~ Die Roten Jahre ~
Winter 519 bis Winter 521 d5Z
The storms from the gods make us
Perish with hunger
Starvation and drought
Are unleashed on this earth
Reap what you sow
From your gree and our treasures
Far more than we need
Now far more than we're worth
(Judas Priest, Pestilence & Plague)
Cinaéd hat es auf seinem Hof kaum leichter als Aurian auf ihrem Anwesen in der Stadt. Die Rote Seuche meidet ihn, als Elb scheint er halbwegs immun gegen die Krankheit zu sein, aber der Schafzüchter lebt in ständiger Sorge um Lyall, das Gesinde auf seinem Hof und Freunde und Bekannte in Stadt und Umland. Das Leben wie man es bisher auf Glyn-y-Defaid, Talyra und den gesamten Herzlanden kannte existiert nicht mehr. Überall herrschen Angst und Vorsicht. Maskenpflicht und Abstandsregeln werden eingeführt, Kontaktbeschränkungen und -sperren werden ausgesprochen, Versammlungsverbote erteilt, kurzum, das gesamte öffentliche Leben kommt weitestgehend zum Erliegen.
Auf Gly-y-Defaid gibt es keine Toten zu beklagen, aber die Seuche hinterlässt dennoch ihre Spuren, denn selbst Genesene leiden oft noch Siebentage oder gar Monde später an den Folgen ihrer Erkrankung. Arbeiten bleiben liegen, weil nicht genug helfende Hände zur Verfügung stehen um sie zu erledigen. Vor allem während der Erntezeit stehen die Dinge schlimm und sind mit schweren Verlusten verbunden. Vor allem die Notschlachtungen lassen das Herz des Schafzüchters bluten, auch Monde später noch, wenn er daran zurückdenken muss. Immerhin, und das ist zumindest ein schwacher Trost, kann die Not anderer dadurch gelindert werden, auch wenn das gespendete Fleisch, die Wolle und Felle nur ein Tropfen auf den heißen Stein dargestellt haben.
Und Cinaéd kann sich, trotz seiner vergleichsweise längeren Lebensspanne, nicht entsinnen je zuvor so viel Tod und Elend auf einmal miterlebt zu haben. Ein Heilmittel kann zwar irgendwann gefunden werden und die Anirani der Stadt tuen selbstredend alles in ihren Mächten liegende, aber die Seuche hat, gerade auch in der Anfangszeit so sehr um sich gegriffen, dass für viele trotz aller Bemühungen einfach jede Hilfe zu spät kommt. Und so hilft Cinaéd schließlich dort, wo der Weg auf Rohas weitem Rund für diese armen Seelen endet—auf dem Sithech-Acker. Er kann nicht heilen, kann keine wohlgesetzten Worte des Trostes finden um den Schmerz zu lindern oder gar Hoffnung zu säen, aber er hat Kraft und zwei gesunde Arme die mit Schaufel und Sparten umzugehen verstehen. Soviel kann er immerhin tun. Und so sorgt der Elb ein ums andere Mal dafür dass die Toten in Würde zur letzten Ruhe gebettet werden. Eine Aufgabe, die ihn oft an den Rand seiner eigenen Kräfte treibt, denn nicht immer sind es Unbekannte, die er in die geweihte Erde hinablässt.
Die Silbersträhnen im roten Haar des Elben nehmen in diesen Tagen merklich zu und das fröhliche unbekümmerte Lachen hat die Seuche lange schon von seinem Gesicht vertrieben. Und auch die erneute räumliche Trennung von Lyall hat ihre Spuren hinterlassen. Wie sehr hatten sie sich auf ihr gemeinsames Leben auf Glyn-y-Defaid gefreut? Alles war vorbereitet gewesen, Lyalls wenige Habseligkeiten hatten damals—es erscheint Cinaéd mittlerweile fast wie in einem anderen Leben—auf einem einzigen Handkarren Platz gefunden. Doch kaum dass sich die Drachenländerin auf dem Hof eingelebt hatte, hatte sie ihn auch schon wieder verlassen. Die Rote Seuche hatte Einzug in der Stadt und im talyrischen Umland gehalten und Lyall war überstürzt ins Anwesen de Winter zurückgekehrt um Aurian und den Kindern dort zur Seite zu stehen. Cinaéd hat ihr diese Entscheidung keine einzige Sekunde zum Vorwurf gemacht, denn genau dafür liebt er Lyall—ihr tiefes Mitgefühl für andere und ihre aufopfernde Bereitschaft zu helfen. Dennoch fällt es ihm schwer sie nicht an seiner Seite zu haben, gerade in diesen düsteren Zeiten.
Als erneut der Herbst Einzug hält und seit Blätterfall keine neuen Todesfälle mehr zu beklagen sind, die in direktem Zusammenhang mit der Seuche stehen, freundet sich der Elb daher, wie so viele andere, nur langsam mit dem Gedanken an, dass sie das Schlimmste endlich überstanden haben. Nebelmond und Langschnee kommen und mit ihnen kehrt jeden Tag wieder ein kleines bisschen mehr Normaliät in das Leben der talyrischen Bevölkerung ein.