Beiträge von Lyall

    Ein paar Tage nach Jul 521




    Auf seine Antwort, weiß Lyall zuerst nichts zu erwidern. Stumm dreht sie die Tasse in den Händen und merkt weder die unangenehmer werdende Wärme noch erinnert sie sich, dass sie eigentlich hatte einen weiteren Schluck nehmen wollen.

    Der Tonfall der gesprochenen Worte lässt sie zwar an deren Wahrheit zweifeln (es klingt eher, als wolle er ihr keine direkte Antwort geben, was der Wargin auch Recht sein soll. Schließlich sind sich beide zu nichts verpflichtet.), aber sollte an dem Teil der Tierquälerei auch nur ein Fünkchen Wahrheit sein… nun, er mochte seine Lektion mittlerweile gelernt haben. Aber dieser Ausspruch kippt leicht die gefühlsmäßige Neutralität ihm gegenüber zu einer distanzierteren Haltung. Und wenn es auch nur ein Quäntchen ist. Die Wargin ist diesem Thema gegenüber nicht sehr nachgiebig. Sollte er (selbst als kleiner „dummer“ Junge…) tatsächlich Tiere gequält haben, so wäre dies für eine zukünftig vielleicht eintretende Freundschaft eher nachteilig.


    Sie lässt seine Antwort daher vorerst unkommentiert und schluckt die für sie schwerlich nachzuvollziehenden Worte herunter. Beide sind müde und erschöpft. Sie will keine zu voreilig gezogenen Schlüsse ihr Handeln und seine Be-Handlung beeinträchtigen lassen. Vielleicht hat er auch gelogen. Lass es gut sein. Vielleicht spricht das Fieber aus ihm.

    Um die Worte besser herunterzubekommen leert sie ihren Becher in einem großen Zug und hört dem weiteren Monolog des Gastes zu, während ihr Kopf schon dabei ist sein Nachtlager zu planen. Denn das Adrenalin ebbt immer mehr ab und auch wenn sie wieder nicht wird schlafen können: sie will einfach nur zurück in ihr Bett.

    Es überrascht sie jedoch, dass er eine Elbin nennt… also eine von den Großen… und, dass er auf einem Patientenbesuch war. Sollte er nur die großen Völker behandeln ist es kein Wunder, dass er so entkräftet ist. Ob in ihm solch eine Macht wohnt, dass er zwar auch Menschen wie sie behandeln kann, aber eben nicht oft? Sie würde ihn dies fragen. Aber morgen und nicht mehr heute, denn sie kann sehen, wie er mit dem Schlaf ringt, der ihn zu überwältigen droht.


    „Zumindest nicht heute.“, antwortet Lyall. „Heute nächtigt ihr unter diesem Dach. Aber nicht hier in der Küche. Dort kann ich euch nicht helfen, falls es euch widererwarten schlechter gehen sollte. Ich würde euch in meine Kammer mitnehmen. Keine Sorge, ihr werdet separat schlafen.“, fügt sie amüsiert hinzu, als sie seine ungläubig oder vor Angst weiten Augen sieht. „Lasst mich eben etwas herrichten...“ Langsam steht die Wargin auf und beginnt in der Küche als auch im Vorratskeller, nach den Dingen, die sie meint zu benötigen, herumzustöbern.

    In der Hand trägt sie bei ihrer Rückkehr sowohl eine Obstkiste, darin ein Holzbrettchen als auch eine metallene Bettpfanne.

    Aus einer der Schränke zieht Lyall ein sauberes Geschirrtuch und beginnt mit ihrem Gast zu sprechen, denn sie möchte ihn noch nicht in die Traumwelt entlassen, ohne sich seiner Zustimmung zu dem Unterfangen sicher zu sein.

    „Ich werde euch eine Art „kleinen Raum“ zusammenstellen. Denn in meiner Kammer wird es nicht so warm sein, wie hier. Seht, die kleine Bettpfanne werde ich mit dem Rest der Glut befüllen und auf dem Holzbrettchen in die Kiste stellen. Da hinein kommt auch noch eure nun… Bettstatt. Darüber ein Tuch, damit die Wärme nicht so schnell entweichen kann.“ Während sie ihm ihre Absichten erklärt, tut sie eben dies gesagte, sodass sie am Ende ihres Satzes eben jene so ausgestattete Kiste auf dem Tisch vor ihm bereitstellt.

    „Nun müsst ihr nur noch entscheiden. Alleine hineinkrabbeln oder mit meiner Hilfe? Und keine Sorge, ihr könnt euch jederzeit umentscheiden, besagte Kiste verlassen und gehen. Doch in der Küche möchte ich euch, wie eben gesagt, ungerne lassen.“, sagt sie freundlich und streckt ihm eine Hand entgegen, so als wollte sie die Bettstatt inklusive ihm in die Kiste bugsieren, hält jedoch kurz vor ihm inne. Er soll merken, dass es wirklich seine alleinige Entscheidung ist.

    „Um eure Kleidung müsst ihr euch nicht sorgen. Auf den warmen Steinen wird sie bis morgen sicher trocken.“

    If you're lost you can look and you will find me
    Time after time
    If you fall I will catch you, I'll be waiting
    Time after time

    ~ Cindy Lauper, Time After Time



    Ende Blätterfall 521


    Sie stutzt merklich und ein flaues Gefühl breitet sich in ihrem Magen aus, während er ihr eröffnet, dass die Schlafstatt seiner Tochter wohl nicht mehr mit in seiner Kammer steht. Mitfühlendes Unbehagen ist auf ihren Gesichtszügen zu lesen, kann sie den Schmerz und die innerliche Zerrissenheit des blonden Bäckers beinahe körperlich spüren, den die Handlung des Bettchenabbaus sowie zusätzlich noch die unsagbar traurige Nachricht um die Familie Wulfor in ihm ausgelöst haben musste. Beides war ein unleugbares Zeichen der Endlichkeit eines jeden Seins. Obwohl Lyall das Schicksal der Familie bereits vor einiger Zeit durch Falk zugetragen wurde, kann sie es noch immer nicht ganz begreifen.

    Eine ganze Familie.

    Einfach von Rohas weitem Rund getilgt.

    Als Antwort auf seine Frage, ob sie bereits davon erfahren hatte, drückt sie sacht seine Hand etwas fester und nickt kaum wahrnehmbar. Ein Kloß in ihrem Hals hindert sie an einer verbal ausgeformten Antwort auf seine Frage, doch Aneirins Blick nach haben ihm ihre subtilen Signale als Erwiderung ausgereicht. Umständlich versucht sie durch Schlucken die unangenehme Engstelle in ihrem Hals loszuwerden und auch ihr Freund scheint mit seinen Emotionen zu kämpfen. Richtung Himmel schauend erweckt er bei ihr den Eindruck, dass er versucht aufwallende Tränen durch schiere Willenskraft und mit Hilfe der Gravitation zurückzudrängen und offenbar gelingt ihm das äußerst gut, denn als der Bäcker sie anblickt, scheint er wieder beherrscht und erstaunlich ruhig.

    „Außerdem musste ich bei der Innung wegen der Bäckerei vorsprechen… Ich wusste bereits von Arúen, dass du die Seuche überstanden hast und hier noch lebst. Ich wollte heute noch nach dir sehen.“ Verstehend nickt die Wargin. Sie glaubt seinen Gedankengang dazu nachvollziehen zu können. Durch diese Information der Elbin hatte er einen gewissen zeitlichen Spielraum bekommen, bevor er die Drachenländerin aufsuchen mochte und in dieser Zeit hatte er sich möglicherweise erst sammeln und innerlich auf ein Treffen vorbereiten wollen. Vielleicht die Worte finden, die erklären sollten, warum er sich nicht mehr gemeldet und den Kontakt hatte versiegen lassen. Und das in einer Zeit, in der solch eine grässliche Seuche grassiert.

    Oder hat er sich geschämt zu ihr zu kommen, nach diesem Verhalten? Doch eigentlich kann sich Lyall dies nicht vorstellen. Sie hätte ihn immer mit offenen Armen empfangen, egal welche Fragen seine Handlungen bei ihr aufwerfen würden und sie ist sich sicher, dass er seine Gründe gehabt hatte. Nach all den Jahren weiß sie, dass ihr Freund eines nicht tut: unüberlegt handeln. Er wird ihr schon beizeiten alle Beweggründe mitteilen, die ihm wichtig erscheinen.


    „Du hast mir gefehlt.“, kommt es leise über seine Lippen, während er sie in seine Arme schließt und Lyall die Umarmung nur allzu gerne erwidert. Wenn sich auch vieles geändert hat oder sich zumindest so anfühlt, so ist sein Geruch und der Schlag seines Herzens noch derselbe. Diese Umarmung und ihr Empfinden dabei zeigt der Wargin, dass sich zwischen ihnen vielleicht eine gewisse emotionale Schieflage eingeschlichen hat, die jedoch für ihrer beider Freundschaft absolut unerheblich ist. Es würde sich schon wieder alles einrenken, da ist sie sich sicher.

    So spiegelt sie ehrlich und bereitwillig das Lächeln wider, welches auf Aneirins Zügen liegt, als dieser sich aus der Umarmung löst und nach ihrem Befinden sowie dem ihres Gefährten erkundigt. Lyalls Hirn hat nicht einmal Zeit sich eine Antwort parat zu legen, da fügt er an, dass sie sich beide auch später oder auf dem Rückweg zum Anwesen unterhalten können. Offenbar hat er aus der Anwesenheit des Korbes korrekt darauf geschlossen, dass die Wargin für Einkäufe unterwegs gewesen ist, während es zu ihrem „Zusammenstoß“ kam. In wirklicher Eile ist sie nicht, aber Avila wird sich trotzdem wundern, was so lange auf dem Markt dauern kann, dass die Drachenländerin noch nicht zurückgekehrt ist. Und Lyall will ihrer Freundin wahrlich keine zusätzlichen Sorgen bereiten. „Unterhalten wir uns besser unterwegs. Du hast recht, ich sollte mich langsam auf den Rückweg machen. Ich würde mich sehr freuen, wenn du mich begleiten würdest!“ So schnell will sie ihren Freund nun auch nicht wieder ziehen lassen, nachdem Zeit und Raum sie so lange getrennt hatten und freut sich innerlich sehr darüber Aneirin noch ein bisschen länger an ihrer Seite zu wissen.


    Als sie nach dem Korb greifen und diesen aufheben will, kommt ihr der blonde Bäcker zuvor und trotz Lyalls intensiven Bekundungen, dass der Korb nicht zu schwer sei lässt er sich nicht davon abbringen diesen für sie zu tragen. Schlussendlich klemmt sie sich also nicht den Korb unter den Arm, sondern hakt sich bei Aneirin ein und beide machen sich daran „ihre“ Bank als auch den Blaupfuhl langsam zu verlassen.

    Das erste Stück des Weges bringen sie in grübelndes Schweigen gehüllt hinter sich. Aneirin scheint auf ihre Antwort zu warten und Lyall muss überlegen, in welche Reihenfolge sie die sich überstürzenden Ereignisse der letzten Monde bringt, damit die Wargin sinnvoll und gleichzeitig knapp darüber berichten kann, was Cin und ihr widerfahren ist.

    „Eigentlich hat alles bei uns ganz harmlos begonnen. Ich bin zu Cináed auf den Schafhof gezogen, wir haben uns so sehr gefreut und gehofft, dass wir nun endlich unser Leben gemeinsam verbringen können. Doch nicht lange danach hat uns die Nachricht über die Seuche erreicht. Als erstes dachte man, dass alles schon nicht so dramatisch werden würde, doch es häuften sich die Nachrichten über schwere und bald auch tödliche Verläufe, sodass diese Hoffnung schnell aufgegeben wurde. Wir wollten die Krankheit erst auf dem Hof aussitzen, um das Gesinde und uns nicht unnötig zu gefährden… doch dann habe ich davon erfahren, dass das Anwesen als Herberge für die Botenkinder dient, die an der Roten Seuche erkrankt sind. Es waren viele Kinder… sehr viele…Und… wir konnten einfach nicht untätig bleiben. Ich bin schweren Herzens wieder zurück zu Aurian und Avila gezogen, um mit ihnen und ein paar weiteren Mägden die Kinder zu pflegen und Cináed… nun… er hat die unglücklichen, der Krankheit erlegenen Seelen zu Sithechs Acker begleitet.“ Hier stoppt sie und muss sich kurz sammeln, bevor sie weiterspricht. Diese Zeiten sind einfach so hart und auszehrend für sie alle gewesen und die Erinnerungen daran noch so frisch, dass es Schmerzen in ihrem Herzen verursacht. Sie erinnert sich auch daran, wie sie oft weinend an Briannas Grab gesessen hat und Tränen für das kleine Mädchen und all jene Kinder vergossen hatte, die während der Roten Seuche den Tod gefunden hatten. Und auch für Aneirin, dessen Gram um den Verlust eines Kindes sie nun zumindest noch ein klein wenig besser nachvollziehen kann. Weiter ins Detail mit den Vorkommnissen auf dem Anwesen will sie vorerst nicht gehen. Und die Wargin ist sich sicher, dass ihr Freund sich sehr gut selber ausmalen kann, welche weiteren Informationen bezüglich der Kinder sie ihm vorenthält. Auch sagt sie nichts über Varin, denn Lyall ist sich nicht sicher, ob Aneirin diesen überhaupt kennt.


    „Am Ende haben wir uns einfach überall da nützlich gemacht, wo es nur ging. Cin und ich konnten uns meist nur sporadisch sehen und das jedes Mal mit der Angst, den jeweils anderen anstecken zu können oder selber an der Seuche…nunja… Wir sind aber alle nochmal glimpflich davongekommen. Weder auf dem Anwesen noch auf dem Schafhof gab es Tote zu beklagen.“ Ist es wirklich schon zwei Zwölfmonde her, dass ich Cináed länger als ein paar Stunden sehen und fühlen konnte? Bei Eas grünem Blute…Ich werde ihn festhalten und nie wieder loslassen, wenn ich wieder auf Glyn-y-Defaid bin! Fahrig wischt sie sich über das Gesicht, die feinen Fäden der sich aufbäumenden dunklen Gedanken wegfegend, die sich über ihr Gemüt legen wollen. Bald… bald wird sie ihren Geliebten wieder in ihre Arme schließen können und ihr gemeinsames Leben kann ungestört beginnen. Gegenseitig können sie sich sicherlich die Kraft geben, die Erlebnisse zu verarbeiten und mit den Vorkommnissen abzuschließen. „Wir haben einfach von Tag zu Tag gelebt. Innerlich immer mehr mit einem tauben Gefühl kämpfend, so unendlich machtlos zu sein. Nun sind jedoch so gut wie alle Kinder, die die Seuche überstanden haben, wieder in der Steinfaust angekommen, die Mägde werden auch bald wieder zurückkehren und möglicherweise kommt ja doch irgendwann wieder das Gefühl der… Normalität. Zumindest fühlt sich das Einkaufen schon fast wieder an wie früher. Danke nochmal, dass du den Korb für mich trägst. Wir stocken die Vorräte gerade wieder auf und das wird sicher nicht mein letzter Gang zum Markt gewesen sein.“ Sie versucht die in ihrer Stimme mitschwingende Befürchtung, dass dies nur ein frommer Wunsch sein könnte und so etwas wie Normalität noch lange würde auf sich warten lassen, mit einem zaghaften Lächeln zu überspielen. Ansonsten weiß sie ihrem Freund nicht viel mehr zu erzählen. Es ist über die lange Zeit so viel passiert, dass sie schon gar keine genauen Erinnerungen mehr daran hat, was alles geschehen ist oder gar wann genau. Und über sein spurloses Verschwinden, ihre Sorgen darüber und die innerliche Kränkung, die sie empfunden hat und die ganze Zeit über zusätzlich über allem geschwebt hat, mag sie jetzt nicht sprechen. Es ist einfach nicht der Richtige Zeitpunkt.

    Ansonsten ist ihr Kopf gerade relativ leergefegt und sie fühlt sich wieder so unendlich müde, sodass sie sich an den erstbesten Gedanken klammert, der ihr in den Kopf kommt und diesen ausspricht. Seltsamerweise möchte sie kein erneutes Schweigen zwischen ihnen aufkommen lassen. So spricht sie das relativ neutrale Thema der Bäckerinnung nochmals an. Sie erkundigt sich, warum Aneirin sich bei dieser hatte melden müssen und lauscht seinen Ausführungen still und aufmerksam, während sie im Gewirr der Talyrer Gassen in Richtung Seeviertel abbiegen.

    Liebe WS-ler, :upsido:


    ich wünsche euch für das nächste Jahr viel Gesundheit (für euch selbst, eure Familien und alle, die euch wichtig sind :soppy: ), viel Erfolg bei allen euren Vorhaben :flower: , viel Zeit für Freude und Abenteuer :uglyrock: und genug Ruhe, um sich von Stress zu erholen :uglycafe: .


    Rutscht später gut rein, man liest sich spätestens 2023 wieder :grouphug: <3

    Ein paar Tage nach Jul 521



    Sie kennt die Geste der auf die Brust gelegten Faust und schmunzelt. Waldkinder und sein Volk scheinen die selben Gestiken zu nutzen, dabei könnten sie nicht unterschiedlicher sein. Der eine groß, der andere klein; eine Heimat der dichte Wald und bei ihm wohl die Stadt. Wie lange sie diese Geste nicht mehr selbst gebraucht hat… es mag schon ein paar Zwölfmonde her sein. Mittlerweile hat sie sich an das Händeschütteln und Umarmen gewöhnt, welche hier zu den Gepflogenheiten gehören.

    Gespannt lauscht sie seinen Ausführungen und kann die Nervosität fast körperlich spüren, welche er bei den Worten „euch Großen“ wohl empfinden muss. Sie rückt daher noch ein klein wenig mehr von ihm ab, um ihn ihre Größe nicht so sehr spüren zu lassen.

    „Seid unbesorgt, Herr Erle. Hier kennen und schätzen wir auch die kleinen Wesen. Ein Irrlicht nennt dieses Anwesen schon sehr lange sein Zuhause, auch Feen waren schon zu Gast und wir wissen gut um die Probleme, welche wir Großen für die kleinen Völker aufwerfen können. In diesem Hause leben noch Lady Aurian sowie Avila, die oberste Magd. Alle herzenzgute Menschen… ähm beziehungsweise auch eine Halbelbe… Die Lady hat das besagte Irrlicht vor lange Zeit ebenso gerettet. Aus den Klauen eines Magiers, wie ich meine mich erinnern zu können. Ich kann daher für eure Sicherheit garantieren. Hier muss weder Elb, Mensch, Tier noch jedes sonstige Wesen etwas befürchten. Wenn es euch jedoch lieber ist, bleibt eure Anwesenheit natürlich geheim. Ärger würde mir dies nicht einbringen, aber eigentlich habe ich vor meinen Freundinnen keine Geheimnisse, da dies nie nötig war. Allerdings kann ich euch wohl dann am besten helfen, wenn meine Freudinnen ebenso von euch erfahren dürften. Denn Lady Aurian ist magiebegabt und Avila weiß noch viel mehr über Heilkräuter, als ich. Daher könnte euch dies nur zum Vorteil sein.“, sagt sie an den kleinen Herren gewandt, während sie ihre Tasse ebenso wie er seinen Fingerhut an ihren Mund führt und vorsichtig einen Schluck des heißen Tees nimmt. Die Tasse wärmt ihre kalten Finger zunächst angenehm, dann jedoch muss sie das Geschirrstück auf dem Tisch abstellen, da die Hitze über die Zeit unangenehm auf der Haut ihrer Finger zu brennen beginnt.

    „Ich weiß, dass meine Worte noch nicht sehr viel Gewicht haben, da wir uns erst so kurz kennen. Aber ich bürge dafür, dass ihr hier in vollkommener Sicherheit seid.“ Sie beäugt seine kleine Gestalt, die sich am Feuer wärmend im Stoff des Tuches eingemummelt hat, freundlich offen und mit einer Spur Neugierde, als er sich über die Eule beschwert und ihr abermals für seine Rettung dankt, welche sie mit einem leichten Kopfneigen quittiert.

    „Keine Ursache, Herr Erle. Hauptsache ihr seid mit recht heiler Haut aus der Sache herausgekommen und werdet mir hier nicht weiter krank. Doch… warum wart ihr in diesem Loch? Eure Kleider machen nicht den Anschein, als würdet ihr normalerweise unter der Erde leben, gar als Nachbarn der Mäuse? Auch wenn die Eule euch für ebensolche gehalten haben mag. Verzeiht mir die allzu direkte Frage aber, welchem Volk gehört ihr an? Da ihr keine Flügel habt nehme ich an, dass ihr weder Fee noch Irrlich seid. Oder doch? Und Ealara hat euch einfach nur… anders gemacht?“ Um ihre Worte zu verdeutlichen streicht sie mit beiden Händen über ihre pelzigen Ohren.

    Ende Blätterfall 521


    Das herzerweichende Schluchzen ist schon lange verklungen und auch ihre Tränen einstweilen versiegt, doch Lyall schweigt weiterhin. Den Blick starr auf ihre Stiefelspitzen geheftet spürt sie Aneirins Anwesenheit mehr, als dass sie ihn direkt sehen kann und fühlt sich beinahe so paralysiert, wie bei einer ihrer ersten Begegnungen.


    Als ihr Freund ihr gemeinsames erstes Treffen erwähnt, hier an diesem Platz, presst sie rasch ihre Augenlider aufeinander, um die Tränen auszusperren, welche sich erneut Bahn zu brechen versuchen. Natürlich weiß die Wargin wo sie beide gerade verweilen (auch wenn sie den Weg dahin durch den Schleier ihrer Tränen nur unzureichend hatte erkennen können) und sie kann sich an das kleine magisch erzeugte Wesen erinnern, welches durch Aneirins Zauber zum Leben erwacht war. Es war so zart und durchscheinend gewesen, wie ein Blütenblatt und doch so agil, wie ein echtes Tier. Es tanzte so lieblich zu seiner Flötenmusik, dass es Lyalls Herz im Sturm erobert hatte. So, wie es Aneirin getan hatte. Seit dem ersten Augenblick am Zaun des Anwesens, hat sie eine Verbindung zu diesem Mann gespürt und obwohl sie Vorsicht ihm gegenüber walten ließ, empfand sie diese tiefe, vertraute Empathie schon damals in zarten Zügen.


    Auch jetzt ist er ihr nach so langer Zeit der Trennung nicht fremd geworden und ruft in ihr dasselbe heimelig-warme Gefühl wach. Gleichzeitig wirkt er ungewohnt verändert und… irgendwie anders. Die Wargin kann die unterschwellige Emotion nicht in Worte fassen, doch da ist ein aufkeimendes Gefühl in ihr, welches Lyall eine vage Vermutung von erworbener Andersartigkeit ihres Freundes vermittelt und sich nicht abschütteln lassen will. Natürlich hat sich der blonde Bäcker verändert, dass lässt sich auf so einer langen Reise gar nicht vermeiden. Doch diese Andersartigkeit hat nichts mit einem gereiften Charakter oder neu gewonnenen Eindrücken zu tun. Nein… Etwas in oder an ihm ist anders. Und Lyall weiß genau, dass ihr Unterbewusstsein sich nicht durch den Bartwuchs in seinem Gesicht oder die etwas tiefer eingegrabenen Linien der Haut verunsichern lässt.


    Doch wirklich viel Raum will sie dieser inneren Unruhe auch nicht zugestehen, denn schließlich ist ihr Freund nach so einer langen Zeit endlich wieder in Talyra angekommen. Endlich ist er wieder zuhause. Sie möchte sich einfach nur freuen und das tut sie eigentlich auch, doch es fällt ihr schwer dies gerade in dem Maße an Überschwänglichkeit zu zeigen, die sie gerade empfinden mag. Dass er ihr in den letzten Monden nicht geschrieben hat und einfach gar kein Lebenszeichen von sich in die Weltenstadt hatte dringen lassen, sitzt wie ein widerhakenbewehrter Dorn schmerzhaft in ihrem Fleisch. Sie will ihm keine Vorhaltungen machen, sie weiß, dass er seine Gründe gehabt haben mag, sich so zu verhalten und sicher wird er ihr auch davon erzählen… oder auch nicht. Lyall will keine Geheimnisse aus ihm herauspressen, ihn einer peinlichen Befragung unterziehen oder wie ein keifendes eifersüchtiges Weib jeden seiner Schritte explizit erklärt wissen. Doch tief im Inneren ist die Drachenländerin doch irgendwie verletzt, hat sie doch womöglich mit einer tieferen Vertrautheit ihr gegenüber gerechnet, als tatsächlich der Fall ist. Oder tut sie ihm damit nicht Unrecht?


    Er ist stets offen und wahrhaftig ihr gegenüber gewesen. Sie hatten sich immer alles erzählen können und dem anderen bei jeder Art Problem beigestanden. Vielleicht trägt er nun eine seelische Last mit sich, die er keinem anderen aufbürden mag. Nicht mal einer guten Freundin?




    Sie seufzt tief, als er ihr zuraunt, dass es ihm Leid täte und schlussendlich blickt sie von ihren Stiefelspitzen auf. Zuerst schaut sie nur über die Wasseroberfläche des Sees, fängt die herbstliche Stimmung mit ihren Augen ein und versucht dann dem am meisten in ihr vorherrschenden Gefühl den Raum in ihren Emotionen zu geben, den es verdient: der unbeschreiblichen Freude darüber, dass Aneirin wieder bei ihr ist.

    So liegt in ihrem bernsteinfarbenen Blick ehrlich und tief empfundene Erleichterung als sie ihn erst über seine Schulter hinweg ansieht und sich dann aufrichtet, um den Bäckermeister und sein neues Aussehen richtig erkennen zu können. „Mir tut es leid, Aneirin. Ich hätte nicht solch einen Aufstand machen sollen. Bitte entschuldige vielmals. Aber dein Auftauchen war… zugegebenermaßen… mehr wie unerwartet. Es hat mich fast buchstäblich aus meinen Stiefeln gehauen.“ Sie versucht sich an einem schiefen Lächeln, um das Unbehagen zwischen ihnen Beiden zu vertreiben. Doch ganz will es ihr nicht gelingen. Um ihren nervösen Fingern etwas zu tun zu geben und ein paar Herzschläge Zeit für neue Worte zu schinden, greift sie nach dem nass geweinten Halstuch, zieht es sich etwas umständlich über den Kopf und stopft es leicht verlegen in ihren Stiefelschaft. Denn die nächsten Worte weiß sie nicht gut im Gespräch zu platzieren, denn sie will auch nicht mit der Tür ins Haus fallen. Die Situation ist durch ihren emotionalen Ausbruch sowieso schon aus dem Ruder gelaufen und haben ihn sicherlich noch weiter verunsichert. Wie gern würde sie ihn fragen, wo er die letzten Monde genau gewesen war, warum er sich nicht gemeldet hat, wie lange er schon in Talyra ist ohne ihr Bescheid zu geben, wie es ihm ergangen ist, ob die Rote Seuche ihn unbehelligt gelassen hat und so weiter und so fort.

    Und am liebsten all dies gleichzeitig. Das kann und will sie ihm jedoch nicht antun. Denn sie mag einen gewissen Stich der Zurückweisung empfinden, ihn dies jedoch nicht als eine Art Anschuldigung merken lassen. Böse oder sauer auf ihn ist die Drachenländerin keinesfalls. Sondern einfach nur verletzt.

    So spricht sie die Worte aus, die ihr am neutralsten erscheinen und am ehesten den vordringlichsten Gedanken in ihr wiedergeben: „Ich habe mir Sorgen um dich gemacht. Geht es dir gut?“ Zart und fast wieder scheu ergreift sie seine Hand und bettet diese zwischen ihren schlanken Fingern. Die Haut seiner Hände ist rauer und irgendwie fester, als sie diese in Erinnerung hat. Eher die Haut eines Kämpfers, als die eines Bäckers., keimt es in ihren Gedanken auf, doch sie beruhigt sich damit, dass er auf seiner Reise sicherlich andere Arbeiten hatte verrichten müssen, als das Backen von Teig und das Schleppen von Mehlsäcken. Kurz drückt sie deine Hände und streicht dann kurz mit einem ihrer Daumen über seinen Handrücken.

    Ein paar Tage nach Jul 521



    Die Position auf dem Holzstuhl ist doch nicht die Bequemste gewesen und so hat Lyall es sich über die Zeit mit dem Kopf auf der Tischplatte gemütlich gemacht. Oder so gemütlich, wie es eben in dieser Position sein kann. Der tiefe Schlaf bleibt ihr auch dieses Mal verwehrt und das feine, andersweltliche Gespinst der Träume will sich nicht über sie legen, und so schwebt ihr Geist in einem körperlosen Zwischenzustand dahin. Doch auch durch diesen Schleier hindurch nimmt sie das flüsternde Zischen und Knacken des vom Feuer allmählich verzehrten Holz dumpf wahr; das gemächliche Blubbern des Wassers im Kessel als auch ihr eigener ruhiger Atem scheinen von weit weg zu kommen. Ihr feinstoffliches Ich ist durch einem dünnen Faden mit ihrem Körper verbunden, spürt diese weltliche Last aber nur minimal. Es treibt vor sich hin, ohne Träume, aber auch ohne Gedanken an die Strapazen der letzten Monde.

    Das es das erste Mal seit langer Zeit ist, dass sie relativ ungestört von Alpträumen oder Gedankenkarussellen zumindest ruhen kann, und dies offenbar auch an des kleinen Anirans Berührung liegt, ist Lyall nicht bewusst. Und so kann sie sich zumindest in der kurzen Zeit entspannen, bis ihr Gast aufwacht und ihre Ohren neue Geräusche zu ihr in den körperlosen Raum senden. Leise sind sie, wie das Flüstern von Stoff, leichtfüßige Schritte und dann eine belegte Stimme, die nur allmählich kraftvoller wird. Ihre Wolfsohren fangen jedes Wort deutlich ein, doch es dauert ein paar Herzschläge, bis sich der feine Faden zu spannen beginnt und ihren Geist zurück in ihren physischen Körper sowie das Hier und Jetzt holt.

    Die eben vernommenen Worte, wenn auch mit kratzig brechender Stimme gesprochen, setzt ihr Gehirn gerade wieder zu verständlichen Sätzen zusammen, während das Gefühl in ihre Glieder zurückkehrt und sie sich recken und strecken möchte. Im letzten Moment erinnert sie sich daran, dass der kleine Herr woh recht nah vor ihr sitzen muss und sie ein ausgiebiges Armbalett unterlässt und stattdessen nur langsam den Kopf dreht, ihn aus verschlafen wirkenden Augen anblickt, bevor sie sich wieder ordentlich auf den Stuhl setzt. Gut sieht ihr Gast nicht aus, kränklich blass eher und es verwirrt die Wargin ihn vollständig angezogen und mit Gepäck vor sich schwankend stehen zu sehen. Seine Augen sind weiterhin fiebrig und er sieht wirklich aus, als würde er gerade wieder ins Bett gescheucht gehören.

    Doch was hat er eben von sich gegeben?

    Die Maus ist am Roten Tod verendet und er möchte die Krankheit nicht mit hierher bringen?

    Und... er ist ein...Aniran?

    Unbewusst fasst sie sich ins Gesicht und streicht mit den Fingern über ihre Wange. Tatsächlich, die Wunde ist so gut wie verschwunden, nur eine minimale Erhebung können ihre Fingerspitzen noch ertasten.

    Vorsichtig räuspert sie sich, um ihn nicht zu erschrecken und spricht dann sanft: „Natürlich könnt ihr hier bleiben, werter Herr. Solange, bis es euch besser geht. Ich werde auch versuchen eine bessere Bettstatt zu organisieren, als diese dort.“ Mit einer flüchtigen Handbewegung weist sie auf das Körbchen sowie das Tuch hin, wobei sie auch erneut dem Kessel gewahr wird. “Aber verkühlt euch nicht. Vielleicht solltet ihr doch wieder unter das Tuch kriechen, bis der Tee bereit ist? Ich werde uns einen Thymian-Salbei-Tee zubereiten. Schmeckt nicht besonders gut, aber hilft wie ihr ja wisst.“ Um beider Anspannung ein bisschen zu mildern zwinkert sie ihm zu, geht zum Kessel herüber und nimmt diesen vom Dreibein. Leider hat sie so lange gedöst, dass nur noch weniger als die Hälfte des eingefüllten Wassers vorhanden ist, aber für eine Tasse sowie einen Fingerhut voll sollte es noch reichen. „Und macht euch keine Sorgen, wegen der Roten Seuche. Die letzte Ansteckung ist ja nun schon etwas her und wer weiß seit wann die Maus schon dort unten lag.“ Sie vermeitet ihm darzulegen, dass die Rote Seuche mehr als präsent im Anwesen gewesen ist, denn sie möchte die emotionalen Wunden im Moment nicht weiter aufreißen. „Und da ihr ja ein Aniran seid, mache ich mir keine Sorgen. Schließlich habt ihr ja auch meine Wange geheilt. Vielen Dank dafür!“, lächeld dreht sie sich kurz zu ihm um, während sie kleingebröselte Kräuterteile in ein Leinensäckchen füllt, in eine Kanne hängt und mit heißem Wasser aufgießt, bevor sie erneut an den Tisch tritt und sich setzt. Kritisch beäugt sie den Mann und setzt an: „Ihr gefallt mir gar nicht. Ihr müsst euch wieder in`s Bett legen. Wie kann ich euch dieses angenehmer gestalten? Und ich habe erst mit dem Gedanken gespielt, euch in meine Kammer zu nehmen, aber hier ist es wärmer. Das wird euch gut tun.“ Sie versucht sich etwas weiter herunter zu beugen, um mehr auf seiner Augenhöhe zu sein, aber ohne ihn ungewollt ihrem Atemsturm auszusetzen. „Wie darf ich euch eigentlich nennen? Mein Name ist Lyall. Möchtet ihr auch noch etwas zu Essen haben?“ Weitere Fragen bilden sich in ihrem Kopf, aber später wird noch genug Zeit sein darüber zu sprechen.

    "Don't I know you, mister?"

    - Beggar Lady from Sweeney Todd




    Ende Blätterfall 521


    Altersschwach knarzen die über die Jahre brüchig gewordenen Weidenzweige des Hänkellosen Korbes, als Lyall diesen auf den Boden abstellt, um das Gemüse darin zu verstauen, welches ihr der Händler freundlicherweise herüber reicht.

    Saftiger Porre und knackig pralle Äpfel wechseln gegen klingende Münze den Besitzer, bevor die Wargin den Korb wieder an sich nimmt. Um ihn besser tragen zu können, stützt sie diesen auf ihrer Hüfte ab und schlendert derweil zu einem weiteren Stand, bei dem einem schon von Weitem herrlich orange Kürbisse entgegen leuchten.

    Normalerweise stehen derlei Gemüsevarianten selten auf ihrer Einkaufsliste, zieht Avila doch das meiste davon selbst im Garten des Anwesens de Winter heran. Die vielen kranken Kinder hatten die Vorräte über die vergangenen Monde hinweg jedoch rapide schwinden lassen, sodass ein Zukauf unumgänglich wurde und selbst das Eingelegte und Eingemachte war fast restlos verputzt worden. So gilt es nun, die Vorräte erneut stetig aufzustocken und zudem die fehlenden Zutaten für einen deftigen Eintopf, den es abends geben soll, heranzuschaffen.

    Ein leichter Windhauch lässt die in allerlei rotgold und sonnengelben Tönen schattierten Blätter der großen Eiche erschaudern und ist schließlich auch zwischen den Ständen spürbar. Unbewusst atmet Lyall den typisch würzigen Geruch des Herbstes ein, welcher sich hier auch noch mit allerlei Düften nach Speis und Trank vermischt. Eigentlich ist diese Jahreszeit ihre liebste. Sie kann es normalerweise kaum abwarten jeden Zwölfmond aufs Neue mit den Gaben der Natur zu dekorieren, diese wunderbare Zeit der sich in ein festliches Gewand hüllenden Natur in ihr Heim zu holen und alles allabendlich mit zartem Kerzenschein zu überhauchen. Doch seit Beginn der Roten Suche ist vieles anders geworden, haben andere Themen oberste Priorität eingenommen und für Besinnlichkeit sowie die kleinen Freuden des Lebens war keine Kraft und kein Elan mehr übrig gewesen. Zudem fühlt es sich für die Wargin geradezu nach an Blasphemie grenzender Kurzsichtigkeit an, in so schweren Zeiten den Fokus auf faktisch „Unwichtiges“ zu lenken. Im Innersten ist dies wahrscheinlich nicht zutreffend, das ist ihr klar, aber das Gefühl bleibt stets wie zähes Birkenpech an ihrer Seele kleben.

    Die aufkeimende Schwermut bricht sich als tiefer Seufzer Bahn. Auch ihre Zweisamkeit mit Cinaéd hatte sehr unter der räumlichen Trennung gelitten und beide haben an diesen inneren als auch den externen Umständen schwer zu tragen gehabt. Doch die Tage der Einsamkeit sind beinah gezählt. Sobald das Anwesen wieder in Schuss ist und Lyall ihre beiden Freundinnen guten Gewissens ihrem Alltag überlassen können wird, wird die Wargin auf geschwinden Pfoten nach Glyn-y-defaid zurückeilen. Und ihre Besuche auf dem Schafhof würden endlich nicht mehr nur bessere Stippvisiten sein.


    Anscheinend hat nicht nur die Drachenländerin die Kürbisse erspäht, haben sich mittlerweile eine Handvoll weiterer Interessenten um den Marktstand gesammelt. Doch Lyall hat es nicht wirklich eilig, wartet geduldig, bis sie an der Reihe ist und lässt ihren Blick derweil über die Früchte wandern, schon im Geiste einen von diesen aussuchend.

    Zwei der Frauen in der Reihe vor ihr kommen mit dem Inhaber des Standes in eine Diskussion über die Angemessenheit der Preise in Anbetracht der wohl - in deren Augen - doch nicht so perfekten Kürbisse und es entfacht sich kurz ein heftiger Disput, der in den Ohren der Wargin schmerzhaft nachhallt. Dann jedoch dreht sich eine der Damen unerwartet abrupt um und hätte mit entrüstet vorgeschobenem Kinn und eingeschnappt aufgeblähtem Brustvorbau Lyall beinahe über den Haufen gerannt, wenn ihr Körper nicht ohne ihr aktives Zutun reflexartig nach hinten ausgewichen wäre. Eine Kollision mit dem Ego-gekränkten Weiblein hat sie somit vermeiden können, rempelt allerdings infolgedessen mit ihrem Rücken gegen jemand anderen und dies so heftig, dass kurz ihre Zähne aufeinander schlagen und die Feldfrüchte im Korb einen aufgeregten Satz machen. Ihre freie Hand in einer entschuldigenden Geste hebend, wendet sie sich mit schamhaft angezogenen Ohren zum Opfer ihrer unfreiwilligen Rempelattacke um.

    „Entschuldigt bitte, das war keine Absicht.“, lässt sie höflich, aber relativ kurz angebunden verlauten und will sich auch schon wieder wegdrehen, da bleibt ihr Blick an grünen Augen in einem seltsam vertraut wirkenden Gesicht hängen.

    Für weniger als einen Herzschlag meint sie den frühlingsgrünen Blick wiederzuerkennen, liegt in diesem eine fast vergessen geglaubte Vertrautheit, was ihr einen beinah schmerzhaften Schauer über den Rücken laufen lässt. Doch der Schalk und Frohsinn dieser Augen, an die die Wargin sich nur zu gut und wehmütig erinnert, liegt in diesen dort nicht.

    Er ist es nicht.

    Das Gesicht wirkt auch nicht wie seines, sondern durch das Leben gereift, bärtiger und mit feinen Linien ergänzt, an welche sich die Drachenländerin nicht zu erinnern vermag. Es ist wohl doch nur ein Reisender, der sie unsagbar schmerzlich auf ihn zurückbesinnen lässt.


    „Oh, verzeiht. Ich nahm an, wir kennen uns...“, möchte Lyall ihr starren entschuldigen. Doch glänzt da nicht plötzlich ein Hauch von Wiedererkennen in den smaragdfarbenen Scheiben? Sind es nicht doch des Bäckermeisters Augen, in denen sie sich gefühlt unzählige Male gespiegelt hatte, die sie so leicht mit einem Lachen anzustecken vermochten und stetig fröhliche Unbekümmertheit aussandten? Auch wenn sich die Signale der Seele an die Außenwelt geändert haben mochten, das Muster der feinen silbererzgleichen Linien in seinen Iriden sind, einem Fingerabdruck gleich, ein unverkennbares Wiedererkennungsmerkmal.

    Bei Ea, er ist es doch! Kann das wirklich möglich sein? Soll der Tag, den sie so sehnlichst herbei gewünscht und im selben Atemzug unsagbar gefürchtet hatte, wirklich heute sein?

    Ihre bernsteinfarbenen Augen huschen über seine Züge, seine Kleidung sowie die zu erahnenden Strukturen des Körpers darunter... seine Statur ist kräftiger, die Haare länger und ebenso der dichte Bart. Alles in allem wirkt er... gereifter. Aber auch ernsthafter, gesetzter. Langsam sickert die Erkenntnis immer tiefer in ihr Bewusstsein, wie das Nass einsetzenden Regens auf ausgedörrtem Boden: es ist ohne Zweifel Aneirin, der dort vor ihr steht. Ihr Kopf ist leer und gleichzeitig so voller umher schwirrender Gedanken, die wie aus ihrem Stock aufgescheuchte Bienen verwirrt umher zischen. Sie weiß nicht, was sie denken und fühlen soll.

    Da ist Wut, Trauer, Angst und Hilflosigkeit. Am liebsten würde sie ihm eine schallende Ohrfeige verpassen. Was bildet er sich eigentlich ein? Ohne ein erklärendes Wort aus ihrem Leben zu fliehen, nur über Briefe zu kommunizieren und fast sechs Monde lang nichts mehr von sich hören zu lassen, sodass die Wargin fest damit gerechnet hatte, er wäre schlussendlich auch ein Opfer der Roten Seuche geworden. Und sie hätte es nie erfahren. Hätte gewartet bis zum jüngsten Tag, immer mit einer winzigen Hoffnung im Herzen, die womöglich doch vergebens war. Diesen schrecklichen Gedanken hält sie zwar fest verschlossen und traut sich nicht diesen, auch nur ansatzweise, in Worte zu fassen, aber er existierte unleugbar in ihrem tiefsten Inneren.

    Anschreien möchte sie ihn, wie er nur so egoistisch sein konnte, wie dreist und... unverschämt. Freunde taten so etwas einander nicht an! Schlimmer als ein Dolchstoß hatte es sich angefühlt, als sie von seiner Abwesenheit erfuhr und ebenso gekränkt, verraten, enttäuscht. Und nun läuft die Wargin buchstäblich in ihn hinein. Hätte er nicht erst zu ihr kommen müssen? Seine Ankunft gleich mitteilen... ihr mitteilen sollen? Sie verspürt einen unangenehmen Stich, wenn sie bedenkt, dass sie wohl doch nicht so eine wichtige Stellung in seinem Leben zu haben scheint, wie sie all die Zwölfmonde angenommen hat.

    Andererseits weiß ein Teil in ihr ebenso gut, dass diese negativen Gefühle nur ein Mechanismus sind, mit der so lange persistierenden Angst und Ungewissheit um seinen Verbleib umgehen zu können. Sie kann ihr Glück kaum fassen, dass er wirklich wieder in der Stadt sein soll. Munter und lebendig, offenbar auch gesund und alles in allem Aneirin, wenn auch durch wohl nicht immer fröhliche Erfahrungen gezeichnet.

    Sie will ihm so unendlich erleichtert um den Hals fallen, ihn fest umarmen und am liebsten bis zur Ohnmacht drücken, damit sie seine Lebendigkeit spüren und sich sicher sein kann, dass er es auch tatsächlich ist. Will ihn tausende Fragen fragen und im selben Atemzug so viel berichten und das, obwohl sie nicht einmal weiß, wo sie beginnen soll.


    Am Ende tut sie nichts von alledem. Ihr Mund bleibt stumm, ihr Körper starr. Kein nach ihm greifen, keine Umarmung, kein liebes Wort. Sie ist erstarrt, wie in einem Schockzustand gefangen. Die Gedankenfetzen prasseln unbarmherzig auf Lyall herab, wie brennende Trümmer eines in Flammen stehenden Hauses. Sie hört und sieht nicht mehr, wie ihre taub gewordenen Finger den eben noch so festen Griff um den Korb lösen und sich der Inhalt zu Aneirins und Lyalls Füßen ergießt. In ihren Ohren beginnt es zu rauschen, welches nur von ihrem tieftraurigen Schluchzen überlagert wird. Ihre Augen sehen ihn an und sehen doch durch ihn hindurch, weiterhin damit überfordert, seinen Anblick richtig einzuordnen. Dann wird es einfach zu viel. All die angestaute Angst und Ungewissheit entlädt sich und ihre Tränen wollen gar nicht mehr aufhören zu fließen. Sie schlägt die Hände vor ihr Gesicht und weint so bitterlich, traurig und gleichzeitig unsagbar erleichtert, wie sie es sich schon lange nicht mehr zugestanden hat. Der waldgrüne Stoff des über den Mund gezogenen Tuches wird nass und dunkel, als ihre Tränen diesen tränken. „Ach Aneirin...“, presst sie schließlich doch hervor und blickt ihn aus geröteten Augen an. Sie greift nach seiner Hand und schmiegt diese an ihre feuchte Wange. „Endlich bist du wieder da.“

    "Drei Dinge helfen, die Mühseligkeiten des Lebens zu tragen: Die Hoffnung, der Schlaf und das Lachen. "

    - Immanuel Kant




    Ein paar Tage nach Jul 521



    Verdutzt blickt die Wargin auf den nur ein paar Sekhel messenden Mann, auf den warmen Steinen der Feuerstelle liegend, hinab.
    Ihr Herz hatte einen entsetzten Aussetzer getan, als er - überstützt vor ihr zurückweichend - dem Feuer zu nahe gekommen ist, dann unsicheren Schrittes herumgewankt war (auch da ist sie nicht vollends überzeugt gewesen, ob er nicht doch noch in das wärmende aber auch durchaus gefährliche Feuer fallen würde und hatte sich innerlich schon darauf vorbereitet ihn mit der bloßen Hand aus den Flammen zu fischen), nur um schlussendlich recht seelig schnarchend vor ihr niederzusinken.

    Zumindest wird er die Nacht überleben, ist seine kleine Hand, welche Lyall kurz berührt hatte, doch erstaunlich warm gewesen. So hofft die Wargin auch, dass der Rest sich hatte ausreichend erwärmen können. Um ganz sicher zu gehen zieht sie nun doch mit aller größter Vorsicht seine kleinen Stiefelchen aus, nicht ohne im selben Moment die feine Machart und absolute Winzigkeit zu bewundern, bevor sie auch die restlichen nassen Schichten Kleidung von ihm herunter pellt (aber natürlich nur so weit, wie es sich geziemt) und zum trocknen am Feuer ausbreitet.

    Mit ihren feingliedrigen Fingern befördert sie anschließend den kleinen Gast erneut sicher in sein provisorisches Lager und deckt ihn mit einem Zipfel des Geschirrtuches zu. Kurz sieht sie ihn an, beobachtet das Schattenspiel der Feuerstelle, welche über seine Gesichtszüge hinweghuscht, sich erneut fragend zu welchem besonderen Volk erwohl gehören möge,, bevor sie sich erhebt und... nach der Kanne greifen will, die derweil brav draußen am Brunnen ausharrt. So, wie möglicherweise auch die Eule... Nochmal möchte sie keine schmerzhafte Bekanntschaft mit dem großen Vogel machen. Einen leisen Stoßseuftzer von sich gebend, wendet sie ihren Blick ab, erhebt sich und holt ein Hühnerbein aus der Vorratskammer, welches (nebst anderen Hühnerteilen) als Suppenbasis gedient hatte und morgen... nein wohl eher heute... als Beilage dienen sollte. Doch Lyall wird es dem Vogel als „Tauschobjekt“ überlassen; schließlich hat sie diesen unleugbar um sein Mahl gebracht.


    Der Winter vor der Tür empfängt sie diesmal gefühlt mit noch eisigeren Fingern, sodass sie schnell den Kessel mit Wasser füllt, das Hühnerbein auf dem Brunnenrand ablegt und sich fröstelnd wieder in die Küche trollt. All dies ohne Eulen-Zwischenfall, obwohl die wachsamen Augen des Tieres Lyall die ganze Zeit beobachtet haben.

    So leise wir möglich plaziert die Drachenländerin ein eisernes Dreibein über dem Feuer, um den Kessel darauf abzustellen und kann nicht umhin bezüglich der beachtlichhen Lautstärke des Schnarchens zu schmunzeln. Wer hätte gedacht, dass solch ein kleines Wesen so laute Geräusche produzieren kann?

    Während sie darauf wartet, dass das Wasser zu kochen beginnt, lässt sie sich am breiten Küchentisch nieder und legt ihren Kopf auf einer Hand ab, bevor sie erschrocken zurück zuckt. Getrocknetes Blut hat sich in dünnen Bahnen krustig auf der Haut abgesetzt, doch die Wunde scheint aktuell nicht mehr zu bluten. Offenbar ist der Krallenhieb doch nicht so tief gewesen, wie ich anfangs gedacht habe., sinnt sie, plaziert ihren Kopf vorsichtshalber aber doch lieber auf der unversehrten Wange und begiebt sich in eine einigermaßen bequeme Position. Müdigkeit kriecht nun doch mit einer recht ausgeprägten vehemenz an Lyall heran und ihre Augen brennen und wollen nicht mehr länger offen bleiben, als nötig. Den Tee wird sie noch zubereiten und zu sich nehmen. Vielleicht kann sie ihrem Gast dann ebenso ein kleines Fingerhühtlein voll anbieten, falls er bis dahin erwacht sein sollte.

    Das leise Prasseln und Knacken der vom Feuer verzehrten Scheite, das rhythmische Schattenspiel der Flammen und das kakophonische aber doch befremdlich stetige Schnarchen lullen ihren Geist zusehends ein. Und mit sehnsüchtigen Gedanken zu ihrem Liebsten abdriftend dämmert die Wargin langsam ein.

    "Du kleines Wesen! Komm herein in meine warme Stube und iss mit mir!"
    - Feldmaus aus Däumelinchen von Hans Christian Andersen



    Ein paar Tage nach Jul 521



    Will sie eben noch auf die Worte des kleinen Geschöpfes „Nein, bitte nicht...“ in einer beschwichtigenden Geste ihre sie abstützende Hand heben, um ihm zu signalisieren, dass sie nicht vorhat ihn aufzufressen, wird ihr bei den nächsten erschöpft gehauchten Worten etwas ganz anderes klar. Sie soll ihn vor der Eule beschützen, die wohl ganz und gar nicht auf der Suche nach Mäusen gewesen ist. Kurz blitzt der irritierende Gedanke auf, seit wann kleine Leute unter dem Garten des Anwesens wohnten und den Bewohnern nie aufgefallen waren, doch die geistig gestellte Frage verpufft ebenso schnell wie sie gekommen ist. Die Wargin kann bei der kleinen, dunklen Silhouette der Gestalt keine genauen Einzelheiten erkennen, aber was definitiv nicht zu übersehen ist: Sie zittert am ganzen Leib. „Keine Sorge, die Eule wird jetzt nicht angreifen. Du brauchst keine Angst zu haben.“ Ob ihre Worte allerdings noch gehört werden bleibt offen, denn der kleine Mann (zumindest anhand der Stimme würde Lyall ihr Gegenüber dem männlichen Geschlecht zuordnen) kippt wie ein winziger gefällter Baum auf die Seite und scheint gerade seinen letzten Atemzug aushauchen zu wollen.

    Schlagartig ist die Wargin hellwach. „Hey! Hey, Kleiner! Verdammt...“ Hastig schiebt sie ihren Arm durch das Geäst, ohne auf Kratzer und Schrammen zu achten, angelt mit spitzen Fingern vorsichtig nach dem kleinen Körper. Sie birgt ihn vorsichtig in der Faust ihrer Rechten, versucht seinen herab baumelnden Kopf nirgends anzustoßen oder seine Extremitäten zu verletzen, als die Eule erneut schreit und sich offenkundig um ihre Beute betrogen fühlt. Die Wargin kann hören, wie der Raumvogel zornig seine Federn schüttelt, doch es kümmert sie gerade nicht weiter. Ihre ganze Aufmerksamkeit gilt dem ohnmächtigen Geschöpf.
    Rasch und so behutsam wie möglich wickelt sie ihn in einen Mantelzipfel, kickt Schnee über das vergehende Feuerchen und sprintet in Richtung Küche los. Sie hofft ihren Passagier nicht unnötig hart durchzuschütteln und ist bemüht die gröbsten Stöße abzufedern, hält die Drachenländerin ihn doch so vorsichtig sacht, als wäre ein kleiner Vogel in ihrer Obhut.

    „Gleich sind wir im Warmen. Halte durch!“, spricht sie wahrscheinlich gerade mehr zu sich selbst auch, um ihren rasenden Herzschlag zu beruhigen.
    Er würde nicht sterben.
    Nicht hier.

    Nicht jetzt.

    Nicht noch jemand!
    Der Weg ist nicht weit, aber er kommt ihr gerade unglaublich lang vor. Dann schiebt sich der Brunnen in ihr Blickfeld und ihr Herz macht einen erleichterten Satz, sind sie beide gleich im Warmen!
    Plötzlich wird ihr Kopf von einem federummantelten Sack Steine getroffen, der zu allem Übel auch noch Krallen hat, welche sich tief in ihre rechte Wange bohren. Erschrocken schreit die Wargin auf, kommt ins Straucheln und verliert das Gleichgewicht. Ihr Körper reagiert schneller, als sie überhaupt zu denken vermag und rollt sich instinktiv zusammen, um die fragile Fracht zu schützen. Zusammengekauert zu einer Kugel rutscht sie die letzten Schritte bis zum Brunnen und schlägt dort dumpf mit dem Hinterkopf an. Kleine helle Kreise tanzen kurz vor ihren Augen eine Welle aus Übelkeit wogt in ihr hoch und ein halb unterdrückter Schmerzlaut entringt sich ihrer Kehle. Einen kurzen Moment liegt sie schief an den Brunnen gelehnt, bevor ihre Sicht sich klärt und die Übelkeit verebbt. Dann suchen ihre Augen auch schon nach dem Angreifer und entdecken ihn rasch auf einem nahegelegenen Baum. Die Eule hat sich nicht einmal die Mühe gemacht sich zu verstecken. Die Wargin kann die Wut und Verzweiflung bis zu sich herüber spüren; der Vogel würde erneut angreifen. Offenbar ist sein Hunger so groß, dass er alle Vorsicht fallen gelassen hatte und zum Angriff übergegangen ist. Sie kann das Tier verstehen, aber besonders glücklich ist sie mit dessen Reaktion nicht. Doch verscheuchen kann sie ihn auch nicht, sind ihr doch gerade ''die Hände gebunden''.
    Dann wird ihre Aufmerksamkeit von der Eule abgelenkt oder besser gesagt: zu den Wunden hingelenkt, die Lyalls Wange und Hinterkopf davongetragen haben. Ein unangenehmes Brennen und Pochen breitet sich aus und es würde bestimmt schlimmer werden. Doch das erinnert sie ebenso an den Mann in ihren Händen. Hastig öffnet sie ihren Griff, späht zwischen ihre Hände und den Mantelfalten: er atmet noch. So weit, so gut.

    Die Eule nicht mehr aus den Augen lassend, schiebt Lyall sich in eine aufrechte Position. Auch der Vogel hält die schwarzhaarige Frau mit seinem Blick gefangen, folgt den Bewegungen mit seinem irritierend beweglichen Kopf. Langsam umrundet die Wargin den Brunnen, schätzt aus dem Augenwinkel die Distanz bis zur Küchentür ab und rennt erneut mit gesenktem Kopf los. Sie kann die Eule im Flug nicht hören, dafür muss diese schon sehr nahe kommen und auf noch einen Krallenhieb verzichtet sie gerne.
    Und tatsächlich: einen Angriff startet die Eule noch und eher aus Instinkt heraus zieht Lyall ihren Kopf noch etwas tiefer, sodass die gebogenen Krallen sich nur kurz schmerzhaft in ihrem Haupthaar verfangen, ehe sie in den schützenden Türrahmen der Küche taucht und im nächsten Moment auch schon darin verschwunden ist. Vielleicht ist die Eule auch schon zu erschwächt gewesen, um erneut solch einen harten Treffer zu landen, doch die ehemalige Magd des Anwesens will es auch gar nicht wirklich herausfinden.


    Mit zwei schnellen Schritten hastet sie zum Feuer herüber, welches die Scheite bereits fröhlich verzehrt, legt noch einen nach und testet dann mit ihrem Handrücken, in welchem Abstand zum Feuer sie ihren Passagier absetzen kann. Es soll trotz Feuer nicht frieren, aber er soll auch nicht anfangen zu kokeln.
    Als Lyall die für sie korrekte Strecke zum Feuer hin ausgemacht hat, legt sie den kleinen Körper vorsichtig dort ab. Doch so allein auf dem nackten Stein will sie ihn nicht lassen. Kurz überlegt sie, wie er am besten zu betten wäre und entscheidet sich dann für ein Brotkörbchen mit flachem Rand, in das sie ein Geschirrtuch hineinlegt. Ein Ende rollt sie auf, damit sein Kopf höher zu liegen kommt, wie der Rest und als er darin gebettet ist, kniet die Wargin sich vor die Feuerstelle und beginnt vorsichtig seine Arme von den Händen an zu massieren, um den Kreislauf wieder in Schwung zu bringen.
    Erst jetzt hat sie Gelegenheit ihn genauer anzusehen. Seine Haut ist fast ebenholzartig schwarz gegen ihre weißen Fingerkuppen, welche annähernd seinen ganzen Arm bedecken können und auch das Haar ist dunkel und wohl leicht kraus. Genau kann sie es nicht erkennen und sie wagt nicht seinen Kopf zu bewegen, geschweige denn die klamme Kleidung oder die winzigen Stiefel von seinen Füßen zu entfernen. Zu groß ist die Angst, dass am Ende nicht die Kälte, sondern ihre Hände sein Ende bedeuten könnten. Genau weiß sie jedoch, dass solch eine dunkle Haut noch nie zuvor unter ihre Augen gekommen ist, aber es wundert sie auch nicht weiter, denn so ein winziges, menschenähnliches Geschöpf ist ihr ebenso noch nicht untergekommen. Sie glaubt weiterhin nicht, dass es eine Fee ist, doch was dann? Wohnt tatsächlich ein kleines Volk unter dem Anwesen, welches sich so gut zu verstecken vermag, dass sie selbst als Wolf noch nie eine Spur von ihnen hatte wittern können? Auskunft könnte ihr sicher das Buch über die Völker von Roha erteilen, welches sie vor einiger Zeit im Bücherregal des Salons hatte erspähen können oder natürlich Aurian. Aber sie wagt nicht ihren Schützling zu verlassen und das Buch oder Aurian aufzusuchen.

    Und so schiebt sie ihn in seiner ''Bettstatt'' doch noch etwas näher an das Feuer heran, massiert weiter das Leben zurück in seine Glieder. „Komm schon, kleiner Herr. Hörst du mich? Du musst aufwachen!“, spricht sie ihn an und kann die wachsende Verzweiflung in ihrer Stimme nicht ganz unterdrücken. Das Blut, welches dabei von ihrer Wange herabtropft, ignoriert sie geflissentlich. Darum, sowie um die Wunde an ihrem Hinterkopf, wird sie sich später kümmern.

    "From the very jaws of death I have escaped to this condition."

    - Lucretius



    Ein paar Tage nach Jul 521



    In die Stille ihrer Kammer hinein seufzend presst Lyall die bereits geschlossenen Augenlider noch fester aufeinander, als könnte sie damit den ersehnten Schlaf herbeizwingen. Doch wie schon die Stunden davor tut sich nichts. Ihr Körper und Geist sind bis auf das Äußerste erschöpft, sie fühlt sich ausgebrannt und so unsagbar leer… und doch will der erholsame Zustand des Schlafens nicht über sie kommen. Es ist ein seltsames Gefühl, als läge sie auf dem Wasser (nicht in ihrem Bett) und der Schlaf wartet geduldig auf sie, dort, am Grund. Aber so sehr sie sich auch abmüht, strampelt und verzweifelt versucht zu tauchen, schafft sie es nicht hinabzugleiten, treibt ihr Körper weiterhin unbeeindruckt auf der Wasseroberfläche als wäre er aus Kork.
    „Zum Dunklen noch eins! Jetzt schlaf, bei Ea‘s grünem Blut!“, schimpft die Wargin zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch, während sie zum wiederholten Mal die Bettdecke aufschüttelt, das Kopfkissen richtet, sich an beruhigenden Atemübungen versucht (die sie nur noch mehr zur Weißglut treiben), die Augen schnell hintereinander öffnet und schließt, um diese müde zu machen.
    Vielleicht lässt es sich auf der linken Seite besser schlafen, oder doch rechts?
    Nein…
    Bauchlage?
    Nein…
    Dann doch erneut auf den Rücken…
    Oder ist es auf der rechten Seite doch bequemer gewesen?
    Wenn sie ehrlich zu sich selbst ist kommt ihr gerade alles unbequem vor und doch sehnt sich ihr Körper so sehr nach der horizontalen Lage auf der Bettstatt. Gedankenverloren starrt Lyall auf das verzerrte milchigtrübe Viereck, welches das gedämpfte Mondlicht auf die dem Fenster gegenüberliegende Wand zeichnet. Ein paar Minuten liegt sie so, dem Schlaf noch eine valide Chance einräumend sie mit seiner Anwesenheit zu beehren, bevor die Drachenländerin doch wieder grummelnd in die Vertikale wechselt. Die Beine aus dem Bett schwingend und kurz ob des kalten Bodens zusammenzuckend steht sie auf, wirft sich ihren dicken Wollmantel über die Schultern und angelt im Vorbeigehen nach ihren Stiefeln sowie dem Schlüsselbund des Anwesens im kleinen Vorraum des Gesindetraktes. Ein Melissentee wird hoffentlich ihren angespannten Geist beruhigen und ihr den so dringend benötigten Schlaf bringen.
    Sprichwörtlich auf Zehenspitzen verlässt sie das Gebäude und hält die Schlüssel fest in der Faust gefangen, denn Avila soll nicht unnötigerweise auch noch um ihren Schlaf gebracht werden. Erst vor der Tür des Gesindehauses, wo Kälte und glitzerndes Weiß still auf Lyall warten, lässt diese das Schuhwerk auf den Boden sinken, schlüpft hinein und begibt sich noch etwas schlaftrunken auf den Weg in Richtung Küchentrakt. Feiner Nebel ihres Atems tanzt zart um ihr Gesicht und sie zieht den flauschigen Mantel (ein Geschenk ihres Liebsten aus feinster Wolle von Gly-y-Defaid) automatisch enger um ihren Leib, damit die klammkalt tastenden Finger der Winternacht nicht so einfach nach ihrem noch bettwarmen Körper greifen können. Nichtsdestotrotz beeilt sich die ehemalige Magd die schwere Tür zur Küche aufzuschließen und ebenso hurtig hinter sich zuverriegeln, um die Kälte nicht nach Drinnen sowie die Restwärme der Küche nicht nach Außen gelangen zu lassen.


    Nur noch schwach glimmt ein im Vergehen begriffenes Häufchen Asche, doch zwei nachgelegte Scheite und ein paar kräftige Atemstöße später lecken die ersten Flammenzüngelchen hungrig nach dem trockenen Holz und ein goldener Schein breitet sich in der Küche aus. Mit der rechten Hand den Schlüssel in ihre Manteltasche gleiten lassend, greift die Wargin nach einem dünnen Kienspan, den sie am Feuer anzündet, um diesen auf dem Weg in den Keller als Lichtquelle zu benutzen. Die getrockneten Melissenblätter sind schnell in den Regalen gefunden, beschriftet Avila doch alles akribisch mit ihrer ordentlichen Handschrift und ein paar Herzschläge später ist Lyall auch schon wieder in der Küche, nur um nun festzustellen, dass der Wasserbottich gähnend leer ist. Ein an sich selbst gerichtetes genervtes Augenrollen kann sie nicht unterdrücken, während sie nach dem rußigen Wasserkessel greift. Schließlich ist es die Wargin gewesen, die einen Abend zuvor zu erschöpft gewesen war, den großen Vorratsbottich mit mehreren Ladungen Wasser aus dem Brunnen zu füllen, sondern hatte dieses Vorhaben nur allzu gern auf den nächsten Tag verschoben. Aber wer hätte auch ahnen können, dass sich diese Entscheidung so schnell rächen würde?

    So begibt sie sich erneut in die eisige Rauhnacht, stapft zum Brunnen herüber und setzt den Kessel auf dem Brunnenrand ab. Langsam und an vor Kälte steif knarrenden Seilen lässt die Drachenländerin den leeren Eimer in den schwarz gähnenden Schlund des Schachtes hinab, bis ein entferntes Platsch ertönt, sie am Zug des Seiles erkennt, dass sich der Eimer zu füllen beginnt. Ausgiebig gähnend wünscht sie sich wieder ins Bett, auch wenn dort kein Schlaf warten mag. Gedankenverloren beginnt sie gerade damit den schweren Eimer zu sich hoch zu ziehen, als ein seltsames Geräusch an ihre Ohren dringt. Abrupt stoppt das Seil, während sie lauscht und versucht die Quelle auszumachen. Doch es ist erneut still und nur die normalen Winternachtgeräusche zu vernehmen. Das Knacken von frostharschem Schnee, das widerspenstige Knarren des starren Astgeflechtes der Bäume im Garten sowie das leise Fiepen wachgewordener Mäuse, die in selbstgegrabenen Gängen unter der Schneedecke umher flitzen.

    Das Seil spannt sich also wieder, der Eimer kommt Schritt um Schritt weiter gen Brunnenöffnung empor bevor er erneut so ruckartig zum Stehen kommt, dass ein Teil des Inhaltes sich entleert und erneut mit der Wassersäule am Fuße des Schachtes vereinigt wird.

    Der Dunkle soll mich holen, da war doch etwas... Ihre Ohren zucken, bewegen sich hin und her, um dem Ursprung habhaft zu werden. Es klingt fast wie trockenes Laub, welches über den Boden geschleift wird, doch da ist noch etwas darunter. Gedämpfte Schreie einer... Eule?! Die Ohren fest auf das Geräusch fokussiert wird der Eimer eilig hoch gehievt und schwappend auf dem Brunnenrand abgestellt, bevor sie ihren Mantel enger um sich zieht und in Richtung Garten eilt.

    Je näher sie kommt, desto klarer wird, dass es sich um über den Boden schleifendes Gefieder handelt, welches einer recht großen Eule gehört. Wie vom Dunklen besessen flattert sie am Fuße des den Garten einfassenden Gebüsches umher, doch fliegt nicht weg. Ein seltsames Verhalten für solch einen großen Vogel, doch vielleicht kann er gar nicht abheben? Hängt er an etwas fest? Lyall ist nicht bekannt, dass im Garten Fallen für Wildtiere lauern könnten, achten alle Bewohner doch sehr genau darauf zum Beispiel keine Schnüre liegen zu lassen, in denen sich Getier verhäddern möge oder zu tiefe Wasserstellen, aus denen es kein Entkommen für Kleinstlebewesen gibt.

    Aus ihrem derzeitigen Winkel kann sie nur den breiten Rücken der aufgebrachten Eule erkennen und so nähert sie sich bedächtig der Szenerie.

    Das gefiederte Tier scheint wirklich sehr in sein Tun vertieft, bemerkt es die Wargin erst, als diese schon auf gut zwei Schritt herangekommen ist und nun beruhigende Worte an den Vogel zu richten versucht. Als die Eule die Wargin erspäht, flattert sie verärgert schreiend und... singend? auf den nächsten Ast eines der nahen Bäume, beäugt sie mit feurigen Augen und aufgeplustertem Gefieder. Zumindest scheint sie wohlauf, doch ihre Aufmerksamkeit ist noch immer auf die Stelle am Boden geheftet, denn sie macht keine Anstalten vor Lyall wegzufliegen. Im Gegenteil: Sie sieht eher aus, als würde sie wollen, dass Lyall verschwindet.

    „Immerhin bist du nicht verletzt.“, richtet die Wargin ihre Worte zum Baum hinauf, nur um im selben Atemzug anzufügen: „Aber was hast du da unten getrieben?“. Dass sie eben noch meinte Gesang zu hören... den Gedanken schüttelt sie ab. Die gefiederten Räuber der Nacht sind nun wirklich nicht für ihre feinen Stimmen bekannt.

    Näher an den Busch tretend rechnet die ehemalige Magd eigentlich damit eine dem Tode nahe Ratte zu finden, mit der die Eule anscheinend so ihre Schwierigkeiten gehabt zu haben scheint, doch dann wird sie einem schwachen orangenen Glimmen gewahr. Sich in die Hocke begebend kann sie zwischen den dicken Wurzeln ein Loch mit ausgefransten Rändern sehen, in dem ein kleines Feuer zu brennen scheint. Verwirrung macht sich auf ihrem Gesicht breit. Mäuse und Ratten braten normalerweise nichts über offenem Feuer und an spontane Selbstentzündung des Wurzelwerkes kann und will sie nicht glauben. So stützt sie sich mit ihrer Linken im Schnee ab, hält mit der rechten den Mantel zu und presst ihren Kopf mit angezogenen Ohren so weit es ihr eben möglich ist in das Geäst. Was sie zu sehen bekommt, zumindest mit ihrem rechten Auge, ist ein Häuflein brennendes Heu und Sämereien, doch das wird den Vogel wohl kaum so rasend gemacht haben, dass er nun schon wieder zu schreien beginnt.
    „Ja, ja... gib Ruhe. Ich gehe ja schon wieder... such deine Maus... nur weiter, will sie eigentlich sagen und mit einer Hand voll schnee das Feuerchen löschen, doch ihr bleiben die Worte im Hals stecken. Ein kleines Gesicht schiebt sich vor die Öffnung des Lochs, blickt sie dabei direkt an. Es ist kein Irrlicht, keine Fee und auch sonst kein Wesen, welches Lyall meint zu kennen und so bringt sie nur ein verdattertes „Uh...äh...Hallo?“ hervor.

    ... reißen die schlechten Nachrichten einfach nicht ab

    ... will sich das Leben irwie nicht beruhigen

    ... bin ich verwirrt und ich hasse Verwirrung! :tipsy:

    ... wünsche ich euch einen schönen Tag und hoffe, dass es bei euch besser läuft <3

    Es gibt keinen Schmerz, dessen Grenzen sich nicht weiten lassen.

    Gabriel Burns – Folge 33 „Schmerz“




    Jul 521 - später Abend



    Schmale Bänder aus Dampf winden sich träge aufwärts in Richtung Zimmerdecke, wie eine fragile Prozession winzigster Wassermoleküle, die sich scheinbar zum Rhythmus einer unhörbaren Melodie tanzend empor erheben. Dennoch werden sie dieses gemeinsame Ziel nie als Verbund erreichen.

    Sei es die Störung durch Lyalls ruhigen, stetigen Atem, der den Zusammenhalt der gläsern durchscheinenden Partikel schreckhaft auseinanderreißen lässt oder ihre ganz eigene Entscheidung auf der Hälfte ihres Weges nun noch lieber mit einsamen Luftmolekülen eine Partnerschaft einzugehen, die Luft kurz weiter mit Feuchtigkeit zu schwängern, um sich dann erneut als winzige Wassertropfen auf den glatten, kühlen Oberflächen von Töpfen und Pfannen niederzuschlagen… schlussendlich werden die geisterhaft wabernden Gebilde zerstört und die Bänder zerfasern zu flüchtigem Nichts.

    Der Ursprung dieses Phänomens ist ein großer wassergefüllter Zuber, dessen heißer Inhalt in der feuchtwarmen Umgebung nur langsam abzukühlen beginnt. Unter der Oberfläche des milchig weißen Wassers schwimmen Wäschestücke, wie Bettlaken oder Kopfkissen und harren geduldig ihrer Reinigung. Eines der Laken hat es zumindest schon auf den Rand des Zubers sowie halb auf ein hölzernes Brett geschafft, um dort eigentlich von der Wargin mit einem Stück Seife und dem Wäschebleuel ordentlich bearbeitet zu werden. Allerdings liegt es dort schon - noch gänzlich unbehelligt von Seife und Schlagholz- seit geraumer Zeit, trocknet hier und da schon wieder leicht ein und wirkt dabei, wie die nachlässig abgestreifte Haut einer riesigen Schlange.


    Auf einem niedrigen dreibeinigen Schemel sitzend, den Oberkörper leicht vornübergebeugt und mit auf dem Rand des hölzernen Zubers ruhenden Armen, ist Lyall in der einlullenden Wärme der Küche eingenickt. Ihr Atem ist regelmäßig und leise, verrät damit etwas über die innere Ruhe, die sie gerade in ihren Träumen auskosten kann und ein angedeutetes Lächeln lässt auf einen schönen Moment hindeuten, den sie erneut durchleben darf. Tatsächlich träumt ihr Geist von glücklicheren Tagen, welche zwar zeitlich gesehen zum Teil nicht in allzu ferner Vergangenheit liegen, emotional gesehen dafür umso mehr; in unzusammenhängender Reihenfolge spult ihr Innerstes Bilder ab… ihr erstes , scheues Aufeinandertreffen mit ihrem wunderbaren Shida‘ya Cinaéd auf dem Blumenball, Aneirins und ihr Ausflug zum Perlenhafen, die wilde Hatz mit Kaney und Ragna durch das flirrende Schattenspiel des Larisgrüns, leuchtende Kaninchen zu Flötentönen tanzend, Avilas lachendes Gesicht abgewandt von der gleißenden Sommersonne, umspielt von den üppig blühenden Rosen des de Winter`schen Gartens, das Gesicht ihres Geliebten, umrahmt vom satten graugrün der Weide am Ufer des Ildorel… so als ob ihre Seele sich selbst daran erinnern muss, dass auch schöne Dinge auf Rohas weitem Rund warten, als ausschließlich Krankheit, Verzweiflung und Tod. Doch je mehr sie in den Schlaf übergleitet, sich ihre Muskeln weiter entspannen, desto lockerer wird wiederum ihr Griff um das Seifenstück. Allmählich gleitet es fort, sich aus der Umklammerung der Finger schleichend, hinab zur Wasseroberfläche strebend. Zwischen den Fingerspitzen verweilt es kurz, als wäre es unschlüssig, ob es den Sprung in das Wasser wagen soll, doch ein bald darauffolgendes platschendes „Blubb“ zeigt an, dass das Stück gepresste Sauberkeit die Wasseroberfläche durchbrochen hat. Die Ohren der Wargin zucken, als sie das Geräusch vernehmen und dieser lapidare Sinnesreiz unterbindet abrupt Lyalls weitere Reise in das Reich der Träume.


    Obgleich das Kaminfeuer die Küche mit einem blassen sanftgoldenen Schein überzieht, blinzelt die schwarzhaarige Frau mehrmals und ihre Augen müssen sich kurz an den schummrigen Schein gewöhnen. Einen Moment ist die Drachenländerin irritiert, als die mit fabelhaft unnatürlich grell gemalten Traumbilder in ihrem Kopf gegen die spröde Gegenwart des Hier und Jetzt kämpfen, jedes der Beiden nach der Vorherrschaft über ihr Bewusstsein strebend, doch schlussendlich siegt die glanzlose Gegenwart und lässt die freudigen Erinnerungen, wie durch auffrischende Winde fortgescheuchte Wolkenfetzen, unsanft zerreißen. Ein paar Herzschläge lang muss sich erst orientieren, doch schnell dämmert ihr, wo sie sich befindet und welcher Tätigkeit sie nachzugehen vorhatte. Ernüchtert und mit traurig herabhängenden Ohren seufzt Lyall tief, reibt sich mit einem Handrücken über die mit unschön dunklen Ringen verhangenen Augen. Ungelenk angelt sie im weißlich trüben Wasser des Bottichs nach dem aus ihren Händen entfleuchten Seifenstück und beginnt erneut mechanisch den vor ihr auskühlenden Leinenstoff zu bearbeiten, in den die kränkelnden Essenzen der vielen Kinder sprichwörtlich eingesickert sind.

    Wie ein unsichtbares Miasma, hatte sich die Krankheit an die Bevölkerung herangeschlichen, war still und unberechenbar durch die Stadt gekrochen, hatte vor nichts und niemandem Halt gemacht. Manche Völker waren gegen diese Krankheit immun, wie man nach einiger Zeit feststellte, doch auch die von der Roten Seuche verschonten Individuen litten und darbten, da auch sie die Drangsal und das Sterben von Freunden, Verwandten und Familienmitgliedern hilflos miterleben mussten. Anfangs war man zuversichtlich und voller Hoffnung gewesen, dass das Unheil schnell überwunden werden würde, war man doch schon mit so vielem in der Vergangenheit fertig geworden und vor allem, da die Anirani und sogar ein medizinisches Gebräu die Krankheit heilen konnten. Doch schließlich waren in immer kürzeren Abständen zunehmend mehr Personen erkrankt, als dass die Anirani mit ihrer Heilkunst hinterher kamen oder das Heilmittel für alle Notleidenden verfügbar gemacht werden konnte. Die Rote Seuche biss sich heimtückisch fest und schien gar nicht so schnell wieder das Weite suchen zu wollen, wie vormals erhofft. Wie eine ausgehungerte Zecke saugte sie die Stadt förmlich leer, sodass diese schlussendlich bar jeder Hoffnung und Zuversicht war. Hier und da entlud sich aufgestauter Unmut über die zu Beginn der Notlage vom Stadtrat getroffenen Vorsichtsmaßnahmen, wie das Tragen eines Tuchs über Mund und Nase, das Meiden von übermäßigen Kontakten oder auch das Verbot von öffentlichen Veranstaltungen und, damit einhergehend, auch das Schließen der Gasthäuser. Beispielsweise kochten die Gemüter eines Tages über und alles endete in einem Aufstand der Händler, da der Marktplatz zu großen Teilen geräumt und jegliche Stände, welche keine Güter des täglichen Gebrauchs anboten, ersatzlos verboten wurden. Doch der Großteil der Bevölkerung ging - wenn überhaupt - mit gesenkten Köpfen und tuchverhangenen Gesichtern durch die Gassen, vorrangig damit beschäftigt Abstand zu halten und sich selbst vor den üblen Winden zu schützen.


    Die mit winzigen Schaumbläschen überzogene Seife zur Seite legend und den Wäschebleuel kräftig einsetzend fällt ihr auf, dass es sich tatsächlich um Aurians Bettwäsche handelt, welche sie gerade in den Händen hält. Der säuberlich gestickte Buchstabe „A“ lässt daran keinen Zweifel. Infolgedessen taucht Varins Gesicht vor ihrem inneren Auge auf, kränkelnd und grau, dem Tode näher als dem Leben. Denn er ist es gewesen und keines der Kinder, dessen um Genesung kämpfender Leib von Aurian und ihr selbst mit vereinten Kräften in die Schlafstatt ihrer Freundin bugsiert worden war. Viele bange Siebentage hatte er dort verbracht, stets sorgenvoll überwacht von der Halbelbe, die ihn nur selten aus ihren grünen Augen ließ. Noch nie hatte Lyall den kräftigen Mann so zerbrechlich und schwach erlebt, ihre Freundin schon lange nicht mehr so verzweifelt. Ja, eine verzweifelte, tränenreiche und unsagbar zäh dahinkriechende Zeit war es die letzten Zwölfmonde durchaus gewesen, auch wenn diese Worte die vorherrschende emotionale Resignation und Erschöpfung nicht annähernd beschreiben können. Nur sehr langsam hatte sich der Zustand des blonden Mannes gebessert und er hatte letzten Endes ausgezehrt und matt, aber lebendig das Anwesen wieder verlassen können. Vielen der Kinder war dies nicht vergönnt gewesen und sie hatten ihre letzten Stunden im Anwesen verbracht, stetig umsorgt von allen dort verfügbaren Kräften, doch vergebens. Ihre kleinen von Hustenkrämpfen geschüttelten und vom Fieber erschöpften Körper hatten den Kampf gegen die Rote Seuche verloren, taten ihren letzten röchelnden Atemzug in den zitternden Armen einer der auf dem Anwesen Wacht haltenden Frauen.

    Lyall hatte die entsetzliche Erfahrung machen müssen wie es ist, ein sterbendes Kind in den Armen zu halten, Wellen der absoluten Hilflosigkeit gepaart mit Wut und Verzweiflung über sich hinwegwaschen zu lassen, bar jeder Hoffnung auf Errettung. Nun hat sie einen Einblick bekommen, was Aneirin mit Brianna damals hatte durchmachen müssen.

    Nicht, dass sie so vermessen wäre zu glauben, sie wisse nun, wie sich ein Elternteil fühlt, der sein eigen Fleisch und Blut sterben sieht. Aber der ungewollt gewonnene Eindruck genügt ihr, dass ein Teil ihrer Seele für immer tiefe Wunden tragen wird und jedes Mal ein kleiner Teil ihrer selbst dabei gestorben war.


    Kurz blinzelt die Wargin die erneut aufwallenden Tränen hinfort, fokussiert ihren Blick ein paar Herzschläge lang zwanghaft auf die grellorangenen Flammenzungen des Herdfeuers, welche geisterhaft verzerrte Schattenspiele über den Innenraum der Küche tanzen lassen, bevor sie sich wieder der Wäsche zuwendet. Mit rotgeäderten verquollenen Augen waren sie alle ihrer Arbeit nachgegangen, bis jede verfügbare Träne vergossen worden und die absurde Situation eingetreten war, dass sie alle - trotz tiefer Traurig- und Mutlosigkeit - nicht mehr weinen konnten. Weiterhin hatten sie nach außen hin versucht Zuversicht auszustrahlen, was ihnen wohl nur kläglich gelungen war. Aber konnte es ihnen jemand verübeln?

    Auch die Beziehung der Wargin zu ihrem Elben litt sehr, denn kaum hatten sie den freudigen Entschluss gefasst ihrer beider Leben zusammen auf Glyn-y-Defaid in trauter Zweisamkeit zu gestalten, hatte dieser Zukunft das plötzliche und in den Auswirkungen so heftige Auftreten der Seuche ein vorerst jähes Ende beschert. Die Habseligkeiten der Drachenländerin hatten damals allesamt auf einen Handkarren gepasst und waren auch schon sicher auf dem Schafhof angelangt. Doch bevor sie sich richtig einleben und die Anwesenheit ihres Geliebten nun tagtäglich genießen konnte, musste sie ihre Liebe und den Hof schon wieder überstürzt verlassen, um ihrer Freundin und den Kindern in Not zu Hilfe zu eilen. Dass sie nun erneut so lange getrennt von Cinaéd auskommen musste und ihm wiederum in seinem Heim keine Hilfe sein konnte, macht ihr schwer zu schaffen, auch wenn sie um die Notwendigkeit ihres persönlichen (in Anbetracht der vielen zu Beklagenden durchaus als relativ gering einzuschätzenden) Opfers Bescheid wusste. Doch ihr Herz beschwerte diese Last zusätzlich, ließ die Tage lang und die Nächte noch länger werden und der Umstand, dass sie Cin fast nur dann sah, wenn Sithech eines der kleinen Geschöpfe zu sich geholt hatte, machte alles schier unaushaltbar. Tiefe Sorgenfalten haben sich in das sonst so ebenmäßige Gesicht des Elben eingegraben, im roten Feuer seiner Haare blitzen mehr Silberfäden auf, als noch vor der dramatischen Seuche und sein Lachen ist nur noch eine von Lyalls schönen Erinnerungen.

    Ihr Griff um den Wäschebleuel wird fester und ihre Kiefermuskeln spannen sich an, als sie krampfhaft darum bemüht ist die Fassung zu wahren. Ihn so zu sehen riss ihr jedes Mal aufs Neue das Herz aus dem Leib, doch mehr füreinander tun als sich gegenseitig erschöpft und elend in die Arme zu fallen, mit dieser Geste beim Gegenüber zugleich Halt suchend und Trost spendend, hatten sie nicht zu vollbringen vermocht. Viel sprachen sie nicht, sondern konzentrierten sich auf die Gesellschaft des geliebten Wesens, welche endlich wieder in unmittelbarer Nähe warm und voller Leben zu spüren war. Und sollten sie doch leise Worte wechseln, so war die rote Seuche unvermeidlich auch in ihre Gespräche gesickert. Man erkundigte sich mit pochendem Herzen um das Wohlbefinden des Partners als auch der Freunde und Bekannten, inständig auf gute Nachrichten hoffend. Von Glück können beide sagen, dass weder die Bewohner von Glyn-y-defaid, noch des Anwesens Schaden erlitten haben und sie mit dem blanken Schrecken davongekommen sind. Die Drachenländerin betet jeden anbrechenden Tag zur großen Mutter, dass sie diesen unbeschadet übersteht und dankt gleichzeitig dafür, dass sie die vorherigen ohne Erkrankung überstanden hat. Dass sie eine Immunität, wie die Elben besitzt, kann Lyall sich nicht vorstellen. Aber offenbar sind die am Anwesen getroffenen, als auch ihre persönlichen Schutzmaßnahmen, bis zu diesem Zeitpunkt ausreichend gewesen, um nicht der Seuche anheim zu fallen. Und wohlmöglich wird die Wargin dies auch nicht mehr, da seit Blätterfall keine neuen Ansteckungen mehr zu verzeichnen waren und sich der schraubstockartige Griff um die Stadt tatsächlich langsam zu lösen beginnt. Damit begannen jedoch auch unweigerlich die langen Aufräumarbeiten der mehr oder minder provisorischen Krankenlager, bei denen Avila und sie noch Unterstützung durch die Mägde erfahren hatten, doch auch diese haben das de Winter`sche Anwesen bereits verlassen und es sind nur noch Kleinigkeiten zurückgeblieben, wie eben das Wäschewaschen sowie das Auskochen der Laken. Doch sobald die letzten Arbeiten verrichtet worden sind, wird die Wargin wieder zu ihrem Elben eilen, so schnell ihre vier Pfoten sie zu tragen vermögen. Bitterlich gelitten haben sie, dass weiß ein jeder der Beiden, auch wenn sie sich bei jedem Treffen Mut und Standhaftigkeit zugesprochen hatten, zeigte sich in ihren Blicken und Gesten eine tiefschürfende Verlustangst, die sich mit keinem körperlichen Schmerz vergleichen lässt.


    Ihre Freundinnen im Gegenzug verlassen zu müssen ist die Kehrseite der Medaille. Avila hat den Haushalt weiterhin gekonnt im Griff und die meisten schweren Arbeiten, bei denen Lyalls Arbeitskraft nötig gewesen waren, sind schon verrichtet, sodass die Wargin zumindest dahingehend keine Gewissensbisse haben muss. Schließlich wird sie immer herbeieilen, wenn ihre Freundinnen Hilfe brauchen, keine Frage. Der Abschied von Apfelgribs bereitet ihr da schon mehr Sorgen; das zarte Wesen hatte sehr unter ihrem ersten Fortgang gelitten.

    Das Wäscheholz seufzend zur Seite legend und den nassen Stoff mit beiden Händen greifend, taucht sie ein Stück des Lakens erneut unter, dort, wo sich ein kleiner Fleck hartnäckig im Gewebe festkrallt. Obwohl ihre Hände bereits müde und aufgequollen sind rubbelt sie eisern, bis der dunkle Umriss langsam heller zu werden scheint. Ja, müde ist sie bis in die Knochen, wie alle hier. Sie möchte neben Cin ins Bett fallen und für die nächsten Siebentage nicht wieder hervorkommen. Auch Aurian und Avila werden die nächsten Wochen sicherlich für Selbstfürsorge aufwenden müssen; beide gehen zwar tapfer ihrem Tagwerk nach, doch die Erschöpfung steckt auch ihnen in den Gliedern und wie sehr sehnen sich alle nach einer durchgeschlafenen Nacht ohne Unterbrechung durch das leise Wimmern eines kranken Kindes, dem röchelnden Husten derer, nach denen Sithech unnachgiebig griff oder einfach einen Schlaf ohne nervenaufreibende Alpträume… Bald wird sie mir ihrer Wäsche fertig werden, in ihre Kammer gehen und hoffentlich in einen tiefen, traumlosen Schlaf fallen. Einfach nur ein paar ruhige Nächte, Ealara. Für uns alle. Bitte erweise uns diese einfache Gnade…, sinniert sie, nicht ahnend, dass ein paar Stockwerke über ihr auch ihre Freundin eigenen Sorgen nachhängt, bevor auch diese ihr trügerisches Heil im Schlaf sucht.

    ... frohes Neues euch allen <3

    ... hoffe ich, das ihr alle gut reingerutscht seid, wünsche euch viel Gesundheit, Glück und Erfolg im neuen Jahr. Die Hoffnung stirbt zuletzt, dass wir die Beschränkungen zumindest etwas baldigst los sein werden :upsido: