Das Anwesen de Winter

  • Das Anwesen de Winter


    Im Seeviertel, ganz in der Nähe von Vinyamar, liegt das alte Anwesen der de Winters. Einst eines der prächtigsten Häuser der Stadt, nagt nun der Zahn der Zeit an den Gebäuden. Und dennoch spürt man noch den Zauber, der von all dem ausgeht. Eine zierliche Freitreppe führt zur Tür des Haupthauses, in die ein filigran anmutendes Muster geschnitzt ist. Der aufmerksame Betrachter wird im Zentrum der beiden Flügeln die Nachbildung eines Steines erkennen. Auch sonst ist das Mauerwerk mit zarten Verzierungen übersät, so leicht, als wären sie von Feenhand angebracht worden. An der Rückseite befindet sich ein Erker, von dessen Fenster man einen wunderschönen Ausblick auf den Ildorel hat. Betritt man das Haus nun durch besagte Tür, gelangt man in eine wunderschöne Halle, die sich in der Höhe bis unter das Dach erstreckt. In der Mitte der rückwärtigen Wand befindet sich ein Kamin, links und rechts davon führen zwei Treppen auf die Galerie beziehungsweise den ersten Stock.


    Wendet man sich nun im Erdgeschoss nach links, gelangt man in den Küchentrakt: Vorgelagert befindet sich der Speisesaal, dessen Herzstück ein schwerer Tisch darstellt, um den herum zwölf Stühle angeordnet sind. An den Längsseiten befinden sich zum Teil zierliche Anrichten, sofern die großen Fenster Platz dafür lassen. Diesen Raum betritt man durch einen bogenförmigen Durchgang, der den Blick auf die Eingangshalle freigibt. Dem genau gegenüber befindet sich eine Tür, die zu den Wirtschaftsräumen führt. Hier befinden sich Küche, Speisekammer und der Abgang zum Weinkeller, sowie eine weitere Tür, die in einen kleinen Hof führt, der die Stallungen mit den angrenzenden Schlacht- und Räucherkammern vom Hauptgebäude trennt. Besagte Küche wird von einem mächtigen Ofen beherrscht, der in den Zeiten, als das Anwesen noch bewohnt war, so gut wie nie ausging. Selbst in den Nachtstunden glomm eine schwache Glut darin und an manch kaltem Winterabend fanden halb erfrorene Reisende Zuflucht davor. Gastfreundschaft war immer groß geschrieben worden und eben diesen einladenden Eindruck vermittelt das Haus noch immer, obwohl es verlassen ist, ganz so als wäre der Geist der ehemaligen Bewohner noch immer präsent. Direkt an die Küche grenzt die Speisekammer, in deren Boden sich die Luke zum Weinkeller befindet. Dieser Raum hat drei Türen: Eine zur Küche, eine zum Gang der zum Speisesaal führt und eine eben in den Hof.


    Die gesamte rechte Seite des Erdgeschosses wird von einem einzigen Raum eingenommen: dem Salon. Obwohl hauptsächlich für offizielle Anlässe genutzt, strahlte auch er immer eine Gemütlichkeit aus, die ihresgleichen sucht. Hell und freundlich eingerichtet, mit großen weichen Stühlen vor dem Kamin, der sich an der hintersten Wand befindet. An den Wänden befinden sich in diesem Bereich des Salons Regale, die bis unter die Decke reichen und einst voll waren mit Büchern. Heute sind diese Schätze im Haus der Bücher. Nach dem Tod der Lady hatte Tallard veranlasst, dass sie dorthin gebracht wurden. Zum Schein aus dem edlen Motiv, all das der Stadt zu bewahren und vor Räubern zu schützen, doch hinter vorgehaltener Hand wurde getuschelt, es sei alles Rache an der Familie de Winter, Rache für Lestats Verhältnis mit seiner Frau. Der vordere Teil des Raumes wirkt beinahe leer, sind doch nur hüfthohe Anrichten und einige Stühle entlang der Wände verteilt, doch bei so manchem rauschenden Fest hat er als Tanzfläche gedient. Nun überzieht eine feine Staubschicht Boden und Möbel und auch hat sich ein feiner grauer Film über die großen Fensterscheiben gelegt.


    Steigt man nun eine der beiden Treppen empor, gelangt man auf die Galerie, die beide verbindet und sowohl link wie auch rechts in Gänge mündet: Der linke Teil ist der Gästeflügel. Vier einladende Räume boten Freunden und Verwandten beschauliche Unterkunft für die Nacht. Großzügig angelegt, gehen in allen der Schlafbereich fließend in einen kleinen Wohnbereich über, verbunden durch bogenförmige Durchgänge, gleich dem, der die Halle mit dem Speisesaal verbindet. Die Fenster geben den Blick zum Teil auf den Garten, zum Teil auf den Strand frei und wenn man sich etwas aus dem Fenster lehnt, kann man den Blick auf den Ildorel genießen. Wirklich überwältigend ist der Blick auf dem See jedoch von den Fenstern des Erkers aus, der sich im rechten Trakt, direkt im Schlafzimmer, befindet. Durch die Fenster fällt des Morgens das Licht der aufgehenden Sonne und kitzelt den Bewohner sanft wach, denn genau gegenüber des Erkers steht das Himmelbett mit den hauchzarten, weißen Vorhängen. Vor dem Bett liegt ein weiches Fell, ursprünglich weiß, doch nun ergraut vom Staub. Des Weiteren befindet sich eine Kommode im Raum, mit einem runden Spiegel und einem Stuhl davor. Ein bogenförmiger Durchgang führt in den Wohnbereich, der mit den gleichen gemütlichen Sesseln ausgestattet ist, wie der untere Salon. Auch befindet sich hier ein Kamin, kleiner zwar als jene des Erdgeschosses, jedoch nicht minder heimelige Wärme verströmend. Auch befindet sich im Schlafzimmer eine zweite Tür, die zum Ankleidezimmer führt.


    Tritt man auf den Gang des Traktes, wird man noch dreier Türen gewahr: Zwei führen in die Zimmer, welche ein einst von Lestat und Forral, den Söhnen des Hauses, bewohnt wurde. Die dritte führt in eine klein, jedoch nicht minder ansprechende Kammer: Erins Reich. Die Amme der beiden Jungen hatte solange die Familie im Besitz des Hauses war hier oben gelebt, ja sie hatte regelrecht zur Familie gehört. Schlussendlich führt noch eine Luke auf den Dachboden, der voll ist mit allerlei Dingen, die sich über die Jahrzehnte angesammelt hatten. Zum Teil sind die Gegenstände fein säuberlich mit Laken verhüllt, anderes liegt in Truhen, auf denen sich eine Staubschicht gebildet hat, wie auch auf dem Fußboden. Unterbrochen wird diese nur von den Spuren der Mäuse, die hier mitunter munter umherhuschen.


    Neben dem Wirtschaftstrakt befindet sich ein kleiner Hof, auf dessen anderer Seite sich die Stallungen und daran angrenzend die Räucherkammer befindet, ebenso wie das Gesindehaus, ein kleines, einfaches aber ordentliches Haus. Umgeben werden die Gebäude von einem einst prachtvollen Garten. Zwei Dinge springen dem Betrachter sofort ins Auge: Zum einen die mächtige Eiche, die neben der Freitreppe wie ein Wächter des Herrenhauses wirkt und ihre Äste schützend über die Bewohner zu breiten scheint. Auch wenn das alles nun unbewohnt ist, der Baum trotzt der Zeit. Das andere sind die Rosenstöcke: Einst liebevoll gehegt und gestutzt, haben sie sich nun wild ausgebreitet und im Sommer füllen sie alles mit ihrem Duft. Obwohl nun verwildert, bestechen sie durch atemberaubende Schönheit. Begrenzt wird all das von einem Zaum, in dessen Mitte sich ein schmiede eisernes Tor befindet. Dahinter führt ein breiter Weg aus weißem Kies zum Haupthaus. Zum einen mündet dieser dann in den Hof, zum anderen wird er schmäler, führt um das Haus herum und mündet in einen schmalen Weg, der zum Strand hinabführt und sich im Sand des Ufers verliert.


    Hier, am Rand der Böschung steht, gut verborgen von einer Hecke, ein weißer Pavillon. Könnte er reden, wieviel hätte er zu erzählen, von heimlichen Treffen, verbotenen und geheimen Liebesschwüren und vor allem von jenem Drama, dass sich hier vor nun gut 21 Sommern ereignet hat: Jenes Drama, das das vorläufige Ende der Familie de Winter eingeleitet hatte.

  • Jul 521


    Der Tag macht der Nacht Platz und die beiden Monde Rohas sind wohl bereits über Talyra aufgegangen, auch wenn sie im Augenblick nicht zu sehen sind denn leise fallen dicke Schneeflocken auf die Stadt und hüllen sie in ein weißes Mäntelchen. Es scheint fast so, als wollten die Götter die in den letzten Monden so Gebeutelte und Gequälte in eine Decke hüllen, um ihr die Zeit zu geben, zur Ruhe zu kommen und sich zu erholen. Ist dem wirklich so, ist es der Stadt am Ufer des Ildoriel gegeben, ihre Wunden zu versorgen und wieder zu Kräften zu kommen, ihr und ihren Bewohnern?


    In ihrem Anwesen im Seeviertel steht Aurian am Fenster in dem kleinen Erker ihres Schlafgemachs und blickt auf den dunklen See hinaus. Nicht, dass es viel zu sehen gäbe und selbst wenn es so wäre, die Magierin würde es wohl kaum wahrnehmen. Zu sehr ist die Halbelbe in Gedanken versunken. Es ist einige Siebentage her, dass die letzten Botenkinder der Steinfaust das Anwesen verlassen haben, mehr oder weniger wieder genesen. Und nicht alle hatten es geschafft. Mit Grauen denkt sie an jene zurück, die in ihren Armen gestorben sind. In Summe fünfundzwanzig von ihnen haben sie und ihre beiden Mägde Lyall und Avila in der Zeit der Seuche im Anwesen aufgenommen und gepflegt, als es in der Steinfaust einfach zu viele Kranke wurden, um alle entsprechend versorgen zu können. Drei Mägde waren mitgekommen, hatten sich im Gesindehaus einquartiert und sie unterstützt. Apfelgribs, als Irrlicht immun gegen den Roten Tod, war in den Nächten von Schlafsaal zu Schlafsaal geflattert, um den kleinen Patienten Ängste zu nehmen, Hoffnung zu schenken und vielleicht ein kleines Lächeln auf das eine oder andere Gesichtchen zu zaubern. Denn zu Lachen hatte keiner wirklich viel gehabt in den vergangenen Monden. Aurian selbst war zwischen ihren Diensten bei der Wache und ihren Schützlingen im Anwesen hin und her geeilt, oft an der Grenze der eigenen Kräfte. Und doch, die Tränen der Verzweiflung und der Hilflosigkeit hatte sie sich meist nur gestattet in ihren Räumen zu vergießen, ungesehen von allen anderen.


    Ihre Räume … auch die wurden zum Krankenlager. Nicht für sie, den Göttern sei Dank blieb sie von der Krankheit verschont aber Varin, ihr Hauptmann bei den Wächtern und obendrein bester und besonderer Freund, wurde schwer krank.


    Aurian zieht das graue Dreieckstuch, das sie sich um die Schultern gelegt hat, enger. Trotz der munter im Kamin prasselnden Flammen ist ihr mit einem Mal kalt, eine Kälte, die nicht von einem zu kühlen Raum herrührt, sondern die aus einem selbst, aus dem Inneren kommt. Nur zu gut erinnert sich die Magierin an jenen Tag, als Varin eigentlich nur drei weitere Kinder aus der Steinfaust zu ihr bringen wollte. Schon am ersten Blick war ihr klar gewesen, dass etwas mit ihm nicht stimmte. Entsetzlich blass, kalter Schweiß auf der Stirn, seltsam glänzende Augen. Doch er hatte abgewunken, es sei alles in Ordnung. Und dann war er im Gang vor den Zimmern im ersten Stock umgekippt wie ein gefällter Baum. Gemeinsam mit Lyall hatte sie es irgendwie geschafft, ihn in ihr Schlafzimmer und in ihr Bett zu bugsieren, wo er dann für viele Siebentage geblieben war. Sitech hatte schon seine eisigen Finger nach ihm ausgestreckt, es sich aber dann doch nach einer gefühlten Ewigkeit anders überlegt. Aurian hatte Varin gepflegt und ihr eigenes Nachtlager auf den Diwan im Arbeitszimmer nebenan verlegt. Und doch in den schlimmsten Nächten hatte sie auf dem Fell vor dem Kamin am Boden geschlafen, aus Angst, nicht zu merken, wenn es ihrem Freund schlechter ginge. In seinem Fieberwahn sah er das nicht so, wollte ihr helfen, er sei gesund und kräftig, hatte Varin ihr ein ums andere Mal erklärt. Und im nächsten Moment nicht gewusst wo er war, wer sie war und sich die Seele aus dem Leib gehustet. Der Weg zurück war lang gewesen und Varin war einer der Letzten gewesen, der in die Steinfaust zurück gekehrt war.


    Nun war es still geworden im Anwesen, bis auf die eigentlichen Bewohner waren alle anderen wieder fort. Und obgleich sie es mehr oder weniger unbeschadet überstanden hatten, hatten die letzten Monde ihre Spuren hinterlassen, so wie in der gesamten Stadt. Mit einem Seufzen wendet Aurian sich von ihrem Fenster ab. Sie sollte sich eigentlich um die Verwaltungsaufgaben des Anwesens kümmern doch die Halbelbe kann sich nicht dazu durchringen. Sie weiß auch so, dass es nicht gut um die Finanzen bestellt ist. Einige ihrer verpachteten Flächen stehen nun ohne Pächter da, Einnahmen, auf die sie angewiesen war. Ihr Sold reicht gerade mal so, das Anwesen in den Grundzügen zu erhalten. Der Rote Tod hat Talyra vielleicht verlassen, doch seine Spuren werden sie alle noch lange verfolgen und beschäftigen.


    Aurian löscht die Kerzen und schlüpft aus ihren Kleidern. Morgen früh ist sie zum Wachdienst am Verder Tor eingeteilt, sodass sie es sich nicht erlauben kann, so lange im Bett zu bleiben wie es ihr gefällt. Kurz zögert sie, dann kriecht sie zwischen die Laken und fällt in einen tiefen Schlaf.

  • Es gibt keinen Schmerz, dessen Grenzen sich nicht weiten lassen.

    Gabriel Burns – Folge 33 „Schmerz“




    Jul 521 - später Abend



    Schmale Bänder aus Dampf winden sich träge aufwärts in Richtung Zimmerdecke, wie eine fragile Prozession winzigster Wassermoleküle, die sich scheinbar zum Rhythmus einer unhörbaren Melodie tanzend empor erheben. Dennoch werden sie dieses gemeinsame Ziel nie als Verbund erreichen.

    Sei es die Störung durch Lyalls ruhigen, stetigen Atem, der den Zusammenhalt der gläsern durchscheinenden Partikel schreckhaft auseinanderreißen lässt oder ihre ganz eigene Entscheidung auf der Hälfte ihres Weges nun noch lieber mit einsamen Luftmolekülen eine Partnerschaft einzugehen, die Luft kurz weiter mit Feuchtigkeit zu schwängern, um sich dann erneut als winzige Wassertropfen auf den glatten, kühlen Oberflächen von Töpfen und Pfannen niederzuschlagen… schlussendlich werden die geisterhaft wabernden Gebilde zerstört und die Bänder zerfasern zu flüchtigem Nichts.

    Der Ursprung dieses Phänomens ist ein großer wassergefüllter Zuber, dessen heißer Inhalt in der feuchtwarmen Umgebung nur langsam abzukühlen beginnt. Unter der Oberfläche des milchig weißen Wassers schwimmen Wäschestücke, wie Bettlaken oder Kopfkissen und harren geduldig ihrer Reinigung. Eines der Laken hat es zumindest schon auf den Rand des Zubers sowie halb auf ein hölzernes Brett geschafft, um dort eigentlich von der Wargin mit einem Stück Seife und dem Wäschebleuel ordentlich bearbeitet zu werden. Allerdings liegt es dort schon - noch gänzlich unbehelligt von Seife und Schlagholz- seit geraumer Zeit, trocknet hier und da schon wieder leicht ein und wirkt dabei, wie die nachlässig abgestreifte Haut einer riesigen Schlange.


    Auf einem niedrigen dreibeinigen Schemel sitzend, den Oberkörper leicht vornübergebeugt und mit auf dem Rand des hölzernen Zubers ruhenden Armen, ist Lyall in der einlullenden Wärme der Küche eingenickt. Ihr Atem ist regelmäßig und leise, verrät damit etwas über die innere Ruhe, die sie gerade in ihren Träumen auskosten kann und ein angedeutetes Lächeln lässt auf einen schönen Moment hindeuten, den sie erneut durchleben darf. Tatsächlich träumt ihr Geist von glücklicheren Tagen, welche zwar zeitlich gesehen zum Teil nicht in allzu ferner Vergangenheit liegen, emotional gesehen dafür umso mehr; in unzusammenhängender Reihenfolge spult ihr Innerstes Bilder ab… ihr erstes , scheues Aufeinandertreffen mit ihrem wunderbaren Shida‘ya Cinaéd auf dem Blumenball, Aneirins und ihr Ausflug zum Perlenhafen, die wilde Hatz mit Kaney und Ragna durch das flirrende Schattenspiel des Larisgrüns, leuchtende Kaninchen zu Flötentönen tanzend, Avilas lachendes Gesicht abgewandt von der gleißenden Sommersonne, umspielt von den üppig blühenden Rosen des de Winter`schen Gartens, das Gesicht ihres Geliebten, umrahmt vom satten graugrün der Weide am Ufer des Ildorel… so als ob ihre Seele sich selbst daran erinnern muss, dass auch schöne Dinge auf Rohas weitem Rund warten, als ausschließlich Krankheit, Verzweiflung und Tod. Doch je mehr sie in den Schlaf übergleitet, sich ihre Muskeln weiter entspannen, desto lockerer wird wiederum ihr Griff um das Seifenstück. Allmählich gleitet es fort, sich aus der Umklammerung der Finger schleichend, hinab zur Wasseroberfläche strebend. Zwischen den Fingerspitzen verweilt es kurz, als wäre es unschlüssig, ob es den Sprung in das Wasser wagen soll, doch ein bald darauffolgendes platschendes „Blubb“ zeigt an, dass das Stück gepresste Sauberkeit die Wasseroberfläche durchbrochen hat. Die Ohren der Wargin zucken, als sie das Geräusch vernehmen und dieser lapidare Sinnesreiz unterbindet abrupt Lyalls weitere Reise in das Reich der Träume.


    Obgleich das Kaminfeuer die Küche mit einem blassen sanftgoldenen Schein überzieht, blinzelt die schwarzhaarige Frau mehrmals und ihre Augen müssen sich kurz an den schummrigen Schein gewöhnen. Einen Moment ist die Drachenländerin irritiert, als die mit fabelhaft unnatürlich grell gemalten Traumbilder in ihrem Kopf gegen die spröde Gegenwart des Hier und Jetzt kämpfen, jedes der Beiden nach der Vorherrschaft über ihr Bewusstsein strebend, doch schlussendlich siegt die glanzlose Gegenwart und lässt die freudigen Erinnerungen, wie durch auffrischende Winde fortgescheuchte Wolkenfetzen, unsanft zerreißen. Ein paar Herzschläge lang muss sich erst orientieren, doch schnell dämmert ihr, wo sie sich befindet und welcher Tätigkeit sie nachzugehen vorhatte. Ernüchtert und mit traurig herabhängenden Ohren seufzt Lyall tief, reibt sich mit einem Handrücken über die mit unschön dunklen Ringen verhangenen Augen. Ungelenk angelt sie im weißlich trüben Wasser des Bottichs nach dem aus ihren Händen entfleuchten Seifenstück und beginnt erneut mechanisch den vor ihr auskühlenden Leinenstoff zu bearbeiten, in den die kränkelnden Essenzen der vielen Kinder sprichwörtlich eingesickert sind.

    Wie ein unsichtbares Miasma, hatte sich die Krankheit an die Bevölkerung herangeschlichen, war still und unberechenbar durch die Stadt gekrochen, hatte vor nichts und niemandem Halt gemacht. Manche Völker waren gegen diese Krankheit immun, wie man nach einiger Zeit feststellte, doch auch die von der Roten Seuche verschonten Individuen litten und darbten, da auch sie die Drangsal und das Sterben von Freunden, Verwandten und Familienmitgliedern hilflos miterleben mussten. Anfangs war man zuversichtlich und voller Hoffnung gewesen, dass das Unheil schnell überwunden werden würde, war man doch schon mit so vielem in der Vergangenheit fertig geworden und vor allem, da die Anirani und sogar ein medizinisches Gebräu die Krankheit heilen konnten. Doch schließlich waren in immer kürzeren Abständen zunehmend mehr Personen erkrankt, als dass die Anirani mit ihrer Heilkunst hinterher kamen oder das Heilmittel für alle Notleidenden verfügbar gemacht werden konnte. Die Rote Seuche biss sich heimtückisch fest und schien gar nicht so schnell wieder das Weite suchen zu wollen, wie vormals erhofft. Wie eine ausgehungerte Zecke saugte sie die Stadt förmlich leer, sodass diese schlussendlich bar jeder Hoffnung und Zuversicht war. Hier und da entlud sich aufgestauter Unmut über die zu Beginn der Notlage vom Stadtrat getroffenen Vorsichtsmaßnahmen, wie das Tragen eines Tuchs über Mund und Nase, das Meiden von übermäßigen Kontakten oder auch das Verbot von öffentlichen Veranstaltungen und, damit einhergehend, auch das Schließen der Gasthäuser. Beispielsweise kochten die Gemüter eines Tages über und alles endete in einem Aufstand der Händler, da der Marktplatz zu großen Teilen geräumt und jegliche Stände, welche keine Güter des täglichen Gebrauchs anboten, ersatzlos verboten wurden. Doch der Großteil der Bevölkerung ging - wenn überhaupt - mit gesenkten Köpfen und tuchverhangenen Gesichtern durch die Gassen, vorrangig damit beschäftigt Abstand zu halten und sich selbst vor den üblen Winden zu schützen.


    Die mit winzigen Schaumbläschen überzogene Seife zur Seite legend und den Wäschebleuel kräftig einsetzend fällt ihr auf, dass es sich tatsächlich um Aurians Bettwäsche handelt, welche sie gerade in den Händen hält. Der säuberlich gestickte Buchstabe „A“ lässt daran keinen Zweifel. Infolgedessen taucht Varins Gesicht vor ihrem inneren Auge auf, kränkelnd und grau, dem Tode näher als dem Leben. Denn er ist es gewesen und keines der Kinder, dessen um Genesung kämpfender Leib von Aurian und ihr selbst mit vereinten Kräften in die Schlafstatt ihrer Freundin bugsiert worden war. Viele bange Siebentage hatte er dort verbracht, stets sorgenvoll überwacht von der Halbelbe, die ihn nur selten aus ihren grünen Augen ließ. Noch nie hatte Lyall den kräftigen Mann so zerbrechlich und schwach erlebt, ihre Freundin schon lange nicht mehr so verzweifelt. Ja, eine verzweifelte, tränenreiche und unsagbar zäh dahinkriechende Zeit war es die letzten Zwölfmonde durchaus gewesen, auch wenn diese Worte die vorherrschende emotionale Resignation und Erschöpfung nicht annähernd beschreiben können. Nur sehr langsam hatte sich der Zustand des blonden Mannes gebessert und er hatte letzten Endes ausgezehrt und matt, aber lebendig das Anwesen wieder verlassen können. Vielen der Kinder war dies nicht vergönnt gewesen und sie hatten ihre letzten Stunden im Anwesen verbracht, stetig umsorgt von allen dort verfügbaren Kräften, doch vergebens. Ihre kleinen von Hustenkrämpfen geschüttelten und vom Fieber erschöpften Körper hatten den Kampf gegen die Rote Seuche verloren, taten ihren letzten röchelnden Atemzug in den zitternden Armen einer der auf dem Anwesen Wacht haltenden Frauen.

    Lyall hatte die entsetzliche Erfahrung machen müssen wie es ist, ein sterbendes Kind in den Armen zu halten, Wellen der absoluten Hilflosigkeit gepaart mit Wut und Verzweiflung über sich hinwegwaschen zu lassen, bar jeder Hoffnung auf Errettung. Nun hat sie einen Einblick bekommen, was Aneirin mit Brianna damals hatte durchmachen müssen.

    Nicht, dass sie so vermessen wäre zu glauben, sie wisse nun, wie sich ein Elternteil fühlt, der sein eigen Fleisch und Blut sterben sieht. Aber der ungewollt gewonnene Eindruck genügt ihr, dass ein Teil ihrer Seele für immer tiefe Wunden tragen wird und jedes Mal ein kleiner Teil ihrer selbst dabei gestorben war.


    Kurz blinzelt die Wargin die erneut aufwallenden Tränen hinfort, fokussiert ihren Blick ein paar Herzschläge lang zwanghaft auf die grellorangenen Flammenzungen des Herdfeuers, welche geisterhaft verzerrte Schattenspiele über den Innenraum der Küche tanzen lassen, bevor sie sich wieder der Wäsche zuwendet. Mit rotgeäderten verquollenen Augen waren sie alle ihrer Arbeit nachgegangen, bis jede verfügbare Träne vergossen worden und die absurde Situation eingetreten war, dass sie alle - trotz tiefer Traurig- und Mutlosigkeit - nicht mehr weinen konnten. Weiterhin hatten sie nach außen hin versucht Zuversicht auszustrahlen, was ihnen wohl nur kläglich gelungen war. Aber konnte es ihnen jemand verübeln?

    Auch die Beziehung der Wargin zu ihrem Elben litt sehr, denn kaum hatten sie den freudigen Entschluss gefasst ihrer beider Leben zusammen auf Glyn-y-Defaid in trauter Zweisamkeit zu gestalten, hatte dieser Zukunft das plötzliche und in den Auswirkungen so heftige Auftreten der Seuche ein vorerst jähes Ende beschert. Die Habseligkeiten der Drachenländerin hatten damals allesamt auf einen Handkarren gepasst und waren auch schon sicher auf dem Schafhof angelangt. Doch bevor sie sich richtig einleben und die Anwesenheit ihres Geliebten nun tagtäglich genießen konnte, musste sie ihre Liebe und den Hof schon wieder überstürzt verlassen, um ihrer Freundin und den Kindern in Not zu Hilfe zu eilen. Dass sie nun erneut so lange getrennt von Cinaéd auskommen musste und ihm wiederum in seinem Heim keine Hilfe sein konnte, macht ihr schwer zu schaffen, auch wenn sie um die Notwendigkeit ihres persönlichen (in Anbetracht der vielen zu Beklagenden durchaus als relativ gering einzuschätzenden) Opfers Bescheid wusste. Doch ihr Herz beschwerte diese Last zusätzlich, ließ die Tage lang und die Nächte noch länger werden und der Umstand, dass sie Cin fast nur dann sah, wenn Sithech eines der kleinen Geschöpfe zu sich geholt hatte, machte alles schier unaushaltbar. Tiefe Sorgenfalten haben sich in das sonst so ebenmäßige Gesicht des Elben eingegraben, im roten Feuer seiner Haare blitzen mehr Silberfäden auf, als noch vor der dramatischen Seuche und sein Lachen ist nur noch eine von Lyalls schönen Erinnerungen.

    Ihr Griff um den Wäschebleuel wird fester und ihre Kiefermuskeln spannen sich an, als sie krampfhaft darum bemüht ist die Fassung zu wahren. Ihn so zu sehen riss ihr jedes Mal aufs Neue das Herz aus dem Leib, doch mehr füreinander tun als sich gegenseitig erschöpft und elend in die Arme zu fallen, mit dieser Geste beim Gegenüber zugleich Halt suchend und Trost spendend, hatten sie nicht zu vollbringen vermocht. Viel sprachen sie nicht, sondern konzentrierten sich auf die Gesellschaft des geliebten Wesens, welche endlich wieder in unmittelbarer Nähe warm und voller Leben zu spüren war. Und sollten sie doch leise Worte wechseln, so war die rote Seuche unvermeidlich auch in ihre Gespräche gesickert. Man erkundigte sich mit pochendem Herzen um das Wohlbefinden des Partners als auch der Freunde und Bekannten, inständig auf gute Nachrichten hoffend. Von Glück können beide sagen, dass weder die Bewohner von Glyn-y-defaid, noch des Anwesens Schaden erlitten haben und sie mit dem blanken Schrecken davongekommen sind. Die Drachenländerin betet jeden anbrechenden Tag zur großen Mutter, dass sie diesen unbeschadet übersteht und dankt gleichzeitig dafür, dass sie die vorherigen ohne Erkrankung überstanden hat. Dass sie eine Immunität, wie die Elben besitzt, kann Lyall sich nicht vorstellen. Aber offenbar sind die am Anwesen getroffenen, als auch ihre persönlichen Schutzmaßnahmen, bis zu diesem Zeitpunkt ausreichend gewesen, um nicht der Seuche anheim zu fallen. Und wohlmöglich wird die Wargin dies auch nicht mehr, da seit Blätterfall keine neuen Ansteckungen mehr zu verzeichnen waren und sich der schraubstockartige Griff um die Stadt tatsächlich langsam zu lösen beginnt. Damit begannen jedoch auch unweigerlich die langen Aufräumarbeiten der mehr oder minder provisorischen Krankenlager, bei denen Avila und sie noch Unterstützung durch die Mägde erfahren hatten, doch auch diese haben das de Winter`sche Anwesen bereits verlassen und es sind nur noch Kleinigkeiten zurückgeblieben, wie eben das Wäschewaschen sowie das Auskochen der Laken. Doch sobald die letzten Arbeiten verrichtet worden sind, wird die Wargin wieder zu ihrem Elben eilen, so schnell ihre vier Pfoten sie zu tragen vermögen. Bitterlich gelitten haben sie, dass weiß ein jeder der Beiden, auch wenn sie sich bei jedem Treffen Mut und Standhaftigkeit zugesprochen hatten, zeigte sich in ihren Blicken und Gesten eine tiefschürfende Verlustangst, die sich mit keinem körperlichen Schmerz vergleichen lässt.


    Ihre Freundinnen im Gegenzug verlassen zu müssen ist die Kehrseite der Medaille. Avila hat den Haushalt weiterhin gekonnt im Griff und die meisten schweren Arbeiten, bei denen Lyalls Arbeitskraft nötig gewesen waren, sind schon verrichtet, sodass die Wargin zumindest dahingehend keine Gewissensbisse haben muss. Schließlich wird sie immer herbeieilen, wenn ihre Freundinnen Hilfe brauchen, keine Frage. Der Abschied von Apfelgribs bereitet ihr da schon mehr Sorgen; das zarte Wesen hatte sehr unter ihrem ersten Fortgang gelitten.

    Das Wäscheholz seufzend zur Seite legend und den nassen Stoff mit beiden Händen greifend, taucht sie ein Stück des Lakens erneut unter, dort, wo sich ein kleiner Fleck hartnäckig im Gewebe festkrallt. Obwohl ihre Hände bereits müde und aufgequollen sind rubbelt sie eisern, bis der dunkle Umriss langsam heller zu werden scheint. Ja, müde ist sie bis in die Knochen, wie alle hier. Sie möchte neben Cin ins Bett fallen und für die nächsten Siebentage nicht wieder hervorkommen. Auch Aurian und Avila werden die nächsten Wochen sicherlich für Selbstfürsorge aufwenden müssen; beide gehen zwar tapfer ihrem Tagwerk nach, doch die Erschöpfung steckt auch ihnen in den Gliedern und wie sehr sehnen sich alle nach einer durchgeschlafenen Nacht ohne Unterbrechung durch das leise Wimmern eines kranken Kindes, dem röchelnden Husten derer, nach denen Sithech unnachgiebig griff oder einfach einen Schlaf ohne nervenaufreibende Alpträume… Bald wird sie mir ihrer Wäsche fertig werden, in ihre Kammer gehen und hoffentlich in einen tiefen, traumlosen Schlaf fallen. Einfach nur ein paar ruhige Nächte, Ealara. Für uns alle. Bitte erweise uns diese einfache Gnade…, sinniert sie, nicht ahnend, dass ein paar Stockwerke über ihr auch ihre Freundin eigenen Sorgen nachhängt, bevor auch diese ihr trügerisches Heil im Schlaf sucht.

    'Er, excuse me,' said the man as Nanny Ogg turned away, 'but what is that on your shoulders?'
    '
    It's. . . a fur collar,' said Nanny.
    'Excuse me, but I just saw it flick it's tail.'
    'Yes. I happen to believe in beauty without cruelty.'

    Terry Pratchett

    4 Mal editiert, zuletzt von Lyall ()

  • Klappernd schlagen Erles Zähne aufeinander, derweil die Kälte ihm mit jedem Atemzug tiefer in die Knochen fährt. „Verdammt, verdammt, verdammt!“ Er könnte sich sonst wohin treten, für seine vermaledeite Dummheit! Nur würde ihm das auch nicht weiterhelfen. Ist es das also? In einem verlassenen Mäuseloch erfroren, weil ich nicht auf die Warnungen hören wollte, zeitig zurückzukehren? Tot, weil ich unbedingt den Auftritt dieser Langbeinsängerin zu Ende hören musste? Zornig tritt Erle gegen das gefrorene Erdreich. Wie hatte es nur soweit kommen können? Nun, das war schnell erzählt: Ecco, ein Fírbergan, so altersgrau, dass manche mutmaßten, er könne der älteste noch lebende Vertreter seiner Art sein, hatte sich einen Husten zugezogen, gerade als alle dachte, es wäre vorüber und der Rote Tod zurückgedrängt. Also hatte man nach dem besten Fírberganheiler der Stadt geschickt und, als der nicht verfügbar gewesen war, hatte halt mit dem vorlieb genommen, was grad verfügbar war – Erle! Es war tatsächlich eines der wenigen Male gewesen, das Erle ein gebrochenes gezähmtes Reittier, eine Taube, bestiegen hatte, so schnell wie möglich zu seinem Patienten ins Seeviertel zu gelangen und tatsächlich konnte Erle schon nach einer kurzen Untersuchung Entwarnung geben. Der rote Tod war es nicht, sondern nur eine Verkühlung, die in solch fortgeschrittenem Alter aber auch schnell hätte zum Tode führen können. Wäre Erle dann sofort wieder aufgebrochen, er würde jetzt schon wieder daheim die Füße sich an einem gemütlichen Feuer wärmen, statt sie hier, schon gefühllos in seinen ledernen Stiefel steckend, auf den eisigen Boden zu stampfen, das Unausweichliche so doch nur hinauszuzögern. Aber da war diese Feier der Langbeine, denen die Villa gehörte, in der Ecco es sich mit seinen Kindern und Kindeskindern gut gehen ließ. Clair hieß die Hochelbin die zu Harfenmusik und Flötenspiel so herzerweichend im Raum unter ihnen gesungen hatte, das man dafür hätte sterben mögen, ihr weiter noch zuzuhören. …was ich ja nun wohl auch werde!, grollt Erle still vor sich hin…


    Die anderen Fírbergan hatten ihn erst gedrängt aufzubrechen, bevor es dunkelte und dann, zuletzt ihn gedrängt zu bleiben. Doch mit einem halben Dutzend anderer weinselig schnarchender Fírbergan in einer Kammer zu schlafen? „Nein!“ hatte er die Bitten Eccos selbst zuletzt gar ausgeschlagen, „Etwas frische Nachtluft ist genau das, was ich brauche!“ Die Warnungen vor den aggressiven Nachtvögeln hatte er leichtfertig abgetan und dabei an die satte Eule Ora im Dachstuhl über seiner Schlafstatt gedacht. Oh, welch einem Irrtum er damit doch erlegen war. Ora war satt von den Mäusen, die in den nahen Mogbargärten einen wohl gedeckten Tisch vorgefunden hatten und einige der Fírberganjäger hegten die Mausbestände beinahe so, wie die Langbeine ihr Rot- und Schwarzwild. Ora war also stets satt und zufrieden gewesen und hatte sich mit den Fírbergan darum leicht arrangiert, wohingegen hier, so nahe des Idorel die Ratten, vom Hafen kommend, den Roten Tod auch unter die Nagerpopulation der Stadt getragen hatten. Die Vierbeiner waren allgemein etwas resilienter der Seuche gegenüber gewesen, als die sprechenden Völker, dafür aber auch weit weniger medizinisch bewandert und so, unbemerkt von den Langbeinen, hatte auch unter diesen der Rote Tod reiche Beute gehalten, was wiederum die Eulen in diesem Teil der Stadt nahe an den Hungertod gebracht hatte. „Mit denen kannst du nicht Reden, Erle! Hör auf uns und bleib hier – bitte!“ Erle hatte nur gelacht und sich auf den Weg gemacht. Auf eine der Kutschen, der sich gleichfalls aufgemacht habenden Festgäste der Feierlichkeit aufgesprungen seiend, hatte Erle es sich nahe der hinteren Radachse gemütlich gemacht. Weinselig, hatten doch auch die Fírbergan ein Fest gefeiert, ob der frohen Nachricht, das Ecco doch noch nicht von ihnen gehen musste, summte Erle die Melodie von Claires letzten Stück, dem Vargsången, leise vor sich hin – „Wild heult der Wolf des Nachts im Wald, er heult vor Hunger und Klagen…“, als – WUSCH! – ein Schemen, wie aus dem Nirgendwo auftauchend, vor ihm Gestalt annahm und, wäre der Wagen nicht just in dem Moment über ein Schlagloch gefahren, das Erle ruppig zur Seite schnellte, die nadelscharfen vier Klauen hätten ihn wohl dort an Ort und Stelle aufgespießt! So aber hatte Erle den Stoß der Kutsche zum Überleben genutzt, und aber beim Versuch in das sichere Innere des Wagens zu gelangen – sollten die Langbeine ihn ruhig sehen – den Halt unglücklicherweise verloren.


    Wären die Straßen nicht tief verschneit gewesen, er hätte sich vermutlich sonst was bei dem Sturz gebrochen, so aber war er haken schlagend vor dem immer wieder aus der Dunkelheit herabstürzenden Schatten geflohen, direkt auf das nächste, ihm Schutz verheißende Haus zu, doch es war vergebens gewesen. Er hätte es niemals geschafft, hatte nur noch mit Müh und Not in einem Loch inmitten eines verwildert Gartens Zuflucht gefunden. „Schuhuh, Schuhuh!“ Erle hört den nagenden Hunger in jedem Ruf der Eule und begriff erst da, zu spät, dass das hier nicht die fette gutmütige Ora aus seinem Dachstuhl über Emmets Laboratorium war. „Verdammt, verdammt, verdammt!“ brüllt Erle. „Shuhuh – Shuhuh!“ antwortet es von einem nahen Baum: Hunger – Hunger! Erneut blickt Erle sich um, ohne hier drunten indes irgend etwas Neues zu sehen. Der steif gefrorene Mäusekadaver zeigt alle Anzeichen des Roten Todes, weswegen Erle sich diesem, wie dessen letzter Lagerstadt auch nicht weiter nähert. Zweimal hatte er einen Vorstoß in Richtung des Hauses gewagt und beide Male nur mit Mühe und Not wieder in das Mäuseloch zurück hechten können. „Schuhuh – Schuhuh!“ Wieder stampft Erle mit den Beinen auf, als ein Krampf mit einem Mal seinen linken Fuß erfasst, ihn zu Boden wirft, wo er nichts anderes tun kann, als die Zähne schmerzgepeinigt zusammenzupressen, bis der Krampf endlich vorüber ist. Schlechte Blutversorgung, mehr Nüsse und allgemein eine gesünder Ernährung! ein sardonisches Grinsen verzieht seine Züge. Erstklassig analysiert, aber… hilft mir jetzt das hier irgend weiter? Je tiefer ihm die Kälte in die Knochen fährt, desto heftiger werden diese Krämpfe voraussichtlich werde. …bis mir so warm wird, das ich meine Sachen abzulegen beginne und das Delier von mir Besitz ergreift!. Entweder würde er sich dann zu der toten Maus legen, bis er so steif gefroren wäre wie diese, oder aber nackt hinaus spazieren und mit etwas Glück die ihn aufspießenden Klauen der über ihm noch immer lauernden Eule nicht einmal mehr kommen sehen.


    „Nein, verdammt, nicht so!“ – „Schuhuh, Schuhuh!“ Erle nimmt seinen Rucksack ab, den er nicht zurückzulassen gewagt hatte, hätte das doch auch keinen Unterschied gemacht. Einer Eule läuft niemand davon; nicht in der Nacht, nicht in ihm unbekanntem Terrain! Die Stoffmaske ist schnell über Mund und Nase gezogen und die Unterarme mit etwas Alkohol aus einem Glaskolben benetzt! Die Verdunstungskälte spürt Erle nicht, sondern vielmehr einen angenehm warmen Schauer. Ein Teil seines Bewusstseins beginnt abzudriften, derweil der andere das herannahende Delier professionell analysiert, die ihm verbleibende Zeit abschätzt und ihn zwingt, sich dem Lager der toten Maus zu nähern. Trockenes Gras liegt unter dem Mäusekadaver und einige fetthaltige Samen liegen in einer vom Eingang nicht einsehbar gewesen seienden Ecke der Höhle. Rasch ist der Kadaver mit den Stiefeln beiseite gerollt und die Phiole mit dem Alkohol über dem Graslager entleert. Rasch schieben die schon tauben Füße in den sie schützenden Stiefel das Gras durcheinander, rollen die Nüsse dazu, bis die Luft alkoholschwanger und Heu und Nüsse allüberall mit der reinigenden Flüssigkeit benetzt sind. Die Hände, kaum mehr zum Greifen fähig, schlingen sich um eine aus der Decke hinab reichende verdorrte Wurzel, zerren verzweifelt daran. Sie mit dem Heu und den Samen zusammen zum Entzünden eines Feuers zu verwenden, war eigentlich der Plan gewesen. Das die halbe Höhle dabei über ihm zusammenstürzt und dabei den Mäusekadaver unter sich begräbt ist eher ein willkommener Nebeneffekt nur. Ebenso wie der warme „…nein – der kalte Luftzug!“, verbessert der noch immer analytische Teil seines Verstandes. „Warm ist Illusion, ist Delier, ist Tod!“ Aber der Luftzug ist da. „Also doch nicht ersticken!“Ein Haufen der alkoholgetränkten Gräser und Samen wandert vor die nach oben führende Öffnung der Höhle.


    Beinahe zwei Minuten vergehen, ehe die gefühllosen Finger Erles, mit Feuerstein und Stahl vollbringen, was ihn normalerweise nicht mehr, denn zwei, vielleich drei Herzschläge gekostet hätte: Feuer! Knisternd flammt das Stroh auf und ist nach wenigen Sekunden lichterloh am brennen. Diese Wärme ist endlich echt und keine Einbildung! Außer natürlich, ich liege bereits am Boden und träume das hier gerade nur vor mich hin. Aber dann wäre es wohl eh egal. Also heißt es weiter machen, immer wieder eine neue Fuhre des ehemaligen Totenlagers ins Feuer schieben. Die Schmerzen ob der plötzlichen Wärme, so nahe des Feuers ignorierend, bleibt Erle so dicht bei den Flammen stehen wie nur irgend möglich. Der Erstickungstod im Rauch des Feuers bleibt ihm dank der in Teilen eingestürzten Höhlendecke erspart, ziehen die Rauchschwaden doch nun durch den Eingang davon, kräuseln sich einen Moment in der kalten Nachtluft, ehe sie darin leise schließlich zerfasern. Das Feuer ab brennen halten! Alles, nur nicht erfrieren! „Schuhuh, Schuhuh, Schuhuh!“ Ärgerlich klingen die Rufe der Eule mit einem Male! „Schuhuh, Schuhuh!“ Zuerst nur um das ihm inzwischen verhasst seiende nächtliche Rufen zu überlagern, summt Erle erst nur wortlos vor sich hin, ehe, mit der Wärme auch der Trotz in seinen Körper zurückzukehren scheint und Erle laut und gar nicht einmal sooo schlecht die Stimme erhebt:


    „Wild ruft die Eul’ des Nachts im Baum,

    vor Hunger kann sie nicht schlafen.

    Und ihre Höhl’ ist bitterkalt,

    sie giert nach fetten Ratten.

    Du Eul’, du Eul’, komm nicht hierher.

    Mein Fleisch das frisst du nimmer mehr…“

    Kindness is like snow. It beautifies everything it covers.” (Kahlil Gibran)

    10 Mal editiert, zuletzt von Erle ()

  • "From the very jaws of death I have escaped to this condition."

    - Lucretius



    Ein paar Tage nach Jul 521



    In die Stille ihrer Kammer hinein seufzend presst Lyall die bereits geschlossenen Augenlider noch fester aufeinander, als könnte sie damit den ersehnten Schlaf herbeizwingen. Doch wie schon die Stunden davor tut sich nichts. Ihr Körper und Geist sind bis auf das Äußerste erschöpft, sie fühlt sich ausgebrannt und so unsagbar leer… und doch will der erholsame Zustand des Schlafens nicht über sie kommen. Es ist ein seltsames Gefühl, als läge sie auf dem Wasser (nicht in ihrem Bett) und der Schlaf wartet geduldig auf sie, dort, am Grund. Aber so sehr sie sich auch abmüht, strampelt und verzweifelt versucht zu tauchen, schafft sie es nicht hinabzugleiten, treibt ihr Körper weiterhin unbeeindruckt auf der Wasseroberfläche als wäre er aus Kork.
    „Zum Dunklen noch eins! Jetzt schlaf, bei Ea‘s grünem Blut!“, schimpft die Wargin zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch, während sie zum wiederholten Mal die Bettdecke aufschüttelt, das Kopfkissen richtet, sich an beruhigenden Atemübungen versucht (die sie nur noch mehr zur Weißglut treiben), die Augen schnell hintereinander öffnet und schließt, um diese müde zu machen.
    Vielleicht lässt es sich auf der linken Seite besser schlafen, oder doch rechts?
    Nein…
    Bauchlage?
    Nein…
    Dann doch erneut auf den Rücken…
    Oder ist es auf der rechten Seite doch bequemer gewesen?
    Wenn sie ehrlich zu sich selbst ist kommt ihr gerade alles unbequem vor und doch sehnt sich ihr Körper so sehr nach der horizontalen Lage auf der Bettstatt. Gedankenverloren starrt Lyall auf das verzerrte milchigtrübe Viereck, welches das gedämpfte Mondlicht auf die dem Fenster gegenüberliegende Wand zeichnet. Ein paar Minuten liegt sie so, dem Schlaf noch eine valide Chance einräumend sie mit seiner Anwesenheit zu beehren, bevor die Drachenländerin doch wieder grummelnd in die Vertikale wechselt. Die Beine aus dem Bett schwingend und kurz ob des kalten Bodens zusammenzuckend steht sie auf, wirft sich ihren dicken Wollmantel über die Schultern und angelt im Vorbeigehen nach ihren Stiefeln sowie dem Schlüsselbund des Anwesens im kleinen Vorraum des Gesindetraktes. Ein Melissentee wird hoffentlich ihren angespannten Geist beruhigen und ihr den so dringend benötigten Schlaf bringen.
    Sprichwörtlich auf Zehenspitzen verlässt sie das Gebäude und hält die Schlüssel fest in der Faust gefangen, denn Avila soll nicht unnötigerweise auch noch um ihren Schlaf gebracht werden. Erst vor der Tür des Gesindehauses, wo Kälte und glitzerndes Weiß still auf Lyall warten, lässt diese das Schuhwerk auf den Boden sinken, schlüpft hinein und begibt sich noch etwas schlaftrunken auf den Weg in Richtung Küchentrakt. Feiner Nebel ihres Atems tanzt zart um ihr Gesicht und sie zieht den flauschigen Mantel (ein Geschenk ihres Liebsten aus feinster Wolle von Gly-y-Defaid) automatisch enger um ihren Leib, damit die klammkalt tastenden Finger der Winternacht nicht so einfach nach ihrem noch bettwarmen Körper greifen können. Nichtsdestotrotz beeilt sich die ehemalige Magd die schwere Tür zur Küche aufzuschließen und ebenso hurtig hinter sich zuverriegeln, um die Kälte nicht nach Drinnen sowie die Restwärme der Küche nicht nach Außen gelangen zu lassen.


    Nur noch schwach glimmt ein im Vergehen begriffenes Häufchen Asche, doch zwei nachgelegte Scheite und ein paar kräftige Atemstöße später lecken die ersten Flammenzüngelchen hungrig nach dem trockenen Holz und ein goldener Schein breitet sich in der Küche aus. Mit der rechten Hand den Schlüssel in ihre Manteltasche gleiten lassend, greift die Wargin nach einem dünnen Kienspan, den sie am Feuer anzündet, um diesen auf dem Weg in den Keller als Lichtquelle zu benutzen. Die getrockneten Melissenblätter sind schnell in den Regalen gefunden, beschriftet Avila doch alles akribisch mit ihrer ordentlichen Handschrift und ein paar Herzschläge später ist Lyall auch schon wieder in der Küche, nur um nun festzustellen, dass der Wasserbottich gähnend leer ist. Ein an sich selbst gerichtetes genervtes Augenrollen kann sie nicht unterdrücken, während sie nach dem rußigen Wasserkessel greift. Schließlich ist es die Wargin gewesen, die einen Abend zuvor zu erschöpft gewesen war, den großen Vorratsbottich mit mehreren Ladungen Wasser aus dem Brunnen zu füllen, sondern hatte dieses Vorhaben nur allzu gern auf den nächsten Tag verschoben. Aber wer hätte auch ahnen können, dass sich diese Entscheidung so schnell rächen würde?

    So begibt sie sich erneut in die eisige Rauhnacht, stapft zum Brunnen herüber und setzt den Kessel auf dem Brunnenrand ab. Langsam und an vor Kälte steif knarrenden Seilen lässt die Drachenländerin den leeren Eimer in den schwarz gähnenden Schlund des Schachtes hinab, bis ein entferntes Platsch ertönt, sie am Zug des Seiles erkennt, dass sich der Eimer zu füllen beginnt. Ausgiebig gähnend wünscht sie sich wieder ins Bett, auch wenn dort kein Schlaf warten mag. Gedankenverloren beginnt sie gerade damit den schweren Eimer zu sich hoch zu ziehen, als ein seltsames Geräusch an ihre Ohren dringt. Abrupt stoppt das Seil, während sie lauscht und versucht die Quelle auszumachen. Doch es ist erneut still und nur die normalen Winternachtgeräusche zu vernehmen. Das Knacken von frostharschem Schnee, das widerspenstige Knarren des starren Astgeflechtes der Bäume im Garten sowie das leise Fiepen wachgewordener Mäuse, die in selbstgegrabenen Gängen unter der Schneedecke umher flitzen.

    Das Seil spannt sich also wieder, der Eimer kommt Schritt um Schritt weiter gen Brunnenöffnung empor bevor er erneut so ruckartig zum Stehen kommt, dass ein Teil des Inhaltes sich entleert und erneut mit der Wassersäule am Fuße des Schachtes vereinigt wird.

    Der Dunkle soll mich holen, da war doch etwas... Ihre Ohren zucken, bewegen sich hin und her, um dem Ursprung habhaft zu werden. Es klingt fast wie trockenes Laub, welches über den Boden geschleift wird, doch da ist noch etwas darunter. Gedämpfte Schreie einer... Eule?! Die Ohren fest auf das Geräusch fokussiert wird der Eimer eilig hoch gehievt und schwappend auf dem Brunnenrand abgestellt, bevor sie ihren Mantel enger um sich zieht und in Richtung Garten eilt.

    Je näher sie kommt, desto klarer wird, dass es sich um über den Boden schleifendes Gefieder handelt, welches einer recht großen Eule gehört. Wie vom Dunklen besessen flattert sie am Fuße des den Garten einfassenden Gebüsches umher, doch fliegt nicht weg. Ein seltsames Verhalten für solch einen großen Vogel, doch vielleicht kann er gar nicht abheben? Hängt er an etwas fest? Lyall ist nicht bekannt, dass im Garten Fallen für Wildtiere lauern könnten, achten alle Bewohner doch sehr genau darauf zum Beispiel keine Schnüre liegen zu lassen, in denen sich Getier verhäddern möge oder zu tiefe Wasserstellen, aus denen es kein Entkommen für Kleinstlebewesen gibt.

    Aus ihrem derzeitigen Winkel kann sie nur den breiten Rücken der aufgebrachten Eule erkennen und so nähert sie sich bedächtig der Szenerie.

    Das gefiederte Tier scheint wirklich sehr in sein Tun vertieft, bemerkt es die Wargin erst, als diese schon auf gut zwei Schritt herangekommen ist und nun beruhigende Worte an den Vogel zu richten versucht. Als die Eule die Wargin erspäht, flattert sie verärgert schreiend und... singend? auf den nächsten Ast eines der nahen Bäume, beäugt sie mit feurigen Augen und aufgeplustertem Gefieder. Zumindest scheint sie wohlauf, doch ihre Aufmerksamkeit ist noch immer auf die Stelle am Boden geheftet, denn sie macht keine Anstalten vor Lyall wegzufliegen. Im Gegenteil: Sie sieht eher aus, als würde sie wollen, dass Lyall verschwindet.

    „Immerhin bist du nicht verletzt.“, richtet die Wargin ihre Worte zum Baum hinauf, nur um im selben Atemzug anzufügen: „Aber was hast du da unten getrieben?“. Dass sie eben noch meinte Gesang zu hören... den Gedanken schüttelt sie ab. Die gefiederten Räuber der Nacht sind nun wirklich nicht für ihre feinen Stimmen bekannt.

    Näher an den Busch tretend rechnet die ehemalige Magd eigentlich damit eine dem Tode nahe Ratte zu finden, mit der die Eule anscheinend so ihre Schwierigkeiten gehabt zu haben scheint, doch dann wird sie einem schwachen orangenen Glimmen gewahr. Sich in die Hocke begebend kann sie zwischen den dicken Wurzeln ein Loch mit ausgefransten Rändern sehen, in dem ein kleines Feuer zu brennen scheint. Verwirrung macht sich auf ihrem Gesicht breit. Mäuse und Ratten braten normalerweise nichts über offenem Feuer und an spontane Selbstentzündung des Wurzelwerkes kann und will sie nicht glauben. So stützt sie sich mit ihrer Linken im Schnee ab, hält mit der rechten den Mantel zu und presst ihren Kopf mit angezogenen Ohren so weit es ihr eben möglich ist in das Geäst. Was sie zu sehen bekommt, zumindest mit ihrem rechten Auge, ist ein Häuflein brennendes Heu und Sämereien, doch das wird den Vogel wohl kaum so rasend gemacht haben, dass er nun schon wieder zu schreien beginnt.
    „Ja, ja... gib Ruhe. Ich gehe ja schon wieder... such deine Maus... nur weiter, will sie eigentlich sagen und mit einer Hand voll schnee das Feuerchen löschen, doch ihr bleiben die Worte im Hals stecken. Ein kleines Gesicht schiebt sich vor die Öffnung des Lochs, blickt sie dabei direkt an. Es ist kein Irrlicht, keine Fee und auch sonst kein Wesen, welches Lyall meint zu kennen und so bringt sie nur ein verdattertes „Uh...äh...Hallo?“ hervor.

    'Er, excuse me,' said the man as Nanny Ogg turned away, 'but what is that on your shoulders?'
    '
    It's. . . a fur collar,' said Nanny.
    'Excuse me, but I just saw it flick it's tail.'
    'Yes. I happen to believe in beauty without cruelty.'

    Terry Pratchett

    5 Mal editiert, zuletzt von Lyall ()

  • „Ja, ja... gib Ruhe. Ich gehe ja schon wieder... such deine Maus…“ Hastig schiebt sich Erle aus der Deckung hervor. Die schweren Schritte das Langbeins hatten ihn erst reflexartig zurückweichen lassen. Niemals dich sehen lassen!, war das Credo, das ihm zeitlebens eingebläut worden war. Sich mit Langbeinen abzugeben, bringt nur Ärger mit sich! hatten ihn die Alten immer wieder gewarnt (und die Langbeinpriester, -priesterinnen und -anirani im Faêyris-Tempel aber gründlich oft widerlegt), nachdem wieder mal wer auf einem Fírbergantreffen von einer unverbrüchlichen Freundschaft mit diesen erzählt hatte. Aber: …such deine Maus, such deine Maus! Mit ungelenken Bewegungen, seine Füße schon nicht mehr spüren könnend, stolpert Erle dem Langbein weiter entgegen, nun wohl endgültig delirierend, tragen Langbeine doch wohl kaum die bepelzten Ohren von Tieren, Hunden vermutlich, oder eventuell auch Wölfen oder Schakalen, an den Seiten ihrer Häupter zur Schau?!


    „Nein, bitte nicht“, kommt ihm krächzend über seine vor Kälte blauen Lippen, als er seinen Blick flehentlich auf das Antlitz der, wohl durch seinen beginnenden Delir so tierhaft verfremdeten Gestalt über sich, richtet. Noch einen Schritt stapft er der Gestalt entgegen, nicht einmal realisierend, dass er dem lebensverheißende Feuer in seinem Rücken gerade viel zu früh den Rücken wieder kehrt. Und tatsächlich legt sich der eisige Hauch der Nacht, ihm wie ein warmer und einen wohligen Schlaf verheißender Mantel um den Leib. Die Kälte nicht mehr spürend und damit das Feuer auch nicht länger missend, tritt Erle ein, zwei, drei weitere Schritte staksend aus dem Loch und der Großen damit entgegen, die Hände dieser flehentlich entgegen gestreckt. Die Kälte des Schnees, in das er nun bis über die Knien einsinkt? Er bemerkt es nicht – oder bemerkt vielmehr nur eine wohlige Wärme, die von den Füßen beginnend in ihm emporzusteigen beginnt. Und dass er hier für die Eule wie auf dem Präsentierteller sich darbietet, derweil die Große vor ihm möglicherweise nichts weiter, denn eine Illusion bloß ist?


    „Lass sie mich nicht, nicht… “ Und mit diesen Worten knickt ihm das rechte Bein plötzlich weg, landet er sanft auf der Seite, in tiefem, weichen und wohlige Wärme ihm verheißenden Schnee, was er aber, sich im Schüttelfrost darin windend, nicht mehr mitbekommt. Wenn die Eule ihn jetzt nicht verschlingt, dann wird es die Kälte tun und das, ob seiner geringen Größe, weit, weit schneller, als bei jedem nochso klein gewachsenem Langbein. Illusion hin oder her, Wolfsohren oder nicht: Wenn er auch nur noch einen Moment mit diesem verfluchten Nachtvogel alleine bleibt… Ja, ja... gib Ruhe. Ich gehe ja schon wieder... such deine Maus… such deine Maus… such deine Maus… deine Maus… Maus… -aus… Aus!

    Kindness is like snow. It beautifies everything it covers.” (Kahlil Gibran)

    4 Mal editiert, zuletzt von Erle ()

  • "Du kleines Wesen! Komm herein in meine warme Stube und iss mit mir!"
    - Feldmaus aus Däumelinchen von Hans Christian Andersen



    Ein paar Tage nach Jul 521



    Will sie eben noch auf die Worte des kleinen Geschöpfes „Nein, bitte nicht...“ in einer beschwichtigenden Geste ihre sie abstützende Hand heben, um ihm zu signalisieren, dass sie nicht vorhat ihn aufzufressen, wird ihr bei den nächsten erschöpft gehauchten Worten etwas ganz anderes klar. Sie soll ihn vor der Eule beschützen, die wohl ganz und gar nicht auf der Suche nach Mäusen gewesen ist. Kurz blitzt der irritierende Gedanke auf, seit wann kleine Leute unter dem Garten des Anwesens wohnten und den Bewohnern nie aufgefallen waren, doch die geistig gestellte Frage verpufft ebenso schnell wie sie gekommen ist. Die Wargin kann bei der kleinen, dunklen Silhouette der Gestalt keine genauen Einzelheiten erkennen, aber was definitiv nicht zu übersehen ist: Sie zittert am ganzen Leib. „Keine Sorge, die Eule wird jetzt nicht angreifen. Du brauchst keine Angst zu haben.“ Ob ihre Worte allerdings noch gehört werden bleibt offen, denn der kleine Mann (zumindest anhand der Stimme würde Lyall ihr Gegenüber dem männlichen Geschlecht zuordnen) kippt wie ein winziger gefällter Baum auf die Seite und scheint gerade seinen letzten Atemzug aushauchen zu wollen.

    Schlagartig ist die Wargin hellwach. „Hey! Hey, Kleiner! Verdammt...“ Hastig schiebt sie ihren Arm durch das Geäst, ohne auf Kratzer und Schrammen zu achten, angelt mit spitzen Fingern vorsichtig nach dem kleinen Körper. Sie birgt ihn vorsichtig in der Faust ihrer Rechten, versucht seinen herab baumelnden Kopf nirgends anzustoßen oder seine Extremitäten zu verletzen, als die Eule erneut schreit und sich offenkundig um ihre Beute betrogen fühlt. Die Wargin kann hören, wie der Raumvogel zornig seine Federn schüttelt, doch es kümmert sie gerade nicht weiter. Ihre ganze Aufmerksamkeit gilt dem ohnmächtigen Geschöpf.
    Rasch und so behutsam wie möglich wickelt sie ihn in einen Mantelzipfel, kickt Schnee über das vergehende Feuerchen und sprintet in Richtung Küche los. Sie hofft ihren Passagier nicht unnötig hart durchzuschütteln und ist bemüht die gröbsten Stöße abzufedern, hält die Drachenländerin ihn doch so vorsichtig sacht, als wäre ein kleiner Vogel in ihrer Obhut.

    „Gleich sind wir im Warmen. Halte durch!“, spricht sie wahrscheinlich gerade mehr zu sich selbst auch, um ihren rasenden Herzschlag zu beruhigen.
    Er würde nicht sterben.
    Nicht hier.

    Nicht jetzt.

    Nicht noch jemand!
    Der Weg ist nicht weit, aber er kommt ihr gerade unglaublich lang vor. Dann schiebt sich der Brunnen in ihr Blickfeld und ihr Herz macht einen erleichterten Satz, sind sie beide gleich im Warmen!
    Plötzlich wird ihr Kopf von einem federummantelten Sack Steine getroffen, der zu allem Übel auch noch Krallen hat, welche sich tief in ihre rechte Wange bohren. Erschrocken schreit die Wargin auf, kommt ins Straucheln und verliert das Gleichgewicht. Ihr Körper reagiert schneller, als sie überhaupt zu denken vermag und rollt sich instinktiv zusammen, um die fragile Fracht zu schützen. Zusammengekauert zu einer Kugel rutscht sie die letzten Schritte bis zum Brunnen und schlägt dort dumpf mit dem Hinterkopf an. Kleine helle Kreise tanzen kurz vor ihren Augen eine Welle aus Übelkeit wogt in ihr hoch und ein halb unterdrückter Schmerzlaut entringt sich ihrer Kehle. Einen kurzen Moment liegt sie schief an den Brunnen gelehnt, bevor ihre Sicht sich klärt und die Übelkeit verebbt. Dann suchen ihre Augen auch schon nach dem Angreifer und entdecken ihn rasch auf einem nahegelegenen Baum. Die Eule hat sich nicht einmal die Mühe gemacht sich zu verstecken. Die Wargin kann die Wut und Verzweiflung bis zu sich herüber spüren; der Vogel würde erneut angreifen. Offenbar ist sein Hunger so groß, dass er alle Vorsicht fallen gelassen hatte und zum Angriff übergegangen ist. Sie kann das Tier verstehen, aber besonders glücklich ist sie mit dessen Reaktion nicht. Doch verscheuchen kann sie ihn auch nicht, sind ihr doch gerade ''die Hände gebunden''.
    Dann wird ihre Aufmerksamkeit von der Eule abgelenkt oder besser gesagt: zu den Wunden hingelenkt, die Lyalls Wange und Hinterkopf davongetragen haben. Ein unangenehmes Brennen und Pochen breitet sich aus und es würde bestimmt schlimmer werden. Doch das erinnert sie ebenso an den Mann in ihren Händen. Hastig öffnet sie ihren Griff, späht zwischen ihre Hände und den Mantelfalten: er atmet noch. So weit, so gut.

    Die Eule nicht mehr aus den Augen lassend, schiebt Lyall sich in eine aufrechte Position. Auch der Vogel hält die schwarzhaarige Frau mit seinem Blick gefangen, folgt den Bewegungen mit seinem irritierend beweglichen Kopf. Langsam umrundet die Wargin den Brunnen, schätzt aus dem Augenwinkel die Distanz bis zur Küchentür ab und rennt erneut mit gesenktem Kopf los. Sie kann die Eule im Flug nicht hören, dafür muss diese schon sehr nahe kommen und auf noch einen Krallenhieb verzichtet sie gerne.
    Und tatsächlich: einen Angriff startet die Eule noch und eher aus Instinkt heraus zieht Lyall ihren Kopf noch etwas tiefer, sodass die gebogenen Krallen sich nur kurz schmerzhaft in ihrem Haupthaar verfangen, ehe sie in den schützenden Türrahmen der Küche taucht und im nächsten Moment auch schon darin verschwunden ist. Vielleicht ist die Eule auch schon zu erschwächt gewesen, um erneut solch einen harten Treffer zu landen, doch die ehemalige Magd des Anwesens will es auch gar nicht wirklich herausfinden.


    Mit zwei schnellen Schritten hastet sie zum Feuer herüber, welches die Scheite bereits fröhlich verzehrt, legt noch einen nach und testet dann mit ihrem Handrücken, in welchem Abstand zum Feuer sie ihren Passagier absetzen kann. Es soll trotz Feuer nicht frieren, aber er soll auch nicht anfangen zu kokeln.
    Als Lyall die für sie korrekte Strecke zum Feuer hin ausgemacht hat, legt sie den kleinen Körper vorsichtig dort ab. Doch so allein auf dem nackten Stein will sie ihn nicht lassen. Kurz überlegt sie, wie er am besten zu betten wäre und entscheidet sich dann für ein Brotkörbchen mit flachem Rand, in das sie ein Geschirrtuch hineinlegt. Ein Ende rollt sie auf, damit sein Kopf höher zu liegen kommt, wie der Rest und als er darin gebettet ist, kniet die Wargin sich vor die Feuerstelle und beginnt vorsichtig seine Arme von den Händen an zu massieren, um den Kreislauf wieder in Schwung zu bringen.
    Erst jetzt hat sie Gelegenheit ihn genauer anzusehen. Seine Haut ist fast ebenholzartig schwarz gegen ihre weißen Fingerkuppen, welche annähernd seinen ganzen Arm bedecken können und auch das Haar ist dunkel und wohl leicht kraus. Genau kann sie es nicht erkennen und sie wagt nicht seinen Kopf zu bewegen, geschweige denn die klamme Kleidung oder die winzigen Stiefel von seinen Füßen zu entfernen. Zu groß ist die Angst, dass am Ende nicht die Kälte, sondern ihre Hände sein Ende bedeuten könnten. Genau weiß sie jedoch, dass solch eine dunkle Haut noch nie zuvor unter ihre Augen gekommen ist, aber es wundert sie auch nicht weiter, denn so ein winziges, menschenähnliches Geschöpf ist ihr ebenso noch nicht untergekommen. Sie glaubt weiterhin nicht, dass es eine Fee ist, doch was dann? Wohnt tatsächlich ein kleines Volk unter dem Anwesen, welches sich so gut zu verstecken vermag, dass sie selbst als Wolf noch nie eine Spur von ihnen hatte wittern können? Auskunft könnte ihr sicher das Buch über die Völker von Roha erteilen, welches sie vor einiger Zeit im Bücherregal des Salons hatte erspähen können oder natürlich Aurian. Aber sie wagt nicht ihren Schützling zu verlassen und das Buch oder Aurian aufzusuchen.

    Und so schiebt sie ihn in seiner ''Bettstatt'' doch noch etwas näher an das Feuer heran, massiert weiter das Leben zurück in seine Glieder. „Komm schon, kleiner Herr. Hörst du mich? Du musst aufwachen!“, spricht sie ihn an und kann die wachsende Verzweiflung in ihrer Stimme nicht ganz unterdrücken. Das Blut, welches dabei von ihrer Wange herabtropft, ignoriert sie geflissentlich. Darum, sowie um die Wunde an ihrem Hinterkopf, wird sie sich später kümmern.

    'Er, excuse me,' said the man as Nanny Ogg turned away, 'but what is that on your shoulders?'
    '
    It's. . . a fur collar,' said Nanny.
    'Excuse me, but I just saw it flick it's tail.'
    'Yes. I happen to believe in beauty without cruelty.'

    Terry Pratchett

    Einmal editiert, zuletzt von Lyall ()

  • “A giver's purse can never be paused.”

    ― Michael Bassey Johnson


    Erle kommt nur langsam wieder zu sich und das Erste dessen er gewahr wird ist, dass ihn irgendetwas, oder -wer, berührte! „Nicht anfassen!“ kommt es ihm gellend schrill über die Lippen, derweil er sich entschlossen freikämpft, zurückweicht und mit einem zweiten, diesmal aus dem Schmerz geborenen Aufschrei wieder nach vorne und von dem Feuer in seinem Rücken fort springt. Dann erst, den Kopf schüttelnd und sich nur mühsam auf den Beinen halten könnend, gewahrt er seine Lage vollständig. Er ist in einer Langbein-Küche, die verfuchte Eule weit und breit nicht zu sehen und wenn jene Frau mit dem, ist ein verdutztes eher, ein erschrockenes oder ob seines Verhaltens erbostes Gesicht? Nun wie dem auch sei: Da er noch immer die Ohren eines Tieres auf ihrem Haupt erblickt – was ja wohl kaum sein kann – ist er offenkundig wohl eh noch außerstande, Mimiken irgend korrekt zuordnen zu können. Doch erkennt Erle nun, dass sie nur getan hat, was auch er getan hätte. Die unterkühlten Körpersäfte am Fließen halten, beziehungsweise zu erneutem Fließen anzuregen. „Verzeih!“, kommt es ihm deutlich leiser nun über die Lippen. „Ich lasse mich nur einfach nicht … oh!“


    Ein roter Tropfen von Haupt der Großen über sich herabgetropft, zerplatzt beinahe direkt neben ihm in einem feinen blutig roten Sprühregen. Vergessen ist das Ende seiner eben doch begonnenen Entschuldigung. Unsicheren Schrittes torkelt er der Großen wieder entgegen, hebt die Hand.


    „Du blutest!“ Seine Handfläche berührt die Wargin vor sich sanft und eine unbeschreibliche Wärme breitet sich von dort aus, derweil die Wargin ihn leise etwas murmeln hört, das entfernt wie „… Wohl der Lei… -unde … -einer Obhut … das oberste … -eines Han…“ klingt Doch was auch immer der kleine Mann da von sich geben will, erstirbt in einem Röcheln und ein Teil der Wärme, die sich eben noch in Richtung der Verletzung durch den Leib der Großen bewegt hat, strömt mit einem Male schlagartig wieder in die Hand, in den Körper des kleinen Mannes zurück … als würde sie dort gerade dringender gebraucht, denn irgendwo sonst auf Rohas Rund. Als Erle mit einem leisen Seufzen vor der Feuerstelle wieder zu Boden sinkt und nun aber eher den Eindruck eines vor Erschöpfung Schlafenden, denn eines Sterbenden dabei erweckt (vielleicht auch, weil er mit einem Male lauter zu schnarchen anhebt, als man es einer solch kleinen Gestalt hätte zutrauen mögen) mag der Wargin über ihm noch nicht bewusst sein, dass der Blutfluss nachgelassen hat und ihre Kopfwunde – zwar immer noch extrem schmerzempfindlich seiend, inzwischen aber eher den Zustand einer beinahe schon verheilt seienden und mehrere Tage alten Verletzung erweckt.

    Kindness is like snow. It beautifies everything it covers.” (Kahlil Gibran)

  • "Drei Dinge helfen, die Mühseligkeiten des Lebens zu tragen: Die Hoffnung, der Schlaf und das Lachen. "

    - Immanuel Kant




    Ein paar Tage nach Jul 521



    Verdutzt blickt die Wargin auf den nur ein paar Sekhel messenden Mann, auf den warmen Steinen der Feuerstelle liegend, hinab.
    Ihr Herz hatte einen entsetzten Aussetzer getan, als er - überstützt vor ihr zurückweichend - dem Feuer zu nahe gekommen ist, dann unsicheren Schrittes herumgewankt war (auch da ist sie nicht vollends überzeugt gewesen, ob er nicht doch noch in das wärmende aber auch durchaus gefährliche Feuer fallen würde und hatte sich innerlich schon darauf vorbereitet ihn mit der bloßen Hand aus den Flammen zu fischen), nur um schlussendlich recht seelig schnarchend vor ihr niederzusinken.

    Zumindest wird er die Nacht überleben, ist seine kleine Hand, welche Lyall kurz berührt hatte, doch erstaunlich warm gewesen. So hofft die Wargin auch, dass der Rest sich hatte ausreichend erwärmen können. Um ganz sicher zu gehen zieht sie nun doch mit aller größter Vorsicht seine kleinen Stiefelchen aus, nicht ohne im selben Moment die feine Machart und absolute Winzigkeit zu bewundern, bevor sie auch die restlichen nassen Schichten Kleidung von ihm herunter pellt (aber natürlich nur so weit, wie es sich geziemt) und zum trocknen am Feuer ausbreitet.

    Mit ihren feingliedrigen Fingern befördert sie anschließend den kleinen Gast erneut sicher in sein provisorisches Lager und deckt ihn mit einem Zipfel des Geschirrtuches zu. Kurz sieht sie ihn an, beobachtet das Schattenspiel der Feuerstelle, welche über seine Gesichtszüge hinweghuscht, sich erneut fragend zu welchem besonderen Volk erwohl gehören möge,, bevor sie sich erhebt und... nach der Kanne greifen will, die derweil brav draußen am Brunnen ausharrt. So, wie möglicherweise auch die Eule... Nochmal möchte sie keine schmerzhafte Bekanntschaft mit dem großen Vogel machen. Einen leisen Stoßseuftzer von sich gebend, wendet sie ihren Blick ab, erhebt sich und holt ein Hühnerbein aus der Vorratskammer, welches (nebst anderen Hühnerteilen) als Suppenbasis gedient hatte und morgen... nein wohl eher heute... als Beilage dienen sollte. Doch Lyall wird es dem Vogel als „Tauschobjekt“ überlassen; schließlich hat sie diesen unleugbar um sein Mahl gebracht.


    Der Winter vor der Tür empfängt sie diesmal gefühlt mit noch eisigeren Fingern, sodass sie schnell den Kessel mit Wasser füllt, das Hühnerbein auf dem Brunnenrand ablegt und sich fröstelnd wieder in die Küche trollt. All dies ohne Eulen-Zwischenfall, obwohl die wachsamen Augen des Tieres Lyall die ganze Zeit beobachtet haben.

    So leise wir möglich plaziert die Drachenländerin ein eisernes Dreibein über dem Feuer, um den Kessel darauf abzustellen und kann nicht umhin bezüglich der beachtlichhen Lautstärke des Schnarchens zu schmunzeln. Wer hätte gedacht, dass solch ein kleines Wesen so laute Geräusche produzieren kann?

    Während sie darauf wartet, dass das Wasser zu kochen beginnt, lässt sie sich am breiten Küchentisch nieder und legt ihren Kopf auf einer Hand ab, bevor sie erschrocken zurück zuckt. Getrocknetes Blut hat sich in dünnen Bahnen krustig auf der Haut abgesetzt, doch die Wunde scheint aktuell nicht mehr zu bluten. Offenbar ist der Krallenhieb doch nicht so tief gewesen, wie ich anfangs gedacht habe., sinnt sie, plaziert ihren Kopf vorsichtshalber aber doch lieber auf der unversehrten Wange und begiebt sich in eine einigermaßen bequeme Position. Müdigkeit kriecht nun doch mit einer recht ausgeprägten vehemenz an Lyall heran und ihre Augen brennen und wollen nicht mehr länger offen bleiben, als nötig. Den Tee wird sie noch zubereiten und zu sich nehmen. Vielleicht kann sie ihrem Gast dann ebenso ein kleines Fingerhühtlein voll anbieten, falls er bis dahin erwacht sein sollte.

    Das leise Prasseln und Knacken der vom Feuer verzehrten Scheite, das rhythmische Schattenspiel der Flammen und das kakophonische aber doch befremdlich stetige Schnarchen lullen ihren Geist zusehends ein. Und mit sehnsüchtigen Gedanken zu ihrem Liebsten abdriftend dämmert die Wargin langsam ein.

    'Er, excuse me,' said the man as Nanny Ogg turned away, 'but what is that on your shoulders?'
    '
    It's. . . a fur collar,' said Nanny.
    'Excuse me, but I just saw it flick it's tail.'
    'Yes. I happen to believe in beauty without cruelty.'

    Terry Pratchett

    2 Mal editiert, zuletzt von Lyall ()

  • Erles Hals brennt wie Feuer, als er die Augen aufschlägt und noch schlaftrunken zu der Karaffe neben seiner Schlafstatt greifen will um … schlagartig ist der Fírbergan hellwach! Der überhastete Aufbruch, die Untersuchung des kranken Alten, die alle beruhigende Nachricht, dass es nicht der rote Tod und auch sonst des Alten letztes Stündlein noch nicht geschlagen hatte, die Feier – dann der Auftritt der Langbeinsängerin, der ihn so sehr in seinen Bann geschlagen hatte. Das Flehen der Anderen die Nacht über zu bleiben und der weinselige Leichtmut Erles, die Eule, die Halluzinationen und jetzt, dem Geruch nach zu urteilen, ein Brotkorb, statt seines Bettes? Immer noch brennt ihm die Kehle wie Feuer und er ahnt, das der Alkohol ihn zum Schnarchen veranlasst und die Unterkühlung draußen ihren Teil dazu beigetragen hatte. Klamm liegen die Schichten seiner Kleidung, die der Anstand ihm auch noch abzunehmen wohl verboten hatte, ihm auf der Haut, doch der Rest liegt nahebei auf den warmen Steinen vor der Feuerstelle. Lass dich niemals mit Langbeinen ein, Junge! Hörst du? Sie bringen nur Unglück – immer! Klar klingt ihm die Stimme seines Vaters im Ohr. Manchmal, wenn sein alter Herr sich dem Rausch ergeben hatte, was dessen Frau nur allzu selten zuließ, hatte der alte Mann noch Andeutungen fallen lassen, wonach es den Langbeinen geschuldet war, das sie aus ihrer Heimat hatten fliehen müssen. Aber meine Heimat ist hier, Vater – und anders will ich es gar nicht haben! Mutter war nie so ablehnend den Großen gegenüber wie Vater, aber auch sie hatte ihn nur schweren Herzens in den Tempel gehen lassen, wo es Langbeinpriesterinnen gewesen waren, die ihn in die Heilkunst und den ganzen Rest unterwiesen hatten. Vertrau ihnen nicht zu sehr Junge, versprich mir dass. Denn auch wenn dein lieber Vater … nun ja, der Ärger den sie bringen können entspricht schon auch ihrer Größe, wenn du verstehst? Leise zieht sich Erle seine trockenen und warmen Kleidungsstücke wieder über, schlüpft in seine warmen Stiefel zurück. Ich kann nicht gehen Mutter! In Gedanken sieht er seine Ma’ den Kopf schief legen. Und warum kannst du nicht gehen, Sohn? Ja, seine Ma war immer die Vernunft in Person gewesen. Wenn er als Kind nicht hatte bei geschlossener Türe hatte schlafen können, weil sonst das Monster von unter dem Bett über ihn herfallen würde, dann legte sie ihm in aller Geduld dar, beziehungsweise lies es ihn vielmehr selbst erkennen, dass unter seinem Bett kein Monster sein konnte und das – Tür auf oder zu – seine Eltern niemals zulassen würden, dass irgendwer oder -was ihm jemals ein Haar krümmte. Und noch immer, Jahre später, begegnet sie ihrem kleinen Jungen mit der gleichen Besonnenheit, sodass diese Frage, die Erle sich zugegebenermaßen nur gerade selbst vorstellt, sicherlich genauso von ihr gekommen wäre, wäre sie gerade hier. Die Maus Mutter!


    Schlagartig verschwindet ob dieser Worte die Gelassenheit aus den Zügen der von Erle doch nur imaginierten Fírbergan-Frau. Seine Mutter hätte nicht so schnell begriffen. Doch was ist das hier anderes als eine etwas seltsame innere Zwiesprache mit sich selbst? Die Maus! nickt das Abbild seiner Mutter in Erles Vorstellung, ehe sie verblasst. Vollständig angekleidet, den Rucksack auf der Schulter (und die Kehle noch immer wie Feuer brennend), drängt sich das Bild der Langbeinküche wieder in sein Bewusstsein. Die Maus in dem Loch, sie war unzweifelhaft dem Roten Tod anheim gefallen. Er, Erle, war in dem Loch gewesen, hatte die Lagerstatt, mit den Stiefeln nur, aber nichtsdestotrotz zerwühlt, ein Feuer damit entfacht… Ja, es ist wahr, er hat seinen gesamten Vorrat an reinem Alkohol über sich und alles dort ausgeschüttet und damit deine Auskühlung durch die Verdunstung mal eben verzehnfacht du Narr! aber … war das genug? Kann er sicher sein? Kann die dort am Tisch schlafende Frau sicher sein? Verdutzt blickt Erle nochmals zum Tisch, reibt sich die Augen, blickt nochmals, kneift sich … aber die Ohren, ihre Ohren !? Unsicher aber leise bewegt Erle sich zum Tisch, erklimmt ein Stuhlbein, dann die Lehne und springt auf den Tisch, was die Ohren seiner Lebensretterin mit einem Zucken quittieren. Im Schneidersitz lässt Erle sich auf der Tischplatte nieder, blickt noch einen Moment lang auf die mit dem Kopf auf der Tischplatte ruhende Frau und hebt dann, nach einem schweren Seufzer zu sprechen an. „Ich danke Euch, gute Frau, aber … ich fürchte, wir müssen reden! Das Loch, aus dem Ihr mich gerettet habt, das Mäuseloch … der rote Tod scheint, so steht zu fürchten, dort Einzug gehalten zu haben.“ Ein leises Husten unterbricht Erle, dessen Züge zwischenzeitlich durch eine Stoffmaske verdeckt werden. Aber nach der Nacht, wäre es ein Wunder, hätte er sich nicht erkältet. Das alleine muss noch nichts bedeuten. „Der Eid, den ich geleistet habe verbietet mir, ein Haus zu verlassen, in welches ich möglicherweise … ich … »In alle Häuser, in die ich komme, werde ich zum Nutzen der Kranken hineingehen«. Darum, gute Frau“, Erle ist sich sicher, das sie ihn hört, scheinen ihre Ohren, doch bereits seinen Weg den Stuhl hinauf verfolgt zu haben und waren, als er etwas lauter und weniger elegant von der Lehne auf die Tischplatte gesprungen war, sich nicht mehr fort gewandt. „Bitte ich euch um Obdach in diesen Haus, bis ich Gewissheit habe, kein Unglück, welcherlei Art auch immer, über diese Schwelle getragen zu haben.“


    Rau ist Erles Stimme, krächzend und fiebrig heiß scheint ihm die Stirn zu glühen. Aber nach einer solchen Nacht, muss das ja nichts bedeuten, wäre alles Andere vielmehr ein Wunder. „Ich kann Euch aber garantieren, dass ich, was auch immer ich hier hereingetragen habe, auch wieder bannen kann, so wahr mir Anira aus dem hohen Haus Nacht helfe. Darum, gute Frau, bitte ich Euch um Obdach für drei Tage und drei Nächte, bis … ich den Roten Tod verbannt weiß und eine Lungenentzündung wegen dieser brsssithik-tak Nacht auch zurück gedrängt weiß.“ Und wieder schüttelt ihn ein kräftiger Husten durch – was aber ob seiner jüngsten Erlebnisse nichts zu bedeuten haben muss. „Und …“ Erle beißt sich auf die Zunge, verkneift sich die Frage, die so unziemlich wäre, wie wenn die Dame vor ihm, ihn mehr entkleidet hätte, als sie es getan hatte. Sie hatte sich zurück gehalten, also will auch Erle sich zurück halten. Und doch huscht sein Blick immer wieder zu den ungewöhnlichen Ohren dieser Langbeinfrau vor ihm. War es ein Fluch, eine Strafe der Götter vielleicht gar? Ich werde mich in meinen Heilerpflichten nicht beeinflussen lassen von Alter, Krankheit, Schwachsinn, Glaube, Herkunft, Stand oder Rasse. Ja, selbst wenn, so darf es doch keinen Unterschied für ihn bedeuten. Das Wohl der Leidenden, Kranken und Verwundeten in meiner Obhut soll das oberste Gebot meines Handelns sein. Ich werde alle mir anvertrauten Geheimnisse auch über den Tod hinaus wahren. Rein und nach den Geboten der Götter werde ich mein Leben und meine Kunst bewahren. In alle Häuser, in die ich komme, werde ich zum Nutzen der Kranken hineingehen, ohne Gedanken an Unrecht und Übeltat.

    Kindness is like snow. It beautifies everything it covers.” (Kahlil Gibran)

    2 Mal editiert, zuletzt von Erle ()

  • Ein paar Tage nach Jul 521



    Die Position auf dem Holzstuhl ist doch nicht die Bequemste gewesen und so hat Lyall es sich über die Zeit mit dem Kopf auf der Tischplatte gemütlich gemacht. Oder so gemütlich, wie es eben in dieser Position sein kann. Der tiefe Schlaf bleibt ihr auch dieses Mal verwehrt und das feine, andersweltliche Gespinst der Träume will sich nicht über sie legen, und so schwebt ihr Geist in einem körperlosen Zwischenzustand dahin. Doch auch durch diesen Schleier hindurch nimmt sie das flüsternde Zischen und Knacken des vom Feuer allmählich verzehrten Holz dumpf wahr; das gemächliche Blubbern des Wassers im Kessel als auch ihr eigener ruhiger Atem scheinen von weit weg zu kommen. Ihr feinstoffliches Ich ist durch einem dünnen Faden mit ihrem Körper verbunden, spürt diese weltliche Last aber nur minimal. Es treibt vor sich hin, ohne Träume, aber auch ohne Gedanken an die Strapazen der letzten Monde.

    Das es das erste Mal seit langer Zeit ist, dass sie relativ ungestört von Alpträumen oder Gedankenkarussellen zumindest ruhen kann, und dies offenbar auch an des kleinen Anirans Berührung liegt, ist Lyall nicht bewusst. Und so kann sie sich zumindest in der kurzen Zeit entspannen, bis ihr Gast aufwacht und ihre Ohren neue Geräusche zu ihr in den körperlosen Raum senden. Leise sind sie, wie das Flüstern von Stoff, leichtfüßige Schritte und dann eine belegte Stimme, die nur allmählich kraftvoller wird. Ihre Wolfsohren fangen jedes Wort deutlich ein, doch es dauert ein paar Herzschläge, bis sich der feine Faden zu spannen beginnt und ihren Geist zurück in ihren physischen Körper sowie das Hier und Jetzt holt.

    Die eben vernommenen Worte, wenn auch mit kratzig brechender Stimme gesprochen, setzt ihr Gehirn gerade wieder zu verständlichen Sätzen zusammen, während das Gefühl in ihre Glieder zurückkehrt und sie sich recken und strecken möchte. Im letzten Moment erinnert sie sich daran, dass der kleine Herr woh recht nah vor ihr sitzen muss und sie ein ausgiebiges Armbalett unterlässt und stattdessen nur langsam den Kopf dreht, ihn aus verschlafen wirkenden Augen anblickt, bevor sie sich wieder ordentlich auf den Stuhl setzt. Gut sieht ihr Gast nicht aus, kränklich blass eher und es verwirrt die Wargin ihn vollständig angezogen und mit Gepäck vor sich schwankend stehen zu sehen. Seine Augen sind weiterhin fiebrig und er sieht wirklich aus, als würde er gerade wieder ins Bett gescheucht gehören.

    Doch was hat er eben von sich gegeben?

    Die Maus ist am Roten Tod verendet und er möchte die Krankheit nicht mit hierher bringen?

    Und... er ist ein...Aniran?

    Unbewusst fasst sie sich ins Gesicht und streicht mit den Fingern über ihre Wange. Tatsächlich, die Wunde ist so gut wie verschwunden, nur eine minimale Erhebung können ihre Fingerspitzen noch ertasten.

    Vorsichtig räuspert sie sich, um ihn nicht zu erschrecken und spricht dann sanft: „Natürlich könnt ihr hier bleiben, werter Herr. Solange, bis es euch besser geht. Ich werde auch versuchen eine bessere Bettstatt zu organisieren, als diese dort.“ Mit einer flüchtigen Handbewegung weist sie auf das Körbchen sowie das Tuch hin, wobei sie auch erneut dem Kessel gewahr wird. “Aber verkühlt euch nicht. Vielleicht solltet ihr doch wieder unter das Tuch kriechen, bis der Tee bereit ist? Ich werde uns einen Thymian-Salbei-Tee zubereiten. Schmeckt nicht besonders gut, aber hilft wie ihr ja wisst.“ Um beider Anspannung ein bisschen zu mildern zwinkert sie ihm zu, geht zum Kessel herüber und nimmt diesen vom Dreibein. Leider hat sie so lange gedöst, dass nur noch weniger als die Hälfte des eingefüllten Wassers vorhanden ist, aber für eine Tasse sowie einen Fingerhut voll sollte es noch reichen. „Und macht euch keine Sorgen, wegen der Roten Seuche. Die letzte Ansteckung ist ja nun schon etwas her und wer weiß seit wann die Maus schon dort unten lag.“ Sie vermeitet ihm darzulegen, dass die Rote Seuche mehr als präsent im Anwesen gewesen ist, denn sie möchte die emotionalen Wunden im Moment nicht weiter aufreißen. „Und da ihr ja ein Aniran seid, mache ich mir keine Sorgen. Schließlich habt ihr ja auch meine Wange geheilt. Vielen Dank dafür!“, lächeld dreht sie sich kurz zu ihm um, während sie kleingebröselte Kräuterteile in ein Leinensäckchen füllt, in eine Kanne hängt und mit heißem Wasser aufgießt, bevor sie erneut an den Tisch tritt und sich setzt. Kritisch beäugt sie den Mann und setzt an: „Ihr gefallt mir gar nicht. Ihr müsst euch wieder in`s Bett legen. Wie kann ich euch dieses angenehmer gestalten? Und ich habe erst mit dem Gedanken gespielt, euch in meine Kammer zu nehmen, aber hier ist es wärmer. Das wird euch gut tun.“ Sie versucht sich etwas weiter herunter zu beugen, um mehr auf seiner Augenhöhe zu sein, aber ohne ihn ungewollt ihrem Atemsturm auszusetzen. „Wie darf ich euch eigentlich nennen? Mein Name ist Lyall. Möchtet ihr auch noch etwas zu Essen haben?“ Weitere Fragen bilden sich in ihrem Kopf, aber später wird noch genug Zeit sein darüber zu sprechen.

    'Er, excuse me,' said the man as Nanny Ogg turned away, 'but what is that on your shoulders?'
    '
    It's. . . a fur collar,' said Nanny.
    'Excuse me, but I just saw it flick it's tail.'
    'Yes. I happen to believe in beauty without cruelty.'

    Terry Pratchett

  • „Natürlich könnt ihr hier bleiben, werter Herr. Solange, bis es euch besser geht. Ich werde auch versuchen eine bessere Bettstatt zu organisieren, als diese dort.“ Erle, der sich, als die Frau vor ihm erwachte, hastig erhoben hatte und ein paar Schritte zurück getaumelt war, hatte es doch einen Augenblick lang so ausgeschaut, als wollte sie Ihre Arme, wie eine erwachende Katze ihre Pfoten, wohlig von sich strecken, was ihn dann mit Sicherheit unschön von seinem Sitzplatz gefegt hätte, wischt den Verweis auf einen besseren Schlafplatz mit einem grinsenden „Ich mag den Geruch frischen Brotes!“ beiseite, doch auf die sich anschließenden Worte seiner Lebensretterin hin verdunkeln sich seine Züge: “Aber verkühlt euch nicht. Vielleicht solltet ihr doch wieder unter das Tuch kriechen, bis der Tee bereit ist? Ich werde uns einen Thymian-Salbei-Tee zubereiten. Schmeckt nicht besonders gut, aber hilft wie ihr ja wisst.“ Erle nickt, sind die Worte doch genau das, was er an einen Patienten auch herangetragen hätte. Mit einer Agilität, die – solche zumindest, denen die Fírbergan kein Begriff sind – reichlicherstaunen mag, springt Erle von der Tischplatte auf die Sitzfläche eines Schemels und von dort zu Boden. Ein Mensch, der im Vergleich zur eigenen Körpergröße ähnliches versuchen wollte, müsste dafür von einem mehrgeschossigen Haus wohl springen und würde sich dabei so manchen Knochen vermutlich brechen. Doch dem kleinen Fingerling scheint diese Fortbewegung so leicht von der Hand zu gehen, wie etwa einer, von der Größe her ja vergleichbaren, Maus, bei der solche Sprünge ja auch kaum wen groß verwundern würden. An der Seite der Frau, die sich erhebt, den Kessel für den verheißenen Tee vom Feuer zu nehmen, huscht Erle über den Boden zu dem beim Feuer stehenden Brotkorb, legt sich aber nicht wieder dort hinein, sondern greift sich die Decke, oder besser gesagt das trockene, als solche wohl fungiert habende Spültuch, wickelt sich darin ein um dann, wieder im Schneidersitz, an der rechten Seite des Kamins sich niederzulassen, dass das Feuer von der einen Seite, sowie die steinerne Begrenzung der Feuerstelle von der anderen Seite die Wärme auf ihn abstrahlen. Das Feuer direkt, die Steine, durch das Abstrahlen der zuvor darin gespeicherten Wärme.


    „Unter normalen Umständen wäre ich in meinem Zustand nicht aufgestanden. Unter normale Umständen aber … Erle blickt lange und ernst auf die sich dem Wasserkessel widmende Gestalt. „Ich zeige mich euch Großen eigentlich nicht. Darum wollte ich gehen, hoffend, das Ihr mich morgen früh für einen wirren Traum nur gehalten hättet. Aber normal … Ihr habt mir das Leben gerettet!“ Eine Hand vor die Brust legend, deutet Erle eine tiefe Verbeugung an, ohne sich indes aus seinem Schneidersitz zu erheben. Eine Geste, die man hierzulande vermutlich eher selten sieht, die er jedoch von seinen Eltern so übernommen hatte. „Aber es ist gefährlich, für jemanden wie mich, in einer Welt der Riesen zu leben. Nach Möglichkeit gar nicht erst gesehen zu werden ist da immer noch die beste Lebensversicherung. Doch mit der durch den Roten Tod verendeten Maus dort draußen und der zfwyrbickxihretten Eule dort draußen, dem Erfrierungstod, vor dem Ihr mich im letzten Moment bewahrt habt … ich bin übrigens der Erle … ich hatte mich angekleidet um wie ein vergessener Traum zu verschwinden, mich dann aber doch noch eines Besserenbesonnen. Aber-“, hier schüttelt den Kleinen dann doch wieder ein heftiger Husten durch, der sich anschließend mehrfach räuspern muss, seine Stimme wiederzufinden. „Dürfte ich Euch darum bitten, meine Anwesenheit niemand anderem in diesem Haushalt zu verraten? Oder würde Euch das Ärger einbringen, was ich natürlich auch nicht zulassen könnte?!“


    Dankbar nimmt Erle den Fingerhut fertigen Tees schließlich entgegen, den er, da der aus Metall gefertigt ist, vorsorglich mit behandschuhten Fingern ergreift, sich nicht daran zu verbrennen. Nur kurz den Duft und Geschmack prüfend, hätte dieses seltsame Wesen vor ihm böses im Sinne, säße er schon längst nicht mehr so unversehrt hier am Feuer, nimmt Erle vorsichtig mehrere kleine Schlucke, sich nicht an dem Getränk zu verbrühen. „Ah – danke!“ Müde lehnt er sich, noch immer in das zweckentfremdete Spültuch gewickelt, an den heißen Stein, schließt wohlig die Augen, nimmt einen weiteren vorsichtigen Schluck. „Das verdammte Drecksviech wollte mich wirklich mit Haut und Haaren verschlingen!“ Beinahe scheint es, als wenn Erle jetzt erst und langsam, Stück für Stück, zu realisieren beginnt, wie haarscharf er heute dem Tod von der Schippe gesprungen war. „Heute noch nicht, Kyrom, alter Freund … heute noch nicht!“ Und wie zu einem stummen Tost hebt Erle den, mit beiden Händen umfassten, Fingerhut empor, ehe er die Augen schließlich wieder öffnet und wieder zu seiner Lebensretterin blickt. „Danke!“

    Kindness is like snow. It beautifies everything it covers.” (Kahlil Gibran)

  • Ein paar Tage nach Jul 521



    Sie kennt die Geste der auf die Brust gelegten Faust und schmunzelt. Waldkinder und sein Volk scheinen die selben Gestiken zu nutzen, dabei könnten sie nicht unterschiedlicher sein. Der eine groß, der andere klein; eine Heimat der dichte Wald und bei ihm wohl die Stadt. Wie lange sie diese Geste nicht mehr selbst gebraucht hat… es mag schon ein paar Zwölfmonde her sein. Mittlerweile hat sie sich an das Händeschütteln und Umarmen gewöhnt, welche hier zu den Gepflogenheiten gehören.

    Gespannt lauscht sie seinen Ausführungen und kann die Nervosität fast körperlich spüren, welche er bei den Worten „euch Großen“ wohl empfinden muss. Sie rückt daher noch ein klein wenig mehr von ihm ab, um ihn ihre Größe nicht so sehr spüren zu lassen.

    „Seid unbesorgt, Herr Erle. Hier kennen und schätzen wir auch die kleinen Wesen. Ein Irrlicht nennt dieses Anwesen schon sehr lange sein Zuhause, auch Feen waren schon zu Gast und wir wissen gut um die Probleme, welche wir Großen für die kleinen Völker aufwerfen können. In diesem Hause leben noch Lady Aurian sowie Avila, die oberste Magd. Alle herzenzgute Menschen… ähm beziehungsweise auch eine Halbelbe… Die Lady hat das besagte Irrlicht vor lange Zeit ebenso gerettet. Aus den Klauen eines Magiers, wie ich meine mich erinnern zu können. Ich kann daher für eure Sicherheit garantieren. Hier muss weder Elb, Mensch, Tier noch jedes sonstige Wesen etwas befürchten. Wenn es euch jedoch lieber ist, bleibt eure Anwesenheit natürlich geheim. Ärger würde mir dies nicht einbringen, aber eigentlich habe ich vor meinen Freundinnen keine Geheimnisse, da dies nie nötig war. Allerdings kann ich euch wohl dann am besten helfen, wenn meine Freudinnen ebenso von euch erfahren dürften. Denn Lady Aurian ist magiebegabt und Avila weiß noch viel mehr über Heilkräuter, als ich. Daher könnte euch dies nur zum Vorteil sein.“, sagt sie an den kleinen Herren gewandt, während sie ihre Tasse ebenso wie er seinen Fingerhut an ihren Mund führt und vorsichtig einen Schluck des heißen Tees nimmt. Die Tasse wärmt ihre kalten Finger zunächst angenehm, dann jedoch muss sie das Geschirrstück auf dem Tisch abstellen, da die Hitze über die Zeit unangenehm auf der Haut ihrer Finger zu brennen beginnt.

    „Ich weiß, dass meine Worte noch nicht sehr viel Gewicht haben, da wir uns erst so kurz kennen. Aber ich bürge dafür, dass ihr hier in vollkommener Sicherheit seid.“ Sie beäugt seine kleine Gestalt, die sich am Feuer wärmend im Stoff des Tuches eingemummelt hat, freundlich offen und mit einer Spur Neugierde, als er sich über die Eule beschwert und ihr abermals für seine Rettung dankt, welche sie mit einem leichten Kopfneigen quittiert.

    „Keine Ursache, Herr Erle. Hauptsache ihr seid mit recht heiler Haut aus der Sache herausgekommen und werdet mir hier nicht weiter krank. Doch… warum wart ihr in diesem Loch? Eure Kleider machen nicht den Anschein, als würdet ihr normalerweise unter der Erde leben, gar als Nachbarn der Mäuse? Auch wenn die Eule euch für ebensolche gehalten haben mag. Verzeiht mir die allzu direkte Frage aber, welchem Volk gehört ihr an? Da ihr keine Flügel habt nehme ich an, dass ihr weder Fee noch Irrlich seid. Oder doch? Und Ealara hat euch einfach nur… anders gemacht?“ Um ihre Worte zu verdeutlichen streicht sie mit beiden Händen über ihre pelzigen Ohren.

    'Er, excuse me,' said the man as Nanny Ogg turned away, 'but what is that on your shoulders?'
    '
    It's. . . a fur collar,' said Nanny.
    'Excuse me, but I just saw it flick it's tail.'
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    Terry Pratchett

    Einmal editiert, zuletzt von Lyall ()

  • „„Seid unbesorgt, Herr Erle. Hier kennen und schätzen wir auch die kleinen Wesen. Ein Irrlicht nennt …“ Die Worte rollen wie eine leichte Brandung am Meeresstrand über ihn hinweg. Er vernimmt sie, nickt hier oder da, mit geschlossenen Augen sich an dem Fingerhut festhalten, oder einen nun kräftigeren Schluck des Tees sich gelegentlich gönnend, nachdem dieser nun nicht mehr brühend heiß ist. Und immer wieder hustet der kleine Mann sich gefühlt die Seele aus dem L-, nein! Über Seelenlosigkeit spottet man besser nicht! — »Male Dämonen lieber nicht an die Wand«, tadelt ihn seine Ma’ noch heute hastig, wenn sie ihn die Seelenlosen gar zu leichtfertig in seiner Rede anführen hört. »… auf das du sie nicht herbeirufst!« „… Lady Aurian ist magiebegabt und Avila weiß noch viel mehr über Heilkräuter, als ich. Daher könnte euch dies nur zum Vorteil sein.“ Wie? Was? Die Fragen stehen dem Fírbergan wie ins Gesicht geschrieben und vielleicht gönnt ihm seine Lebensretterin ja darum einige Momente, das soeben Gehörte, von seinen abgeschweift seienden Gedanken zu trennen, sich zu sortieren. Dankbar nimmt Erle diesen Moment an, beugt sich vor und über den noch immer dampfenden Tee. „Ich weiß, dass meine Worte noch nicht sehr viel Gewicht haben, da wir uns erst so kurz kennen. Aber ich bürge dafür, dass ihr hier in vollkommener Sicherheit seid.“ Erle blickt kurz auf und der Großen entgegen und nickt dann schließlich stumm. Wenn Ihr ihnen vertraut, will ich es auch so halten, bin ich doch nur ein, gar ungeladener, Gast hier … in Eurem Haus!


    „Verzeiht mir die allzu direkte Frage aber, welchem Volk gehört ihr an? Da ihr keine Flügel habt nehme ich an, dass ihr weder Fee noch Irrlich seid. Oder doch? Und Ealara hat euch einfach nur… anders gemacht?“ Erst jetzt begreift Erle, das die Ohren seines Gegenübers kein Zeichen seines Fieberwahns sind. Und dennoch: Vertraue den Langbeinen nicht, oder du landest früher oder später unter deren Sohlen. Als wäre sein Pa gerade neben ihm gestanden, so klar und deutlich vernimmt Erle dessen ruhige aber mahnende Stimme … im Geiste. — „Wenn ich sagte, als kleiner Junge sehr grausam zu den Tieren um mich her gewesen zu sein und zur Strafe dafür von einem das beobachtet habenden Kobold verzaubert worden zu sein, auf das ich der Tiere Sprache fortan verstünde und aber nicht mehr die Größ- ich meine Länge besäße, diese zu schikanieren … würdet ihr mir das glauben?“ Höflicher kann ich der Frage kaum noch ausweichen, ohne geradeheraus zu lügen, hm? „Aber“, fährt Erle daraufhin, den leeren Fingerhut beiseite legend, fort: „Ich lebe nicht bei den Mäusen, nein. Kam von einem Patientenbesuch, blieb etwas zu lange, da die Elbendame Clair von Harfen- und Flötenspiel begleitet, ihren Gesang zum Besten dort auch gab … was für eine Stimme! … Habe das Vergehen der Zeit darob verpasst und den Hunger der Nachtvögel unterschätzt. Das Mäuseloch war die einzige Deckung, nach langer Flucht, die ich finden konnte und … und beinahe wäre es zu meiner Ende dort gekommen. …


    Nein, ich wohne in keinem Mäuseloch … und muss so schnell hoffentlich auch keines wieder betreten.“ Schaudernd wickelt sich Erle fester in seine Decke, möchte am liebsten die Augen schließen und einfach einschlafen und kneift sich zugleich unter der Decke aber kräftig in den Arm, denn: Was wenn das alles hier ein Traum nur ist und ich immer noch im Mäuseloch im Fieberwahn gerade sterbe? „Au!“ Na gut, vielleicht doch kein Traum.

    Kindness is like snow. It beautifies everything it covers.” (Kahlil Gibran)

    Einmal editiert, zuletzt von Erle ()

  • Ein paar Tage nach Jul 521




    Auf seine Antwort, weiß Lyall zuerst nichts zu erwidern. Stumm dreht sie die Tasse in den Händen und merkt weder die unangenehmer werdende Wärme noch erinnert sie sich, dass sie eigentlich hatte einen weiteren Schluck nehmen wollen.

    Der Tonfall der gesprochenen Worte lässt sie zwar an deren Wahrheit zweifeln (es klingt eher, als wolle er ihr keine direkte Antwort geben, was der Wargin auch Recht sein soll. Schließlich sind sich beide zu nichts verpflichtet.), aber sollte an dem Teil der Tierquälerei auch nur ein Fünkchen Wahrheit sein… nun, er mochte seine Lektion mittlerweile gelernt haben. Aber dieser Ausspruch kippt leicht die gefühlsmäßige Neutralität ihm gegenüber zu einer distanzierteren Haltung. Und wenn es auch nur ein Quäntchen ist. Die Wargin ist diesem Thema gegenüber nicht sehr nachgiebig. Sollte er (selbst als kleiner „dummer“ Junge…) tatsächlich Tiere gequält haben, so wäre dies für eine zukünftig vielleicht eintretende Freundschaft eher nachteilig.


    Sie lässt seine Antwort daher vorerst unkommentiert und schluckt die für sie schwerlich nachzuvollziehenden Worte herunter. Beide sind müde und erschöpft. Sie will keine zu voreilig gezogenen Schlüsse ihr Handeln und seine Be-Handlung beeinträchtigen lassen. Vielleicht hat er auch gelogen. Lass es gut sein. Vielleicht spricht das Fieber aus ihm.

    Um die Worte besser herunterzubekommen leert sie ihren Becher in einem großen Zug und hört dem weiteren Monolog des Gastes zu, während ihr Kopf schon dabei ist sein Nachtlager zu planen. Denn das Adrenalin ebbt immer mehr ab und auch wenn sie wieder nicht wird schlafen können: sie will einfach nur zurück in ihr Bett.

    Es überrascht sie jedoch, dass er eine Elbin nennt… also eine von den Großen… und, dass er auf einem Patientenbesuch war. Sollte er nur die großen Völker behandeln ist es kein Wunder, dass er so entkräftet ist. Ob in ihm solch eine Macht wohnt, dass er zwar auch Menschen wie sie behandeln kann, aber eben nicht oft? Sie würde ihn dies fragen. Aber morgen und nicht mehr heute, denn sie kann sehen, wie er mit dem Schlaf ringt, der ihn zu überwältigen droht.


    „Zumindest nicht heute.“, antwortet Lyall. „Heute nächtigt ihr unter diesem Dach. Aber nicht hier in der Küche. Dort kann ich euch nicht helfen, falls es euch widererwarten schlechter gehen sollte. Ich würde euch in meine Kammer mitnehmen. Keine Sorge, ihr werdet separat schlafen.“, fügt sie amüsiert hinzu, als sie seine ungläubig oder vor Angst weiten Augen sieht. „Lasst mich eben etwas herrichten...“ Langsam steht die Wargin auf und beginnt in der Küche als auch im Vorratskeller, nach den Dingen, die sie meint zu benötigen, herumzustöbern.

    In der Hand trägt sie bei ihrer Rückkehr sowohl eine Obstkiste, darin ein Holzbrettchen als auch eine metallene Bettpfanne.

    Aus einer der Schränke zieht Lyall ein sauberes Geschirrtuch und beginnt mit ihrem Gast zu sprechen, denn sie möchte ihn noch nicht in die Traumwelt entlassen, ohne sich seiner Zustimmung zu dem Unterfangen sicher zu sein.

    „Ich werde euch eine Art „kleinen Raum“ zusammenstellen. Denn in meiner Kammer wird es nicht so warm sein, wie hier. Seht, die kleine Bettpfanne werde ich mit dem Rest der Glut befüllen und auf dem Holzbrettchen in die Kiste stellen. Da hinein kommt auch noch eure nun… Bettstatt. Darüber ein Tuch, damit die Wärme nicht so schnell entweichen kann.“ Während sie ihm ihre Absichten erklärt, tut sie eben dies gesagte, sodass sie am Ende ihres Satzes eben jene so ausgestattete Kiste auf dem Tisch vor ihm bereitstellt.

    „Nun müsst ihr nur noch entscheiden. Alleine hineinkrabbeln oder mit meiner Hilfe? Und keine Sorge, ihr könnt euch jederzeit umentscheiden, besagte Kiste verlassen und gehen. Doch in der Küche möchte ich euch, wie eben gesagt, ungerne lassen.“, sagt sie freundlich und streckt ihm eine Hand entgegen, so als wollte sie die Bettstatt inklusive ihm in die Kiste bugsieren, hält jedoch kurz vor ihm inne. Er soll merken, dass es wirklich seine alleinige Entscheidung ist.

    „Um eure Kleidung müsst ihr euch nicht sorgen. Auf den warmen Steinen wird sie bis morgen sicher trocken.“

    'Er, excuse me,' said the man as Nanny Ogg turned away, 'but what is that on your shoulders?'
    '
    It's. . . a fur collar,' said Nanny.
    'Excuse me, but I just saw it flick it's tail.'
    'Yes. I happen to believe in beauty without cruelty.'

    Terry Pratchett

  • Erle merkt deutlich, dass die Haltung der … ja, was ist sie nun eigentlich … ein Mensch? Aber egal was sie ist, ihre Haltung wirkt mit einem mal verschlossener. Nein, nicht wirklich feindselig, aber … Nein! Morgen, dass zu klären muss bis morgen warten!“ Die Bewegung, mit der sie den Becher leert, hat jedoch so etwas abschließendes, das Erle einen Moment lang erwartet, dass sie ihn vor die Tür nun setzt. Statt dessen aber, und der noch immer unterkühlt sich fühlende wie den Schock noch keineswegs verarbeitet habende Teil seiner selbst ist dankbar, nicht wieder in die Nachteskälte hinausgeschickt zu werden … er kann hier nächtigen, aber nicht in der Küche. Sehnsuchtsvoll wandert Erles Blick bei diesen Worten zu dem Herdfeuer zurück. „… Dort kann ich euch nicht helfen, falls es euch widererwarten schlechter gehen sollte.“ Erle legt den Kopf ob dieser Worte schief, die eins zu eins so hätten von ihm kommen können, wäre er gerade Heiler statt zu Heilender denn gewesen. „Ihr … seid auch Heilerin?“ Das Erstaunen, eine Heilerin eventuell auch vor sich zu haben, deutet Lyall allerdings offenbar solcherart, dass sie schmunzelnd ergänzte, dass er wohl alleine schlafen würde. Ja, was sollte eine Große wie sie mit einem Fírbergan wie ihm schon amouröses anstellen wollen? Erle lachte hell auf und tatsächlich ist dies der erste sowohl unverkrampfte, als auch vollends aufrichtige Laut, den er von sich gibt. Alle lebenslange Vorsicht scheint von ihm abzufallen. Oder ist es nur die unbeschreibliche Erschöpfung, die ihn schließlich alle Vorsicht vergessen lässt? Als Lyall endlich aus einem Vorratskeller wieder zurückkehrt, deren Kälte schon beim Öffnen der Tür bedrohlich zu Erle herüber geweht war, findet sie ihn neben dem niedergebrannten Kaminfeuer hockend, die, der letzten Glut beinahe gierig entgegen gestreckten Hände, dabei wärmesuchend aneinander reibend.


    Beinahe erinnert ihn das Arrangement, das Lyall da für ihn erstellt hat, an sein Heimstatt unter der Fensterbank in Emmets Haus. Als sie ihm dann noch hilfreich die Hand entgegenstreckt und dann aber respektvoll inne hält, wie um sein Einverständnis zu erfragen, fängt Erle mit einem mal an zu zittern, als läge er noch immer im eisigen Mäuseloch und und in den letzten Todeskrämpfen. Dankbar nickt Erle, tut einen ersten Schritt nach vorne und lächelt … als er feuchte Wärme an seinen Wangen herab rinnen spürt. Tränen? Ungläubig hebt er die Linke an sein Gesicht, wischt darüber und starrt, fast schon ungläubig, auf die tatsächlich tränenfeuchte Handfläche! Noch immer das Lächeln auf den Lippen blickt er zu Lyall hinauf. „Der Schock scheint vorüber. Ich…“ Den dritten schwankenden Schritt zu Lyall hin kann er nicht mehr auffangen. Einzig ihre schnelle Reaktion verhindert einen Sturz. „Alles gut! Nur schlafen! Und … Lyall? … Danke!“ Leise, beinahe sirrend kommen ihm die letzten Worte nur über die Lippen und nur ein ausgesprochen gutes Gehör mag den letzten Dank des erschöpften Fingerlings noch vernehmen. Der winzig kleine Rucksack, den Erle bisher zu keiner Zeit aus seinen Augen gelassen hatte, liegt nun allerdings auf halbem Weg zwischen der Feuerstelle und Lyall. Das einzige aber, was Erle noch in den Sinn kommt, ist es, nun nicht länger von der warmen Hand Lyalls umschlossen, so rasch als möglich unter die Decke seiner provisorischen Schlafstatt zu kriechen.


    Seine Augen bleiben jedoch geöffnet und das Zittern seiner Glieder lässt langsam wieder nach. Die winzig kleinen Reflektionen in Höhe seiner Augen zeigen indes, dass er nicht erneut von Schlaf oder Ohnmacht überwältigt ist. Aber nun, da der Schock, wenn sie seinen Worten Glauben schenken mag, abgeklungen ist und die letzten Reste Adrenalins verbrannt scheinen, sieht es so aus, als wenn er nun, die nächsten Stunden keinen einzigen Finger mehr rühren mag. Dankbar sieht er zu der in der Pfanne neben seiner Schlafstatt liegenden Glut hinüber und als Lyall, noch bevor sie das Tuch, wie angekündigt, über die Kiste breitet, ihm den kleinen Rucksack an das Kopfende seiner provisorischen Schlafstatt legt, vernimmt sie noch ein leises dankbares Seufzen, ehe sich das Tuch über die Kiste breitet. Von dem Weg in die Kammer Lyalls bekommt Erle nur das sanfte Schwanken der Kiste mit, die schließlich vorsichtig auf einer hölzernen Unterlage platziert wird. Unbemerkt von diesem übermannt der Schlaf Erle dann doch noch einmal. Durch ein geschlossenes Fenster heult fern und unbedrohlich der Nachtwind wütend um das Haus und begleitet den kleinen Fírbergan in Träume voller wütender Eulen, feiernder Elfen, wolfköpfiger Frauen und seinen ihn, ob seiner Leichtfertigkeit tadelnder Eltern …

    Kindness is like snow. It beautifies everything it covers.” (Kahlil Gibran)

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