Die Steinfaust
Am äußeren Wall der südwestlichen Stadtmauern Talyras, zwischen dem Verder Tor und dem Platz der Händler, liegt der höchste Punkt der Stadt, ein breiter, natürlicher Felssockel aus grauem Granit. Darauf erhebt sich die Steinfaust, jene alte und mächtige Festung der Stadt. Zu imperialen Zeiten war die Steinfaust Quartier der imperialen Garde und Sitz des Statthalters der Provinz Ildorien, heute dient sie als Hauptquartier der talyrischen Stadtgarde und Sitz des Lord Commanders. Die Steinfaust ist wahrlich keine kleine Burg und eine beeindruckende Festungsanlage, auch wenn sie sich nicht den Ausmaßen der Festungen von Arrassigué im Tal von Marmande oder gar dem Crak von Rixa vergleichen kann. Sie wurde in ihrer langen Geschichte noch nie eingenommen und hielt seit ihrer Erbauung jeder Belagerung stand.
Ihre mit wuchtigen Bollwerken versehenen Mauern fallen nach allen Seiten außer zur Stadt hin steil ab. Der einzige Zugang von außen ist ein schmaler, gut gesicherter Torweg in die durch einen tiefen Graben zusätzlich noch geschützte Burganlage, genannt das Waldtor. Von der Stadt aus gelangt man nur durch ein einziges, Tag und Nacht von Soldaten bewachtes, Tor mit einem gewaltigen Vorwerk hinein. In alter Zeit umgab dieser Stadtgraben, der auch die Festung mit einschließt, die gesamte Länge der hohen Stadtmauern, und konnte zu Notzeiten durch unterirdische Schleusen binnen Augenblicken mit Seewasser geflutet werden - heute weidet darin zumeist das Kleinvieh der weltenstädter Bürger.
Die Steinfaust hat zwei Zwinger (d.h. zwei gepflasterte Höfe) und hohe, runde Wehrtürme. Der Äußere Zwinger dient als Exerzier- und Übungsplatz. Um ihn scharen sich etliche Gebäude zur Unterbringung der "Blaumäntel", wie die Männer der Stadtgarde im Allgemeinen genannt werden: Schlafräume, Quartiere und Wachstuben, die burgeigene Schmiede, Vorratsräume, Lager, Stallungen für die Pferde und die Quartiere der Bediensteten. Das Herz der Steinfaust ist der Bergfried mit dem Inneren Zwinger, in dessen Gebäuden und Wehrtürmen die Quartiere der Kommandanten und Offiziere und die Privatgemächer des Lord Commanders, die Badehäuser, die Große Halle, die Rüst- und Waffenkammern und ähnliches untergebracht sind. Inmitten des Bergfrieds erhebt sich auch der Branturm, der höchste Turm der Steinfaust, rund und trotz seiner Höhe gedrungen und wuchtig, in dem die Räume Maester Ballabars, bei Bedarf das Lazarett und - ganz oben - der Rabenschlag liegt.
Der zweite Turm dieser Inneren Burg ist der Nordturm hinter den Hauptgebäuden, der lange leer stand und erst vor einiger Zeit wieder hergerichtet wurde. In ihm befindet sich die Rüst- und Waffenkammer zuunterst und in den oberen Stockwerken Offiziersquartiere. Hier hat auch Vareyar, der Waffenmeister der Steinfaust, seine Gemächer. In der Äußeren Burg gibt es neben den zahlreichen Wehrtürmen des Burgwalls und den Tortürmen von Wald- und Stadttor nur noch den Kerkerturm, im Gegensatz zu allen anderen Türmen der Steinfaust eckig, nicht rund. In seinen Tiefen, weit unten im Fels verborgen, liegen die Verliese und noch tiefer die Schwarzen Zellen, deren Insassen die Sonne niemals wieder sehen. Von den Wehrtürmen der Steinfaust hat man einen weiten Blick auf die Gegenden westlich und südlich der Stadt, vor allem natürlich auf die großen Handelsstraßen. Dem Lord Commander der Steinfaust, Olyvar von Tarascon, untersteht der Befehl über diese Festung Talyras, die Stadtwälle und natürlich über die Stadtgarde, welche für die Sicherheit der Bürger Sorge trägt.
Die Große Halle des Bergfrieds ist ein langgezogener, riesiger, hoher Raum im mit einem Kreuzgewölbe, das von wuchtigen, mit Schnitzereien verzierten Holzsäulen getragen wird. An der rechten Längswand ist ein Dutzend hoher Bogenfenster mit bleigefassten Scheiben und zwischen ihnen, ebenso wie an der gegenüberliegenden Wand zwischen Malachitstatuen großer Lord Commander von einst, hängen in langen Reihen die Banner und Wappen alter, talyrischer Familien, deren Söhne und Töchter in der Stadtgarde gedient hatten - Kelch und Schwert, das schwarze Einhorn der Tallards, der gekrönte Falke der Langrians, ein goldener Keiler, so alt, dass man in den Archiven lange suchen müsste, um zu wissen, für welches Haus er einst stand und andere mehr... Am äußersten Ende der Halle ist ein niedriges Podest, auf dem quer eine lange Tafel mit hochlehnigen, ledergepolsterten Stühlen steht, und hinter diesem Tisch der Offiziere hängt über dem Sitz des Lord Commanders ein gewichtiger Wandteppich, ein schwerer Gobelin aus indigofarbenem Seidengarn mit dem Wappen der Stadt, dem brüllenden, goldenen Löwen. Die Halle ist groß genug, um vielen Dutzend Männern Platz zu bieten.
Die Halle des Kastellans im Vorwerk des Inneren Zwingers
Die Halle des Kastellans, welche ebenerdig im gewaltigen Vorwerk des Tores zum Inneren Zwinger der Steinfaust liegt. Die Halle ist eigentlich mehr ein großer, rechteckiger Raum mit hoher Gewölbedecke hinter einer breiten Doppeltür aus dunkler Mooreiche, die mit Eisenbändern und Nieten beschlagen ist. Zu beiden Seiten dieser kleinen Halle sind lange Bänke an den halbhoch mit Holz vertäfelten Wänden, die Platz für Wartende bieten und an ihrem Ende steht ein mächtiger Tisch, hinter dem sich deckenhohe, tiefe Regale aus Holz befinden, die vollgestopft sind mit dicken, ledergebundenen Folianten, Schriftrollen, säuberlich aufgestapelten Wachstafeln, Behältern für Federkiele, Griffeln und allem, was man sonst noch zum Erledigen des täglichen Schreibkrames so braucht. Hier ist Rhordris Reich, die Halle des Kastellans oder manchmal auch die Halle der Rechten Hand genannt. Hier schlägt das Eingeweideherz der Steinfaust, hier werden all diejenigen empfangen, die nicht unbedingt sofort zum Lord Commander persönlich müssen, hier wird der Zehnte abgerechnet und es werden Handwerker, Zubringer, Bauern, Lieferanten und alle anderen bezahlt, die Aufträge für die Steinfaust übernehmen und erledigen.
Die Gemächer Maester Ballabars im Oberen Branturm
Die runden, hohen Räume sehen stets aus, als hätte eine Horde geistesgestörter azurianischer Kräuterhändler einen Basar aufgebaut und dann mitten in einem wilden Sturm jäh die Flucht ergriffen: ein großer, halbmondförmiger Refektoriumstisch, der die Länge einer ganzen Wand einnimmt, ist übersät mit Kästchen, die bunte Pulver und winzigen Käferaugen, getrocknete Blumenköpfe, Blütenblätter, Wurzelknollen, Krötenhäute und derlei mehr enthalten. Dazwischen stehen Rillenglasröhren, dicke Bücher, kleine Messingwaagen, Astrolabien und noch mehr verwirrende Konstruktionen aus Metall und Glas, an denen winzige Kessel (selbstrührend), Phiolen und andere, undefinierbare Behältnisse hängen. Es gibt auch Glasballons mit schwarzen Flüssigkeiten, die ohne Hitze vor sich hin blubbern, und flache, elfenbeinerne Schalen, aus denen unablässig Nebelschwaden wabern - aus dem Nichts, versteht sich. In den hohen, bis unter die Decke reichenden Wandregalen mit fest angebrachten Leitern, um auch an die obersten Borde zu gelangen, verbirgt das Halbdunkel zwischen den schmalen Turmfenstern noch wunderlichere Dinge: polierte Runensteine, glänzende Messlöffel - in verschiedenen Größen, Farben und Formen - Kupfersiebe, Trichter und dazwischen in langen Reihen hohe, schmale Gläser. Sie enthalten allerlei getrocknete Kräuter, Shenrahsterne, Pilze, gemahlene Karfunkelsteine, Krötenbeine, Schneckenhäuser, Feenstaub und anderes, von dem man gar nicht wissen will, was es eigentlich ist. Alles ist fein säuberlich beschriftet in allen bekannten und unbekannten Sprachen der Immerlande und trotz des wirren Sammelsuriums herrscht der funktionale Ordnungssinn eines Menschen, der sicher gehen will, dass er auf Anhieb findet, was er sucht.
Die Ställe
Die Ställe der Steinfaust, die wie ein Großteil der alten Festung noch aus imperialer Zeit stammen, sind luftige, hohe Hallen mit holzgeschnitzten Säulen, Bogengängen zwischen Laufställen und Einzelboxen und hohen Heuspeichern, erfüllt vom Geruch nach Pferden und süßem Heu - nicht minder prächtig, als die Große Halle der Burg. Nicht gerade, dass Gobelins und Seidenteppiche die Wände schmücken. In jeder Stallburschengeneration der Stadtgarde geht der Witz, dass sie - im Gegensatz zu Kämmerern und Blaumänteln - vielleicht die schmutzigste Arbeit, aber dafür den beeindruckendsten Arbeitsplatz der ganzen Festung ihr Eigen nennen dürfen.