dann ruft die Trommel ein weiteres Mal. "Im Namen der Zwölf und ihrer Archonen, ich, Sessair Mondjäger aus dem Haus Relavendis, Hoher König der Shida'ya und aller Elben, rufe das Haus Mitarlyr." Die Gruppe, die sich nun aus der Menge löst, wird von Sessairs rechter Hand, Tianrivo Morgenstern, Truchsess Lomirions, Hüter der Schlüssel und Verweser der Stadt, geführt. Morgenstern wird flankiert von seinem Sohn und seiner Tochter, und dicht hinter ihnen gehen seinen Vasallen, die Häupter der Häuser Valayar, Dardoveth, Tyrian, Nautaris  und Nevisanar. Sie nehmen ihre Plätze ein und Schweigen senkt sich erneut herab. Sessair tauscht einen Blick mit Morgenstern und weiß, dass sein Truchsess in diesem Augenblick das gleiche denkt, wie auch er – daran, wie oft sie schon so voreinander gestanden waren, um einen Eid zu erneuern, der zwischen diesem Haus und dem Haus Relavendis schon seit vier Zeitaltern der Welt besteht. "Tianrivo Morgenstern, Sohn Lisdaran Schwarzfeders, Lord des Hauses Mitarlyr, Truchsess von Lomirion, Ihr tretet vor mich hin, um Euer Haus und die Häuser Eurer Vasallen in Eid und Ehre an das meine zu binden?"
"Ai, min Shu'Lanore." Ja, mein Hoher König. Tianrivo, seine Kinder und mit ihnen die Vasallen des Hauses Mitarlyr beugen die Knie."
"Dann nehmt das Schwert, das Euch gegeben wurde und leistet mir den Eid."

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Mitarlyr am 22. Dez. 2006, 22:14 Uhr
Das Zusammentreffen mit Khelenar hat sie alle drei nicht unberührt gelassen, vor allem bei seiner Tochter kann Tianrivo spüren, wie sehr sie innerlich noch immer aufgewühlt ist. Auch wenn sie es sehr gut zu verbergen versteht. Nur jemand mit einer sehr ausgeprägten empathischen Begabung würde ahnen, wie es in ihr aussieht. Aber Arwen ist seine Tochter, und ganz gleich wie distanziert er oft wirken mag, er spürt sehr gut, wie es um seine Tochter steht. Und bei den Blicken, die Gildin seiner Schwester kurz zuwirft, scheint es seinem Sohn nicht viel anders zu gehen. Arwen zwischen ihnen hält sich sehr aufrecht und erweckt zumindest äußerlich den Anschein, als würde sie nicht merken, dass sich ihnen nicht wenige der bereits anwesenden Elben mehr oder minder neugierig zuwenden. Das unerfreuliche Intermezzo vor dem westlichen Tor ist ganz offensichtlich hier im Inneren nicht unbemerkt geblieben. Im Nachhinein ist Tianrivo darüber auch nicht verwundert, immerhin hatte Arwen für einen kurzen Moment die Macht, die in ihr ruht unverhüllt gezeigt. Und ich würde jeden Eid schwören, dass es nur ein Aufblitzen dessen war, was tatsächlich an Macht in ihr liegt. Mit einem heimlichen Schmunzeln erwidert er den Blick seines Sohnes, in dem er offen die schon so oft ausgesprochene Ermahnung lesen kann, Arwen nicht zu unterschätzen.
Während ihres Weges durch den steinernen Wald bis zu jenem Baum der die Tafel des Hauses Mitarlyr trägt wird ihm bewusst, dass das allgemeine Wispern unter den wartenden Elben nicht nur der Erwartung des zeremoniellen Beginns der Eiderneuerung gilt, sondern zu einem guten Teil auch der Tatsache, dass die höchstverehrte Nir'ialyra gerade samt ihres Gefolges die Lichtung wieder verlässt und sich offensichtlich zum Nordende des Asarid'Ashara Veaes begibt. Dorthin, wo auch Rialinn ist… Ein erleichtertes Lächeln huscht funkelnd durch seine Augen. Arwen hat Recht. Wo, wenn nicht hier, sollte Rialinn sicher sein? Dass vermutlich die geistigen Misstöne ihres Zusammentreffens mit Khelenar der Auslöser dafür sind, dass die Tochter von Faênril Thaylon nicht an der Zeremonie teilnimmt, legt sich Tianrivo allerdings wie ein frostiger Stein auf's Herz. Auch Arwen scheint der Abgang Nir'ialyras von jenseits des Meeres ebenso wenig zu entgehen wie die Richtung, der sie sich zuwendet. Er kann spüren, wie die Erkenntnis, dass sie dafür zumindest mitverantwortlich ist sich in Arwen ausbreitet. Und der Anblick Sessair Mondjägers, der auf der Empore vor der Sonnenscheibe steht und seinen Blick dem westlichen Tor zugewendet hat lässt das daraus resultierende Schuldgefühl seiner Tochter so schlagartig auf die Größe der Mondsichel anwachsen, dass Tianrivo seine Tochter am liebsten an sich und in den Schutz seines Mantels gezogen hätte. Aber er tut es nicht. Arwen weicht der Situation nicht aus, und während sich die Blicke Tianrivos mit denen des Hohen Königs treffen, neigt seine Tochter das Haupt und verneigt sich mit der rechten Hand über dem Herzen in Richtung des Königs. Die stumme Bitte um Verzeihung dafür, dass ihr Mangel an Selbstbeherrschung den heiligen Frieden des Narlalaith gestört hat. Flankiert von ihrem Vater und ihrem Bruder dürften allerdings die wenigsten der Anwesenden etwas davon mitbekommen haben. Lediglich der Hohe König mit seiner Familie und die Ritter der Sonnengarde auf der Empore haben freien Blick zu ihnen her. Die allgemeine Aufmerksamkeit wendet sich unterdessen den letzten Elben zu, die als Nachzügler im Herzhain eintreffen, die Häuser Dúne und Arien, und Tianrivo ist darüber alles andere als böse.

Soraya taucht wie aus dem Nichts neben ihnen auf, doch dazu, ihren Gruß zu erwidern kommt Tianrivo gar nicht erst, denn fast im selben Moment hebt Sessair die Hand. Augenblicklich legt sich erwartungsvolle Stille über den gesamten Hain. Das Rascheln von Feenflügeln und Schmetterlingen scheint der einzige Laut auf Rohas weitem Rund zu sein. Und der Aufmarsch der Sonnengarde vor dem Thron die einzige Bewegung auf der Welt. Der Eid der Sonnengarde. Die Worte sind so alt wie das Königtum des Hauses Relavendis, und die Stimmen der zwölf Ritter scheinen sich zu einer einzigen zu vereinen als das Gelöbnis gesprochen wird. Tianrivo trifft es jedes Mal aufs Neue wie ein Schauer aus Eiswasser, wenn er diesem Beginn der Eiderneuerung beiwohnt. Die Worte, mit denen der Eid der Garde erwidert wird, sind nicht weniger alt, und ihr Versprechen heilig. >... Eidbruch mit Strafe und Verrat mit dem Tod vergelten…< Damit, dass diese Worte ihn an den Verrat der Ancus erinnern, geht es Tianrivo wie wohl vielen der Versammelten. Immerhin ist dies die erste Eiderneuerung seit der Verrat offenbar und das Haus der Roten Falken getilgt wurde.
Die Sonnengarde kehrt zurück auf ihren angestammten Platz an der Seite des Hohen Königs und der Ruf einer Trommel ertönt, leise und rollend wie Herzschlag begleitet es die Worte Sessairs, der das Haus Dúne ruft, auf dass sie ihren Eid erneuern. Soraya löst sich von Arwen, neben der sie gestanden hat, tritt hinaus in den Sonnenschein der Lichtung und trifft in der Mitte der Rasenfläche auf ihren Vater, der auf der gegenüberliegenden Seite aus dem Schatten der Bäume tritt. Gemeinsam treten sie vor den König, doch dass Soraya den vordersten Platz einnimmt, dass sie es ist, die den Eid für das Haus Dúne spricht verschlägt Tianrivo die Sprache. Serassher Zedernherz macht nicht den Eindruck, als würde er die Führung seines Hauses an seine Tochter abtreten wollen. Und ganz gleich, wie ruhig und kräftig die Stimme seiner Nichte auch den Eid spricht, ihre Haltung als sie sich erheben und zurück in das grüngoldene Zwielicht unter den Bäumen treten ist ein wenig zu aufrecht, ein wenig zu gerade - schlicht gesagt, sie bewegt sich zu steif, als dass es nicht Tianrivos Aufmerksamkeit wecken würde. Was ist passiert, dass Soraya den Eid spricht? Sie hat sich noch nie darum gerissen, die Zeremonien und Erwartungen zu erfüllen, die manch einer an die Erbin eines der Hohen Häuser stellt. Und Serassher macht nicht den Anschein, als würde er sich zurückziehen und ihr die Führung des Hauses Dúne übertragen wollen. Er weiß nichts von der Bitte Sorayas an Arwen, und so ahnt er nicht einmal etwas von den Befürchtungen, die seine Tochter überkommen, als sie Soraya den Eid leisten sieht.

Wieder erklingt der rollen Klang der Trommel. Und dieses Mal ist es das Haus Mitarlyr, das gerufen wird. Tianrivo braucht sich nicht umzusehen, ob die Oberhäupter seiner eidgebundenen Häuser anwesend und in der Nähe sind. Sie stehen alle direkt hinter ihm. Gildin steht zu seiner Rechten, und Arwen hat sich unterdessen zu seiner Linken gestellt. Ein kurzer, lächelnder Blick, den er mit seinen Kindern tauscht, dann treten sie geschlossen vor und treten vor den König. Sein Blick trifft den seines Königs. Augen, so golden wie die es Schwertarchonen, der Blick hell und hart und das unergründliche Gesicht eines Herrschers. Tianrivo steht schon so lange im Dienst des Hauses der Tanzenden Winde, er hat schon so oft seine Eide erneuert - und für einen Herzschlag teilt er den Blick und die Erinnerung an all diese Gelegenheiten mit seinem König. Noch nie hat meine Tochter dabei an meiner Seite gestanden… Aber heute tut sie es. Und sie trägt das das Siegel Anukis' ebenso unverborgen wie das wiedervereinte Medaillon Amithras. Das Haus Mitarlyr ist frei, und eine neue Generation ist auch schon geboren. Das ist mehr als ich je zu hoffen gewagt habe. Mit einem kaum sichtlichen Ruck schüttelt er die Gedanken ab und zieht sein Schwert um es vor Sessair zum Gruß zu heben, ehe er niederkniet und die Seinen mit ihm. Aufrecht steht das Schwert vor ihm, und er hat beide Hände fest um den Griff gelegt, während er die gleichen Worte spricht wie seine Nichte kurz zuvor. Heilige Worte, die den Band bestätigen und erneuern würden, mit dem das Haus Mitarlyr den Hohen Königen der Shida'ya schon seit dem Zeitalter des Zwielichts verbunden und verpflichtet ist.  " I, Tianrivo Avidarlyr nim to Comari'ye Mitarlyr, adila mi îr ta minaes, min Comari'ye îr tas Comari'yes minyes Shonanames lâ Usa Yerillis îr shoshu Lus îr to Comari'ye Relavendis Tabanis, Lytâbimoe îr Shandu'Kitae. I shosha ceh tos Âshtanu Ayares îr iloes Udaîes îr in Naroyim ilyes shiranon Shirpayes, Lus îr Lus Comari'ye yalyon, yunar îr lyssanonor an nandior, Lus mina Thaun îr mina Yssaid anamay yannaer an aljaer îr dâr ayae Lus Ûdarames îr tas Ûdarames ty Comari'ye Relavendis an wandaer. Min Ladir îhiorael tha Usyes, min Shagor Yerbis îr Ysoi hjir Lus îr tas Usaes, alân îr afarinbe cir Tus mi nim Usoes Nandaes tînaljarir ûr Sithech mi gashat." Er hat den Blick nicht einen Moment von dem Sessairs gelöst, und das geflüsterte "Fior îhiorael it" seiner Kinder, dieses 'So sei es' dieses Mal nicht nur von Gildin sondern auch von seiner Tochter zu hören trifft ihn vollkommen unvorbereitet und lässt seinen Herzschlag stolpern.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Sessair Mondjäger am 13. Jan. 2007, 17:23 Uhr
Als Morgenstern den Kopf hebt, um Sessairs Blick zu erwidern, sind die so wandelbaren grünen Augen seines Truchsessen dunkel wie Waldmoos im Schatten hoher Bäume und bei allem Ernst für große Zeremonien merkwürdig weich. Sessair nickt sowohl Tianrivo, als auch seinen beiden Kindern kurz zu, dann erklingen die Worte des uralten und heiligen Eides und die versammelte Menge ringsum lauscht in feierlichem Schweigen. "I, Tianrivo Avidarlyr nim to Comari'ye Mitarlyr, adila mi îr ta minaes, min Comari'ye îr tas Comari'yes minyes Shonanames lâ Usa Yerillis îr shoshu Lus îr to Comari'ye Relavendis Tabanis, Lytâbimoe îr Shandu'Kitae..." Ich, Tianrivo Morgenstern aus dem Haus Mitarlyr, gebe mich und die meinen, mein Haus und die Häuser meiner Vasallen in Eure Obhut und gelobe Euch und dem Haus Relavendis Gehorsam, Gefolgschaft und Lehnstreue...
Als er endet, bekräftigen sowohl sein Sohn Gildin, als auch seine Tochter mit einem halblauten, aber deutlich vernehmbaren "So sei es", Tianrivos Worte und Sessair nickt ein weiteres Mal, doch diesmal wendet er sich in Gedanken an seinen Truchsess – allerdings so, dass nur er und niemand sonst etwas von ihrer lautlosen Unterredung mitbekommt. Überrascht dich das, Morgenstern? Mich nicht, ich habe mit nichts anderem gerechnet. Sie sind deine Kinder, sie sind ebenso pflichtbewusst wie du. Ich weiß, wie viel es dir bedeuten muss, Arwen endlich an deiner Seite zu haben, aber wir unterhalten uns besser in Ruhe, wenn das hier vorüber ist. Auch über Khelenar. Esst mit uns, wenn der Tag zu Ende geht.
"Shu're Tianrivo, ich nehme euren Eid an. Als Euer Herr will ich euch schützen und für Euch sorgen, Euch stets einen Platz in meiner Halle und an meiner Tafel geben, Euch mein Vertrauen schenken und Eure Schwerter in meinem Dienst in Ehren halten. Ich werde Gefolgschaft mit Achtung, Treue mit Liebe, Eidbruch mit Strafe und Verrat mit dem Tod vergelten. Erhebt euch."

Und ich möchte später unter vier Augen mit deiner Tochter sprechen, wenn dafür Zeit ist. Ein kaum merkliches Nicken ist Morgensterns einzige Antwort – da seine Enkeltochter ohnedies bei Nir'ialyra weilt, würden sie sich nach der Zeremonie gewiss noch sehen. Die Trommel rollt erneut  und die Mitarlyrs und ihre Vasallen erheben sich anmutig wieder auf die Füße, verneigen sich ein letztes Mal von der königlichen Familie und kehren dann auf ihre Plätze in der Halle zurück, um dem nächsten hohen Haus den Weg vor den Thron freizugeben. Diesmal wird das Haus Arien vor Sessair gerufen, geführt von So'Tar Blaufalke, dem Herrn über Suransarnis und die Ayre, Hüter des Sphinxentores und Wächter der Mondsichel... und mit ihm im Kreis seines Gefolges auch Khelenar als Führer des Hauses Lyr'Aris. Der Elb legt den Eid jedoch ohne zu zögern ab und kniet ebenso gehorsam und scheinbar aufrichtig vor dem König wie sein Lord und die übrigen Vasallen. Die formelle Zeremonie der Eiderneuerung dauert den ganzen Tag über an -  ein um das andere Mal erklingen die dumpfen Trommelschläge und die Hohen Häuser der Shida'ya versammeln sich der Reihe nach feierlich vor ihrem König, um ihre Treueschwüre an das Haus Relavendis zu sprechen und den Pakt zwischen ihnen und dem Königshaus damit ein weiteres Mal zu besiegeln. Die Sonne sinkt bereits im fernen Westen und das Licht unter den steinernen Bäumen wandelt sich zu orangerotem Glühen, bis das Haus Venyataîth unter Teachtár Drachenauge, dem Herr von Iriatamarun, als letztes von allen sein Gelöbnis ablegt und zurücktritt, und damit zumindest der offizielle Teil der Zeremonie ein Ende hat. Es dauert eine Weile, ehe der rituelle Ernst der vergangenen Stunden wieder einer gelösteren Stimmung weicht und sich die Menge zerstreut, um sich an der langen Festtafel am südlichen Ende der Asarid'Ashara Veaes zu bedienen, wo auf langen Tischen alles, was das Grüne Tal von Erryn an Köstlichkeiten zu bieten hat, für die Gäste des Königs bereit steht. Es gibt kein formelles Festessen, stattdessen nimmt sich jeder, wonach ihm der Sinn steht oder lässt es sich von den Pagen bringen und speist mit wem er möchte im weichen Gras unter dem Schatten der Baumkronen, in denen jetzt bei Einbruch der Nacht Hunderte silberner Laternen aufleuchten. Der Sommerabend ist warm, erfüllt vom Duft der Nachtblumen, die ihre Blüten öffnen und durchsummt vom schimmernden Tanz zahlloser Glühwürmchen. Im nördlichen Teil der Halle der Tausend Säulen, an jenem geheimnisvollen Ort, den selbst die Höchsten der Elben nur selten betreten, liegt die Lichtung, auf der Nir'ialyra Sonnenfeuers mächtiger Baum steht. Die hohen, knorrigen Wurzeln des Baumriesen senken sich strahlenförmig um seinen gewaltigen Stamm in den Boden, den dicke Moospolster und weiches Smaragdgras bedecken, seine Krone reicht vierzig Schritt hoch in den Himmel und überspannt ein weites Rund mit ihrem Schatten und sein Durchmesser beträgt sicherlich zwanzig Schritt. Nir'ialyra selbst thront auf einem verschlungenen Wurzelstrang gleich einem Hochsitz zwischen plätschernden Quellen, und um sie her spielen zwei Dutzend Kinder jeden Alters oder schlafen, erschöpft von dem langen Tag, auf samtweichen Fellen und Decken aus Spinnenseide.

Eine kleine Elbin mit dunklem Haar und grünen Augen hat sich allerdings direkt auf ihrem Schoß zusammengerollt wie ein Kätzchen im Nest und lauscht mit schon ganz schläfrig-glasigen Augen hingebungsvoll einer Geschichte, die ihr in lautlosen Gedanken erzählt wird...

... Ein Stamm wilder Bienen hatte sein Nest in einem ausgehöhlten Baumstamm. Ein alte Bär erfuhr davon, und auf seine Kraft bauend, kam er zu den Bienen und sprach: "Gebt mir eueren Honig ihr winzigen und schwächlichen Geschöpfchen, ansonsten reiße ich den Baum aus, fresse eueren Honig auf und zerdrücke euch alle."
"Einverstanden", sagten die Bienen, "versuch es nur, wir fürchten dich nicht! Überwältigst du uns, ergeben wir uns." Die Frechheit der Bienen erzürnte den alten Bären, also steckte er sogleich seinen Kopf in die Baumhöhle und streckte die Zunge nach dem Honig aus. Augenblicklich verspürte er jedoch einen solch rasenden Schmerz, dass er sogar seine ganze Bärenkraft vergaß. Die kleinen Bienen aber bearbeiteten mit ihren Stacheln seine Zunge, Nase und Ohren tausendfach, so dass er floh, ohne darauf zu achten, was die Bienen hinter ihm herriefen: "Denke von heute an immer daran, dass auch die kleinsten Geschöpfchen sich wohl zu verteidigen wissen."...


Die Familie des Königs, flankiert von ihren geschworenen Rittern, zieht sich auf die Lichtung zurück, um zwischen grünem Seidenfarn auf einem Lager aus Sitzkissen und Pelzen zu essen, doch Nir'ialyra hebt den Blick erst, als nach einer Weile auch Tianrivo mit seinen Kindern erscheint und sie neben dem jungen Gildin die Elbin entdeckt, auf deren Erscheinen sie eigentlich bereits seit dem letzten Trommelschlag gewartet hat – Arwen, auf der Suche nach dem Kind, das auf ihrem Schoss gerade traumverloren und mit halboffenem Mündchen endgültig in den Schlaf gleitet. Die Ritter der Königsgarde in ihren schneeweißen Überwürfen und Kettenhemden haben einen losen Kreis gezogen und schirmen damit die gesamte Lichtung ab, doch für den Truchsess und seine Familie öffnen sie nach kurzem, wortlosen Blicktausch zwischen Tinranurn und Sessair bereitwillig ihre Reihen – und während Tianrivo und sein Sohn sich zur königlichen Familie gesellen, um das Mahl mit ihnen zu teilen, fordert Nir'ialyra Morgensterns Tochter stumm auf, näher zu treten. Komm zu mir, Kind. Allein.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Arwen am 14. Jan. 2007, 09:42 Uhr
Es ist ein altvertrautes Gefühl, das Arwen beschleicht, als sie zusammen mit ihrem Vater und ihrem Bruder dem Ruf des Königs folgt und aus dem Schatten der Bäume hinaus auf die Lichtung und in den hellen Sonnenschein tritt: Scheu. Sie steht nur ungern derart im Blickpunkt des Interesses, selbst dann nicht, wenn das Interesse eigentlich einem Ritual wie der zeremoniellen Eiderneuerung gilt. Und so gerne sie sich auch umdrehen und in den grüngoldenen Halbschatten unter den Bäumen zurückkehren würde, sie tut es nicht. Es ist ihre Pflicht, an diesem Tag neben ihrem Vater zu stehen, und in ihrem Pflichtbewusstsein konnte Arwen gegen sich selber schon immer unerbittlich sein. Und so hält sie sich aufrecht und kniet mit ihrer Familie vor dem König nieder, so als sei es das selbstverständlichste auf Rohas weitem Rund, und als habe sie es schon unzählige Male getan - und nicht, als sei dies das erste Mal in ihrem langen Leben, dass sie an dieser Zeremonie teilnimmt und sich nicht in den Schutz des Tempels flüchtet. Was ihr auch dabei hilft, ihre Ruhe wiederzufinden ist das kurze Nicken Sessairs, der kurze Blick aus rein goldenen Augen, der sie an Niniane erinnert. Und auch wenn ihre Freundin viele Tausendschritt weit entfernt ist, liegt allein in dem Gedanken an die Waldläuferin etwas Beruhigendes. Die Stimme ihres Vaters, als der den Eid ablegt ruft Arwens wandernde Gedanken ins Hier und Jetzt zurück. Die Blicke von Tianrivo und Sessair ruhen ineinander, und hinter dem heiligen Ernst, der bei jedem Wort in der Stimme ihres Vaters liegt, kann Arwen eine Ahnung davon erhaschen, dass diese beiden Männer sich nicht nur als König und Truchsess gegenüber stehen. Von den stummen Gedanken, die zwischen ihrem Vater und dem König wandern, bemerkt Arwen nichts. Dafür macht sich jedoch ein Hauch Erleichterung in ihr breit, als der rollende Ruf der Trommeln erneut erklingt und das Haus Mitarlyr damit die Lichtung wieder verlässt und sich im Schatten des Baumes sammelt, der ihre Familientafel trägt.
Das Haus Arien wird als nächstes gerufen und mit ihm auch das Vasallenhaus der Lyr'Aris. Khelenar dort zu sehen, wie er äußerlich so treu und ergeben den Eid leistet, so vollkommen ruhig, als sei nicht geschehen, dreht Arwen regelrecht den Magen um. Einen klugen Mann hatte Hodor seinen Onkel einmal genannt. Damals hatte Arwen sich gefragt, ob er mit 'klug' weise gemeint hatte, oder gerissen. Wenn Arwen jemanden als wirklich weise bezeichnen würde, dann den altehrwürdigen Tanubâshor  aus dem Hause Venyataîth, vor dem selbst Könige und Hohepriester respektvoll das Haupt neigen. Mit Khelenar bringt sie nach allem was sie von ihm weiß immer nur Gerissenheit in Verbindung. Wieder rollt der Klang der Trommel durch den Herzhain, So'Tar Blaufalke und sein Gefolge ziehen sich zurück und machen Platz für das nächste der hohen Häuser. Und so geht es den ganzen Tag weiter. Wieder und wieder erklingt die Trommel, und die hohen Häuser folgen eines nach dem anderen dem rollenden Ruf. Schwerter werden zum Gruß erhoben, Knie gebeugt, Eide geleistet und erwidert. Das grüngoldene Schimmern unter den Bäumen weicht bereits dem feurig goldenen Glanz der sinkenden Sonne, als auch das letzte Haus seinen Eid geleistet hat, und sich der feierliche Ernst der über allen liegt langsam wie mit einem tiefen Ausatmen löst.

Auch Arwen atmet auf, als sich der zeremonielle Ernst legt und erste leise Stimmen und wisperndes Lachen zu hören sind. Nach und nach lösen sich einzelne Elben und Gruppen aus der Versammlung rund um die Lichtung und streben der Festtafel im Süden der Halle der Tausend Säulen zu. Aber Arwen steht der Sinn jetzt nicht nach Speisen und Getränken. Sie will jetzt zuerst und vor allem zu ihrer Tochter. Denn auch, wenn sie Rialinn in bester Obhut und am sichersten Ort der Elbenlande weiß, sie wird sich wohler fühlen, wenn sie wieder bei ihrer Tochter ist. Gerade will sie ihrem Vater sagen, dass sie zur Festtafel nachkommen wird, als der ihnen eröffnet, dass Sessair sie eingeladen habe, mit ihm und seiner Familie zu essen. "Und er möchte dich sprechen, Arwen, allein und unter vier Augen." Die Ehre, an diesem Tag an die Tafel des Hochkönigs geladen zu werden, ist Arwen wohl bewusst. Immerhin ist es bekannt, dass sie die königliche Familie nach der Zeremonie stets in die nördlichen Halle zurückzieht, um dort auf jener Lichtung zu essen, die vom Baum der Mutter der Erinnerungen beschirmt wird. Außerdem weiß sie, dass Rialinn dort auf sie wartet. Die Ankündigung allerdings, dass Tennro Sessair sie sprechen will, legt sich wie eine eisige Hand um ihren Magen und sie muss für einen Moment den Kopf senken, um sich wieder unter Kontrolle zu bekommen ehe sie ihrem Vater in die Augen sehen kann. "Es tut mir leid, Vater," bringt sie schließlich leise hervor, "dass ich mich vorhin mit Khelenar nicht besser unter Kontrolle hatte. Ich wollte dich nicht vor dem hohen König in Verlegenheit bringen." Es war nicht Deine Schuld, Arwen. Und Du hast mich nicht in Verlegenheit gebracht.

Der letzte Trommelschlag ist schon lange verklungen, als sie endlich aus den dunkelnden Schatten unter den Bäumen hervor treten und auf die Lichtung um Nir'ialyras Baum gelangen. Die Ritter der Sonnengarde in ihren weißen Überwürfen sind auch im Dämmerlicht deutlich zu erkennen und auf ein unausgesprochenes Signal hin öffnet sich ihre Reihe für Tianrivo und seine Kinder. Wenn es nach Arwen gegangen wäre, wären sie schon längst hier gewesen, doch sie sind immer wieder aufgehalten worden, weil jemand unbedingt kurz ein paar Worte mit Arwens Vater hatte wechseln wollen. Überall auf der Lichtung sind Kinder, einige ältere spielen haschen, andere liegen auf einer großen Decke und lauschen hingebungsvoll der Geschichte die eine der Zofen ihnen erzählt, und für die ganz kleinen ist im Schutz der mächtigen Wurzeln von Nir'ialyras Baum ein Nest aus Pelzen und Decken aus Seidenwolle hergerichtet worden, in dem sie süß und friedlich schlafen. Arwens Blick huscht umher und sucht Rialinn, deren dunkler Haarschopf hier unter all den blonden und silbernen Haaren deutlich auffallen müsste. Aber erst, als der Gedanke Nir'ialyras ihren Geist berührt, sieht sie ihre Tochter: Schlafend, im Schoß der Höchstgeehrten. Sie erntet irritierte Blicke von ihrem Vater und ihrem Bruder, als sie stehen bleibt und sich abwenden will, nachdem sie sich grüßend in Richtung des Königs und seiner Familie verneigt hat. "Ich komme nach, Vater. Aber zuerst bin ich zur Höchstgeehrten gerufen - Allein," setzt sie noch nach, als Gildin Anstalten macht, sie begleiten zu wollen.
Während Vater und Bruder sich also zur königlichen Familie begeben, die sich inmitten von Seidenfarn auf weichen Kissen und Pelzen niedergelassen hat, nähert Arwen sich dem mächtigen Baum, der alles überragt und der jener Elbin für die sich einer der Wurzelstränge zu einem thronartigen Hochsitz geformt hat, und in deren Schoß Arwens Tochter ruht. In einem Abstand von einigen Schritten bleibt Arwen schließlich stehen und kniet nieder. "Shadâna." Erhabene. Ein respektvolles Neigen des Kopfes begleitet Arwens Worte. "Ihr habt mich gerufen." Ihre Stimme ist ruhig, doch das Herz schlägt Arwen im Hals vor lauter Nervosität. Immerhin ist ihr nur zu bewusst, dass sie an diesem Morgen mit ihrer Unbeherrschtheit den heiligen Frieden des Narlalaith gestört hat. Und ihrer Tochter so nahe zu sein, ohne Rialinn sofort zu sich nehmen zu können, die süße Schwere des schlafenden Kindes im Arm zu halten, macht es ihr auch nicht gerade einfacher. Aber sie kann schwerlich einfach unaufgefordert an die Tochter des Schwertarchonen heran treten und der das Kind vom Schoß nehmen, ganz gleich, wie sehr es sie drängt genau das zu tun.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Sessair Mondjäger am 14. Jan. 2007, 13:40 Uhr
An Nir'ialyras Baum


Die alterslosen goldenen Augen Nir'ialyras ruhen eine Weile unverwandt und unergründlich auf dem Gesicht der Elbin, die vor ihm im weichen Gras kniet. Morgensterns Tochter ist hochgewachsen, doch nicht so groß wie ihr Vater oder Bruder. Ihr Haar ist schwarz, mehr als ungewöhnlich für eine Hochelbin und ihre Haut im Gegensatz zu der anderer Shida'ya sehr hell. >Shadâna. Ihr habt mich gerufen.<
"In der Tat. Steh auf und nimm deine Tochter an dich, sie wird schwer. Im Gegensatz zu dir isst sie genug. Und dann setz dich zu mir, Kind. Ich muss mit dir sprechen." Nir'ialyra wedelt mit ihren schlanken, langen Fingern und aus dem Nichts erscheint ein Kissen auf dem Wurzelstrang neben ihr. Ein weiteres Wedeln und ein geschwungenes Tablett aus lackiertem Kirschholz - darauf kandierte Früchte und Konfekt, sowie eine Karaffe Palmwein und zwei Becher -, schwebt gehorsam in der Luft. "Du bist geradezu mager. Wenn du weiterhin so wenig auf deinen Körper achtest, wird er es dir übel nehmen. Ich sehe, du bist eine Priesterin der Anukis und in dir schlummert einige Macht... roh und ungeschliffen, aber nichtsdestotrotz vorhanden. Eine Priesterin aber braucht all ihre Kraft, sie muss essen - also iss." Nir'ialyra selbst schenkt den Wein aus und reicht Arwen einen Becher. "Hier. Und nun werden wir uns unterhalten. Halt einen Moment still, Kind." Nir'ialyra streckt anmutig die linke Hand aus und berührt mit kühlen Fingerspitzen Arwens Stirn, wo das Zeichen Anukis augenblicklich grün und strahlend aufschimmert. "Wie ich es mir dachte. Du bist zu Höherem berufen, auch wenn du es selbst vielleicht noch nicht spürst. Der Ruf wird dich bald ereilen, es wäre besser, du würdest ihn erwarten.

In diesen Tagen sind einige Hohepriester aus Tianmen in der Stadt um mit den Zwölf Weisen zu beraten... ein Haufen alter Männer, der schrecklich lange braucht, um Entscheidungen zu treffen, aber das wird sie auch noch eine Weile hier fest halten. Ich denke vier Siebentage der Vorbereitung sollten dir genügen... wenn du Mut hast und nicht verzagst. Such im Haus deiner Göttin nach Rynthuador aus dem Haus Nevisvirin. Er ist Hoherpriester der Anukis und kann dir die Prüfungen von Herz, Hand und Geist abnehmen. Aber..." eine von Nir'ialyras feingeschwungenen Brauen hebt sich vielsagend. "Das erste, was eine angehende Hohepriesterin lernen sollte, ist Beherrschung. Wenn der Bär jedes Wiesel, das ihn von der Seite anfaucht, mit Brüllen und Pranken in die Flucht schlüge, wäre er bald heiser und müde. Abgesehen davon, dass man es im Wald vor lauter Lärm nicht mehr aushielte." Nir'ialyra legt den Kopf leicht schräg, als lausche sie auf etwas, das nur sie hören kann und nickt dann langsam. Sie nippt ein weiteres Mal von ihrem Wein, knabbert gedankenverloren an einem Stück Mandelkonfekt und kräuselt entschlossen und schicksalsergeben zugleich die zierliche Nase. "So, da das nun geklärt wäre...  was ich nun tun werde entspricht nicht unbedingt den Geboten der Höflichkeit, aber ich werde dennoch fragen und ich hoffe, von dir ehrliche Antworten zu bekommen. Falls Niniane dich jedoch gebeten hat, zu schweigen, dann..." sie zuckt leicht mit den Schultern, eine merkwürdig hilflose Geste für ein derart mächtiges Wesen, dann strafft die uralte Elbin sich. "Was ich wissen muss... wie geht es ihr? Ist sie wohlauf? Und die Kinder? Alles, was ich weiß, ist dass sie eine Tochter und einen Sohn geboren hat, ich kenne noch nicht einmal ihre Namen. Und dieser Mensch, mit dem sie vermählt ist... was weißt du über ihn?"

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Arwen am 15. Jan. 2007, 21:39 Uhr
Arwen fühlt das goldene Paar Augen auf sich ruhen, fast wie eine körperliche Berührung. Ein kaum hörbares, erleichtertes Aufatmen entkommt ihr, als ihr die Erlaubnis erteilt wird, sich zu erheben und näher zu treten und - vor allem - Rialinn zu sich zu nehmen. Falls sie sich die Frage gestellt haben sollte, wo sie sich setzen soll, hat sich diese mit einer knappen Geste Nir'ialyras erledigt, mit der ein Kissen auf dem Wurzelstrang neben der Elbin erscheint. Behutsam schiebt Arwen ihre Hände unter den Körper ihres Kindes und nimmt es in ihre Arme. Rialinn driftet am Rande des Erwachens entlang, öffnet die Augen ein wenig, schenkt Arwen ein strahlend genuscheltes "Eama!", seufzt wie ein durchlöcherter Blasebalg und lässt ihren Kopf mit der Wucht eines landenden Katapult-Steins gegen Arwens Schulter sinken. Einen Moment lang scheint sie sich noch einmal aufrichten zu wollen, doch dann streckt sie den Daumen in den Mund und ergibt sich jenem knochenlosen Zustand, der nur bei schlafenden Kindern vorkommt. Ihre Haut scheint seelenruhig mit der Arwens zu verschmelzen, das kindliche Vertrauen so unendlich zu sein, dass es nicht notwendig ist, die Grenzen ihres eigenen Körpers aufrecht zu erhalten - Mama würde das für sie beide tun.

Den Tadel der Ältesten bezüglich ihrer zu mageren Figur nimmt Arwen wortlos hin; es ist nicht das erste Mal und würde vermutlich auch nicht das letzte Mal sein, dass sie ermahnt wird, mehr zu essen. Sie weiß es ja selber, aber wie soll sie erklären, dass sie selbst dann, wenn sie darauf achtet, dass ihre Tochter oft genug etwas zu essen bekommt, dabei genau so oft vergisst, selber auch etwas zu essen. Dafür hat sie keine Erklärung, und vermutlich gibt es auch keine. Nach dem langen Tag in der Asarid'Ashara Veaes hat sie zwar vor allem Durst, aber auch gegen etwas zu essen hätte sie nichts einzuwenden. Für einen kurzen Moment beneidet Arwen ihren Bruder, der bereits mit ihrem Vater bei Tennro Sessair und dessen Familie sitzt und dort am Festmahl teilnimmt. Insofern ist sie fast schon erleichtert, als ihr ein Becher mit kühlem Palmwein in die Hand gedrückt und sie aufgefordert wird, sich von den kandierten Früchten und dem Konfekt auf dem schwebenden Tablett zu bedienen. Arwen hat sich gerade ein kandiertes Stück Didân genommen (für das bittersüße und leuchtend gelbe Fruchtfleisch dieser Orangenverwandten hatte sie schon immer eine Schwäche), als kühle Fingerspitzen ihre Stirn berühren und das Siegel Anukis' aufschimmern lassen. Ein prickelndes Gefühl begleitet diese Berührung, ganz ähnlich, wie wenn Niniane sie berührt hatte, als sie Arwen bei sich im Baum nach Wegesend gepflegt hatte. Ein Gefühl, dass Arwen anfangs irritiert hatte, bis ihr bewusst geworden war, dass es anscheinend das Zusammentreffen der Auras zweier Elben ist, deren Magie von den Göttern stammt. Nicht, dass sie je auf die Idee käme, sich mit den Ayareslinnes, den Götterkindern auf eine Stufe zu stellen, aber die Magie aller Priester ähnelt sich von ihrer Natur her, hat sie doch ihren Ursprung immer in der Macht der Zwölf.
Die folgenden Worte lassen Arwen regelrecht zusammenzucken, und nur der Becher mit Wein in ihrer Hand verhindert, dass sie Nir'ialyra das Wort unhöflich mit einer heftigen Handbewegung abschneidet. Zu Höherem berufen? Ich? Sie schweigt, hört der Elbin zu und nimmt sich eine mit Pistazien gefüllte Dattel. Mit vollem Mund kann sie wenigstens nicht widersprechen, nicht einmal aus Versehen. "Zur Hohepriesterin berufen? Ich?", entfährt es ihr dann doch, als Nir'ialyra geendet hat. "Verzeiht mir, Shadâna. Aber ich... ich wäre einer solchen Berufung nicht würdig. Ich… ich habe einen Priester getötet! Es war nicht meine Absicht, aber das ändert nicht das Geringste daran, dass ich es war, die Yssama'ria den Tod brachte." Die Erinnerung an jenen Moment voller Angst, Schuld und Panik schnürt ihr die Worte ebenso ab, wie die Erkenntnis, dass es ziemlich vermessen ist, den Ratschluss der Götter anzuzweifeln. Und nichts anderes täte sie, würde sie eine solche Berufung zurückweisen. Oder hat sie selber genau diesen Ruf der Götter längst gespürt? Ist das der Grund, warum sie auf sich selber so wenig Rücksicht nimmt? Um ihrem Körper die Kraft vorzuenthalten, die sie brauchen würde, wenn sie die Prüfungen von Herz, Hand und Geist ablegen wollte? Nicht bewusst, aber unbewusst, weil sie die Macht scheut, die ihr anvertraut würde? Aus einem Impuls heraus schiebt sie alle Gedanken und Zweifel rigoros zur Seite. Nur ihr Glaube an den Ratschluss der Götter, der Glaube daran, dass nichts auf Roha je ohne Grund geschieht hatte sie all die Jahre mit dem Fluch leben lassen, hatte ihr die Kraft zum Überleben und zum Weitermachen gegeben. Und diesen Glauben würde sie nicht jetzt anzuzweifeln beginnen. "Rynthuador aus dem Haus Nevisvirin… Ich werde ihn aufsuchen." Vier Siebentage zur Vorbereitung auf die Prüfung… das wird die Heimkehr nach Talyra wenigstens bis in den Herbst verzögern. Soraya wird - Die leise Stimme der Ältesten fordert Arwens ungeteilte Aufmerksamkeit und ruft die wandernden Gedanken zurück in die Gegenwart. Bär und Wiesel. Arwen verbirgt ein Schmunzeln, in dem sie schnell einen Schluck Wein aus ihrem Becher nimmt. Khelenar mit einem Wiesel zu vergleichen scheint ihr höchst passend. Nur sich selber würde sie nie mit einem Bären vergleichen. Und ganz abgesehen davon ist Arwen sehr wohl bewusst, dass sich hinter dieser Geschichte ein höflicher verhüllter Tadel für ihre Unbeherrschtheit vor den Toren der Halle der Tausend Säulen verbirgt. "Nadio ano Lanossaiur," bittet sie leise um Verzeihung.

Die Ankündigung Nir'ialyras, dass sie die Gebote der Höflichkeit nun außer Acht lassen werde, lässt Arwen die Elbin höchst aufmerksam mustern. Was kommt jetzt? >Was ich nun tun werde entspricht nicht unbedingt den Geboten der Höflichkeit, aber ich werde dennoch fragen und ich hoffe, von dir ehrliche Antworten zu bekommen. Falls Niniane dich jedoch gebeten hat, zu schweigen, dann… Was ich wissen muss... wie geht es ihr? Ist sie wohlauf? Und die Kinder? Alles, was ich weiß, ist dass sie eine Tochter und einen Sohn geboren hat, ich kenne noch nicht einmal ihre Namen. Und dieser Mensch, mit dem sie vermählt ist... was weißt du über ihn?<
Für einen Moment stutzt Arwen, mit diesen Fragen hat sie nicht gerechnet, also zumindest nicht hier und heute. Aber andererseits, wann, wenn nicht heute? Immerhin hält Arwen sich ansonsten nicht im Valonva Shaer auf, und sie deshalb extra zu sich rufen lassen, würde Ninianes Mutter vermutlich nicht tun. Aber nicht ohne Grund hatte Arwen vor ihrer Abreise, bei ihrer Verabschiedung von Niniane ihre Freundin gefragt, ob und was sie im Falle solcher Fragen antworten kann und darf. Immerhin geht es hier um Ninianes Leben, und es ist deren Entscheidung, wieviel sie davon Preis geben will, auch gegenüber ihrer Familie. "Nein, Niniane hat mich nicht gebeten zu schweigen. Ich habe sie gefragt, ehe ich aufgebrochen bin. Es geht ihr gut, zumindest soweit ich das weiß. Als ich aufgebrochen bin, war sie wohlauf, genau wie ihre Kinder. Das Mädchen, die Erstgeborene, heißt Shaerela, und der Sohn Leir. Sie haben beide die goldenen Augen aller Nachkommen von Faenrîl Thaylon… und die rabenschwarzen Haare ihres Vaters." Behutsam hebt sie Rialinn etwas hoch und bettet den kleinen Kopf in ihrer Armbeuge um, damit er ihr das Blut im Arm nicht abdrückt, der schon empfindlich zu kribbeln beginnt. "Sein Name ist Cron von Tronje." Für einen Augenblick lässt Arwen die Schranken sinken, die sie wie alle Angehörigen ihres Volkes zum Schutz um ihren Geist gelegt hat, und erlaubt Nir'ialyra so einen Blick auf die Bilder in Arwens Erinnerung. Bilder von Niniane, Cron und den beiden Kindern, so wie sie sie bei ihrem Abschied gesehen hatte. Und dann beginnt sie leise zu erzählen, was sie von und über Cron weiß. Erzählt der Ältesten ebenso von Serershen So’tar wie von dem was Cron zusammen mit Niniane und anderen Freunden in Wegesend gewagt hat, erspart ihr auch nicht das wenige, was Niniane ihr über die Reise zu den Ruinen von Sauloth und die Vernichtung Jeliels erzählt hatte und wie Cron es gewesen war, der Niniane mehr tot als lebendig zurückgebracht hatte zu ihrem Baum am Ufer des Ildorel. Und sie erzählt von dem Kampf gegen den Dämon in Talyra im vergangenen Jahr, wie es Niniane und ihr ungeborenes Kind beinahe das Leben gekostet hatte. Nur die Tatsache, um wen es sich bei dem Dämon gehandelt hat, einen halbdämonischen Sohn Mordren Faêrladirs, und dass Niniane ihn nicht vernichtet, sondern das dämonische Erbe ausgetrieben hatte, das verschweigt Arwen. Insofern kommt sie der Aufforderung nach ehrlichen Antworten nicht nach, sondern macht sich der Unaufrichtigkeit durch Weglassung schuldig gemacht.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Sessair Mondjäger am 26. Jan. 2007, 09:02 Uhr
Wie erwartet reagiert Morgensterns Tochter auf die Eröffnung, sie sei zu Höherem berufen zunächst erst einmal mit Unglauben und Abwehr. >Verzeiht mir, Shadâna. Aber ich... ich wäre einer solchen Berufung nicht würdig. Ich… ich habe einen Priester getötet! Es war nicht meine Absicht, aber das ändert nicht das Geringste daran, dass ich es war, die Yssama'ria den Tod brachte.
"Eure Bescheidenheit ehrt Euch, Arwen, aber sie ist nicht angebracht. Ich irre mich in dieser Hinsicht niemals," erwidert Nir'ialyra vollkommen ungerührt. Dann allerdings nickt sie bedächtig. "Dass Ihr Yssama'ria getötet habt ist so wahr wie bedauerlich – doch ich an Eurer Stelle würde mir deswegen keine Vorwürfe machen. Ihr habt Euch nichts vorzuwerfen. Yssama'ria hat sein eigenes Unglück heraufbeschworen, als er Euch damals in seine Obhut nahm. Denn im Gegensatz zu Euch wusste er sehr wohl, dass er den Auswirkungen Eures Fluches nicht gewachsen war. Er hätte es besser wissen und Euch an einen sicheren Ort bringen oder dafür sorgen müssen, dass Ihr mächtigeren Schutz als seinen erhaltet. Meiner Meinung nach war dieser Leichtsinn von ihm geradezu sträflich. Ihr wart mit dem Fluch eines Erzdämonen belastet, Arwen. Und das wäre selbst für eine sehr viel mächtigere Priesterin als Euch schon sehr schwierig gewesen. Es ist das reinste Wunder, dass Ihr all die Jahre überlebt habt, ohne Euch oder anderen noch mehr Schaden zuzufügen und glaubt mir, Kind, Ihr seid hier das Opfer, nicht die Schuldige. Aber genug davon. Hört in Euer Inneres und entscheidet Euch."
Einen Moment schweigt Arwen und geht in sich... und ihre nächste Antwort, lässt Nir'ialyra zufrieden lächeln – auch wenn das noch nicht heißt, dass sie sich der Herausforderung, den Weg einer Hohepriesterin zu gehen, auch stellen würde, es ist ein Anfang. >Rynthuador aus dem Haus Nevisvirin… Ich werde ihn aufsuchen.<

"Sehr gut." Nir'ialyra sagt nicht, Arwen werde es nicht bereuen, denn das wird die junge Elbin ganz sicher noch, wie jeder, der diesen langen und leidvollen Weg auf sich nimmt. Viele sehen nur die Macht des Hochpriestertums, aber alles hat eine Kehrseite. Die langen Studien, die kräftezehrende Magie, all das Blut und den Schweiß und die strenge Selbstdisziplin, die es kostete, sich in die höchsten Mysterien einzuweihen, sehen andere nur selten. Dann stellt die uralte Archonentochter Arwen Liasiranis die Flut sehr viel persönlicherer Fragen über ihr einziges Kind, das so weit entfernt von ihr und der königlichen Familie in der Fremde und unter den Sterblichen lebt... und es verwundert Nir'ialyra ein wenig, dass Niniane Morgensterns Tochter erlaubt hat, so freimütig von ihr zu erzählen. Nach all dem, was zwischen ihnen vorgefallen war, hätte sie eher gedacht, ihre Tochter würde ihr jeden Anteil an ihrem Leben absprechen... nun genau genommen hatte sie das bisher auch stets getan und seit jener leidigen Geschichte nie wieder ein Wort mit ihr gewechselt. Es ist schmachvoll, ihre Freunde über sie aushorchen zu müssen, aber es ist besser, als gar nichts über sie zu erfahren... und gegen alle magischen Mittel Nir'ialyras, irgendetwas in Erfahrung zu bringen, hatte Niniane sich wohl gewappnet. >Nein, Niniane hat mich nicht gebeten zu schweigen. Ich habe sie gefragt, ehe ich aufgebrochen bin. Es geht ihr gut, zumindest soweit ich das weiß. Als ich aufgebrochen bin, war sie wohlauf, genau wie ihre Kinder.< Nir'ialyra nickt und ihre goldenen Augen ruhen eindringlich auf Arwens Gesicht. >Das Mädchen, die Erstgeborene, heißt Shaerela, und der Sohn Leir.<
"Shaerela und Leir," wiederholt Thaylons Tochter flüsternd und ihre Goldaugen schimmern verdächtig dunkel und blank. "Ihr könnt nicht wissen, wie viel mir das bedeutet. Mina Caris, Arwen."
>Sie haben beide die goldenen Augen aller Nachkommen von Faenrîl Thaylon… und die rabenschwarzen Haare ihres Vaters. Sein Name ist Cron von Tronje.<

Dafür, dass Nir'ialyra aus dem Haus der Tanzenden Winde, einziger Tochter und einzigem noch lebendes Kind des Schwertarchonen, die Tatsache, dass ihre Tochter nicht nur einen Sterblichen, sondern einen Nordmann geheiratet hat, bisher nicht bekannt war, hat sie ihre Gesichtszüge bemerkenswert gut in der Gewalt. Sie blinzelt einmal wie eine große Eule, ansonsten verzieht sie keine Miene. Ihr erster – und extrem trockener – Gedanke ist der, dass sie jetzt auch weiß, warum Niniane Arwen nicht gebeten hat, über ihr Leben zu schweigen. Sie wusste genau, dass ich fragen würde und sie wollte, dass ich es auf diese Weise erfahre...
Sie spürt, was Arwen tut, braucht aber noch einen Augenblick, ehe sie sich wieder gut genug in der Gewalt hat und schenkt der Elbin neben sich ein fahriges Lächeln. "Nein, Kind. Es ehrt mich sehr, dass du mir erlauben willst, einen Blick in deinen Geist zu werfen, aber das kann ich dir nicht antun. Die Berührung eines Ayareslinnes ist nicht wie die anderer Elben, Arwen. Ich würde unweigerlich mehr sehen, als du mir eigentlich zu sehen erlauben wolltest und mehr als mich etwas angeht. Aber ich danke dir dennoch für das großzügige Angebot. Wenn du mir etwas über... Cron erzählen möchtest, musst du es mit Worten tun."
Arwen nickt verstehend und kommt ihrer Bitte nach. Sie zeichnet mit ihren Worten das Bild eines Mannes, der offenbar sehr genau weiß, was er will... eines aufrechten, tapferen, verlässlichen Mannes... und vor allem eines gefährlichen Mannes. Nir'ialyra weiß, dass er stark sein muss, sowohl innerlich, als auch äußerlich, sonst hätte er niemals so lange an der Seite ihrer Tochter bestanden... oder überlebt. Zwei Kinder in so kurzer Zeit... Nachfahren Thaylons. In zehn Jahren könnte sie ein halbes Dutzend haben und keines wird... einerlei.

"Ich danke dir für deine Worte, Kind, und dafür, dass du einer alten Frau ein wenig Trost gebracht hast. Und nun geh zu deinem Vater und deinem Bruder. Der ewig besorgte Gildin glaubt vermutlich schon, ich würde dich für immer hier festhalten. Außerdem knurrt dein Magen, ich kann es hören. Und vergiss nicht, was ich dir gesagt habe." Sie hat zweifellos vieles von Bedeutung gesagt und Arwens leicht fragender Blick verrät ihre Unsicherheit, was genau sie von all dem nicht vergessen solle, so dass Nir'ialyra leicht lächelt und dann verkündet. "Du musst mehr essen."

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Arwen am 28. Jan. 2007, 22:16 Uhr
>Ich irre mich in dieser Hinsicht niemals.< Die Ungerührtheit, mit der Nir'ialyra Arwens Bedenken bezüglich der Berufung zu höheren Weihen beiseite wischt, hat etwas von der Endgültigkeit eines Urteilsspruches. Und so ähnlich kommt es Arwen auch vor, so als habe die Archonentochter so eben das Urteil über sie, ihr Leben und ihre Zukunft gesprochen - und kein besonders günstiges obendrein. Bei den Ausführungen der Ältesten über Yssama'ria und dessen Tod senkt Arwen den Blick auf den Saum von Rialinns Kleid, so als wären dort die Antworten auf die Rätsel Rohas verborgen. Von dieser Warte hat sie die Ereignisse nie betrachtet, und ganz gleich, was die Tochter von Goldauge Thaylon ihr auch sagt, sie fühlt sich nicht als Opfer, zumindest nicht was den Tod ihres Lehrers angeht. Der Fluch, das ist eine ganz andere Sache, zumindest in Arwens Augen. Mag ja sein, dass ich in euren Augen nicht schuldig bin, aber das ändert nichts daran, dass ich mich schuldig fühle.

Die Antwort Nir'ialyras auf Arwens Erklärung, sie werde den Hohepriester Anukis' aufsuchen, wird zwar von einem Lächeln begleitet, aber sie ist auch knapp. Sehr knapp. Kein 'Du wirst die Entscheidung nicht bereuen'. Keine hohlen Versprechen wie 'Alles wird sich zum Guten wenden'. Keine leeren Phrasen wie 'Der Weg ist steinig, aber auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden kann man eine Brücke bauen'. Von all dem hat Arwen ihren Lebtag genug gehört, und Nir'ialyra ist auch nicht die Elbin, die derart leere Phrasen drischt. Ganz abgesehen davon, dass Arwen sehr wohl weiß, dass der Weg einer Hohepriesterin alles andere als einfach ist. Die Macht die diese Berufung mit sich bringt, hat sie nie angestrebt - genau genommen hat sie nie überhaupt irgendwelche Macht gleich welcher Art angestrebt - , sie sieht vor allem die immense Verantwortung die das mit sich bringt. Und stellt sich dir Frage, ob sie dem gerecht werden kann. Die Studien der hohen Lehren und der Mysterien die erforderliche eiserne Selbstdisziplin. Nun, gelernt und studiert hat sie seit sie sich erinnern kann, immer waren Lehrer um sie gewesen, und eiserne Disziplin was solche Dinge angeht war ihr schon in ihrer Jugend zur zweiten Natur geworden. Im Allgemeinen hat sie sich auch gut unter Kontrolle. So lange ich nicht auch Khelenar treffe, muss sie sich selber eingestehen. Daran würde sie also noch arbeiten müssen. Und sie weiß, dass Blut und Schweiß nur der geringste Teil des Preises sind, den Hohepriesterinnen für die ihnen anvertraute Macht bezahlen. Niniane taucht vor ihrem inneren Auge auf, damals, auf dem Weg nach Liedberg, mitten im Wald, als sie Arwen während eines Ausbruchs des Fluches mit einer Kugel aus blassgoldenem Sonnendunst abgeschirmt und geschützte hatte, das Blut, dass der Halbelbin aus der Nase lief, und deren Worte ' Alles hat seinen Preis'. Ja, alles hat seinen Preis. Manchmal den höchsten… Gedankenverloren ruht ihr Blick auf dem Gesicht ihrer Tochter, als sie eine widerspenstige Locke zurückstreicht, die sich aus dem Zopf gelöst hat. Bei Rialinns Geburt wäre sie ohne zu zögern bereit gewesen, ihr Leben für das ihrer Tochter zu geben. Und als der Dämon über Talyra gekommen war, hatte sie nicht gezögert, sich dem mit ihren Freunden zu stellen. Eade, der junge Amurpriester hatte den höchsten Preis gezahlt, und Morgana und Niniane hatten auch keinen geringen Preis gezahlt. Und ich habe mich von einem Shebaruc-Mischling der mir noch nicht einmal bis an die Schulter reicht niederschlagen lassen. Auch wenn Arwens Reaktion auf die Eröffnung, dass sie zur Hohepriesterin berufen sei zögerlich wirkt, ganz tief in ihrem Herzen weiß sie, dass sie sich dem Ruf nicht verweigern wird, sich nicht verweigern könnte, ganz gleich, wie beschwerlich der Weg sein wird.

Während sie der Ältesten und Höchstgeehrten von Niniane, Cron und den Kindern erzählt, hört die alte Elbin ihr schweigend zu, unterbricht sie kein einziges Mal. Und nur daran, dass sich die goldenen Augen verdunkeln und verdächtig blank schimmern, als sie ihr die Namen der Kinder nennt, kann Arwen erahnen, was in der Mutter der Erinnerung vorgehen muss. Sie kennt deren Tochter jetzt lange genug, um an solchen Veränderungen der goldenen Augen wenigstens ansatzweise die Stimmungen erahnen zu können. >Ich danke dir für deine Worte, Kind, und dafür, dass du einer alten Frau ein wenig Trost gebracht hast.< Ein wenig beschämt neigt Arwen kurz den Kopf vor der Ältesten, sieht ihr aber bei den nächsten Worten offen ins Gesicht. >Und nun geh zu deinem Vater und deinem Bruder. Der ewig besorgte Gildin glaubt vermutlich schon, ich würde dich für immer hier festhalten.< "Oh, mein Bruder ist nicht ewig besorgt. Aber er tut sich nicht leicht damit, in mir nicht mehr das kleine hilflose Mädchen zu sehen." Es liegt kein Vorwurf in Arwens Stimme, als sie das sagt, bloß zärtliche Zuneigung für ihren Bruder.Außerdem kann er damit deutlich besser umgehen als mein Vater. Die nächsten Worte verwirren sie dann allerdings ein wenig. >Und vergiss nicht, was ich dir gesagt habe.< Nir'ialyra hat so einiges von Bedeutung gesagt seit Arwen bei ihr sitzt. Die Verwirrung entgeht dann der alten Elbin anscheinend auch nicht, denn mit einem fast schon schmunzelnden Lächeln setzte sie erklärend nach >Du musst mehr essen.< Jetzt muss auch Arwen lächeln. "Ich werde es nicht vergessen, Shadâna." Und all das andere was Ihr gesagt habt auch nicht. Die Verneigung zum Abschied fällt etwas knapp aus, ist deswegen aber nicht weniger respektvoll. Mit einem schlafenden Kind im Arm das man nicht wecken will, ist es aber schwerlich anders möglich.

Wirklich weit ist es nicht hin zu ihrer Familie und der des Hohen Königs, die sich inmitten von Kissen, Decken und Pelzen niedergelassen und bereits dem Essen zugewendet haben. Trotzdem reicht die Zeit, die Arwen für den Weg über die Lichtung braucht, um ihre durcheinander purzelnden Gedanken wenigstens einigermaßen zu sortieren. Nir'ialyras Eröffnungen haben eine ganze Lawine an Fragen, Sorgen und Zweifeln losgetreten, die sich nur langsam stoppen lässt, denn jede Antwort die sie zu finden glaubt, zieht wenigstens zwei neue Fragen nach sich. Die kleine Senaisu kräht etwas, das Arwen nicht ganz versteht, aber das Kind erntet dafür ein fröhliches Lachen von allen Anwesenden. In einem guten Dutzend Schritt Entfernung von der Gruppe bleibt Arwen stehen und lässt das Bild auch sich wirken, das sich ihr bietet. Ich kann mich nicht erinnern, dass jemand mit mir so gelacht hat, als ich so klein war… Fast ein wenig wehmütig muss sie sich eingestehen, wie sehr sie solch unbeschwerte Fröhlichkeit in ihrem Leben vermisst. Und ob sich solche Unbeschwertheit mit den Aufgaben und Pflichten würden vereinbaren lassen, die noch vor ihr liegen, wagt sie in diesem Moment entschieden zu bezweifeln. Egal, es wird sich alles finden, so oder so. Auf ihre Tochter zumindest scheint das Lachen wie ein Weckruf zu wirken, denn Rialinn kehrt aus den Tiefen der Trance zurück in die wache Welt und strahl ihre Mutter putzmunter an. "Selber laufen," begehrt sie vom Arm gelassen zu werden. Und kaum festen Boden unter den kleinen Füßen, läuft das Kind schnurstracks auf die kleine Gruppe zu, strahlt kurz Gildin an, um sich dann mit einem leisen Plumpsen und derselben Unbefangenheit die sie im Schoß Nir'ialyras schlafen ließ neben die Tochter Sessairs zu setzen. Arwen selber nähert sich deutlich langsamer, und kann nicht umhin, die letzten Worte ihres Vaters zu hören, der dem König anscheinend gerade darlegt, wie Arwen den Ambitionen Khelenars einen Riegel vorschieben will. "Da zerbreche ich mir wochenlang den Kopf auf der Suche nach einer Lösung, und dann das. In den letzten tagen drängt sich mir immer öfter der Gedanke auf, dass meine Kinder, klüger sind als ich. Vielleicht sollte ich euch meinen Rücktritt anbieten, Sessair, und Platz für die nächste Generation der Sternenadler machen, Ich könnte mich dann zurücklehnen und voller stolz zusehen, wie meine Kinder ihre Sache besser machen als ich."  Die Worte, mit denen er seine Erläuterungen abschließt, hätten Arwen unter anderen Umständen stolz über das darin enthaltene Lob gemacht, doch heute hört sie darin vor allem seine Hoffnung und Erwartung, dass sie hier bei ihm in Lomirion bleibt. Also hat Gildin noch immer nicht mit ihm darüber gesprochen, dass ich nach Talyra zurückkehren werde. seufzt sie innerlich, während das Lächeln in ihrem Gesicht die Augen verlässt und zur Maske wird.

"Copria." Mit einer Verneigung vor dem Königspaar tritt sie schließlich den letzten Schritt heran und lässt sich auf dem freien Kissen neben ihrem Bruder nieder. Kurz huscht ihr Blick zum König, der ihrem Vater gegenübersitzt und versucht fast reflexhaft darin zu erkennen, ob er ähnliche Erwartungen hegt - so unsinnig ein solches Unterfangen auch ist, denn die goldenen Augen lassen genauso viel (oder wenig) erkennen wie die Ninianes oder Nir'ialyras. Was würde ich tun, wenn der König genau das von mir verlangen würde, dass ich hier in Lomirion bleibe und den Platz als Hohe Herrin des Hauses Mitarlyr einnehme? drängt sich ihr die Frage auf. Ohne zu wissen woher, ist aber fast gleichzeitig die Gewissheit da, dass der König genau das nicht von ihr verlangen würde. Er ist ein Hohepriester Shenrahs, weiß er, was die Älteste weiß? Weiß er um den Ruf der mich erwartet ebenso wie sie? Spielt es eine Rolle, ob er es weiß? Kurz spielt sie mit dem Gedanken, ihren Vater zu fragen, was ihn so sicher macht, das sie in seinem Haus bleiben würde und sich nicht ganz in den Tempel Anukis' gehen werde, doch dann behält sie diese Worte für sich. Sie hat ihren Vater heute schon mehr als genug vor seinem König in Verlegenheit gebracht, sie muss das nicht hier beim Essen fortsetzen. Aber sie würde mit ihm darüber reden müssen, und das bald. Während sie die Schließe ihres Mantels löst und ihn einfach von den Schultern und auf das Kissen hinter sich gleiten lässt, reicht Gildin ihr einen Kelch mit Persemonenwein, den sie zwra annimmt, dann aber vor sich auf den Boden stellt. "Danke, aber ich sollte davon nichts nehmen. Ich hatte eben schon Palmwein, und wenn ich noch mehr Wein trinke, ehe ich etwas esse, dann bin ich betrunken, ehe ich den zweiten Schluck getan habe."

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Sessair Mondjäger am 18. Feb. 2007, 17:17 Uhr
"Ah, nein." Sessair lehnt mit dem Rücken an einer Baumwurzel, seine Frau zu seiner Linken und seine Tochter vor sich, die gerade mit beiden Händen kleine Melonenstückchen in sich hineinstopft, und beobachtet, wie sein Sohn Seranor mit seinem Munddolch ein Stück geräucherten Fisch zerlegt... umsichtig, planvoll und zielstrebig, wie alles, was der Junge tut. "Die Fähigkeiten Eurer Kinder in Ehren, aber auf Euch als Truchsess kann ich nicht verzichten. Tut mir leid, Morgenstern, aber ich sehe Euren Ruhestand noch nicht einmal fern am Horizont auftauchen," erwidert er geduldig, nur seine Miene bleibt unbewegt. Dann allerdings, als Morgensterns Enkeltochter auf ihren kleinen Kinderbeinen zu ihnen stapft und sich neben Senai'su auf die Decke plumpsen lässt, und auch Arwen sich mit einem leisen >Copria< zu ihnen gesellt, geistert doch ein vages Lächeln über das Gesicht des Hochkönigs. "Eure Tochter scheint mir allerdings eine bessere Schachspielerin als ihr... immer bereit, sich nach allen Seiten hin abzusichern. Ihr solltet das vielleicht beherzigen, wenn wir wieder einmal die Muße für eine Partie finden. Willkommen zurück in Erryn, Lady Arwen." Senai'su und Rialinn teilen sich inzwischen in friedlicher Eintracht Honigmelone und füttern selbstlos auch die erreichbare Umgebung mit matschigen Stücken, einschließlich Ryas und ihm selbst. Gildin reicht seiner Schwester einen Kelch Wein, den sie zwar annimmt, dann jedoch beiseite stellt und verkündet, sie habe eben schon Palmwein getrunken, noch mehr Alkohol verkrafte sie wohl nicht, ohne vorher etwas zu essen. Aryasaíris, die Arwens Worte gehört hat, lädt sie mit einer lächelnden Geste ein, sich einfach von den buntgemischten Tabletts aus lackiertem Holz zu bedienen, die zwischen allen auf der weichen Decke bereit stehen, und kümmert sich dann mit einem feuchten Tuch darum, dass die beiden Mädchen sich nicht noch mehr klebrigen Melonensaft in die Haare schmieren, als ohnehin schon. Eine ganze Weile sind sie alle mit Essen beschäftigt und tauschen die Neuigkeiten aus, die die vergangenen Stunden gebracht hatten.

Arwen bleibt dabei meist still, doch sie verfolgt aufmerksam die Gespräche, die zwar oft genug in politische Details abschweifen, jedoch ebenso von der langjährigen Freundschaft Sessairs zu seinem Truchsess geprägt und daher durchaus persönlich, fast familiär verlaufen. Sie, die ihr Leben in Lomirion verbringen, beziehen Arwen, die hier zu Gast ist, ganz selbstverständlich mit ein oder Aryasaíris und Gildin erklären ihr abwechselnd die Hintergründe oder Dinge, die sie nicht wissen kann, was über kurz oder lang allerdings zu tausend Irrungen und Wirrungen im komplizierten Gesellschaftsgefüge der Elben führt und sie alle mehr als einmal zum Lachen bringt. Irgendwann, als Seranor sich mit ein paar Jungen in seinem Alter zu den Wassergärten verzogen und Senai'su und Rialinn sich so müde gegessen haben, dass sie sich in den Armen ihrer jeweiligen Mütter einrollen wie die Kätzchen im Nest, kommt die Sprache jedoch unweigerlich auf Khelenar. "Khelenar..." meint Sessair kopfschüttelnd und schenkt sich Wein nach. "Ich weiß, er ist euch allen ein Dorn im Auge, doch er ist So'tar Blaufalkes Vasall. Als dieser erfüllt er seine Pflichten und achtet sehr genau darauf, nicht aufzufallen... das wisst ihr ebenso gut wie ich. Er versucht seit Monden, bei Shu're Palannór eine Anhörung vor dem Hohen Rat zu erwirken, doch er wollte nicht sagen, in welcher Angelegenheit und bisher habe ich ihn abweisen lassen... nach dem heutigen Tag allerdings bin ich eher geneigt, ihm eine Audienz zu gewähren. Mit mir ganz allein und unter vier Augen." Das Lächeln, das Sessairs Worte begleitet, ist bestenfalls noch als eisig zu bezeichnen und die Augen der Königin ruhen dabei unverwandt auf Arwens Gesicht. "Wir werden ihn in seine Schranken weisen müssen, selbst wenn er versuchen sollte, offen vorzugehen und das Kind rechtmässig in seine Obhut zu bekommen... was ihm nicht gelingen wird. Ganz abgesehen von allen Maßnahmen, die Ihr ergriffen haben mögt, Arwen, Khelenar hat sich schon um seinen eigenen Sohn nicht gekümmert, sondern ihn wissentlich der Fürsorge und den Ansichten eines Mannes überlassen, der sich als Verräter gezeigt hat. Ich weiß wirklich nicht, mit welchen Anrechten er sich eigentlich einbildet, besser für seine Enkeltochter sorgen zu können, als Ihr, die Ihr ihre Mutter seid. Und Khelenar mag vieles sein, aber für dumm halte ich ihn eigentlich nicht. Sein Verlangen ist aussichtslos."

Tianrivo nickt bedächtig und tauscht einen langen Blick mit Gildin und seiner Tochter, die kaum merklich nickt, dann legt er die Spitzen seiner langen Finger aneinander, neigt leicht den Kopf und erklärt leise und gefasst, seit ihrer Begegnung mit Khelenar vor der Asarid'Ashara Veaes wüssten sie nun, dass er irgend jemanden in Talyra in seinen Diensten haben müsse, der ihm über Arwen und ihre Tochter berichte. "Nun, auch Khelenar versucht, ein guter Spieler zu sein, vermute ich," erwidert Sessair, doch diesmal sieht er Arwen an, nicht Morgenstern. Er ahnt viele von Tianrivos Gedanken und kennt seinen Truchsess lange genug, sein ganzes Leben schon, um zu wissen, dass dieser seine Tochter liebend gerne hier in Lomirion behalten hätte, bei sich, in seinem Heim und in seinem Leben... und darüber vergisst, dass das vermutlich nicht Arwens eigenen Wünschen entspricht. Er kann es an ihrem Gesicht sehen und in ihren Augen lesen, und ihm war auch das erstarrte Lächeln Arwens über das Lob ihres Vaters, als sie zu ihnen getreten war, nicht entgangen. "Arwen, auf ein Wort unter vier Augen, bitte. Ihr entschuldigt uns kurz?" Er erhebt sich mit einer einzigen, fließenden Bewegung und die Elbin vor ihm tut es ihm gleich. Sessair ist größer und schwerer, als selbst die hochgewachsensten Männer der Shida'ya und Arwen, selbst keine kleine Frau, geht ihm gerade einmal bis zur Brust. Arwen lässt Rialinn in der Obhut Gildins, der die Kleine in seinen Umhang hüllt und neben sich auf die weichen Decken und Kissen bettet und folgt dann schweigend ihrem König ein wenig tiefer hinein in den stillen, nur noch vom bernsteinfarbenen Schein einiger Laternen erhellten Hain im Nordteil der Halle der Tausend Säulen. "Talyra war das Stichwort für mich, ein paar Worte mit Euch allein zu wechseln. Keine Sorge, es geht nicht schon wieder um Khelenar. Er wird noch Ärger machen, fürchte ich, ganz gleich, was Ihr tut oder was wir tun können. So lange man ihm nichts eindeutig nachweisen kann, sind uns allen mehr oder weniger die Hände gebunden. Nein, ich wollte Euch bitten, einen Brief für Niniane mit Euch zu nehmen, wenn Ihr zurückkehrt. Ich nehme an, Euer Vater hofft, Euch hier halten zu können, aber Ihr werdet zurückkehren, nicht wahr?"

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Arwen am 20. Feb. 2007, 00:29 Uhr
Die Begrüßung durch ihren König erwidert Arwen mit einem respektvollen Neigen des Kopfes. Seine Worte bezüglich des Schachspiels lassen sie allerdings der Unterhaltung aufmerksam folgen, während sie sich von den Speisen bedient, die auf den hölzernen Tabletts angerichtet sind. Woher will er wissen, wie gut ich als Schachspielerin bin? Seit sie in Lomirion ist hat sie nur wenige Male die Zeit und Muße gefunden, um sich einer Partie jenes Spiels zu widmen, dass sich unter den Elben großer Beliebtheit erfreut. Woher also weiß der König davon? Ihr Vater kann nichts davon erzählt haben, denn keinem von ihnen haben die Verpflichtungen je zur gleichen Zeit genügend Muße gelassen. Mit Gildin hat sie nur eine einzige Partie gespielt - und verloren -, meistens ist es Andovar gewesen, der sich die Zeit nahm um sich von ihr über dem schwarz-weiß gewürfelten Spielbrett herausfordern zu lassen. Und dass ihr Bruder oder Andovar über solcherlei Nebensächlichkeiten mit dem König reden, hält Arwen für höchst unwahrscheinlich. Er benutzt das Schachspiel nur als Bild wird Arwen klar. Er meint ein ganz anderes 'Spiel' ... Ein Spiel bei dem es nicht weniger um strategisches Geschick und Geduld geht. Nur gilt es in diesem Spiel nicht darum, einen aus Stein geschnitzten König zu schützen, sondern um ein Kind aus Fleisch und Blut. Es geht um Rialinn. Und bei der Macht der Zwölf, ich werde nicht zulassen, dass sie zu einer Schachfigur gemacht wird. Meist schweigend folgt sie der Unterhaltung die sich entwickelt, fragt nur gelegentlich nach, wenn die Namen von Elben oder Orten fallen, die sie von früher her kennt. Gildin und sogar die Königin bemühen sich, ihr das Geflecht aus Verwandtschaften, Beziehungen, Verpflichtungen aus tatsächlicher, eingebildeter und erhoffter Macht, vorhandenem und vorgetäuschtem Wissen zu entwirren. Nicht selten führt ein entwirrter Strang zu einem Dutzend neuer Knoten und Arwen verliert den Faden, was meist zu allseitigem Gelächter führt, das mehr dem Unvermögen des Erklärens gilt, als Arwens gelegentlicher Schwäche bei der Flut an Informationen mit dem Aufnehmen, verstehen und zuordnen nachzukommen. Die Gesellschaft der Elben ist von einem filigran gefügten Machtgeflecht durchzogen, das in seiner geradlinigen Verworrenheit jeder Spinne Konkurrenz machen würde, und dessen Fäden alle in der Hand Sessair Mondjägers zusammenlaufen. Vor allem aber wird Arwen klar, wie Tianrivo und Sessair zueinander stehen. Arwen fällt nur ein Wort dafür ein, Freundschaft. In der Öffentlichkeit mag das unter Zeremoniell, Ämtern und Titeln verborgen sein. Aber hier in diesem kleinen Kreis gehen die beiden so offen und vertraut miteinander um, dass es beinahe familiäre Züge trägt.

Der Abend ist schon deutlich fortgeschritten und die Sterne stehen hoch und silbern am Himmel, als das Gespräch dann doch auf das Thema kommt, das Arwen nur zu gerne für den Rest des Tages vermieden hätte: Khelenar. Immerhin bekommen die Kinder davon nichts mit, der Sohn Sessairs ist mit einer Gruppe gleichaltriger Knaben unterwegs und die beiden Mädchen ruhen süß und selig in den Armen der Mütter. >Khelenar… Ich weiß, er ist euch allen ein Dorn im Auge, doch er ist So’tar Blaufalkes Vasall. Als dieser erfüllt er seine Pflichten und achtet sehr genau darauf, nicht aufzufallen... das wisst ihr ebenso gut wie ich. Er versucht seit Monden, bei Shu're Palannór eine Anhörung vor dem Hohen Rat zu erwirken, doch er wollte nicht sagen, in welcher Angelegenheit und bisher habe ich ihn abweisen lassen... <  Irgendwie wird Arwen das Gefühl nicht los, dass der König, auch wenn er es nicht sagt, nicht erst seit heute weiß, aus welchem Grund Khelenar diese Anhörung anstrebt.
>… nach dem heutigen Tag allerdings bin ich eher geneigt, ihm eine Audienz zu gewähren. Mit mir ganz allein und unter vier Augen.< Das Lächeln des Königs bei diesen Worten ist mehr eine Drohung an den nicht anwesenden Lord des Hauses Silberstern, als irgendetwas anderes, und angesichts des subtilen Farbwandels, den die goldenen Augen binnen eines Herzschlags durchlaufen, hofft Arwen inständig, dass sich der Blick dieser goldenen Augen nie auf sie richten wird, wenn er von diesem Lächeln begleitet wird. Kurz wendet Arwen den Blick von Sessair ab, und kreuzt dabei den seiner Königin. Für wenige Herzschläge ruhen die Blicke der beiden Frauen ineinander, beide Mütter, beide bereit, ihre Kinder zu schützen. Mit allem was wir sind und allem was wir können… und bis zum Äußersten.

>…Khelenar hat sich schon um seinen eigenen Sohn nicht gekümmert, sondern ihn wissentlich der Fürsorge und den Ansichten eines Mannes überlassen, der sich als Verräter gezeigt hat. Ich weiß wirklich nicht, mit welchen Anrechten er sich eigentlich einbildet, besser für seine Enkeltochter sorgen zu können, als Ihr, die Ihr ihre Mutter seid. Und Khelenar mag vieles sein, aber für dumm halte ich ihn eigentlich nicht. Sein Verlangen ist aussichtslos. < Bei den Worten Sessairs zuckt Arwen regelrecht zusammen und sieht ihren Bruder und ihren Vater an. Dass Hodor nicht der leibliche Sohn des Verräters gewesen ist, sondern von Khelenar gezeugt wurde, hat sie selber erst von Niniane erfahren, der Hodor es in jener Nacht am Baum gebeichtet hatte. Sie hatte Gildin davon erzählt, wohl wissend, dass der ihrem Vater davon berichten würde. Aber sie hatte angenommen, dass Tianrivo darüber Stillschweigen bewahren würde. Doch angesichts des engen Verhältnisses zwischen ihrem Vater und Sessair wundert es sie nach kurzer Überlegung nicht wirklich, dass ihr Vater den König darüber informiert hat - und das zu Recht. Immerhin macht genau das Wissen um solche 'Familiengeheimnisse' einen nicht unerheblichen Teil der Macht aus. "Khelenar ist gewiss nicht dumm," erwidert Arwen leise und braucht einen Augenblick, bis sie ihrem König in die Augen sehen kann. Und was andere an ihm klug nennen, ist in meinen Augen nichts als Gerissenheit. Sie macht sich keine Mühe, diesen Gedanken aus ihren Augen heraus zu halten. "Aber es geht ihm gar nicht darum, dass er sich einbildet, er könne besser für Rialinn sorgen als ich." Unbewusst streicht sie ihrer Tochter eine der wirren Strähnen aus dem Gesicht. "Es geht ihm einzig und allein um Macht… um Macht und die Kontrolle über den Fortbestand seiner Blutlinie. Rialinn selber ist ihm vollkommen gleichgültig, Sie ist für ihn nur ein Mittel zum Zweck… Ein Wesenszug, den er mit seinem Bruder teilt." Wie so manch anderen auch. Nur mit Mühe kann Arwen die sich anschleichenden Erinnerungen im Zaum halten und wieder in den tiefen, dunklen Ecken vergraben, in die sie sie verbannt hat. Für Tyalo war sie auch nicht mehr als ein Mittel zum Zweck gewesen, sie trug das Kind Hodors unter dem Herzen, das er um jeden Preis in seine Gewalt bringen wollte. Und sie konnte er wie eine Waffe gegen den Templer verwenden, denn er hatte nur zu genau gewusst, dass alles was sie ihr antäten, Hodor mehr leiden lassen würde als alles, was man ihm antäte. "Das hoffe ich, Shu'Lanore, das hoffe ich wirklich, dass er die Pfade der Vernunft noch nicht völlig verlassen hat und noch in der Lage ist zu erkennen, dass sein Ansinnen aussichtslos ist."

Eine sachte Berührung im Geist lässt sie ihren Vater ansehen. Für einige endlose Sekunden treffen sich die Blicke von Arwen mit denen ihres Vaters und ihres Bruders, ehe sie Tianrivo mit einem kaum merklichen Nicken ihr Einverständnis dazu gibt, mehr von dem zu offenbaren, was vor den Toren der Asarid'Ashara Veaes geschehen ist. Die Geste, mit der ihr Vater die Spitzen seiner langen Finger aneinander legt ist ihr altvertraut, nur legt er sonst noch das Kinn auf den Fingerspitzen ab, was stets das untrügliche Signal für eine sehr förmliche Unterhaltung ist. Doch zu sehen, wie er mit leicht geneigtem Kopf spricht, so als könne er bei seinen Worten niemandem ins Gesicht sehen, und zu hören, wie er mit leiser und nur mühsam gefasster Stimme berichtet, wie Khelenar unverhohlen hatte durchblicken lassen, dass er über das was sich in Talyra und auf Vinyamar ereignet bestens im Bilde ist, zeigt Arwen mehr als deutlich, wie sehr ihr Vater mit seiner eigenen Selbstbeherrschung ringt. Die Worte, mit denen Sessair den Bericht allerdings kommentiert, verschlagen Arwen für einen Moment jeden Gedanke und jede Sprache, doch mit ihrem Herzschlag setzt auch das Denken wieder ein, als sie den Blick Sessairs erwidert. Khelenar versucht ein guter Spieler zu sein, aber er ist es nicht, und vor allem wird er demnächst wohl einen weiteren Spieler kennenlernen, den er ganz bestimmt nicht auf der Rechnung hat. Mit einem leisen Frösteln erinnert Arwen sich an das eisige Lächeln des Königs. Vielleicht ist Khelenar doch nicht so klug wie er selber denkt. Uns derart darauf zu stoßen, dass er jemanden in Talyra hat, der in seinen Diensten steht, könnte sich als Fehler erweisen…Götter ich werde mehr als nur ein Dankgebet sprechen, wenn ich wieder zuhause in Talyra bin… Viel weiter kommt sie mit ihren Gedanken nicht, denn Sessair hält es nun scheinbar an der Zeit, das bereits während der Eiderneuerung angekündigte Gespräch unter vier Augen zu führen. Wortlos und ohne zu zögern folgt Arwen dieser Aufforderung, hebt Rialinn behutsam von ihrem Schoß und legt sie in Gildins Arme, der sie vorsichtig in seinen Mantel hüllt und in ein kleines Nest aus Kissen und Decken bettet.

Schweigend folgt sie ihrem König tiefer in den Schatten der Bäume, die den Norden der Halle der Tausend Säulen bilden, dorthin, wo das Licht der Sterne den Boden nicht mehr erreicht, sondern nur noch das warme Bernsteinlicht vereinzelter Laternen helle Inseln spendet. Die Ritter der Sonnengarde bewegen sich mit ihnen wie helle Schemen in den nachtdunklen Schatten der Bäume, weiten den Kreis der bisher nur die Lichtung eingefasst hat so aus, dass der Hohe König der Elben sich noch immer innerhalb ihres Schutzes befindet, immer in Rufweite und doch so außer Hörweite, dass das Gespräch vertraulich bleibt. Sessair Mondjäger hat angefangen zu reden, kaum dass sie außer Hörweite der kleinen Gesellschaft  auf der Lichtung sind. Und als er schließlich endet stehen sie am Fuß eines Baumes der gut ein Dutzend Schritt in den Himmel ragt. >Ich nehme an, Euer Vater hofft, Euch hier halten zu können, aber Ihr werdet zurückkehren, nicht wahr?<
Arwen hebt den Kopf um den König ansehen zu können, und ihr wird in diesem Moment erst so recht bewusst, dass Sessair nicht bloß um einen Kopf größer ist als sie, so wie ihr Vater und Gildin, sondern dass er sie um einen halben Schritt überragt. Zögernd tritt sie einen Schritt zurück, damit sie den Kopf nicht gar so sehr in den Nacken legen muss um ihm ins Gesicht sehen zu können während sie ihm antwortet. "Ja. Ich habe vor, nach Talyra zurückzukehren." Vor lauter Erleichterung, dass sie nicht aufgefordert wird in Lomirion zu bleiben und dort den Aufgaben als Tochter des Tuchsessen nachzukommen, wird ihr für einen Moment schwindlig. "Ich weiß, dass mein Vater sich wünscht, dass ich hier bleibe," seufzt sie, "aber diesen Wunsch kann ich ihm nicht erfüllen… noch nicht." Ihre Stimme wird leiser und schwankt unsicher. Den größten Wunsch ihres Vaters hat sie wahr werden lassen, der Fluch ist gebrochen. Aber wie soll sie dem König erklären, dass sie, nachdem ihr bisheriges Leben vom Fluch dominiert und bestimmt wurde, dass sie nun eine Zeit braucht, in der sie ihr eigenes Leben leben kann. Sie braucht diese Zeit, wenn sie jemals herausfinden will, wer und was sie ist, oder sein kann. "Den Brief für Niniane werde ich gerne mitnehmen. Aber ich kann noch nicht sagen, wann ich aufbrechen werde. Ich hatte gehofft, nach dem Sommerfest mit meinem Vater darüber reden zu können und mich dann auf den Weg zu machen. Aber nach dem Gespräch mit Shadâna Nir'ialyra gibt es da noch eine…" Sie atmet tief ein und aus um den Mut zu finden, das auszusprechen, was zu glauben ihr noch schwer fällt. "… eine Prüfung die ich ablegen muss, ehe ich aufbrechen kann. Es wird also noch wenigstens ein Mondlauf vergehen, ehe ich Lomirion verlasse." Allmächtige Götter, davon weiß Vater auch noch nichts, wie soll ich ihm das erklären ohne dass er sich Hoffnungen macht, dass ich hier in Lomirion im Tempel bleibe?

"Min Shu'Lanore… " Arwen ist unsicher, wie sie es sagen soll ohne ihren Vater damit in den Augen des Königs in Verlegenheit zu bringen, aber sagen muss sie es. "Shadâno Sessair…" Sie ringt um die richtigen Worte, lässt zu, dass das Siegel Anukis' auf ihrer Stirn sichtbar wird und wählt dann ganz bewusst jene Anrede, mit der sich eine Anukispriesterin an den Hohepriester Shenrahs wendet, der Sessair neben seiner Königswürde auch ist; in der Hoffnung, jedes Wort, das sie jetzt sagt würde so lange vertraulich bleiben wie Sessair es im Sinne des Reiches verantworten kann. "Es gibt da etwas, das… das ihr wissen solltet. Mein Vater hat eben nicht alles erzählt, was vor der Halle geschehen ist. Ich weiß nicht, warum er es nicht erzählt hat, er wollte es sicher nicht vor euch verbergen, vielleicht erschien es ihm einfach nur nicht wichtig genug… egal… Es stimmt, bisher gibt es keine handfesten Beweise für das, was Khelenar vorhat. Da sind nur das, was mein Vater für die Zukunft sah, und die Tatsache, dass er herausgefunden hatte, warum Khelenar diese Anhörung anstrebt. Eines davon kann man ignorieren, aber zusammen mit Khelenars Hinweis darauf, dass er nur zu genau weiß, was sich in meinem Haus auf Vinyamar abspielt, ist es mehr als Grund genug argwöhnisch zu werden." Leise fährt Arwen fort und berichtet von Rialinns Krankheit, dem, was sie für Fieberphantasien gehalten hatte und wie Rialinn vorhin vor der Halle Khelenar mit genau diesen Fieberbildern in Verbindung gebracht hatte, obwohl sie nichts von den Roten Falken der Ancus wissen kann. "Ich weiß nicht, ob Rialinn die Gabe ihres Großvaters geerbt hat. Aber zusammen mit dem was Khelenar zuvor gesagt hatte, hat es gereicht, um… um mich die Beherrschung verlieren zu lassen und damit den Frieden des Narlalaith zu stören. Nadio ano Lanossaiur." Ich bitte um Verzeihung. Gesenkten Kopfes wartet sie die Reaktion Sessairs ab ehe sie weiter spricht.
Mit leiser, aber fester Stimme berichtet Arwen dem Nachkommen des Schwertarchonen von den fünf Büchern, in denen die Priester auf den Himmelsinseln alles Wissen um den Fluch und das Medaillon aufgezeichnet hatten, und deren Abschriften Arwen im Haus der Bücher in Talyra gefunden hatte. Und sie erzählt von dem sechsten Buch, dem Buch mit dem Einband aus Silber dessen Riegel sich nicht öffnen ließ. Sie berichtet von dem Brief ihres Vaters, der den Smaragd des zerborstenen Medaillons gefunden und die Hilfe der Priester erbeten hatte. Von dem Boten, der samt Medaillon und Buch spurlos verschwand. Davon, dass Hodor ohne es zu wissen eben dieses Buch in seinem Besitz hatte und es zusammen mit einigen anderen Dingen Arwen vermacht hatte. Als sie schließlich endet, hat sie auch erzählt, dass der Verräter sich vor seinem Sohn damit gebrüstet hat, dass er es gewesen sei, der Buch und Medaillon verschwinden ließ um dem Haus Mitarlyr den Untergang zu bringen. Und dass Khelenar bei seinem Aufenthalt in Talyra, als er Hodors Besitztümer abgeholt hatte, nicht verbergen konnte, dass er sehr genau wusste, WAS es mit diesem Buch im Silbereinband auf sich hat, das verschweigt sie auch nicht. "Mein Vater weiß von all dem nichts, ich habe es ihm nie erzählt, denn ich wage nicht zu sagen, was geschieht, sollte er je davon erfahren." Genau genommen ist das eine Lüge, denn Arwen fürchtet, nur zu genau zu wissen, was ihr Vater dann täte. "Aber ich dachte, Ihr solltet davon wissen." Und wenn es nur ist, um Vater und Gildin von sinnloser Rache abzuhalten, sollten sie je davon erfahren. Eine Hoffnung, die sich auch offen in Arwens Augen zeigt.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Sessair Mondjäger am 21. Feb. 2007, 17:30 Uhr
Morgensterns Tochter tritt ein wenig zurück, wohl um ihm in die Augen blicken zu können und nickt dann leicht. >Ja. Ich habe vor, nach Talyra zurückzukehren. Ich weiß, dass mein Vater sich wünscht, dass ich hier bleibe, aber diesen Wunsch kann ich ihm nicht erfüllen… noch nicht.< Auch Sessair nickt. Er kennt seinen Truchsess wirklich gut genug, um zu wissen, dass es Tianrivos sehnlichster Wunsch sein muss, dass seine Kinder bei ihm sind, vor allem Arwen. Nicht, dass er Gildin weniger lieben würde, doch es ist seine Tochter, auf die er lange verzichten musste und... nicht zuletzt... die seiner geliebten toten Frau so sehr ähnelt. >Den Brief für Niniane werde ich gerne mitnehmen. Aber ich kann noch nicht sagen, wann ich aufbrechen werde. Ich hatte gehofft, nach dem Sommerfest mit meinem Vater darüber reden zu können und mich dann auf den Weg zu machen. Aber nach dem Gespräch mit Shadâna Nir'ialyra gibt es da noch eine...eine Prüfung die ich ablegen muss, ehe ich aufbrechen kann. Es wird also noch wenigstens ein Mondlauf vergehen, ehe ich Lomirion verlasse.< Sessair sieht viele Dinge, die im verborgenen liegen und er ahnt vielleicht noch mehr... außerdem kennt er sowohl seine Tante, als auch seinen Truchsess mehr als gut. Beide können höchst manipulativ werden, wenn sie ein bestimmtes Ziel verfolgen. Nir'ialyra will eine weitere Hohepriesterin für die Tempel. Tianrivo will zweifellos nur das Beste für seine Kinder und vergisst darüber zuweilen, dass sie selbst eigene Vorstellungen haben... und keinen Vater mehr brauchen, der jeden ihrer Schritte überwacht und immer alles ganz genau weiß. Der aufrichtige Wunsch, den Vater nicht zu enttäuschen, und das eigene Leben dabei trotzdem nicht aufzugeben, ist Arwen deutlich anzusehen. "Es eilt nicht," erwidert Sessair ruhig und empfindet spontan Mitgefühl. "Ob Niniane der Brief in zwei Monden oder in einem halben Jahr erreicht spielt keine Rolle, nur, dass sie ihn bekommt. Ihr erweist mir einen Gefallen, Lady Arwen, min Caris. Was Tianrivo angeht... nun, ich denke es wird  Zeit, dass er begreift, dass Ihr keine zehn Sommer mehr alt seid. Ihr seid nicht auf Rohas weitem Rund, um seine Wünsche... oder die anderer... zu leben, sondern Euren Weg zu gehen, wie immer er aussehen wird. Morgenstern will zweifellos nur, dass Ihr glücklich werdet und ich bin mir sicher, er wird es verstehen, nur ist es vermutlich für jeden Vater schwer zu akzeptieren, dass das Leben eines seiner Kinder und dessen Zufriedenheit in so weiter Ferne liegen soll." Ein Schwarm Glockenblumenfeen flattert vorbei, die schillernden Flügel nicht mehr als silberne Membrane in der Dunkelheit, in denen sich hin und wieder ein Lichtfunken bricht.

>Min Shu'Lanore…Shadâno Sessair…<
"Ai?" Der zögernde, gleichwohl sehr förmliche Tonfall der Elbin und die Anrede lassen Sessair aufhorchen... und er täuscht sich keineswegs. >Es gibt da etwas, das… das ihr wissen solltet. Mein Vater hat eben nicht alles erzählt, was vor der Halle geschehen ist. Ich weiß nicht, warum er es nicht erzählt hat, er wollte es sicher nicht vor euch verbergen, vielleicht erschien es ihm einfach nur nicht wichtig genug… egal… Es stimmt, bisher gibt es keine handfesten Beweise für das, was Khelenar vorhat. Da sind nur das, was mein Vater für die Zukunft sah, und die Tatsache, dass er herausgefunden hatte, warum Khelenar diese Anhörung anstrebt. Eines davon kann man ignorieren, aber zusammen mit Khelenars Hinweis darauf, dass er nur zu genau weiß, was sich in meinem Haus auf Vinyamar abspielt, ist es mehr als Grund genug argwöhnisch zu werden.< Sessairs goldene, pupillenlose Augen werden schmal wie die einer lauernden Katze. "Khelenar hat praktisch zugegeben, einen Spion in Talyra zu haben?" Echot er. Arwen nickt unglücklich und berichtet mit wenigen knappen Worten von ihrer Tochter und dem, was sie zunächst nur für Fieber gehalten hatte... und von dem sie nun glaubt, es könnten vielleicht die ersten Vorboten einer Sehergabe sein, wie sie ihr Vater auch besitzt. >Ich weiß nicht, ob Rialinn die Gabe ihres Großvaters geerbt hat. Aber zusammen mit dem was Khelenar zuvor gesagt hatte, hat es gereicht, um… um mich die Beherrschung verlieren zu lassen und damit den Frieden des Narlalaith zu stören. Nadio ano Lanossaiur.< Der König winkt ab, eine kleine, wegwerfende Geste. "Gewährt." Sessair, selbst Vater und mit Kleinkinderfieber durchaus vertraut, muss zugeben, dass Arwens Vermutung ein naheliegender Gedanke ist - alles andere wäre schon ein mehr als ungewöhnlicher Zufall. Er revidiert seine Meinung über Falcons leiblichen Vater als guten Schachspieler gründlich. Sessair hatte Khelenar sogar noch im Vorteil vermutet, wie es ein Gegner, der keinerlei Rücksicht auf sein Fußvolk nimmt zunächst immer ist, doch nun...? Im Spiel um Macht gewinnt man oder man verliert... aber man verschenkt keine Vorteile. Dann berichtet Arwen ihm von den sechs Büchern, von auf mysteriöse Weise verschwundenen Boten und Smaragden, die - noch seltsamer – unerwartet und an den unmöglichsten Orten wieder aufgetaucht waren, und davon, dass Khelenar kein Hehl daraus gemacht hatte, mehr zu wissen, als er bei der Gerichtsverhandlung der Ancus damals zugegeben hatte. Natürlich war er befragt worden, als die Verräter geächtet worden waren, er hatte sich schließlich von seinem eigenen Bruder und seinem Haus losgesagt, um ihr Schicksal nicht zu teilen. Offenbar hatte der Elb jedoch einiges mehr geteilt, als er den Hohen Rat und damit auch Sessair selbst glauben hatte lassen... zumindest was sein Wissen um die Intrigen und Pläne des Verräters anging. Keine Ahnung von all dem hat jedoch Tianrivo, wie Arwen versichert. >Mein Vater weiß von all dem nichts, ich habe es ihm nie erzählt, denn ich wage nicht zu sagen, was geschieht, sollte er je davon erfahren. Aber ich dachte, Ihr solltet davon wissen.<

Eine lange Weile schweigt Sessair Mondjäger nur und starrt aus bernsteindunklen Augen in die Schatten unter den Bäumen. "Nun," erwidert er schließlich und holt hörbar Luft, "das ich davon wissen sollte, denke ich auch. Und ich finde, das genügt jetzt allmählich. Arwen, kehrt zu Eurem Vater und Eurem Bruder zurück und geht Euren Weg. Ich wünsche Euch alles erdenklich gute für Eure Zukunft und die Eurer Tochter. Macht Euch keine Sorgen mehr um Khelenar oder Rialinn. Ihr habt recht daran getan, mir von allem zu berichten und von dieser Stunde an habt Ihr nichts mehr von ihm zu befürchten. Ich werde mich selbst um alles weitere kümmern. Khelenar wollte schon lange eine Anhörung vor dem Hohen Rat, Ihr habt sie ihm eben verschafft... nur wohl nicht ganz so, wie er sich das vorgestellt hat." Mit einem knappen Lächeln wendet Sessair den Kopf. "Shu're Tinranurn?" Es vergeht noch nicht einmal ein halbes Dutzend Herzschläge, ehe sich ein weißgewandeter Schatten aus der tiefen Dunkelheit löst, die nicht vom Schein der Laternen erhellt wird, und der hochgewachsene Hauptmann der Königsgarde aus dem Haus der Silberharfe an ihre Seite tritt. "Ai, Shu'Lanore?"
"Shu're Tinranurn, geleitet Lady Arwen zurück zu ihrem Vater. Dann nehmt Euch Banadar und Irkolain und verhaftet Khelenar Lyr'Aris und seine Männer wegen Meineides vor dem Hohen Rat und Verschwörung gegen das Haus Mitarlyr."

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Arwen am 23. Feb. 2007, 22:43 Uhr
Sessairs Schweigen, nachdem sie mit ihrem Bericht geendet hat, scheint Arwen schier endlos zu dauern - was sich nicht gerade förderlich auf ihr Nervenkostüm auswirkt. Und als er dann endlich spricht, lässt ihre Anspannung sie die ersten Worte als Zurechtweisung auffassen. Es braucht einige Herzschläge, bis der Sinn der weiteren Worte zu ihr durchdringt, und ihr klar wird, dass der König sich mit seinem ' Und ich finde, das genügt jetzt allmählich' nicht an sie richtet, sondern der Tatsache Rechnung trägt, dass Khelenar tiefer in die Machenschaften seines verräterischen Bruders verstrickt gewesen ist, als bisher bekannt geworden ist. >Ich wünsche Euch alles erdenklich Gute für Eure Zukunft und die Eurer Tochter. Macht Euch keine Sorgen mehr um Khelenar oder Rialinn. Ihr habt recht daran getan, mir von allem zu berichten und von dieser Stunde an habt Ihr nichts mehr von ihm zu befürchten. Ich werde mich selbst um alles Weitere kümmern.< Nichts mehr von ihm zu fürchten. Nichts mehr. Nichts. Die Worte pulsieren durch Arwen mit jedem Schlag ihres Herzens, und für einen Augenblick fühlt sie sich befreit, als würde ein eisiger Faden gelöst, der sie bis eben gefangen gehalten hat. Sessair würde sich um alles Weitere kümmern, würde dafür sorgen, dass Khelenar nie wieder zu einer Bedrohung werden kann. Die Erleichterung, als ihr Denken endlich so weit ist, diesen Gedanken zu begreifen und es zu glauben, ist so groß, dass ihr für einen Moment fast schwindlig wird. Und Arwen weiß, dass sie sich an diesen Augenblick, in dem der König mit einem einzigen Satz eine Last von der Größe der Mondsichel von ihr genommen hat bis zu ihrem letzten Atemzug erinnern würde. Das knappe Lächeln des Königs, als er den Hauptmann seiner Garde zu sich ruft, erinnert Arwen frappierend an jenes eiskalte Lächeln, mit dem er erklärt hatte, Khelenar zu einer Audienz unter vier Augen zu laden um ihn in die Schranken zu weisen. Doch auf Arwen wirkt es im Gegensatz zu vorhin weder bedrohlich noch einschüchternd, sondern auf eine seltsame Art beruhigend. >Shu're Tinranurn, geleitet Lady Arwen zurück zu ihrem Vater. Dann nehmt Euch Banadar und Irkolain und verhaftet Khelenar Lyr'Aris und seine Männer wegen Meineides vor dem Hohen Rat und Verschwörung gegen das Haus Mitarlyr.<

Noch immer wie benommen von der plötzlichen Wendung der Dinge verneigt Arwen sich vor ihrem König und folgt dem Hauptmann der königlichen Garde aus dem Schatten der Bäume hinaus auf die Lichtung und zurück zu ihrem Vater. Der Elb geht schweigend neben ihr her, und Arwen kann spüren, wie er ihr immer wieder kurze, prüfende Blicke zuwirft. Anscheinend ist ihr ihre Verwirrung deutlich anzusehen, denn auch die Blicke mit denen ihr Vater und ihr Bruder ihr entgegen sehen sind offen besorgt. Tianrivos graue Augen sind klar und scharf und durchforschten ihr Gesicht mit einem Ausdruck zwischen Sorge um sie und Argwohn weil der König nicht mit ihr zurückkehrt… doch dahinter liegt noch etwas anderes, das zu ergründen sie sich nicht traut.
"Was ist passiert?" Sie sieht den Mund ihres Vaters sich bewegen, hört auch die Worte, doch sie braucht fast ein Dutzend Herzschläge, bis der Sinn der Worte zu ihr durchdringt, und noch einmal fast genauso lange um ihm zu antworten. "Ich habe dem Hohen König erzählt, dass…" Arwen bricht mit einer kleinen Geste ab, die deutlich macht, dass sie das jetzt nicht wiederholen wird und lässt sich wieder neben ihrem Bruder auf den Kissen nieder, den Blick auf ihre schlafende Tochter gerichtet. "Khelenar ist keine Bedrohung mehr, Tennro Sessair hat angeordnet, dass…" Wieder unterbricht sie sich selber und sieht die Königin entschuldigend an. "Es tut mit leid, dass der Tag so endet, Shu'Lanora, das war nicht meine Absicht." Ein verständnisvolles Lächeln wischt Arwens Entschuldigung hinweg, so als wisse Aryasaíris mehr über das, was dort im Schatten der Bäume gesprochen wurde. Ob sie nun über ein besonderes Einfühlungsvermögen verfügt oder ob ihr Hoher Gemahl sie wortlos über die Ereignisse in Kenntnis gesetzt hat, ist für Arwen zweitrangig. Aber es ist unschwer zu erkennen, dass ihrem Vater so einige Fragen auf der Zunge brennen, die sie ihm hier und jetzt nicht beantworten kann. "Können wir bitte gehen, Eamo? Ich möchte…" wendet sie sich fast schon flehend an ihren Vater, "ich möchte nach hause… Bitte." Ich werde Dir alles erklären, Vater, alles. Aber nicht jetzt, nicht hier.

Während sie Rialinn aus dem Mantel Gildins befreit, ihr Bruder sich von einer der Zofen die Tasche mit Rialinns Sachen geben lässt und Arwen dabei hilft das Kind schlafende Kind in die weiche Sahnegelbe Decke zu wickeln, tauscht ihr Vater stumme Blicke mit Tinranurn. Tianrivo ist nicht dumm, es muss schon einen triftigen Grund geben, warum der König nicht an die Tafel zurückkehrt und Arwen vom Hauptmann der Sonnengarde begleiten lässt. So weitläufig ist die Asarid'Ashara Veaes nun auch wieder nicht, dass seine Tochter den Weg zurück zu ihnen nicht gefunden hätte. Die Antwort auf die unausgesprochene Frage des Truchsessen gibt Tinranurn mit stoischer Gelassenheit und ohne dass man ihm ansehen könnte, was er über die Ereignisse dieses Abends denkt. "Bevor ihr den Schutz dieser Lichtung verlasst, Shu're Tianrivo, solltet ihr vielleicht die Männer eurer Garde zu euch rufen. Nur für den Fall… Ich habe Order, Khelenar Lyr'Aris und seine Männer zu verhaften." Die Frage Tianrivos nach dem 'Warum' schwebt so deutlich zwischen den beiden Männern, als sei sie in feurigen Lettern in die Luft gemalt. "Meineid vor dem Hohen Rat und Verschwörung gegen das Haus Mitarlyr… Shu'res, Shu'ra." Eine leichte Verneigung noch, dann wendet Tinranurn sich ab und überquert die Lichtung um zu jenem Pfad zu gelangen, der ihn zur zentralen Lichtung der Halle der Tausend Säulen führen würde. Zwei weitere weißgewandete Elben lösen sich aus dem Ring der Sonnengarde und folgen ihm.

Es dauert nicht lange, Arwen und ihre Familie haben gerade wieder ihre Mäntel angelegt und sich von der Königin verabschiedet, da erscheint der Hauptmann der Adlergarde mit zwei Elben der Adlergarde am Saum der Lichtung. Es fallen keine Worte, doch Arwen ist sich mehr als sicher, dass ihr Vater den Männern wortlos Anweisungen erteilt, denn Shunjasombra und den Elben in den silbergrauen Waffenröcken mit dem Adler auf der Brust ist die wachsame Aufmerksamkeit ebenso offen anzusehen wie Gildin und Tianrivo, als sie sich auf den Weg machen um die Asarid'Ashara Veaes und den Narlalaith zu verlassen. Arwen selber bekommt den ganzen Rückweg durch den Herzhain bis nach Mita'Rôin nur wie durch einen Nebel mit, so als stünde sie neben sich und würde sich selber dabei zusehen, wie sie mit ihrem Vater und ihrem Bruder durch den Herzhain geht. Sie spürt das aufgebrachte Murmeln empörter Gedanken, doch es mit der Verhaftung Khelenars in Verbindung zu bringen, kostet sie lange Augenblicke. Kurz ist ihr, als wäre da eine Berührung ihres Geistes, doch sie hat sich so sehr in sich selbst zurückgezogen, dass es ihr unmöglich ist, zu erkennen, wer sie zu erreichen versucht oder gar darauf zu reagieren. Diese innerliche Erstarrung legt sich erst wieder als sie Rialinn zu Bett gebracht hat und ihre Tochter mit einem seligen Lächeln und dem Bären im Arm in tiefer Trance ruht. Mit einem leisen Seufzen verlässt sie ihre Gemächer und macht sich auf den Weg um ihrem Vater und ihrem Bruder zu erklären. Sie hat ihrem Vater versprochen, ihm zu erklären, was passiert ist, und das will sie nun so schnell wie möglich hinter sich bringen.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Soraya am 24. Feb. 2007, 16:16 Uhr
Von Sommer bis Kener

„Wir bewahren den Weg.“ Sorayas Stimme ist nicht lauter als das Wispern der abendlichen Briese, die sich in den steinernen Ästen über ihrem Kopf verfängt und doch klar. Die Linien unter ihren Fingern sind weich und rund, passend zu dem Namen, den sie darstellen. Njar’da. Die Erinnerung an ihre Mutter schmeckt süß und frisch, vollkommen in ihrer Einzigartigkeit und so lebendig, dass Soraya ist, als müsse sie nur die Hand ausstrecken und danach greifen. Und jedes Mal wenn ich die Finger schliesse, bleibt dazwischen nur Leere zurück. Das Gras unter ihren Füssen raschelt leise, als sie einen Schritt zurück tritt und ihren Blick über die Inschriften auf der grauen Steintafel gleiten lässt. Über ihrem eigenen schwingen sich fein säuberlich die Namen ihrer Brüder, und ganz zu oberst prangen die verblassten Namen ihrer Grosseltern: Senathyn Shjeladir und Chanadarsta aus dem Haus Tiamat. Soraya neigt den Kopf, um den Verstorbenen einen letzten Gruss zu entsenden, und will sich schon umwenden, als ein schwarzer Schatten über den knorrigen Stamm des mächtigen Baumes fällt und die Konturen der Schriften verwischen. “Deine Mutter hätte dich von deinen Sorgen erlösen können“, flüstert ihr Vater leise und in seinen Augen spiegeln sich sowohl sein Schmerz, als auch seine ungebrochener Liebe. Es ist derselbe Ausdruck, den sie trägt, wenn sie an Chindarion denkt, doch nun ist davon nichts zu sehen. Stattdessen zuckt sie nicht einmal mit der Wimper und das Lächeln ruht weiterhin unversehrt auf ihren Lippen. Sie ist nicht davon ausgegangen, all die Sorgen und Ängste, die sie plagen, vor Serassher verbergen zu können, doch dass er sie darauf anspricht, macht es nicht leichter und ein lautloses Seufzen zittert in ihrer Kehle. Nur noch wenige Tage trennen sie von ihrer Reise, nur noch ein kleiner Schritt ist übrig, bevor ihr Weg so schmal werden würde, wie ein Gletschergrat - und es wäre ein Leichtes sich in stures Vergessen zu fliehen, als wäre nichts geschehen.
Dann sieht er sie an, sein Blick ist so silbern wie das fahle Mondlicht, das sich auf den funkelnden Blättern aus Malachit, Jade und Smaragd bricht, und sie kann erkennen, dass ihre Schweigsamkeit ihn beschäftigt. Gleichzeitig ist ihr ebenso bewusst, dass sie verloren wäre, würde sie auch nur ein Wort über all das verlieren, was auf ihren Schultern lastet. Einmal gesprochen, und die ganze Hoffnung auf eine friedliche Lösung wäre dahin… wenn es so etwas wie Frieden noch geben kann. Mit ausdrucksloser Miene und stiller Beherrschung schüttelt sie den Kopf und murmelt streng: „Fior alastas“, und wendet sich der feiernden Gesellschaft in ihrem Rücken zu, die Arme vor der Brust verschränkend.

Ihr Vater sieht noch einmal zu der Ahnentafel, tritt dann an ihre Seite und erwidert mit solcher Gewissheit, dass es Soraya für einen Herzschlag die Augen schliesst: “Yanna newoer.“ Ich werde warten… Das wirst du wohl müssen. Fior ie i. Nur kurz blickt sie in den nördlichen Teil des Halle, wo unter der mächtigen Krone des Aêlinorsarnaes Nir'ialyras von jenseits des Meeres die Königsfamilie speist, vor neugierigen Blicken durch die Sonnengarde geschützt. Wobei Soraya in diesem Augenblick mehr das Gefühl hat, die zwölf, in Weiss und Gold gekleideten Männern würden sie vor den wissenden Augen Sessairs verbergen. Im Grunde genommen hätte sie ihn gerne aufgesucht, ein wenig mit ihm gesprochen, wie sie es sonst taten, doch heute ist ihr weder danach, ihm noch einmal gegenüber zu stehen, geschweige denn ein einzelnes Wort mit ihm zu wechseln, zu gross ist die Gefahr er könnte mehr erkennen, als er es bereits getan hat.
„Ich werde jetzt gehen“, sagt sie schliesslich und rückt Virintuil an ihrer Seite zurecht, reckt die Schulter und betrachtet ihren Vater aus den Augenwinkeln. Er nickt schlicht und lässt sie ziehen, wissend, dass seine Tochter noch nie viel für Feste und derlei Dinge übrig hatte. Um nicht vollkommen unhöflich zu sein - und weil es ihr selbst ein Anliegen ist - tastet sie mit ihren Sinnen inmitten dieser hohen Gesellschaft nach Arwen, bis sie sie im geschlossenen Kreis königlicher Wächter gefunden hat, und sendet ihr ein warmes Cir deliodar Arúen, gerade als leiser Unmut sich summend unter den Versammelten breit macht. Halblautes Gemurmel erhebt sich zum samtblauen Himmel, wo die ersten Sterne wie milchigweisse Opale schimmern. Die Verbindung reisst, und noch im selben Herzschlag zersplittert der heilige Friede der Asarid'Ashara Veaes mit einem leisen, scharfen Laut wie dünnes Rauchglas, und auf Sorayas Stirn bildet sich eine steile Falte, während ihre Finger sich instinktiv, aber gelassen um den kühlen Griff des Schwertes legen. Nach dem Ursprung des Tumults Ausschau haltend, werden ihre Augen schmal und hell wie grüner Diamant als sie Khelenar Lyr’Aris entdeckt. Flankiert von Tinranurn aus dem Haus Rhoyn'aris, dem Hauptmann der königlichen Sonnengarde, und Irkolain von Cal'Anar, im Volk bekannt als das Schwarze Schwert, wird der Elb, angesichts dessen Miene selbst ein Stein gelacht hätte, samt seiner Männer stillschweigend zwischen den efeuumrankten Bäumen aus der Halle hinaus geführt. Dabei kreuzt sein Weg ihren Standpunkt und ihr Blick, der sich schwer und mit kühler Abscheu auf Khelenar legt, steht der trockenen Geringschätzung ihres Vaters in nichts nach. Arúen? Ihr Ruf, in dem gleichsam Sorge wie Frage mitschwingt, ist laut und verhallt doch ungehört, zumindest für die Angesprochene.

Dem kräftigen, drahtigen Rücken des Verhassten so lange hinterher blickend, bis er in der matten Dunkelheit verschwunden ist, spürt Soraya wie sich die Aufregung inmitten der Mauern zwar langsam legt, aber unterschwellig weiter darüber getuschelt wird, und sie sieht die Zeit gekommen das Fest zu verlassen. Mit kräftigem Schritt begibt sie sich zu den Stallungen, findet ihr Pferd inmitten einer Schar wirbelnder, am Ende ihrer Nerven angelangter Stallburschen, die in heilloser Verwirrung darum bemüht sind die halsstarrige Stute davon abzuhalten, die Boxentüre zu Splitterbrei zu verarbeiten. Anscheinend hat es ihr der ansehnliche, schwarze Hengst, der das komplett unangebrachte Verhalten Nornthas mit einem lustlosen Schnauben abtut, in der Box gegenüber angetan und sie lässt sich nur mit einem ganzen Sack voller frischer Möhren dazu bewegen, ihren kräftigen Hintern vor das Tor zu bewegen. Ein erleichtertes Aufatmen geht durch die Reihen, als Soraya endlich davon reitet, auf direktem Weg nach Virin'ydor. Dort erwartet sie nichts ausser gnädiger Ruhe, der sie sich gerne ergibt und nachdem sie Norntha versorgt hat und sich aus ihrer Festtagskleidung geschält hat, ist das Einzige, was sie tut, sich ins Bett zu legen und sofort in tiefe Trance zu versinken.
Der Morgen kommt viel zu schnell und viel zu hell. Mürrisch kämpft Soraya sich aus weichen Laken und spinnseidenen Decken, angelt nach Tuch und Wasserkrug und versucht die Müdigkeit, die ihr nach der ersten richtig durchgeschlafenen Nacht noch immer im Nacken sitzt, mit kaltem Wasser hinfort zu spülen. Es wirkt, und als sie mit klappernden Zähnen den Kopf in den Nacken wirft und tausende, glitzernde Wassertröpfchen nach allen Seiten davon springen, kehrt Leben in ihren Körper zurück. In die gleiche Kleidung schlüpfend, die sie am Tag zuvor bei der Eiderneuerung bereits getragen hat, verfolgt sie in Gedanken versunken, wie im Licht des Morgens winzige Staubflöckchen durch die Luft wirbeln. Sie will gerade den Waffengurt umlegen, als hastige Schritte und eiliges Klopfen sie die Tür mit misstrauisch hochgezogener Augenbraue mustern lassen. „Îhiot ailu.“ Der Eingang öffnet sich einen spaltbreit und Yethe, ein Mündel ihres Vaters und der Obhut Nenas, der Kastellanin von Virin’ydor, überlassen, streckt ihren dunkelblonden Schopf ins Zimmer. Sie muss den Mund nicht aufmachen, da weiss Soraya bereits, dass es keine guten Nachrichten sind.
„Es ist ein Botenrabe angekommen min Shu’ra und euer Vater lässt euch rufen, es sei dringend.“

Dringend, huscht es eins ums andere Mal durch Sorayas Kopf, während sie eiligen Schrittes den Weg bis zu den Gemächern ihres Vaters zurück legt, ohne sich vorher anzumelden eintritt und noch im Türbogen verharrt, als ihr Blick auf gepackte Beutel und halbgeöffnete Truhen fällt. Zwei Mägde huschen lautlos zwischen Schränken und Säcken hin und her, verstauen Hemden, Hosen und Schuhe in reisepraktischen Bündeln und mitten im Durcheinander steht ihr Vater am Fenster, einen Brief in den Fingern, neben sich Feràhl. Beide Männer wenden sich gleichzeitig zu ihr um und die Trauer, die ihr entgegen schlägt, ist tief und rot. „Ia îhiot?“ Feràhl senkt lediglich den Kopf, ihr Vater hingegen hebt das zerknitterte Pergament in die Höhe und antwortet mit rauer Stimme: „Diva’ra îhiot englorioit ceh to Gwynis iny Lia.“
Die Nachricht trifft sie unvorbereitet und einen vollen Herzschlag lang ringt sie mit Unglauben, zu frisch sind die Bilder einer fröhlichen, schwangeren Diva’ra, deren Freude über ihr erstes Kind nur durch die Ungeduld ihres Gatten übertroffen wurde. Morn? Es ist mehr eine Feststellung, als eine Frage, auch wenn sie es noch nicht wirklich akzeptieren kann. Morn, wiederholt sie stumpf und dann bricht ihr starrer Blick und nach einem tiefen Atemzug flüstert sie: „An Sithech inoes Asaridaes yannatit gashait, jaeriorael Saîthiya tamenaer.“ Zu Sithech’s Hallen wurde sie gerufen, möge sie Frieden finden.
Die Reise nach Talyra hat Soraya im gleichen Atemzug verworfen, in welchem sie von Diva’ra’s Tod erfahren hat und als sie in ihr Zimmer zurückkehrt – zwei Dienerinnen im Schlepptau – ist es nur, um sich von Wappenrock und Yalariskettenhemd zu befreien, einen Umhang zu greifen und Order zu geben, dass ihre Sachen gepackt werden sollen. Als sie auf den Gang zurückkehrt, prallt sie beinahe mit einem völlig aufgelösten Arininar zusammen, der in hellem Aufruhr um sie herumspringt und bis zum Einganstor tausendmal nach dem Grund für die plötzliche Abreise fragt. Soraya, in Gedanken bei Arwen, gibt ihm keine Antwort, lässt Norntha im Stall stehen und macht sich zu Fuss auf zum Anwesen ihres Onkels, hoffend, dass die Familie Mitarlyr ihren Horst noch nicht verlassen hat. Dem ist zum Glück so.
Arwen, gerade dabei Rialinns wertvollen Babyhintern unter raschelnder, goldgrüner Seide verschwinden zu lassen, merkt schnell, dass etwas nicht stimmt und bekundet mit gesenktem Blick ihr Beileid, als Soraya ihr vom Tod der Elbin berichtet. Schweigen legt sich über das Zimmer, in stillem Gedenken an ein verlorenes Leben und Soraya hebt in einer sachten Geste die Hand ans Herz. Es ist Rialinn, die die Ruhe bricht, als sie quietschend vom Bett aufspringt und nach einem goldenen Haarband angelt, um es sich um den Arm zu wickeln und stolz zu verkünden: „Schööööööön ist!“
Beide Frauen müssen verhalten lachen, so ernst und traurig der vergangene Augenblick auch noch nachhallt. Als Soraya schliesslich jedoch aufsieht und Arwens dunkelgrünen Blick einfängt, ist der Funke von Fröhlichkeit etwas anderem gewichen: Ernst.
„Arwen, ich kehre nach Carvallen zurück, noch heute. Es ist sowohl meine Pflicht, als auch mein Wunsch“, beginnt sie, ohne dass man erkennen könnte, was dabei in ihr vorgeht: „Das heisst, ich werde nicht rechtzeitig hier sein, um mit dir nach Talyra reisen zu können.“ Über das schmale Gesicht ihrer Cousine huscht ein Schatten und Soraya braucht keine empathischen Fähigkeiten, um zu wissen, dass Arwen längst ahnt – zumindest in Bruchstücken – was wie eine unheilvolle Wolke über dem Haus Dúne schwebt. Spätestens seit ich den Eid sprach, nicht wahr? Und du hast Recht. Keiner ihrer Gedanken ist hörbar. Umso überraschter ist Soraya, als Arwen ihr bescheidet, sie bleibe sicherlich noch einen vollen Mond in den Elbenlanden, ohne dabei einen triftigen Grund zu nennen. Soraya ihrerseits fragt nicht nach, schiebt Arwens Entscheidung es auf die Verhaftung Khelenars und den bald zu erhoffenden Richterspruch und belässt es dabei, denn die Zeit drängt und es gibt noch etwas anderes Wichtiges zu klären, etwas, ohne dass sie nicht abreisen kann.

„Arwen“, beginnt sie erneut und der Ton ihrer Stimme ist rau geworden: „Ich werde, sobald es mir unbemerkt möglich ist, nach Talyra kommen, um dich und Tenn’ra Niniane aufzusuchen. Gib mir dein Wort, dass du bis dahin mit niemandem über das, was ich dir bisher erzählt habe, redest.“ Es ist viel verlangt. Vielleicht gar zuviel und doch weiss Soraya um das Pflichtbewusstsein ihrer Cousine und wie schwer die Ahnungen in ihr wiegen, sie vielleicht sogar plagen. Irgendwann, es scheint eine Ewigkeit zu dauern, senkt Arwen schliesslich unmerklich den Kopf, erwidert jedoch nicht weniger nachdrücklich und in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldet: “Dann gib mir Dein Wort, dass Du den Eid, den Du geleistet hast, auch hältst.“ Flüchtig denkt Soraya an den vergangenen Tag zurück, an die Worte, die so fliessend leicht aus ihrem Mund gekommen sind und dabei doch nur die halbe Wahrheit trugen und nickt ohne Zögern: „Ich verspreche es dir Arwen. Ich werde den Eid halten.“ Ja, ich werde den Eid, den ich geschworen habe halten. Den Eid, meinen Vater und unser Haus vor Schande zu bewahren, egal um welchen Preis.
Mit einem halblaut gemurmelten: „Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder Arwen. Tes Ayares îhiorael ôr lin“, verabschiedet sich Soraya schliesslich mit einem halben Lächeln in den Augenwinkeln und schenkt Rialinn noch einen sanften Blick, bevor sie das Zimmer verlässt und nach Virin’ydor zurückkehrt, wo bereits alles und jeder tatkräftig mithilft alles Nötige auf einem breiten, von zwei kräftigen Braunen gezogenen Planwagen zu verstauen. Ihr Vater, gekleidet in schlichten Hosen und einem Leinenhemd – die Farbe weiss als Zeuge des Unglücks -  gibt Feràhl die letzten Anweisungen, die der Hauptmann während der Abwesenheit des Hausherren auszuführen hat und steigt dann auf seinen Hengst. Norntha, völlig ausser sich, weil sie spürt, dass es nach Hause geht, tanz den Stallburschen wiehernd auf der Nase rum und tritt Soraya beinahe die Füsse zu Matsch mit ihrer überschwänglichen Freude.
Erst als es endlich losgeht und die Stute eingepfercht zwischen Serasshers Schwarzem und Lelsdo’res Weissem gar keine Möglichkeit mehr hat Mätzchen zu machen, beruhigt sie sich und lässt sich gütigerweise sogar dazu hinreissen, im rauschenden Festtagstrubel der Strassen mustergütig vor sich hinzutrotten.  Hinter ihnen, ebenfalls in unauffälliger Reisekleidung und nicht, wie sonst üblich im Wappenrock des Hauses Dúne, reiten Vendryssai aus dem Haus Nebrar, Karaeon, Vendryssais Bruder, und Chazedha Lyresrîl aus dem Haus Shunja’Ninar, Ritter – und Ritterin – Serasshers.
Inmitten des farbenfrohen Stadtbildes wirkt der in Schweigen versunkene Zug fehl am Platz und die feiernden Elben weichen beim Anblick der zum Teil als Zeichen der Trauer weissgewandeten Reiter zur Seite. Einige, die Serassher erkennen, neigen respektvoll ihr Haupt, andere heben die Hand an ihr Herz, um Sithechs Werk Demut zu zollen. Sie mögen die Verstorbene nicht gekannt haben, doch der Tod weilt zu selten unter ihnen, als dass es nicht auch ihre Herzen rühren könnte.

Die ganze Reise über wird nur selten ein Wort gesprochen. Es ist auch überhaupt nicht nötig, denn jeder weiss, was er zu tun hat und jeder tut es – gerade während dieser Zeit noch mehr als sonst – nach bestem Wissen und Gewissen, ohne dabei die Trauer der anderen zu stören. Manche kannten Diva’ra besser, als andere und vereinzelt ergeben sie sich dem Schmerz, der wie ein graues Leichentuch über der üblicherweise lang ersehnten Heimkehr schwebt.
Als wolle auch der Himmel Anteilnahme zeigen, verdüstert er sich und sintflutartige Regenschauer überfallen das Land und hüllen es in fahle Dunkelheit. Feste Strassen verwandeln sich in Schlammgruben, kiesbedeckte Hänge werden zu halsbrecherischen Rutschbahnen und zweimal müssen sie den Karren aus wadenhohem Morast und Dreck ziehen, um weiter zu kommen. Einmal bricht ein Rad, dann stürzt ein Pferd und als nach etlichen Wochen – ob des schrecklichen Wetters deutlich zu viele -  die hellen Tore Carvallens in Sicht kommen, hat keiner der Reisenden noch ein einziges, trockenes Hemd am Leib. Die ganze Stadt, verborgen und geschützt unter den mächtigen Wurzeln des Weltenbaumstumpfs, ist in Schweigen verfallen und in den Strassen sind nur wenige Bewohner zu erkennen. Die meisten haben sich in ihren Häusern verschanzt oder finden sich in den Schenken zusammen, um über die schlechte Lage der Ernte zu reden. Die andauernden Niederschläge haben Acker, Weiden und Felder in unbenutzbare Sümpfe verwandelt, Heu und Stroh gammeln in der Feuchtigkeit vor sich hin, Weizen und Korn drohen in den Säcken zu verschimmeln und was übrig bleibt, ist weniger als die Hälfte des normalen Eintrags. Im Wurzelstock warten bereits Chalaher’daron der Waise, Statthalter während Serasshers Abwesenheit, und Parabel Apfelblütenflügel, Fee und Scriptorin, und keiner hat auch nur eine einzige aufmunternde Nachricht für den müden Tross übrig.
Mit den Worten: „Shu’re Mýrnith hat das Totenzimmer seiner Frau in der ganzen Zeit nur dreimal verlassen“, werden Soraya und ihr Vater von Chalaher’daron begrüsst, während Parabel im Hintergrund mit finster verzogenem Gesichtchen und einer riesigen Pergamentrolle in den Armen auf und ab flitzt, entrüstet mit den schimmernden Flügel schlagend und quiekend bestätigend, dass der Ritter sich einfach so gehen lasse und dabei seine kaum ein paar Wochen alte Tochter noch keines Blickes gewürdigt habe. Soraya spürt die trüben Gedanken ihres Vaters und legt ihm behutsam eine Hand auf die Schulter: „Kümmere dich um Mýrnith min Eamo, ich kümmere mich um den Rest.“ Das ist das Stichwort für Parabel mit einem leisen Fingerschnippsen drei weitere, dicke Schriftrollen erscheinen zu lassen und damit vor Sorayas Gesicht herum zu wedeln. Während Serassher es ablehnt sich zuerst frische und vor allem trockene Kleider anzuziehen, wird Soraya von der kaum einen halben Schritt grossen Fee vereinnahmt und von oben bis unten mit Sorgen und Befürchtungen zugedeckt, die kein anderes Ende annehmen lassen, als den Weltuntergang höchstpersönlich. Soraya schiebt seufzend Müdigkeit und Nässe von sich, bittet den Stallmeister Doriàs sich um die angeschlagenen Tiere zu kümmern und zieht sich zusammen mit den Rittern ihres Vaters, dem Kastellan, dem obersten Jägermeister und Chalaher’daron in ihr Büro zurück, wo ein regelrechter Berg an Papieren darauf warten bearbeitet zu werden. Zuerst lässt sie sich jedoch über den Stand der Dinge aufklären, nickt, verneint, bekommt in aller Ausführlichkeit die wahren Ausmasse dieses sintflutartigen Wolkenbruchs aufgelistet. Missernten wohin das Auge sieht und es scheint kein Ende nehmen zu wollen. „Selbst die Tiere kommen nicht aus ihren Verstecken“, wirft Reyorin irgendwann in die Runde, doch es ist nicht das erste Mal, dass das Wetter verrückt spielt und es wird auch sicherlich nicht das letzte Mal sein, weswegen nach fünf Stunden schweisstreibender Diskussion und haargenauer Berechnungen niemand glücklich ist, aber jeder die gefallenen Entscheidungen akzeptiert.

Am nächsten Tag wird Diva’ra im Hain des Anukistempels beigesetzt, da die Elbe ihr Leben der Göttin der Wildnis und der Tiere gewidmet hat. Ein Hohepriester spricht den Segen und sanfter Klagesang vermischt sich mit dem Prasseln der Regentropfen, die sich über ihren Köpfen im dichten Blätterdach der immergrünen Bäume verfangen. Sorayas Blick liegt still auf dem silberhellen Gesicht der Toten, die in einem weissen Blütenmeer in ihrem Sarg ruht, gekleidet in ein saphirblaues Kleid und mit winzigen, violetten Veilchen im rostroten Haar. Zwischen ihren schlanken, kalten Fingern funkelt goldener Bernstein, noch warm von Mýrnith’s Händen. Dieser steht, bleich wie der Tod und mit eingefallenen Wangen, erstarrt neben dem geöffneten Sarg, die leeren Augen auf das weinende Kind in den Armen einer Amme gerichtet. An seiner Seite, in weissem Surcot und weissem Umhang, Iôr’Relaro auf dem Rücken, thront Serassher und seine Stimme vermischt sich kraftvoll mit den anderen, derweil Soraya selbst sich dem Lied enthält.
Die letzten Töne verklingen und  die Prozession tritt mit gesenkten Häuptern zur Seite. Als der Sarg langsam in den warmen Schoss Ealara’s sinkt, verlässt Mýrnith die letzte Kraft und mit einem hohlen Keuchen bricht er in die Knie. Sofort ziehen Serassher und Lelsdo’res den gebrochenen Elb wieder in die Höhe und stützen ihn, bis die Zeremonie vorbei ist und die Anwesenden sich langsam zerstreuen, um ihrer eigenen Trauer im Stillen weiter nachzugehen. Auch Soraya zieht sich zurück, hoffend, dass ihr Vater seinem Freund helfen kann über den Verlust hinwegzukommen, ohne sich in den Erinnerungen zu verlieren.
Die folgenden Wochen sind erfüllt von arbeitsreichen Stunden und fast nie ist es Soraya vergönnt ein wenig zur Ruhe zu kommen – worüber sie sehr froh ist. Besonders der ganze Papierkram kostet sie viele Tage und zudem den Grossteil ihrer eisernen Nerven. Von morgens bis abends nichts anders als Briefe lesen, Briefe schreiben, Briefe versenden, Briefe empfangen, bis sie das Gefühl hat, in der Flut von Pergamenten zu versinken und mehr als einmal ist sie froh um die Unterstützung Chalaher’darons, der ihr Tag und Nacht zur Seite steht, während ihr Vater gleichzeitig darum bemüht ist seinen Pflichten nachzukommen, als auch Mýrnith hin und wieder vom Grab seiner Frau wegzuholen.
Der Herbst zieht vorbei und der milde Winter lässt das ganze Land erleichtert aufatmen. Die entstandenen Schäden können behoben und die Angst vor Hungersnöten gedämpft werden.

Irgendwann, zu Beginn des Kener, hat sich die Aufregung gelegt und innerhalb weniger Tage verkündet Soraya, sie reise nach Lomirion, da Myliaris vor hätte zu heiraten und sie es sich nicht nehmen lässt, dabei an seiner Seite zu sein. Ihr Vater fragt nur lachend, wo Myliaris bloss die Frau aufgetrieben hat, die es für den Rest der Ewigkeit an seiner Seite aushält und gibt ihr seine Glückwünsche auf den Weg.
Soraya verlässt Carvallen mit einem unguten Gefühl und Kopien von Karten, deren Wahrheitsgehalt sie nicht kennt.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Mitarlyr am 25. Feb. 2007, 13:37 Uhr
Er hat seine Tochter selten so erlebt. Ruhig und zurückhaltend ist sie immer, aber so still wie seit ihrer Rückkehr von dem Gespräch mit Sessair, so in sich zurückgezogen… Tianrivo verdrängt alle Gedanken die in ihm kreisen auf später. Seine Tochter hat versprochen, ihm alles später zu erklären, und sie hat noch nie Versprechen gegeben, die sie nicht auch gehalten hätte. Und sie hatte ihn gebeten, sie nach hause zu bringen. Nach hause. Es ist das erste Mal gewesen, dass sie das Familienanwesen so genannt hat, und es weckt in ihm die leise Hoffnung, dass sie sich langsam doch heimisch zu fühlen beginnt. Ganz bewusst wählt er einen Pfad abseits der Hauptwege in der Halle der Tausend Säulen. Tinranurn wird Khelenar verhaften, und niemand kann sagen, wie der reagieren wird, oder seine Männer. Und zu einer Tragödie braucht es nicht mehr als ein einziges verirrtes Messer. Er kann das Stimmengewirr hören, das aufkommt, als die Männer der Sonnengarde die südliche Halle erreichen. Er kann eine einzelne Stimme hören, die sich empört über die anderen erhebt, doch ihre Worte kann er nicht verstehen - er will sie nicht verstehen. Das Stimmengewirr verebbt rasch wieder, doch in dem dichten Netz aus Empfindungen das bei einem solchen Zusammentreffen von Elben unweigerlich entsteht bleibt ein unruhiges, geistiges Murmeln erhalten. Tianrivo übt das Amt des Truchsessen mehr als lange genug aus. Eine Verhaftung durch die Sonnengarde am Tag der Eiderneuerung, und IN der Asarid'Ashara Veaes, die Kunde davon würde vermutlich nur einen Tag brauchen, um sich in der ganzen Stadt zu verbreiten. Wenn es überhaupt so lange dauern würde. Doch über das Gerede und die Folgen dieser Verhaftung würde er sich nach Shenrahs Hochfest Gedanken machen, nicht heute. Jetzt will er nur seine Kinder nach hause bringe und in Ruhe mit Gildin und Arwen darüber reden, was da im Narlalaith geschehen ist - vor allem mit seiner Tochter. Denn er kann sich beim besten Willen nicht erklären, was seinen König zu dieser Verhaftung bewogen hat, nachdem zuvor immer nur davon geredet worden war, Khelenar in seine Schranken zu weisen.

Auf Mita'Rôin begegnen sie vorerst niemandem außer den Wachen die zum Dienst eingeteilt sind und den Stallburschen, die ihnen die Pferde abnehmen. Auch über der großen Eingangshalle liegen Dunkelheit und Stille wie eine beruhigende Decke. Ebenso schweigend wie auf dem Rückweg vom Herzhain gehen sie über die Treppe in das obere Stockwerk, wo sich ihre Wege trennen. Gildin begleitet ihn zu dem Kaminzimmer, das an Tianrivos Gemächer angrenzt und einzig der Familie und sehr engen Freunden vorbehalten ist, während Arwen ihren eigenen Räumen zustrebt. Es bedarf keiner Worte, dass sie zu allererst ihre Tochter zu Bett bringen will, ehe sie sich zu ihnen gesellen wird. Doch sie müssen nicht lange auf Arwen warten. Mit einer stummen Geste deutet er auf die Sessel, doch seine Tochter schüttelt nur den Kopf, schlingt die Arme um sich als wolle sie sich an sich selber festhalten, geht unruhig umher und bleibt schließlich neben dem Kamin stehen, vor Anspannung bebend wie eine durchgezogene Bogensehne.

"Was ist passiert?" Die Stimme, mit der er seine Tochter fragt ist so leise, dass es fast schon ein Flüstern ist, und es ist weit mehr als nur die Frage danach, was in jenem Gespräch zwischen Arwen und dem König gesagt wurde. Er sieht, dass sie ihn versteht; die Frage versetzt die Oberfläche ihrer Augen für einen kurzen Moment in Bewegung wie Wind einen Teich - doch dann zieht es vorbei, und es kehrt eisig beherrschte Ruhe ein. Lange Zeit, viel zu lange, sagt sie nichts, so lange, dass Tianrivo beginnt sich ernsthaft Sorgen um seine Tochter zu machen. Doch dann beginnt sie zu reden, leise erst und stockend, so als müsse sie sich die Worte regelrecht abringen. Und das, was er zu hören bekommt, lässt ihn sich fassungslos in einen der Sessel setzen. Er könnte nicht sagen, was er erwartet hat, aber DAS mit Sicherheit nicht. Zum ersten Mal hört er von den fünf Büchern in der Bibliothek Talyras und davon, wie und woher Arwen die Teile des Medaillons hat, erfährt von dem sechsten Buch, das er seit fast einem Zeitalter auf ewig verloren glaubte, und davon, wie es verschwand und wer es schließlich in seinem Besitz hatte und erfährt schließlich auch von Khelenars Verhalten und Äußerungen während seines Aufenthalts in der Weltenstadt, als er die Besitztümer des gefallenen Templers geholt hatte. Und in dem Licht all dieser Informationen bekommt die Äußerung Khelenars über die Krankheit seiner Enkeltochter im Spätwinter ein ganz anderes Gesicht. Allmächtige Götter, kein Wunder, dass der König ihn sofort hat verhaften lassen. Damit hat er genug in der Hand um gegen ihn vorzugehen. Meineid vor dem Hohen Rat und dem König… Den Gedanken, dass sich das Verräterhaus auch gegen seine Familie verschworen hatte, und wie weit dies schon zurückreicht, betrachtet Tianrivo nur aus weiter Ferne, er traut seiner Selbstbeherrschung im Moment nicht so weit, dass es wagt, näher darüber nachzudenken. Für den  Bruchteil eines Augenblicks hebt sich allerdings seine Maske aus eisiger Beherrschtheit als sein Blick den seines Sohnes kreuzt. Er weiß es… wird ihm klar. Gildin hat die volle Tragweite dessen, was seine Schwester erzählt hat ebenso rasch und vollständig erfasst wie er selber. Und in den Augen seines Sohnes kann er nur zu deutlich erkennen, dass es besser für Khelenar ist, dass der sich hinter dicken Kerkermauern befindet. Denn wenn es in diesem Augenblick nach dem Willen der Männern der Sternenadler ginge, würde dieser verlogene Mistkerl den nächsten Sonnenaufgang nicht erleben - und sein Tod wäre weder schnell noch schmerzlos. Der Preis dafür, dass die Machenschaften des Verräterhauses Arwen so viele unnötige Jahre dem Fluch ausgeliefert hatten. Doch der Moment geht vorbei, die lodernde Flamme des Zorns legt sich. Sie erlischt nicht, das würde sie vermutlich nie, aber weder er noch sein Sohn würden sich von ihr zu unüberlegtem Handeln verleiten lassen.

Etwas ganz anderes wird ihm aber jetzt erst bewusst. Das mit den fünf Büchern und den Bruchstücken des Medaillons musste Arwen schon gewusst haben, als er damals bei ihr in Talyra gewesen ist, sie hatte ihm die Teile in jenem Sommer gezeigt. Und er hatte zu sehr die Hoffnung darin gesehen, dass sie den Fluch würde brechen können, als dass er sie (oder sich) gefragt hätte, wie sie an die Stücke gelangt ist. Und Andovar, den Gildin Arwen zum Schutz in Talyra gelassen hatte, nachdem Wegesend geschehen war, der Elb hatte nach seiner Rückkehr aus den Menschenlanden kein Wort von dem Silberbuch oder von Khelenars Äußerungen erwähnt. Gut, er hatte den Waffenbruder seines Sohnes auch nicht nach Besonderheiten gefragt, aber, verdammt, dass er ihm so etwas ungefragt zu berichten gehabt hätte, steht eigentlich gar nicht erst zur Debatte. Außer… außer der Elb hätte sich verpflichtet gefühlt, Stillschweigen über das Leben seiner Tochter zu wahren. Und in seiner Erleichterung über den gebrochenen Fluch und die Geburt seiner Enkeltochter hatte Tianrivo keine weiteren Fragen gestellt. Anscheinend hat er seine zornigen Gedanken aber doch nicht so gut verborgen, wie er gedacht hat, denn Arwen scheint es zu spüren. Ihr Blick bekommt etwas Verzeihung heischendes, als sie erklärt, sie habe ihn nicht vor dem Hohen König in Verlegenheit bringen wollen, aber sie habe Sessair davon berichten müssen.
"Es geht nicht darum, ob Du mich vor Sessair in Verlegenheit bringst, Arwen. Ganz abgesehen davon, dass ich Dir heute schon oft genug gesagt habe, dass Du mich nicht in Verlegenheit bringst." Er fährt sich mit der Hand durch die Haare, der vergebliche Versuch, sich zu beruhigen. "Verdammt, wann hattest Du vor, MIR von all dem zu erzählen? Meinst Du nicht, dass ICH AUCH davon hätte wissen sollen? Und das schon viel früher?" Ohne es zu wollen, wird er mit jedem Wort lauter. Er ist nicht zornig auf seine Tochter - nicht direkt zumindest - sondern viel mehr auf sich selber, weil er es nicht bemerkt und nicht die richtigen Fragen gestellt hat, weil er das Intrigenspiel nicht durchschaut hat und seine Tochter nicht so beschützt hat, wie er es ihrer Mutter versprochen hatte. "Ich habe Dir nichts von Khelenar erzählt, weil ich Angst davor hatte, was Du tun würdest, wenn Du es wüsstest."  "Weil Du-" Das nimmt Tianrivo sämtlichen Wind aus den Segeln, allein der Gedanke, dass seine Tochter vor ihm oder seinen Reaktionen Angst haben könnte, bringt ihn zielstrebiger zum Verstummen als eine Ohrfeige. Eine Weile kann er nichts anderes tun, als mit geschlossenen Augen dasitzen. Kennt seine eigene Tochter ihn denn so wenig? "Ich bin nicht erst seit gestern der Truchsess des Hohen Königs, Arwen. Meinst Du, man würde mir dieses Amt noch anvertrauen, wenn ich nicht in der Lage wäre, persönliches so zu handhaben, dass es weder dem Reich schadet, noch einen Schatten auf mein Amt wirft? ... Ich hätte einen Weg gefunden, um dem Mistkerl auf legitimem Weg das Handwerk zu legen." Und nach einer Weile setzt er leise nach. "Hast Du denn so wenig Vertrauen zu mir?" Dass sie zögert ehe sie ihm antwortet, trifft ihn. Aber es trifft ihn nicht annähernd so sehr, wie ihr mit bebender Stimme vorgebrachtes Eingeständnis, dass sie ihn nicht genug kenne um das einschätzen zu können. Es liegt kein Vorwurf in Arwens Stimme, es ist die nüchterne Feststellung einer Tatsache, und das macht es für Tianrivo nur umso schlimmer. Er kann ihr darauf nicht antworten, denn es gibt einfach keine Antwort darauf, und so versucht er das Gespräch auf ein anderes Thema zu lenken.

"Die Höchstgeehrte hat sich lange mit Dir unterhalten. Es kommt selten vor, dass sie jemandem soviel Zeit widmet." Oberflächlich hört es sich an wie eine Feststellung, doch darunter liegt die Frage, worüber geredet wurde und was Nir'ialyra von Arwen wollte. Der Blick seiner Tochter bekommt etwas wachsames, abwehrendes, und kurz fragt Tianrivo sich, ob sie zu Stillschweigen über das gesagte verpflichtet wurde. "Sie hat gesagt, ich müsse mehr essen." Er fragt sich, ob er das wirklich gehört hat. "Sie hat was gesagt? Das meinst Du nicht ernst, oder?" Der Blick seiner Tochter sagt ihm sehr deutlich, dass sie es genauso gemeint hat, wie sie es gesagt hat. "Sie sagte ich müsse mehr essen. Ich sei eine Priesterin und müsse meinem Körper die Kraft geben, die er benötigt, wenn ich in der Lage sein will, mir von Shadâno Rynthuador die Prüfungen von Herz, Hand und Geist abnehmen zu lassen. Und wenn mich der Ruf erreicht, werde ich diese Prüfung ablegen." Arwen spricht es nicht aus, doch Tianrivo kann eins und eins zusammenzählen. Er kennt den Namen den Arwen nennt, und den Elben zu dem er gehört. Rynthuador ist Hohepriester der Anukis und steht dem Tempel der Hüterin in Tianmen vor. Doch Vorsteherin des Tempels der Anukis hier in Lomirion ist er nicht, das ist eine altehrwürdige Priesterin sechsten oder siebten Ranges. Aber wenn diese Priesterin Arwen die Prüfung nicht abnehmen kann, wenn ein Hohepriester es tun muss, kann das nur eines bedeuten. Mit dem gleichen Gedanken wird ihm klar, dass er nicht einmal gewusst hat, dass Arwen bereits eine Priesterin siebten Ranges ist. Ein Rang, den ohnehin schon nicht jeder Priester erreicht, aber... "Hohepriesterin?" Er muss sich räuspern um das Krächzen aus seiner Stimme zu bekommen. "Nir'ialyra hat gesagt Du seiest zur Hohepriesterin berufen? Wie lange? Ich meine… wann wird das sein, hat sie das auch gesagt?" Und dann, als ihm die Konsequenz klar wird, die das mit sich bringen wird, wenn sie die Prüfungen erfolgreich ablegt (woran er nicht einen Augenblick zweifelt), "Welchen Tempel wirst Du anschließend wählen?" Er muss einfach fragen. Dass sie nach Tianmen gehen wird, hält er für unwahrscheinlich. Hohepriester gibt es nicht wie Sand am Meer, dieser Ruf erreicht nur die allerwenigsten Priester. Auf ganz Roha gibt es im Namen jeder der Zwölf Mächte vermutlich nicht mehr als eine Handvoll. Umso unwahrscheinlicher ist es, dass zwei Hohepriester im selben Tempel dienen. Aber, so hofft er, sie könnte sich dem Tempel hier in Lomirion anschließen. Dann würde sie zwar das Haus ihrer Familie verlassen, aber der Anukistempel ist nur einen Bogenschuss von Mita'Rôin entfernt und er könnte sie und seine Enkelin jederzeit besuchen.

"Ja. Ihrer Ansicht nach bin ich zur Hohepriesterin berufen, und der Ruf würde mich schon bald erreichen. Einen Mondlauf hätte ich um mich vorzubereiten, meinte sie," beantwortet Arwen einen Teil der Fragen ihres Vaters. Dann zögert sie kurz, straff die Schultern und sieht ihren Vater entschlossen an. Sie muss es ihm sagen, jetzt, sonst wird sie es vielleicht nie tun. Sie muss die Gelegenheit nutzen, die sich ihr jetzt und hier bietet. "Nach der Prüfung werde ich Tennro Sessair den Dienst erweisen, um den er mich gebeten hat: Ich werde Niniane einen Brief von ihm bringen." Die Feinheit, dass der König sie eher um einen Gefallen gebeten als einen Dienst eingefordert hat, lässt sie geflissentlich unter den Tisch fallen, denn einem Dienst des Königs würde ihr Vater sich nicht so einfach in den Weg stellen. Sie kann sehen, wie das Verstehen in den Augen ihres Vaters aufschimmert, als er begreift, was sich aus diesem "Dienst" ergibt. Arwen weiß, dass sie damit eine große Hoffnung ihres Vaters zerstört, und so nickt sie nur sacht. "Ich werde in Talyra bleiben. Auch die Weltenstadt hat einen Anukistempel, in dem ich meinen Pflichten als Priesterin nachkommen kann."

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Arwen am 02. März 2007, 18:07 Uhr
Es ist ein strahlender Sommermorgen, der Tag nach dem Sommerfest und nur kurz nach dem Frühgebet, als Arwen unruhig im Garten des Anukistempels auf und ab geht. Sie hat die Tempelvorsteherin gebeten, Shadâno Rynthuador zu fragen, ob er ihr die Zeit für ein Gespräch gewährt. Die Antwort hatte gelautet, sie solle nach dem Frühgebet im Garten warten, er würde dorthin kommen. Und nun steht sie hier, im Kräutergarten des Tempels und wartet. Sie ist nervös, und ihr wollen beim besten Willen nicht die rechten Worte einfallen um zu erklären, was sie erbitten will. Was ihr obendrein noch dadurch erschwert wird, dass ihre Gedanken stets und ständig zu dem Streit mit ihrem Vater am Abend der Eiderneuerung abschweifen.  
Die Erklärung, sie werde einen Brief für Sessair zu Niniane bringen und dann in Talyra bleiben, hatten ihrem Vater nur kurz die Sprache verschlagen, dann hatte er unumwunden erklärt, er werde sie nicht gehen lassen, und für den Brief des Königs würde sich bestimmt ein anderer vertrauenswürdiger Bote finden. Für einen Augenblick hatte sie ihren Vater nur stumm anstarren können. Und dann hatte sie etwas getan, das sie ihrem ganzen Leben noch nicht getan hatte, sie hatte sich ihrem Vater widersetzt. Sie war laut geworden, als sie ihm erklärte, dass er kein Recht habe, sich in ihr Leben einzumischen und sie zu bevormunden, dass es alleine ihre Entscheidung sei und dass sie diesen Brief sehr wohl selber überbringen werde. Das Argument ihres Vaters, dass der Spion Khelenars mit ziemlicher Sicherheit noch immer in Talyra und somit eine Gefahr sei, hatte sie mit einem Fauchen zurückgewiesen, das einer wütenden Raubkatze alle Ehre gemacht hätte. Und dann hatte sie ihn angeschrien, dass er sie gefälligst nicht immer wie ein Kleinkind behandeln solle, sie sei nicht annähernd so hilf- und wehrlos wie er anscheinend annehme. Sie hatte ihn nicht anschreien wollen, aber wenn sie es nicht getan hätte, wäre sie vermutlich geplatzt. Und bei den Worten, mit denen sie den Raum verlassen hatte, war ihre Stimme schon wieder ruhiger und leiser gewesen. "Ich habe mich Dir nie widersetzt, Vater. Nicht einmal als Du mich aus deinem Haus fort und zu Yssama'ria geschickt hast. Aber dieses Mal wird es nicht nach Deinem Willen gehen. Ich werde nach Talyra zurückkehren. Und das steht nicht zur Diskussion."

Gedankenverloren beobachtet sie eine Biene, die eifrig die Blüten eines Lavendelbusches nach Pollen absucht. Da fällt ein Schatten neben ihr auf den Boden und lässt Arwen sich umwenden. Der Elb neben ihr ist kaum einen Sekhel größer als sie, wenn überhaupt, und er trägt das einfache, leinene Gewand der Priester. Arwen kennt Rynthuador nicht von Ansehen her, aber sie ist sich trotzdem sicher, den Hohepriester vor sich zu haben. Dieser Elb vor ihr hat eine derart beachtliche Präsenz, dass man spürt, ob er anwesend ist oder nicht, obwohl er es weder darauf anlegt, Aufmerksamkeit zu erregen, noch das überhaupt nötig hat. "Shadâno." Sie will vor ihm das Knie beugen und ihm den Respekt erweisen, doch dazu kommt sie gar nicht erst. Mit einem kleinen Lächeln hält er sie mitten in der Bewegung auf, schüttelt sacht den Kopf und bedeutet ihr, ihm zu folgen. "Ich mache mir nichts aus zeremoniellem Firlefanz wie einem Kniefall, Shu'ra. Und so lange wir hier unter uns sind, verzichte ich auch gerne darauf. Aber für den ehrlichen Respekt in Euren Augen danke ich Euch." Im lichten Schatten eines alten Kirschbaumes, der schon lange keine Früchte mehr trägt und nur noch als Halt für eine rankende Rose dient, steht eine Bank deren Holz von Sonne, Wind und Wetter vieler Jahre einen silbrigen Schimmer angenommen hat. Mit einer sparsamen, tanzenden Geste bedeutet Rynthuador ihr, sich dort zu ihm zu setzen. "Ihr wolltet mich sprechen, um mich zu bitten, dass ich Euch auf die Prüfung von Geist, Herz und Hand vorbereite. Und Euch diese Prüfung dann auch abnehmen, wenn Euch der Ruf erreicht hat." Nicht gerade, dass Arwen der Mund offen steht, aber ihr erstaunter Blick entgeht ihm anscheinend auch nicht. "Die Mutter der Erinnerung hat mich wissen lassen, dass sie diese Berufung in Euch gesehen hat, und dass sie Euch zu mir geschickt hat." Wie Nir'ialyra zwei Tage zuvor hebt er die linke Hand und berührt das Siegel Anukis' auf Arwens Stirn, dessen grünes Schimmern augenblicklich zu einem kräftigen Strahlen wird. Ein zufriedenes Brummen begleitet das Nicken des Elben. "Woher könnt ihr das wissen, wenn der Ruf doch noch gar nicht ergangen ist?" Die Frage treibt Arwen schon um, seit Nir'ialyra ihr die anstehende Prüfung eröffnet hat, doch sie dem Hohepriester zu stellen, der jetzt neben ihr sitzt, ist um einiges leichter. "Gleiches erkennt Gleiches," kommt es nachsichtig als Antwort. "Sofern man seine Macht nicht absichtlich verschleiert, ist ein Hohepriester in der Lage einen anderen anhand der Macht zu erkennen, die in ihm ruht. Sie mag bei euch noch roh und ungeschliffen sein, aber ich muss zugeben, dass ihr dieses Potential bereits erstaunlich gut beherrscht. Und in euch ruht große Macht, so große, dass ich mit der erhabenen Nir'ialyra übereinstimme, dass es höchstens noch einen Mondlauf dauern kann, bis euch der Ruf in seiner vollen Kraft erreicht." Es verunsichert Arwen sichtlich, wie Rynthuador mit dem Thema umgeht, er redet von der Berufung zu den höchsten Priesterweihen, als sei das etwas so alltägliches wie das Kochen von Gerstenbrei. Für Arwen hingegen ist das alles andere als alltäglich, auch wenn ihre nächste Frage das nicht wirklich erkennen lässt. "Dann werdet ihr mich also… ausbilden." Aus dem Lächeln, das bisher im Gesicht des Elben zu sehen gewesen ist, wird ein Schmunzeln. "Ausbilden wäre wohl zuviel gesagt, Arwen. Dafür wäre auch die Zeit zu kurz. Ganz abgesehen davon, dass Ihr längst keine Novizin mehr seid, die erst in die grundlegenden Fertigkeiten eingewiesen werden muss. Mit welchen Studien Ihr Euch hier im Tempel befasst habt, das habe ich mir schon berichten lassen. Was ich aber gerne von Euch wüsste ist, in welchem Tempel ihr bisher gedient habt und wie und von wem Euch bisher die Prüfungen abgenommen worden sind."

"Nach meiner Berufung in den Dienst der Hüterin habe ich mich dem Tempel in Talyra angeschlossen. In den Herzlanden, am Westufer des Ildorel. Vorsteher des Tempels dort ist Thrandar, ein Priester sechsten Ranges." Unsicher verschränkt Arwen ihre Hände ineinander. "Mir ist bisher nur ein einziges Mal eine Prüfung abgenommen worden. Ganz am Anfang, als ich mich dem Tempel anschloss, da hat Thrandar meine Fähigkeiten auf die Probe gestellt. Aber danach nie wieder." Wenn man einmal davon absieht, dass er mir dauernd unterstellt hat, ich würde ihm seinen Rang streitig machen wollen,… Wohl ist Arwen bei diesem Gedanken nicht, denn es scheint nur ein weiterer Hinweis darauf zu sein, dass anscheinend alle außer ihr erkannt hatten, wohin ihr Weg sie führen würde. "Keine Prüfungen? Nun ja, das ist… ungewöhnlich, zugegeben, ungewöhnlich aber so was kommt vor, wenn niemand verfügbar ist, der den entsprechenden Rang hat um die Prüfungen abzunehmen… Aber ihr wisst um die Segen und Gesänge, die Rituale und Andachten, die zeremoniellen Handlungen im Tempel und zu Ehren der Götter? Habt ihr selber schon Zeremonien geleitet?" Sie nickt zu seiner Aufzählung und zögert etwas mit ihrer Antwort. "Die Andacht und die Beisetzung für einen Waldläufer und die Vermählung einer Freundin. Und noch einige andere, kleinere Zeremonien: Namensgebungen, Schwertweihen." Rynthuador ist ein ausgezeichneter Zuhörer, er stellt nur kleine, offene Fragen und lässt sie dann reden, drängt sie nicht, sondern lässt ihr die Zeit um die richtigen Worte zu finden. Und schafft es so, dass sie ihm mehr von ihrem Werdegang erzählt als irgendwem zuvor, sogar davon, wo und wie der Ruf Anukis' sie erreichte und wie es gelang den Fluch zu brechen. In den Monden, seit sie das Medaillon vereint und zusammen mit ihren Freunden den Dämon vernichtet hatte, sind die schrecklichen Erinnerungen ein wenig verblasst, allerdings sind sie immer noch so lebendig, dass Arwen angst und bange wird, sobald sie daran denkt oder es gar wie jetzt ausspricht.

"Dafür, dass Ihr nicht die Novizenausbildung eines Tempels durchlaufen habt, Arwen, habt Ihr eine sehr umfassende Ausbildung erhalten. Das wird es Euch erleichtern… Er war ein ausgezeichneter Novizenmeister. Wenigstens darin hat Yssama'ria seine Fähigkeiten nicht überschätzt." Bei dem Namen ihrs einstigen Lehrmeisters zuckt Arwen wie unter einem Schlag zusammen. Mit diesem Namen sind zu viele Erinnerungen verbunden, und die meisten davon drehen sich um ein dunkles Toben an einem warmen Frühlingstag und einen Blitz der aus ihren Händen hervor bricht ohne dass sie etwas dagegen tun kann. Yssama'rias Blick, die brechenden Augen als er starb… eine Erinnerung die mit mehr Emotionen befrachtet ist, als sie an sich heranzulassen bereit ist. "Ich zweifle nicht am Ratschluss der Götter, Shadâno, aber… es fällt mir schwer zu glauben, dass ich würdig sein soll, Hohepriesterin zu werden, nachdem... ich… meinen eigenen Lehrer, einen Priester getötet habe." Arwens Stimme ist kaum mehr als ein heiseres Raspeln, aber Rynthuador hat sie trotzdem ausgezeichnet verstanden. "Das liegt Euch auf der Seele, nicht wahr? Der Tod Yssama'rias." Ein leises Seufzen unterbricht die Worte des Hohepriesters. "Manchmal fällt es einem schwer, die Wege des Schicksals zu verstehen… oder sie auch bloß einfach hinzunehmen. Doch an dem, was geschah, tragt Ihr keine Schuld. Er hat sein Schicksal selber heraufbeschworen, als er sich entschloss Euch unter seine Fittiche zu nehmen. Und er wusste, worauf er sich einließ. Er war ein erfahrener Priester, er hätte wissen müssen, dass er dem Fluch eines Erzdämons nicht gewachsen wäre. Er wäre nie in der Lage gewesen, ihn zu bannen, oder Euch den Schutz zu bieten, dessen Ihr bedurft hättet… Der Fluch eines Erzdämons, allmächtige Götter… Ich habe in meinem Leben so manchen Elb gesehen, der unter einen Fluch gefallen war, Flüche von Druiden, Schamanen, Priestern und sogar von Dämonen, mächtige Flüche. Ich habe Elben mit eisernem Willen daran zerbrechen sehen und Priester verzweifeln, weil es ihre Macht überstieg, einen Fluch zu brechen. Aber ich habe nie, NIE erlebt, dass jemand einem solchen Fluch derart lange widerstanden und ihn überlebt hat. Glaubt mir, Arwen selbst eine sehr viel mächtigere Priesterin als ihr es gewesen seid hätte an dem Fluch zerbrechen können. Ich will Euch nicht beleidigen, in dem ich es beschönige oder Euch die Wahrheit verschweige… Was auch immer ihn bewogen haben mag so zu handeln, aber Yssama'ria hätte euch verflucht noch mal an einen Ort bringen sollen, an dem ihr sicher gewesen wärt, zu jemandem, der mächtiger war als er, jemandem, der euch hätte schützen können. Und wenn sich euer Vater nicht so vehement geweigert hätte, Euch von sich fort zu lassen, hätte man Euch schon in jungen Jahren in die Obhut eines Tempels und den Schutz eines Hohepriesters geben können. Vieles wäre dann vielleicht nie geschehen." Ein trauriges Lächeln spielt um seine Lippen. "Aber alles Hätte-Wäre-Wenn ist eitle Spekulation. Es ist geschehen, und keine Macht auf Rohas weitem Rund kann es ungeschehen machen. Aber eines müsst Ihr mir glauben, Arwen: Ihr tragt keine Schuld an seinem Tod." Er betont jedes Wort einzeln.

"Wie sieht es aus, Arwen, habt Ihr heute schon etwas gegessen?" wechselt Rynthuador abrupt das Thema. "Und ich rede nicht von einer Schale Tee und geröstetem Yuba vor Sonnenaufgang." Arwen fühlt sich ertappt, und kann bloß mit einem verschämten Lächeln verneinend den Kopf schütteln. Mehr als das hat sie tatsächlich noch nicht zu sich genommen. Eigentlich hat sie vorgehabt, zusammen mit den anderen Priestern nach dem Frühgebet und ihrem Gespräch mit dem Hohepriester etwas zu essen. Sie ist nicht davon ausgegangen, dass der Elb sich so lange Zeit würde nehmen können, wo doch heute die Sitzungen der Hohepriester mit dem Hohen Rat beginnen. Rynthuadors Blick wandert kurz gen Himmel und prüft den Stand der Sonne. "Im Speisesaal werden wir wohl nichts mehr bekommen, das Morgenmahl ist längst vorbei. Kommt, wir gehen in die Küche. Wenn wir jemanden finden, der uns noch etwas Essbares gibt, dann dort."
Es ist nicht weit bis zu jenem Anbau neben dem Gebäude, das die Wirtschaftsräume und die Kammern der Priester und den Speisesaal beherbergt. Doch sie lassen sich Zeit mit dem Weg, fast so als schlenderten sie nur durch den Garten und wären in die Betrachtung der sprießenden und blühenden Blumen und Kräuter vertieft. "Ich werde Euch anleiten, Arwen. Ich werde Euch die Wege zeigen, auf denen Ihr Euch die Hohen Mysterien erschließen könnt und ich werde Euch in die geheimen Lehren einweihen. Immer morgens, nach dem Frühgebet kommt ihr zu mir. Dann werden wir arbeiten, und sofern die Gespräche mit dem Hohen Rat es zulassen, werde ich auch am Nachmittag Zeit für Euch und die Fragen finden, die Ihr mit Sicherheit haben werdet. Jeder Priester ist von den Zwölf auserwählt um in ihrem Namen Prediger, Lehrer, Diener und Mittler zwischen den herrschenden Mächten Rohas und den Kindern der Welt zu sein. Was aber nur zu leicht in Vergessenheit gerät, selbst unter den Elben die im Krieg der Götter gefochten haben, sie sind genauso oft auch ihre Krieger. Ihr habt in Eurem Leben schon sehr viel gelernt, Arwen, nicht nur in eurer Ausbildung zur Priesterin. Ihr wurdet als Tochter des Truchsessen erzogen, und habt Dinge gelernt, die andere Priester nie oder nur spät und dann mit viel Mühe lernen. Nutzt diese Fertigkeiten und die Möglichkeiten, die sie Euch bieten." Verwirrt verharrt Arwen mitten im Schritt und zwingt den Hohepriester so unabsichtlich dazu, ebenfalls stehen zu bleiben. "Welche Fertigkeiten meint ihr?" Ihr ist nicht bewusst, dass sie irgendetwas Außergewöhnliches gelernt hätte. Gut, dass ihr Vater darauf bestanden hatte, dass sie und Gildin schon von klein an das Ayaron, der Sprache der Götter lernen, ist zwar selbst bei den Shida'ya nicht alltäglich, aber nun auch wieder nicht derart außergewöhnlich. "Ihr wurdet erzogen, um eines Tages einem der Hohen Häuser vorzustehen. Ihr wisst wie man ein solches Haus führt und wie es bewirtschaftet wird. Das wird Euch helfen, wenn Ihr eines Tages selber einem Tempel vorstehen werdet. Und der Tag wird kommen, glaubt mir. Und Euer Vater hat dafür gesorgt, dass ihr den Umgang mit Waffen lernt, was ich ihm hoch anrechne. Nach dem, was Ihr mir vorhin erzählt habt, brauche ich Euch ganz sicher nicht näher erklären, in welchen Situationen Euch das von Nutzen ist. Also seht zu, dass ihr die Fertigkeiten mit Schwert und Bogen, und was immer ihr sonst noch gelernt habt, nicht vernachlässigt oder gar verlernt."

Abgelenkt von den Worten des Priesters haben sie unetrdessen das Küchenhaus erreicht und treten aus der zunehmend warmen Sommersonne in das Dämmerlicht der Küche. Im ersten Moment, nach der Helligkeit draußen, fühlt Arwen sich als sei sie in tiefste Dunkelheit getreten. Ihre Augen brauchen eine Weile, um sich an die abrupte Änderung der Lichtverhältnisse zu gewöhnen. Der Küchenmeister ist allerdings an das gedämpfte Licht gewöhnt und hat sie entdeckt, kaum dass sie durch die Tür getreten sind. Arwen kann sich ein Schmunzeln allerdings nicht verkneifen, als zur Begrüßung ein Wortschwall auf Rynthuador niedergeht, der Arwen nur allzu bekannt vorkommt. Ausnahmsweise ist nicht sie es, die sich Vorhaltungen über eine verpasste und ausgelassene Mahlzeit anhören muss, sondern der Elb vor ihr. Als levitenlesende Herrscher der Tempelküche seinen Wortschwall notgedrungen unterbrechen muss um Luft zu holen, nutzt der Hohepriester die Gelegenheit und streckt in einer Friede heischenden Geste die Hände zur Seite. Mit einem Lachen im Gesicht und in der Stimme erklärt er dem Koch, dass sie die Mahlzeit zwar verpasst hätten, dass sie diese aber nun notgedrungen würden ausfallen lassen müssen, da sich niemand erbarmen würde ihnen wenigstens einen trockenen Kanten altbackenes Brot zu geben. Damit hat er dem Koch dann doch den Wind aus den Segeln genommen, was mit einem amüsiert-empörten Schnauben quittiert wird. Ehe Arwen es sich versieht, bekommt sie ein Tablett aus altersdunklem Holz in die Hand gedrückt, auf dem sich ein Korb mit Nussbrot, eine Stück rahmiger Ziegenkäse, gerösteter Yuba, Butter, pochierte Eier und eine Schale mit am Morgen frisch geernteten Beeren befinden. Rynthuador hat sich das Tablett mit der Teekanne und den irdenen Schalen geschnappt und dirigiert sie wieder hinaus aus der Küche und zu einem unweit der Tür stehenden großen Tisch aus massiven Holzbalken und ebensolchen Bänken im Schatten einer uralten Steineiche.
Der Tisch ist alt und zahllose Jahrestänze, Wind und Wetter haben ihm einen silbrigen Schimmer verliehen. Aber die Oberfläche ist nicht rau und verwittert, sondern ebenso glatt wie Arwen es von dem großen Tisch in der Küche von Vinyamar kennt, glatt vom täglichen Scheuern. Sie hat die Küche noch nicht oft betreten, aber sie weiß, dass die Mägde bei gutem Wetter lieber draußen an diesem Tisch sitzen um Gemüse zu putzen, als in der dämmerigen Küche. Während des Essens reden sie nur wenig, und die meiste Zeit hat es weder etwas mit dem Tempel zu tun, noch mit Arwens anstehender Ausbildung. Als sie beide den letzten Bissen gegessen haben und sich für einen kurzen Moment ganz in der Betrachtung des zartgrünen Tees in den Schalen verlieren, beginnt Rynthuador leise zu sprechen, und in seiner Stimme liegt etwas, das Arwen ihn aufmerksam ansehen lässt. "Wisst Ihr, Arwen, in gewisser Weise seid ihr auf Eurem Weg bereits weiter als Eure Hohe Mutter es je war. Denn ihr habt etwas erkannt, das sich ihr nicht erschlossen hat. Wo sie sich noch alleine gegen einen Erzdämon gestellt hat, ward Ihr stark genug einzugestehen, dass ihr alleine dem Dämon nicht gewachsen seid, und Eure Freunde nicht nur um Hilfe zu bitten, sondern deren Hilfe auch anzunehmen…" Für eine Weile kommt Schweigen auf, als er Arwen die Zeit lässt über das Gesagte nachzudenken. "Den Weg der Hohepriester zu beschreiten, ist keine leichte Entscheidung. Es wird Euch viel abverlangen, denn dieser Weg ist steinig und dornenreich. Und es wird Tage geben, an denen Ihr an Euch, Euren Fähigkeiten und sogar an Eurem Glauben zweifeln werdet. Aber egal, was auch passiert, Ihr dürft nie vergessen, dass der Dienst an den Göttern und den Geschöpfen Rohas nicht alles ist. Ich kenne den Wahlspruch Eures Hauses. Doch er verschweigt etwas sehr wichtiges," das Lächeln mit dem er Arwen mustert wird weicher, so wie ein gütiger Großvater seine Enkelin betrachtet. "Pflicht ist nicht alles im Leben."

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Arwen am 07. März 2007, 20:54 Uhr
Ein arbeitsreicher Siebentag ist seit ihrem Gespräch mit Rynthuador vergangen. Tage, in denen er Arwen andere Wege der Meditation gelehrt hatte, sie sich durch unzählige Bücher und Pergamente gelesen hatte, sie sich beinahe täglich wieder ihrer Zielsicherheit mit dem Bogen gewidmet und täglich mit ihrer Tochter die Gärten und Stallungen Mita'Rôins unsicher gemacht hatte. Sie ist vor Sonnenaufgang auf den Beinen und findet selten vor Mitternacht zu Ruhe und Trance.

An diesem Morgen hat Rynthuador ihr ein Buch in die Hand gedrückt. "Hier. Lest das, Arwen. Lest es und heute Nachmittag werden wir über das reden, was darinnen steht. Ich kann euch nicht die Zauber lehren, die sich euch mit dem nächsten Rang erschließen werden. Die könnt ihr Euch nur selber beibringen, wenn es soweit ist. Aber ich kann Euch auf die Auswirkungen vorbereiten und dafür sorgen, dass ihr die Magie und die Macht einer Hohepriesterin beherrscht. Denn ganz gleich, wieviel der göttlichen Magie einem Priester auch nach seinem Rang zur Verfügung stehen mag, er - oder sie - kann davon nur soviel nutzen, wie Körper, Geist und Verstand zu beherrschen und zu ertragen im Stande sind." Etwas skeptisch betrachtet Arwen die schwungvolle Überschrift, nachdem der Elb sie alleine gelassen und sich zu den Besprechungen im Valonva Shaer aufgemacht hat. Von Wandlern und Werwesen…. Allmächtige Götter… wieso habe ich das Gefühl, dass es da etwas gibt, dass ich über die Zauber des Achten Ranges wissen sollte, bevor ich sie das erste Mal anwende? Ein wenig verunsichert klemmt Arwen sich das ledergebundene Buch unter den Arm und macht sich auf den Weg zu dem alten Apfelbaum im Kräutergarten, der ihr schon während der letzten Tage Schatten und einen ruhigen Platz für ihre Studien geboten hat. Es dauert nicht lange, bis sie sich in der Lektüre verloren hat und sowohl den Garten um sich herum als auch die Zeit völlig vergisst. Es ist das leise huschen der Novizen auf dem Weg zum Mittagsmahl, das sie aus ihren Gedanken zurück in die Gegenwart ruft und verhindert, dass sie wieder einmal eine Mahlzeit verpasst.

Rynthuador erscheint kurz nach dem Essen wieder im Tempel und führt Arwen in die Zimmer, die er während seines Aufenthaltes in Lomirion bewohnt. Aufmerksam und ein wenig wachsam folgt Arwen ihm, denn sonst finden ihre Unterweisungen in einer stillen Ecke des Tempelhains statt. Doch es scheint alles wie sonst auch zu sein. Rynthuador lässt sich von ihr das Buch zurückgeben, beantwortet Arwens Fragen (und davon hat sie einige), zumindest die meisten. Denn darüber, was der Inhalt des Buches mit den Zaubern zu tun hat, die den Hohepriestern zur Verfügung stehen, schweigt er sich hartnäckig aus. Sie reden über die Merkmale, an denen man einen Werwolf erkennt, worin sie sich von den Wandlern unterscheiden, und Arwen erzählt ihm von Kaney, der sich zwar in einen Wolf wandeln kann, aber nicht von den Phasen des Mondes getrieben, sondern nach eigenem Willen, der aber auch kein Wandler ist, wie sie bei den Stämmen der Ersten Menschen vorkommen, sondern etwas… besonderes. Die besonderen Fertigkeiten der Werwölfe, ihre Stärken und Schwächen scheinen ihm aber auffallend wichtig zu sein, das entgeht Arwen nicht - und es trägt auch nicht gerade zu ihrer Beruhigung bei. Es ist schon später Nachmittag, als er dann mit ihrem Wissensstand zufrieden zu sein scheint, denn er wechselt ziemlich abrupt das Thema.
"Gestern, am Abend ist eine Elbin hier gewesen. Shu'ra Larleyanyena." Arwen kann an seinen Augen sehen, dass er auf eine Reaktion von ihr wartet, doch der Name sagt ihr rein gar nichts, und so zuckt sie nur fragend mit den Schultern. "Sie steht im Dienst des Hauses Dúne. Es gab einen Todesfall." Ein sachtes Nicken ist alles, mit dem Arwen darauf reagiert, und aus irgendeinem Grund scheint das Rynthuador zu erstaunen. "Ihr wisst davon?" "Ja. Shu'ra Soraya Chiyânar hat mir davon erzählt, ehe sie zusammen mit ihrem Vater nach Carvallen zurückgekehrt ist. Shu'ra Diva'ra ist im Kindbett gestorben." Jetzt ist es an dem Hohepriester, ihre Worte mit einem Nicken zu bestätigen. "Ja. Sie war nicht nur die Frau eines Mannes, der hoch im Dienste Lord Zedernherz' steht, sondern auch eine Priesterin der Anukis. Und wie es scheint fühlen sich viele aus Zedernherz' Haushalt hier in Lomirion ihr sehr verbunden. Und aus diesem Grund wurde darum gebeten, dass hier im Tempel eine Totenandacht für sie gehalten wird." Irgendwie wird Arwen das Gefühl nicht los, dass der eigentliche Grund, aus dem er ihr das alles erzählt erst noch kommt. Und sie hat sich nicht getäuscht. "Ich möchte, dass Ihr diese Andacht haltet, Arwen. Immerhin seid Ihr über Eure Mutter mit dem Haus Dúne verwand." Alle Einwände Arwens, dass sie das nicht könne, dass sie sich nicht bereit genug fühle, um eine solche Andacht zu halten, lässt Rynthuador nicht gelten. Wenn sie in der Lage gewesen sei, die Balsamierung und Beisetzung eines Waldläufers durchzuführen, dann sei sie auch ohne weiteres in der Lage, die Andacht für eine verstorbene Priesterin zu halten. Und falls sie sich bezüglich der Abläufe unsicher sei, gäbe es dazu ausreichend Aufzeichnungen in der Schriftensammlung des Tempels. Egal, was Arwen auch einwendet, der Priester erweckt nicht einmal den Anschein, als würde er ihre Worte auch nur ansatzweise in Betracht ziehen. Und so streicht sie schließlich die Segel und fügt sich darin, dass sie in fünf Tagen die Totenandacht halten wird.

Es ist spät geworden, die Büsche und bäume draußen in den Gärten werfen schon lange, tiefblaue Schatten, und die zarten Wolken am Himmel sind in ein feuriges Glühen gehüllt. "Ihr habt gestern nach den verschiedenen Wegen der Meditation gefragt, die Priester und Novizen im Laufe ihrer Ausbildung erlernen, danach, warum es so viele verschiedene Wege gibt. Nun… zum einen nehmen die unterschiedlichen Wege Rücksicht auf all die unterschiedlichen Individuen, die in den Dienst der Götter gerufen werden. Und zum anderen führen unterschiedliche Wege zu unterschiedlichen Zielen. In der normalen Ruhetrance erholt sich unser Körper und sammelt neue Kräfte, während die Meditation es unserem Geist ermöglicht, sich zu regenerieren. Wir meditieren, um unsere geistigen Kräfte und unsere Konzentration zu sammeln und zu bündeln, zum Beispiel vor einem schwierigen Ritual, oder danach, um uns davon wieder zu erholen. Meditation ebnet uns aber auch den Weg, um die tieferen Bedeutungen der Lehren der Zwölf zu erfassen und öffnet uns die Tore zu den Hohen Mysterien, in dem sie Körper und Geist in Einklang bringt.
Es gibt aber eine meditative Trance, die uns genau das Gegenteil ermöglicht, die Trennung von Körper und Geist. Es ist beleibe keine leichte Übung, und es hat seinen guten Grund, dass sie erst hochrangigen Priestern gelehrt wird, denn Körper und Geist können nur eine begrenzte Zeit getrennt von einander existieren. Ist diese Zeit überschritten, und gibt es niemanden, der den Geist zurück in seine körperliche Hülle rufen kann, stirbt der Körper und der Geist begibt sich in Sithechs Hallen. Eure bisherigen Lehrer können es euch nicht gezeigt haben, aber… Ihr habt euch bereits sehr viele Fähigkeiten selber angeeignet, und es würde mich nicht wundern, wenn ihr auch dieses unbewusst getan habt." Ein wenig unwohl ist Arwen bei den Worten des Priesters geworden, denn sie wecken Erinnerungen, die sie lieber ruhend wüsste. Und so gelingt es ihr nur schwer, ein Beben aus ihrer Stimme heraus zu halten, als sie leise antwortet. "Ich… ich weiß nicht, ob es das war, was ihr beschrieben habt, Shadâno. Aber als… ich… vergiftet worden war, und zwischen Leben und Tod nur ein haarfeiner Grat war, da… Götter, ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll, aber da habe ich meinen Körper zurückgelassen. Es war, als würde ich meinen Körper, zusammen mit den Schmerzen und Erinnerungen einfach abstreifen wie eine Schlange ihre Haut. Ich weiß auch nicht, wo ich war, und ich kann mich kaum erinnern, wie es dort aussah, wo immer dieses 'dort' auch gewesen ist. Aber ich weiß noch, dass ich mich dort sicher und geborgen gefühlt habe, so als halte Anukis ihre Hand über mich und nichts und niemand könne mir je wieder weh tun." Der Elb hat ihr schweigend zugehört und der prüfende Blick aus eisgrauen Augen lässt Arwen unruhig werden. "Hmjaa," kommt es gedehnt, "das, was ihr da beschreibt ähnelt sehr stark dem, was ich Euch zeigen möchte. Nur möchte ich, dass Ihr diese Trennung kontrollieren lernt. Und nicht wie bei jener Gelegenheit, euer Geist aus eurem Körper flieht. Denn wenn das geschieht, kann es durchaus passieren, dass ihr keinen Weg zurück findet."

Rynthuador löst einen kleinen Beutel von seinem Gürtel und Arwen sieht zu, wie er eine Hand voll von etwas, das aussieht wie wahllos am Wegesrand gesammelte Blätter in die winzige Kohlepfanne streut, die auf dem Tisch neben ihm steht. Ein süßer Duft breitet sich aus, ein einschläfernder Geruch wie von Kräutern unter heißer Sommersonne. "Was verbrennt Ihr da?" fragt sie, während sie spüren kann, dass ihr Unbehagen nachlässt. "Nur ein paar getrocknete Blüten, Traumkelch, die eine beruhigende Wirkung haben, ähnlich wie Weihrauch, aber nicht so teuer." "Das heißt, ich soll mich jetzt so fühlen, als wäre mein Körper federleicht?" "Nun ja, Ihr solltet entspannt sein," kommt die von einem besorgten Blick begleitete Antwort. Arwen kann nicht anders, sie muss lachen. "Wenn ich noch entspannter wäre, würde ich einschlafen. Genau genommen bin ich auch tatsächlich ein wenig müde, aber nicht sehr. Ist das entspannt genug für das, was ihr mir zeigen wollt?" "Das ist gut. Ihr seid nämlich eine sehr angespannte Elbin, Arwen." Rynthuador hält einen Moment inne. "Wachsam ist vielleicht das bessere Wort… Und nun schließt die Augen. Ich werde Euren Geist berühren." Aus irgendeinem Grund vertraut sie dem Priester und schließt die Augen. Das leise Rascheln von Stoff, und auch ohne die Augen wieder zu öffnen weiß Arwen, dass Rynthuador seine Hand hebt. Aber er tut mehr, als nur ihre Stirn zu berühren. Fast gleichzeitig spürt sie, wie sein Geist den ihren berührt, sacht nur, behutsam und fragend. Vorsichtig tastet er sich vor, bis er ihre inneren Mauern streift. Jene geistigen Mauern und Barrieren, die jeder Elb schon als Kleinkind zu errichten lernt, um sich, seine Gedanken und sein Innerstes vor den anderen Angehörigen seines Volkes abzuschirmen. Irgendwann, vor Zeitaltern hatte einmal jemand den treffenden Ausdruck der achtfältigen Mauer geprägt. Je mehr Barrieren überschritten oder gesenkt werden, desto vertrauter und intimer ist die geistige Verbindung zwischen zwei Elben. Rynthuador warte, respektiert ihr Zögern und erwidert damit das Vertrauen, dass Arwen ihm gewährt, als sie schließlich die äußeren ihrer Barrieren senkt.
Es ist ein merkwürdiges Gefühl, warm und seltsam vertraut, wie Hände die sie halten und auf einen noch unbekannten Weg führen. Ihr Atem verlangsamt sich, wird tiefer und tiefer, bis er zu einem vibrierendes Summen wird, das selbst die feinsten Ohren allenfalls noch erahnen können. Ihre Gedanken leeren sich und von einem Herzschlag auf den nächsten ist Arwen in einer Trance, die sich völlig anders anfühlt, als alles was sie kennt. Sie kann Rynthuador neben sich spüren wie ein warmes, goldenes Glühen, dessen Summen ein Echo in ihr selbst findet. Sein Glühen ist mild wie Mondlicht, und gleichzeitig so klar und scharf umrissen, dass Arwen sich noch ruhiger fühlt. Sie überlässt sich seinem sicheren Griff, und langsam verblassen auch noch die letzten bewussten Wahrnehmungen. Eine Weile geschieht gar nichts, dann spürt sie, wie sie sich von ihrem Körper löst und sich nach oben bewegt. Und im nächsten Augenblick schwebt sie über einer endlosen Weite. Diese Zwischenwelt, Arwen wüsste keinen Namen um diesen Ort zu benennen, erstreckt sich in alle Richtungen, und Arwen "sieht" den Anukistempel grüngolden unter sich und die Tempel der anderen Götter im Tempelhain in den unterschiedlichsten goldenen Lichtern widergespiegelt. Die Fläche ist so riesig, dass Arwen sich fragt, wie sich auch nur irgendjemand dort zurechtfinden kann, ohne sich zu verirren und den Kontakt zu seinem Körper zu verlieren. Ganz ruhig, Arwen. Es gibt hier nichts, vor dem Ihr Euch fürchten müsstet. Seht ihr das goldene Schimmern? Heilige Orte spiegeln sich in dieser Welt wieder. Die Tempel der Zwölf ebenso wie die Haine der Herzbäume. Sie sind eure Orientierungspunkte. So lange ihr in ihrer Sichtweite bleibt, könnt ihr den Weg zurück nicht verfehlen. Kommt. Sich hier von einem Ort zum anderen zu bewegen ist eine beeindruckende Erfahrung. Richtungen scheinen keinerlei Bedeutung zu haben, und alleine ein Gedanke scheint zu genügen, um sich an einen anderen Ort zu bewegen. Nach einer Zeit, die ebenso eine Sekunde wie eine Stunde gewesen sein kann, ist ihr "Rundgang" beendet, und das grüngoldene Schimmern des Anukistempels zieht sie an wie starke Hände, die nach ihr greifen und sie in die körperliche Welt zurückziehen. Die Zwischenwelt ist schlagartig und ohne jeden Übergang verschwunden, und Arwen findet sich zusammengesunken in dem Sessel gegenüber Rynthuadors wieder.

Sie sieht wie der Priester den letzten Rest des Räucherwerks löscht. Ein feiner Schweißfilm liegt auf seiner Stirn. Langsam setzt sie sich wieder auf. Ihr Gesicht ist nass vor Schweiß, und gleichzeitig sind ihre Hände und Füße eiskalt. Der Stoff ihres Gewandes klebt kalt und feucht an ihrer Haut, ihr Herz rast als sei sie tausendschrittweit gerannt und sie hat einen schalen Geschmack im Mund. Sie zittert und wünscht sich, sie hätte eine Decke oder eines ihrer großen Schultertücher zur Hand. Es ist nicht das erste Mal, dass Arwen bewusst wird, dass Magie zu wirken um einiges leichter aussieht, als es tatsächlich ist. Es ist Schwerstarbeit… Der Priester spricht kein Wort, aber er muss nach einem der Tempeldiener gerufen haben, denn kurze Zeit später klopft es leise an der Tür. Der Junge bringt ein Tablett mit kaltem Braten, gebutterten Brotscheiben, süßem Gebäck und eine Kanne mit heißem Kräutertee. Und außerdem ein großes, wollenes Umhängetuch, das nach Lavendel und Balsam duftet, und in das Arwen sich fest einwickelt. "Ihr habt das ausgezeichnet gemacht, Arwen, vor allem, wenn man bedenkt, dass ihr es eben zum ersten Mal probiert habt." Die Worte des Hohepriesters wärmen sie mehr als das Schultertuch, auch wenn Arwen sich für ihr Bedürfnis nach Lob und Anerkennung im Stillen tadelt - und für den Hunger, der ihren Magen knurren lässt wie einen hungrigen Wolf. Doch Rynthuador langt mit dem gleichen Appetit zu wie sie selber, was sie augenblicklich wieder beruhigt. "Das war… atemberaubend. Aber ich sehe noch nicht ganz, wozu es nützt. Außer um im Geist ein größeres Gebiet in meiner Umgebung wie ein Vogel zu überfliegen und zu erkunden," fragt sie zwischen zwei Scheiben Fleisch. "Mit dem Fliegen liegt ihr gar nicht so fern, Arwen. Ihr könnt, wenn ihr stark genug seid, auf diesem Weg in den Geist eines Tieres gleiten, sofern ihr ihm vertraut seid und es euch lässt, und mit seinen Augen sehen, mit seinen Sinnen wahrnehmen, was das Tier wahrnimmt. Ihr könntet sogar in den Geist eines Elben oder Menschen oder eines Angehörigen eines anderen sterblichen Volkes gleiten, wenn sie euch lassen, und deren Wahrnehmung teilen oder ihre Gedanken lesen. Wenn ihr stark genug seid, und rücksichtslos genug, könntet ihr das sogar mit Gewalt gegen deren Willen erreichen, auch wenn das nicht selten beim Opfer zu Tod oder Wahnsinn führt. Ganz zu schweigen von den Narben, die es auf eurer Seele hinterlassen würde. Aber möglich wäre es." Es ist ein heikles Thema, das der Priester da anschneidet. Eine telepathische Gesellschaft, wie die der Elben kann nur funktionieren, wenn jeder die Privatsphäre strikt wahrt, seine eigene und die der anderen. Jeder Elb lernt schon im Kleinkinderalter instinktiv, seine eigenen Gedanken und Gefühle vor anderen abzuschirmen, und die der anderen ebenso unangetastet zu lassen. In die Gedanken und den Geist eines anderen gegen dessen Willen einzudringen, gilt als ehrlos und verwerflich, und wäre selbst in der größten Notlage die allerletzte Wahl.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Arwen am 11. März 2007, 22:06 Uhr
Die Tage vergehen so rasch wie die Vögel ihre Bahnen über den Himmel ziehen. Arwen ist noch immer nicht ganz wohl bei dem Gedanken an die Trauerandacht, die sie gleich für die verstorbene Diva'ra halten soll. Sie kennt die Abläufe einer solchen Zeremonie, immerhin  ist sie den Ablauf in den letzten Tagen wieder und wieder mit einem der Priester durchgegangen. Sie kennt die Lieder die sie zusammen mit Larleyanyena, Serasshers Waffenmeisterin und die Elbin, die um die Andacht gebeten hat, ausgesucht hat. Was Arwen aber wirklich Kopfzerbrechen bereitet und der eigentliche Grund für ihre Unsicherheit ist, sind die Worte die sie zum Gedenken an die Verstorbene sprechen wird. Sie hat es sich stundenlang überlegt, hin und her und wieder zurück, hat nach Worten gesucht, die den Trauernden etwas bedeuten würden - und wird doch das Gefühl nicht los, dass ganz gleich was sie sagt, nichts den Gefühlen der Trauernden gerecht werden kann. Mit einem Seufzen wendet sie sich zu jenen beiden Priestern um, die zusammen mit ihr die Andacht abhalten werden, und in deren Augen sie sie die offene Frage lesen kann, ob sie bereit sei. "Nein, eigentlich nicht. Aber ich weiß nicht ob ich bei einer Trauerzeremonie je das Gefühl haben werde, dafür bereit zu sein… Wie schafft Ihr das?" "Ich? Gar nicht, Shu'ra," lächelt der eine Elb zurück, "aber es macht es leichter, wenn man jemanden hat, dessen Stimme einem bei den Wechselgesängen Halt bietet… Kommt, wenn ich das Winken des Tempeldieners richtig verstehe, sind sie alle eingetroffen und warten auf uns."

Sie betreten den Tempelraum und das Smaragdgras unter Arwens bloßen Füßen ist so weich wie Waldmoos. Schon seit sie diesen Morgen aus der Trance erwacht ist, spürt sie diese nagende Unruhe. Sie kennt dieses drängende Gefühl, sich in der freien Natur aufhalten zu müssen. Doch sie ist hier nicht in Talyra, wo sie einfach nur mit ihrem Pferd durch die Strandpforte zu treten braucht, um den See zu erreichen und an dessen Ufer entlang zum Larisgrün gelangt, tief hinein in den Wald bis zu der kleinen Lichtung mit der großen, alten Tanne. Hier in Lomirion geht das nicht, vor allem nicht heute, wo ihre Pflichten sie im Tempel festhalten. Also hat sie ihre einzige Möglichkeit darin gesehen, barfuß zu laufen, um wenigstens so Kontakt zu Erde und Natur zu haben und das Zerren in ihrem Herzen zu mildern. Sie eröffnet die Andacht mit dem gleichen Gebet, das die morgendliche Frühandacht einleitet. Es folgen einfache Gesänge, das vierfaltige Glaubensbekenntnis und schließlich die eigentlichen Worte der Andacht. "Nicht der ist tot, der gestorben ist; tot ist der, der vergessen ist," schließt Arwen ihre Andacht, "und Diva'ra ist nicht vergessen und wird nicht vergessen."

Arwen holt ein paar Mal tief Luft um ihre Stimmbänder aufzuwärmen, wieder und wieder, bis sich in ihren Atem ein leiser, summender Ton mischt. Schließlich beginnt sie zu singen und wird von der Melodie und den Worten fortgetragen, so tief in den Gesang versunken, dass keine bewusste Wahrnehmung um sie herum mehr existiert. Ihre Stimme dehnt sich beim Singen aus, wird mit jedem Ton, mit jedem Wort kräftiger, und der Klang ihrer Worte gleitet durch die heiligen Hallen des Tempels und steigt bis in das goldgrünen Dämmern der Kuppel empor. Es ist ein Lied in der ältesten Sprache der Elben, Ayaron, die Sprache der Götter, ein Lied zu Ehren der zwölf Götter. Dann wandeln sich Ton und Sprache des Liedes, aus der Hymne an die Götter wird ein Klagelied für die Verstorbene. Es handelt von Sommern, die Diva'ra nicht mehr sehen würde, Blumen, die sie nie mehr riechen würde und ihrer Tochter, die sie nie lachen hören und aufwachsen sehen würde. Fließend wie Wasser über den Steinen eines rasch dahinfließenden Baches wechselt das Lied erneut und Trauer und Klage werden zu einer Feier des Lebens in all seiner Macht. Die beiden Priester, die sich bis jetzt im Schatten der großen Anukis-Statue aufgehalten haben, nehmen die beiden Lieder auf, der eine Verlust und Trauer, der andere die Freude und das Leben, während Arwen die Hymne im Ayaron wieder aufnimmt. Drei Lieder, drei Stimmen, und doch eins. Melodien und Worte scheinen umeinander zu tanzen, miteinander zu spielen, sich zu einem einzigen Ton zu verweben, der die Tempelhalle ausfüllt, und das Gefühl des Verlustes in eine sanfte Decke des Friedens hüllt. Eine der Frauen weint offen als das Lied endet, und Arwen bemerkt zu ihrem eigenen größten Erstaunen, dass es sie freut, die Frau gerührt zu haben, während ihr dieser öffentliche Gefühlsausbruch gleichzeitig Unbehagen bereitet. In ihrem tiefsten Inneren hält sie Tränen für eine private Angelegenheit.

Für einige endlose Momente herrscht Stille im Inneren des Tempels, dann kommt leises Wispern unter den Trauernden auf, und erst nach einer ganzen Weile gerät Bewegung in die Versammlung der Elben, als die ersten ihre Plätze verlassen und der Tür zustreben, deren Portale weit offen stehen.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Arwen am 13. März 2007, 20:43 Uhr
Eben noch spricht Arwen mit der jungen Priesterin, die sich während der Andacht um Rialinn gekümmert hat. Und im nächsten Augenblick spürt sie, wie sich ein riesiges Gewicht in ihren Geist drängt. Das Gefühl ähnelt so sehr dem Moment, wenn früher der Fluch in ihr erwachte und die Kontrolle über sie erlangte, dass ihr Herz zu rasen beginnt und Arwen zur selben Zeit der Atem stockt. Ein ihr in diesem Ausmaß bisher unbekanntes Gefühl der Angst, weitaus stärker als Furcht erfüllt sie und bringt Panik in ihrem Gefolge mit sich. In dem Moment scheint selbst Hysterie noch eine zu farblose Bezeichnung, um die seltsame Mischung aus panischer Angst und Faszination zu beschreiben, die in Arwen aufsteigt. Obwohl hier im Garten des Tempels hochsommerliche Wärme herrscht, zittert sie vor Kälte während ihr gleichzeitig der Schweiß ausbricht. Verborgene, ursprüngliche Instinkte drängen an die Oberfläche ihres Bewusstseins und setzen sich über die Kapitulation hinweg, in die ihr Herz sich für einen Moment flüchten will. Es ist entsetzlich und macht ihr Angst, aber dennoch bleibt ein Teil von ihr völlig ruhig. Sie erlebt einen Moment der Orientierungslosigkeit, als sei sie an zwei Orten zugleich. Was immer sie gerade hat sagen wollen, es löst sich in Nichts auf. Kurz ist da eine sonderbare, jähe Unsicherheit, als hebe sich der Boden unter ihren Füßen, und sie macht einen Schritt um ihr Gleichgewicht wiederzufinden. Dann ist es vorbei und sie spürt plötzlich ganz deutlich die Anwesenheit einer vertrauten Macht. Es ist, als ob ein rauer Wind über sie hinweg fegt und durch sie hindurch und dann ist er fort. Das merkwürdige Gefühl einer räumlichen Verschiebung bleibt. Die merkwürdigen Laute und Berührungen, so sacht wie Rauch und Schmetterlingsflügel. Ein Rauschen wie der Schlag vieler Flügel, dann spürt sie, wie sich in ihrem Innersten etwas öffnet, so als habe jemand ein Tor aufgesperrt und ihr damit einen neuen Weg eröffnet. Arwens bewusste Wahrnehmung ihrer Umwelt ist schon vor Minuten erloschen. Sie hat weder mitbekommen, dass ihre Beine ihr den Dienst versagt haben als sie versucht hat das Gleichgewicht zu halten, noch dass die Priesterin sie gestützt und sacht zu Boden hat gleiten lassen oder gar, dass Rialinn vor lauter Schreck lauthals weinend nach ihrer Mutter verlangt und sich an Arwen klammert, als wolle sie sie in diesem Leben nicht mehr loslassen. Obwohl es helllichter Tag ist, versinkt für Arwen die Umgebung rasch in Dunkelheit. Bald kann sie nichts mehr erkennen als flackernde orangerote Zungen eines Feuers das eben noch nicht dagewesen ist. Dann verwandelt sich selbst dieses Licht in Finsternis... und Arwen fällt hinein.

Jenseits der Schwärze dehnt sich ein unendliches, dunstiges Grau - ein Meer aus Nichts, ohne Decke, ohne Boden. In dieser gestaltlosen Leere beginnen sich allmählich zwei Gebilde zu formen, etwas Großes, Behändes, das hin und her springt wie ein Blatt im Wind. Es dauert etwas, doch dann meint Arwen die Silhouetten zweier Wölfe zu erkennt und das Herz wird ihr weit. Vor ihr eilen sie dahin, sie stumm zur Eile mahnend. Folgen soll sie ihnen, folgen! Arwen gibt sich alle Mühe, aber an diesem grauen Nebelort ist es als lahme sie und bleibe zurück. Rasch werden die Gestalten der Wölfe undeutlich und verlieren sich im schrankenlosen Grau. Obwohl körperlos und nur Geist, kann sie spüren, wie ihrem Körper ein Teil seiner Wärme dahinschwindet, und die Worte Rynthuadors über die Gefahren wenn Körper und Geist sich trennen hallen in ihr nach. Und dann ist sie wieder allein und treibt haltlos weiter.
Zeit vergeht, ob Sekunden, Minuten oder gar Stunden vermag sie nicht zu sagen, und Arwen schwebt dahin, bis etwas mit sanften, unsichtbaren Berührungen an ihr zupft. Sie fühlt sich vorwärts gezogen, erst allmählich, dann immer schneller. Noch immer körperlos, findet sie sich von einer Strömung erfasst, die aus dem Nichts zu kommen und in das Nichts zu münden scheint. Aus der Leere vor ihr beginnt sich ein Umriss zu formen. Arwen fühlt sich immer schneller darauf zu gezogen. Plötzliche Angst erfasst sie. Tod wartet in der strudelnden Tiefe - Tod und Schlimmeres. Mit einer Gewissheit, die wie ein Messer in ihr Herz schneidet, weiß sie, dass - was immer es auch sein mag, was dort in der Finsternis lauert - der wahre Schrecken dieses Ortes im Nirgendwo ist. Die Panik, die in ihr aufsteigt, ist stärker als sie es je für möglich gehalten hätte. Sie zwingt sich, daran zu denken, dass sie sich im Reich ihrer Göttin befindet und nicht in den Kreisen Rohas. Sie braucht sich dem hier nicht zu stellen, wenn sie es nicht will. Ein Teil von ihr erinnert sich, dass in diesem Augenblick, an einem anderen Ort ihre Tochter wartet. Kaum hat sie an Rialinn gedacht, als sie auch schon bei ihr ist, unsichtbar und nicht wirklich an diesem Ort, aber gegenwärtig. Und Arwen findet in dieser Gewissheit die Kraft, die ihr hilft, den Sog zu bremsen, der sie auf die wirbelnde, funkelnde Schwärze zuschwemmt. Dann befreit sie sich davon, ganz langsam, ganz allmählich, so als schwimme sie gegen die Strömung eines schnellen Flusses. Als sie das dunkle Gebrodel ein Stück hinter sich gelassen hat, sinkt der Wirbel so plötzlich in sich zusammen wie er aufgetaucht ist. Arwen ist frei und treibt an einen neuen Ort.
Dort ist das Grau angenehm und das Licht heller, so als strahle die Sonne nach einem Gewitter hinter dichten Wolken. Die Wölfe sind vor ihr da, sehen sie an und es scheint fast, als freuen sie sich, Arwen hier zu wissen. Die Formlosigkeit des Ortes beginnt sich zu verändern.  Während sie sich umsieht, fühlt Arwen sich von diesem Ort angezogen, einem hoch aufragenden Gebilde, ganz und gar aus Nebelbäumen, Regenbogen-Schmetterlingen und Tieren aus purem Licht. Die Wölfe, die sie umkreist haben beschleunigen ihren Schritt und verschwinden in den Nebeln.

Ihr scheint soviel Zeit entglitten zu sein, dass es gut tut, sich wieder eines einzelnen Augenblicks bewusst zu werden. Ihr Geist ist hierhin und dorthin gewandert, hat sich an diesen und an jenen nebelhaften Ort in der Zwischenwelt treiben lassen, Orte, die sie noch nie zuvor gesehen hat. Trotz ihrer Schwäche zaubert die kräftige Umarmung durch zwei Kinderarme ein schwaches Lächeln auf ihre Lippen. Sie hebt die Hand und fühlt zerzauste, seidige Locken unter ihren Fingern. Arwen öffnet die Augen ein wenig und dreht mit einer ruckartigen Bewegung den Kopf - ein Fehler, dessen Folgen sie augenblicklich zu spüren bekommt. Ein scharfer, stechender Schmerz durchzuckt sie, lässt den Garten um sie herum verschwimmen und in nebelhafte Ferne zurückweichen. Sie kneift die Lider zusammen und kämpft gegen die Schwindel erregende Dunkelheit an, die sie abermals in ihren Tiefen zu verschlingen droht. Sie muss ihre Lider zwingen, sich zu heben und auch offen zu bleiben. Erleichterung durchflutet sie und lässt einen Teil ihrer Furcht und Schwäche schwinden, als sie Rialinn erkennt, die sich krampfhaft an ihr festklammert.
"Was ist passiert?" Ihre Stimme klingt merkwürdig rau in ihren eigenen Ohren, und obwohl sie nur leise spricht, hallt jedes Wort schmerzhaft dröhnend in ihrem Kopf nach. "Ihr habt einen großen Schritt auf dem Weg zu den Hohen Weihen gemacht, wie es scheint." Die ruhige Stimme von außerhalb ihres Sichtfeldes gehört Rynthuador. Rynthuador? Aber wie kann er hier sein, er hat gesagt, die Beratungen würden heute den ganzen Tag dauern. Ihr Blick wandert zum Himmel um sich des Sonnenstandes zu vergewissern. Mittag… das Tagesgestirn steht kurz vor seinem höchsten Punkt… Die Erkenntnis, dass sie nicht bloß ein paar Minuten in jener Nebelwelt verbracht hat, erschreckt Arwen noch im Nachhinein. Allmächtige Götter, was wenn ich mich dort verirrt hätte… was wenn… Sie zwingt sich, den Gedanken nicht zu Ende zu bringen. Ehe sie jedoch noch weitere Fragen stellen kann, wird sie dadurch abgelenkt, dass der Hohepriester ihr dabei hilft, sich trotz des Kindes, das sich schlichtweg weigert seine Mutter auch nur für einen Augenblick loszulassen aufzusetzen. "Allerdings habt Ihr eine ziemlich dramatische Art, um Euch jene Pfade zu erschließen, auf die Euch die Hüterin ruft." "Wie…" Arwen kommt gar nicht dazu, ihre Frage auszusprechen. "Wieso ich hier bin, und nicht im Valonva Shaer? Nun, bei Eurem Aufbruch in den .. nächsten Rang… habt ihr Eure Kraft derart vehement freigesetzt, dass das vermutlich keinem hochrangigen Priester hier in der Stadt ganz verborgen geblieben sein dürfte. Aber nur den Wenigsten dürfte bewusst sein, was da genau passiert ist." Er spricht es nicht aus, aber es ist für Arwen klar, was er meint: Nur Hohepriester würden erkannt haben, was genau passiert ist. Aber genau von denen halten sich zurzeit einige in Lomirion auf, wie sie sich seufzend bewusst wird. "Aber die Beratungen…" Rynthuador scheint an diesem Tag nicht vorzuhaben, sie auch nur einen ihrer Sätze zu Ende bringen zu lassen. "Wir waren ohnehin gerade an einem toten Punkt angelangt und am überlegen, ob wir die Gespräche nicht besser auf morgen vertagen sollten. Da mir klar war, was hier geschehen sein musste, und wie verwirrt ihr vermutlich sein würdet, wenn Ihr wieder zu Euch kommt, habe ich mich bei den Beratungen entschuldigen lassen… Ich kann Euch aber nicht versprechen, wie lange es dauern wird, bis Eurem Hohen Vater klar wird, welchen Grund es haben könnte, dass ich gegangen bin." Arwen glaubt für einen Moment so etwas wie ein Schmunzeln in den Augen des Elben zu erkennen. Doch dann ist es so schnell wieder verschwunden, dass sie sich nicht sicher ist, ob sie sich das nicht bloß eingebildet hat. "Dann sollte ich wohl besser sehen, dass ich nach hause komme, …" ehe mein überbesorgter Vater hier auftaucht. Den Rest des Satzes spricht sie nicht laut aus, aber sie kann dem Elben ansehen, dass er zumindest ahnt, was da unausgesprochen geblieben ist.

"Nun mal nicht so hastig, junge Frau," bremst Rynthuador lächelnd ihren Tatendrang. "Ehe ihr nicht wieder ganz zu Euch gekommen seid, werdet Ihr nirgendwo hingehen." Sein Blick bekommt etwas Besorgtes. "Das was Ihr da erlebt habt, ist mit Sicherheit überwältigend und auch ein wenig beängstigend, Arwen, aber… dass es Euch regelrecht von den Beinen geholt hat, das macht mir Sorgen. Normalerweise geschieht das zu diesem frühen Zeitpunkt nicht. Außer…" Seine Augen verengen sich zu Schlitzen, und seine Stimme bekommt etwas Grollendes. "Dass Ihr regelmäßig esst, das weiß ich, weil man darauf achtet, dass Ihr auch an allen Mahlzeiten hier im Tempel teilnehmt. Aber wie sieht es mit den Ruhestunden aus? Sagt mir die Wahrheit. Wie viele Stunden nehmt Ihr euch am Tag für die Ruhetrance?" Es gelingt Arwen nicht, diesem durchdringenden Blick auszuweichen, und so rückt sie schließlich damit heraus, dass sie sich meist erst nach Mitternacht zur Ruhe legt. "Vier oder fünf Stunden, manchmal auch sechs," gibt sie leise zu. "Vier oder fü- … Was denkt Ihr euch dabei? Denkt Ihr überhaupt einmal an euch selbst? Und kommt mir jetzt nicht mit der Ausrede, dass es soviel zu lernen gäbe. Denn das ist eine verdammt faule Ausrede. Ihr habt alle Zeit Rohas, um zu lernen, was Ihr wissen müsst, denn allein Anukis entscheidet, wann ihr so weit seid, dass sie euch ruft. Aber wie wollt Ihr den Ruf hören, wenn ihr vor lauter Müdigkeit taub seid, oder der Ruf Euch derart überwältigt, dass ihr einfach in Ohnmacht fallt?" Sie hat Rynthuador noch nie so erzürnt erlebt, oder gehört, dass er seine Stimme erhebt. Instinktiv zieht sie den Kopf ein wenig zwischen die Schultern, um das Gewitter abzuwarten, das sich gerade über ihr entlädt. "Ihr kommt jetzt mit hinein in den Speisesaal. Ich lasse Euch nicht eher gehen, als bis Ihr etwas gegessen habt und ich sicher sein kann, dass Ihr nicht nach fünf Schritten über Eure eigenen Füße stolpert. Und dann geht Ihr nach hause und ruht Euch aus. Keine Bücher, keine Meditationsübungen, gar nichts. Und das nicht nur heute, sondern auch morgen. Wenn Ihr zu den Andachten kommt, soll es mir recht sein, aber ansonsten will ich, dass ihr den Tag morgen einmal nur an Euch denkt. An Euch und an niemanden sonst. Denn ich werde Euch garantiert nicht die Prüfungen von Geist, Herz und Hand abnehmen, wenn ich fürchten muss, dass Ihr mittendrin vor Erschöpfung einfach einschlaft. Immerhin befinden wir uns nicht im Krieg oder in sonst einer Ausnahmesituation, die einen solchen Raubbau an den eigenen Kräften rechtfertigen würde."

Müde und ein wenig steif rappelt sie sich auf und folgt Rynthuador, Rialinn und der jungen Priesterin aus dem Garten in die kühleren Tempelräume und durch die Gänge zum Speisesaal. Das Essen verläuft entgegen zu den sonst so regen Unterhaltungen auffallend ruhig, und Arwen kann die Blicke spüren, die ihr mehr oder weniger verstohlen zugeworfen werden. Unter den Tempelangehörigen, Priestern und Novizen ebenso wie Tempelbediensteten hat sich längst herumgesprochen, auf welche Prüfung Arwen sich unter der Anleitung des Hohepriesters vorbereitet. Nach dem Essen gelingt es ihr, Rynthuador dahingehend zu überzeugen, dass sie voll und ganz bei sich ist und auch ganz sicher alleine den Weg zum Haus ihres Vaters schaffen wird.
Rialinn hopst den ganzen Rückweg vor ihr her und um sie herum, und findet es einfach nur toll, dass ihre Mutter den ganzen Nachmittag mit ihr im Garten verbringt. Und so schleppt sie dutzendweise Käfer und Schnecken an um sie Arwen zu zeigen, lässt sich von ihrer Mutter einen Blumenkranz winden, und irgendwann liegen Mutter und Tochter einträchtig im Schatten der Sonnensegel und verbringen gemeinsam die Nachmittagsruhe in tiefer Trance.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Arwen am 19. März 2007, 21:31 Uhr
Es ist schon Abend, und die Dämmerung legt sich wie ein violettes Tuch über den Himmel, als Arwen sich mit raschen Schritten auf dem Weg vom Tempel zum Haus ihrer Familie macht. Der Tag ist ruhig verlaufen, sie hat sich unter Rynthuadors Anleitung durch dicke, ledergebundene Folianten gearbeitet, in denen Lehrer längst vergangener Jahrhunderte sich mit den Hohen Mysterien befasst haben. Doch dann, kurz vor Sonnenuntergang hat er ihr eine Frage gestellt, die sie von einem Moment auf den anderen vollkommen aus der Bahn geworfen hat. "Unter welchem Namen wollt Ihr die Gelübde der Hohen Weihe ablegen? Unter dem, unter dem Euer Vater Euch aufzog und den ihr jetzt tragt? Oder unter Eurem wahren Namen, jenem, bei dem Eure Mutter Euch nach der Geburt nannte?" Es hat einige endlose Herzschläge gebraucht, bis sie begriffen hat, was der Hohepriester da gerade gesagt hat. "Mein wahrer Name?" hat sie heiser nachgefragt, als sie das betretene Gesicht des Elben sieht, dem bei ihrer Reaktion schlagartig klar wird, dass sie nichts von einem zweiten Namen weiß. "Besser, Ihr fragt Euren Vater danach," ist alles gewesen, was Rynthuador dazu noch gesagt hat. Und dann ist irgendetwas in ihr zerbrochen, mit einem scharfen, hohen Ton ist etwas in ihr in winzige Teile zerbrochen. All das Vertrauen, das sich zwischen Arwen und ihrem Vater seit jenem Streit am Tag der Eiderneuerung langsam wieder aufgebaut hat, ist binnen Sekunden nur noch Schall und Rauch.  Enttäuschung, Trauer und Wut pulsieren mit ihrem Herzschlag durch ihr Blut, ein überwältigender Schwall von Gefühlen, die sie kaum noch in Schach halten kann. Diese Emotionen haben etwas in ihr berührt, eine Mauer eingerissen, von deren Existenz sie bis zu diesem Moment nichts geahnt hat. Und es hat etwas in ihr freigesetzt, eine Kraft, von der Arwen nicht gewusst hat, dass sie sie in sich trägt, und die ihr beinahe Angst macht.

Sie erreicht das Tor von Mita'Rôin, überquert den kiesbedeckten Vorplatz und tritt durch die große Tür in die Eingangshalle. Kaum, dass sie die Tür hinter sich geschlossen hat, läuft Gildin ihr über den Weg und mustert sie vorsichtig als er den Sturm der Gefühle bemerkt, der ganz offensichtlich in ihr tobt. "Arwen, was i-" "Wo ist unser Vater?" "Er ist im Empfangszi- … nein, warte, er hat Besuch, Du kannst da jetzt nicht rein!" "Ich kann nicht? Du wirst gleich sehen, was ich kann und was ich nicht kann." Ohne auf die Worte ihres Bruders zu hören, oder auch nur ihren Schritt zu verlangsamen, durchquert Arwen die Halle, und wendet sich jenem Raum zu, in dem ihr Vater offizielle Besucher empfängt und der ihm gleichzeitig als Schreibzimmer in jenen Angelegenheiten dient, die nicht privater oder persönlicher Natur sind. Ohne anzuklopfen öffnet sie die Tür und steht mitten im Raum, ehe auch nur einer der Anwesenden ein Wort sagen oder Gildin sie einholen und davon abhalten kann. Drei Augenpaare starren sie an, ungehalten ihr Vater und erstaunt die beiden Elben, die ihm gegenüber in bequemen Sesseln sitzen und sich nun dem Grund für die unerwartete Unterbrechung ihres Gespräches zuwenden. "Arwen! Was ist passier?" Sie übergeht die Frage ihres Vaters, sieht ihn einfach nur an, und silbriger Frost scheint sich mit dem Grün ihrer Augen zu verbinden. "Lasst mich mit meinem Vater alleine!" "Aber…" "ALLE RAUS!" Sie erhebt ihre Stimme nur selten, eigentlich fast nie, und so kann sie ihren Vater kurz zusammenzucken sehen, ehe sich wieder die Maske steter Beherrschtheit über sein Gesicht legt.  "Arwen, was soll das?" "Ich will mir Dir reden, Vater. Jetzt und hier. Und zwar alleine. Sofort!" Ihre Stimme ist nur noch ein eisiges Flüstern, aber dabei durchdringender als ein Fanfarenstoß. Gildin und die beiden sichtlich verwirrten Besucher verlassen den Raum und schließen die Tür hinter sich.

"Was denkst Du Dir dabei?" Ihr Vater hat sich unetrdessen von seinem Stuhl hinter dem Schreibtisch erhoben und ist sichtlich aufgebracht über ihren Auftritt. "Was ich denke? Willst Du das wirklich wissen? Ich hatte bisher nicht den Eindruck, dass ich wichtig genug sei um Dich zu interessieren. Oh, außer natürlich es ging um den Fluch der gebrochen werden sollte oder um meine Tochter, die den Fortbestand des Hauses Mitarlyr sicherstellt." Sie weiß, dass das was sie sagt nicht stimmt, und dass ihre Worte ihn verletzen, aber genau das will sie: Ihm mit Worten weh tun. Zu sehr hat sie verletzt, was sie erfahren hat, und sie will, dass er den gleichen Schmerz fühlt. "Sag mir meinen Namen, Vater." Offenes Unverständnis liegt im Blick Tianrivos als er zu sprechen ansetzt um ihrer Aufforderung nachzukommen. "Du kennst deinen Namen: Arwen Liasi-" "Meinen wahren Namen!" Sie will ihren Vater nicht anschreien, aber es gelingt ihr nur mühsam, sich zu beherrschen und genau das nicht zu tun. Eiseskälte liegt in ihrer Stimme als sie weiterspricht. "Den Namen, den meine Mutter mir gab." Das unbewegte Gesicht ihres Vaters, das er sonst so meisterhaft als Maske zu tragen versteht, hinter der seine Gedanken und Gefühle verborgen bleiben, entgleitet ihm vor ihren Augen. Schrecken steht in seinem Blick und verbirgt die Schuldgefühle, die sie kurz aufflackern sieht. Doch da ist noch etwas, etwas anderes verbirgt sich hinter diesen offensichtlichen Gefühlen, und für einen kurzen Augenblick fühlt es sich an als habe ihr Vater Angst. Für einen Moment liegt Schweigen zwischen ihnen. "Yrianna Siranshaer." Sie kann ihren Vater hart schlucken sehen ehe er antwortet. "Deine Mutter nannte dich Yrianna Siranshaer."

"Yrianna Siranshaer." Leise wiederholt Arwen den Namen, lässt seinen Klang auf sich wirken und lauscht in sich hinein, ob er irgendwo in ihr sein Echo findet, an einer Saite rührt, die mit ihm in Einklang schwingt. Lange Herzschläge lang geschieht überhaupt nichts, so lange, dass Arwen schon fürchtet, dass der Klang ihres wahren Namens einfach so verhallt ist. Doch dann regt sich etwas, ein leises, summendes Vibrieren dringt zu ihr, steigt aus Tiefen ihres Innersten empor, die zu ergründen sie nie den Mut gefunden hatte. Bis jetzt. Dorthin, in die Tiefen ihres innersten Selbst wird der Ruf der Hüterin sie führen, wird ihr schlagartig klar. Hätte ich den Weg schon früher gehen können? Hätte mich der Ruf in die Dienste Anukis' früher erreicht, wenn ich meinen wahren Namen gekannt hätte? Dieser Gedanke lässt den Zorn wieder auflodern, der gerade im Abkühlen begriffen gewesen ist und wischt im selben Atemzug jeden Ansatz von Zurückhaltung hinweg, den sie bis eben noch gehabt haben mag. "Ich habe mich schon vor vielen Jahrhunderten damit abgefunden, dass Du mir die Schuld am Tod Amithras gibst, und dass Du es von meinem ersten Atemzug an nicht ertragen konntest, mich anzusehen. Denkst Du, ich hätte die Blicke nicht bemerkt mit denen Du mich angesehen hast, wenn Du dachtest, ich merke es nicht? Oder wie Du zusammengezuckt bist, wenn ich Deine Aufmerksamkeit gesucht habe?" Aus ihrem zornigen Fauchen wird ein resigniertes Flüstern. "Aber dass Du mir in all den Jahren meinen wahren Namen verschwiegen hast, den ersten Namen, bei dem ich genannt wurde, kaum dass ich die Luft Rohas geatmet habe, dass… Ich wusste nicht, dass Du mich so sehr hasst, Eamo." Tränen aus Verzweiflung und Trauer steigen heiß empor, und es kostet Arwen all ihre Selbstbeherrschung, sie zurückzuhalten. Dass ihre Stimme bebt kann sie allerdings nicht verhindern.

"Du hättest auf den Rat der Priester hören sollen, weißt Du, und mich schon als kleines Kind in die Obhut eines Tempels geben sollen. Das hätte Dich von meiner Anwesenheit befreit. Und mir vielleicht eine Menge Leid erspart." Falls ihr Vater sie unterbrechen und etwas erwidern will, merkt sie es nicht - und wenn doch, hätte sie es vermutlich ohnehin ignoriert. "Aber darum brauchst Du Dir zukünftig keine Sorgen mehr machen. Ich werde Dich von meiner Anwesenheit befreien… Sobald ich meine Prüfungen abgelegt habe und sofern der Hohe Rat meine Anwesenheit hier bezüglich Khelenars Anhörung nicht benötigt, werde ich Lomirion verlassen und mit Rialinn nach Talyra zurückkehren." Ihr Blick sucht den ihres Vaters. Sucht und hofft. Sucht nach einer Gefühlsregung von ihm, doch da ist nichts, nicht einmal Zorn. Hofft auf ein Wort Tianrivos, eine Erklärung für sein Handeln oder auch bloß den Vorwurf, dass sie Unrecht habe, doch da ist nur Schweigen. Mit mühsamer Beherrschung nimmt sie diese letzte Zurückweisung hin, streckt die Hand aus ohne ihren Vater zu berühren und etwas Kleines, silbernes landet mit einem metallischen Klirren auf dem dunklen Holz des Schreibtisches. Ohne den Blick von ihm zu lassen geht sie rückwärts bis zur Tür, hofft noch immer, hofft vergeblich. Abrupt dreht sie sich um, reißt die Tür auf und flüchtet regelrecht aus dem Zimmer. Sie stürmt durch die Halle, sieht weder ihren Bruder noch sonst jemanden an, hört die Stimme ihrer Tochter ohne sie jedoch wahrzunehmen und verlässt die Halle durch eine der Türen, die hinaus in den Garten führen.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Mitarlyr am 19. März 2007, 22:23 Uhr
Er hat alle aus der Halle geschickt, auch die beiden Besucher seines Vaters aus Lyrtaran. Alleine mit sich und seinen Gedanken läuft Gildin vor der Tür zum Schreibzimmer seines Vaters auf und ab. Er kann die Stimme seiner Schwester im Inneren hören, doch er vermeidet es angestrengt, zu lauschen oder die Worte zu verstehen. Wenn er doch nur wüsste, was passiert ist. So wie eben hat er seine Schwester noch nie zuvor erlebt. Nie hat sie jemals die Fassung verloren. Nie! Die Stimme hinter der Tür wird leiser, und er ist versucht zu hoffen, dass Arwen sich nach was auch immer wieder beruhigt hat. Doch dann wird die Tür derart abrupt aufgerissen, dass sie mit einem lauten Knall gegen die Wand schlägt während seine Schwester aus dem Zimmer stürmt. Wo vorhin als sie aufgetaucht ist noch heiß lodernde Wut gewesen ist, sind jetzt nur noch eisige Verzweiflung und Tränen geblieben. Und Gildin muss sich eingestehen, dass ihn das fast noch mehr beunruhigt. Er hört Rialinns Stimme auf dem Balkon im Obergeschoß der Halle, die nach ihrer Mutter ruft und in verstörtes Klagen ausbricht, als die nicht auf sie reagiert. Einen kurzen Gedanken hat er für das Kindermädchen, mit dem er sie anweist, Rialinn in ihr Zimmer zu bringen und dort bei dem Kind zu bleiben bis er oder Arwen kämen. Dann betritt er das Schreibzimmer seines Vaters so vorsichtig als betrete er einen Kampfplatz.

Der Anblick seines Vaters trifft allerdings wie ein Schock, und mit raschen Schritten ist er bei ihm. Tianrivo ist so bleich wie eine frisch gekalkte Wand und sieht aus, als habe er sich völlig in sich selber zurückgezogen. "Vater?" Zögernd streckt er die Hand aus und berührt ihn an der Schulter, schüttelt ihn leicht, bis er den Blick hebt und ihn ansieht. "Was ist passiert, Vater?" "Ich habe sie verloren." "Wen hast Du verloren?" "Arwen." Den Namen auszusprechen scheint Tianrivo alle Kraft zu kosten, und er sieht aus wie jemand, dessen Seele tödlich verwundet wurde, und der stillschweigend daran zugrunde gehen wird ohne sich zu wehren. "Warum? Was ist passiert?" "Jemand hat ihr erzählt… Sie hat erfahren, dass Arwen Liasiranis nicht ihr wahrer Name ist, dass ihre Mutter ihr einen anderen Namen gegeben hatte." Für einen Moment kann Gildin seinen Vater nur ungläubig anstarren. "Du wusstest davon und hast es ihr nicht gesagt? Du hast ihr ihren wahren Namen verschwiegen?!... Allmächtige Götter… Kein Wunder, dass sie so außer sich gewesen ist… Wie konntest… Warum hast Du das getan, Vater? Warum hast Du es ihr verschwiegen? Du kannst doch unmöglich geglaubt haben, dass sie es nie erfahren würde." Der Blick seines Vaters geht in unbestimmte Ferne, und seine Stimme ist bar jeden Lebens, kaum mehr als ein heiseres Flüstern. "Ich dachte, wenn niemand ihren wahren Namen kennt, dann kann ihn auch niemand gegen sie benutzen. Ich war so dumm zu glauben, dass dieser verdammte Dämon mit seinem Fluch dann nie wirklich Kontrolle über sie erlangen könnte, wenn er den wahren Namen nicht kennt." Gildin starrt seinen Vater nur kopfschüttelnd an. "Der Gedanke mag ja nicht ganz schlecht sein, aber so lange Arwen nichts davon wusste, und den Namen den sie trug für ihren einzigen Namen hielt, hätte es keinen Unterschied gemacht. Selbst wenn es funktioniert hätte. Aber verdammt, warum hast Du es ihr dann nicht längst gesagt, spätestens jetzt als sie hier bei uns ankam?" "Weil ich Angst davor hatte wie sie reagiert, und weil ich anscheinend nicht halb so weise bin wie mein Sohn… Und jetzt habe ich sie verloren. Diesmal habe ich sie wirklich verloren…" Der Schmerz in der Stimme seines Vaters lässt Gildins Herz sich zusammenziehen, und der Schmerz wird zu seinem eigenen als sein Vater ihm einen silbernen Ring in die Hand fallen lässt. "Das ist… Arwens Siegelring!" Sein Vater kann erst nur stumm nicken. "Sie ließ ihn hier, bevor… sie… gegangen ist… Amithra, verzeih mir, ich habe Dir versprochen sie zu beschützen und immer für sie da zu sein, doch stattdessen habe ich sie verloren."

Während Gildin noch am überlegen ist, was er auf die Worte seines Vaters erwidern soll, kommt Andovar durch die Tür gestürmt und bleibt neben Gildin stehen. Dessen wortlosen Gesten, dass er besser gehen solle, scheint sein Waffenbruder geflissentlich zu übersehen. Und ehe Gildin etwas sagen kann, um ihn zu bitten zu gehen, platzt es aus seinem Freund heraus. "Will ihr denn keiner von euch hinterher?" Anscheinend ist er Arwen begegnet, und die letzten Worte Tianrivos scheint er auch gehört zu haben, schließt Gildin aus den folgenden Worten. "Verloren? Wenn Ihr ihr jetzt nicht folgt, dann habt ihr sie verloren, verdammt noch mal." "Andovar, lass es gut sein, Du verstehst nicht-" Doch der Elb scheint nicht gewillt zu sein, Gildin ausreden zu lassen. "Ich verstehe sehr wohl, aber Du hast keine Ahnung, nicht die geringste. Sie ist deine Schwester, aber Du weißt nichts von ihr, gar nichts. Sie ist voll von Tränen, die sie nie geweint hat, die sie nicht weinen konnte und nicht weinen durfte. Himmel, seht ihr das denn nicht? Sie ist nicht einmal halb so stark wie sie tut. Und das was sie braucht, das was sie verzweifelt sucht, ist jemand, dessen Stärke ausreicht um sie einfach zu halten und ihre Schwäche zu akzeptieren. Und wenn ihr jetzt niemand folgt, wenn jetzt keiner von euch zu ihr geht, dann verliert ihr sie wirklich."

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Mitarlyr am 21. März 2007, 19:42 Uhr
Die Worte seines Sohnes sind nur wie durch einen Nebel zu ihm vorgedrungen, während er mit der Versuchung ringt, sich der Verzweiflung zu ergeben, dass er seine Tochter verloren hat. Aber die Vehemenz, mit der Andovar auf ihn einredet reißt Tianrivo aus seiner Erstarrung. Der junge Elb sieht aus, als würde er ihn schlichtweg ohrfeigen, wenn er sich nicht augenblicklich aufmacht um Arwen zu folgen. Für einen Moment ist er versucht, es darauf ankommen zu lassen, bloß um zu sehen, ob der Waffenbruder seines Sohnes tatsächlich so weit gehen würde. Letztlich entscheidet er sich dann jedoch anders, lässt sich von Gildin den Ring Arwens in die Hand drücken und verlässt das Zimmer und die Halle mit schnellen Schritten. Zu sehen ist seine Tochter nicht als er das Gartentor passiert, also folgt er auf gut Glück einem der hellen Sandwege hinunter zur Flussmauer des Anwesens. Als er schon fürchtet, sie nicht zu finden, begegnet er einem der Gärtnerburschen, der ungefragt aber sichtlich verwirrt mit einer wortlosen Geste auf den schmalen Weg hinüber zu dem kleinen Teich im Schatten der alten Weiden und Maulbeerbäume weist. Er läuft schon fast, als er den Weg entlang eilt, und bremst jäh, als er die Nähe Arwens spürt. Er kann sie noch nicht sehen, aber er hört sie weinen. Zögernd biegt er um einen Busch und bleibt abrupt stehen als er sie sieht.
Sie läuft unruhig am Rand des Teiches auf und ab, und schlingt die Arme um sich selber, als sei dies die einzige Möglichkeit zu verhindern, dass sie zerbricht. Sie dreht sich um, sieht ihn und bewegt sich von ihm weg, auf einen der Bäume zu. Doch es ist nicht so, als ob sie die Flucht vor ihm ergreifen will. Vielmehr scheint es ihm, als würde sie sich völlig unbewusst zu bewegen, wie aus einem inneren Zwang heraus. Er folgt ihr vorsichtig und stets darauf bedacht, ihr genügend Raum zu lassen, dass sie sich nicht bedrängt, eingeengt oder gar bedroht fühlt. Er kann sehen, wie sie anfängt zu zittern, beschleunigt seinen Schritt, streckt die Hand nach ihr aus… und zieht sie zurück ehe er sie auch nur ansatzweise berührt hat. Auf keinen Fall will er sie erschrecken. Und er würde es schlichtweg nicht ertragen, wenn sie jetzt wirklich vor ihm zurückweichen würde.

Und dann dreht sie sich abrupt wieder zu ihm um, und er kann ihre Augen sehen. Arwen zittert unterdessen so sehr, dass sie am ganzen Körper bebt wie Espenlaub. Aber nicht Wut oder Zorn stehen in ihren Augen, wie er befürchtet hat. Das was er in ihren Augen lesen kann, trifft ihn ebenso unvorbereitet wie ein nächtlicher Dolchstoß in den Rücken: In diesem Moment ist sie so schutzlos, liegen ihre Gedanken und Gefühle so offen vor ihm, dass er davor beinahe zurückschreckt; doch nur beinahe. Ihm ist nur nie klar gewesen, was sie stets vor aller Welt verborgen hat, muss er sich eingestehen: Weder Angst noch Zorn oder gar Hass auf ihn… nur Verzweiflung und Einsamkeit. Kurz zögert er, den Bruchteil eines Herzschlags, dann tritt er ganz an sie heran und zieht sie behutsam an sich, bis er ihren Kopf an seiner Schulter bergen und beruhigend über ihre Haare streichen kann. Sie zittert so heftig, dass Tianrivo sich nicht sicher ist, wie lange sie sich noch auf den Beinen wird halten können. Voller Verzweiflung schlägt sie die Hände vor das Gesicht und stößt einen Klagelaut aus, den er noch nie zuvor von ihr gehört hatte, einen so schrecklichen Laut, dass es ihm das Herz zerreißt. Er hätte Arwen gerne getröstet, aber er weiß, dass bloße Worte nicht helfen werden, nicht helfen können. Tränen, die sie bisher nicht hatte weinen können. Andovars Worte haben ihn getroffen, vor allem der unausgesprochene Vorwurf der darin liegt, dass sie sie nicht habe weinen dürfen. Aber dadurch ist er nun immerhin in der Lage zu erkennen, wie wichtig diese Tränen für sie sind. Und so unternimmt Tianrivo auch keinen Versuch, ihre Tränen versiegen zu lassen. Stattdessen hebt er sie einfach auf seine Arme, setzt sich zusammen mit seiner Tochter in den Schatten des alten Maulbeerbaumes in dessen Schatten sie stehen und wartet. Als sie endlich aufhören kann, ist es bereits vollkommen dunkel. Ihr Gesicht muss ich schon ganz wund anfühlen. geht es ihm durch den Kopf, als Arwen sich zum wohl hundertsten Mal über die Wangen wischt und sich erschöpft an ihn lehnt.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Arwen am 25. März 2007, 15:38 Uhr
Fluchtartig hat sie das Haus verlassen und ist blind vor Tränen in den Garten gerannt. Wohin weiß sie nicht, einfach nur weg, weg vom von dem Haus, in dem ihr Vater ist und in dem ihr ganzes Leben sich gerade als eine einzige Lüge entpuppt hat. Aus stummen Tränen wird ein verzweifeltes Schluchzen, trotz ihrer heftigen Bemühungen, es zu unterdrücken. Arwen schlingt die Arme um sich, hält sich an sich selber fest um nicht von den tobenden Gefühlen in ihrem Inneren zerrissen zu werden. Vollkommen verunsichert geht sie am Ufer des kleinen Teiches auf und ab, weiß nicht wohin mit sich und den aufgewühlten Gefühlen, und würde sich am liebsten irgendwo verstecken wie ein verwundetes Tier.

Das Geräusch eines auffliegenden Vogels lenkt ihre Aufmerksamkeit zu dem Busch, an dem ein kleiner Pfad in das Rund mündet, das Büsche und Bäume um den kleinen Teich bilden. Und dann weicht sie vor dem Trugbild zurück, dass ein überreiztes Nervenkostüm und die tobenden Gefühle ihr vorgaukeln. Ein Trugbild. Es kann unmöglich ihr Vater sein, der dort steht und sie aus Augen ansieht, die voller Bedauern und Mitgefühl sind. Es muss ein Trugbild sein, pure Einbildung, ein verzweifeltes Wunschbild. Tianrivo hatte ihr gegenüber nie solche Gefühle gezeigt, genau genommen hatte er überhaupt nur höchst selten überhaupt irgendwelche Gefühle erkennen lassen, ganz gleich welcher Art. Nicht einmal vorhin in seinem Schreibzimmer hat er sich zu irgendeiner Gefühlsregung hinreißen lassen. Sie hat ihm Dinge vorgeworfen, ihn mit voller Absicht mit Worten verletzt, bloß um ihn zu zwingen auf sie zu reagieren, doch nichts ist passiert. Ihr wäre jede Reaktion recht gewesen, in ihrer Verzweiflung wäre sie sogar über eine Ohrfeige froh gewesen. Es wäre immerhin ein Zeichen gewesen, dass ihm das was sie sagt überhaupt etwas bedeutet. Aber ihr Vater hat nichts getan oder gesagt, kein Wort, keine Geste, kein Gedanke. Er hat sie einfach nur angesehen und geschwiegen. Sie wendet sich um und weicht in den Schutz des alten Maulbeerbaumes zurück, ohne sich bewusst dazu entschlossen zu haben setzt sie ihre Flucht fort.

Arwen hat den alten, zerfurchten Stamm des Maulbeerbaumes fast erreicht, als sie in unmittelbarer Nähe die Anwesenheit einer weiteren Person spürt. Aber nicht irgendjemand ist ihr gefolgt, wie sie feststellt, als sie sich umdreht: Vor ihr steht ihr Vater. Und er ist kein Trugbild. Von seiner sonst so unbewegten Miene ist nichts geblieben, sein Blick ist so offen und weit wie der Himmel über ihnen und sie kann darin das Bedauern und das Mitgefühl erkennen, die zu dem Schmerz in seinem Gesicht gehören. Er öffnet seine Arme gerade weit genug um sie einzuladen, doch nicht so weit, dass es fordernd oder gar zwingend wäre. 'Komm her zu mir' sagt diese Geste, 'Du bist nicht allein'. So eine kleine Geste, doch es ist genau die Geste, auf die sie schon am Abend ihrer Ankunft in Lomirion gehofft hatte, damals noch vergeblich. Lauter lang vergrabene Gefühle brechen in ihr hervor, rollen über sie hinweg und reißen sie mit sich fort, aufgewühlt durch das, was heute geschehen ist. Und Arwen steht ihnen hilflos gegenüber, bringt kein Wort heraus und kann ihren Vater nur aus großen grünen Augen ansehen. Er legt die Arme um sie, langsam und sanft. Sie zuckt nicht zusammen und fährt nicht vor ihm zurück und lässt zu, dass er sacht ihren Kopf an sich drückt, um ihr das Haar zu glätten. Erst als er sie im Arm hält, geht ein Ruck durch ihre Gestalt, durchbricht ein Atemholen das Schweigen zwischen ihnen als zerreiße jemand ein Leintuch. Und dann brechen mit einem kaum unterdrückten Schluchzen all die Tränen hervor, die seit so vielen Mondläufen, seit so vielen Jahreskreisen ungeweint sind. Im selben Augenblick ist es auch noch um den letzten Rest ihrer Selbstbeherrschung geschehen und sie schreit all ihre Verzweiflung und Verlassenheit heraus. Das Geräusch ist fürchterlich, und sie schämt sich entsetzlich dafür, aber sie kann auch nicht aufhören. Ihre Worte danach sind kaum mehr als ein Wispern, und selbst für Elben kaum zu verstehen. "Halt mich, Eamo, bitte halt mich fest. Ich kann es nicht mehr. Und wenn Du es nicht tust, dann werde ich mich verlieren." Aber Tianrivo versteht sie. Und er hält sie.

Es dauert lange bis die Tränenflut endlich versiegt, die Sonne ist längst hinter dem Horizont versunken. Arwen ist so erschöpft, dass sie nur an ihren Vater gelehnt dasitzen kann und ihrem eigenen Herzschlag lauscht. Sie spürt seine Finger auf ihren Haaren, an ihrer Wange, wie sie dem Lauf ihrer Tränen folgen. Sie sucht einen Platz, der ihr Zuflucht bietet, Schutz vor dem Schmerz, der von allen Seiten auf sie einzudringen scheint wie ein Unwetter. Sie drängt sich noch näher an ihn, wühlte sich regelrecht ein wie ein verängstigtes Tier, bis ihr Gesicht an seinem Hals ruht und sie seinen ruhigen, kräftigen Puls unter der Haut spüren kann. Seine Hand umschließt sacht ihr Kinn, und er hebt ihr Gesicht bis sie ihm in die Augen sieht. Er scheint etwas sagen zu wollen, sie spürt die Worte, die zwischen ihnen stehen, bebend und unausgesprochen. Dann berühren seine Lippen ihre Stirn, der behutsame Kuss eines Vaters, der seine Tochter zu trösten und zu beruhigen versucht. Die Hand an ihrem Gesicht zittert, aber das merkt Arwen kaum, dazu zittert sie selbst viel zu sehr. Sie wünscht sich, in ihm zu versinken und einzutauchen wie in einen stillen See, ihren Körper zu verlassen, um sich in ihm zu verlieren und Zuflucht in seinem Körper, in seinem Herzen zu finden. Doch das ist unmöglich, und ihr Verstand weiß es. Einen Augenblick ist ihr, als schwebe sie irgendwo im Raum und in der Zeit, frei von allem, ohne festen Punkt und Halt. Und dieser Augenblick beschert ihr ein Gefühl der Befreiung, als würde ein eisiger Faden gelöst, der bis eben ihr Herz gefangen gehalten hat. Tief in ihrem Herzen weiß Arwen, dass sie sich bis zu ihrem letzten Atemzug und darüber hinaus an diesen Moment erinnern würde.

"Warum, Vater? Warum hast Du mir nie meinen wahren Namen genannt?" Ihre Stimme ist leise und rau von den Tränen. Die Frage dahinter, warum sie es von jemandem erfahren musste, der nicht zur Familie gehört, bleibt unausgesprochen. Zaghaft sucht sie den Blick ihres Vaters, unsicher, was sie darin entdecken würde. Denn ebenso wie sie selbst hat er alle Masken und Mauern um Gedanken und Gefühle fallen lassen. Und vorerst scheint keiner von ihnen vorzuhaben, sie wieder aufzurichten. Das Zögern Tianrivos als er tief einatmet ist unübersehbar, und es lässt sie sich fragen, was nun kommen wird. "Weil ich ein Feigling bin?" Der selbstironische Ton ihres Vaters klingt reichlich aufgesetzt, und das Vibrieren in seiner Stimme tut das seinige dazu seine Unsicherheit zu verraten. "Als… als Du geboren wurdest und man Dich Deiner Mutter in die Arme legte, gab sie Dir den Namen Yrianna Siranshaer. Aber sie wusste, besser als ich oder irgendwer sonst auch nur ahnen konnte, welche Zukunft Dich durch den Fluch erwarten würde. Und sie sagte, ich solle noch einen zweiten Namen für Dich wählen, denn den ersten Namen, jenen bei dem SIE Dich genannt hatte, der solle für jeden außerhalb der Familie geheim bleiben. Also wählte ich einen Namen, der seine Wurzel in beiden Sprachen hat und für das stehen sollte, was Du für mich bedeutest: Arúen. Und einen Namen, der jener stürmischen Winternacht Rechnung trug, in der Du geboren wurdest: Liasiranis. … Dann… dann nahm sie mir das Versprechen ab, dass… ich… ihr nicht in die Stillen Hallen folgen werde, dass ich den Krieg überlebe und immer für Dich und Gildin da sein und euch beschützen werde." Für einen kurzen Moment versagt ihm die Stimme und Arúen kann ihm ansehen, wie sehr er mit den Erinnerungen ringen muss, ehe er fortfahren kann.

"Es war fast das Letzte, das sie noch gesagt hat, ehe sie starb. Aber eines musst Du mir glauben, Arúen," seine Hände legen sich fest um ihre Schultern und er spricht erst weiter, als er sich sicher ist, dass er ihre ganze Aufmerksamkeit hat, "ich habe Dir NIE, nicht einen einzigen Moment die Schuld am Tod Deiner Mutter gegeben. Es stimmt, ich habe gelitten, jedes Mal, wenn ich Dich sah. Aber nur weil ich völlig hilflos mitansehen musste, wie dieser Fluch Dir das Leben zur Hölle gemacht hat. Und ich konnte Dich auch nicht in die Obhut eines Tempels geben, egal wie oft einer der Priester mir auch dazu riet. Ich wäre mir vorgekommen, als hätte ich Dich und Deine Mutter verraten. Bis zu jenem Tag, als der Fluch das erste Mal so heftig ausbrach, dass es Dich fast das Leben gekostet hätte. Da musste ich einsehen, dass egal wie gut ich es auch meine… dass ich nicht in der Lage war Dir zu helfe oder Dich zu beschützen. Yssama'ria war ein Priester der Anukis und, was mir viel wichtiger war, er war ein Freund der Familie. Er bot an, Dich an einen Ort zu bringen, wo Du sicher wärst und wo Du lernen könntest, wenn schon nicht den Fluch selber so doch wenigstens seine Auswirkungen zu kontrollieren… Ich habe ihm geglaubt und ihm vertraut. Die Götter mögen meine Zeugen sein, ich habe wirklich geglaubt er sei mächtig genug, Dich zu schützen und Dich zu lehren… Ich war blind vor Sorge. Das ist die einzige Entschuldigung die ich habe. Denn ich hätte es wissen MÜSSEN, dass er eben nicht mächtig genug war. Wie sollte er auch, er war ein Priester sechsten Ranges und den Fluch hatte ein Erzdämon der ältesten Tage gesprochen. Ein Erzdämon an dem eine Hohepriesterin gescheitert war… Ich war so unendlich dumm." Schweigen kommt für eine Weile auf, doch es ist kein unangenehmes Schweigen.

"Ich wollte Dir deinen wahren Namen sagen, als Du großjährig wurdest,… aber ich hatte nur für den einen Tag in Amrielcalamar sein können, und ich wollte Dir den Tag und die Feier nicht mit Erinnerungen an deine tote Mutter verderben… Klingt wie eine ziemlich schwache Ausrede, nicht wahr?" So etwas wie ein Lächeln zuckt kurz in den Mundwinkeln ihres Vaters, und Arúen versucht es zu erwidern, was ihr aber nur halb gelingt. "Und dann später, während der Krieg immer weiter tobte oder während der Schiffsjahre… wenn die Gelegenheit passend schien, fehlte mir der Mut, und wenn ich den Mut dazu hatte, schien die Gelegenheit nicht passend. Und irgendwann waren zu viele Gelegenheiten verstrichen, als dass ich es noch aussprechen hätte können. Bis heute habe ich mir selber einzureden versucht, dass es auch besser so sei, weil… wenn niemand Deinen wahren Namen kennt, dann könnte ihn auch niemand gegen Dich verwenden. Ich war so dumm mir einzureden, dass dieser verdammte Dämon mit seinem Fluch dann nie wirklich Kontrolle über Dich erlangen könnte, wenn er Deinen wahren Namen nicht kennt." Er lächelt zögerlich, doch in seinen Augen liegt ein rührend unsicherer Ausdruck und beinahe schüchtern streicht Tianrivo ihr eine verirrte Strähne aus der Stirn.

Und dann beginnt Tianrivo leise zu erzählen, von Amithra und wie sie sich kennenlernten, wie aus Freundschaft und Vertrautheit Liebe geworden war und sie geheiratet hatten. Und von dem Dämon mit dem sie es aufgenommen hatte, und von dem er erst erfahren hatte, als es längst zu spät war um an ihrer Seite zu sein und ihr beizustehen. Arúen glaubt, Sehnsucht in seiner Stimme zu hören als er von Amithra spricht, aber keinen Schmerz. Vielleicht ist nach all den Jahren aus dem Schmerz über den Verlust einfach Sehnsucht geworden, Amithra eines Tages in den Stillen Hallen wiederzusehen, dann wenn seine Zeit gekommen ist und er ihr folgen kann ohne sein Versprechen zu brechen, weil der Faden den Llaeron für ihn gewebt hat an seinem Ende angelangt ist. Sie halten einander an den Händen und ertrinken regelrecht in einem Meer von Gefühlen. Dabei sind sie sich so nahe, dass es Arwen scheint, als würden sie nur noch durch die dünnen Schichten ihrer Haut getrennt. Es ist eine unglaubliche Erfahrung, und es reicht weit über alles hinaus, was Arwen sich je an Nähe von ihrem Vater erhofft hatte. Als es plötzlich wieder aufhört, so plötzlich wie es begonnen hat, empfindet sie einen quälenden Verlust und ist gleichzeitig zutiefst erleichtert. So sehr sie sich auch nach Nähe zu ihrem Vater gesehnt hat, ist sie es doch gleichzeitig nicht im Geringsten gewohnt, und muss sich daran ebenso erst gewöhnen wie Tianrivo. Sie reden noch lange miteinander, und es wird vieles gesagt, das viel zu viele Jahre unausgesprochen geblieben ist. Irgendwann gleitet Arúen in Trance ohne zu spüren, dass ihr Geist sich in diese Richtung bewegt hat. Vor Erschöpfung ist ihr Körper inzwischen ohnehin völlig taub, aber sie fühlt sich auf eine merkwürdige Art und Weise erleichtert. So wie ein Kaninchen, das dem Fuchs entkommen ist und unter einer Wurzel ein vorübergehendes Versteck gefunden hat. Keine endgültige Zuflucht, aber immerhin ein Unterschlupf - und ein Anfang. Sacht streichen Hände über ihren Rücken und die Stimme ihres Vaters murmelt beruhigende Worte, so leise, dass selbst ihre elbischen Ohren sie nicht verstehen können. Aber sie sind auch nicht wichtig, seine Nähe und Stimme sind es, die zählen. Sie schmiegt sich an seine Schulter und sinkt ins Dunkel des Vergessens.

Am nächsten Morgen wacht Arúen davon auf, dass eine feuchte Nase ihre Hand streift und sich dann in den Ärmel ihres Kleides schiebt. Beinahe wäre sie hochgefahren wie eine aufgescheuchte Wachtel, doch es gelingt ihr, sich langsam zu bewegen, sich vorsichtig zu bewegen und aus der schützenden Umarmung ihres Vaters zu lösen. Sie fühlt sich dabei, als laste das Gewicht der Mondsichel auf seinen Schultern, und ihr Körper ist taub und lahm, als habe sie den halben Garten von Mita'Rôin umgegraben. Von ihren Bewegungen geweckt, sieht Tianrivo sie an und sie erwidert zögerlich seinen Blick. Ein hochbeiniger Hund mit seidigem, goldfarbenem Fell steht vor ihnen und sieht sie an, als wolle er fragen was die beiden Elben im Morgengrauen hier im Garten wollen. Und Tianrivo kann sich ein kurzes Lachen nicht verkneifen. "Nevis, bist du wieder ausgerissen und machst den Garten unsicher? Und wo ist Auris? Ihr seid doch sonst auch unzertrennlich." Wie zur Bestätigung der Frage kommt ein kurzes Wuffen aus dem Gebüsch neben ihnen, und ein zweiter goldfarbener Hund schiebt sich durch die jungen Zweige. "Darf ich vorstellen, Arúen: Das sind Nevis und Auris. Zwei Hundedamen, die meine Hundeführer noch in den Wahnsinn treiben werden. Ganz gleich, was sie auch versuchen, die beiden schaffen es jeden Morgen auszureißen um den Garten zu inspizieren." Unterdessen haben sich die beiden Hunde vor ihnen auf ihren Hinterläufen niedergelassen und sehen sie aufmerksam aus klugen Augen an. Als jedoch das Rufen der Hundeführer auf der Suche nach den Ausreißern zu hören ist, sind die beiden Hunde ebenso schnell wieder auf den Beinen und hinter dem nächsten Busch verschwunden.

Schweigen steigt auf wie zäher Nebel. Die Vertrautheit, die gestern so unerwartet da gewesen ist, hat sich am Morgen anscheinend mit dem Tau verflüchtigt. Und an ihre Stelle hat sich eine seltsame Befangenheit zwischen Arúen und ihren Vater geschoben. Ihre Blicke treffen sich zögernd, und sie wissen beide, dass das gestern nur ein Anfang gewesen ist, um eine gemeinsame Zukunft zu finden, eine Zukunft, in der sie einander als Vater und Tochter respektieren und vorbehaltlos annehmen können. Es wird nicht leicht sein, auch das wissen sie beide, denn die Schatten der Vergangenheit kann niemand ungeschehen machen. "Es tut mir leid, Eamo. Ich… ich habe gestern Dinge gesagt, die-" Sie bricht ab, als die Stimme ihr den Dienst versagt. Doch anscheinend muss sie auch gar nicht mehr sagen, denn ihr Vater streicht ihr sacht eine verirrte Haarsträhne hinter das Ohr. "Du musst Dich nicht entschuldigen oder verteidigen. Ich weiß, dass Du mit Deiner Vergangenheit verletzlicher bist als man gemeinhin erkennt. Und ich bin mir meines eigenen Anteils daran nur zu bewusst. Genau genommen müsste also ich Dich um Verzeihung bitten… Vielleicht… gelingt es uns, die Vergangenheit ruhen zu lassen und einen neuen Anfang zu finden." Sie haben sich beide aus dem Gras erhoben und stehen voreinander, zu nah, als dass sie wirklich Distanz wahren würden, und doch zu weit um die Nähe des Vorabends erreichen zu können. Er streckt ihr die Hand entgegen, und ohne Zögern greift Arúen danach. "Und wie fangen wir an?" "Wie wäre es mit einem ausgiebigen Frühstück? Ich weiß nicht, wie es Dir geht, aber nachdem wir gestern das Abendessen verpasst haben, habe ich Hunger."

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Arwen am 26. März 2007, 21:19 Uhr
Schon den ganzen Morgen hindert eine innere Unruhe Arúen daran, sich auf ihre Aufgaben zu konzentrieren. Die Schriften, die Rynthuador ihr gegeben hat, hat sie schon nach kaum einer Stunde zur Seite gelegt, nachdem sie die erste Seite wohl sechs Mal gelesen und beim letzten Satz den Sinn des ersten schon wieder vergessen hat. Meditation würde ihr helfen ihre Ruhe wiederzufinden, hat sie gehofft. Nur hat sich das als vergebliche Hoffnung erwiesen. Den großen, hellen Raum den die Tempelangehörigen für ihre Meditationen nutzen hat sie wieder verlassen, nachdem sie gemerkt hat, dass sie ihre Unruhe nicht nur in sich trägt, sondern sie auch für andere spürbar ist. Und es hat die jungen Novizen abgelenkt, die sich unter der Anleitung eines Priesters an den ersten Übungen der Meditation versuchen. Seit dem läuft sie durch die Gänge des Tempels und der Nebengebäude und versucht vergeblich, vor dem davonzulaufen, dass ihr die Ruhe stielt. Es hat keinen Sinn davonzulaufen, ich trage es ohnehin überall mit mir hin. wird ihr irgendwann klar. Um dann zu überlegen, was sie zu hause in Talyra täte, wenn sie keine Ruhe fände. Der Wald und die kleine Lichtung… Sie würde in den Wald gehen, zu der kleinen Lichtung mit der alten Tanne und dem See. Sie würde barfuß über das Gras laufen, sich ans Wasser setzen und sich einfach dem Wald und seinen Stimmen überlassen, bis sie selber wieder zur Ruhe kommt. Und dann wird ihr klar, dass sie die letzten Stunden nicht vor etwas davongelaufen ist, sondern dass sie etwas gesucht hat. Sie hat einen Ort gesucht, an dem die Natur ihr Ruhe spendet. Und sie weiß, wo sie einen solchen Ort findet. Rasch kehrt sie um und verlässt den Tempelbau, vorbei an den Nebengebäuden und folgt einem weißen Kiespfad in einen abgeschiedenen Teil der Gärten die zum Tempelkomplex gehören. Im Schatten eines alten, längst abgestorbenen Apfelbaumes, der einer üppig blühenden Waldrebe als Halt und Stütze dient liegt ein flaches Becken aus hellem Stein, in das eine kleine Quelle mündet. Den Teich der Weissagung wird er von manchen genannt. Einst soll es einen Priester gegeben haben, der stets wenn aus dem Becken Wasser für die Weihezeremonien schöpfte ein Spiegelbild der Zukunft gesehen sah. Seinen Namen weiß keiner mehr zu sagen, und in den Schriften des Tempels ist auch nichts zu finden, doch ist die Geschichte bereits über so viele Generationen von Priestern weitererzählt worden, dass das Sandkorn der Wahrheit sich in einer dicken Hülle schützender Überlieferung verbirgt. Als Arúen das Becken erreicht, fällt ein Teil der Anspannung von ihr ab, und sie hofft, dass sie hier tatsächlich ihre Ruhe wiederfindet. Der tiefe Atemzug, mit dem sie sich am Rand des Steinbeckens niederlässt gleicht schon fast einem Seufzen. Dann schlägt sie die Beine unter und setzt sich zurecht. Sie atmet bewusst langsam und gleichmäßig, folgt dem Schlagen ihres Herzens, lässt sich vom Wispern der Blätter einhüllen, lauscht dem leisen Gurgeln mit dem das Wasser in das Becken mündet und verliert sich in den Reflektionen von Himmel und Blättern in der Wasseroberfläche.

Sie weiß nicht, wie lange sie so vor sich hin gestarrt hat. Sekundenlang fürchtet sie in ihre Ruhetrance geglitten zu sein, aber... dieses sonderbare Gefühl des Schwebens ist etwas Wirkliches - wirklich und erschreckend. Sie wehrt sich einen Moment instinktiv, aber ihre Glieder scheinen weit von ihr entfernt und schwach. Nichts scheint von Arúens Körper übrig zu sein als ihr Denken. Ihre Gedanken scheinen so hell zu brennen wie die Sterne, die sie nachts am Himmel sehen kann. Und wie eine Antwort auf eine unausgesprochene Frage beginnt feiner Nebel von dem Wasserbecken aufzusteigen, aus dem die Priesterschaft des Tempels sonst mit silbernen Kannen das Wasser schöpft, das in zeremoniellen Weiheriten Verwendung findet. Wie der Tempel selbst ist auch der Teich, der vor ihr liegt ein vertrauter Ort für Arúen. Ein Ort, der Erinnerungen in ihr heraufbeschwört, die eigentlich nicht von ihr selber stammen können. Amithra hat die Tian'Sidha nie verlassen, und doch ist sie auf gewisse Weise einst eben diesen Weg gegangen. An diesem Tag, zu dieser Stunde soll sie, Arúen Liasiranis, wirklich und endgültig Amithras Nachfolge antreten. Aber sie hat keine Erinnerung daran, wie man diesen Weg findet, den sie gehen muss. Das Wissen, das sie brauchen würde, stammt von ihrer Mutter, von all den Hohepriesterinnen und Hohepriestern, die ihr vorausgegangen waren, war von Generation zu Generation weitergegeben worden. Aber sie hat ihre Mutter nie kennen gelernt, sie hatte das Wissen nicht mit ihr teilen können, und Rynthuador hatte eisern darauf beharrt, dass sie den Weg alleine finden müsse.

Das Dröhnen ihres eigenen Herzschlages schwillt an, als Arúen den Blick wieder auf den Teich senkt und stumm um Hilfe fleht, obwohl sie selber nicht so recht weiß, warum. Nebelschwaden wogen und rollen über das Wasser, ähnlich wie Sturmwolken, die sich weit draußen auf dem Meer zusammenballen. Sie spürt nichts mehr um sich herum, bis... bis sich der Teich unter dem wirbelnden Dunst glättet und sie die Ruhe nicht nur sehen, sondern auch fühlen kann. Eine Ruhe, die sich in ihr Inneres stielt und sie mit Vertrauen und Zuversicht erfüllt. Winterwinds Tochter... die Worte dringen zusammen mit der Ruhe in ihre Adern, beruhigen und trösten sie und weisen ihr den Weg. Das Bild ihrer Mutter steht mit einem Mal klar und deutlich vor Arúens Augen. Sie beugt sich vor, taucht die Hand in den Teich, und das Wasser wird zu einem Teil von ihr, während es über ihre Haut leckt und in ihre Poren dringt. Sie hat erbittert gegen ihr Erbe und ihre Berufung angekämpft, und all ihr Kämpfen ist nichts als sinnlos vergeudete Kraft gewesen. Denn es gibt überhaupt nichts zu fürchten oder zurückzuweisen. Es ist ihre Berufung und damit ihr Recht, diese Grenze zu überschreiten und alle Tore zu öffnen, an die sie gelangt. Ihre Mutter hatte es vor ihr getan; sie hatte Grenzen überschritten und Tore geöffnet - und den höchsten Preis dafür bezahlt. Dies ist der Platz an den sie gehört, der Dienst an Anukis. Und dennoch würde sie nicht hier in Lomirion bleiben, denn ihr Leben und ihre Zukunft liegen anderswo - für viele Jahre jenseits der Mondtore, an der Seite ihrer Tochter und in einer Stadt und einem Tempel der Sterblichen.
Sie richtet sich wieder auf, während das Wasser in das Becken zurückfließt und ihr innerstes Wesen mit sich nimmt. Langsam heben sich die brodelnden Nebelschwaden von der Oberfläche des Wassers, dehnen sich zu ätherischen Fetzen und steigen in den sanften Schatten unter alten Apfelbäumen auf, als das Wasser sie einen nach dem anderen freigibt. Ohne den milchigen Schleier werden Tiefen des Teiches sichtbar die den Blicken der Priester und Gläubigen sonst verborgen bleiben, und es ist in jenen Tiefen, wo Arúen den Abgrund erblickt. Sie hebt die Hand in den aufsteigenden Nebel. Der Teich der Weissagung vor ihr ist eine spiegelglatte, glasklare Fläche, dennoch verdichtet sich der Nebel um sie herum, während er die Luft mit feinsten Tröpfchen von Feuchtigkeit erfüllt. Der Nebel ist warm, und wird noch ständig wärmer. Sie starrt hinunter in die klaren Tiefen des Wassers, reglos und wie gebannt. Der dichter werdende Nebel wirbelt in Spiralen um sie herum, windet sich um ihren Körper und hüllt sie vom Kopf bis zu den Füßen ein, wahrend er ihre Haut wärmt und ihre Seele erhitz. Ein merkwürdiges Gefühl der Gewissheit pulsiert durch ihre Adern. Das Wissen um das, was zu tun ist, liegt ihr im Blut, erfüllt sie durch und durch. Vertraue, Arúen, vertraue. Das Wissen wird zu dir kommen, wenn du es brauchst. Worte der Erinnerung hallen in ihr nach, Erinnerungen an den Tag ihrer Berufung, an die Vision ihrer Göttin. Mit einer kraftvollen Armbewegung zerteilt sie den undurchdringlichen Schleier von Weiß und findet sich in einer anderen Welt wieder.

Der Nebel legt sich um Arúen wie feuchte, weiche Finger, die ihre bereits feuchte Haut berühren, als sie diese unsichtbare Grenze überschreitet. Der Teich des Tempels umfängt sie, zieht sie in seine Tiefen, in Schweigen, Stille und eine große Leere. Arúen schwebt jenseits von Zeit und Raum. Nichts existiert hier, nicht einmal ihr Körper - kein Name, kein Ort. Einzig eine gewaltige Sehnsucht die in ihr brennt, und ein Stäubchen scheinen sich im Nichts zu rühren. Was ist das? Sie sehnt sich nach Licht oder nach Dunkelheit - alles, nur nicht diese endlose, gleichförmige graue Leere. Der Funke dehnt sich aus, doch er kann die endlose Leere nicht teilen. Wärme durchströmt sie. Wenn sie es doch nur festhalten, es benennen könnte… Angst? Sehnsucht? Worte sind an diesem Ort ohne Bedeutung. Sie gehören an einen anderen Ort. Sie selber gehört ebenfalls an einen anderen Ort. Aber an welchen? Die Wärme geht vorbei und sie schwebt durch die Leere, wartet auf Erlösung, innerlich wie leer. Es ist still, so still… Ist das ein Geräusch? Sie versucht es zu fühlen, aber es ist schon wieder fort. Ein Beben durchläuft ihre Leere, eine Erscheinung durchdringt sie, sticht mitten durch sie hindurch und ist wieder fort ehe sie es begreifen kann. Die Leere lockert ihren Griff, und blinde Wut saust durch sie hindurch. Eine Stimme spricht, ein Klang wie silberhelles Vogeltrillern und erdentiefes Grollen zugleich. Sie lauscht, ohne zu hören, fühlt, wie Worte ohne jede Bedeutung sie bedecken, sie einhüllen. Hier ist nichts, niemand, nicht einmal… wer bin ich? Allein. Keine Zeit. Kein Ort. Niemand … Allein. Aber da müsste doch jemand sein, oder etwas … Erinnere dich. Zeit und Raum und Erinnerung. Keine Bedeutung. Änderung. Etwas ändert sich. Die Bewegung ist anders - nein. Was dann? Ja, ich fühle etwas. Ein Wort - weg, alles weg. Muss es fassen. Fassen? Greifen? Packen? Was ist damit? Wer bin ich? Brennen! Flammen! Besser jetzt. Warm bleiben! Wohin? Was? Kann nirgendwo hin. Nur hier. Hier hat keine Bedeutung. Treibe jenseits von Bedeutung. Ich WILL … Was will ich? Kreiseln in der Leere, keine Richtung, kein Punkt, hoffnungslos. ANGST. Festhalten, die Angst! Kalte Angst bringt Helligkeit! Weg ist sie. Sehr schwierig. Zeit wird knapp! Was ist Zeit? Wo ist Zeit? Wo bin ich? Wo ist… das Andere? Was ist das? Das fehlende Stück … von was? Ich? Ist das Ich das Andere? Nichts außer Funken, Stäubchen von nichts. GIB ES ZURÜCK! Gib mich mir selber zurück! Allein, allein, allein. Wärme weg. Kälte weg. Funken weg. Stille. Was ist das? Die Stille bewegt sich. Wo? Schrecklicher Lärm - suche ihn! Suche! Halte ihn fest!

Die Schatten verschwinden und mit ihnen die Worte ohne Sinn und Bezug. Alles um sie herum ist wieder grau und trübe. Erneut umgibt sie körperloser Dunst und Arúens Gedanken wandern. Noch während sie sich anstrengt, die schemenhaften Bilder deutlicher zu erkennen, merkt sie, dass es ein Boot ist, so vage und verschwommen als blicke man durch Wasser hindurch. Ein Boot auf einem schwarzen Fluss. Aber es ist ein anderes Boot als jenes, das sie gesehen hatte, als sie an den Ufern des Skyrr gestanden hatte. Das Schiff schaukelt wie in einem sehr starken Wind, aber kein Laut ist zu hören. Das Wasser ringsum ist bedeckt mit grellweißen Schaumkronen, der endlose Himmel darüber ist tiefschwarz. Und da ist etwas, das sich Arúen entgegen stellt, eine Macht, die sie trotz all ihrer verzweifelten Bemühungen daran hindert, sich dem geisterhaften Schiff zu nähern. Sie kämpft mit aller Macht dagegen an, ahnt, weiß, dass es wichtig ist, dass sie das Bild und das Schiff versteht. Mit äußerster Willensanstrengung versucht Arúen, sich den Weg in eine Richtung zu erzwingen, egal ob hin zu dem Schiff oder davon fort. Doch dann fällt aus dem Nichts ein großer dunkler Vorhang aus Sturm und Nebel vor ihr herunter,, massiv wie eine Mauer. Verloren und hilflos hält Arúen inne. Unvermittelt sieht sie Rialinns Gesicht vor sich. "Rialinn!" sie schreit und ihre Stimme klingt wie eine Glocke. Das Schiff ist von einem Augenblick auf den nächsten verschwunden. Es war kein Schiff, es hat nur so ausgesehen. Es ist Rialinns Wiege gewesen, die so aussieht wie ein Schiff. Der Sturm hat sich ausgebreitet und das ganze schwarze Meer unter ihr erfasst. Für einen Moment fühlt Arúen sich an das dunkle Toben erinnert, dem der Fluch sie immer ausgesetzt hatte. Was hat das zu bedeuten? Sie zwingt sich zu einem letzten Versuch und stemmt sich wütend gegen den wirbelnden Sturm. Sinnlos. Der Sturm hat sie nun von allen Seiten eingeschlossen. Durch alle Fasern ihres Wesens kann sie ihn summen hören, als läuteten ungeheure Messingglocken, eine solch gewaltige Erschütterung als solle sie zerbersten. Jetzt ist auch das Gesicht ihrer Tochter nicht mehr zu erkennen, das sie eben noch zu sehen gemeint hat. Die Funken sprühende Schwärze hält sie mit mächtiger Faust gepackt, und plötzlich fürchtet sie, hier sterben zu müssen, an diesem Ort, der keiner ist.
In der Ferne erscheint ein Lichtfleck, klein und grau wie eine blinde Silbermünze. Durch die Schwärze, die auf sie einhämmert und sie mit winzigen Feuerspeeren durchzischt, bewegt sie sich darauf zu. Sie versucht, sich die Gesichter ihrer Tochter, ihres Bruders und ihres Vaters in Erinnerung zu rufen, aber es will ihr nicht gelingen. Das Grau scheint nicht näher zu kommen, und wie einem Schwimmer weit draußen auf dem Meer geht ihr langsam die Kraft aus. Eamo, hilf mir! Aber das Bild ihres Vaters verblasst hinter der endlosen Schwärze. Hilf mir! Selbst der winzige graue Fleck verblasst. Eamo…. Rialinn... ich will zu euch zurück... ich will euch wiedersehen.... Ein letztes Mal tastet sie nach dem Lichtfleck und fühlt eine Berührung, als drücke eine kleine Hand die ihre, obwohl sie keine Hände hat, um zu berühren oder berührt zu werden. Ein wenig Kraft kehrt zurück, und sie gleitet auf das Grau zu ... schneller… näher…  rings um sie ist Schwärze... näher... immer näher… und dann ist da ein Ufer, ein heller Streifen in der brodelnden Schwärze, der eben noch nicht dagewesen ist.

Arúen steht an der Schwelle eines Tores und blickt hinauf zu seinem obersten Rand. Es ist siebenmal so hoch wie sie selber, massiv und völlig undurchsichtig, obwohl sein Aussehen an geschmolzenes Glas erinnert. Das schimmernde smaragdgrüne Tor füllt den Durchgang vor ihr völlig aus während um sie herum nur undurchdringliche Nebelwände sind. Es lässt nichts anderes erkennen als einen Rahmen aus goldschimmernden Reliefs mit Zeichen, die gleichzeitig fremdartig und seltsam vertraut sind. Zögernd und voller Ehrfurcht hebt sie die Hand, berührt das Tor… und zuckt augenblicklich zurück, Das Tor ist massiv und weich zugleich, zur selben Zeit kalt und heiß. Wieder streckt sie die Hand aus, berührt diese seltsame Oberfläche und findet keinen Widerstand. Was auch immer es ist, es ist kein massives Tor, sie kann hindurch treten, wenn sie den Mut dazu aufbringt. Es dauert eine Weile, bis Arúen tatsächlich den Mut aufbringt, diesen Schritt ins Unsichtbare zu tun - und findet sich in der Gegenwart der Hüterin wieder.
Zum ersten Mal spürt Arúen wirklich Angst vor der Macht ihrer Göttin. Angst, die sich um ihr Inneres legt wie eine Schlange und alles Hoffen und Sehnen zu erdrücken scheint. Aber wenn diese Angst alles in Frage zu stellen versucht an was sie glaubt, was bleibt ihr dann anderes, als sich an genau dem festzuhalten, woran sie schon immer geglaubt hat. Arúen muss den Blick senken, weil der Glanz, der von der göttlichen Gestalt ausgeht, zu stark wird. Nicht dass ihre Augen das Licht nicht ertragen können - ihre Seele kann es nicht. Und während sie zu boden sieht, bekommt sie einen Gedanken zu fassen, den sie schon ihr ganzes Leben zu verstehen versucht. Die Gegenwart der Göttin und das Licht das von Anukis' ausgeht vertreiben den Nebel um sie herum, und Arúens Knie beugen sich ohne ihr Zutun. Sie kniet auf dem Boden, so sehr von Ehrfurcht erfüllt, dass sie glaubt ihr Herz müsse jeden Augenblick zu schlagen aufhören. Bis sie die Augen zu der unheimlichen Helligkeit hebt und in ein weises, gütiges Lächeln sieht, das ihre Angst und sämtliche Zweifel beiseite fegt. Sie könnte sich bis an das Ende aller Zeitalter in diesem Blick sonnen und zittert doch am ganzen Leib. Dann spürt sie eine federleichte Berührung, so als habe jemand seine Hand auf ihr Haar gelegt. Ihr Körper hört bei der Berührung auf zu beben, und sie fühlt wie ihre Ehrfurcht angenommen und in Güte erwidert wird. In diesem Augenblick ist sie ihrer Göttin näher, als sie es je für möglich gehalten hätte. Ohne noch einen Herzschlag zu zögern öffnet sie sich ihrer Göttin bis in ihr innerstes Selbst, wohl wissend, dass ihr Geist dem was folgen wird womöglich nicht gewachsen ist und daran zerbrechen könnte. Aber es folgte kein Schock, kein Trauma, und das obwohl eine schier unermessliche Macht sie umgibt. Arúen verspürt lediglich ein momentanes Schwindelgefühl, und dann hat sie den Eindruck, in das Licht Anukis' einzutauchen. Sie schwimmt in leuchtenden Facetten umher, geschüttelt von unsichtbaren Kräften, die sie zu durchdringen scheinen. Jede Zelle ihres Körpers scheint durchbohrt zu werden, ebenso wie jener andere Teil von ihr, von dessen Vorhandensein er bisher nichts gewusst hat, die innerste Flamme ihres Wesens.

Es dauert nur wenige Augenblicke - oder eine Ewigkeit - wer wüsste das schon an einem Ort zu sagen, der Sein als auch Nichtsein verkörpert. Aber irgendwann verblasst das Licht, und Arúen kehrt in ihren Körper zurück. Es ist ein sachtes Zurückgleiten, wie der sanfte Schwung einer Welle die an einen flachen Strand spült. Ein kurzer Moment der Orientierungslosigkeit, in dem ihr das Gefühl einen Körper aus Fleisch und Blut zu haben seltsam fremd ist, dann erinnern sich ihre Lungen wieder, dass sie zum Atmen da sind. In tiefen Zügen holt Arúen Luft und versucht das verwirrende Nebeneinander von Gedanken, Gefühlen und Empfindungen zu sortieren, das auf sie einströmt. Nur mühsam gelingt es ihr, die Augen zu öffnen und - vor allem - sie dazu zu bringen auch geöffnet zu bleiben. Sie fühlt sich müde und ausgelaugt und gleichzeitig seltsam belebt. Ganz langsam setzt sich ihre Wahrnehmung aus dutzenden einzelnen Eindrücken wieder zusammen. Rialinn sitzt neben ihr und hat ihre kleine Hand in Arwens geschoben und hält in der anderen Hand einen Strauß Gänseblümchen. "Mama wach?", strahlt ihre Tochter sie an und streckt ihr die Blümchen entgegen, "Für dich!" Ganz vorsichtig, da sie ihren eigenen Bewegungen nicht recht traut hebt Arwen ihre Tochter hoch und setzt sie sich auf den Schoß. "Danke, mein Schatz." Sie ist so unendlich müde, und trotz der sommerlichen Wärme ist ihr kalt bis auf die Knochen. Ein leises Winseln lenkt ihre Aufmerksamkeit ab und hin zu den beiden Hunden, die bis eben neben ihrer Tochter gelegen haben. Hellblaue, seelenvolle Hundeaugen sehen sie an und die beiden Hündinnen schieben sich näher heran und legen die schlanken Köpfe auf Arwens Bein. "Wer hat euch zwei denn hierher gebracht? Oder seid ihr wieder ausgerissen?" "Onkel Gildin." Erklärt Rialinn und lässt fährt mit ihren kleinen Händen durch das feine, glatte Fell der Hunde.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Teir am 27. März 2007, 19:34 Uhr
Im Langschnee vor zwei Jahren


Die Dämmerung ist noch weit entfernt und der Mond wirft sein Licht über den Wald. Der Schnee klebt an den Sohlen der Ledermokassins und durchnässt das weiche Leder, aber es stört Teir nicht. Er hält den Bogen locker in der Linken; die Sehne hatte er längst abgenommen, denn Hoffnung auf Beute braucht er sich bei dem Aufruhr, der in seinen Gedanken herrscht, gar nicht erst zu machen. Einige Strähnen seines weißblonden Haares haben sich aus dem fest geflochtenen Zopf gelöst und umrahmen das schmale Gesicht. Das letzte Licht des gerade untergehenden Mondes genügt ihm, um seinen Weg zu finden.
Teir war kurz nach der Abenddämmerung vom Palast aufgebrochen; er hatte es nicht in seiner Kammer und hinter den Mauern des Anwesens ausgehalten. In wenigen Stunden soll er nach Lomirion aufbrechen, um sich dort vor den Augen Tianrivo Morgensterns für die Adlergarde zu beweisen. Und hier in der Dunkelheit kann er, wenigstens vor sich selbst zugeben, dass er verdammt nervös deswegen ist.
Wie kommt Lyrbashôr nur auf die Idee, ich wäre gut genug für diese Aufgabe? Es gibt sicher eine Menge anderer, älterer Ritter die dieser Ehre auch gewachsen sind. Mit einer nachlässigen Handbewegung streicht er sich die vorwitzigen Haarsträhnen aus dem Gesicht und bleibt, zu den blattlosen Wipfeln emporblickend stehen. Er weiß nicht, was ihn genau in Lomirion erwarten wird und er hat auch keine Ahnung, wie lange er, fürs erste, fortbleiben würde. Der Abschied von seiner Familie am Abend war ihm schwerer gefallen, als er je geglaubt hätte. Sein Vater hatte ihm einige, allgemeine und gut gemeinte Ratschläge mit auf den Weg gegeben, während seine Mutter nur mühsam einige Tränen hatte unterdrücken können. "Aber, Eama, ich.. Eama.. nicht weinen, bitte. Ich bleibe doch nicht für immer fort." Seine Knie waren bei den schimmernden Augen seiner Mutter butterweich geworden und er hatte seinem Vater nur noch einen hilflosen Blick zuwerfen können. Sein Bruder Adir hatte ihm nur auf die Schulter geklopft, eine Sehnsucht im Blick die Teir nicht mehr aus dem Kopf geht. Hat er sich je etwas anderes gewünscht, als Tuchhändler zu sein? Sicherlich...
In den frühen Morgenstunden kehrt der junge Elb schließlich zum Palast zurück. Er gelangt ungesehen in sein Zimmer; nicht dass ihm das Herumstreifen des Nachts verboten ist, aber er möchte einfach niemanden sehen. Zum Umkleiden benötigt er nicht viel Zeit, das hatte er noch nie und so ist er rechtzeitig zum Frühstück in der großen Halle, wo er von seinen Waffenbrüdern mit einigem Hallo begrüßt wird. Der Aufruhr den sie dabei veranstalten ist ihm ein wenig unangenehm, aber selbst die längste Mahlzeit geht einmal vorbei und dann ist es auch schon Zeit für seinen Aufbruch.

Der Abschied von Lyrbashôr und seinen Freunden ist ihm so schwer gefallen, wie er befürchtet hatte und er ist froh, am frühen Vormittag endlich aus der Stadt heraus und auf dem Weg zu sein. In den ersten Stunden ist er noch immer so nervös wie in der Nacht, doch der blasse, weite Winterhimmel und die gleichmäßigen Bewegungen seines Pferdes bringen irgendwann Ruhe in seine Gedanken.
Die Reise nach Lomirion dauert einen knappen Siebentag; das Wetter ist kalt, aber relativ trocken. Unterwegs begegnet er zwar einigen kleineren Reisegruppen, aber er schließt sich keiner von ihnen an, so kann er sein Tempo selbst bestimmen. Er macht nur die nötigsten Pausen, um Nannar etwas Erholung zu gönnen. Das kleine Suniverpferd scheint, vom anfänglichen Stalldrang einmal abgesehen, Gefallen an diesem Nomadenleben gefunden zu haben.

Von Langschnee bis Beerenreif des letzten Jahres


Die Zeit auf Mita'Rôin vergeht wie im Flug; Teir fügt sich problemlos in den Haushalt und seinen Tagesablauf ein. Seine Tage sind mit Waffenübungen angefüllt und er verbessert in den täglichen Übungskämpfen mit den Rittern der Adlergarde seinen Umgang mit dem Schwert und dem Bogen, während er gleichzeitig sein Können im Kampf mit dem Speer an zwei junge Knappen weitergibt. An den Abenden hält er sich, zumindest in den ersten Wochen, nur selten in der Halle auf; oft ist er in seine Trance hinübergeglitten, kaum das sein Kopf das Kissen wirklich berührt hatte. Aber es dauert dennoch nicht lange, da haben sich im Staub des Übungsplatzes erste Freundschaften gebildet, die er schon nach wenigen Tagen nicht mehr missen möchte.
Kurz vor dem Inarifest erreicht der Tross mit Gildin, dem er nur kurz vor dessen Abreise begegnet war, und seiner Schwester Arwen Mita´Rôin und ab diesem Tag ist es mit dem doch recht gemütlichem Leben im Adlerhorst vorbei. Die beiden hohen Feste verbringt er, sehr zu seinem Leidwesen im Dienst und auch sonst lässt die angespannte Erwartung die über dem ganzen Anwesen liegt, ihm keine Möglichkeit, sich in Lomirion umzusehen. So verbringt er seine freie Zeit entweder im Zwinger, wo er den Hundeführern zur Hand geht, oder auf dem Paddock bei Nannar, seiner jungen Stute.
Bereits kurz nach seiner Ankunft in Lomirion hatte er ein erstes, langes Gespräch mit Tianrivo Mitarlyr geführt, das sie aber noch immer nicht weiter geführt hatten. Stattdessen ist er sich des wachsamen Blickes des Waffenmeisters Therlas stets bewusst, besonders, wenn er die Lady Arúen und ihre Tochter zum Anukistempel begleitet.

Während die Atmosphäre vor dem Sommerfest und der Eiderneuerung vor Anspannung und der Erwartung eines größeren Unglücks beinahe knistert, hat sich diese Anspannung am Abend des hohen Festes, zumindest zum Teil in Erleichterung aufgelöst. Erst am nächsten Morgen erfährt Teir von der Festnahme Khelenar Lyraris und erst im Gespräch mit einigen älteren Rittern erkennt er die Bedeutung dieses Geschehens. Tianrivo lässt zwar die Wachen wieder auf ihre normale Stärke reduzieren, aber an dem Begleitschutz seiner Tochter durch einen seiner Ritter ändert sich nichts, sodass Teir den Weg zum Anukistempel bald ziemlich genau kennt. Arúen Mitarlyr jedoch kein bisschen. Dennoch überrascht es ihn, sie an einem Abend aus dem Tempel stürmen zu sehen. Selbst für ihn, als völlig außenstehenden, ist ihre Wut und Enttäuschung deutlich zu spüren. Teir wirft nur einen raschen Blick zur Tür des Tempelgebäudes, aber dort gibt sich kein Grund für das aufgebrachte Verhalten seiner Herrin zu erkennen und so folgt er der Elbin im Laufschritt zum Adlerhorst zurück. Dort angekommen sieht er sie nur noch im Inneren des Hauses verschwinden, von wo kurz darauf laute Stimmen zu hören sind. Unschlüssig, was er jetzt tun soll, bleibt er eine Weile vor dem großen Portal stehen, um sich schließlich mit einem Schulternzucken abzuwenden. Wenn die Lady mit ihrem Vater ein Hühnchen zu rupfen hat, wird sie vermutlich einen guten Grund dazu haben.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Mitarlyr am 01. Apr. 2007, 14:34 Uhr
Als Gildin im Tempel ankommt, eine unruhige Rialinn an der Hand und zwei ebenso unruhige Hunde neben sich, muss er nicht lange nach jemandem suchen, der weiß wo seine Schwester sich aufhält. "Kommt, ich bringe euch zu ihr," eine Priesterin die so jung ist, dass sie ihre Weihen erst vor kurzer Zeit erhalten haben kann, führt ihn in den Garten. "Shadâno Rynthuador hat zwar angeordnet, dass dort keiner stören soll, aber ich denke nicht, dass er das auch auf Shu'ra Arúens Tochter und euch bezogen hätte, wenn er gewusst hätte, dass ihr kommt." An einer kleinen Hecke bleibt die junge Elbin dann zurück und bedeutet ihm wortlos weiterzugehen. Rialinn kennt keine solche Zurückhaltung wie ihr Onkel, sondern zieht an seiner Hand und will weitergehen, so als spüre sie die Nähe ihrer Mutter auf eine Art und Weise, die Gildin nicht kennt. Also gibt er sich dem kleinen Mädchen geschlagen, folgt ihr um die Hecke herum… und wäre fast in den Hohepriester der Anukis hinein gelaufen. "Shadâno." Ein respektvolles Neigen des Kopfes begleitet seinen Gruß, als er aber sieht, dass Klein-Rialinn, der Wirbelwind von Mita'Rôin sogar so etwas wie einen Knicks vor dem Priester versucht muss er unwillkürlich lächeln. Das Kind ist von den ersten Wochen seines Lebens an mit dieser ganz eigenen Atmosphäre der Tempel vertraut und bewegt sich hier ebenso ungezwungen wie in den Gärten des Adlerhorstes. Fast beneidet er seine kleine Nichte um diesen unbefangenen Umgang mit den heiligen Orten und den Dienern der Zwölf. Dann fällt sein Blick auf Arúen, und schlagartig ist jedes Lächeln aus seinem Gesicht verschwunden. Seine Schwester kniet mit geschlossenen Augen neben einem hellen Steinbecken. Die Hände liegen kraftlos in ihrem Schoß und ihr Gesicht ist so angespannt, als würde sie mit irgendetwas ringen, das nur sie sehen kann. "Was ist mit ihr?" Es dauert eine Weile, ehe der Priester seinen Gruß und den von Rialinn erwidert. Und noch einmal fast genau so lange dauert es, bis sich der prüfende graue Blick wieder von Gildin löst und sich die ganze Aufmerksamkeit darin Arúen zuwendet. "Ich hatte zwar angeordnet, dass niemand die Ruhe dieses Ortes stören soll, aber wer weiß, vielleicht ist es ganz gut, dass ihr hier seid, und dass Rialinn bei euch ist. Die Götter werden wissen, was sie tun." Kurz huscht so etwas wie ein Lächeln über das Gesicht des Priesters. Auch wenn Gildin es sich nicht eingestehen will, die Sorgen, die er sich macht, seit er Rialinn bei den beiden Hunden gefunden hat und sie weinend darauf bestanden hat, zu ihrer Mutter zu wollen weil die "geistwandere", werden nicht geringer. "Aber was ist mit ihr?"

"Eure Schwester steht vor dem Angesicht ihrer Göttin, Shu're Gildin… Stellt es Euch vor wie eine Prüfung, oder wie ein Tor, das es zu öffnen und zu durchschreiten gilt. Doch Tor ist nicht gleich Tor. Dieses Tor wird Eure Schwester, ihre Kraft und ihren Glauben auf die Probe stellen, bis sie die Grenzen dessen erreicht, was ihre Seele ertragen kann. DIES ist eine Prüfung die weit über die Probe von Geist, Herz und Hand hinausgeht, die ich ihr abnehmen werde." Der Priester winkt mit einer kleinen Geste ab, als Gildin ihn unterbrechen will. "Oh, ich weiß, sie ist schon mehr als einmal in Situationen gewesen, die sie an die Grenzen ihrer seelischen Belastbarkeit gebracht haben... sogar darüber hinaus, und sie lebt, sie hat all das überstanden. Aber ist auch ihre Seele wieder heil? Ist sie stark genug für diese Prüfung? ... Die Hüterin scheint der Ansicht zu sein, sonst hätte sie sie nicht zu sich gerufen." Eine Weile schweigt der Priester und sie sehen nur zu, wie Rialinn neben ihnen im Gras sitzt und Gänseblümchen pflückt. "Wisst Ihr, genau genommen macht mir nicht ein Mangel an Stärke Sorgen, Shu're Gildin. Wenn man sich das Leben Eurer Schwester ansieht, hat sie oft genug bewiesen, wieviel Stärke in ihr liegt. Ich mache mir Sorgen, dass sie zu stark und damit vielleicht nicht nachgiebig genug sein könnte. Ich vermag es nicht einzuschätzen, ob sie erkannt hat, wann es besser ist, sich zu beugen, ob es nun in Stärke oder Schwäche ist. Genau das ist aber das einzige, was sie heil und sicher über den Pfad leiten kann, den sie gerade beschreitet."
Einen kurzen Moment haben sie beide nicht auf Rialinn geachtet, erst als das Kind bei Arúen angelangt ist, sich vorsichtig neben seine Mutter setzt und seine kleine Hand unter die seiner Mutter schiebt, merken sie, dass sie nicht mehr neben ihnen sitzt. Gildin will sofort hinterher und Rialinn zu sich zurück holen, damit sie Arúen nicht stört, doch Rynthuador hält ihn zurück. "Nein, lasst sie, ihre Nähe wird Eure Schwester nicht stören. Aber ein Versuch von uns, sie dort wegzuholen… Rialinn würde vermutlich anfangen zu weinen, wenn wir sie von ihrer Mutter wegholen, und DAS wird Eure Schwester auf jeden Fall spüren und es wird sie augenblicklich in unsere Welt zurückrufen. Lasst sie einfach… Seht!" Rialinns Nähe scheint Arúen tatsächlich spüren zu können, denn ihr Gesichtsausdruck entspannt sich merklich, auch das eben noch so gepresste nach Luft schnappen beruhigt sich und wird zu einem tiefen und gleichmäßigen Atmen. Lange Zeit geschieht nichts, zumindest nichts, das Gildin sehen oder wahrnehmen könnte - sieht man einmal davon ab, dass die beiden Hunde ihren Platz neben ihm verlassen und sich wie zwei goldenen Sphinxen neben seiner Nicht niederlassen. "Ja, sie ist stark, sie musste stark sein, weil sie überleben wollte," erwidert Gildin nach einer Weile leise auf die Befürchtungen des Hohepriesters. "Und sie kann auch unerbittlich sein… vor allem gegen sich selber. Aber sie ist auch… ich weiß kein passendes Wort dafür. Sie hat schon immer ein sanftes Wesen gehabt, und seit der Fluch gebrochen und Rialinn geboren wurde, ist es noch deutlicher geworden. Ich weiß nicht, wie sie sich das bewahren konnte, bei dem was das Leben ihr schon abverlangt hat, aber sie hat es getan. Ich zweifle nicht daran, dass sie weiß, wann es besser ist sich zu beugen wie eine Weide im Wind, um sich hinterher wieder aufzurichten."

Dann geht ein leises Beben durch seine Schwester, sie beginnt zu zittern und er kann sehen wie ihre Augen hinter den geschlossenen Lidern wild zucken. Aber noch ehe er dem Impuls folgen kann zu ihr zu gehen, um sie in den Arm zu nehmen und zu halten, ist es auch schon wieder vorbei und über ihr Gesicht breitet sich langsam ein Lächeln. Das blinde Lächeln einer Frau, deren Geist an einem fernen Ort schöne Dinge sieht. Ihre ganze Haltung entspannt sich sichtlich und auch Gildin entspannt sich etwas. "Mama kommt zurück," verkündet Rialinn dann auch mit funkelnden Augen. Auf irgendeine Art und Weise, die wohl weder Gildin noch ein anderer Mann nachvollziehen können wird, besteht eine besondere Verbindung zwischen Mutter und Tochter. Eigentlich auch kein Wunder… Immerhin hat Arúen sie zwölf Monde unter dem Herzen getragen, ist Rialinn ein Teil von ihr gewesen, und diese Verbindung zwischen Mutter und Kind löst sich vermutlich nur schwer, wenn sie es  überhaupt tut. Es dauert tatsächlich nicht lange nach den Worten des Kindes, bis Arúen die Augen aufschlägt. Ihr Blick wirkt ein wenig verstört, so als wisse sie nicht, wo sie ist, doch dann findet er sichtlich Halt im Anblick Rialinns, und ein Lächeln lässt ihre Augen strahlen. Gildins erster Gedanke ist es, zu Arúen zu treten und ihr aufzuhelfen. Dann entscheidet er sich allerdings dafür, ihr erst einmal die Zeit zu lassen, ganz wieder im Hier und Jetzt anzukommen. Es fällt ihm nicht leicht, denn er kann ihr ansehen, dass sie müde ist, aber er zwingt sich dazu. Schweigend sieht er Mutter und Tochter zu - und den beiden Hündinnen, die ganz offensichtlich um die Aufmerksamkeit der Elbin heischen.
"Ja, ich bin schuld, ich habe die drei hierher gebracht." Schließlich nähert er sich seiner Schwester dann doch. "Rialinn ist dem Kindermädchen ausgerissen und hat sich bei den Hunden versteckt. Als ich sie gefunden habe, hat sie geweint und verlangt, dass ich sie s-o-f-o-r-t zu dir bringen soll, weil du "geistwandern" würdest. Naja, und weil ich sie noch nie so erlebt habe, mit "geistwandern" nichts anfangen konnte und außerdem anfing mir Sorgen zu machen, bin ich dann mit ihr und den Hunden hierher gekommen. Tja, und hier sind wir..." Arúen hört ihm mit einem leisen Schmunzeln zu, während ihre Augen Rialinn folgen, die von ihrem Schoß klettert und auf ihren kurzen Beinen auf ihren Onkel zustapft. Ein wenig mühsam und mit langsamen Bewegungen folgt seine Schwester dem Vorbild ihrer Tochter, erhebt sich vom Rand des Steinbeckens und richtet sich auf. Ein Leuchten der Macht scheint ihre Gestalt zu umgeben. Und auch wenn Gildin nicht die Gabe hat, die Aura einer Person wahrnehmen zu können, so hat er doch das Gefühl, dass sich etwas an der Ausstrahlung seiner Schwester geändert hat. Ihre Augen funkeln wie blasse Sterne im strahlenden Licht des Mondes und in ihrem Gesicht stehen Ruhe und Frieden...  und die Macht eines uralten Wissens. Dann scheint sich das Leuchten zu sammeln und sich auf ihrer Stirn zu bündeln. Auf ihrer Stirn beginnt das Siegel Anukis' derart intensiven zu strahlen, wie Gildin es noch nie zuvor an Arúen erlebt hat. Was auch immer mit ihr geschehen ist, es hat sie ganz offensichtlich verändert. Er weiß nicht, ob er vor ihr niederknien und einer Hohepriesterin den Respekt erweisen oder seine Schwester in seine Arme ziehen soll. Und so steht einfach nur da, öffnet seine Arme ein wenig und lässt sie die Wahl treffen.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Arwen am 03. Apr. 2007, 20:56 Uhr
Ein wenig unsicher ist sie auf den Beinen und der helle Sonnenschein, der sich hier und dort durch das Blattwerk der Waldrebe schummelt tut Arúen in den Augen weh. Vorsichtig setzt sie den ersten Schritt, unsicher ob ihre Beine sich nicht doch noch in Sülze verwandeln wollen, doch nichts dergleichen geschieht. In den Augen ihres Bruders steht liebevolle Unsicherheit die sich auch in seiner Haltung widerspiegelt. Eine Einladung, das Versprechen von Kraft und Halt, oder - wenn sie ihn braucht - auch Trost. Arúen macht einen Schritt auf ihn zu und dann scheint der Garten um sie herum zu verschwinden, seine Farben zu Grau zu verblassen und sich um sie zu drehen als sei sie in einem rotierenden Tunnel gefangen. Noch ein Schritt… und kurz bevor sie kopfüber in dieses wirbelnde Schwarz stürzt, hält ihr Bruder sie sicher im Arm. So hatte er sie schon einmal gehalten, am Abend ihrer Ankunft in Lomirion, nur hatte sie es damals nicht annähernd so zu schätzen gewusst wie in diesem Moment. Ihr Blick klärt sich wieder und sie erwidert seinen besorgten Blick mit einem zögernden Lächeln. "Es… es geht schon wieder. Wirklich. Ich… Mir ist bloß so kalt, Gildin, und ich bin müde, entsetzlich müde." Ehe sie es sich versieht, hat ihr Bruder sie zu einem der Rasenhügel gebracht, die als Bänke dienen und sie dort in die Sonne gesetzt. Arúen schließt die Augen und wendet das Gesicht in die Sonne um deren Wärme in sich aufzunehmen. Sie hört Stimmen um sich herum, einige davon kennt sie, doch sie mag die Augen jetzt nicht öffnen um zu sehen, wer da ist. Rialinns leises Plappern ist direkt neben ihr, und das genügt ihr vorerst zu wissen. "Hier, trinkt das, es wird Euch gut tun."

Als man ihr einen dickwandigen Becher in die Hand drückt, hebt sie ihn an den Mund und trinkt. Es ist heißer Apfelwein, und er ist so süß, dass ihre Zähne schmerzen. Undeutlich nimmt sie noch ein anderes Aroma unter der Süße wahr. Ein wahrer Energiestoß fährt schlagartig durch ihren Körper, und daran erkennt sie es: Eskiya, ein starkes Stimulans, das der Kräutermeister in einem gut verschlossenen Schrank verwahrt. Obwohl ihr Körper nach Erholung regelrecht schreit, würde sie jetzt nicht ruhen können. Aber sie weiß auch, dass dieser Trank ihr helfen wird, die Auswirkungen ihrer "Wanderung" zu überwinden. Wärme sickert langsam zurück in ihren Körper. Erschöpfung und Taubheit lassen nach, als das Eskiya in ihren Blutkreislauf gelangt. Wie aus weiter Ferne sieht Arúen zu, wie Gildin sie in eine Decke hüllt, die ihm irgendjemand gegeben hat und dabei einen Bogen um die beiden Hunde machen muss, die neben Rialinn liegen und sich keinen Sekhel zur Seite rühren. Das Eskiya tut weiterhin seine Wirkung, und Arúen wünscht fast, es würde aufhören. Sie hat plötzlich eine gesteigerte Wahrnehmungsfähigkeit - als könne sie jede einzelne Faser ihres Gewandes spüren. Der Sonnenschein, den sie vor wenigen Augenblicken noch als so angenehm empfunden hat, scheint sie nun zu versengen. Sie fühlt sich, als würden Feuerameisen auf ihr und in ihr herumlaufen, und sie glaubt beinahe ihre trippelnden Füße und zuschnappenden Kiefer zu spüren. Mit Freuden würde sie aus ihrer Haut fahren, wenn das denn ginge. Das Gefühl dauert aber glücklicherweise nur wenige Augenblicke, dann ist es vorbei. Ihre Wangen glühen, als habe sie Fieber, und sie hat grässliche Kopfschmerzen, aber das dröhnende Pulsieren des Blutes in ihren Adern hat nachgelassen. Rynthuador tritt aus den Schatten der Obstbäume an sie heran und reicht ihr einen zweiten Becher, dieses Mal Tee aus Bergminze, gesüßt mit Honig. Arúen leert den halben Becher in gierigen Schlucken und so langsam klart auch der Rest ihrer Wahrnehmung wieder auf. Sie blickt auf, und sieht erst ihren Bruder an und dann Rynthuador. Wo sie bei ihrem Bruder nur Erleichterung findet, die vergangene Sorge kaum verbergen kann, hat der Hohepriester für sie ein Lächeln voll Anerkennung. "Ihr hättet mich warnen können, Rynthuador," beschwert Arúen sich bei dem Hohepriester mit einem Lächeln, dass ihren Worten jeden Vorwurf nimmt. "Hätte es euch von irgendetwas abgehalten, wenn ich Euch gesagt hätte, was Euch erwartet?" wird sie ebenso lächelnd zurück gefragt und kann nur mit einem Kopfschütteln verneinen. "Also, was hätte es Euch gebracht, es vorher zu wissen? Außer dass es Euch vielleicht verunsichert hätte?" "Nichts," muss Arúen eingestehen, um dann ein wenig zögerlich die Frage danach zu stellen, wo und wann sie die Probe von Geist, Herz und Hand ablegen soll.

Während sie fragt, hofft Arúen insgeheim, dass Rynthuador nicht darauf bestehen wird, sie ihr noch an diesem Tag abzunehmen, denn so wie ihre Gedanken und Gefühle momentan durcheinander gehen, fühlt sie sich einer solchen Prüfung alles andere als gewachsen. Doch der Hohepriester besteht im Gegenteil darauf, dass sie erst noch eine Weile hier im Garten bleiben solle, so lange bis sie wieder sicher auf den Beinen ist, und dann solle sie nach hause zurückkehren, um sich  zu erholen und sich für den nächsten Tag zu sammeln. Morgen, nach dem Frühgebet werde er ihr dann die Prüfung abnehmen. Bei dem, was dann folgt, kann sie sich ein Schmunzeln allerdings nur mir größter Anstrengung verkneifen. Gildin ist nämlich der Ansicht, dass das unmöglich ginge, sie bräuchte mehr Zeit um sich von dem heute zu erholen. Und Hohepriester hin oder her, er macht aus seiner Meinung gegenüber Rynthuador auch keinen Hehl. Der wiederum hört sich die Worte von Arúens Bruder bloß schweigend an um dann trocken anzumerken, Gildin solle seine Schwester gefälligst nicht unterschätzen und außerdem sollte es für eine angehende Hohepriesterin kein solches Problem darstellen, über Nacht ihre Gedanken und Kräfte soweit zu sammeln, dass sie diese Prüfung ablegen könne. Spricht, grüßt noch kurz, verschwindet dann im Inneren der Tempelgebäude und lässt einen sprachlosen Gildin zurück. Und ehe er seine Sprache wiederfinden kann, kann Arúen sich ein trockenes "Wo er Recht hat, hat er Recht" nicht verkneifen. Ein wenig später machen sie sich dann auf den Rückweg zum Adlerhorst - die Idee mit der Sänfte kann Arúen ihrem Bruder gerade noch ausreden.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Arwen am 12. Apr. 2007, 14:45 Uhr
Arúen schlägt abrupt die Augen auf, und ist ohne die sonst nach den kurzen Stunden nächtlicher Ruhetrance übliche Benommenheit sofort hellwach. Verwirrt setzt sie sich inmitten von Kissen und Decken auf und späht in das dämmrige Halbdunkel ihres Zimmers. Rialinn atmet tief und gleichmäßig in ihrem kleinen Bett. Ein ruhiges, ein vertrautes Geräusch, das Arúens Ruhe nie gestört hätte. Über nacht ist Wind aufgekommen, man kann die Stadt nach den letzten Wochen sommerlicher Hitze regelrecht aufatmen spüren, und sie kann das Rascheln der Bäume und Blätter durch die offene Tür hinaus auf den Balkon hören. Nur halb wach reibt Arúen sich die Augen und fährt sich mit den Fingern durch die schlafwirren Haare. Und als ihr bewusst wird, wie müde sie noch immer ist, sinkt sie wieder zurück in die Kissen. Was hat sie geweckt? Es ist kein Geräusch gewesen, sondern mehr ein Gefühl, eine Veränderung. Aber wo? Und was? Je länger sie darüber nachdenkt, was sie geweckt hat, desto wacher wird sie, nur der Antwort auf die Frage kommt sie keinen Schritt näher. Und irgendwann gibt sie es auf, sich den Kopf über etwas zu zerbrechen, das sich ihr ganz offensichtlich entziehen will. Blasses, lavendelblaues Licht dringt durch die Vorhänge herein, es ist nicht mehr weit bis Sonnenaufgang, und zum Morgengebet will sie ohnehin im Tempeln sein. Also schlägt sie die Decke zurück und verlässt Bett und Schlafzimmer.
Auf leisen Sohlen huscht Arúen ins Badezimmer, braucht nicht lange für eine Wäsche mit kaltem Wasser und findet sich nur wenig später angekleidet (und endgültig und vollständig wach) in der Küche bei Aiweron ein. Der Küchenmeister ist zwar wenig begeistert von ihrem Ansinnen, das Morgenmahl zu dieser frühen Stunde mit ihm und dem Gesinde in der Küche einnehmen zu wollen, doch Arúen lässt sich nicht umstimmen. Sie genießt es, das Frühstück so wie auch auf Vinyamar zusammen mit Knechten und Mägden einzunehmen, sich zwanglos mit ihnen über legefaule Hühner, Wildwuchs im Küchengarten und die anstehenden Vorbereitungen des Speiseplans der kommenden Tage zu unterhalten. Als es für sie Zeit wird, sich auf den Weg zum Tempel zu machen, taucht wie gerufen einer der Pagen in der Küche auf, die das Essen für das Morgenmahl von Tianrivo, Gildin und den Rittern des Hauses Mitarlyr in die große Halle bringen sollen. So kann Arúen dem Jungen die Nachricht für ihren Vater auftragen, dass sie bereits auf dem Weg zum Tempel sei und Rialinn den Tag in der Obhut des Kindermädchens verbringen werde. Insgeheim ist sie froh, ihrer Familie nicht über den Weg gelaufen zu sein, denn sie hatte sowohl ihrem Vater als auch ihrem Bruder am Abend zuvor nur schwer das Vorhaben ausreden können, sie heute in den Tempel zu begleiten und dort in den Gärten auf sie zu warten, während sie selber die Probe von Geist, Herz und Hand ablegen würde.
Der Weg vom Adlerhorst zum Tempel ist nicht weit, und Arúen genießt die Stille einer erst langsam erwachenden Stadt. Auf den weitläufigen Rasenflächen im inneren Ring Lomirions begegnen ihnen noch nicht einmal eine Handvoll Elben. Auf eine Begleitung für sie hat ihr Vater auch (oder gerade) an diesem Tag bestanden, und so ist Andovar wie schon oft an ihrer Seite. Doch er schweigt, und lässt ihr damit die Ungestörtheit ihrer Gedanken, die hierhin und dorthin wandern, und dabei einen großen Bogen um das machen, was heute dort im Tempel auf sie warten wird - zumindest versuchen sie, einen Bogen zu machen, gelingen will es nicht wirklich. Am Tor des Tempelbezirks kehrt der Elb schließlich um und nach Mita'Rôin zurück. Damit ist sie zwar endgültig mit sich und ihren Gedanken alleine, allerdings bedeutet das nicht, dass sich damit auch ihre Nerven beruhigen lassen würden. Die Sonne steigt gerade über den Horizont und die ersten goldenen Strahlen streifen die Kuppel des Tempelgebäudes, als Arúen über die Schwelle tritt und im grüngoldenen Dämmern des inneren Heiligtums verschwindet.

Was auch immer sie erwartet oder sich über den Ablauf der Prüfung ausgemalt hat, das bestimmt nicht. Tiefe Stille liegt über dem hohen Raum, an dessen Stirnseite sich die Statue Anukis' befindet, keine Elbenseele scheint außer ihr anwesend zu sein. Einerseits ist Arúen fast erleichtert, dass sie die Prüfung (wie auch immer die letztendlich aussehen würde) nicht vor der versammelten Priesterschaft ablegen muss. Andererseits hätte sie schon erwartet, dass wenigstens Rynthuador dabei anwesend ist, auch wenn der Hohepriester stets darauf beharrt hat, dass nicht er sie prüfen würde, sondern die Hüterin Höchstselbst. Leise erklingen Stimmen zwischen den Säulen des Tempels und zwölf Priester erscheinen, reinweiße Kerzen in den Händen, die flackerndes Licht in das grüngoldene Dämmer des Heiligtums werfen. Lautlos bewegen sie sich, nur gemurmelte Gebete wispern durch die Stille, als sie die Kerzen auf dem Boden stellen, bis diese mit den Säulen einen Kreis aus Licht, Schatten und grüngoldenem Dunst bilden, der Arúen umgibt wie ein schützender Bannkreis. Wenn wollen sie schützen? Mich während der Prüfung? Oder alle anderen für den Fall, dass ich versage? Die Priester treten von dem Lichtkreis weg, ziehen sich zurück und verlassen den Tempel, so dass sie wieder alleine mit sich und ihren sich überschlagenden Gedanken.
Sie wartet auf das, was auch immer passieren wird, und es geschieht ... nichts. Fast endlos erscheint ihr die Zeitspanne, bis schließlich Rynthuador aus dem Schatten der Anukis-Statue tritt. Und wo Arúen am Morgen lediglich nervös gewesen ist, nachdem sie die halbe Nacht über den Schriften der hohen Mysterien verbracht hat, grenzt die seltsame Mischung aus Faszination und Panik, die ihr inzwischen das Herz kurz hinter den Mandeln schlagen lässt schon fast an Hysterie. Rynthuador... endlich! Sie ist an einem Punkt angelangt, an dem es ihr egal ist, was während der Prüfung passiert, wer sie ihr abnimmt oder ob sie sie besteht, so lange es jetzt endlich anfängt und diese unerträgliche Warterei ein Ende hat. "Fühlt Ihr Euch bereit, Arùen?" Die Frage ist leise, kaum mehr als ein Flüstern, doch in ihren Ohren dröhnt sie wie Donnerhall. Sie muss sich zwar zwingen, doch irgendwie gelingt ihr so etwas wie ein halbes Lächeln. "Wenn Ihr mich so fragt, Shadâno, dann werde ich mich wohl nie bereit fühlen. Aber die Hüterin hat mich gerufen, SIE scheint der Ansicht zu sein, ich sei bereit. Und Ihrem Ruf werde ich folgen und mich der Prüfung stellen." Ein kurzes, anerkennendes Nicken, dann tritt Rynthuador zurück in den grüngoldenen Nebeldunst zwischen den Säulen die das hohe Kuppeldach tragen. "Dann möge unsere Göttin Euch die Probe von Herz, Geist und Hand abnehmen." Die Stimme verklingt mit jedem Schritt, den der Hohepriester weiter in die Schatten zurückweicht. Und Anukis prüft sie.

Nur langsam kehrt Arúen in die wache Welt zurück, pulsiert der Strom des Lebens wieder in ihrem Körper, doch sie kann seine Bedeutung nicht begreifen, noch nicht. Dass die Prüfung vorbei ist, lässt sie mit einem Gefühl der Orientierungslosigkeit zurück. Und die Gewissheit, dass sie die Probe bestanden hat, ist vorerst vollkommen nebensächlich für sie. Als sie zu sich kommt und die Augen aufschlägt, braucht sie eine Weile, bis ihr Blick sich soweit festigt, dass die Umrisse, Konturen und Farben um sie herum einen Sinn ergeben. Sie fühlt sich völlig ausgelaugt, in einem Maße erschöpft, das sie nie für möglich gehalten hätte. Ihr Körper scheint gleichzeitig im Fieber zu glühen und vor Kälte zu zittern. Ihr Hals schmerzt und fühlt sich an, als habe sie Eisenspäne verschluckt. "Ich habe Durst," flüstert sie und versucht sich mühsam aufzurichten. Dabei fällt ihr Blick auf die Kerzen zwischen den Säulen. Ihr Flackern ist verschwunden, doch nicht, weil jemand sie gelöscht hätte, sondern, weil sie gänzlich heruntergebrannt sind. "Was... wie lange?" Die Frage gilt ihr selbst, doch der leise Schritt einer anderen Person nähert sich ihr. "Hier, bitte." Es ist Rynthuador, der ihr eine flache Holzschale mit kühlem Wasser reicht. "Lasst Euch Zeit. Körper und Geist brauchen eine Weile, um wieder ganz im Hier und Jetzt anzukommen." Der Hohepriester spricht leise und langsam, sie kann sehen, wie seine Lippen sich bewegen, kann auch seine Stimme hören, aber sie scheint aus weiter Ferne und durch dichten Nebel zu kommen. Es dauert lange, bis sie den Sinn der Worte begreift. "Danke." Auch ihre eigene Stimme scheint aus unendlicher Ferne zu kommen. Rynthuador kniet sich schweigend neben Arúen, hilft ihr, sich aufzurichten und sich so wie er zu Füßen der Statue ihrer Göttin niederzuknien. Um sie herum herrscht Stille, niemand sonst scheint im Tempel zu sein. Und der Priester hat Recht, es dauert etwas, bis Arúens Sinne wieder festen Halt in den Kreisen Rohas gefunden haben. Zu sehr hallt noch das in ihr nach, was sie während der Prüfung getan und gesehen hat.
Zeit vergeht, ohne dass es für sie eine Bedeutung hätte, aber irgendwann fühlt sie sich sicher genug, um aufzustehen. Bis sie es allerdings dann auch schafft, auf die Füße zu kommen und sich in der Senkrechten zu halten, braucht es einige Versuche. Das Priestergewand, das sie am Morgen angelegt hat, klebt klatschnass und unangenehm klamm an ihrem Körper, und der Schweiß brennt in ihren Augen. Alles um sie herum scheint so langsam abzulaufen, als wate man durch zähen Honig. Aus dem Schatten der Säulen treten zwei Priesterinnen an Arúen heran. Die eine reicht ihr ein feuchtes Leintuch, damit sie sich den Schweiß aus dem Gesicht wischen kann, während die andere ihr einen wollenen Schal um die Schultern legt. Aber keine von ihnen sagt auch nur ein einziges Wort. Der einzige, der mit ihr spricht ist Rynthuador, doch auch er sagt nur wenig, und das sehr ruhig und leise. Kein einziges Wort fällt über die Prüfung, über das, was geschehen ist, was Arúen getan und gesehen hat. Die Frauen führen sie zu eine kleinen Kammer, bringen ihr ein frisches Gewand und etwas warmes Wasser zum Waschen. Für ihr Schweigen ist Arúen ihnen mehr als dankbar. Zuviel hat ihr Geist noch nicht erfasst, als dass sie sich jetzt unterhalten wollte oder könnte. Nur als Rynthuador meint, er werde ihr eine Sänfte rufen, die sie zurück nach hause bringt, bricht sie ihr Schweigen. Eine Sänfte will sie auf keinen Fall, sie ist zwar müde, genau genommen erschöpft, aber sie ist nicht so entkräftet, dass sie den Weg nach Mita'Rôin nicht alleine und auf ihren eigenen Beinen bewältigen könnte. Außerdem braucht sie dringend etwas Zeit alleine für sich und ihre Gedanken, und der Fußweg bis zum Adlerhorst würde ihr obendrein noch eine Gnadenfrist verschaffen, ehe sie sich der unvermeidlichen Fürsorge ihrer Familie gegenüber sieht. Vater lernt es in seinem Leben nicht mehr, dass ich keine acht Jahre mehr bin.

Das Tagesgestirn versinkt bereits in einem Feuerball hinter dem Horizont, als Arúen den Tempel verlässt. Jetzt weiß sie auch, wie es sein konnte, dass die Kerzen komplett herunter gebrannt waren. Während sie im Tempel ihre Prüfung abgelegt hat, ist mehr als ein halber Tag vergangen. Ihr ist nach weinen und lachen gleichzeitig zumute, sie fühlt sich leer, konfus, verwirrt, aufgewühlt und gleichzeitig so als sei sie endlich zur Ruhe gekommen. Und das sind eindeutig zu viele widerstreitende Gefühle auf einmal. Ganz zu schweigen davon, dass sie das, was sie in den letzten Stunden getan hat nicht bloß körperlich ungeheuer angestrengt hat. Ihre Schritte sind so vorsichtig, als laufe sie auf rohen Eiern. Sie ist wirklich froh, niemandem zu begegnen, und das nicht nur, weil sie so erschöpft ist, sondern weil ihr auch durchaus bewusst ist, dass selbst das frische Gewand nicht darüber hinwegtäuscht, dass sie aussieht wie eine wandelnde Leiche (und sich auch so fühlt). Den Göttern sei Dank können Elben nicht zu Untoten werden. Ansonsten müsste ich mir ernsthaft Sorgen machen, dass sich Shenrah-Templer und Jäger an meine Fersen heften. Mit solchen und ähnlichen Gedanken kehrt Arúen nach Mita'Rôin zurück.
Allerdings hat sie nicht vor, den Adlerhorst durch das Haupttor zu betreten. Weder will sie sich den Blicken der Wachhabenden aussetzen, die vermutlich augenblicklich Tianrivo informieren würden, noch steht ihr der Sinn danach, bereits in der Halle ihrem Vater über den Weg zu laufen und dadurch einen akuten Anfall väterlich-besorgter Fürsorge auszulösen. Es gibt nur eine Möglichkeit, all dem aus dem Weg zu gehen: Die Hintertür, oder genauer gesagt die zwei Hintertüren. Zuerst die Pforte in der Nordmauer des Adlerhorstes, dort wo das Anwesen direkt an den Wasserlauf grenzt, der durch Lomirion fließt. Und dann durch Küchengarten und Gesindepforte hinein ins Haus und über die Hintertreppen hoch zu ihrem Zimmer. Wenn die Götter gnädig sind, gelingt es mir ohne Vater zu begegnen. Sie schafft es tatsächlich, ungesehen auf das Anwesen und ins Haus zu kommen. Entgegen ihrer ursprünglichen Pläne macht sie sich jedoch nicht direkt auf den Weg zu ihrem Zimmer, sondern stattet erst noch dem Küchenreich Aiwerons einen Besuch ab. Weder ihre Nerven noch ihr Gefühlsleben wollen sich so recht beruhigen. Und wenn sie zehnmal so erschöpft ist, dass sie sich für mindestens drei Tage nicht aus dem Bett rühren wird, so aufgewühlt wie sie noch immer ist, wäre es ihr unmöglich in die Ruhetrance finden. Der Küchenmeister würde irgendwo in seinen zahlreichen Vorratsschränken bestimmt das eine oder andere hochprozentige Gebräu haben, das gegen überreizten Nerven hilft. Gedacht, getan. Auf das, was dann passiert, als sie die Küche betritt, ist Arúen allerdings nicht im geringsten vorbereitet. Gut, sie weiß, dass sie alles andere als frisch und rosig aussieht, aber dieses erschreckte Schweigen, als erst Aiweron sie bemerkt und dann auch noch sämtliches Küchengesinde zu ihr her starrt, trifft sie wie ein Schwall Eiswasser. Nur um im nächsten Moment die allgemeine Erstarrung auszunutzen und an den Küchenmägden vorbei auf den Schrank zuzusteuern, in dem sich Arúens Wissen nach ein Teil der Weinvorräte befindet. Ein kleiner Teil, zugegeben, aber hier würde sich dann vielleicht auch etwas stärkeres finden lassen. Zwei Schränke und vier Türen weiter ist sie noch immer nicht fündig geworden, dafür legt sich aber die Erstarrung des Küchenmeisters. Die Hälfte seines Küchengeschwaders im Schlepptau ist er von einem Moment auf den anderen bei ihr, und versucht sie mit sanfter Gewalt und der Unterstützung sämtlicher Köchinnen dazu zu bringen, dass sie sich an einen der Tische setzt. Möglichst gleich den hier vorne. Bloß nicht noch viel laufen. Sie sehe ja entsetzlich aus. Nur jetzt nicht ohnmächtig werden, Shu'ra. Man werde s-o-f-o-r-t nach ihrem Vater schicken. Und nach ihrem Bruder. Und besser auch gleich eine Heilerin rufen lassen. Für einen Moment ist Arúen wie erschlagen von dem Wirbel, der um sie her losbricht. Doch im nächsten Augenblick wird ihr das alles zuviel. Zu viele Leute, die ihre Aufmerksamkeit verlangen, zu viele Stimmen, die auf sie einreden, zuviel von allem.

Mit einer heftigen Bewegung schüttelt sie die Hände ab, die es sicher gut meinen und sie bloß stützen wollen. Sie will widersprechen, Aiweron davon abhalten, nach ihrem Vater zu schicken, doch keiner hört ihr zu. Und dann reißt ihr der Geduldsfaden. "RUHE!" Schlagartig erstirbt das Stimmengewirr um sie herum, und sie kann ein wenig aufatmen. "Ihr braucht meinen Vater nicht holen lassen. Und ich brauche auch keine Heilerin. Es ist alles in Ordnung, es geht mir gut." Das ist alles andere als die Wahrheit, und jeder kann es sehen, aber sie würde es so lange behaupten und wiederholen, bis es stimmt. "Ich will bloß etwas zu trinken haben. Das ist alles. Mehr nicht." "Etwas zu trinken? Aber natürlich, Shu'ra, sofort. Was möchtet ihr? Einen Tee? Wir haben heute frischen Yasmintee bekommen, dieses Jahr geerntet. Oder lieber Wein? Das weckt die Lebensgeister. Oder-" "Nein," schneidet Arúen ihm entnervt das Wort ab. Himmel steh mir bei, wenn das hier noch lange dauert, fange ich an zu schreien. "Ich will keinen Tee und auch keinen Wein. Es muss unter euren Vorräten doch etwas stärkeres geben als Tee und Wein." "Etwas stärkeres?... Ich habe auch Cofea, diese merkwürdigen Bohnen aus Azurien. Die meisten mögen ihn nicht sonderlich, aber er soll sehr belebend sein." "Nein, zum Göttererbarmen, ich will auch keinen Cofea. Ist es denn so schwer zu verstehen? Es muss doch in diesem Haushalt irgendeine Art von Branntwein geben... " Sie ist kurz davor endgültig den letzten Rest Geduld zu verlieren. "Bernsteinwein aus Ardun, oder Uisge Beatha aus den Ostlanden, oder normander Feuerwein. Habt ihr so etwas in den Vorräten? Ist es Euch lieber, wenn ich selber in den Schränken und Kellern suchen gehe?... Und du da," ruft sie einen Küchenjungen zurück, der sich heimlich davonmachen will, "Du bleibst hier. Ich wüsste nicht, dass ich dich zu meinem Vater geschickt hätte." Der Knabe lässt unter ihrem Blick den Kopf hängen und schleicht zurück. Könnte er seine Ohren anlegen wie ein gescholtener Welpe, würde er es vermutlich tun.
"Feuerwein? Aus... aus N-normand?" Nicht gerade, dass Aiweron in Ohnmacht fällt, aber es kostet ihn sichtlich Mühe, die Fassung zu wahren. Irgendwie hat Arúen völlig vergessen, dass es für sie in Talyra zwar vollkommen normal ist, mit Normandern zu verkehren und den Branntwein aus dem hohen Norden im Haus zu haben (für genau solche Fälle wie diesen jetzt), dass genau das aber hier in den Elbenlanden eben alles andere als üblich ist. "Gut, vielleicht keinen normander Feuerwein, aber Feentau... und erzählt mir nicht, dass es im Haus meines Vaters keinen Feentau gibt." Es fehlt nicht mehr viel, dass sie sich tatsächlich selber in den Kellern auf die Suche macht, da kommt Rettung in Gestalt von Njarda Silberblatt. Da es Arúen anscheinend unmöglich ist, von Aiweron zu bekommen was sie will, wendet sie sich an die Haushofmeisterin des Adlerhorstes. "Njarda, ihr kommt wie gerufen. Der Küchenmeister scheint nicht in der Lage zu sein, sich an seine Branntweinvorräte zu erinnern, und ich habe keine Lust erst alle Schränke und Keller zu durchsuchen. Wo finde ich den Feentau?" Die Haushofmeisterin hat ganz offensichtlich weder vor, Arúens in Watte zu packen, noch will sie die Elbin mit Tee abspeisen. Ein einziger Blick von ihr genügt um Köchinnen, Burschen und Mägde wieder an ihre Arbeiten zu schicken, und der Blick, den sie anschließend Aiweron zuwirft, macht mehr als deutlich, dass jener an diesem Tag noch ein wenig erfreuliches Gespräch mit ihr wird führen dürfen. "Bitte, Shu'ra, der Feentau." Njarda ist ganz eindeutig alles andere als zimperlich, denn sie stellt gleich die ganze Flasche vor Arúen auf den Tisch nachdem sie das Glas gefüllt hat. "Das sollte helfe, die Nerven zu beruhigen," kommt es noch leise, als sie sich zu ihr setzt und mit ihrer Anwesenheit stillschweigend dafür sorgt, dass niemand sie stören wird so lange sie hier ist.

Arúen nimmt das Glas, hebt es an den Mund und leert den Inhalt mit einem kräftigen Schluck. Die Flüssigkeit ist klar und schimmert so silbrig und unschuldig wie die namensgebenden Tautropfen. Für einen Herzschlag lang ist der Schluck auch mild und unschuldig. Dann brennt er sich seinen Weg bis ins Arúens Magen hinab und verwandelt sich dort in einen explodierenden Feuerball. Hustend und keuchend ringt sie um Luft und blinzelt erfolglos gegen dir Tränen an, die ihr in die Augen schießen. Götter, dagegen ist Feuerwein bloß milder Salbeitee. Das Brennen vergeht, und von ihrem Magen breitet sich wohlige Wärme im ganzen Körper aus, auch die Anspannung in ihr löst sich ein wenig. Abwägend betrachtet sie das leere Glas in ihrer Hand. Noch zwei oder drei solche Gläser, und der ganze innerliche Aufruhr würde sich gelegt haben und ihrer Ruhetrance stünde nichts mehr im Wege.
Ganz so weit kommt sie dann allerdings nicht. Sie hat gerade das zweite Glas getrunken, als Aiweron sich daran macht, wieder die Herrschaft über seine Küche zurückzuerobern und Njarda erklärt, man solle doch besser Shu're Tianrivo wissen lassen, dass seine Tochter zurück sei. Der Blick, den er daraufhin von Arúen erntet, ist die unverhohlene Warnung, sich DAS doch besser noch einmal sehr gut zu überlegen. "Wagt es nicht, meinen Vater herzuholen. Besser er weiß es nicht."
"Was sollte ich besser nicht wissen?" Die Miene, mit der Aiweron sich zurückzieht und es Njarda überlässt, zu erklären warum sie der Tochter ihres Herrn Feentau gegeben hat obwohl die ohnehin schon aussieht wie eine wandelnde Tote, ist mehr als sehenswert. Arúen allerdings seufzt nur stumm. Soviel also zu dem Versuch, Vater aus dem Weg zu gehen. Es folgt genau das, was sie befürchtet hat und vermeiden wollte. Dank der zwei Gläser Feentau gelingt es ihr allerdings erstaunlich gut, ihn einfach reden zu lassen ohne auf seine Bestrebungen, sie in Watte zu packen einzugehen. Genau genommen ignoriert sie ihn einfach. Als er allerdings anfängt, ihr Vorhaltungen wegen des Branntweins zu machen, liegt in ihrem Blick anscheinend etwas, das Tianrivo schlagartig verstummen lässt. "Ja, ich habe Feentau getrunken. Und? Willst Du es mir verbieten? Ich bin erwachsen, Vater. Vielleicht ist es Deiner Aufmerksamkeit entgangen, aber ich bin schon seit deutlich mehr als dreitausend Jahren mündig. Und wenn mir danach ist, dann trinke ich auch noch ein drittes Glas davon." Mit ruhiger Hand schenk sie sich nach und leert das Glas mit einem Zug. "Jetzt werde ich mich zur Ruhe legen. Und die," sie nimmt sich die Tonflasche ehe Tianrivo danach greifen kann, "nehme ich mit."

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Arwen am 18. Apr. 2007, 19:20 Uhr
~ Vom Anfang des Beerenreif bis zur Mitte des Erntemond ~



Nie wieder Feentau. Dieses Versprechen hat Arúen sich selbst in der Woche nach ihrer Prüfung mehr als nur einmal geben. Genau genommen jedes Mal, wenn nur der griffbereite Kübel neben ihrem Bett sie davor bewahrt hat, die ganze Angelegenheit noch peinlicher werden zu lassen, als sie es ohnehin schon war - also ziemlich oft. Drei Gläser von diesem so trügerisch unschuldig wirkenden Gebräu hatte sie getrunken. Die Flasche hatte sie nur mit auf's Zimmer genommen um zu erleben, wie ihrem Vater vor Schreck oder Staunen die Worte fehlen (und damit zu ihrer Genugtuung auch Erfolg gehabt), aber sie war nicht so dumm gewesen, noch mehr Feentau zu trinken. Götter, sie hatte auch so schon genug für die Unbedachtheit gebüßt überhaupt mehr als einen Schluck davon genommen zu haben. Alleine bis zu ihrem Zimmer zu gelangen hatte sich als echte Herausforderung dargestellt, die Stiegen und Flure waren so wellig gewesen wie kabbelige See bei aufkommendem Sturm und hatten ihren Füßen mehr als einmal böse Stolperfallen gestellt. Irgendwie hatte sie ihr Zimmer und ihr Bett dann aber doch erreicht und war eher in Ohnmacht gefallen als in Trance gelitten, kaum dass sie in ihrem Bett lag. Und für den folgenden Siebentag ist sie für die Welt verloren gewesen.
Sie liebt ihre Tochter, sie liebt sie wirklich. Doch in jenen Tagen hätte sie ihr Kind jeden Morgen liebend gerne am anderen Ende Rohas gewusst. Oder sich selber in den tiefsten, dunkelsten und stillsten Keller von Mita'Rôin gewünscht. Rialinn ist jeden Morgen mit den Vögeln wach, kaum dass die Sonne über dem Horizont steht, krabbelt aus ihrem Bett und reißt die Vorhänge auf, dass sich das helle Licht wie glühende Dolche durch Arúens Augen tief in den Schädel bohrt. Dann hopst sie aufreizend fröhlich in das Bett ihrer Mutter, und kräht geradezu abschreckend wach und tatendurstig 'Aufstehen, Mama! Die Sonne scheint!'. Und Arúen kommt sich vor als würde ein Erdbeben das Haus in seinen Grundfesten erschüttern und Nimrods Horn die Heerscharen der Götter rufen. Kurz, Arúen hat sich ausgerechnet Feentau für den ersten Rausch ihres Lebens ausgesucht, und nicht daran gedacht, was für einen Kater das nach sich ziehen würde. Wobei Kater die Untertreibung des Jahres werden könnte. Das Tier, dass ihren Kopf von innen genüsslich mit seinen Krallen in Fetzen reißt muss eine ausgewachsene Raubkatze von wenigstens dreihundertfünfzig Stein Gewicht sein. Zumindest fühlt ihr Kopf sich so groß und schwer an, dass ein solches Tier problemlos darin Platz hätte. Die ersten Tage rührt sie sich keinen Sekhel aus dem Bett und es genügt alleine der Gedanken an Essen, damit sie spuckend und würgend über dem Kübel kauert.
Dass ihr Vater oft und lange bei ihr sitzt, sie hält, wenn sie sich übergeben muss und ihr Schalen mit warmem Tee oder dünner Brühe reicht, damit sie wenigstens etwas zu sich nimmt, nimmt sie ziemlich kleinlaut hin. Sie schämt sich, dass er sie so sieht, und ist gleichzeitig dankbar für seine stille Nähe und Fürsorge. Er macht ihr keine Vorhaltungen, und im Gegensatz zu ihrem Bruder zieht er sie auch nicht damit auf, dass sie sich betrunken hat. Er ist einfach nur da, ist der Vater für sie, den sie sich immer gewünscht hat, seit sie ein kleines Kind war. Am achten Tag ist sie dann endlich wieder soweit beieinander und in die Welt der Lebenden zurückgekehrt, dass sie zusammen mit ihrer Tochter aufsteht und ihren Vater wach, ausgeruht und angekleidet erwartet, als der morgens nach ihr sieht. Die erste gemeinsame Morgenmahlzeit seit einem Siebentag lässt er dann allerdings doch lieber in jenem Zimmer auftragen, das alleine der Familie vorbehalten ist, und nicht unten in der großen Halle, wo sonst das gemeinsame Frühstück mit den Rittern, Knappen und Pagen stattfindet. Keiner fragt sie nach der Prüfung, wie sie verlaufen und was dabei passiert ist, aber Arúen kann ihrem Vater und ihrem Bruder ansehen, dass diese Fragen ihnen unter den Nägeln brennen. Sie versucht auch, ihnen zumindest ihre Empfindungen zu erklären, aber irgendwann bricht sie hilflos ab. Sie kann es nicht erklären. Sie hat Dinge gesehen und getan, die sie niemandem, außer einem anderen Hohepriester offenbaren könnte. Und das, was sie dabei empfunden hat jemandem zu beschreiben, der es nie selber erlebt hat oder erleben wird, dazu scheint es in keiner der Sprachen die sie kennt die richtigen Worte zu geben. Als sie allerdings ihr Unvermögen es zu erklären bedauert, wird der Blick ihres Vaters milde als er sie lächelnd ansieht. Es hätte ihn ohnehin gewundert, wenn sie es hätte erklären können, meint er, ihre Mutter habe es einst auch nicht gekonnt, scheinbar könne kein Hohepriester es einem Außenstehenden erklären, egal wie vertraut derjenige auch sei. Und, fügt er mit sanftem Spott in der Stimme hinzu, ihre Mutter habe sich damals so sehr betrunken, dass sie fast zehn Tage nicht ansprechbar gewesen sei.

Ein weiterer Mondlauf ist seit dem zur Hälfte vergangen. Arúen war in der Asarida ty Lanos, der Halle des Königs vor den Hohen Rat getreten, um während der Anhörung Khelenars zu wiederholen, was sie dem Hohen König am Abend der Eiderneuerung berichtet hatte. Flankiert von Vater und Bruder war sie erschienen, alle drei in den Farben des Hauses Mitarlyr. Als ihr Bruder ihr vorgeschlagen hatte, in ihrem Ornat als Hohepriesterin dort zu erscheinen um ihrem Wort mehr Gewicht zu verleihen, hatte sie abgelehnt. Die Machenschaften des Verräterhauses hatten sich nicht gegen eine Priesterin der Anukis gerichtet, sondern gegen das Haus der Sternenadler, und als Tochter dieses Hauses würde sie vor den Hohen Rat treten und berichten was sie wisse. Was sich dem König, ihrem Vater und auch ihrem Bruder sofort erschlossen hatte, hat Arúen sich erst erklären lassen müssen. All die "glücklichen" Umstände, die ihr die Teile des Medaillons und das Silberbuch zugespielt hatten, waren kein Geschenk der Götter, sondern Teil eines perfiden Plans der Verräter, um Arúen dazu zu verleiten, sich dem Fluch und damit dem Dämon alleine und vorzeitig zu stellen. Was ihren sicheren Tod bedeutet hätte und damit jede Hoffnung, den Fluch jemals zu brechen zunichte gemacht hätte, was für das Haus Mitarlyr letztendlich den Untergang bedeutet hätte. Und die Mitglieder des Hohen Rates scheinen die gleichen Schlussfolgerungen zu ziehen, als sie hören, was sie zu berichten hat:
Sie berichtet von Rialinns Krankheit, dem, was sie für Fieberphantasien gehalten hatte und wie Rialinn am Tag der Eiderneuerung vor der Halle der Tausend Säulen Khelenar mit genau diesen Fieberbildern in Verbindung gebracht hatte, obwohl sie nichts von den Roten Falken der An'Cus wissen konnte. Und dass Khelenar mit seinem Wissen über Rialinns Krankheit zur Faêyrisnacht und die Vorgänge auf Vinyamar zugegeben habe, einen Spion in Talyra zu haben. Mit leiser, aber fester Stimme berichtet sie den Mitgliedern des Hohen Rates von den fünf Büchern, in denen die Priester auf den Himmelsinseln einst alles Wissen um den Fluch und das Medaillon aufgezeichnet hatten, und deren absolut perfekte Abschriften sie seltsamerweise im Haus der Bücher in Talyra gefunden hatte. Und sie erzählt von dem sechsten Buch, dem Buch mit dem Einband aus Silber dessen Riegel sich nicht öffnen ließ. Sie berichtet von dem Brief ihres Vaters, der den Smaragd des zerborstenen Medaillons gefunden und die Hilfe der Priester erbeten hatte. Von dem Boten, der samt Medaillon und Buch spurlos verschwand. Davon, dass Falcon Lyr'Aris ohne es zu wissen eben dieses Buch in seinem Besitz hatte und es zusammen mit einigen anderen Dingen Arúen vermacht hatte. Als sie schließlich endet, hat sie auch erzählt, dass der Verräter sich vor seinem Sohn damit gebrüstet hat, dass er es gewesen sei, der Buch und Medaillon verschwinden ließ um dem Haus Mitarlyr den Untergang zu bringen, was der Templer später Niniane gebeichtet habe, von der Arúen es dann erfahren hatte. Und dass Khelenar bei seinem Aufenthalt in Talyra, als er kam um Falcons Besitztümer abzuholen, keinen Hehl daraus gemacht habe, sehr gut über die Machenschaften seines Bruders im Bilde gewesen zu sein, über alle Machenschaften. Alles Dinge, die er damals bei seiner Befragung vor dem Hohen König und dem Rat unter Eid entweder verschwiegen oder seinem Bruder zugeschoben hatte. Khelenar selber sagt während der ganzen Zeit kein einziges Wort, steht einfach unbewegt da. Aber er wird sichtlich blasser mit jedem Satz, den Arúen beendet, was ihr durchaus eine gewisse Genugtuung verschafft. Es wird noch kein Urteil gesprochen, und die Anhörung ist auch noch lange nicht beendet, aber dass man ihn des Meineids und der Verschwörung für schuldig befinden wird, dürfte sich von einer Wahrscheinlichkeit zur Gewissheit entwickeln.
Als Arúen zusammen mit Vater und Bruder die Halle verlässt und die Tore sich hinter ihnen wieder schließen, muss sie einen Moment stehen bleiben um sich wieder zu sammeln. Sie fühlt sich leer und ausgelaugt. Sich den Erinnerungen zu stellen und sie aussprechen zu müssen, ist ihr um einiges schwerer gefallen als sie angenommen hat. Zum Denken fehlt ihr die Kraft, und fühlen will sie nichts. Aber dann sind da eine helle Kinderstimme und das Trappeln von kleinen Füßen, die auf sie zu laufen. Sich hinunterbeugen, Rialinn auffangen, die die ganze Zeit mit Andovar draußen gewartet hat und ihre Tochter hochheben sind eine einzige, fließende Bewegung. Und die süße Schwere ihrer Tochter in den Armen zu halten ist alles, was sie braucht um sich zu fangen und das Thema Khelenar hinter sich zu lassen - zumindest für diesen Tag.

Der Beerenreif vergeht und der Erntemond bringt den Bauern die Früchte ihrer Arbeit und den Segen Amitaris. Zumindest in den Ländern und Lehen im Herzen und im Süden des Grünen Tals. Aus dem Norden Erryns dagegen werden seit Beginn des Beerenreifs heftige und ungewöhnlich lang andauernde Niederschläge berichtet, die der Boden von Äckern, Weiden und Feldern schon bald nicht mehr aufnehmen kann und die ihn in Morast verwandeln. Heu und Stroh lassen sich in der allgemeinen Feuchtigkeit nicht trocken halten und gammeln allerorten vor sich hin. Die Getreideernte fällt kaum halb so reich aus wie in den vergangenen Jahren und das, was geerntet wird, droht in den Säcken zu verschimmeln.

Ähnliche Berichte erreichen Mita'Rôin auch mit dem Botenraben, den Cassandra Anfang des Erntemonds aus Talyra schickt, und der eines frühen Morgens im Rabenschlag landet: Ein völlig verregneter und zu kalter Sommer, Missernten überall. Einige der Pächter hätten schon um Stundung nachgefragt, weil sie das Geld nicht würden aufbringen könnten. Wann die Lady denn zurückkäme, man brauche sie hier. Sogar der Tempel habe schon fragen lassen ob und wann mit einer Rückkehr zu rechnen sei. Hat Arúen sich bisher auch immer davor gedrückt, mit ihrem Vater über den Tag ihrer Abreise zu reden, nimmt ihr diese Nachricht die Entscheidung ab. Sie wird es heute tun, jetzt sofort wird sie zu ihrem Vater gehen und mit ihm reden.
Sie trifft ihren Vater auf dem Weg zum Waffenhof, und kommt erst einmal gar nicht dazu, von dem Brief zu sprechen, den Cassandra geschickt hat. "Du bist spät dran, Kind." Prüfend wandert sein Blick über das Kleid das sie trägt. "Oder wolltest Du die Schwertübungen heute im Kleid absolvieren? Scheint mir wenig praktisch." Er tut es schon wieder. Er behandelt sie wie ein kleines Mädchen. Und schafft es damit von jetzt auf gleich, dass sie ihn am liebsten wütend anfauchen würde. Aber sie reißt sich zusammen. Selbstbeherrschung… Einatmen... Ausatmen… Ein… Aus… Ich werde ihn nicht anschreien... Ein… Aus…  Ich werde ruhig bleiben… Ein… Aus… Ich werde ruhig und vernünftig mit ihm reden. Ein letztes Mal holt sie tief Luft und sieht ihren Vater dann an. "Ich dachte, das wäre eine gute Übung." Über den Brief hat sie völlig vergessen, dass sie sich für diesen Morgen mit ihrem Vater für die Übungsstunde verabredet hatte, aber das würde sie jetzt ganz bestimmt nicht zugeben. "Schließlich kann man es sich nicht immer aussuchen, wann man in einen Kampf verwickelt wird, und welche Kleidung man dann gerade trägt. Oder?" Stumm dankt sie den Göttern, dass sie an diesem Morgen nicht eines der dünnen Schleierkleider trägt, sondern eines der Kattunkleider mit weitem Rock und schmalen Ärmeln, weil sie nach den Pferden hat sehen wollen.

Auf dem Waffenhof herrscht schon reger Betrieb. Therlas hat die Knaben, die dieses Jahr von den Pagen zu den Knappen gewechselt sind schon mit der Morgendämmerung antreten lassen, damit sie ihre Lektionen mit den hölzernen Übungsschwertern durchgehen können. Der Waffenhof ist rechteckig, breiter als lang und wird an drei Seiten von den Gebäuden eingerahmt, in denen Ritter, Knappen, Pagen und Waffenknechte ihre Zimmer und Kammern haben, von der Rückwand der Stallungen und dem großen Vorratsspeicher, der auch die Waffenkammer beherbergt. Ein Dutzend Knappen steht sich in zwei Reihen zu je sechs gegenüber, jeder eines der polierten Holzschwerter mit dem flachen Griff in der Hand. Therlas steht zwischen den beiden Reihen, beobachtet mit Argusaugen jede Bewegung und erteilt mit halblauter, aber gut hörbarer Stimme knappe Kommandos. Beide Reihen treten zwei Schritte vor und es beginnt ein Bewegungsablauf, der in seiner langsamen, methodischen Gleichförmigkeit eher an einen rituellen Tanz als an Kampfübungen erinnert: Die Knappen treten vor, ziehen sich zurück, greifen an, parieren. Nach einiger Zeit ertönt ein neues Kommandos Therlas', die Knappen treten zurück, heben alle zur selben Zeit ihre Schwerter zum Gruß und verneigen sich voreinander. "Es gibt," erklärt Therlas, während er zwei Ritter heran winkt, die sich als Anwärter für die Adlergarde unter seinen Fittichen befinden, "es gibt beim Schwertkampf nur fünf Haltungen. Es zählen: das Oben, die Mitte, das Unten, die rechte und die linke Seite. Die ersten Drei sind entscheidend, die beiden letzteren treten übergangsweise in Erscheinung, etwas, wenn man einen Angriff über den Kopf oder über eine der Seiten pariert. Aber das ist nicht das Wesentliche. Um den Schwertkampf zu beherrschen, müsst ihr in Haltung gehen und aus der Haltung heraustreten." Eindringlich mustert er die Knappen. "Mit anderen Worten: Tut, was die Situation von euch verlangt, wozu euch der andere zwingt, und zwar ohne zu denken, so dass es vom Anfang bis zum Ende des Kampfes eine einzige fließende Bewegung ist. Wie das Meer." Mit dem letzten Wort greift einer der zwei Ritter den Elben vor sich an, und das mit solcher Geschwindigkeit, dass einige der Knappen erschrocken einen Schritt zurückweichen. "Angriff aus der Mitte-Haltung," erklärt Therlas und lässt die Ritter die Bewegung ganz langsam wiederholen, damit der Ablauf deutlich wird.

Der erste hebt das Schwert, so dass die Spitze auf das Gesicht seines Gegners zielt. Sein Kontrahent greift sofort an, doch noch während er dies tut, schlägt der erste mit einer kaum merkbaren Bewegung dessen Schwert auf die rechte Seite und steht nun in der Oben-Haltung, das Schwert hoch über den Kopf erhoben. Der Gegner macht einen Ausfall nach vorne, und im gleichen Augenblick geht der Hieb des ersten Ritters nach unten und er lässt das Schwert sinken. Sein Gegner greift abermals an, indem er das Schwert hochreißt. Diesmal sperrt er den anderen Elben, der aber sofort sein Schwert zurückzieht und es dem Kontrahenten quer über den Oberarm zieht. Der geht augenblicklich zum Gegenangriff über, diesmal von der rechten Seite. Der Ritter, der den Kampf eröffnet hat führt sein Schwert nach links, bis etwas unterhalb seiner Mitte. Sowie sein Gegner zum Hieb ansetzt, fliegt das Schwert an der Körperlänge des Gegners empor, unterkreuzt dessen Schwert und kommt auf der Schulter des Gegners auf. Das Schlagen der Holzschwerter füllt den Waffenhof, und es ist Arúen unmöglich, auch nur ein verständliches Wort mit ihrem Vater zu wechseln, also berührt sie ihn im Geist. Äußerlich stehen Vater und Tochter still am Rand des Hofes und scheinen aufmerksam der Übungsstunde zu folgen, die Therlas mit den Knappen abhält, während sich unweit davon die Männer der Adlergarde aufwärmen, um sich anschließend ihren eigenen Übungsstunden zu widmen. Doch mit Gedanken führen Arúen und ihr Vater einen hitzigen Disput darüber, ob es vernünftig sei, jetzt im Herbst aufzubrechen und die Mondsichel zu überqueren, und - vor allem - wie groß ihr Geleitschutz sein wird und wieviel davon bei Arúen in Talyra bleiben werden, so lange sie nicht wissen wen und wie viele Spione Khelenar dort in seinem Sold hat; und welche Order sie noch haben, außer Arúen und ihre Tochter zu beobachten. Arúen sieht nicht ein, überhaupt auch nur einen 'Wachhund' bei sich zu dulden, und ihr Vater weicht nicht davon ab, dass er sie nicht gehen lasse, wenn nicht auch in Talyra für ihre Sicherheit und die von Rialinn gesorgt sei. Das Kind könne sich schließlich noch nicht selber schützen und Arúen unmöglich immer und zu jedem Augenblick bei ihr sein.

Also gut, also gut, also gut. Du hast gewonnen, Vater. Einen. Ich werde einen Deiner Ritter bei mir in Talyra bleiben lassen, so lange, bis wir wissen, wer der… oder die… Spione sind und sie unschädlich gemacht sind… Aber ICH werde ihn aussuchen. Und auch, wenn er Dir bereits den Vasallen-Eid geschworen hat, will ich, dass er mir einen Diensteid leistet. So lange er in Talyra und in meinem Haus lebt, will ich, dass er in meinen Diensten steht, und nicht in Deinen. Sie kann Tianrivo gedanklich seufzen hören, aber er gibt sich notgedrungen damit zufrieden. "Einverstanden, Arúen. Einer meiner Ritter, Du suchst ihn aus und er wird Dir den Diensteid leisten. Wer soll es sein?" Mit einem Nicken deutet er hinüber zu den kleinen Gruppen, in denen die Ritter und Anwärter der Adlergarde zusammenstehen. "Der dort." Tianrivos Blick folgt dem seiner Tochter und fällt auf einen jungen Elben, der die meisten anderen um wenigstens einen halben Kopf überragt und der das kurze, weißblonde Haar in einem strengen Zopf zusammengefasst hat. Einer der Ritter, die Therlas eben noch für seine Demonstration der Angriffshaltungen zu sich gerufen hat. Einer der Anwärter für die Adlergarde wie Arúen am Surkot erkennen kann, als der Elb sich umwendet um einem der Ritter auf eine Frage zu antworten. "Arúen, meinst Du nicht-" Sie unterbricht Tianrivo, ehe der anfangen kann ihr ihre Entscheidung ausreden zu wollen. "Nein, Vater. Meine Entscheidung, meine Wahl. Oder ich nehme gar keinen Deiner Ritter mit und bitte Rynthuador um Templer als Geleitschutz für die Reise." Das bringt ihn zum Schweigen und mit einem ergebenen Seufzen gibt er nickend sein Einverständnis zu ihrer Wahl. Tianrivo winkt einen der Pagen zu sich, die wie so oft ihren Weg vom Wohnhaus hinüber zum Haupthaus dazu nutzen um den Rittern und Knappen zuzuschauen, und schickt den Burschen hinüber um jenen Ritter zu sich zu rufen, den seine Tochter sich nun einmal als Schutz ausgesucht hat. "Geh rüber zur Adlergarde und sag Shu're Shunjasombra, er soll Teir von Lyrtaran zu mir schicken."


Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Teir am 21. Apr. 2007, 22:52 Uhr
Teir ist lange vor dem Morgengrauen auf den Beinen, um endlich den Brief an seine Eltern fertig zu schreiben. Er hatte ihnen mehrere kurze Notizen geschickt und lange, ausführliche Antworten voller wohlmeinender Ratschläge, der Anweisung, sich warm zu kleiden und auf sich zu achten (dieses immer in der zierlichen Handschrift seiner Mutter verfasst) und der Aufforderung ihnen mehr aus seinem neuen Leben zu berichten, erhalten.
Das Schreibzimmer, in dem normalerweise der Unterricht in Lesen, Schreiben und Rechnen für die Kinder und das Gesinde stattfindet, ist so früh am Morgen natürlich noch leer und er setzt sich an einen der Tische am Fenster. Er berichtet seinen Eltern von den täglichen Waffenübungen und von den geselligen Abenden in der Halle mit den anderen Rittern des Hauses. Es fällt ihm nicht sehr leicht, sich auf den Brief zu konzentrieren, denn in Gedanken ist er längst wieder auf dem Waffenhof. Therlas hatte ihn am Vorabend gebeten, sich zur Morgendämmerung auf dem Übungsplatz einzufinden, und so ist er mehr als erleichtert, als er endlich drei Seiten mit kleinen Geschichten und Anekdoten gefüllt hat, die er mit reinem Gewissen dem nächsten Boten nach Lyrtaran mitgeben kann. Er weiß zwar, dass seine Eltern ihn vermissen und sich wohl auch Sorgen um ihren jüngsten Spross machen, aber er fühlt sich durchaus alt und erwachsen genug, um sich von der mütterlichen Sorge und den klugen Ratschlägen seines Vaters eingeengt fühlen zu dürfen.

Es beginnt gerade erst zu dämmern, als er sich auf den Weg zum Waffenhof macht. Therlas ist bereits dort, und auch die anderen jungen Ritter, die den Waffenmeister bei der Ausbildung der Knappen heute unterstützen würden. Teir grüßt Therlas mit einem höflichen Nicken und gesellt sich dann zu den anderen, während die Knappen mit müden Augen aus dem Gebäude treten, in dem ihre Kammern liegen. Er erinnert sich noch gut an die Aufregung, die er verspürt hatte, als er zum ersten Mal eines der großen Holzschwerter in die Hand nehmen durfte. Und es ließ nie nach, selbst bei der langweiligsten Wiederholung. Ein kleines Lächeln spielt um seine Lippen, aber dann tritt er auf Therlas Befehl hin vor und in den nächsten Minuten denkt er nicht nach, sondern reagiert und agiert, das Holzschwert eine Verlängerung seines Armes, geführt von Therlas´Worten. Zuerst zeigen sie die Bewegungen in ihrer normalen Geschwindigkeit, doch in der Wiederholung gleichen die Bewegungen der beiden Männer einem langsamen Tanz und sie führen die Hiebe sehr deutlich aus, um den Knappen die Möglichkeit zu geben, sich alles genau einzuprägen. Nachdem die zwei sämtliche Angriffshaltungen mehrmals durchexerziert haben, entlässt Therlas sie mit einem kurzen Nicken und Teir gesellt sich zu den Männern der Adlergarde um auf das Ende der Übungsstunde zu warten.

"Bitte?" Er ist gerade damit beschäftigt, sich auf seinen laut knurrenden Magen zu konzentrieren und so entgeht ihm die Frage, die Torâl ihm gerade gestellt hat. Mit fragendem Blick wendet Teir sich zu dem Elben um, während er sich mit der rechten Hand eine kleine Strähne aus dem Gesicht streicht. >Na, wo warst du denn mit deinen Gedanken? Ich wollte wissen, ob du mir diesen gemeinen Trick mit dem Speer noch einmal zeigen kannst, so ganz hab ichs noch nicht raus.< "Meinen geheimsten Trick soll ich dir verraten?" Teir versucht sich an einem finsteren Blick, der jedoch aufgrund der lachenden Männer um ihn herum, völlig misslingt. Aus dem Augenwinkel bemerkt er einen Pagen, der mit ehrfürchtiger Miene an Shunjasombra heran tritt und ihm leise etwas zuflüstert. Doch der leise Schlagabtausch zwischen den Männern lenkt ihn ab und so ist Teir überrascht, als der Hauptmann der Adlergarde ihn leise zu sich ruft. "Teir, du sollst zu Shu´re Morgenstern hinübergehen. Er möchte dich sprechen." Shunjasombra wirft ihm einen fragenden Blick zu, doch Teir kann ihm nur mit einem Schulternzucken antworten. Was kann er von mir wollen? Sicher, dass ich nach Lyrtaran zurückkehren muss. Ich bin nicht gut genug. Ein kleiner, kalter Kloß hat sich in sekundenschnelle in seinem Magen angesammelt und er verschwindet auch nicht, als Teir um den Übungsplatz herum geht. Er reibt das Kinn an der Schulter und streicht sich mit der Hand über den Kopf, ehe er vor seinem Herrn und dessen Tochter stehen bleibt. "Tennro." Teir neigt den Kopf und muss sich überwinden, den Blick zu heben um auch Lady Arúen zu begrüßen. "Shadâna." Er schafft es, zu lächeln, während er überlegt, was er falsch gemacht haben könnte. Ich will nicht wieder fort.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Mitarlyr am 22. Apr. 2007, 16:04 Uhr
Aufmerksam beobachtet er den jungen Elben, den seine Tochter sich nun einmal auserkoren hat, dass er sie nach Talyra begleiten und dort für ihre Sicherheit und die ihrer Tochter sorgen soll. Wirklich einverstanden ist er mit ihrer Wahl nicht. Als er auf die Gruppe rund um Shunjasombra gedeutet hat, hat er eigentlich die anwesenden Ritter der Adlergarde gemeint, nicht die Anwärter. Gut, auch sie sind alle Ritter die ihm den Eid geleitet haben. Jeder von ihnen hat sich auf die eine oder andere Art bereits hervorgetan, sonst wären sie gar nicht erst für den Dienst in der Adlergarde in betracht gezogen worden. Aber, Götter im Himmel, ausgerechnet Teir von Lyrtaran, nach Alter und Dienstzeit den jüngsten von allen muss sie auswählen. Sich das Seufzen zu verkneifen fällt ihm schwer. Zu versuchen, es seiner Tochter auszureden kann er nicht lassen, doch sie schneidet ihm schon nach wenigen Worten den Satz ab. Das Risiko, dass sie für die Reise tatsächlich den Hohepriester um Geleitschutz durch Templer bittet wird er nicht eingehen. Also beißt er sich auf die Zunge und verbietet sich jeden weiteren Kommentar. Vielleicht kann ich später noch mit ihr darüber reden, dass sie doch noch einen zweiten, einen älteren und erfahreneren Ritter mitnimmt. Wirklich glauben tut er das zwar selber nicht, aber er will die Hoffnung einfach noch nicht aufgeben. Der Page hat dem Hauptmann der Garde Tianrivos Bitte ausgerichtet, und es dauert auch nicht lange, bis der junge Ritter sich aus der Gruppe löst, mit der er sich zuvor noch einen fröhlichen Wortwechsel geliefert hat, und den Waffenhof umrundet um zu ihm zu gelangen. Die Geste, mit der er sein Kinn an der Schulter reibt und sich eine lose Haarsträhne aus dem Gesicht streift, lassen sowohl seine Unsicherheit über den Grund, der ihn zu Tianrivo ruft wie auch seine Jugend erahnen. Er wird noch viel lernen müssen. Man darf ihm nicht so leicht ansehen können, was er denkt und fühlt. Das vor allem sollte er lernen. Und zwar schnell. Der Rest wird sich zwangsläufig von alleine ergeben, wenn er in Talyra bleibt.

"Shu're Teir." Den Gruß des Elben erwidert er höflich. Ganz gleich, wie wenig ihm Arúens Wahl auch gefallen mag, der junge Mann ist ein Ritter seines Hauses, und es gehört sich einfach, dass er ihm als solchem auch die gebührende Höflichkeit erweist. Allerdings käme er nicht im Traum auf die Überlegungen, die jener gerade über den Grund anstellt, aus dem er ihn rufen ließ. Anwärter für die Adlergarde werden nur selten ausgewählt, und jeder von ihnen bekommt einen Zwölfmond um sich in der Ausbildung von Therlas und Shunjasombra und unter den Augen Tianrivos und Gildins zu beweisen. Dann erst wird eine Entscheidung über sie gefällt, ob sie ihre Ausbildung für die Adlergarde fortsetzen werden um später, wenn ein Platz neu zu besetzen ist in die Garde zu wechseln. Oder ob sie mit einer anderen Aufgabe im Dienst des Hauses Mitarlyr betraut werden. "Ich muss etwas mit Euch besprechen. Aber nicht hier draußen, bitte kommt mit uns ins Haus." Nicht nur, dass es die Knappen gehörig ablenkt, dass er hier im Waffenhof zusieht, auch die anwesenden Ritter haben ihre Aufmerksamkeit unterdessen auf ihre kleine Dreiergruppe gerichtet. Und das, was es zu besprechen gilt, ist nicht für alle Ohren bestimmt. Ganz abgesehen davon, dass er es seiner Tochter ersparen will, Teir den Diensteid hier vor allen Augen und Ohren abzunehmen. Er kann sich nur noch zu genau daran erinnern, wie sie am Sommerfest reagiert hatte. Vor dem Turnier war sie mit ihm zu jenen Rittern gegangen, die zusammen mit Gildin für die Sternenadler reiten würden. Ihr Gesicht, als sie alle wie ein Mann vor ihr niedergekniet waren, jeder in der Hoffnung für ihre Farben reiten zu dürfen, würde er so bald nicht vergessen: Sie war erst kalkweiß geworden, nur damit ihr dann das Blut ins Gesicht stieg und sogar ihre Ohrenspitzen glühen ließ.

Das Gesicht seiner Tochter auf dem Weg zurück zum Haus ist ebenso unergründlich wie sein eigenes, eine Fähigkeit, die sie schon in sehr jungen Jahren zur Perfektion gebracht hatte. Auch Teir folgt ihnen schweigend und offensichtlich in ganz eigene Gedanken vertieft. Erst als sie in seinem Schreibzimmer angelangt sind, lässt Tianrivo zu, dass sich die Anspannung des jungen Ritters etwas löst, indem er sich nicht hinter den Schreibtisch setzt - sonst das höchst untrügliche Zeichen für eine ernste offizielle Unterhaltung - sondern sich an die Vorderseite des Ebenholzschreibtisches lehnt. Seine Tochter hat sich in einem der hochlehnigen Stühle daneben niedergelassen und scheint aufmerksam zu beobachten, wie der junge Elb auf das reagieren wird, was er ihm zu sagen hat.
"Shu're Teir, es ist erst wenige Mondläufe her, dass wir bereits einmal hier gesessen haben um uns zu unterhalten. Damals habe ich Euch erklärt, dass ihr einen Jahreslauf Zeit hättet, um hier in Lomirion zu beweisen, dass Lyrbashôrs Empfehlung für Euch gerechtfertigt war. Die zwölf Monde sind noch nicht vorüber, das weiß ich. Aber trotzdem möchte ich, dass ihr Lomirion noch in diesem Mondlauf wieder verlasst." Er spürt den Blick, den Arúen ihm zuwirft, ihr Unverständnis für seine Worte. Aber er hat sie ganz bewusst so gewählt, dass man sie als Entlassung aus den Reihen der Adlergarde, und nicht als Übertragung einer besonderen Aufgabe auffassen kann. Er will sehen, wie der Elb darauf reagiert, wie gut er sich und seine Miene unter Kontrolle hat, wenn sein Dienstherr ihm die Hoffnung auf etwas zerstört, das ihm viel bedeutet. Dass die Aussicht auf den Dienst in der Adlergarde Teir nicht gerade wenig bedeutet, ebenso wie die in Lomirion geschlossenen Freundschaften, das weiß Tianrivo von Therlas und Shunjasombra. Er lässt einige Herzschläge vergehen, lässt seine Worte Wirkung zeigen ehe er fortfährt.

"Aber ich entlasse Euch nicht aus meinem Dienst. Meine Tochter wird noch in diesem Mondlauf aufbrechen um nach Talyra und auf ihr Anwesen in den Landen der Sterblichen zurückzukehren. Dass sie unter Geleitschutz reisen wird, muss ich Euch nicht erklären. Shu're Andovar wird den Tross anführen, und ich möchte, dass ihr mit ihm reitet." Er wechselt einen kurzen Blick mit seiner Tochter um sich zu vergewissern, dass er fortfahren soll und sie das weitere nicht selber erklären will, und lässt Teir damit Zeit, das eben Gehörte zu verdauen. "Das ist aber noch nicht alles. Wie wir unterdessen wissen, hat Khelenar," er lässt ganz bewusst jeden Titel wegfallen, "in Talyra wenigstens einen Spion in seinem Sold. Aber wir wissen nicht, welche Befehle er außer der Beschattung hat. Und aus diesem Grund wird nicht der gesamte Geleitschutz wieder nach Lomirion zurückkehren, einer meiner Ritter wird dort bleiben. Die Wahl Shu'ra Arúens ist auf Euch gefallen." Es ist ihm weder anzuhören, noch anzusehen, was er von der Wahl seiner Tochter hält, auch wenn er insgeheim ein Dutzend Gründe nennen könnte um einen anderen Ritter zu wählen und aus dem Stehgreif auch mindestens eben so viele Ritter beim Namen nennen könnte, die er lieber zum Schutz seiner Tochter und Enkeltochter schicken würde.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Teir am 22. Apr. 2007, 21:12 Uhr
>Shu're Teir.< Tianrivo antwortet ihm mit leiser Stimme und es ist der höfliche Tonfall, der Teir seltsamerweise etwas von seiner Selbstsicherheit zurück gibt. Die Lady Arúen sieht ihn mit unverwandter Miene an, während ihr Vater ihn mit weiterhin leiser Stimme ins Haus bittet, er müsse etwas mit ihm bereden. Teir bleibt nichts weiter als zu nicken, den beiden Elben den Vortritt zu lassen und ihnen ins Innere des Hauses zu folgen. Seine Gedanken wandern in die verschiedensten Richtungen, er kann sich beim besten Willen nicht vorstellen, was Shu´re Morgenstern mit ihm zu besprechen haben könnte. Etwas, das nicht für aller Ohren bestimmt ist?

Als sie das Schreibzimmer betreten hat Teir sich wieder unter Kontrolle und man kann seinem Gesicht seine Unsicherheit jetzt nicht mehr ablesen. Er hat zwar keine Ahnung, was auf ihn zukommen mag, aber er nimmt sich vor, allem gefasst ins Auge zu blicken. Dass Tianrivo sich nicht hinter seinen Schreibtisch setzt, sondern sich nur daran lehnt, löst den Klumpen Nervosität in seinem Magen ein wenig auf und er sieht seinen Dienstherren offen an. >Shu're Teir, es ist erst wenige Mondläufe her, dass wir bereits einmal hier gesessen haben um uns zu unterhalten. Damals habe ich Euch erklärt, dass ihr einen Jahreslauf Zeit hättet, um hier in Lomirion zu beweisen, dass Lyrbashôrs Empfehlung für Euch gerechtfertigt war. Die zwölf Monde sind noch nicht vorüber, das weiß ich. Aber trotzdem möchte ich, dass ihr Lomirion noch in diesem Mondlauf wieder verlasst.< Das sitzt. Hatte er noch vor zehn Minuten Hunger, so ist ihm jetzt schlecht. Die Miene seines Dienstherren ist bei seinen Worten absolut unergründlich geblieben und sie zeigt auch jetzt kein Anzeichen irgendeiner Gefühlsregung. Ihm selbst dagegen sind für einige Herzschläge sämtliche Gesichtszüge entglitten und er muss sich bemühen, den Mund geschlossen zu halten. Er bemerkt den stirnrunzelnden Blick Lday Arúens und schafft es mit einem tiefen Atemzug, die Fassung wiederzuerlangen. Was soll das? Morgensterns Blick ruht prüfend auf ihm und es gelingt ihm irgendwie, diesen Blick ruhig zu erwidern, während sich seine Gedanken im Kreis jagen.
>Aber ich entlasse Euch nicht aus meinem Dienst. Meine Tochter wird noch in diesem Mondlauf aufbrechen um nach Talyra und auf ihr Anwesen in den Landen der Sterblichen zurückzukehren. Dass sie unter Geleitschutz reisen wird, muss ich Euch nicht erklären. Shu're Andovar wird den Tross anführen, und ich möchte, dass ihr mit ihm reitet.< "In die Menschlande?" Es ist das erste Wort, dass er spricht und er schafft es nicht, die Überraschung aus seiner Stimme heraus zu halten. Er bereut seinen Ausruf beinahe sofort, als er irgendetwas in den Augen seines Dienstherren aufblitzen sieht und macht eine vage, um Entschuldigung bittende Geste. Als hätte ich seine Meinung gerade bestätigt... Aber warum lässt er mich dann mit ihr reiten. Die Antwort auf diese ungestellte Frage bekommt Teir sofort und er wirft Arúen einen irritierten Blick zu. >Das ist aber noch nicht alles. Wie wir unetrdessen wissen, hat Khelenar in Talyra wenigstens einen Spion in seinem Sold. Aber wir wissen nicht, welche Befehle er außer der Beschattung hat. Und aus diesem Grund wird nicht der gesamte Geleitschutz wieder nach Lomirion zurückkehren, einer meiner Ritter wird dort bleiben. Die Wahl Shu'ra Arúens ist auf Euch gefallen.< Teir runzelt die Stirn, als der Name Khelenars fällt, doch er hört Morgenstern weiterhin schweigend zu. Und auch als der große Elb schweigt, verharrt Teir einige Herzschläge lang. Man sieht an seinem Gesicht, wie der Sinn von Morgensterns Worten sich ihm langsam erschließt und als er antwortet, hört man freudige Überraschung und beinahe wohlverborgenen Stolz heraus. "Tennro, Shu´ra Arúen." Er streicht mit der Hand über den Stoff seines Surkots, während er sich leicht vor den beiden Elben verneigt. "Ich.. Ich bin überrascht, dass ihr mir diese Ehre zuteil werden lassen wollt. Freudig, natürlich." Er lächelt jungenhaft und kann sich gerade noch davon abhalten, breit zu grinsen. In die Menschenlande, nach Talyra! Bei allen Zwölfen, wo muss ich unterschreiben? Sein Blick ist zu Arúen gewandert, die die ganze Zeit in einem der Lehnstuhl gesessen hatte, aber jetzt aufsteht. Ihr Blick ruht auf ihm, prüfend wie der ihres Vaters zuvor und er erwidert ihn, nach außen hin ruhiger als er ist. Er kannte sie kaum, hatte sie zwei oder drei Mal zum Tempel und zurück begleitet, aber sie war die Tochter seines Dienstherren, eine Auserwählte Anukis;nicht, dass ihm persönlich das so wichtig wäre, aber sie bietet ihm hier eine Chance, die er wohl so nie wieder erhalten würde. Arúens Blick ruht noch immer auf ihm und nach einem letzten, tiefen Atemzug nickt er unmerklich.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Arwen am 22. Apr. 2007, 22:30 Uhr
Als ihr Vater Teir zu sich rufen lässt ist Arúen mehr als gespannt, wie ihr Vater dem jungen Ritter seine neue Aufgabe überbringen würde. Der Elb allerdings wirkt bei den leisen Worten Tianrivos so beklommen wie ein Maulwurf auf einer Dachsversammlung. Er sieht aus, als erwarte er, dass über ihn ein Urteil gefällt werden soll… und kein besonders günstiges obendrein. Eigentlich aber auch kein Wunder, denn ihr Vater gibt sich alle Mühe, den jungen Mann zu verunsichern. Die Intensität von der Aufmerksamkeit mit der er den jungen Elben mustert, gleicht der einer Raubkatze, die sich an ihre Beute anschleicht und nur auf den richtigen Moment wartet, um mit einer mit scharfen Klauen bewehrten Tatze auszuholen und sich einen Bissen zu schnappen. Nur dass hier das Nervenkostüm eines seiner Ritter die Beute ist, in die er seine Klauen zu schlagen beabsichtigt. Zwar lässt er sich nicht wie sonst bei ernsten Gesprächen oder gar Tadeln hinter dem Schreibtisch nieder, doch die Worte, die er für die Gesprächseröffnung wählt veranlassen Arúen dazu, ihm einen ernsten Blick zuzuwerfen. Mag ja sein, dass er mit ihrer Wahl nicht einverstanden ist, aber das muss er nicht an dem Ritter auslassen. Teir kann nun am allerwenigsten dafür. Und ihm mit wenigen Sätzen sichtlich den Boden unter den Füßen wegzuziehen ist nun wirklich nicht die feine errynsche Art. VATER! Hör sofort damit auf, den Mann absichtlich zu verunsichern, bloß weil Dir meine Entscheidung nicht passt. Ihr Vater fährt zwar endlich fort und erklärt die eigentliche Bedeutung seiner Worte, auch die Aufgabe, die er Teir auf Arúens Wunsch hin übertragen wird, aber er kommt nur häppchenweise damit heraus. Es fällt Arúen schwer, nicht die Augen gen Himmel, oder besser Zimmerdecke zu verdrehen. Tianrivo scheint sich vorgenommen zu haben, ihre Geduld auf die Probe zu stellen. Gut. Das Spiel beherrscht sie ebenso gut wie er.

Es dauert einige Herzschläge, bis der Sinn von Tianrivos Worten ganz zu dem Elben vorgedrungen ist, und seine Reaktion fällt so aus, wie Arúen es erwartet hat. Freude, Überraschung und auch Stolz klingen unverhohlen in seiner Stimme mit, als er endlich Worte findet um zu antworten. Er wendet sich erst an ihren Vater, dann an sie, und die Geste, mit der er wie unbewusst über den Adler auf seinem Surkot streicht, lässt Arúen lächeln als sie sich von dem Stuhl erhebt, auf dem sie Platz genommen hatte. Teir ist ohnehin größer als sie, da muss sie nicht auch noch sitzen, wenn er steht. Ganz abgesehen davon, dass es ihr die Höflichkeit gebietet. Das Lächeln im Gesicht des Elben ist wie festgenagelt, und man kann unschwer dahinter ein Grinsen ausmachen, das nur kaum zurückgehalten wird. Und es lässt ihn so jung wirken wie er wirklich ist. Sein Nicken macht deutlich, dass er die Aufgabe annehmen wird. Doch es gibt da noch das eine oder andere, dass ihr Vater bisher unterschlagen hat, dass er in ihren Augen aber wissen sollte, bevor er endgültig einwilligt und ihr den Diensteid leistet.

"Ich möchte, dass ihr eines wisst, Shu're Teir. Dies ist keine Order meines Vaters, kein Befehl. Und ich habe zwar die Entscheidung getroffen, doch letztlich ist es Euere freie Entscheidung, ob ihr die Aufgabe annehmen wollt oder nicht. Und niemand wird es euch vorwerfen oder nachtragen, solltet Ihr ablehnen. Ihr habt bereits Eure Eide auf das Haus der Sternenadler geleistet, und sie sollen auch nicht gelöst werden. Aber wenn ihr Euch entschließt, diese Aufgabe anzunehmen, dann werdet ihr mir für die Dauer Eures Aufenthaltes in Talyra den Diensteid leisten." Sie schweigt kurz und sieht den Elben ernst an. Es ist ihr wichtig, dass er das versteht, dass er begreift, was sie von ihm verlangt. "Ihr müsst Euch nicht sofort entscheiden. Und es gibt einige Dinge, die ihr über meinen Haushalt wissen solltet, bevor ihr Eure Wahl trefft." Mit ruhiger Stimme klärt sie ihn darüber auf, welche Art Haushalt sie führt, welche Umgangsformen dort gepflegt werden, dass sie beispielsweise eine sehr resolute Oberste Magd in Diensten hat, und dass zum Anwesen einiges an Land gehört, das bewirtschaftet wird. "Falls ihr die Allgemeinsprache noch nicht beherrscht, solltet Ihr besser noch heute anfangen, sie zu lernen. Und ihr solltet Euch darauf einstellen, dass Ihr in Talyra den Angehörigen der verschiedensten Völker begegnen werdet, die dort alle in relativer Eintracht zusammen leben. Oger, Faune, Zwerge, Kobolde, Feen, nichts davon sollte Euch aus der Fassung bringen. Und es darf kein Problem für Euch sein, dass Normander in meinem Haus verkehren." Sie unterbricht sich selbst und sucht kurz den Blick ihres Vaters, der schweigend neben ihr steht. Teir ist noch jung, er hat keine eigenen Erinnerungen an den Untergang Dúnes im Krieg gegen die Normander. Er kann allenfalls von den Vorurteilen anderer Elben beeinflusst sein. "Eigentlich ist dies das Wichtigste. Alles andere, Sprachen, Sitten und Gebräuche, die könnt ihr lernen. Also… Wie sieht Eure Entscheidung aus? Oder möchtet Ihr lieber einen Tag Bedenkzeit?" Das Lächeln, das Ihre abschließende Frage begleitet macht deutlich, dass sie Verständnis dafür hat, wenn er Bedenkzeit braucht, immerhin ist das eine nicht unerhebliche Entscheidung, die er treffen soll.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Teir am 26. Apr. 2007, 14:58 Uhr
Einige Herzschläge lang ist es völlig still in dem Schreibzimmer; er fühlt die Blicke der beiden älteren Elben auf sich ruhen und er kann nicht sagen warum, aber der Lady Arúens ist ihm wesentlich angenehmer. Nicht, dass Tianrivo auch nur einen Funken dessen, was er denkt, nach außen dringen lässt, doch Teir ist froh, als Arúen das Schweigen bricht und ihm erklärt, was auf ihn zukäme, wenn er zustimmen sollte. >Ich möchte, dass ihr eines wisst, Shu're Teir. Dies ist keine Order meines Vaters, kein Befehl. Und ich habe zwar die Entscheidung getroffen, doch letztlich ist es Euere freie Entscheidung, ob ihr die Aufgabe annehmen wollt oder nicht. Und niemand wird es euch vorwerfen oder nachtragen, solltet Ihr ablehnen. Ihr habt bereits Eure Eide auf das Haus der Sternenadler geleistet, und sie sollen auch nicht gelöst werden. Aber wenn ihr Euch entschließt, diese Aufgabe anzunehmen, dann werdet ihr mir für die Dauer Eures Aufenthaltes in Talyra den Diensteid leisten.<
Er wirft einen raschen Blick zu Morgenstern hinüber, doch dessen Gesicht zeigt keinerlei Überraschung über die Bedingung seiner Tochter. Entweder er hat es gewusst, oder sich selbst völlig unter Kontrolle. Aber spielt das eine Rolle? Teir glaubt zu verstehen, warum die Elbin diese Bedingung stellt. Wenn er Lady Arúen den Diensteid leistet, ist er zuerst ihr verpflichtet, nicht mehr ihrem Vater. Ein Spion weniger in Talyra... wenn auch nur ein väterlicher. Das Tianrivo Morgenstern seine Tochter ungern unbeaufsichtigt lässt (und das ist noch leicht untertrieben) ist unter den Rittern des Hauses gut bekannt.
Das sie ihm damit einen Gewissenskonflikt erspart, ist zwar vermutlich nicht der Hauptgrund für diese Bedingung, aber es erleichtert ihm die Entscheidung.
>Falls ihr die Allgemeinsprache noch nicht beherrscht, solltet Ihr besser noch heute anfangen, sie zu lernen. Und ihr solltet Euch darauf einstellen, dass Ihr in Talyra den Angehörigen der verschiedensten Völker begegnen werdet, die dort alle in relativer Eintracht zusammen leben. Oger, Faune, Zwerge, Kobolde, Feen, nichts davon sollte Euch aus der Fassung bringen. Und es darf kein Problem für Euch sein, dass Normander in meinem Haus verkehren.< Er bemerkt den Blick Arúens zu ihrem Vater und Teir glaubt nicht, dass dieser dies so genau wusste. >Eigentlich ist dies das Wichtigste. Alles andere, Sprachen, Sitten und Gebräuche, die könnt ihr lernen. Also… Wie sieht Eure Entscheidung aus? Oder möchtet Ihr lieber einen Tag Bedenkzeit?< Teir erwidert Arúens Blick und er nickt noch einmal, ehe er spricht. "Shu´ra, Euer Angebot ehrt mich wirklich sehr, ich fürchte nur," Kurz wandert sein Blick zu Morgenstern hinüber und ein Lächeln schleicht sich auf seine Lippen. "Ich kann Euch die Antwort gleich geben." Er greift nach dem Schwert an seiner Seite und es aus der Scheide zu ziehen, es vor sich auf den Boden zu stellen und sich davor knien ist eine einzige, flüssige Bewegung, die nach außen hin wesentlich ruhiger wirkt, als Teir sich fühlt. Sein Herz schlägt hart in seiner Brust, als er den Blick hebt und Arúen ansieht. In die Menschenlande! Wenn ich das Mutter erzähle.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Arwen am 29. Apr. 2007, 13:28 Uhr
Der junge Ritter hat sich und sein Mienenspiel deutlich besser unter Kontrolle, nachdem Arúen ihm erklärt hat, worum es geht und was sie von ihm erwartet. Dass sie den Diensteid von ihm fordert und ihr Vater das vollkommen unbewegt hinnimmt, scheint ihn nur kurz zu irritieren. Vermutlich, ist er sogar froh darüber, so kann er nicht zwischen zwei Treuepflichten zerrissen werden. Oder in Gewissenskonflikte geraten, falls Vater von ihm regelmäßige Berichte fordert, von denen ich dann nichts wissen soll. Sie kennt ihren Vater gut genug, um davon auszugehen, dass das durchaus zu dessen Überlegungen gehört. Und sie weiß, dass auch Gildin dieses Spiel beherrscht, immerhin hatte Cassandra ihr vor ihrem Aufbruch aus Talyra "gebeichtet", dass Arúens Bruder ihr aufgetragen hatte, regelmäßig Briefe nach Lomirion zu schicken, um zu berichten, wie es Arúen und ihrer Tochter geht. Denn Vater und Bruder kennen Arúen und deren Neigung in ihren eigenen Briefen gerne das eine oder andere auszulassen nur zu gut. Doch zumindest im Moment ist es ihr gelungen, den Ambitionen ihrer Familie wenigstens einen kleinen Riegel vorzuschieben.
Ungeachtet dessen, was Arúen sagt und der Bedingungen, die sie stellt, gibt es für Teir kein Zögern, was seine Entscheidung angeht, diese Aufgabe anzunehmen. In einer einzigen fließenden Bewegung zieht er sein Schwert und kniet nieder um ihr den Diensteid zu leisten. Sein Blick ist fest auf die Elbin gerichtet, aber ob aus Sicherheit über seinen Entschluss oder um den prüfenden Blicken Tianrivos auszuweichen, wüsste sie nicht zu sagen. Genau genommen spielt es auch keine Rolle. Was ihr wichtig ist, nämlich, dass er diese Wahl aus freien Stücken trifft und nicht nur um einen Befehl zu befolgen, das kann sie in seinen Augen und in seinem Gesicht sehen - und die schwer zu bändigende Mischung aus Stolz, Unglaube und gespannter Erwartung, dass gerade ihm dieser Auftrag und damit die Möglichkeit geboten wird, in die Lande der Sterblichen zu gehen. Götter, er ist noch so jung… Tue ich wirklich das richtige? Für einen Augenblick kommt sie sich entsetzlich alt vor, eine seltsame und ungewohnte Erfahrung, denn bis zu diesem Augenblick ist ihr das eigene Alter und die Tatsache, dass sie selbst unter den Elben nicht mehr zu den jungen Frauen zählt selten so bewusst gewesen.

Sie macht einen Schritt, tritt direkt vor den knienden Elben und legt ihre Hände um die seinen, die den Schwertgriff fest umschließen. Sie nimmt ihren Blick nicht von Teir, aber sie merkt, wie ihr Vater an ihre Seite tritt um den Eid zu bezeugen, der nun geleistet werden soll. Ein sachtes Nicken und ein aufmunterndes Lächeln von ihr, dann spricht der Ritter mit leiser, aber fester Stimme den Eid. "Ich, Teir von Lyrtaran, Ritter des Hauses Mitarlyr, gebe mich und mein Schwert in Eure Obhut und gelobe Euch, Shadâna Arúen, Gefolgschaft und Diensttreue. Ich schwöre bei den Zwölf Göttern und ihren Archonen, Euch und den Euren wahrhaftig, treu und gewissenhaft zu dienen, Euch meinen Rat und mein Wissen zuteil werden zu lassen und gegen all Eure Feinde und die Feinde Eures Hauses zu stehen. Mein Schwert sei das Eure, mein Schild Schutz und Schirm für Euch und die Euren, jetzt und immerdar bis Ihr mich aus Euren Diensten entlasst oder Sithech mich ruft." Der tiefe Atemzug, den er tut, nachdem das letzte Wort gesprochen ist, klingt fast wie ein unterdrücktes, erleichtertes Seufzen, und lässt Arúen lächeln. Kurz verstärkt sie den Druck ihrer Hände um seine, ehe sie den Eid erwidert. "Shu're Teir, ich nehme euren Eid an. Als Eure Herrin will ich euch schützen und für Euch sorgen. Ihr sollt stets einen Platz in meinem Haus und an meinem Tisch haben. Ich werde Euch mein Vertrauen schenken, Euch und Euer Schwert in meinem Dienst in Ehren halten und keinen Dienst von Euch fordern, der gegen Eure Ehre oder die Gesetze der Götter verstößt. Ich werde Gefolgschaft und Treue mit Achtung und Respekt erwidern, Eidbruch jedoch mit Strafe und Verrat mit dem Tod vergelten. Erhebt euch." Sie löst ihre Hände von denen des Ritters, der nun in ihren Diensten stehen wird, bis sie oder Sithechs Ruf den Eid wieder lösen. Und während sie einen Schritt zurück tritt und Teir das Schwert wieder an seiner Seite verstaut, bestätigt ihr Vater als Zeuge mit einem festen "Fior îhiorael it." So sei es die soeben gesprochenen Worte.

Arúen entlässt den Elben nicht sofort, damit er auf den Waffenhof zu den Männern der Adlergarde zurückkehren kann, die ihre tägliche Übungsstunde bereits begonnen haben dürften - und sich vermutlich in den wildesten Spekulationen ergehen, warum Teir zu ihrem Dienstherrn gerufen wurde. Von seinen täglichen Pflichten als Anwärter der Adlergarde wird sie ihn für die Zeit bis zur Abreise nicht entbinden, aber er solle sich bei Loquarn, dem Skriptor ihres Vaters die Bücher aus der Bibliothek geben lassen, die er für das Erlernen der Allgemeinsprache brauchen wird. Und er soll sich an Andovar Mondtänzer wenden, der ihm bei der Aussprache helfen kann, die sich einem aus den Büchern nur sehr schwer erschließt, wenn man die Sprache nie selber gehört hat. Wegen der grundlegenden Umgangsformen, Sitten und Gebräuchen der Menschen könne er sich wahlweise an sie oder auch an Shu're Andovar wenden, je nach dem was ihm lieber sei, aber befassen solle er sich damit, um sich die Ankunft in den Menschenlanden zu erleichtern. Dass er alles, was er für die Reise und seine Zeit in Talyra benötigt und noch nicht besitzt von Arúen und Tianrivo bekommen wird, erwähnt keiner von ihnen auch nur mit einem Wort. Es gehört zu jenen Dingen die sich aus dem Vasalleneid gegenüber Tianrivo und dem Diensteid den dessen Tochter vor wenigen Augenblicken angenommen hat von selbst ergeben.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Teir am 29. Apr. 2007, 21:38 Uhr
Als Arúen näher tritt, ihre Hände um seine und den Schwertgriff legt, ist jede Nervosität wie weggeblasen. Er spricht den Diensteid und meint jedes Wort davon so, wie er es sagt. "Ich, Teir von Lyrtaran, Ritter des Hauses Mitarlyr, gebe mich und mein Schwert in Eure Obhut und gelobe Euch, Shadâna Arúen, Gefolgschaft und Diensttreue. Ich schwöre bei den Zwölf Göttern und ihren Archonen, Euch und den Euren wahrhaftig, treu und gewissenhaft zu dienen, Euch meinen Rat und mein Wissen zuteil werden zu lassen und gegen all Eure Feinde und die Feinde Eures Hauses zu stehen. Mein Schwert sei das Eure, mein Schild Schutz und Schirm für Euch und die Euren, jetzt und immerdar bis Ihr mich aus Euren Diensten entlasst oder Sithech mich ruft." Arúen antwortet ihm mit ruhiger Stimme mit ihrem Teil der Eidformel und als sie endet bezeugt Tianrivo, der neben seine Tochter getreten ist, die Gültigkeit dieses neuen Diensteides. Teir spürt Arúens Hände sich nach einem Augenblick andächtiger Stille von seinen lösen und der junge Elb erhebt sich. Seine Gedanken sind wie leergefegt, aber als Arúen ihm erklärt, was er vor ihrer Abreise alles zu tun und zu lernen habe, reißt er sich zusammen. Loquarn um Bücher für die Allgemeinsprache bitten, sie oder Andovar um Hilfe bei der Aussprache. Und Sitten und Gebräuche... Er nickt zu ihren Erläuterungen und versichert ihr, sich sofort nach den Waffenübungen zu Loquarn zu begeben. Schließlich entlässt ihn Tianrivo und Teir beeilt sich, wieder zum Waffenhof zurück zu kommen.

Die Neuigkeit, dass er mit Shu´ra Arúen in die Menschenlande reisen wird, verbreitet sich erstaunlich schnell, auch wenn Teir selbst den Rittern nur ausweichende Antworten gibt. Er war noch am selben Nachmittag zu Loquarn gegangen und dieser hatte ihn mit vier dicken Wälzern über die Allgemeinsprache und einer Menge guter Ratschläge zum Thema versorgt. In seiner freien Zeit arbeitet Teir nun die Bücher der Reihe nach durch und stellt dabei erleichtert fest, dass Vokabeln und Grammatik lernen ihm erstaunlich wenig Probleme bereitet. Seine Fragen zur Aussprache der verschiedensten Wörter stellt er allerdings doch lieber Andovar; da er ihn täglich mehrere Stunden auf dem Waffenhof sieht, erkennt er keinen Grund, warum er Shu´ra Arúen mehr als nötig von ihren Reisevorbereitungen abhalten soll. Das alltägliche Leben, die Sitten und Gebräuche der Sterblichen [Loquarn hatte ihm auch hierzu zwei riesige Bücher in die Arme gedrückt) faszinieren Teir mit jeder Silbe die er darüber liest und als der Tag ihrer Abreise endlich näher rückt, kann er sich kaum noch auf etwas anderes konzentrieren.
Zwei Tage vor ihrem Aufbruch bezahlt er allerdings einen schmerzhaften Preis für seine Phantastereien in Form einer Menge blauer Flecke; Andovar hatte ihn in ihrem Übungskampf am Nachmittag nicht geschont. Schlimmer als die schmerzenden Prellungen waren jedoch die Worte, die der ältere Ritter Teir danach an den Kopf geworfen hatte. Wenn er sich so wenig konzentriere könne ihn jeder Bauer übertölpeln, von gut ausgebildeten Söldnern ganz zu schweigen. >Und wie sollen wir Shu´ra Arúen deinem Schutz überlassen und auch nur ein Auge schließen, wenn du dich so leicht ablenken lässt? Konzentriere dich Mann, oder du wirst es bereuen!< Das hatte gesessen und ihm ordentlich auf den Magen geschlagen. Das Abendessen ist längst vorbei, doch Teir sitzt noch immer am Rande des Waffenhofes und denkt über die Worte Andovars nach. Er hat Recht verdammt. Ich darf mich nicht von meinen Tagträumen über die Sterblichen von meiner Aufgabe ablenken lassen. Shu´ra Arúen hat mich ausgewählt, sie vertraut mir und Morgenstern.. naja vermutlich auch.. ich darf sie nicht enttäuschen. Mit knurrendem Magen steht er vom staubigen Boden auf, räumt die letzten Sachen zusammen und begibt sich dann in sein Zimmer. Zur Strafe ohne Abendessen ins Bett. Er kann schon wieder grinsen bei diesem Gedanken; noch einmal würde Andovar nicht so mit ihm sprechen müssen.

Seine eigenen Reisevorbereitungen sind schnell getroffen; er besitzt nicht viel von Wert, im ganzen füllen seine Habseligkeiten kaum drei große Satteltaschen und selbst das Postskriptum des Briefes an seine Eltern ist rasch verfasst. Er erklärt ihnen, dass er eine Aufgabe bekommen hat, die ihn in die Menschenlande führen wird; wobei er ihnen jedoch nicht genauer erklärt, um was es sich bei dieser Aufgabe genau handelt; und schickt den Brief kaum drei Tage vor ihrer Abreise ab. Dann erreicht mich die aufgebrachte Antwort meiner Mutter wenigstens nicht mehr.

Titel: Re: Cumaîlais ~ Heimkehr
Beitrag von Arwen am 30. Apr. 2007, 15:33 Uhr
Teir verlässt das Schreibzimmer ihres Vaters mit einer solch ernsten Miene, dass Arúen ihm fast anzusehen glaubt, wie er im Geiste die Liste der Dinge wiederholt, die sie ihm als Lernstoff für die Zeit bis zu ihrer Abreise aufgetragen hat. Nachdem sich die Tür hinter dem jungen Ritter geschlossen hat, ist sie alleine mit Tianrivo, und für einen Moment liegt Schweigen über dem Raum. Ihr Vater sagt kein Wort, sieht sie nur an, aufmerksam und prüfend. Doch im Gegensatz zu früher verunsichert es sie nicht mehr. Ebenso ruhig und ebenso schweigsam wie er erwidert sie den Blick und wartet darauf, dass er das Wort ergreift. "Er hat nicht gefragt, warum die Wahl auf ihn gefallen ist," kommt es schließlich leise, und fast hätte sie gelacht. Wenn das die einzige Frage ist, die ihren Vater zu diesem Thema umtreibt, dann scheint er doch langsam zu lernen, dass sie erwachsen und kein kleines Kind mehr ist. "Du aber auch nicht, Vater," erwidert sie ebenso leise. "Aber die Frage wird sich ihm stellen, wenn er genug Zeit hatte, um sich darüber klar zu werden, was hier gerade passiert ist und welche Entscheidung er für sich getroffen hat… Und jetzt lass uns frühstücken gehen, Rialinn wird schon ungeduldig warten und sich einen Spaß daraus machen, ihren Haferbrei über den Tisch und ihr Kleid zu verteilen."
Wie nicht anders zu erwarten, sind auch Gildin und Andovar bereits am Tisch in der großen Halle - und gemeinsam mit einem Kindermädchen damit beschäftigt, Klein-Rialinn von allzu kreativen Zweckentfremdungen des Haferbreis abzuhalten. Es ist ein ruhiges Morgenmahl, obgleich viel geredet wird, denn Arúens Entscheidung, sofort mit den Vorbereitungen für ihre Rückreise zu beginnen sorgt für einiges Erstaunen. Vor allem Gildin, den dringende Aufgaben nach Lyrtaran rufen, und der sie somit nicht wird begleiten können, hätte es gerne, wenn sie ihre Rückreise noch bis in das nächste Frühjahr verschiebt. Doch das steht für Arúen nicht zur Debatte, dazu hat Cassandras Nachricht viel zu dringend geklungen. Und sie kennt ihre Oberste Magd gut genug, um zu wissen, dass die so leicht nicht zu beunruhigen ist.


Die nächsten Siebentage vergehen wie im Fluge. Die Vorbereitungen für Arúens Abreise aus Lomirion und ihre Rückkehr nach Talyra nehmen alle Zeit in Anspruch, die ihr neben dem Tempeldienst, ihren Studien unter Rynthuadors Anleitung und ihrer Tochter noch bleibt. Über ihren Vater lässt sie um eine Audienz bei Sessair Mondjäger bitten, um den Brief und mögliche weitere Nachrichten entgegennehmen zu können, die der ihr für Niniane anvertrauen will. Gildin und Andovar bestehen darauf, dass sie ihre täglichen Waffenübungen nicht vernachlässigt, was auch die uneingeschränkte Zustimmung Tianrivos hat. Dann kommt der Tag, an dem ihr Bruder nach Lyrtaran aufbricht, und sie muss sich von Gildin verabschieden, und das schon einen Siebentag ehe sie selber aufbrechen wird. Es ist kein leichter Abschied, denn sie wissen beide, dass Arúen so bald nicht nach Erryn zurückkehren wird, auch wenn Gildin ihr verspricht, dass er in Lyrtaran das alte Gästehaus im Garten herrichten wird, damit sie auch dort immer ein Heim haben wird, in das sie zurückkehren kann.
Teir nimmt die ihm aufgetragenen Studien ernst, das weiß sie von Loquarn und Andovar. Vor allem letzterem scheint er regelmäßig das berühmte Loch in den Bauch zu fragen. An sie selber wendet er sich jedoch nicht ein einziges Mal mit seinen Fragen. Ob nun aus Scheu oder übertriebenem Respekt, ganz gleich was seine Gründe sein mögen, spätestens auf Vinyamar würde er sehr schnell lernen, wie wenig Arúen in ihrem eigenen Haus von derartigem Getue hält. Die Abende, und oft auch einen großen Teil der Nächte verbringt sie mit ihrem Vater. Es gibt so vieles, das sie einander zu sagen haben, all die Dinge, die seit Jahrhunderten unausgesprochen geblieben sind, auf beiden Seiten, und die nun nicht noch länger verschwiegen werden können und sollen.
Die Gespräche wühlen sie beide auf, berühren Gefühle und Erinnerungen die beide Elben bisher tief in sich verborgen haben. Es werden Dinge angesprochen, einander offenbart, die tiefgreifende Gefühle wecken. Oft hält es keinen von ihnen in geschlossenen Räumen und man sieht Vater und Tochter des nächtens in den Gärten umherwandern um ihrer Anspannung Herr werden zu können. Mehr als einmal suchen sich silberne Tränen den Weg über hohe Wangenknochen, und das nicht nur bei Arúen, sondern auch bei ihrem Vater. Nicht nur, weil die Worte und Erinnerungen alte Wunden wieder aufreißen. Am meisten trifft Tianrivo die Erkenntnis, dass er in seinem Bestreben, alles Gerede um den Fluch, seine Trauer und Sorgen von seiner Tochter fern zu halten, genau den falschen Weg gegangen ist. Er hatte sie damit nicht beschützt und behütet, wie er erhofft hatte, ganz im Gegenteil. Ohne es zu wollen, hatte er sie aus seinem Leben ausgeschlossen und ihr das Gefühl gegeben ungewollt und - viel schlimmer - ungeliebt zu sein. Und sich selbst hatte er von ihrem Leben ausgesperrt, weil sie das Gefühl gehabt hatte, ihren Vater nicht mit ihren Sorgen und Nöten belasten zu dürfen. Dass sie verzweifelt Hilfe und Nähe ihres Vaters gesucht und doch nicht gefunden hatte, hatte er nicht erkannt. Dass sie seine Hilflosigkeit gar nicht verstehen konnte, weil er sie vor allen verbarg und sie sich dann scheinbar aus heiterem Himmel zu Yssama'ria geschickt sah um dort zu lernen. Was ihr nicht als Hilfe erschienen war sondern als Verbannung, fern von der Familie, ohne Kontakt zu ihnen, wie eine Strafe, dass um ihretwillen schon die Mutter starb und nun auch sie selbst unter den Fluch gefallen war. So vieles was er von seiner Tochter erfährt, hatte er nie auch nur geahnt. Und es trifft ihn schmerzhaft, wieviele Jahre sie verloren haben, weil sie nicht in der Lage gewesen waren, miteinander zu reden. Und nun würde sie sein Haus wieder verlassen, würde er sie wieder für lange Jahre nicht sehen können, sie nicht und seine Enkeltochter auch nicht.

Dann ist der Tag der Abreise gekommen. Auch wenn die Tage noch sonnig und warm sind, der Herbst sendet schon die ersten Boten voraus. Schimmerndes Rot und Gold mischt sich hier und dort in das Grün der Bäume und Sträucher, und gelegentlich hört man schon ein leises Rascheln der Blätter im Wind, so als reibe man trockenes Pergament aneinander. Und an diesem Morgen hält sich auch der erste Frühnebel auf den weiten Flächen zwischen den Straßen und Anwesen des inneren Rings von Lomirion. Der neblige Morgen passt ganz ausgezeichnet zu der bedrückten Stimmung, die sich über Mita'Rôin und seine Bewohner gelegt hat, allen voran Tianrivo Morgenstern. Die Fuhrwerke sind beladen, die Pferde von Arúen und den Ritter und Knechten die ihren Geleitschutz bilden sind gesattelt, gezäumt und warten gehalten von Stallknechten darauf, dass es los geht. Die einzige, die vor lauter Aufregung wie aufgedreht umherhüpft ist Rialinn. Genau genommen gebärdet sich das Kind schon die ganze Zeit wie Springkraut, seit es weiß, dass sie nach Talyra zurückkehren werden. Andovar kontrolliert ein letztes Mal die Ladung der beiden Wagen, einer mit Arúens Habe und einer mit den Vorräten und der Ausrüstung für eine solch lange Reise. Die Männer kontrollieren ihre Waffen. Und die Stallburschen prüfen ein letztes Mal das Lederzeug der Pferde und die Hufeisen.

Schweigend steht sie vor ihrem Vater, und sucht recht vergeblich nach den richtigen Worten für den Abschied. Schließlich greift sie einfach nach seinen Händen und öffnet ihren Geist für ihn. Manchmal kann man in Worten einfach nicht ausdrücken, was in Gedanken so einfach ist. "Arúen, ich…" Ich weiß, Eamo, ich weiß… Selbst ihre geistige Stimme vibriert und lässt ahnen, was sie bewegt. "Ich werde meine Versprechen halten, Eamo. Spätestens wenn Rialinn großjährig wird, werden wir zurückkommen, und ich werde regelmäßig schreiben. Aber falls Du es ohne uns so gar nicht aushalten solltest… Du kannst uns jederzeit in Talyra besuchen kommen." "Das weiß ich alles, min Nar. Hier, diese Nachricht hat ein Rabe heute Nacht gebracht." Er drückt ihr einen schmalen Pergamentstreifen in die Hand. "Du weißt, dass ich Reiter voraus geschickt habe, um zu erkunden, ob die Wege östlich der Mondsichel und jenseits der Mondtore passierbar sind, oder ob das Wetter sie zu sehr in Mitleidenschaft gezogen hat. Das hier ist die erste Nachricht. Bis zu den Mondtoren scheinen die Straßen zwar häufig nass und auch mal schlammig zu sein, aber trotzdem für Fuhrwerke noch immer gut passierbar. Wie es hinter den Mondtoren aussieht, weiß ich noch nicht. Aber man wird an den Mondtoren eine ausführliche Nachricht für Dich hinterlegen… Passt auf Euch auf, Kind." Diomas ti., Arúen "Das werden wir, Vater." I cara lin, Eamo, hjir ayis.
Und dann gibt es einfach keinen Grund mehr, den Aufbruch noch länger hinaus zu zögern. Unerwartet fühlt Arúen sich von ihrem Vater in die Arme gezogen, und braucht in ihrer Überraschung einen Moment, ehe sie reagiert und die Umarmung erwidert. Rialinn verabschiedet sich ebenso ungestüm von ihrem Großvater und hüpft im nächsten Augenblick schon voller Tatendrang zu dem Wagen auf dem ihr Pelzbär in einer Decke auf sie wartet. Sie kann nur hoffen, dass die Laune ihrer Tochter möglichst lange so sonnig bleiben wird, denn die Reise wird etliche Siebentage dauern und für ihre Tochter anstrengend und langweilig sein, vor allem dann, wenn sie irgendwann in schlechtes Wetter geraten sollten. Ein kurzer Ruf von Andovar ist das Kommando zum Aufbruch. Leder knarrt, als die Reiter aufsitzen, Pferdehufe knirschen auf dem hellen Kies des Hofes und das Geschirr der Fuhrwerke klingelt als die Zugpferde anziehen. Als sie das Tor passiert, flankiert von Andovar und Teir, stellt Arúen sich noch einmal in den Steigbügeln auf und wendet sich ein letztes Mal zu ihrem Vater um, die Hand zum Gruß erhoben.



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