„Wir müssen das einfach! Wir…“ Nein, nein und nein! Erinnerst du dich nicht, wie er beim letzten Mal ausges…“ „Aber… Be’Dunja ge… mmer schlechter! Wenn wir nicht… dann… sie…“ „Ja und wenn er plötzlich umfällt und… ihm endgültig zu viel… wen… du dann…“ Leise und kaum vernehmlich dringen die Satzfragmente der zwei, offenbar nahe des oberen Einstiegslochs streitenden Fírbergan, bis zu Erles Schlafplatz hinunter, der sich in einem ersten Impuls sein Kissen über den Kopf ziehen will um dann aber doch nur leise in dieses hinein zu seufzen und sich in der Dunkelheit flink zu waschen und anzukleiden, derweil die beiden Streithähne auf der Fensterbank über ihm weiter miteinander zanken. Seit Stunden schon schlaflos in den Federn liegend, kann er schließlich auch genauso gut einfach aufstehen. Fjorrill und Bersa, wenn er die Stimmen richtig erkannt hat, sind schließlich sicher nicht vollkommen grundlos in seinen Teil des Hauses gekommen und da die Atemnot Be’Dunjas auch nach der eigentlichen Erkrankungsphase geblieben war… ‘Kommt sofort zu mir, wenn es ihr schlechter geht’, hatte er bei seinem letzten Krankenbesuch verlangt, wissend, das Esra Gal die alte Heilerin ihr Bestes geben würde und man ihn nur rufen würde, wenn einzig ein Aniran noch etwas retten konnte – oder ihr das Sterben wenigstens doch etwas leichter machen mochte. Aus den Satzfragmenten schließt Erle schnell, dass es wohl nun an dem Einen oder dem Anderen wohl ist. Den Gürtel festziehend, wie den Rucksack von dort aufklaubend, wo er ihn in der vergangene Nacht hatte fallen lassen, klettert Erle müde die Strickleiter nach oben und schiebt die – ebenfalls als Astloch getarnte Deckenluke auf. „Und ICH sage di-, DA, DA SIEHST DU WAS DU – oh, entschuldige Erle – was du angerichtet hast, Bersa!“ Ob der erhobenen Stimme und seines formidablen Katers, dank der gestrigen Benebelung durch den umgeworfenen Glaskolben, hatte Erle nicht anders gekonnt, als sich mit schmerzverzerrter Mine die Ohren zuzuhalten. „Im Haus oder draußen?“, fragt er so leise, das die beiden Streitenden ihn gerade noch vernehmen können. „Dunja, ihr geht’s wieder schlechter. Aber das kann war-“ Erle macht eine wegwerfende Geste und ignoriert die weiteren Worte Fjorills, der es offensichtlich nur gut mit dem Aniran meint, dessen Augen von der Berührung mit dem Alkohol gestern noch dermaßen rot, geschwollen und empfindlich aussehen, als pfiffe Erle selbst schon auf dem letzten Loch. „Lass uns gehen.“ Bersa, nicht minder erschrocken auf Erles Erscheinen reagierend, denn Fjorill, gibt sich indes gefasster, als ihr Bruder, der – wie sie – wie eine Miniaturversion der in diesem Haushalt lebenden Mogbar ausschaut. Erle wissend, das man nicht nach ihm geschickt hätte, wenn es nicht ernst wäre, vergeudet keine weitere Zeit, ignoriert die Ratte mit dem Sattel, die man offenkundig für ihn mitgebracht hatte und springt so behende vom Mauervorsprung zu Mauervorsprung, bis zum Boden hinab, dass wohl selbst ein altersgrauer Buketin anerkennend darob sein Haupt schief gelegt hätte. „Ich reite keine gebrochenen Seelen, das wisst ihr genau – nicht für ungut, Wiskers!“ kommt er dem Einwand der Zwillinge zuvor. Ja, von Zeit zu Zeit sieht man auch ihn auf einem Tier reiten, doch sind dies immer frei lebende Geschöpfe, die ihn aus Gefälligkeit, Eigeninteresse oder aber auch einer alten Schuld wegen auf ihren Rücken tragen. Jene Geschöpfe, die die anderen Fírbergan zu Reittieren sich gemacht und – wie auch immer sie es selbst nennen mochten – auf die eine oder andere Weise dabei gebrochen hatten… Erle begegnet ihnen mit dem gleichen Respekt wie allen anderen auch, steigt aber nie auf deren Rücken, wenn er nicht der festen Überzeugung ist, dass sie selbst es so wollen und Wiskers hatte diesen Eindruck offenbar nicht in ihm geweckt. Schnell holen die Anderen, Wiskers sattellos neben ihnen her trabend, Erle ein, noch ehe er den kleinen Mauerspalt direkt neben die Treppe erreicht hat. Erle ist deutlich langsamer als die Anderen, obgleich er merklich Tempo zu machen versucht, während es durch die Zwischenböden unter der Decke, über altersdunkle Balken und an einer Stelle gar über eine Brücke aus Spinnenfäden geht. Das einer der Fírbergan es tatsächlich geschafft hat, eine große Radnetzspinne… aber er darf sich jetzt nicht ablenken lassen!
Die verlockenden Düfte aus der Mogbar-Küche unter Ihnen schließlich verraten, das sie beinahe am Ziel sind. Denn die Fírbergan-Behausung direkt unter dem Dach, sowie im Mauergefüge mittig über dem Kamin der unter ihnen befindlichen Langbein-Küche , ist ein stets warmer und zugleich doch auch luftiger und ausgesprochen anheimelnd eingerichteter Ort in den, früher oder später, alle schwerkranken oder alten Fírbergan dieses Hauses einkehren, wenn sie das Nahen Kyroms in ihren Knochen spüren. Die alte Heilerin, Esra Gal zuckt, wie auch die Zwillinge vor ihr, ob des beängstigenden Bildes zurück, welches Erle in seiner momentanen Verfasstheit abgibt, fängt sich dann aber rasch wieder. „Es geht zu Ende fürchte ich!“ Also keine letzte Rettungsaktion. Erles Mimik ist unbewegt, als er auf das bläulich verfärbte Gesicht der Sterbenden hernieder schaut. Er hat zu viele Tode in den letzten Monden erlebt, hier noch erwartbar emotional zu reagieren. Die angehörigen der alten Frau, ihre vielen Söhne, Töchter Enkel- und Urenkelkinder betrachten ihn hoffnungsvoll und die Sterbende indes voller Sorgen. Die junge Mika trägt gar, die Augen voller Tränen stolz die gestern geborene Ururenkelin Be’Dunjas an ihrer Brust. „Be’Dunja“ schluchzt sie, „Darf ich dir meine Tochter vorstellen Eba’Dunja haben wir sie – nach dir – benannt! Die Augen der Alten klären sich als Erle neben ihr niederkniet und ein leises Gebet an Anira und Nurm richtet, die Kraft ersterer in den Leib der Alten dabei leitend, dass ihr der letzte Gang nicht allzu schwer fallen möge. Und tatsächlich kehrt eine letzte Frische in ihre Züge zurück und vertreibt den zuvor darüber gelegen habenden dunklen Schatten. Danke! lächeln ihr Augen stumm an Erle gewandt, indes so tränenlos wie auch er! Sie wissen beide das dies nur das »wie« ihres Sterbens beeinflusst, nicht aber das »wann«. Und wo Erle schlicht unfähig ist, sich von der Trauer der anderen mittragen zu lassen, hat die alte Be’Dunja einfach schon all ihre Tränen vergossen und außerdem auch ein solch stolzes Alter inzwischen doch erreicht, da viele Kyroms Kommen nicht länger fürchten, sondern in freudiger Erwartung vielmehr sind, selbst nun endlich vor Sithech auch zu treten und – so die Zwölf es denn erlauben – all jene wiedertreffen zu dürfen, die vor ihnen schon die purpurnen Flüsse überquert hatten. „Es – freut mich – dich noch kennen-… lernen zu dürfen, kleine Eba’Dunja! Mö-… möge das Licht Shenrahs immer – über dir – leuch…“ Be’Dunjas Augen fallen schließlich zu und ein plötzliches tiefes Luftholen aus aberdutzenden Kehlen erschallt, während, von vielfachem Schluchzen begleitet, neue Tränen fließen. „Sie schläft nur.“ erklärt da die ruhige Stimme Erles und ein erleichtertes Seufzen weht darauf durch den Raum. „Aber ihr habt mich keinen Augenblick zu früh gerufen.“ Sonst hätte sie vermutlich nicht einmal mehr diese Worte noch von sich geben können. Erst drei Stunden später, in denen die alte Be’Dunja viel und tief, aber ruhig, schläft und sich in den ihr verbleibenden wachen Momenten von allen Angehörigen und Freunden noch zu verabschieden vermag, schließt sie schließlich endgültig ihre Augen. Das hoffentlich letzte – indirekte – Opfer der Roten Seuche, welches sie zu geschwächt zum Weiterleben zurückgelassen hatte. Als die Verwandten sich schließlich weinend in die Arme fallen und auch den Aniran in diesen Trost spendenden Reigen einzubeziehen versuchen, schlägt der indes regelrecht harsch die ihm in Trauer, wie Dankbarkeit entgegengestreckten Arme beiseite. „Er hat viel gegeben, beinahe zu viel. Er braucht Ruhe – jetzt!“, mischt sich da die gestrenge Stimme der, ihn die vergangenen Stunden mit kräftigenden Tees mitversorgt habende Esra Gal ein, ehe die Verstörung der Hinterbliebenen, ob seines Verhaltens, noch in echten Ärger umschlägt und tatsächlich umweht ihn dann ein vielfaches „Ja natürlich, ruh' dich aus, wir können dir auch noch später in Ruhe dafür danken, dass, dass du…“ Erle hört nicht weiter hin und stützt sich vielmehr dankbar auf die Schultern der alten Heilerin.
„Jungelchen“, tadelt indes auch diese ihn leise, während sie ihn über einen Dachbalken in die – zumindest in Fírbergan Maßstäben gerechnet – große Halle über der Mogbarspeisekammer führt. „An deinem Umgang mit Angehörigen musst du wirklich noch arbeiten.“ Auch ihre Augen funkeln zornig, ob seines harschen Verhaltens, denn auch sie hatte ihm danken wollen, dass er ihrer alten Freundin aus Kindheitstagen, das Sterben so leicht gemacht hatte. Doch kennt sie seine diesbezügliche Schwäche bereits zu gut – das Leid derer um ihn herum scheint ihn niemals auch nur im Mindesten zu berühren, obgleich er zugleich doch alles gibt, dieses zu lindern. Und zum Anderen ist die alte Esra selbst zu sehr Heilerin, einem Patienten anders als mit professioneller Gelassenheit zu begegnen und ein Patient ist er nun, das wissen sie beide. „Wenn du so weitermachst, erlischt der Funke noch in dir, Junge! Hat man dir im Faêyris-Tempel denn gar nichts beigebracht, du Hohlkopf?“ schimpft sie mit ihm und hatte ihn doch zuvor nicht aufgehalten. Freundinnen seit Kindheitstagen. Erle ist, als wenn sie diesen seinen Gedanken ihm von der Stirn abliest, denn augenblicklich senkt sie die Augen, setzt ihn an den der Größe der Halle angemessenen, sprich 5*5 Sekhel großen offenen Kamin. Sein „Ich kann auch genauso gut zuhau-“ wischt sie mit einem unwirschen „Sprich keinen Unsinn!“ beiseite und Erle schweigt daraufhin tatsächlich, wissend das er in der Tat fast zu viel gegeben hatte, sich – insbesondere anbetrachts der vergangenen Jahre im Schatten der Roten Seuche, die ihn über lange Wegstrecken den Sterbenden näher gebracht hatte, als den Lebenden– in unverantwortlicher Weise verausgabt hatte. „Du musst wirklich lernen deine Kräfte einzuschätzen und…“ Hier schießen der alten Esra dann doch wieder die Tränen in die Augen und einen Moment lang fürchtet Erle, das nun auch sie ihm weinend um die Schultern zu fallen beabsichtigt. Doch mit einem Ruck wendet sich die Alte ab und dem Kamin wieder zu, wo sie ihm einen Becher heiße Milch mit Honig und eine Reihe von Kräutern zur Stärkung bereitet, diese beim Hinzufügen laut benennend, dass er – wenn auch noch grün hinter den Ohren – als Kollege ihr fallweise widersprechen kann, doch als sie sich schließlich umdreht ihm den Becher in die Hand zu drücken, findet sie ihn im weichen Ledersofa zusammengesunken schlummernd vor. „Und ich hab mich schon gewundert, warum du mir bei meinem Rezept nicht dazwischen faselst.“ Dankbar drückt sie dem ja nun Wehrlosen einen fetten Kuss auf die Stirn „Mögen Sheilair und Anira schützen über deinen Schlaf wachen und Larnis dir deine Güte entlohnen. Nun, alleine mit dem Schlafendem, dem sie eine wärmende Decke von über dem Kaminsims überwirft, lässt auch sie ihren Tränen schließlich unbekümmert ihren Lauf. „Be’Dunja, warum lässt du mich allein? Wer bleibt denn von uns Alten noch, nun da auch du von mir gerissen wurdest?!“ Dass später in der Nacht, die Angehörigen der Verstorbenen feiern ein gleichermaßen von Traurigkeit wie aber auch freudigen Erinnerungen erfülltes Totenfest, nur durch einen, in den ersten Stunden eisern von der alten Heilerin verteidigten, Paravent vom Kamin nebst Erle getrennt, dieser erwacht und die auf einer Faltpritsche neben ihm schlafenden Esra erblickt, schmunzelnd seinerseits eine der Decken vom Kaminsims greift, sie ihr überzuwerfen, dabei die auf dem Kaminsims stehende, noch immer warme Milch entdeckt, die dicke Hautschicht darauf mit dem Finger wieder einrührt und den Becher langsam austrinkt, Esra bekommt es in ihrem gleichfalls der Erschöpfung geschuldeten Schlaf nicht mit und als sie endlich erwacht liegt Erle wider, tief schlummernd, in einem ihm seine Kräfte, so die Götter gnädig sind, zurückgeben mögenden erneuten Schlummer. Und doch müssen noch drei weitere geschlagene Tage ins Land ziehen, in denen Erle nicht mehr zu heben erlaubt ist, als eine Tasse mit weiteren ihn stärken sollenden Getränken und Mahlzeiten, er nicht weiter gehen darf als zwischen seiner Liegestatt am Kamin im großen Saal, dem Zuber in der daneben gelegenen Waschkammer oder dem Abort direkt gegenüber, ehe die alte Esra – noch immer höchst widerstrebend – ihn schließlich doch noch gehen lässt. Am vierten Tag also erst ist die alte Esra Gal gewillt ihn wieder in seinen Teil des Hauses zu entlassen, jedoch erst nachdem er – gezwungenermaßen – die unzähligen zwischenzeitlichen Dankesbekundungen all der Hinterbliebenen der nun toten Be’Dunja hat über sich ergehen lassen müssen – zähneknirschend aber tapfer dabei lächelnd, wie er es in unzähligen Stunden vor einem Spiegel bereits, für genau solche Ereignisse, oft geprobt hatte.