Der Sithechhain

    • Offizieller Beitrag

    Im Süden der Stadt, zwischen dem Mogbarviertel im Westen, dem Handwerkerviertel im Norden, dem Fliegengrund im Westen und der südlichen Stadtmauer liegen die Begräbnisstätten Talyras, der Sithechhain.

    Hier befinden sich inmitten eines weitläufigen Parks aus Nurmweiden, hoch aufragenden Eiben und dunklen Zypressen, die Begräbnisstätten Talyras. Das ausgedehnte Gelände ist bedeckt von kurzem, weichem Silbergras und die alten Bäume spenden tröstliche Schatten. Zwischen ihren mächtigen Wurzeln liegen einfache Gräber und uralte Grüfte aus Marmor und Granit, manche klein und unscheinbar, andere groß wie Schreine, verziert mit wundervollen Fresken und Ornamenten.


    Viele sind leer und alt, überwuchert von Moosen und Flechten, ihre Inschriften verwaschen und unleserlich geworden - andere noch immer von den ansässigen Familien in Gebrauch. Totenlichter brennen in durchbrochenen Bronzelaternen und werfen ihren matten Schein über Steinfiguren - über marmorne Seharim, die ihre Flügel über Grabplatten und Wege breiten, über Heilige vergangener Jahrhunderte, aber auch über Drachen, Phönixe, Einhörner und Harpyien, die so manches uralte Grab schmücken, von Efeu überrankt und von zartem Graumoos bedeckt.


    Auf und um viele Gräber wachsen Môrninaes in dichten Kissen, kleine Blumen mit zarten, silbergrünen Blättern. Nur auf Gräbern gedeihen diese 'Totenblumen', wie das gemeine Volk sie nennt, die im Sommer in allen Nuancen von zartem Purpur bis zu tiefem Violett blühen und süßen, betörend starken Duft verströmen. Aber auch Kletterrosen und goldweiße Waldreben ranken sich um die Sockel der Statuen und Grabsäulen, erobern sich leere Sarkophage und das Mauerwerk so manchen Mausoleums.


    Der Sithechhain ist ein Ort der Trauer, aber auch ein Platz der Ruhe und Besinnung, wo die Stadt mit ihrem lauten, geschäftigen Treiben, den vielen Gassen und Menschen mit einem Mal tausendschrittweit fort erscheint. Der "Knochenacker" wird der Sithechhain im talyrischen Volksmund auch genannt, obwohl die Schönheit und tiefe Stille dieses heiligen Ortes den groben Namen Lügen straft. Der Narrenkönig, der kleine Petyr und Karmesin, ehemalige Blaumäntel und drei von Olyvars Sieben, liegen hier ebenso begraben wie Yohn Humperknie, der lange Jahre Wirt des Grünen Aals im Hafenviertel war, oder Orga von Roßstein, eine einstige Gönnerin der Stadt.


    Berühmte Persönlichkeiten, die auf dem Sithechhain ihre letzte Ruhestätte fanden, sind der laignische Barde Séam Muirghesáin, dessen Grab so manchen Sommer als Pilgerstätte angesehen werden kann, so zahlreich wie es von fahrenden Sängern besucht wird, Abaelard und Éloisa, ein tragisches Liebespaar oder Argon der Eroberer, ein eher unrühmlicher imperialer Statthalter. Im Herzen des Sithechhains, am Ende einer langen Pappelallee, erheben sich die mattschwarzen Mauern des Sithechtempels.

    Me? I'm dishonest, and a dishonest man you can always trust to be dishonest. Honestly. It's the honest ones you want to watch out for, because you can never predict when they're going to do something incredibly... stupid.
    Captain Jack Sparrow

  • ← Auf der Ringstraße und entlang der Stadtmauern



    Im Blätterfall 521



    Tatsächlich endet Aneirins Heimreise noch vor Einbruch der Nacht. Allmählich zieht sich ein erstes zartes Rosa durch die dünnen Schleierwolken. Zuhause… Trotz aller Geschehnisse fühlt es sich tatsächlich wie eine Heimkehr an. Aneirin war bis zu diesen Zeitpunkt nicht bewusst gewesen, wie sehr diese Stadt zu seinem Zuhause geworden ist.


    Auf seinem Weg durch die Straßen Talyras sieht er sich nicht bewusst um. Noch hat er nicht das Bedürfnis nach Vertrautem wie Unbekanntem Ausschau zu halten. Zuerst wird er sein Versprechen einlösen. Alles andere kann warten, wie es dies schon seit drei Zwölfmonden tut. Seine Schritte führen ihn auf schnellstem Wege zum Sithechhain. Und mit jedem Schritt, den er sich dem Knochenacker nähert, nimmt die Nervosität stetig zu und kribbelt in jeder Faser seines Körpers.


    Er ist sich sicher, dass sie sich gut um die Ruhestätte seiner Tochter gekümmert haben. Er bat Arúen und Rialinn sowie Lyall und Eolora ausdrücklich und zweifellos werden auch andere nach ihr gesehen haben, daran glaubt er ganz fest. Doch… wer weiß schon, was die letzten Zwölfmonde ihnen allen bereitet haben. Ob nicht eigene Sorgen in den Vordergrund rückten. Könnte er es auch nur einem von ihnen übel nehmen, wenn dadurch vielleicht Briannas kleines Grab in Vergessenheit geraten war? Schließlich kann man seine eigenen Besuche am Grab seiner Tochter noch an einer Hand abzählen, ganz abgesehen davon, dass er sie drei Jahre lang allein gelassen hat. Ob sie es ihm übel nimmt?


    „Ich bin da, mein Schatz. Papa ist da. Ich habe dich gefunden. Ich bin da.“


    Wie ein stilles Willkommen klingt das Rauschen in den blaugrünen Blättern der Nurmweide, die sich nur wenige Handbreit über seinem Haupte zur Melodie des Windes wiegen. Eine beruhigende Melodie, die auch Aneirin nun in seinem tiefsten Inneren langsam versöhnlich werden lässt. Behutsam lässt er seinen großen, schwer wirkenden Rucksack neben sich sinken und seinen Blick über das kleine Grab wandern. Jeder noch so kleine Funke Sorge war unbegründet. Man hat sie nicht vergessen. Das Grab ist liebevoll gepflegt. Ein Bund frischer Blumen, sicher noch keine drei Tage alt, leuchtet in einer feinen Vase zwischen den zarten, weißen Blüten des Zauberschnees und rosafarbener Besenheide. Brianna wäre sicher ganz entzückt… Mein Sonnenschein, mein Herz…


    Eine ganze Weile steht er da, äußerlich scheinbar ruhig und beherrscht. Wäre da nicht die sich Immer wieder schließende und öffnende Faust seiner linken Hand. Er ringt mit den aufkommenden Erinnerungen, will sie eigentlich nicht zu lassen. Er hat sie oft genug durchlebt und wollte sie nun endlich hinter sich lassen. Und doch merkt er, dass er nicht anders kann. Vielleicht muss es sein, vielleicht noch einmal, hier, genau hier. Dieses eine Mal noch und dann soll es gut sein. Nur noch dieses eine Mal.


    „Brianna, lauf weiter! Lauf und versteck dich!“


    Still, der Gesang des Abschieds

    Leise, die Tränen der Nacht *


    „Brianna! NEIN! Briannaaaa!“


    Kalt ist der Wind, die Trauer beginnt

    Der Winter erwacht *


    „Hilf ihr, Arúen, Du musst ihr helfen."


    Schweige nun, banges Sehnen

    Schweige und klag nicht dein Leid *


    „Nein! Arúen, hilf ihr! Rette sie, verdammt noch mal! RETTE SIE! ARÚEN!“


    Trauer vergeht, vom Winde verweht

    Erinnerung bleibt *


    Eine Berührung zart wie ein Windhauch streift seine zur Faust geballte Hand und lässt ihn augenblicklich an seine Seite blicken. Briannas strahlend grüne Augen sehen ihn liebevoll an und wie er ihr Lächeln erblickt wird ihm ganz warm ums Herz. Aneirins Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern als er von ihr wissen will: „Bist du mir bös‘?“ Briannas goldenes Haar wiegt sich sanft, als sie den Kopf schüttelt. Erleichtert schließt Aneirin für einen Atemzug die Augen, um den Tränenschleier zu vertreiben. Als er sie wieder öffnet, ist sie bereits wieder fort. Doch überraschender Weise spürt Aneirin keine Enttäuschung. Sie ist da und für immer bei ihm. Er fühlt es genau.


    Einige Herzschläge lang starrt er noch dorthin, wo seine Tochter eben noch gestanden hat, ehe er den Blick hinauf in die blaugrüne Krone der Nurmweide hebt und sich mit einem sanften Lächeln auf den Lippen vom Tanz der schmalen Blätter in ihren Bann ziehen lässt.


    Wir seh'n uns wieder, gewiss irgendwann

    In meinen Träumen sind wir zusamm'

    Und eines Tages folge ich dir

    Wir seh'n uns wieder, weit weg von hier *




    * aus dem Song: „Oonagh - Wir seh’n uns wieder“

  • Als sie auf dem Sithechacker ankommen und aus dem Gewirr zurück in die Gefilde Rohas treten, ist es schon später Nachmittag und das Tageslicht schwindet bereits merklich. Nur auf wenigen der Gräber flackern Totenlichter, angezündet von trauernden Verwandten oder Bekannten. Ganz anders sieht dies in jenem Teil des Sithechackers aus, in dem in den vergangenen Zwölfmonden die Asche all jener in Sammelgräbern beigesetzt worden war, die die Rote Seuche gefordert hatte und die entweder keine Angehörigen oder nicht genügend Mittel besessen hatten, um in einer eigenen Grabstätte ihre letzte Ruhe zu finden. Auf diesem Gräberfeld flackern unstete Flammen um die Dochte vieler Totenlichter. Zu vieler.


    Vor einem dieser Sammelgräber stehen auch Tuloan und Ileanna. Ihre Eltern waren nicht aus Talyra gewesen. Sie waren silberelbische Händler, die erst kurz vor dem Ausbruch der Seuche nach Talyra gekommen waren um sich hier niederzulassen. Das wenige, dass sie gehabt hatten, hatte gerade gereicht um die ersten Monde der stadtweiten Quarantäne und des unterbundenen Handels zu überbrücken, um für Mietzins und Essen aufzukommen. Und dann hatte das Schicksal zugeschlagen und beide Eltern waren erkrankt. Erst nur leicht, wie die meisten Elben, es war kaum mehr als ein fiebriger Schnupfen gewesen. Doch nach einer kurzen Erholung, als sie schon dachten es sei überstanden, kam es zurück und diesmal so schnell und so schwer, dass die Heiler und Anirani ihnen nicht mehr hatten helfen können. Die beiden Kinder hatte man unter Quarantäne gestellt, aus Sorge, sie könnten sich bei ihren Eltern angesteckt haben. Doch den Göttern sei Dank, war das nicht geschehen. Die Anirani konnten bei ihnen nicht die geringsten Anzeichen für eine Erkrankung feststellen.


    Das war in den ersten Wintertagen des Jahres 519 gewesen. Ygerne Silberlied, die Hohepriesterin des Sithech hatte sie in jenen Tagen gebeten, sich der beiden verwaisten Kinder anzunehmen. Als Arúen die zwei zum ersten Mal gesehen hat, war das genau hier gewesen. Und genau wie heute hatten die zwei an der Grabstelle gekniet und sich schweigend aneinander festgehalten. Die Trauer, die von den beiden ausgeht nicht mehr ganz so scharf und beißend wie damals, aber sie ist noch immer da.


    Arúen und Rialinn haben sich etwas abseits auf eine Bank unter einer Nurmweide zurückgezogen und lassen den Geschwistern alle Zeit, die sie wollen. Ganz so wie jedes Mal, wenn sie hierher kommen. Anfangs ist das fast täglich gewesen, und ist in den Zeiten der Seuche nur möglich gewesen, weil Arúen die Kinder mit sich durch das Gewirr genommen hat. Doch in dem Maße, wie sie sich auf Vinyamar in ihrer neuen Familie eingelebt haben, ist das zurückgegangen. Im Moment sind zweimal in jedem Siebentag hier.


    Und da bietet es sich an, an den Tagen da sie ohnehin hier sind auch gleich das Grab von Brianna zu besuchen und sich darum zu kümmern. Vor der Seuche haben sich viele Freunde darum gekümmert, doch für viele Monde ist es für die meisten schlicht nicht möglich gewesen, einmal quer durch Talyra zu laufen. Also haben Arúen und Rialinn das die meiste Zeit übernommen.


    Nachdem Tuloan und Ileanna mit ihrer kleinen Andacht fertig sind und ihren Eltern alles erzählt haben, was sich so in ihrem Leben abspielt, kommen sie zu den beiden Elbinnen an der Nurmweide. "Gehen wir jetzt noch zu dem Grab von dem kleinen Mädchen? Zu Brianna? Lea und ich haben noch ein neues Totenlicht für sie mitgebracht." "Ein neues Totenlicht? Das ist gut! Ich habe vergessen eins mitzunehmen." "Dauert das lange, Eama? Ich bin müde und mir ist kalt." "Nein, min Lora, das dauert nicht lange. Wir schauen nach, ob da Verblühtes ist, das wir wegmachen müssen und zünden euer Totenlicht für Brianna an. Und dann gehen wir nachhause. Cassandra hat das Abendessen bestimmt schon fast fertig wenn wir kommen."


    Mit dem müden Kind auf dem Arm macht Arúen sich mit den beiden anderen auf den Weg über den Sithechacker hinüber zum Familiengrab der Gylstens, in dem auch Brianna ihre letzte Ruhe gefunden hat. Als sie näher kommen, können sie sehen, dass dort jemand steht. Ein Mann, den Kopf ein wenig in den Nacken gelegt und den Weiden zugewandt. Sie Statur kommt der Shida'ya irgendwie vertraut vor, aber er steht mit dem Rücken zu ihnen und sie kann sein Gesicht nicht sehen. Tuloan hat den Mann auch bemerkt. "Ama? Da steht wer fremdes bei Brianna."

    "Those who would give up essential Liberty, to purchase a little temporary Safety, deserve neither Liberty nor Safety."

    "Diejenigen, die ihre grundlegende Freiheit aufgeben würden, um ein wenig vorübergehende Sicherheit zu erkaufen, verdienen weder Freiheit noch Sicherheit."

    (Benjamin Franklin.

    Pennsylvania Assembly: Reply to the Governor, Printed in Votes and Proceedings of the House of Representatives, 1755-1756 (Philadelphia, 1756), pp. 19-21. [November 11, 1755] )

  • Als die Melodie zwischen den Zweigen der Nurmweide verklingt, öffnet Aneirin die Augen und lässt den Blick wieder hinunter zu Briannas Grab gleiten. Er fühlt Erleichterung und sich auch auf eine Weise gestärkt, die ihn fast schon ein wenig überrascht. Er ist nicht sicher, was er erwartet hat zu fühlen bei dem Anblick ihrer Ruhestätte, aber er ist sich sicher, dass es nicht dies gewesen wäre. Aneirin atmet tief durch. Diese erste Station seiner Rückkehr hat ihn zuversichtlich werden lassen. Was ihn wohl erwartet, wenn er erst einmal wieder zurück in der Bäckerei ist? Ob es seinem ehemaligen Lehrling gut geht? Inzwischen müsste er unter Meister Brachingers wachsamen Augen längst die Meisterprüfung abgelegt haben. Aber wer weiß denn dieser Tage schon, was möglich ist und was nicht…


    In Gedanken greift er nach seinem Rucksack und schultert diesen. Am kommenden Tag würde er gewiss wiederkommen, das ist er Brianna nicht nur schuldig, es ist ihm auch ein Bedürfnis. Außerdem könnte er gleich das ausgebrannte Totenlicht in der Grablaterne ersetzen, bemerkt er noch. Aneirin lächelt und wendet sich ab. Zuerst aber wird er sich bei Arúen melden, sie sollte schließlich als Erste erfahren, dass-


    „Aneirin!“


    Einen Herzschlag lang erstarrt der blonde Mann überrascht, ehe er in einem weiteren seinen Rucksack wieder sinken lässt, um im nächsten einen schwarzhaarigen Wirbelwind freudig in seinen Armen zu halten. Ganz fest drückt er das Elbenmädchen für einen Moment an sich, ehe er sie von sich fortschiebt, sanft bei den Händen nimmt und sie von oben bis unten mustert. Nein, kein Mädchen mehr, vielmehr eine junge Frau. Bei dem Blick in ihre waldgrünen Augen lächelt er sanft. „Rialinn, was bist du groß geworden.“ Erneut zieht er sie an sich, drückt sie noch einmal, während seine Augen über ihre Schulter zu Arúen wandern und ihren Blick suchen.


    Als er Rialinn fast schon widerwillig aus seiner Umarmung entlässt, um Arúen entgegen zu gehen, setzt die Hohepriesterin ein kleines, ebenfalls schwarzhaariges Elbenmädchen von ihrem ab, das sich allerdings sogleich wieder an ihren Mantel klammert als wolle es sich darin verstecken. Auch der Junge an ihrer Seite bleibt zurückhaltend, vielleicht schutzsuchend etwas hinter der Elbin.


    Vor Arúen bleibt Aneirin stehen und sieht sie wenige Herzschläge lang einfach nur freudig an. Er hat ihr so vieles zu verdanken, er bräuchte viele, sehr viele weitere Leben, um sich für all das zu revanchieren, das sie für ihn auf sich genommen hat und das sie für ihn getan hat. Worte können all die Dankbarkeit, die er empfindet, gar nicht ausdrücken. Schließlich macht er einen Schritt und nimmt sie in den Arm. „Den Göttern sei Dank, ihr seid wohlauf“, flüstert er, drückt sie noch ein wenig inniger und hofft, dass sie spüren kann, wie viel es ihm bedeutet, sie und ihre Tochter gesund zu wissen.


    Mit einem breiten Lächeln entlässt er Arúen aus seinen Armen, hält noch einen Atemzug lang ihren Blick, ehe er seinen zu den beiden ihm fremden Kindern an ihrer Seite wandern lässt. Bedächtig geht er in der Hocke, um etwa auf Augenhöhe mit dem kleinen Mädchen zu sein, das sich daraufhin noch etwas fester an Arúen presst, wie ein verängstigtes Kind an seine Mutter. „Grüße, ihr zwei“, spricht er sanft und blickt dabei auch zu dem Jungen hinüber. „Euch kenne ich noch nicht. Ich bin Aneirin“, stellt er sich vor und legt dabei die Hand auf Höhe des Herzens an seine Brust.

  • Es ist kein Fremder, der dort am Grab steht. Doch es ist Rialinn, die ihn als erste erkennt – und sofort losläuft um ihn zu begrüßen. "Aneirin!" Es ist tatsächlich der junge Bäckermeister. Seine Kleidung ist eher geeignet für eine längere Reise als für das Stadtleben, aber das ist ja auch kaum anders zu erwarten. Als sie mit den beiden Kindern näher kommt und Rialinn nicht mehr wie eine Klette an dem jungen Mann klebt, kann sie unter einem grauen Reisemantel mit Kapuze Hosen und Stiefel aus braunem Leder erkennen. Dazu eine olivgrüne Wolltunika über einem gebleichten, leinenen Untergewand, die von einem breiten, braunen Gürtel gehalten wird.


    Kurz vor Aneirin bleibt sie stehen, stellt Ileanna auf den Boden und mustert aufmerksam das Gesicht des Freundes. Es ist verändert und das liegt nicht nur an dem ungewohnten Bart. Es sind vor allem seine Augen, die ihr nun entgegen sehen und das Lächeln seines Gesichtes widerspiegeln. Die feinen Lachfältchen um die Augen sind noch immer dort. Aber der Schalk, der früher so typisch für ihn gewesen ist, der fehlt in seinem Blick. Doch dafür ist die dumpfe Verzweiflung aus seinem Blick gewichen, die ihn vor drei Zwölfmonden noch gefangen gehalten hat und dafür dankt Arúen den Göttern ebenso stumm wie erleichtert.


    Ileanna ist der ihr fremde Mann offenbar nicht ganz geheuer, sie drängt sich eng an die Elbin. Und Tuloan ist wie stets der Beschützer der kleinen Schwester. Auch wenn er selber in der sicheren Nähe Arúens bleibt, so steht er doch dicht hinter seiner Schwester und hat seine Hände auf deren Schultern gelegt als Aneirin näher kommt und Arúen erst nur schweigend ansieht, ehe er sie dann umarmt. Eine Umarmung, die die Elbin umgehend erwidert. >Den Göttern sei Dank, ihr seid wohlauf.< "Und Du auch… Götter, Du hast so lange nichts mehr von Dir hören lassen… Wir haben schon das Schlimmste befürchtet." Das Lächeln, das ihre Worte begleitet, nimmt den Worten jeden Hauch eines Vorwurfs.


    Als nächstes wendet Aneirin seine Aufmerksamkeit nun den beiden Kindern neben Arúen zu, denen man nur zu gut ansehen kann, dass sie noch nicht so recht wissen, was sie von dem fremden aber wohl doch nicht so fremden Mann halten sollen. Doch seine ruhige Stimme und die Art wie er nicht aus sie herunter schaut, sondern in die Hocke geht um auf Augenhöhe zu sein, scheint ihnen zumindest die erste Angst zu nehmen. >Grüße, ihr zwei. Euch kenne ich noch nicht. Ich bin Aneirin.< "Khel Anar, ich bin Tuloan und das ist meine Schwester Ileanna." Der Junge erwidert die Geste mit der Hand über dem Herzen, sieht dann aber fragend zu Arúen, als wäre er unsicher ob er noch mehr sagen soll oder muss. "Meine Kinder", ergänzt sie also an seiner Statt mit einem Lächeln. Dass die beiden zu alt sind um ihre leiblichen Kinder zu sein, ist für Aneirin, der bis vor drei Jahreskreisen in Talyra gelebt hat so offensichtlich, dass sie dazu kein Wort verliert. Und genau genommen verwendet sie auch nicht wirklich einen Gedanken darauf, denn wie die meisten Elben macht sie keinen Unterschied zwischen leiblichen und angenommenen Kindern.


    "Îhio sa'cur… " Ileanna reibt sich dauernd die immer kleiner werdenden Augen und streckt ihr schließlich die Arme entgegen. "Eama, Tur." Ein Wunsch, dem Arúen umgehend entspricht und sie wieder hochnimmt. "Oh ja, das sehe ich. Na dann komm mal her, meine Kleine."


    --------


    Khel Anar = Guten Abend

    Îhio sa'cur = Ich bin müde

    Tur = Arm

    "Those who would give up essential Liberty, to purchase a little temporary Safety, deserve neither Liberty nor Safety."

    "Diejenigen, die ihre grundlegende Freiheit aufgeben würden, um ein wenig vorübergehende Sicherheit zu erkaufen, verdienen weder Freiheit noch Sicherheit."

    (Benjamin Franklin.

    Pennsylvania Assembly: Reply to the Governor, Printed in Votes and Proceedings of the House of Representatives, 1755-1756 (Philadelphia, 1756), pp. 19-21. [November 11, 1755] )

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  • Seine Augen folgen Tuloans Blick hoch zu Arúen. Die kurze Überraschung auf Aneirins Gesicht als die Shida‘ya hinzufügt, dass die beiden Kinder die ihren seien, kann er vor ihr sicher nicht verbergen. Der allerdings folgt sogleich ein verstehendes Neigen des Kopfes und ein willkommendes Lächeln als er die beiden Geschwister wieder ansieht.

    „Schön, euch kennenzulernen, Ileanna, Tuloan“, nickt er den beiden zu und erhebt sich wieder, legt den Arm um Rialinn, die ihn immer noch freudig anfunkelt, und drückt sie etwas an sich. „Entschuldige, ich wollte euch nicht in Ungewissheit lassen, schon gar nicht in Sorge, aber…“, beginnt er an Arúen gewandt, als er ein leises >Îhio sa'cur…< vernimmt.

    Aneirin muss kein Shidar sprechen, um zu verstehen. Denn als Arúen das kleine Mädchen wieder auf den Arm hebt ist mehr als ersichtlich, dass Ileanna todmüde ist. Verständnisvoll lächelt Aneirin und entlässt Rialinn aus seinem Arm. Sie wiederum blickt ihn an und erklärt mit einem Fingerzeig auf ihre Schwester: „Ileanna und Tuloan haben ein neues Totenlicht für Brianna mitgebracht.“
    Überrascht und gerührt sieht Aneirin von Schwester zu Bruder und nimmt dankbar das Licht von Rialinn entgegen, das diese dem müden Kind abgenommen hat. Dass die beiden so fürsorglich sind, obwohl sie Brianna nie kennengelernt haben, rührt ihn sehr. „Ich danke euch von Herzen“, dabei sieht er auch Arúen an, „danke, dass ihr für Brianna da seid“.

    Da wendet er sich an Tuloan: „Darf ich es anzünden?“ Der Junge wirkt kurz überrascht ob der Frage, nickt dann aber, woraufhin sich Aneirin wieder Briannas Grab zuwendet, um das Licht zu entzünden und gegen das abgebrannte in der Grablaterne zu tauschen.

    „Sieh nur, Sonnenschein, deine Freunde haben dir ein neues Licht gebracht.“ Noch einmal lässt Aneirin den Blick über Briannas Ruhestätte wandern, ehe er sich erhebt und wieder an Arúen und die Kinder herantritt. Er hat so viele Fragen, würde gerne wissen, was in den letzten drei Jahren hier in Talyra und mit seinen Freunden geschehen ist, wie es Arúen und ihrer Familie ergangen ist. Aber er sieht auch ein, dass dies hier und jetzt weder der richtige Ort noch die richtige Zeit ist, sich darüber auszutauschen.


    „Wenn es deine Zeit zulässt, würde ich gerne in den nächsten Tagen bei dir vorbeischauen. Ich richte mich da aber ganz nach dir“, versichert er, denn er will sich trotz aller Fragen nicht aufdrängen. „Ich sollte wohl erst einmal nach der Bäckerei sehen. Falk ist hoffentlich gut zurechtgekommen“, lächelt Aneirin zunächst zuversichtlich. Dann aber stutzt er und ein wenig verunsichert sieht er Arúen an. „Es gibt sie doch noch?“

  • "Ja, es gibt Deine Bäckerei noch", beruhigt Arúen den jungen Bäckermeister mit einem Lächeln, während sie das müde Elbenkind auf ihrem Arm sacht wiegt. "Anfangs war die Innung nicht allzu begeistert, dass ein Geselle alleine eine Bäckerei führt, aber mittlerweile hat Falk sich den verdienten Respekt erarbeitet. Meister Brachinger und ich haben für sie gebürgt und Falk hat sich sehr gut geschlagen. Er hätte sogar schon sein Meisterstück liefern können, aber er weigert sich hartnäckig. Das würde er nicht tun, ehe Du wieder zurück bist. Stell Dich darauf ein, dass auch Eolora und er sehr froh sein werden, dass Du zurück bist."


    Rialinn unterbricht ihre Mutter. "Es tut mir Leid, ich würde gerne noch länger bleiben, aber ich muss los, Mama, sonst bin ich nicht rechtzeitig zur Abendandacht zurück im Tempel." Die junge Frau drückt kurz ihre kleine Schwester und Mutter in einer geneinsamen Umarmung und nickt ihrem Bruder zu. Dann wendet sie sich auch noch an Aneirin. "Ich bin so froh, dass Du heil wieder hier bist. Es gab in letzter Zeit viel zu wenig gute Neuigkeiten." Sie winkt allen noch einmal kurz und macht sich dann auf den Weg zurück zum Tempelviertel im Norden der Stadt.


    "Du weißt, dass ich immer Zeit für Dich habe, Aneirin. Du kannst uns jederzeit besuchen, im Tempel oder auf Vinyamar, ganz wie Du magst. Ich bin vormittags immer bis zur Mittagsmahlzeit im Tempel, manchmal auch länger. Aber spätestens zum Abendessen bin ich eigentlich so gut wie immer zurück auf Vinyamar. Wenn Du magst, komm zu uns zum Essen und wir können hinterher in Ruhe am Kamin sitzen und uns unterhalten."

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    "Diejenigen, die ihre grundlegende Freiheit aufgeben würden, um ein wenig vorübergehende Sicherheit zu erkaufen, verdienen weder Freiheit noch Sicherheit."

    (Benjamin Franklin.

    Pennsylvania Assembly: Reply to the Governor, Printed in Votes and Proceedings of the House of Representatives, 1755-1756 (Philadelphia, 1756), pp. 19-21. [November 11, 1755] )

  • Aneirin ist sichtlich erleichtert zu hören, dass es Falk und auch Eolora gut geht und die Bäckerei nach wie vor existiert. Bis eben hatte er eigentlich auch nicht daran gezweifelt, doch es sind nun einmal unberechenbare Jahre gewesen. „Dieser verdammte Sturkopf von einem Lehrling“, muss Aneirin schmunzeln. Und Rialinn hat Recht. Es gab tatsächlich zu wenig gute Neuigkeiten. „Mach’s gut, Rialinn.“ Einen Augenblick sieht er der jungen Elbin noch nach, aber als Arúen fortsetzt, gilt seine Aufmerksamkeit wieder ihr.


    >Wenn Du magst, komm zu uns zum Essen und wir können hinterher in Ruhe am Kamin sitzen und uns unterhalten.< Aneirin nickt lächelnd. „Das werde ich, vielen Dank. Wenn ich es schaffe, komme ich gerne gleich morgen Abend.“ Nicht, dass er etwas vor hätte. Doch wer weiß schon, was der heutige Abend sowie der morgige Tag für ihn bereithält. Er greift seinen Rucksack und schultert ihn. Mit einem Blick auf die geschlossenen Augen der kleinen Ileanna lächelt er mitfühlend. „Ich begleite euch noch gerne heim, wenn ihr möchtet.“

  • "Du kannst uns natürlich gerne begleiten. Allerdings werden wir das Gewirr nehmen. In Anbetracht der späten Stunde und meiner kleinen Schlafmaus hier, möchte ich auf dem schnellsten Weg nachhause. Und ich vermute, dass Cassandra schon ungeduldig mit dem Essen wartet." Schon bei ihrem Angebot, sie durch das Gewirr zu begleiten, kann sie spüren und Aneirin ansehen, dass ihm der Gedanke an das Gewirr offenbar nicht wirklich behagt. Und so neigt sie nur verstehenden den Kopf. "Komm einfach vorbei, wenn es bei Dir passt. Wir freuen uns jederzeit über Deinen Besuch. Und ich könnte mir vorstellen, dass Du in nächster Zeit das eine oder andere um die Ohren haben wirst."


    Und so kommt es, dass sie sich noch im Sithechhain voneinander verabschieden. Eine Weile schaut Arúen dem jungen Mann noch hinterher, als der sich mit dem geschulterten Rucksack auf den Weg quer durch die Weltenstadt zu seinem Haus und der Bäckerei macht. Dann spricht sie leise die Worte, mit denen sie die ihr anvertraute Magie formt. Sacht umhüllt schimmernder Nebel sie, als sich das Portal wie eine überdimensionale Blüte raschelnd vor ihnen öffnet. An diesem Tag ist der Weg durch das Gewirr der wilden Herrin wie stets eine Ansammlung aller Grüntöne, die die Götter je ersonnen haben und auch die Wildheit der Großen Jägerin ist unterschwellig zu spüren, aber ansonsten ist es ein sanfter Pfad, wie ein Wildwechsel im sanften Licht der Inarsonne. Und er führt sie zwischen zwei Herzschlägen in die Halle Vinyamars, kaum dass sich der Zugang hinter ihnen geschlossen hat.

    "Those who would give up essential Liberty, to purchase a little temporary Safety, deserve neither Liberty nor Safety."

    "Diejenigen, die ihre grundlegende Freiheit aufgeben würden, um ein wenig vorübergehende Sicherheit zu erkaufen, verdienen weder Freiheit noch Sicherheit."

    (Benjamin Franklin.

    Pennsylvania Assembly: Reply to the Governor, Printed in Votes and Proceedings of the House of Representatives, 1755-1756 (Philadelphia, 1756), pp. 19-21. [November 11, 1755] )

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