If you're lost you can look and you will find me
Time after time
If you fall I will catch you, I'll be waiting
Time after time
~ Cindy Lauper, Time After Time
Ende Blätterfall 521
Sie stutzt merklich und ein flaues Gefühl breitet sich in ihrem Magen aus, während er ihr eröffnet, dass die Schlafstatt seiner Tochter wohl nicht mehr mit in seiner Kammer steht. Mitfühlendes Unbehagen ist auf ihren Gesichtszügen zu lesen, kann sie den Schmerz und die innerliche Zerrissenheit des blonden Bäckers beinahe körperlich spüren, den die Handlung des Bettchenabbaus sowie zusätzlich noch die unsagbar traurige Nachricht um die Familie Wulfor in ihm ausgelöst haben musste. Beides war ein unleugbares Zeichen der Endlichkeit eines jeden Seins. Obwohl Lyall das Schicksal der Familie bereits vor einiger Zeit durch Falk zugetragen wurde, kann sie es noch immer nicht ganz begreifen.
Eine ganze Familie.
Einfach von Rohas weitem Rund getilgt.
Als Antwort auf seine Frage, ob sie bereits davon erfahren hatte, drückt sie sacht seine Hand etwas fester und nickt kaum wahrnehmbar. Ein Kloß in ihrem Hals hindert sie an einer verbal ausgeformten Antwort auf seine Frage, doch Aneirins Blick nach haben ihm ihre subtilen Signale als Erwiderung ausgereicht. Umständlich versucht sie durch Schlucken die unangenehme Engstelle in ihrem Hals loszuwerden und auch ihr Freund scheint mit seinen Emotionen zu kämpfen. Richtung Himmel schauend erweckt er bei ihr den Eindruck, dass er versucht aufwallende Tränen durch schiere Willenskraft und mit Hilfe der Gravitation zurückzudrängen und offenbar gelingt ihm das äußerst gut, denn als der Bäcker sie anblickt, scheint er wieder beherrscht und erstaunlich ruhig.
„Außerdem musste ich bei der Innung wegen der Bäckerei vorsprechen… Ich wusste bereits von Arúen, dass du die Seuche überstanden hast und hier noch lebst. Ich wollte heute noch nach dir sehen.“ Verstehend nickt die Wargin. Sie glaubt seinen Gedankengang dazu nachvollziehen zu können. Durch diese Information der Elbin hatte er einen gewissen zeitlichen Spielraum bekommen, bevor er die Drachenländerin aufsuchen mochte und in dieser Zeit hatte er sich möglicherweise erst sammeln und innerlich auf ein Treffen vorbereiten wollen. Vielleicht die Worte finden, die erklären sollten, warum er sich nicht mehr gemeldet und den Kontakt hatte versiegen lassen. Und das in einer Zeit, in der solch eine grässliche Seuche grassiert.
Oder hat er sich geschämt zu ihr zu kommen, nach diesem Verhalten? Doch eigentlich kann sich Lyall dies nicht vorstellen. Sie hätte ihn immer mit offenen Armen empfangen, egal welche Fragen seine Handlungen bei ihr aufwerfen würden und sie ist sich sicher, dass er seine Gründe gehabt hatte. Nach all den Jahren weiß sie, dass ihr Freund eines nicht tut: unüberlegt handeln. Er wird ihr schon beizeiten alle Beweggründe mitteilen, die ihm wichtig erscheinen.
„Du hast mir gefehlt.“, kommt es leise über seine Lippen, während er sie in seine Arme schließt und Lyall die Umarmung nur allzu gerne erwidert. Wenn sich auch vieles geändert hat oder sich zumindest so anfühlt, so ist sein Geruch und der Schlag seines Herzens noch derselbe. Diese Umarmung und ihr Empfinden dabei zeigt der Wargin, dass sich zwischen ihnen vielleicht eine gewisse emotionale Schieflage eingeschlichen hat, die jedoch für ihrer beider Freundschaft absolut unerheblich ist. Es würde sich schon wieder alles einrenken, da ist sie sich sicher.
So spiegelt sie ehrlich und bereitwillig das Lächeln wider, welches auf Aneirins Zügen liegt, als dieser sich aus der Umarmung löst und nach ihrem Befinden sowie dem ihres Gefährten erkundigt. Lyalls Hirn hat nicht einmal Zeit sich eine Antwort parat zu legen, da fügt er an, dass sie sich beide auch später oder auf dem Rückweg zum Anwesen unterhalten können. Offenbar hat er aus der Anwesenheit des Korbes korrekt darauf geschlossen, dass die Wargin für Einkäufe unterwegs gewesen ist, während es zu ihrem „Zusammenstoß“ kam. In wirklicher Eile ist sie nicht, aber Avila wird sich trotzdem wundern, was so lange auf dem Markt dauern kann, dass die Drachenländerin noch nicht zurückgekehrt ist. Und Lyall will ihrer Freundin wahrlich keine zusätzlichen Sorgen bereiten. „Unterhalten wir uns besser unterwegs. Du hast recht, ich sollte mich langsam auf den Rückweg machen. Ich würde mich sehr freuen, wenn du mich begleiten würdest!“ So schnell will sie ihren Freund nun auch nicht wieder ziehen lassen, nachdem Zeit und Raum sie so lange getrennt hatten und freut sich innerlich sehr darüber Aneirin noch ein bisschen länger an ihrer Seite zu wissen.
Als sie nach dem Korb greifen und diesen aufheben will, kommt ihr der blonde Bäcker zuvor und trotz Lyalls intensiven Bekundungen, dass der Korb nicht zu schwer sei lässt er sich nicht davon abbringen diesen für sie zu tragen. Schlussendlich klemmt sie sich also nicht den Korb unter den Arm, sondern hakt sich bei Aneirin ein und beide machen sich daran „ihre“ Bank als auch den Blaupfuhl langsam zu verlassen.
Das erste Stück des Weges bringen sie in grübelndes Schweigen gehüllt hinter sich. Aneirin scheint auf ihre Antwort zu warten und Lyall muss überlegen, in welche Reihenfolge sie die sich überstürzenden Ereignisse der letzten Monde bringt, damit die Wargin sinnvoll und gleichzeitig knapp darüber berichten kann, was Cin und ihr widerfahren ist.
„Eigentlich hat alles bei uns ganz harmlos begonnen. Ich bin zu Cináed auf den Schafhof gezogen, wir haben uns so sehr gefreut und gehofft, dass wir nun endlich unser Leben gemeinsam verbringen können. Doch nicht lange danach hat uns die Nachricht über die Seuche erreicht. Als erstes dachte man, dass alles schon nicht so dramatisch werden würde, doch es häuften sich die Nachrichten über schwere und bald auch tödliche Verläufe, sodass diese Hoffnung schnell aufgegeben wurde. Wir wollten die Krankheit erst auf dem Hof aussitzen, um das Gesinde und uns nicht unnötig zu gefährden… doch dann habe ich davon erfahren, dass das Anwesen als Herberge für die Botenkinder dient, die an der Roten Seuche erkrankt sind. Es waren viele Kinder… sehr viele…Und… wir konnten einfach nicht untätig bleiben. Ich bin schweren Herzens wieder zurück zu Aurian und Avila gezogen, um mit ihnen und ein paar weiteren Mägden die Kinder zu pflegen und Cináed… nun… er hat die unglücklichen, der Krankheit erlegenen Seelen zu Sithechs Acker begleitet.“ Hier stoppt sie und muss sich kurz sammeln, bevor sie weiterspricht. Diese Zeiten sind einfach so hart und auszehrend für sie alle gewesen und die Erinnerungen daran noch so frisch, dass es Schmerzen in ihrem Herzen verursacht. Sie erinnert sich auch daran, wie sie oft weinend an Briannas Grab gesessen hat und Tränen für das kleine Mädchen und all jene Kinder vergossen hatte, die während der Roten Seuche den Tod gefunden hatten. Und auch für Aneirin, dessen Gram um den Verlust eines Kindes sie nun zumindest noch ein klein wenig besser nachvollziehen kann. Weiter ins Detail mit den Vorkommnissen auf dem Anwesen will sie vorerst nicht gehen. Und die Wargin ist sich sicher, dass ihr Freund sich sehr gut selber ausmalen kann, welche weiteren Informationen bezüglich der Kinder sie ihm vorenthält. Auch sagt sie nichts über Varin, denn Lyall ist sich nicht sicher, ob Aneirin diesen überhaupt kennt.
„Am Ende haben wir uns einfach überall da nützlich gemacht, wo es nur ging. Cin und ich konnten uns meist nur sporadisch sehen und das jedes Mal mit der Angst, den jeweils anderen anstecken zu können oder selber an der Seuche…nunja… Wir sind aber alle nochmal glimpflich davongekommen. Weder auf dem Anwesen noch auf dem Schafhof gab es Tote zu beklagen.“ Ist es wirklich schon zwei Zwölfmonde her, dass ich Cináed länger als ein paar Stunden sehen und fühlen konnte? Bei Eas grünem Blute…Ich werde ihn festhalten und nie wieder loslassen, wenn ich wieder auf Glyn-y-Defaid bin! Fahrig wischt sie sich über das Gesicht, die feinen Fäden der sich aufbäumenden dunklen Gedanken wegfegend, die sich über ihr Gemüt legen wollen. Bald… bald wird sie ihren Geliebten wieder in ihre Arme schließen können und ihr gemeinsames Leben kann ungestört beginnen. Gegenseitig können sie sich sicherlich die Kraft geben, die Erlebnisse zu verarbeiten und mit den Vorkommnissen abzuschließen. „Wir haben einfach von Tag zu Tag gelebt. Innerlich immer mehr mit einem tauben Gefühl kämpfend, so unendlich machtlos zu sein. Nun sind jedoch so gut wie alle Kinder, die die Seuche überstanden haben, wieder in der Steinfaust angekommen, die Mägde werden auch bald wieder zurückkehren und möglicherweise kommt ja doch irgendwann wieder das Gefühl der… Normalität. Zumindest fühlt sich das Einkaufen schon fast wieder an wie früher. Danke nochmal, dass du den Korb für mich trägst. Wir stocken die Vorräte gerade wieder auf und das wird sicher nicht mein letzter Gang zum Markt gewesen sein.“ Sie versucht die in ihrer Stimme mitschwingende Befürchtung, dass dies nur ein frommer Wunsch sein könnte und so etwas wie Normalität noch lange würde auf sich warten lassen, mit einem zaghaften Lächeln zu überspielen. Ansonsten weiß sie ihrem Freund nicht viel mehr zu erzählen. Es ist über die lange Zeit so viel passiert, dass sie schon gar keine genauen Erinnerungen mehr daran hat, was alles geschehen ist oder gar wann genau. Und über sein spurloses Verschwinden, ihre Sorgen darüber und die innerliche Kränkung, die sie empfunden hat und die ganze Zeit über zusätzlich über allem geschwebt hat, mag sie jetzt nicht sprechen. Es ist einfach nicht der Richtige Zeitpunkt.
Ansonsten ist ihr Kopf gerade relativ leergefegt und sie fühlt sich wieder so unendlich müde, sodass sie sich an den erstbesten Gedanken klammert, der ihr in den Kopf kommt und diesen ausspricht. Seltsamerweise möchte sie kein erneutes Schweigen zwischen ihnen aufkommen lassen. So spricht sie das relativ neutrale Thema der Bäckerinnung nochmals an. Sie erkundigt sich, warum Aneirin sich bei dieser hatte melden müssen und lauscht seinen Ausführungen still und aufmerksam, während sie im Gewirr der Talyrer Gassen in Richtung Seeviertel abbiegen.